Reformvorschläge zur Eurozone - eine gemeinsame europäische Arbeitslosen-versicherung als Lösung? - ifo.de
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DATEN UND PROGNOSEN Johannes Blum, Anna Dudel*, Björn Kauder, Manuela Krause und Niklas Potrafke Reformvorschläge zur Eurozone – eine gemeinsame europäische Arbeitslosen- versicherung als Lösung? In der Dezember-Umfrage des Ökonomenpanels von ifo und FAZ wurden Professoren für Volkswirtschaftslehre an deutschen Universitäten nach ihrer Meinung bezüglich verschie- dener Reformvorschläge für die Eurozone sowie insbesondere zur Schaffung einer gemein- samen europäischen Arbeitslosenversicherung befragt. Die Mehrheit der Befragungsteil- nehmer ist mit den Reformen nicht zufrieden. In jüngster Zeit wurde vielfach über die zukünftige der Währungsunion geeinigt. Dabei steht ein Ausbau Ausrichtung der Eurozone diskutiert. Nach den Er des als Krisenfonds gegründeten Europäischen Stabi fahrungen in der europäischen Schuldenkrise steht litätsmechanismus (ESM) im Mittelpunkt. Der Fonds bei entsprechenden Debatten meist die Frage im übernahm 2012 die Aufgaben des damals befris Mittelpunkt, wie die Währungsunion in Zukunft bes teten »Rettungsschirms«, um die Wirtschaftskrise zu ser und robuster gegenüber Krisen gewappnet wer überwinden. Erklärte Ziele sind die finanzielle Sta den könnte. Diskutiert wird, ob neben einer Wäh bilität der Eurozone und die Vorbeugung von Speku rungsunion auch eine fiskalische Union benötigt lationen gegen den Euro. Mit eigenem Grundkapital, wird. Mit dem Begriff einer Fiskalunion werden aller das die Mitglieder anteilig garantieren müssen, und dings häufig unterschiedliche Konzepte verbunden. eigens besorgten Krediten hilft er notleidenden Euro Ein konkreter Vorschlag zielt dabei auf die Schaffung ländern durch Hilfskredite und Bürgschaften. Der Kri einer europäischen Arbeitslosenversicherung ab, die tikpunkt, dass sich die EU durch die Schaffung des zuletzt durch Bundesfinanzminister Olaf Scholz und ESM in Richtung Transferunion bewegt, steht auch seinen französischen Amtskollegen Bruno Le Maire heute noch durchaus im Raum (vgl. Wolf 2013). Der öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr. Außerdem bera ESM erhält gemäß dem Einigungsvorschlag weitere ten die EU-Staats- und Regierungschefs gegenwärtig Kompetenzen, wird weiter ausgebaut und kann künf über Reformen des Europäischen Stabilitätsmecha tig dem einheitlichen Bankenabwicklungsfonds Kre nismus (ESM) und haben kürzlich ihre Finanzminis dite geben. Zudem verständigte man sich darauf, dass ter mit der Ausarbeitung eines gemeinsamen Budgets es Ansätze für eine Insolvenzordnung für überschul beauftragt. dete Staaten geben soll, indem der ESM Verhandlun Das 21. Ökonomenpanel von ifo und FAZ wid gen zwischen Gläubigern und Schuldnern moderiert. met sich dieser Thematik und geht der Frage nach, Bezüglich der Frage eines Extrabudgets für die Euro wie Volkswirte die jüngsten Reformmaßnahmen in zone konnten sich die Finanzminister allerdings nicht der Eurozone sowie bereits länger bestehende Vor auf eine Linie einigen. Auch bezüglich der Einführung schläge dazu beurteilen. Dabei steht auch der Vor einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung schlag einer gemeinsamen europäischen Arbeits soll erst Mitte nächsten Jahres über weitere Schritte losenversicherung im Blickpunkt. Insgesamt nahmen beraten werden. an der Dezember-Umfrage 124 Ökonominnen und In einem ersten Teil wurden die Ökonomen ge Ökonomen teil. beten, die Vorschläge, auf die sich die Finanzminister verständigt haben, zu bewerten. Ein Großteil der Teil VERABSCHIEDETE REFORMMASSNAHMEN DER nehmer ist mit den vereinbarten Schritten allerdings EURO-FINANZMINISTER nicht zufrieden (56%). Nur 29% gaben an, zufrieden zu sein, während 15% unentschlossen waren (vgl. Am 4. Dezember 2018 haben sich die Finanzminis Abb. 1). ter der Eurogruppe in einem langen Verhandlungs Die Ökonomen wurden zudem gefragt, ob die marathon auf einige Reformelemente zur Stärkung Währungsunion mit den verabschiedeten Reformen aus ihrer Sicht nun robuster im Hinblick auf die Bewäl * Anna Dudel war von Oktober bis Dezember 2018 Praktikantin im tigung von Krisen geworden sei. Hierbei sind sich die ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Teilnehmer des Ökonomenpanels allerdings mehr ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 55
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1 unnötig und teuer für den Reformvorschläge der Euro-Finanzminister Steuerzahler wäre. Schwierig Sind Sie insgesamt mit den verabschiedeten Reformen der Währungsunion zufrieden? ist außerdem, dass ein Extra budget von allen Mitglieds ländern beschlossen wer Ja 15% den müsste, sich aber nur an Nein die Euroländer richtet (vgl. 29% Weiß nicht Mühlauer 2018). Harald Fadinger von der Universität Mannheim zeigte sich einem solchen Extra budget gegenüber aufge schlossen und äußerte sich wie folgt: »Die aktuellen Reformvorschläge führen ten 56% denziell zu einer Stärkung der Resilienz der Eurozone, gehen Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut aber noch nicht weit genug. Ein gemeinsames Budget der heitlich uneinig. 51% beantworteten diese Frage mit Eurozone, mit dem eine gemeinsame Fiskalpolitik »Teils-teils« (vgl. Abb. 2). 24% der Teilnehmer glaub (aggregate fiscal stance) verfolgt werden kann, wäre ten nicht, dass die Eurozone mit den vereinbarten wünschenswert.« Maßnahmen krisensicherer sein wird, 20% sahen dies Befragt zu den größten Problemen der Euro allerdings schon. zone, mahnten die Teilnehmer des Ökonomenpanels Das Reformpaket der Euro-Finanzminister ist am die aus ihrer Sicht weiterhin zu enge Verflechtung 14. Dezember 2018 (die Umfrage war hier bereits been zwischen Banken und Staaten sowie die allgemein det) von den Staats- und Regierungschefs bei einem fehlende Disziplin in der Finanzpolitik an. Um diese Gipfeltreffen beschlossen worden. Zusätzlich wurde Probleme zu lösen, sollten nach Meinung der teil vereinbart, dass zumindest ein Konzept für ein mög nehmenden Ökonomen eine umfassende Insolvenz liches Extrabudget der Eurozone durch die Finanz ordnung sowie eine gemeinsame Einlagensicherung minister erarbeitet werden soll. Ob es allerdings in ein geführt werden. Auch betonten die Teilneh absehbarer Zeit zu einer wirklichen Einführung eines mer, dass es mehr Automatismen in der Sanktionie Extrabudgets kommen wird, ist mehr als fraglich. rung von Verletzungen der Maastricht-Regeln geben Besonders die Mitglieder der »Hanseatischen Liga« sollte, die eine wirksame Durchsetzung der Strafen (ein Verbund von elf nördlichen EU-Ländern, be gewährleisten. Zugleich sollten aber auch verstärkte stehend aus den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Anreize für strukturelle, nachhaltig wirkende Refor Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland, Irland men geschaffen werden. und den drei baltischen Staaten, sowie Malta) werden Isabel Schnabel, Professorin für Financial nicht müde zu betonen, dass ein zusätzliches Bud- Economics an der Universität Bonn und Mitglied get, das über den EU-Gesamthaushalt hinausgeht, des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent Abb. 2 wicklung, konnte den Vor Bewertung der Reformvorschläge der Euro-Finanzminister schlägen durchaus etwas Ist die Währungsunion nun robuster im Hinblick auf die Bewältigung von Krisen geworden? Positives abgewinnen. Den noch sah sie noch viel Ver besserungspotenzial für die 5% Ja Zukunft: »Ich begrüße die 20% Nein aktuellen Beschlüsse zur Reform der Währungsunion. Teils-teils Hierdurch wird die Schlag- Weiß nicht kraft des Bankenabwicklungs fonds erhöht, und eine geord nete Restrukturierung von 51% Staatsschulden wird erleich 24% tert. Sorgen bereitet mir der nach wie vor zu enge Risiko verbund zwischen Banken und Staaten. Um diesen zu Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut lockern, benötigen wir eine 56 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
DATEN UND PROGNOSEN angemessene Regulierung von Staatsanleihen in für den Euroraum und seine Mitgliedsländer halten. den Bankportfolios und mittelfristig auch eine euro Zusätzlich werden die bestehenden Fiskalregeln als päische Einlagenversicherung.« intransparent, prozyklisch und konfliktträchtig be Auch Friedrich Heinemann vom ZEW in Mannheim urteilt. Weiterhin sollte nach Ansicht der Ökonomen äußerte sich recht optimistisch: »Die Vorschläge der dem Vertrauensverlust, den die Finanz- und Eurokri Eurogruppe sind ausgewogen und berücksichtigen sen mit sich gebracht haben und der als ein Grund für gleichermaßen die Interessenlage von höher und nationalistische und populistische Tendenzen gewer niedriger verschuldeten Staaten. Vorsichtige Schritte tet wird, entgegengewirkt werden (vgl. Benassy-Quere in Richtung neuer Stabilisierungsinstrumente wer- et al. 2018). Der Reformvorschlag will bewusst keine den kombiniert mit Maßnahmen zur Stärkung der politische Neuausrichtung der Währungsunion pro Marktdisziplin. Hier sind die verbesserten Collective vozieren, sondern konstruktiv dazu beitragen, eine Action Clauses (single limb) zu nennen und die expli bessere Ausschöpfung des Wachstumspotenzials zu zite Rolle des ESM bei künftigen Umschuldungsver erreichen. Außerdem würden die Reformen nicht zu handlungen. Das beseitigt zwar noch nicht die Sor einer Transferunion führen, die besonders in Deutsch gen Nordeuropas, dass die Schulden Südeuropas land häufig kritisch gesehen wird (vgl. DIW 2018). sozialisiert werden, es ist aber ein erster wichtiger Befragt dazu, ob sie die Kombination der oft Schritt auf dem Weg zu einer Insolvenzordnung für mals als gegensätzlich dargestellten Konzepte Risi Eurostaaten.« koteilung und Marktdisziplin im Prinzip als geeignet Andere Teilnehmer wie Alexander Dilger von der ansehen, um den Euroraum robuster und krisenre Universität Münster waren nicht der Meinung, dass sistenter zu machen, stimmte eine relative Mehrheit die Währungsunion durch Reformen gestärkt wer der teilnehmenden Ökonomen zu. 47% erachteten den kann: »Die Vorschläge gehen in die falsche Rich die angedachte Verknüpfung von Risikoteilung und tung. Der Euro als Gemeinschaftswährung für hetero Marktdisziplin für sinnvoll (vgl. Abb. 3). 28% der Teil gene Staaten und Volkswirtschaften ist eine Fehlkon nehmer sahen diesen Vorschlag allerdings nur teil struktion und sollte entweder ganz abgeschafft oder weise als zielführend an, während 19% den Ansatz in eine Parallelwährung zu nationalen Währungen gänzlich ablehnten. umgewandelt werden.« Zu den Umfrageteilnehmern, die den Ansatz ablehnen, zählt zum Beispiel Dirk Meyer von der Uni EIN GEMEINSAMES REFORMKONZEPT VON versität der Bundeswehr Hamburg: »Die Risikoverge FRANZÖSISCHEN UND DEUTSCHEN ÖKONOMEN meinschaftung führt zu Fehlanreizen, die das Wachs tum der Eurozone bremsen werden. Ein chaotischer Bereits vor dem Treffen der Euro-Finanzminister wurde Zerfall des Euro wird wahrscheinlicher, da man sich über die zukünftige Ausrichtung der Eurozone disku auf Rettungsleinen verlässt, die im Krisenfall gar nicht tiert. Anfang des Jahres 2018 stellten dazu 14 Ökono schnell genug ausgeworfen werden können und bre men aus Frankreich und Deutschland, darunter Mar chen werden.« cel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Nach Ansicht der deutsch-französischen Exper Wirtschaftsforschung, und Clemens Fuest, Präsident tengruppe schließen sich mehr Risikoteilung – oft des ifo Instituts, ein Reformpaket mit insgesamt sechs vereinfacht dargestellt als die »französische Posi Reformschritten für die Europäische Währungsunion tion« – und bessere Anreize für mehr Marktdisziplin mit dem Titel »Wie Risikoteilung und Marktdisziplin – die »deutsche Position« – nicht grundsätzlich aus. in Einklang gebracht werden können: Ein konstruktiver Vor Abb. 3 schlag zur Reform des Euro Gemeinsames Reformkonzept französischer und deutscher Ökonomen raums« vor. Darin wird im Kern Unterstützen Sie den Ansatz, die Konzepte Risikoteilung und Marktdisziplin miteinander in Einklang zu bringen, um den Euroraum robuster und krisenresistenter zu machen? vorgeschlagen, eine Risikotei lung zwischen den Euro-Mit 6% Ja gliedstaaten mit mehr fiska lischer Disziplin zu kombinie Nein ren, um den Euroraum in der Teils-teils Zukunft robuster und krisenre 28% sistenter zu machen und den Weiß nicht 47% wirtschaftlichen Wohlstand im Euroraum zu steigern. Aus Sicht der Ökonomen sind Reformen unter anderem des halb unbedingt notwendig, da sie das jetzige Abhängigkeits 19% verhältnis von Staaten und Banken für höchstgefährlich Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 57
DATEN UND PROGNOSEN Sie argumentieren, dass sowohl Instrumente zur Kri Fünf weitere Vorschläge werden von den Öko senvorbeugung als auch zur -bewältigung notwendig nomen in ihrem Reformpaket genannt: Vervollstän für eine funktionierende Finanzarchitektur sind, dass digung der Banken- und Kapitalmarktunion, Über Anreizprobleme durchaus innerhalb der Risikotei- arbeitung des Maastricht-Defizitkriteriums und De lung vermieden werden können und dass auch gerade finition einer neuen Ausgabenregel, Schaffung einer zur Disziplinierung von Banken und Politik sowohl Grundlage für eine geordnete Schuldenrestruktu Stabilisierungs- als auch Risikoteilungsmechanismen rierung der Länder, Einführung eines neuen Euro-An notwendig sind (vgl. Benassy-Quere et al. 2018). lageprodukts als Alternative zu Staatsanleihen sowie In dem Reformkonzept der französischen und eine institutionelle Reform bezüglich der Anbindung deutschen Ökonomen wird zur Risikoteilung unter des Präsidenten der Eurogruppe an die Kommission anderem ein neuer gemeinsamer Fonds zur Unter (vgl. Benassy-Quere et al. 2018). stützung einzelner Länder bei großen wirtschaft lichen Krisen vorgeschlagen – kleinere Konjunktur EIN REFORMVORSCHLAG VON OLAF SCHOLZ krisen sind davon ausgenommen und sollen natio nal aufgefangen werden. Ein enormer Anstieg der Neben dem Vorschlag der französischen und deut Arbeitslosigkeit oder generell ein Beschäftigungs schen Ökonomen wurden auch andere Konzepte in einbruch könnten den Zugriff auf den Fonds recht den öffentlichen Diskurs eingebracht. So brachte im fertigen. In diesen Fonds sollen alle Länder einzahlen, Juni dieses Jahres Bundesfinanzminister Olaf Scholz um in Krisenzeiten finanzielle Unterstützung erhalten gemeinsam mit seinem französischen Amtskolle zu können. Die Beiträge sollen sich dabei an der Wirt gen Bruno Le Maire eine gemeinsame europäische schaftsleistung eines Landes orientieren. Leistungen, Arbeitslosenversicherung ins Gespräch. Die Pläne die aus dem Fonds bezogen werden, müssen nicht werden gegenwärtig vom Bundesfinanzministerium direkt zurückgezahlt werden. Eine Inanspruchnahme konkretisiert: Im Kern soll es sich hierbei ebenfalls führt aber zu höheren Beiträgen in der Zukunft. Die um einen Fonds handeln, den European Unemploy ser Vorschlag kann daher auch als Versicherungs- ment Stabilization Fund (EUSF), in den alle Länder lösung bezeichnet werden. Teilnehmen dürften Län einzahlen, um in Krisenzeiten finanzielle Unterstüt der, die sich sowohl an die Fiskalregeln als auch die zung für die eigene, nationale Arbeitslosenversiche Vorgaben des Europäischen Semesters halten. rung erhalten zu können, unter anderem deshalb, Bei der Bewertung eines solchen Systems re um Zahlungsschwierigkeiten oder gar Insolvenzen zu gelbasierter Fiskaltransfers, bei dem erhaltene Leis verhindern, welche dann einen Dominoeffekt nach tungen nicht direkt zurückgezahlt werden müssen, sich ziehen könnten. Auch die Solidarität innerhalb sondern zunächst nur zu höheren zukünftigen Bei der EU sollte bestenfalls durch eine solche Rück trägen führen, lässt das Gesamtbild unter den teil versicherung gestärkt werden (vgl. Greive und Hilde nehmenden Ökonomen eine Tendenz für eine sol brand 2018). Dass die nationale Arbeitslosenversiche che Versicherungslösung erkennen. 41% der Teil- rung dafür funktionieren muss und auch das jeweilige nehmer befürworteten diese Versicherungslösung Arbeitsrecht Mindeststandards aufweist, soll durch (vgl. Abb. 4). Mit 31% lehnte allerdings auch eine Auflagen im Vorschlag gewährleistet werden (vgl. große Zahl an Ökonomen dieses Konzept ab. 22% Berschens und Sigmund 2018). Die Beiträge dürften der teilnehmenden Ökonomen antworteten mit sich mutmaßlich anteilig an der Wirtschaftsleistung »Teils-teils«. eines Landes bemessen. Im Unterschied zu dem Vor schlag der französischen und Abb. 4 deutschen Ökonomen sollen Ausgestaltung einer europäischen Arbeitslosenversicherung I bei dem Ansatz von Scholz die Stimmen Sie einem System regelbasierter Fiskaltransfers zu, wenn erhaltene Leistungen nicht erhaltenen Leistungen aber direkt zurückgezahlt werden müssen, sondern lediglich zu höheren Beiträgen in der Zukunft später – Scholz denkt an einen führen (Versicherungslösung)? Zeitraum von fünf Jahren – Ja wieder zurückgezahlt werden. 6% Nein Im Kern kann dieser Vorschlag damit auch als Kreditlösung Teils-teils 22% bezeichnet werden. 41% Weiß nicht Unerprobt in der Praxis ist die Idee einer Arbeitslo sen-Rückversicherung nicht. In den USA zum Beispiel gibt es einen solchen Fonds zusätz lich zu den verschiedenen Ver 31% sicherungssystemen auf Bun desstaatenebene (vgl. Ber Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut schens und Sigmund 2018). 58 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 5 Mitgliedstaaten der Euro Ausgestaltung einer europäischen Arbeitslosenversicherung II zone. Auch befürchten die Stimmen Sie einem System regelbasierter Fiskaltransfers zu, wenn erhaltene Leistungen komplett Bürger, dass die Regierun zurückgezahlt werden müssen (Kreditlösung)? gen die Arbeitslosigkeit dann 4% nicht mehr energisch genug Ja bekämpfen würden« (vgl. ifo 25% Nein Institut 2018). Zur europäi Teils-teils schen Arbeitslosenversiche 30% rung siehe auch Dolls et al. Weiß nicht (2018) und Dolls (2018). Entscheidend für die Re alisierung des Ansatzes von Olaf Scholz und seinem fran zösischen Kollegen ist die ver pflichtende Rückzahlung der 41% erhaltenen Leistungen aus dem gemeinsamen Fonds. Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut Die Ökonomen wurden daher explizit dazu befragt, ob sie Befragt zu ihrer Bewertung eines solchen Sys glauben, dass Rückzahlungsverpflichtungen im Rah tems regelbasierter Fiskaltransfers, bei dem er men einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosen haltene Leistungen komplett zurückgezahlt werden versicherung politisch auch tatsächlich durchgesetzt müssen, zeigte sich allerdings, dass die teilnehmen werden würden. Eine deutliche Mehrheit der teilneh den Ökonomen eine Kreditlösung bei der Implemen menden Ökonomen verneinte dies (vgl. Abb. 6). So tierung einer gemeinsamen europäischen Arbeits dachten über 73% der Teilnehmer nicht, dass eine Ver losenversicherung ablehnen würden. 41% waren von pflichtung auf Rückzahlung der erhaltenen Leistun einem entsprechenden Vorschlag nicht überzeugt gen auch realisiert werden könnte. Lediglich 7% der (vgl. Abb. 5). Lediglich 25% der Teilnehmer stimmten Teilnehmer dachten, dass diese durchgesetzt werden einem solchen Ansatz zu. kann. Auch die deutsche Öffentlichkeit scheint von der Idee einer europäischen Arbeitslosenversicherung FEHLANREIZE BEI EINER GEMEINSAMEN zunächst einmal nicht überzeugt zu sein. In einer EUROPÄISCHEN ARBEITSLOSENVERSICHERUNG Studie des Forschungsnetzwerks EconPol Europe sprachen sich 57% gegen und nur 18% der befragten Vielfach wurde im Hinblick auf eine mögliche gemein Bürger für solch eine Versicherung aus (vgl. Dolls und same europäische Fiskalkapazität, beispielsweise Wehrhofer 2018). Zu diesen Zahlen sagte im Umfeld in Form einer gemeinsamen europäischen Arbeits der Studienveröffentlichung der Studienautor losenversicherung, die Befürchtung geäußert, dass Mathias Dolls: »Die hohe Ablehnungsquote der eu neue fiskalische Transfers zwischen den Ländern zu ropäischen Arbeitslosenversicherung beruht auf Fehlanreizen führen könnten – insbesondere im Hin Sorgen vor dauerhaften Zahlungen zwischen den blick auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten. Im Falle einer Abb. 6 europäischen Arbeitslosenver Realisierung von Rückzahlungsverpflichtungen sicherung könnte es beispiels Denken Sie, dass Rückzahlungsverpflichtungen für erhaltene Kredite aus einer europäischen weise zu einem Unterlassen Arbeitslosenversicherung politisch auch tatsächlich durchgesetzt werden würden? von Strukturreformen oder einer Verdrängung von natio 7% Ja nalen Unterstützungsleistun 20% gen für Arbeitslose kommen. Nein Auch eine große Mehrheit der Teilnehmer des Ökonomenpa Weiß nicht nels teilte diese Befürchtun gen (60%, vgl. Abb. 7). Nur 12% der Teilnehmer gingen nicht davon aus, dass es im Falle der Schaffung einer gemein samen europäischen Arbeits 73% losenversicherung – unabhän gig von ihrer konkreten Aus Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut gestaltung – zu Fehlanreizen ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 59
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 7 zielle Transfers nicht gelöst Fehlanreize durch europäische Arbeitslosenversicherung werden.« Befragt dazu, was Befürchten Sie, dass eine europäische Arbeitslosenversicherung – unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung – bei einzelnen Mitgliedstaaten zu Fehlanreizen für die Wirtschaftspolitik führen sie von dieser Aussage hal kann ? ten, stimmte ein Großteil der Teilnehmer des Ökonomen 2% Ja panels (72%) dieser Aussage Nein grundsätzlich zu, 46% stimm 26% Teils-teils ten der Aussage sogar »voll und ganz« zu (vgl. Abb. 8). Nur Weiß nicht 12% fanden die Aussage »eher nicht« bzw. »überhaupt nicht« 60% zutreffend, während 14% der 12% Teilnehmer keine eindeutige Zustimmung oder Ablehnung signalisierten. Der Wissenschaftliche Beirat steht neuen Bestre Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut bungen in Richtung Trans ferunion unter anderem auch kommen könnte, während 26% der Teilnehmer mit deshalb kritisch gegenüber, weil die Erfahrungen mit »Teils-teils« antworteten. der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts Generell will der Vorschlag von Olaf Scholz und aus ihrer Sicht zu mehr Realismus und nicht zu noch seinem französischen Kollegen möglichen Fehlan mehr Gestaltungfreiheit auf europäischer Ebene anre reizen und Reformunterlassungen vorbeugen. Die gen sollten (vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bun Mindeststandards, um sich überhaupt am EUSF be desministerium der Finanzen 2016). teiligen zu können, sowie der Rückzahlungszeitraum von fünf Jahren zählen zu den Vorbeugungsmaß LITERATUR nahmen. Um der Rückzahlungsverpflichtung mehr Gewicht zu verleihen, könnten darüber hinaus Bei Benassy-Quere, A., M. Brunnermeier, H. Enderlein, E. Farhi, M. Fratzscher, C. Fuest, P.-O. Gourinchas, P. Martin, J.-P. Ferry, H. Rey, I. Schnabel, tragserhöhungen für Länder durchgesetzt werden, N. Veron, B. Weder di Mauro und J. Zettelmeyer (2018), »Reconciling risk die ihren Kredit nicht spätestens nach fünf Jahren sharing with market discipline: A constructive approach to euro area reform«, CEPR Policy Insight No. 91. zurückzahlen (vgl. Greive und Hildebrand 2018). Berschens, R. und T. Sigmund (2018), »Brauchen wir eine europäische Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundes Arbeitslosenversicherung? Ein Pro und Contra«, Handelsblatt, 17. Okto ministerium der Finanzen hat bereits im Jahr 2016 ber, verfügbar unter https://www.handelsblatt.com/meinung/kommen tare/scholz-vorstoss-brauchen-wir-eine-europaeische-arbeitslosenversi ein Gutachten zur europäischen Arbeitslosenver cherung-ein-pro-und-contra/23196486.html?ticket=ST-378664-aeJRewt sicherung erstellt und sich dabei recht kritisch über PahaMSPLGEl7A-ap5, aufgerufen am 18. Dezember 2018. die Schaffung eines solchen Mechanismus geäußert. ifo Institut (2018), »Deutsche sehen europäische Arbeitslosenversicherung kritisch«, Pressemitteilung, 5. Juli, verfügbar unter So heißt es in der Studie, dass »die schwierige wirt https://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/ schaftliche Lage einiger Eurostaaten aus strukturel Pressemitteilungen-Archiv/2018/Q3/press_20180705_EconPol-Arbeitslo senversicherung.html, aufgerufen am 18. Dezember 2018. len Fehlentwicklungen resultiert, welche durch finan DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2018), »Deutsch-fran zösisches Reformkonzept für die Europä ische Währungsunion: Marktdisziplin und Abb. 8 Risikoteilung unter einem Hut«, Presse Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen mitteilung, 17. Januar, verfügbar unter Aussage: „Die schwierige wirtschaftliche Lage einiger Eurostaaten resultiert aus strukturellen https://www.diw.de/de/diw_01.c.575356. de/themen_nachrichten/deutsch_fran Fehlentwicklungen, welche durch finanzielle Transfers nicht gelöst werden.“ zoesisches_reformkonzept_fuer_die_ Inwieweit stimmen Sie dieser Aussage im Kontext einer europäischen Arbeitslosenversicherung zu? europaeische_waehrungsunion_markt disziplin_und_risikoteilung_unter_ Weiß nicht 2 einem_hut.html, aufgerufen am 19. Dezember 2018. Stimme überhaupt nicht zu Dolls, M. (2018), An Unemployment Re-In 4 surance Scheme for the Eurozone? Stabi lizing and Redistributive Effects, Bertels Stimme eher nicht zu 8 mann Stiftung, verfügbar unter https:// www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/ files/BSt/Publikationen/GrauePublikatio Teils-teils 14 nen/EZ_Study_Re-Insurance_2018_ENG. pdf, aufgerufen am 19. Dezember 2018. Stimme eher zu 26 Dolls, M., C. Fuest, D. Neumann und A. Peichl (2018), »An unemployment insurance scheme for the euro area? A Stimme voll und ganz zu 46 comparison of different alternatives using microdata«, International Tax and Public 0 10 20 30 40 50 % Finance 25(1), 273–309. Quelle: Ökonomenpanel Dezember 2018. © ifo Institut 60 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
DATEN UND PROGNOSEN Dolls, M. und N. Wehrhofer (2018), »Attitudes towards euro area reforms: Evidence from a randomized survey experiment«, EconPol Working Paper 11. Greive, M. und J. Hildebrand (2018), »Das sind die Details zu Scholz‘ Plänen für eine europäische Arbeitslosenversicherung«, Handelsblatt, 16. Oktober, verfügbar unter https://www.handelsblatt.com/politik/inter national/vertrauliches-papier-das-sind-die-details-zu-scholz-plaenen-fu er-eine-europaeische-arbeitslosenversicherung/23192280.html, aufgeru fen am 18. Dezember 2018. Mühlauer, A. (2018), »Staats- und Regierungschefs wollen Reformpaket«, Süddeutsche Zeitung, 14. Dezember, verfügbar unter https://www.sued deutsche.de/wirtschaft/eurozonenbudget-reformpaket-1.4253402, aufge rufen am 19. Dezember 2018. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2016), Zwischen Fiskalunion und fiskalpolitischer Eigenverantwortung: Zum Vor schlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung, Gutachten des Wis senschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Novem ber 2016. Wolf, D. (2013), »Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)«, in: M. Große Hüttmann und H.-G. Wehling (Hrsg.), Das Europalexikon, 2. aktual. Auflage, Dietz, Bonn, verfügbar unter http://www.bpb.de/nach schlagen/lexika/das-europalexikon/176927/europaeischer-stabilitaetsme chanismus-esm, aufgerufen am 19. Dezember 2018. ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 61
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