Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft exportseitig von China - ifo Institut

 
WEITER LESEN
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Jürgen Matthes*

     Wie abhängig ist die deutsche
     Wirtschaft exportseitig von China?**
     Könnte sich Deutschland gegenüber China entschiedener positionieren, oder ist der deut-
     sche Produktions- und Beschäftigungsstandort, ähnlich wie einzelne stark exponierte
     deutsche DAX-Konzerne, schon zu stark vom Absatzmarkt China abhängig? Zwar ist China
     im Warenhandel wichtigster deutscher Handelspartner. Hier und auch bei den Wertschöp-
     fungsexporten von Waren und Dienstleistungen nach China ist Deutschlands Exponiertheit
     vor allem im europäischen und teils auch im Vergleich zu den USA hoch. Da die deutsche
     Wirtschaft viele wichtige Exportpartner hat, bleibt die exportseitige Abhängigkeit aber
     weiterhin begrenzt. Mehr als 97% der nominalen Bruttowertschöpfung am deutschen Pro-
     duktionsstandort hängt nicht von den deutschen Wert­schöpfungsexporten nach China ab.

     Die Debatte über den Umgang mit der Volksrepublik                         ort Deutschland – tatsächlich von China.1 Diese Frage
     China wird zunehmend kritischer (vgl. Hüther 2019),                       wird im Folgenden mit einem Schwerpunkt auf deut-
     nicht nur bezüglich der Einhaltung der Menschen-                          sche Exporte nach China analysiert.2
     rechte in Xinjiang und Hongkong. Auch wirtschafts-
     und handelspolitisch nimmt die Skepsis zu, sei es mit                     ZUNEHMENDE BEDEUTUNG CHINAS IM
     Blick auf wettbewerbsverzerrende Subventionen in                          DEUTSCHEN AUSSENHANDEL
     China, nicht nach Marktprinzipien agierende Staats-
     unternehmen, forcierten Technologietransfer oder                          Chinas zunehmende Bedeutung für die deutsche Wirt-
     die Frage, ob chinesische Ausrüster vertrauenswür-                        schaft lässt sich anschaulich am Anstieg der Außen-
     dig genug sind, um beim Aufbau des 5G-Netzes in                           handelsanteile im Warenaustausch mit der deutschen
     Deutschland beteiligt zu werden.                                          Wirtschaft verdeutlichen (vgl. Abb. 1). Auf Basis der
          Bei der Frage, wie sich Deutschland gegen-                           nominalen Daten für den deutschen Warenhandel in
     über China und auch im Handelsstreit zwischen                             der langfristigen Perspektive nahm der Anteil Chinas
     den USA und China positionieren soll, gibt es unter­                      an der Einfuhr von 1,8% aller Länder im Jahr 1991 auf
     schiedliche Meinungen. Wenn eine selbstbewuss-                            9,7% im Jahr 2018 sehr stark zu. Bei der Warenausfuhr
     tere Positionierung gegenüber der chinesischen                            ist im gleichen Zeitraum ein immenser Anstieg von
     Regierung gefordert wird, werden regelmäßig Stim-                         0,8% auf 7,1% zu verzeichnen.
     men laut, die auf eine hohe ökonomische Abhängig-                              Interessant ist, dass sich die relative Bedeutung
     keit der deutschen Wirtschaft von China hinweisen.                        Chinas als Handelspartner über die Zeit recht unein-
     Dabei wird nicht zuletzt auf die Tatsache verwiesen,                      heitlich veränderte:
     dass China inzwischen zum wichtigsten deutschen
     Warenhandelspartner geworden ist. Damit verbun-                           ‒    Bis zum Ende der 1990er Jahre wuchs Chinas An­
     den ist die Sorge, dass potenzielle wirtschaftliche                            teil noch nicht stark.
     Gegenmaßnahmen Chinas zu erheblichen ökonomi-                             ‒    Das Gros der Anteilszuwächse entfällt auf die
     schen Einbußen hierzulande führen könnten. Von                                 erste Dekade der 2000er Jahre, nachdem China
     einer solchen Eskalation wären einige große deut-                              Ende 2001 der Welthandelsorganisation beigetre-
     sche Unternehmen mit umfangreichen Aktivitäten                                 ten und es auf beiden Seiten zu einem Abbau von
     in China besonders betroffen. So erwirtschaften ein-                           Handelsbarrieren gekommen war. Bei der Einfuhr
     zelne Dax-Firmen hohe Anteile ihres globalen Umsat-                            fand dieser Anstieg relativ kontinuierlich statt, bei
     zes in China, teilweise bis weit über ein Fünftel (vgl.                        der Ausfuhr hingegen kam es vor allem zwischen
     Heide et al. 2019).                                                            2008 und 2011 zu einem großen Anteilssprung.
          Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft – ver-                      ‒    Dagegen hat sich seit dem Beginn der vorigen
     standen als Produktions- und Beschäftigungsstand-                              Dekade der Anteil Chinas auf der Einfuhrseite
                                                                                    nicht mehr erhöht. Auch auf der Ausfuhrseite
     * Jürgen Matthes leitet das Kompetenzfeld »Internationale Wirt-
                                                                               1
     schaftsordnung und Konjunktur« am Institut der deutschen Wirt-               Für eine ähnliche Untersuchung der Wirtschaftsbeziehungen zwi-
     schaft, Köln.                                                             schen der Europäischen Union und China vgl. Dadush et al. (2019).
                                                                               2
     ** Dieser Artikel ist eine stark gekürzte und leicht veränderte Version      Für eine Analyse der Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von
     von Matthes (2019).                                                       chinesischer Wertschöpfung auf der Importseite vgl. Matthes (2019).

32   ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 1                                                                                          land und das Vereinigte König-
Anteil Chinas am deutschen Warenhandel                                                          reich mit deutlichem Abstand
Angaben in % des Außenhandels mit allen Handelspartnern
                                                                                                vor den anderen europäischen
12
                                                                                    Ausfuhr     Partnern.
                                                                                    Einfuhr          Beim Blick auf die übri-
10
                                                                                                gen G-6-Länder (G 7 ohne
 8                                                                                              Kanada) rangiert Deutsch-
                                                                                                land bei den Ausfuhrantei-
 6
                                                                                                len nach China auf gleicher
 4                                                                                              Höhe wie die USA (vgl. Abb. 2).
 2
                                                                                                Aufgrund der geografischen
                                                                                                Nähe weist Japan einen sehr
 0                                                                                              viel höheren Anteil von fast
                                                                                                einem Fünftel auf. Der hohe
Quelle: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft.              © ifo Institut Anteil Deutschlands im euro-
                                                                                                päischen Vergleich wird durch
      blieb Chinas relative Bedeutung zwischen 2011                   diese   internationale Betrachtung etwas rela-
      und 2016 weitgehend konstant und stieg erst in                  tiviert.
      den Jahren 2017 und 2018 wieder etwas an.                            Es ist zudem festzuhalten, dass auch ein im eu­­
                                                                      ropäischen Vergleich hoher Exportanteil von rund
Im Jahr 2018 ist China damit der wichtigste Han­                      7% letztlich nur einen überschaubaren Teil der deut-
delspartner Deutschlands. Bei den Wareneinfuh-                        schen Gesamtausfuhr darstellen. Die deutsche Wirt-
ren liegt China ebenfalls mit rund 106 Mrd. Euro auf                  schaft setzt ihre Produkte weltweit in sehr vielen Län-
Rang 1, vor den Niederlanden (knapp 98 Mrd. Euro)                     dern ab. Auf den Rest der Welt entfallen selbst nach
und mit großem Abstand vor Frankreich (65 Mrd.                        dem beachtlichen Anstieg der Ausfuhranteile Chinas
Euro). Bei den Warenausfuhren rangiert China mit                      immer noch rund 93%. Diese breite Diversifizierung
93 Mrd. Euro an dritter Stelle hinter den USA (113 Mrd.               mindert die Abhängigkeit von China als Absatzmarkt
Euro) und Frankreich (105 Mrd. Euro).                                 für deutsche Waren.

INTERNATIONALER VERGLEICH                                             WACHSTUMSBEITRAG CHINAS ZU DEUTSCHEN
                                                                      WARENAUSFUHREN
Im europäischen Vergleich ist Deutschland das Land
mit dem höchsten Anteil der Warenausfuhren nach                         Die Betrachtung der Relevanz am aktuellen Rand
China (vgl. Abb. 2). Für die EU 28 insgesamt betrug                     ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Darüber hin-
der Anteil Chinas an den Warenausfuhren im Jahr                         aus ist angesichts des großen Anteilszuwachses
2018 lediglich 3,8%. In Frankreich lag er etwas höher,                  Chinas bedeutsam, wie stark die Steigerung der Aus­
in Italien deutlich darunter. Für zahlreiche andere – in                fuhren nach China zum Wachstum der deutschen
Abbildung 2 nicht ausgewiesene – europäische Länder                     Warenexporte (und damit letztlich auch zum Wirt-
lag der Anteil bei 2% und teils noch deutlich darunter.                 schaftswachstum) beigesteuert hat. Im gesamten
Unter den EU-Ländern kommen lediglich das Verei-                        Zeitraum 1991 bis 2018 wuchsen die Ausfuhren nach
nigte Königreich und Finnland auf Anteilswerte von                      China um 4 376% und die gesamten deutschen Aus-
deutlich über 5%. Ähn­liche Aussagen gelten für den                     fuhren in alle Länder um 287%. Damit hat der Zuwachs
Anteilszuwachs seit 2000. Auch hier liegen Deutsch-                     der Ausfuhren nach China 26,7 Prozentpunkte zu dem
                                                                                                     Gesamt­zuwachs beigetragen,
Abb. 2                                                                                               was einem Anteil von 9,3% am
Warenausfuhrenᵃ nach China im G-6-Vergleich                                                          Gesamtzuwachs entspricht.
Anteil an den Warenausfuhren in alle Exportländer in % und Anteilsveränderung in Prozentpunkten
                                                                                                          Ein genauerer Blick auf
             Deutschland
                                                                     Veränderung des Anteils seit    die  Jahreswerte der Wachs-
                                                                     2000 in Prozentpunkten          tumsbeiträge zeigt eben-
  Vereinigtes Königreich                                             Anteil 2018 in %
                                                                                                     falls, dass die Bedeutung
              Frankreich                                                                             Chinas nicht überschätzt wer-
                    Italien                                                                          den sollte. Das macht Abbil-
                                                                                                     dung 3 auf Basis nominaler
                     EU28
                                                                                                     Daten deutlich, wobei hier
                       USA                                                                           bei negativer Veränderungs-
                    Japan                                                                            rate der gesamten deutschen
                                                                                                     Warenausfuhr und positiver
                              0                  5        10               15                20
ᵃ Angaben auf Basis nominaler Daten.
                                                                                                     Veränderungsrate der Ausfuh-
Quelle: IWF DOTS; Institut der deutschen Wirtschaft.                                  © ifo Institut ren nach China ein positiver,

                                                                                  ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020   33
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Abb. 3                                                                                                      renexport nach China errei-
     Wachstumsbeitrag Chinas zu den deutschen Warenausfuhren                                                     chen, während die gesamte
                                                    Veränderung der Warenausfuhren in Prozent ggü. Vorjahr       Ausfuhr um mehr als 18%
                                                    Wachstumsbeitrag Chinas in Prozentpunkten
                                                    Fiktive Veränderung der Warenausfuhren ohne Chinas
                                                                                                                 zurückging. Chinas Rolle als
                                                    Wachstumsbeitrag in Prozent                                  Stabilisator der Weltwirt-
             % bzw. Prozentpunkte                                                                                schaft während der globa-
       20
       15                                                                                                        len Finanzmarkt- und Wirt-
       10                                                                                                        schaftskrise wird hier deutlich.
        5                                                                                                        Doch erneut gilt, dass ohne
        0                                                                                                        China die gesamte Ausfuhr nur
       -5                                                                                                        um wenig mehr geschrumpft
      -10
                                                                                                                 wäre.
      -15
                                                                                                                      Deutlich relevantere ab­­
      -20
          1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018                                  solute     Wachstumsbeiträge
                                                                                                                 Chinas sind lediglich in den Jah-
      Anteil Chinas am Gesamtzuwachs                                                                             ren 2010 und 2011 zu verzeich-
             %                                                                                                   nen, in denen das in der Krise
       50
       40                                                                                                        aufgelegte chinesische Sta-
       30
                                                                                                                 bilisierungsprogramm noch
                                                                                                                 weiterwirkte. Wie aufgezeigt,
       20
                                                                                                                 fällt in die Jahre 2009 bis
       10
                                                                                                                 2011 auch der deutliche An­­
        0
                                                                                                                 stieg der Ausfuhranteile Chi-
      -10                                                                                                        nas (vgl. Abb. 1). Doch in den
           1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
                                                                                                                 folgenden Jahren 2012 und
     Quelle: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft.                          © ifo Institut
                                                                                                                 2013, als die Zuwachsraten der
                                                                                                                 deutschen Ausfuhren im Zuge
     statt ein rechnerisch negativer Wachstums­beitrag in                            der   Euroschuldenkrise        und ihren Nachwirkungen
     Prozent ausgewiesen wird.                                                       stark einbrachen, kam auch von den Exporten nach
           Im oberen Teil der Abbildung fällt ins Auge, dass China nur ein schwacher Wachstumsbeitrag.
     die Wachstumsbeiträge Chinas bis auf die Jahre 2010                                  Insgesamt steuerte China in der längerfristi-
     und 2011 deutlich kleiner sind als 1 Prozentpunkt gen Betrachtung einen nennenswerten Wachstums­
     und auch nur in fünf Jahren über einen halben Pro- beitrag zu den deutschen Warenausfuhren bei. Doch
     zentpunkt hinausgehen. Damit fällt der – hier zur auch ohne das kräftige Wachstum der Exporte nach
     Illus­tration errechnete – fiktive Zuwachs der gesam- China war die Ausfuhrdynamik generell hoch.
     ten Ausfuhren ohne Chinas Beitrag in den meisten
     Jahren nur geringfügig kleiner aus als der tatsächli- WERTSCHÖPFUNGSEXPORTE NACH CHINA
     che Zuwachs. Ohne China wären die deutschen Aus­
     fuhren pro Jahr nur wenig schwächer gewachsen.                                  Der bisherige Blick auf die Relevanz und Entwicklung
           Es stellt sich allerdings die Frage, wie es zu den der deutschen Ausfuhren stellt noch kein vollständi-
     hohen Anteilen am Gesamtzuwachs im unteren ges Bild der Bedeutung Chinas als Exportpartner für
     Teil der Abbildung 3 kommt. Bei genauerem Hin- die deutsche Wirtschaft dar. Zum einen wurde bis-
     sehen zeigt sich: Besonders hohe Anteile am Ge- lang nur der Handel mit Waren und nicht auch der
     samtzuwachs ergeben sich meist nur dann, wenn die Austausch von Dienstleistungen erfasst. Zum ande-
     ge­ samten Ausfuhren nur geringfügig wuchsen. Da ren könnte es sein, dass ein hoher deutscher Export
     Chinas Wachstumsbeitrag zwar gering, aber meist von Waren und Dienstleistungen nach China für den
     positiv ist (bis auf die Jahre 1997 und 2015), fällt er Standort Deutschland weniger bringt, als es scheint,
     vor allem dann relativ gesehen besonders ins weil der Exportwert überwiegend nicht hierzulande,
     Gewicht, wenn die Zuwachsraten der Gesamtaus- sondern im Ausland geschaffen wurde und hier-
     fuhren gering sind. Das gilt für die Jahre 1992, 2002, zulande lediglich die ausländischen Vorleistungen
     2003, 2008, 2014 und 2016. Doch letztlich gilt die Aus- zusammengefügt werden, die deutsche Wirtschaft
     sage des vorigen Absatzes auch hier: Selbst in diesen quasi nur als Durchgangsstation oder Basarökonomie
     Jahren wäre der gesamte Ausfuhrzuwachs ohne den (vgl. Sinn 2005) dient.
     begrenzten Zuwachs aus China nur geringfügig klei-                                   Es kann aber auch sein, dass durchaus ein hoher
     ner ausgefallen.                                                                Anteil eigener Wertschöpfung in den deutschen
           Eine besondere Bedeutung kommt dem Kri- Exporten enthalten ist und die Bedeutung der impor-
     senjahr 2009 zu. Hier konnte Deutschland aufgrund tierten und verbauten Vorleistungen beim Blick auf
     einer expansiven Wirtschaftspolitik der chinesischen die reine Handelsstatistik sogar noch überschätzt
     Regierung noch einen kleinen Zuwachs beim Wa- wird. Das wäre dann der Fall, wenn importierte Vor-

34   ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE

produkte selbst schon einen nennenswerten Anteil INTERNATIONALER VERGLEICH
an deutscher Wertschöpfung enthalten, weil sie zuvor
aus Deutschland zur Weiterverarbeitung und zum Bezogen auf die deutschen Wertschöpfungsexporte
anschließenden Reimport ins Ausland exportiert liegt der Anteil Chinas an allen Exportpartnern mit
wurden. Besonders in der Automobilproduktion ist 8,9% (vgl. Abb. 4) noch etwas höher als bei den Ex­­
bekannt, dass Vorprodukte im Zuge der Wertschöp- porten mit 8,5% auf Basis der TIVA-Daten.3 Dies deutet
fungsstufen sogar mehrfach Grenzen überschreiten darauf hin, dass deutsche Wertschöpfung auch von
können. Zudem ist es möglich, dass deutsche Wert- anderen Ländern aus nach China exportiert wird. Bei-
schöpfung über andere Länder nach China exportiert spielsweise ist bekannt, dass große deutsche Auto-
wird, was in der deutschen Außenhandelsstatistik mobilhersteller aus den USA nach China exportieren
nicht erfasst wird.                                                    und für die Produktion in den USA Vorleistungen aus
     Um hinter die komplexen Wertschöpfungsketten Deutschland verwenden (vgl. Puls 2018).
zu schauen und zu berechnen, wie viel eigene Wert-                           Im Vergleich der G-6-Staaten zeigt sich ein weit-
schöpfung in den deutschen Exporten steckt, muss gehend ähnliches Bild wie beim Warenhandel (vgl.
auf internationale Input-Output-Tabellen zurück­ Abb. 2) mit Blick auf den Anteil der Exporte nach
gegriffen werden. Diese Möglichkeit bietet die Trade- China an den Exporten in alle Länder (vgl. Abb. 4).
in-Value-Added-Datenbank (TIVA) der OECD (2019), Deutschland weist unter den betrachteten europäi-
die auf den Inter-Country-Input-Output-Tabellen schen Ländern auch bei den Wertschöpfungsexpor-
(ICIO) der OECD basiert. Sie liefert Zahlen für die in ten den höchsten Anteil und einen besonders starken
den Exporten eines Landes enthaltene Wertschöp- Anstieg seit 2005 aus. Für Japan erweist sich China
fung des eigenen Landes und anderer Länder. Auf im in­­ternationalen Vergleich auch hier als deutlich
diese Angaben – im Weiteren als Wertschöpfungs- wichtigerer Handelspartner. Die USA sind bei den
exporte bezeichnet – wird hier im Weiteren zurück­ Wertschöpfungsexporten ebenfalls deutlich stärker
gegriffen. Damit lässt sich auch der Beitrag der nach China orientiert als Deutschland – anders als
Wertschöpfungsexporte zum (nominalen) Wirt- beim Warenhandel, wo beide in etwa gleiche Anteile
schaftswachstum in Deutschland beziffern. Die verzeichnen.
TIVA-Angaben decken Exporte von Waren und
Dienst­ leistungen ab, sie sind nominal (also nicht BRANCHENBETRACHTUNG
preisbereinigt) und in US-Dollar angegeben und
decken aufgrund von verzögerter Lieferung von Beim Vergleich ausgewählter Branchen mit Blick auf
Input-Output-Daten den Zeitraum 2005 bis 2015 ab.                      Deutschland werden erhebliche Unterschiede deut-
     Dabei wird die Perspektive der Wertschöp­ lich (vgl. Abb. 5). Im Vergleich zum Gesamthandel
fungswirkungen für den Standort Deutschland ein­ (8,9%) stark überproportional ist der Anteil Chinas
ge­nommen. Der Absatz von deutschen Unterneh- an den deutschen Wertschöpfungsexporten beim
men mit eigener Produktion in China ist damit nicht Maschinenbau (15,7%), bei der Herstellung von Daten-
ex­plizit abgedeckt, allerdings einige indirekte Rück­ verarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen
wirkungen auf den Standort Deutschland. Dazu Erzeugnissen (13,9%) und bei der Herstellung von
gehören deutsche Vorleistungsexporte eigener elektrischen Ausrüstungen (12,5%). Bei den übri-
Wertschöpfung von Unternehmen in Deutschland gen Branchen in Abbildung 5 sind die Abweichun-
in verbundene Betriebe nach China. Auch fließt in­­ gen vom Durchschnitt nicht sehr groß. Offensichtlich
direkt ein, wenn deutsche Unternehmen expor- sind besonders die Investitionsgüterhersteller mit
tierte Wertschöpfung durch eine Verlagerung der 3 Für Ausführungen zu Unterschieden zwischen der Warenhandels-
Produktion nach China ersetzen, da Erstere dann statistik und den TIVA-Angaben vgl. Matthes (2019).
nicht mehr in den TIVA-Wer-
ten für Deutschland erfasst        Abb. 4
wird. Gewinne deutscher            Exportanteilᵃ Chinas im G-6-Vergleich
                                   Anteil der Wertschöpfungsexporte nach China an den Wertschöpfungsexporten in alle Länder
Unter­nehmen in China werden
nicht direkt erfasst. Sie kom-                                                                                  2015       2005
men nur indirekt dann zur                     Deutschland
Geltung, falls sie in den           Vereinigtes Königreich
geschilderten Weisen wert-
                                                 Frankreich
schöpfungswirksam werden,
                                                      Italien
etwa wenn sie in einen Aus-
bau der Kapazitäten in China                           EU28
investiert werden und so                                 USA
zu mehr Vorleistungsexpor-                             Japan
ten aus Deutschland oder
                                                                0                   5           10         15               20 %
zum Ersatz deutscher Exporte       ᵃ Angaben auf Basis nominaler Daten.
führen.                            Quelle: OECD 2019 (TIVA); Institut der deutschen Wirtschaft.                        © ifo Institut

                                                                                  ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020   35
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Abb. 5                                                                                                                  Abbildung 6 zeigt den
     Exportanteilᵃ Chinas im G-6-Vergleich (ausgewählte Branchen)                                                       Anteil der gesamten Wert-
     Anteil der Wertschöpfungsexporte nach China an den Wertschöpfungsexporten in alle Länder                           schöpfungsexporte          nach
                            Deutschland                      Vereinigtes Königreich     Frankreich
                            Italien                          EU28                       USA
                                                                                                                        China    an  der  gesamtwirt-
                            Japan                                                                                       schaftlichen Wertschöpfung in
                                         Insgesamt                                                                      der TIVA-Abgrenzung in nomi-
                                                                                                                        naler Rechnung. Der G-6-Ver-
                  Herstellung von chemischen und
                  pharmazeutischen Erzeugnissen                                                                         gleich macht erneut deut-
                                                                                                                        lich, dass Deutschlands Ex­­
            Metallerzeugung und -bearbeitung und
              Herstellung von Metallerzeugnissen                                                                        poniertheit relativ hoch ist.
      Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten,                                                                        Auch beim Blick auf die Ver-
       elektronischen und optischen Erzeugnissen                                                                        änderung der betrachteten
        Herstellung von elektrischen Ausrüstungen
                                                                                                                        Anteile seit dem Jahr 2005
                                                                                                                        weist kein anderes Land einen
                                     Maschinenbau                                                                       größeren Zuwachs in Prozent-
                                                                                                                        punkten auf. Das gilt wie zuvor
                   Herstellung von Kraftwagen und
                           Kraftwagenteilen
                                                                                                                        im europäischen Vergleich.
                                                                                                                        Doch vor allem in Relation zu
                            Sonstiger Fahrzeugbau                                                                       den USA und zu Japan werden
                                                                                                                        erhebliche Unterschiede zu
                                                    0        5       10     15      20     25      30        35 %
     ᵃ Angaben auf Basis nominaler Daten.                                                                               den in Abbildung 4 ausgewie-
     Quelle: OECD 2019 (TIVA); Institut der deutschen Wirtschaft.                                     © ifo Institut    senen Exportanteilen Chinas
                                                                                                                        deutlich. Deutschland ist mit
                                                                                                                        einem Anteil der Wertschöp-
     ihren Wertschöpfungsexporten überproportional auf                                 fungsexporte         von      2,8%  an der gesamtwirtschaftli-
     China fokussiert. Sie haben zweifellos von dem chine­ chen Wertschöpfung nahezu so stark auf China fokus-
     sischen Industrialisierungs- und Investitionsschub im siert wie Japan mit 3,0%, obwohl Japan wesentlich
     Betrachtungszeitraum profitiert.                                                  höhere Export­anteile aufweist. Gegenüber den USA
            Im europäischen Vergleich setzt die deutsche (1,2%) zeigt sich (trotz leicht geringerer deutscher
     Wirtschaft in den ausgewählten Branchen fast durch- Exportanteile nach China) für Deutschland sogar eine
     weg anteilsmäßig stärker auf China als die anderen deutlich höhere gesamtwirtschaftliche Abhängig-
     hier betrachteten EU-Länder – mit Ausnahme des keit. Hier wirkt sich aus, dass die Volkswirtschaften
     Sonstigen Fahrzeugbaus in Frankreich und der Auto- der USA und Japans deutlich größer als die Deutsch-
     mobilindustrie im Vereinigten Königreich. Beim Ver- lands sind und größere Länder in aller Regel kleinere
     gleich mit den USA und Japan bestätigt sich, dass Exportanteile an der Wirtschaftsleistung aufweisen.
     beide Länder und vor allem Japan stärker in Richtung                                   Doch der erste Eindruck einer relativ großen
     China ausgerichtet sind. In Japan erreichen einzelne Abhängigkeit vom Exportabsatz in China muss
     Branchen sogar Anteile von um die 30%, vor allem im ins richtige Licht gerückt werden. Denn ein Anteil
     Bereich der Elektroindustrie. Lediglich im Fahrzeug- der Wertschöpfungsexporte von 2,8% an der ge­­
     bau unterscheidet Japan nicht viel von Deutschland samtwirtschaftlichen Wertschöpfung sollte auch
     mit Blick auf die Anteile Chinas bei den Wertschöp- nicht überschätzt werden. Mehr als 97% der Wert-
     fungsexporten. Auch die USA weisen nahezu in allen schöpfung stammen weiterhin aus anderen
     ausgewählten Branchen höhere Anteile als die deut- Quellen.
     sche Wirtschaft auf, außer
     beim Maschinenbau und bei                            Abb. 6
     elektrischen Ausrüstungen.                           Anteil der Wertschöpfungsexporte nach China an der gesamtwirtschaftlichen
                                                        Wertschöpfung insgesamt
     BEITRAG ZUR GESAMT-                                                                                                                          2015
                                                                      Deutschland
     WIRTSCHAFTLICHEN                                                                                                                             2005
     WERTSCHÖPFUNG                                      Vereinigtes Königreich

                                                                       Frankreich
     Doch für die Frage, wie abhän-                                        Italien
     gig die deutsche Wirtschaft
                                                                               EU
     vom Exportabsatz in China
     ist, zählt vor allem die Bedeu-                                         USA
     tung der Wertschöpfungs-                                              Japan
     exporte nach China für die
                                                                                     0,0         0,5           1,0     1,5   2,0     2,5          3,0 %
     Gesamtwirtschaft und das                           ᵃ Angaben auf Basis nominaler Daten.
     Wirtschaftswachstum.                               Quelle: OECD 2019 (TIVA); Institut der deutschen Wirtschaft.                        © ifo Institut

36   ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 7                                                                                                              ihren Wertschöpfungs­e xpor-
Wachstumsbeitrag der Wertschöpfungsexporte nach Chinaᵃ 2005 –2015                                                   ten mit 0,56% den größten
        Veränderung der nominalen Bruttowertschöpfung der Gesamtwirtschaftᵇ in %                                    Anteil zur gesamtwirtschaft-
        Veränderung der nominalen gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung in Prozentpunkte                       lichen Bruttowertschöpfung
                                                                                                                    unter den hier betrachteten
           Deutschland
                                                                                                                    Branchen bei, wenn auch nur
 Vereinigtes Königreich
                                                                                                                    mit einem geringen Vorsprung
                                                                                                                    zum Maschinenbau mit 0,53%.
              Frankreich                                                                                            Die übrigen Branchen kom-
                                                                                                                    men auf wesentlich geringere
                   Italien                                                                                          Anteile. Diese Anteile sind Teil-
                                                                                                                    menge des Anteils der Wert-
                      USA
                                                                                                                    schöpfungsexporte insgesamt
                   Japan
                                                                                                                    von 2,8% an der gesamtwirt-
                                                                                                                    schaftlichen Wertschöpfung
                             0          5        10          15    20        25        30       35         40       (vgl. Abb. 6).
ᵃ Angaben auf Basis nominaler Daten. ᵇ Basisdaten umgerechnet auf Nationalwährungsbasis.                                 Hinter diesen Resultaten
Quelle: OECD 2019 (TIVA); Institut der deutschen Wirtschaft.                                      © ifo Institut
                                                                                                                    steht, dass das Volumen der
                                                                                                                    gesamten Wertschöpfungs­ex­
WACHSTUMSBEITRAG DER                                                               porte    der  Automobilindustrie         groß ist, was den gerin-
WERTSCHÖPFUNGSEXPORTE                                                              geren China-Exportanteil kompensiert. Auch der An-
                                                                                   teilszuwachs seit 2005 fällt bei der Automobilin­dust-
Auch die folgende Betrachtung des Wachstums­ rie am größten aus. Mit Blick auf die Beiträge zum
beitrags der Wertschöpfungsexporte nach China Zuwachs der nominalen Bruttowertschöpfung 2005–
bestätigt dieses Bild. Auf Basis der TIVA-Daten beträgt 2015 von 33% trägt die Automobilindustrie rund ein
der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen nominalen Viertel zum in Ab­­                                            bildung 7 ausgewiesenen Wachs-
Bruttowertschöpfung im Zeitraum 2005 bis 2015 ins- tumsbeitrag aller Branchen von 2,8 Prozentpunkten
gesamt rund 33% zwischen 2005 und 2015, was dem bei.
Zuwachs des nominalen BIP gemäß der deutschen                                             Gleichwohl gilt auch bei dieser Betrachtung:
VGR in diesem Zeitraum entspricht. Es ist zu beden- Zwar ragen Automobilindustrie und Maschinenbau im
ken, dass die TIVA-Daten nur eine nominale Betrach- Branchenvergleich der Wertschöpfungsbeiträge her-
tung ermöglichen, also das Wirtschaftswachstum aus. Doch ist der Beitrag der Wertschöpfungsexporte
nicht wie üblich preisbereinigt ausgewiesen werden dieser Branchen nach China zur gesamtwirtschaft-
kann.                                                                              lichen Wertschöpfung und zum nominalen Wert-
      Die Wertschöpfungsexporte nach China – eben- schöpfungszuwachs insgesamt gering.
falls umgerechnet auf Nationalwährungsbasis –
haben zwischen 2005 und 2015 einen Wachstums- ABHÄNGIGKEIT INSGESAMT BEGRENZT
beitrag von 2,8 Prozentpunkten zu dem 33%igen
Zuwachs der nominalen Bruttowertschöpfung geleis- In der Debatte, ob sich Deutschland gegenüber China
tet (vgl. Abb. 7). Anders formuliert, gehen über 8% robuster positionieren soll, wird zuweilen darauf
des nominalen Wirtschaftswachstums in diesem verwiesen, dass die deutsche Wirtschaft ähnlich wie
Zeitraum auf die Wertschöpfungsexporte der deut- einzelne deutsche DAX-Konzerne stark von China
schen Wirtschaft nach China zurück. Im interna- abhängen. Diese Sichtweise ist zu relativeren.
tionalen Vergleich fällt der nominale Wachstums-                                          Im Warenhandel ist China inzwischen zwar
beitrag Chinas in Prozentpunkten für Deutschland wichtigster deutscher Handels- und Importpart-
erneut relativ groß aus. In den übrigen betrachteten ner. Mit einem Ausfuhranteil von 7% spielt China
G-6-Ländern ist er nur in etwa halb so hoch.                                       für Deutschland eine deutlich größere Rolle als für
      Die Wertschöpfungsexporte nach China erweisen alle anderen EU-Länder. Der enorme Zuwachs der
sich damit für Deutschland als durchaus relevant für deutschen Ausfuhren nach China trug zwischen
das Wirtschaftswachstum. Doch erneut ist eine Rela- 1991 und 2018 knapp 27 Prozentpunkte zum ge­­
tivierung angebracht. Denn auch ohne diesen Wachs- samten deutschen Ausfuhrzuwachs von über
tumsbeitrag wäre die deutsche Wirtschaft nominal knapp 290% bei, was einem Anteil am Gesamt-
um über 30% gewachsen.                                                             zuwachs von knapp einem Zehntel entspricht.
                                                                                   Gleichwohl wären die jährlichen deutschen Aus-
BRANCHENBETRACHTUNG                                                                fuhren ohne den Beitrag Chinas aber nur gering-
                                                                                   fügig weniger gestiegen (außer in wenigen einzel-
Trotz des deutlich geringeren China-Exportan- nen Jahren). Zudem hat die deutsche Exportwirt-
teils der Automobilindustrie im Vergleich zum Ma­­ schaft viele Partner, auf die weiterhin 93% der Aus-
schinenbau (vgl. Abb. 5) steuert diese Branche mit fuhren entfallen.

                                                                                            ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020   37
FORSCHUNGSERGEBNISSE

          Die deutschen Wertschöpfungsexporte nach                    punkte bedeuten, verteilt auf fünf Jahre ergibt sich
     China machten auf Basis der TIVA-Daten der OECD                  eine Verringerung von knapp 0,3 Prozentpunkten pro
     nach einem kräftigen Anstieg im Jahr 2015 rund                   Jahr in nominaler Rechnung. Wird angenommen, dass
     2,8% der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöp-                 sich die nominale BIP-Wachstumsrate zu einem Drit-
     fung in Deutschland aus. In gleicher Größenordnung               tel aus Preissteigerungen speist, resultiert ein Rück-
     von 2,8 Prozentpunkten liegt deren Wachstumsbei-                 gang des realen BIP von knapp 0,2 Prozentpunkten
     trag zum Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen nomi­                pro Jahr über fünf Jahre.
     nalen Bruttowertschöpfung in Deutschland von 33%                       Diese Verringerung ist merklich, würde aber die
     zwischen 2005 und 2015. Diese Werte sind im in­­                 Dynamik einer sich im Rahmen des Potenzialwachs-
     ternationalen Vergleich der G-6-Länder relativ höher             tums entwickelnden deutschen Wirtschaft nur gering-
     als im Warenhandel, gerade auch in Relation zu den               fügig mindern. In der aktuellen Situation der schwa-
     USA und Japan. Dies gilt vor allem für die deutschen             chen Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 2019 und
     Investitionsgüterhersteller   (Maschinenbau      und             2020 mit realen BIP-Zuwachsraten von 0,5% würde
     Elektroindustrie) und die Automobilindustrie. Trotz-             eine Verringerung um knapp 0,2 Prozentpunkte zwar
     dem ist festzuhalten, dass mehr als 97% der gesamt-              relativ stärker ins Gewicht fallen, aber die deutsche
     wirtschaftlichen Wertschöpfung nicht von den Wert-               Wirtschaft nicht in eine Rezession reißen.
     schöpfungsexporten nach China abhängen und auch                        Auch andere modellbasierte Berechnungen
     das nominale Wirtschaftswachstum ohne die Chi-                   bestätigen die Größenordnung der hier aufgezeig-
     na-Exporte rund 30% betragen hätte.                              ten Effekte tendenziell. So würde eine lang anhal-
                                                                      tende Wachstumskrise in China mit einer Wachs­
     EINORDNUNG DER ERGEBNISSE                                        tums­verlangsamung Chinas um 3 Prozentpunkte pro
                                                                      Jahr im zehnjährigen Zeitraum von 2019 bis 2028 das
     Darüber hinaus ist mit Blick auf die Zukunft zu beden-           BIP-Niveau in Deutschland am Ende des Zeitraums
     ken, dass der Betrachtungszeitraum 2005 bis 2015                 im Jahr 2028 lediglich um insgesamt 0,3 Prozent-
     durch Sondereffekte geprägt war, die sich vermutlich             punkte geringer ausfallen lassen (vgl. Jovicic 2019).
     nicht mit der gleichen Dynamik fortsetzen werden:                Diese Modellberechnung und auch die Überschlags-
                                                                      rechnung abstrahieren allerdings von weiteren mög-
     ‒     Erstens nahm die gegenseitige Handelsintegration           lichen negativen Effekten, die etwa im Rahmen einer
           in der Phase nach dem WTO-Beitritt Chinas deut-            er­­höhten Unsicherheit im Zuge eines Handelskon-
           lich zu. Der Anteilszuwachs Chinas bei deutschen           flikts mit China resultieren könnten. Daher sollten die
           Importen und Exporten hat sich jedoch bereits seit         Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden.
           2011 abgeschwächt.                                               Gleichwohl erscheint die exportseitige Abhängig-
     ‒     Zweitens wuchs Chinas Wirtschaft in der vorigen            keit von China alles in allem begrenzt. Der Blick auf
           Dekade mit enormen Raten, die zuletzt aber merk-           hohe Umsatzanteile einiger großer deutscher Unter-
           lich zurückgingen.                                         nehmen in China verzerrt das Bild.
     ‒     Drittens fragte China in der Phase seiner fort-
           schreitenden Industrialisierung vor allem deut-            LITERATUR
           sche Investitionsgüter nach. Doch hat es sich zum          Dadush, U., M. Domínguez-Jiménez und T. Gao (2019), »The State of
           Ziel gesetzt, hier mittelfristig durch einen Inno­         China-European Union Economic Relations«, Bruegel Working Paper,
                                                                      Nr. 9, Brüssel.
           vationsschub zunehmend autark zu werden.
                                                                      Fritsch, M. und J. Jürgen (2017), Factory Europe and its Ties in Global Value
                                                                      Chains, GED Focus Paper, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
     Abschließend ist zu fragen, was bei einer merklichen             Heide, D., S. Hofmann, J. Hofer, S. Hua, Th. Jahn, U. Sommer und St. Men-
     Desintegration im Zuge eines Handelskonflikts pas-               zel (2019), »Das China-Dilemma – Wie die Volksrepublik zur Falle für deut-
                                                                      sche Konzerne wird«, Handelsblatt, 18. Januar, verfügbar unter:
     sieren würde. Für die Konsequenzen dieses hypothe-               https://www.handelsblatt.com/politik/international/auslandsgescha-
     tischen Szenarios gibt die folgende vereinfachte Über-           eft-das-china-dilemma-wie-die-volksrepublik-zur-falle-fuer-deutsche-kon-
                                                                      zerne-wird/23874922.html?ticket=ST-2996991-0MpsZuMkfmeqFMDFIf-
     schlagsrechnung eine qualitative Einschätzung der zu             Qx-ap4, aufgerufen am 3. Dezember 2019.
     erwartenden Größenordnung: Selbst wenn sich die                  Hüther, M. (2019), »Top-Ökonom wirft Politik und Wirtschaft ›Naivität
     deutschen Wertschöpfungs­exporte nach China inner-               im Umgang mit China vor‹«, WirtschaftsWoche, 10. Januar, verfügbar
                                                                      unter: https://www.wiwo.de/politik/ausland/michael-huether-top-oe-
     halb der nächsten fünf Jahre in gleichmäßigen Schrit-            konom-wirft-politik-und-wirtschaft-naivitaet-im-umgang-mit-china-
     ten insgesamt halbieren würden, fiele das deutsche               vor/23849002.html, aufgerufen am 3. Dezember 2019.

     Wirtschaftswachstum nur um schätzungsweise knapp                 Jovicic, S. (2019), Chinas Wirtschaft: Steigende Risiken, IW-Report, Nr. 24,
                                                                      Köln.
     0,2 Prozentpunkte pro Jahr geringer aus – ceteris pari-
                                                                      Matthes, J. (2019), Zur Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China im
     bus und unter vereinfachten Annahmen.                            Außenhandel, IW-Report, Nr. 43, Köln.
          Dieses Ergebnis ergibt sich wie folgt: Der Anteil           OECD (2019), »TIVA – Trade in Value Added Database«, verfügbar unter:
     der nominalen Wertschöpfungsexporte nach China an                https://www.oecd.org/sti/ind/measuring-trade-in-value-added.htm, auf-
                                                                      gerufen am 3. Dezember 2019.
     der nominalen gesamtwirtschaftlichen Bruttowert-
                                                                      Puls, Th. (2018), Deutsche Autohersteller und der US-Markt, IW-Kurzbericht,
     schöpfung in Deutschland beträgt wie gezeigt 2,8%                Nr. 21, Köln.
     im Jahr 2015. Eine Anteilshalbierung würde eine Ver-             Sinn, H.-W. (2005), Die Basar-Ökonomie. Deutschland: Exportweltmeister
     ringerung der Bruttowertschöpfung um 1,4 Prozent-                oder Schlusslicht?, Econ, Berlin.

38   ifo Schnelldienst   2 / 2020   73. Jahrgang   12. Februar 2020
Sie können auch lesen