Ökonomische Effekte des Berliner Mietendeckels - Mathias Dolls, Clemens Fuest, Carla Krolage, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker - ifo Institut
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Mathias Dolls, Clemens Fuest, Carla Krolage, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker Ökonomische Effekte des Berliner Mietendeckels Am 30. Januar 2020 wurde der Mietendeckel im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen. Seine Einführung IN KÜRZE jedoch wurde und wird noch immer kontrovers disku- tiert. Während Befürworter durch den Mietendeckel eine Entspannung am Berliner Mietmarkt erhoffen, Die Studie untersucht erste Auswirkungen des Berliner warnen Kritiker vor negativen Langfristfolgen, ins- Mietendeckels auf Basis der Daten des Immobilienportals besondere vor ausbleibenden Investitionen in den immowelt.de. Unser Interesse gilt vor allem der Frage, ob Berliner Immobilienmarkt, und damit verbunden, bereits die Ankündigung des Mietendeckels einen Einfluss negativen Auswirkungen auf Quantität und Qualität des Angebots an Wohnungen (vgl. Sagner und Voigt- auf Miet- und Kaufpreise von Wohnungen in Berlin hat. länder 2019). Erfahrungen in anderen Ländern mit Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich seit der Ankündigung Mietregulierungen zeigen, dass diese in der Tat zu des Mietendeckels die Mietpreise von Wohnungen, die vom einer Verknappung des Angebots an Mietwohnun- Mietendeckel betroffen sind, und jenen, die nicht unter gen und langfristig zu steigenden Mieten führen die Regulierung fallen, auseinanderentwickeln. Während können, zum Beispiel, weil aufgrund der Mietregu die Mieten von regulierten Wohnungen seit Juli 2019 lang- lierung unrentabel gewordene Wohnungen an Eigen- nutzer verkauft werden. So führte eine Mietregulie- samer steigen als in anderen deutschen Großstädten, sind rung in San Francisco in den 1990er Jahren zu einem die Mieten für neuere, nicht vom Mietendeckel betroffene 15%-igen Rückgang des Angebots an Mietwohnun- Wohnungen schneller gestiegen. Auch die Kaufpreise wer- gen, der vor allem dadurch verursacht wurde, dass den von der Entwicklung erfasst. In der Analyse zeigen sich von der Regulierung betroffene Mietwohnungen in die Angebotspreise von Wohnungen in Berlin etwas schwä- hochpreisige Eigentumswohnungen umgewandelt cher als in den übrigen Großstädten Deutschlands. wurden (vgl. Diamond et al. 2019). In der ökonomi- schen Literatur wird auf weitere negative Auswirkun- gen von Mietregulierungen hingewiesen. So zeigen verschiedene Studien unter anderem, dass die Qua- schafft wird, ist aber wenig glaubwürdig, vor allem lität des Mietangebots (vgl. Downs 1988; Sims 2007) deshalb, weil es dann zu erheblichen Mieterhöhungen und die Mobilität der Bewohner von regulierten Woh- käme. nungen sinken können (vgl. Diamond et al. 2019), Da sich die langfristigen Erwartungen der Markt- während Rücknahmen von Mietregulierungen zu teilnehmer in heutigen Preisen widerspiegeln, sind steigenden Investitionen und einer höheren Attrak vom Berliner Mietendeckel allerdings auch kurzfris- tivität des lokalen Umfelds geführt haben (vgl. Autor tige Preiseffekte zu erwarten. Die vorliegende Stu- et al. 2014). Darüber hinaus führen Preisregulie- die präsentiert erste empirische Ergebnisse, die zei- rungen zu Fehlallokationen und Wohlfahrtsverlus- gen, wie sich der Berliner Mietendeckel (bzw. seine ten (vgl. Glaeser und Luttmer 2003; Sims 2011; Ankündigung) bisher auf die Miet- und Immobilien- Bulow und Klemperer 2012). Insbesondere kann es preisentwicklung in Berlin ausgewirkt hat. Basis der zu Umverteilungseffekten zwischen Bestands- empirischen Analyse sind Daten des Immobilienpor- mietern, die von niedrigen regulierten Mietpreisen tals immowelt.de zu Angebotspreisen für Miet- und profitieren, und neuen Mietern im kostspieliger wer- Eigentumswohnungen in Berlin und 13 weiteren Groß- denden unregulierten Wohnungssegment kommen. städten in Deutschland. Ebenfalls können Knappheiten am Wohnungsmarkt verschärft werden, da Mieter infolge zurückgehen- AUSGESTALTUNG DES BERLINER MIETENDECKELS der Quadratmeterpreise eine größere Wohnfläche nachfragen. Das »Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungs Langfristig sind vergleichbare Effekte für den Ber- wesen in Berlin«, auch als Mietendeckel bezeichnet, liner Wohnungsmarkt zu befürchten. Sollte der Mie- ist zunächst auf fünf Jahre befristet. Mit Inkrafttreten tendeckel, wie ursprünglich geplant, auf fünf Jahre des Mietendeckels ist es verboten, eine höhere Miete begrenzt bleiben, werden sich auch die Auswirkun- als die Stichtagsmiete vom 18. Juni 2019 zu fordern. gen auf das Wohnungsangebot in Grenzen halten. Betroffen sind grundsätzlich alle Mietwohnungen des Dass der Mietendeckel in fünf Jahren wieder abge- Berliner Stadtgebiets. Von dem Gesetz ausgenom- ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020 33
FORSCHUNGSERGEBNISSE men sind lediglich Sozialwohnungen, Trägerwohnun- Quadratmeter erhöht. Die in der Miettabelle fest- gen, Wohnungen in Wohnheimen sowie Neubauwoh gesetzten Mietobergrenzen basieren auf dem Miet- nungen, die seit dem 1. Januar 2014 erstmals bezugs- spiegel des Jahres 2013, der wiederum auf Basis von fertig wurden. Informationen über Neuvertragsmieten und Mietän- Das Gesetz sieht vor, dass die Mieten auf derungen der Jahre 2008 bis 2012 ermittelt wurde. dem Stand des Stichtags eingefroren werden. Bei Wird eine Wohnung nach Inkrafttreten des Mie- Mietwohnungen, die zum Stichtag nicht vermie- tendeckels wieder vermietet, dann darf dafür maxi- tet waren oder bei denen es zwischen Stichtag und mal die eingefrorene Miete verlangt werden. Hier- Inkrafttreten des Gesetzes einen Mieterwechsel bei gibt es allerdings zwei Ausnahmen. Lag die Vor- gab, wird die Miete auf den in dieser Zeit vereinbar- miete unter 5,02 Euro pro Quadratmeter, dann ten Stand eingefroren. Mieten, die über dem Niveau darf die Miete bei der Wiedervermietung um maxi- liegen, sind rechtswidrig. Darüber hinaus sind ver- mal einen Euro, gleichzeitig aber auf nicht mehr als tragliche Vereinbarungen wie beispielsweise Staf- 5,02 Euro pro Quadratmeter erhöht werden, wenn felmieten oder eine Anpassung des Mietpreises an eine moderne Ausstattung vorhanden ist. Eine Aus- den Verbraucherpreisindex laut Gesetzestext nich- stattung gilt als modern, wenn mindestens drei der tig, selbst wenn sie vor dem Stichtag im Juni getrof- folgenden Ausstattungsmerkmale vorhanden sind: fen wurden.1 ein schwellenlos erreichbarer Aufzug, eine Einbau Gemäß Mietendeckel sind außerdem »über- küche, eine hochwertige Sanitärausstattung, ein höhte« Mieten fortan unzulässig. Eine Miete ist über- hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl höht, wenn sie mehr als 20% über der in der Mieten der Wohnräume oder ein Energieverbrauchskenn- tabelle ausgewiesenen Mietobergrenze liegt, wobei wert von weniger als 120 kWh/(m² a). Überschritt die bei der Festsetzung der maßgeblichen Mietober- Vormiete dagegen die in der Mietentabelle festgeleg- grenze die Wohnlage berücksichtigt wird. Die Mie- te Mietobergrenze, dann darf die Wohnung maximal tentabelle legt fest, wie hoch die Nettokaltmiete in zur Mietobergrenze vermietet werden. Bei Wohnun- Abhängigkeit von Alter und Ausstattung einer Woh- gen, die nach Inkrafttreten des Mietendeckels erst- nung sein darf. So darf beispielsweise die Miete malig vermietet werden, sind ebenfalls die Mietober- einer Wohnung, die 2013 erstmalig bezugsfertig war grenzen maßgeblich. und mit Sammelheizung und Bad ausgestattet ist, nicht höher als 9,80 Euro pro Quadratmeter sein. WIE BINDEND IST DER MIETENDECKEL? Für Wohnungen in einfacher Wohnlage ist bei der Berechnung der maßgeblichen Mietobergrenze ein Wie weiter oben ausgeführt, sind die in der Mietta- Abschlag bei der in der Mietentabelle ausgewiesenen belle ausgewiesenen Mietobergrenzen, die die Basis Obergrenze von 0,28 Euro zu berücksichtigen, für zur Bestimmung überhöhter Mieten bilden, an den Wohnungen in mittlerer Wohnlage werden 0,09 Euro Mietspiegel des Jahres 2013 angelehnt. Da es seither abgezogen, und für Wohnungen in guter Wohnlage ist zu deutlichen Mietanstiegen kam, dürfte der Mieten ein Zuschlag von 0,74 Euro zu berücksichtigen. Liegt deckel starke Auswirkungen auf das Mietniveau der Wohnraum in einem Ein- oder Zweifamilienhaus, haben. erhöht sich die Mietobergrenze um einen Zuschlag Wie bereits erläutert wurde, ist aus ökonomischer von 10%. Auch sind bestimmte Modernisierungen Perspektive zu erwarten, dass bereits die Ankündi- und deren Umlage auf die Miete erlaubt, sofern sich gung des Mietendeckels Auswirkungen auf Mieten hierdurch die Miete nicht um mehr als einen Euro pro und Kaufpreise von Wohnungen und Häusern in Berlin hat. Die Größe dieser Wirkungen wird davon 1 Ab Januar 2022 sind jährliche Mieterhöhungen als Inflationsaus- gleich möglich, jedoch sind diese auf 1,3% beschränkt. abhängen, wie sehr der Mietendeckel die Mieten be einflusst. Um das zu messen, berechnen wir für jede Abb. 1 bei immowelt.de annoncierte Mietwohnung in Ber- Durchschnittliche Abweichung von der Mietobergrenze lin die zulässige Mietobergrenze. Dazu werden das Nicht reguliert Reguliert Baujahr einer Wohnung, die Beheizungsart, Anga- Euro 6 ben zum Vorhandensein eines Aufzugs oder einer 5 Einbauküche sowie die auf Basis der Wohnungsad- resse und Klassifikationen des Mietspiegels ermit- 4 telte Wohnlage herangezogen. Im Jahr 2019 liegen 3 die annoncierten Nettokaltmieten bei 96,7% der 2 zukünftig vom Mietendeckel betroffenen Wohnungen 1 über der im Gesetzentwurf spezifizierten Mietober- grenze, d.h. bei fast allen angebotenen Wohnun- 0 2017q1 2018q1 2019q1 2020q1 gen. 83,5% der Mieten liegen um mehr als 20% über Die Grafik zeigt die durchschnittliche Abweichung der Angebotsmieten von der Mietobergrenze basierend auf Informa- der Mietobergrenze. Diese Mieten müssen in Zukunft tionen über annoncierte Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Bei nichtregulierten Wohnungen mit Baujahr ab 2014 wird die Abweichung von der Mietobergrenze für Wohnungen der Baujahre 2003–2013 dargestellt. gesenkt werden. Im Durchschnitt liegen die Ange- Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut botsmieten um knapp 4,70 Euro pro Quadratmeter 34 ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE über der Mietobergrenze (vgl. Abb. 1); der Mietende- Abbildung 4 schlüsselt die Mietpreisentwick ckel wirkt also sehr restriktiv. Dies ist insbesondere lungen im regulierten und nicht regulierten Segment auf Wohnungen älteren Baujahres zurückzuführen, auf. Während die mittleren Angebotsmieten von Woh- bei denen der Gesetzentwurf sehr niedrige Qua- nungen, die in Zukunft der Mietenbegrenzung unter- dratmetermieten vorsieht. Die Darstellung für nicht liegen werden, leicht zurückgingen, verzeichneten regulierte Woh nungen jüngeren Baujahres basiert die Angebotsmieten im nicht regulierten Segment auf der Mietobergrenze für zwischen 2003 und 2013 des Immobilienmarkts in der zweiten Jahreshälf- erbaute Wohnungen. te 2019 einen deutlichen Anstieg. Dies deutet auf Antizipationseffekte hin. Nicht nur hat also die Anzahl ENTWICKLUNG DER ANGEBOTSMIETEN an Annoncen von Wohnungen neueren Baujahres in der zweiten Jahreshälfte überproportional zuge Abbildung 2 zeigt die relative Entwicklung der mitt- leren Angebotsmiete pro Quadratmeter für Woh- Abb. 2 nungen in den vier größten Städten Deutschlands Quartalsweise Wachstumsraten der Angebotsmieten (Berlin, Hamburg, München, Köln) für den Zeitraum Berlin Hamburg Index (2017 Q1 = 100) München Köln von Januar 2017 bis Januar 2020 auf Quartalsba- 115 sis.2 Die Basisperiode ist das erste Quartal 2017. Bis zum Jahresende 2019 sind die Angebotsmieten zwi- 110 schen 6% (Köln) und 11% (Berlin) gestiegen. Wäh- rend die Mieten in Berlin bis zum Jahr 2018 stärker 105 stiegen als in Hamburg, Köln und München, stag- nierte die Mietentwicklung in Berlin im Laufe des Jah- 100 res 2019 und fiel dann zu Jahresbeginn 2020 deutlich ab. Diese Entwicklung spiegelt jedoch nicht notwen- 95 digerweise Antizipationseffekte des Berliner Mie 2017q1 2018q1 2019q1 2020q1 tendeckels wider. Vielmehr kann die Zusammen Die Grafik zeigt Wachstumsraten der mittleren Quadratmetermieten basierend auf Informationen über annoncierte Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. setzung der annoncierten Wohnungen über die Zeit Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut variieren und damit die mittlere Miete beeinflussen. Wie aus Abbildung 3 ersichtlich, verdoppelte sich die Abb. 3 Zahl der auf immowelt.de annoncierten Wohnungen Anzahl der annoncierten Mietwohnungen in Berlin im nicht regulierten Segment – d.h. von Wohnungen Nicht reguliert Reguliert mit Baujahr ab 2014 – bis zum Ende des Jahres 2019 Index (2017 Q1 = 100) nahezu und stieg im Januar noch einmal deutlich 400 an.3 Die Angebotszahlen im regulierten Segment des 300 Mietmarkts stagnierten hingegen im gleichen Zeit- fenster. Dies könnte darauf hindeuten, dass Eigen- 200 tümer von Wohnungen, die derzeit nicht vom Mie- tendeckel betroffen wären, eine Ausweitung der 100 Regulierung in der Zukunft befürchten. Infolgedes- sen könnten Vermieter von Wohnungen neueren 0 2017q1 2018q1 2019q1 2020q1 Baujahrs bestrebt sein, Mietverträge von in den Die Grafik zeigt Veränderungen in der Zahl der annoncierten Mietwohnungen nach Bereinigung um Duplikate im Folgemonaten freiwerdenden Wohnungen frühzei- Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Im ersten Quartal 2020 werden die Januarwerte auf den Quartalswert hochge- rechnet. tig abzuschließen, um einer möglichen Ausdehnung Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut des Geltungsbereichs zuvorzukommen. Der Mieten- deckel kann zwar auch in bereits bestehende Miet- Abb. 4 verträge eingreifen, bei neuen Verträgen sind die Quartalsweise Wachstumsraten der Median-Angebotsmieten in Berlin Regelungen aber restriktiver. Index (2017 Q1 = 100) Nicht reguliert Reguliert 130 2 Als Indikator für den mittleren Miet- bzw. Kaufpreis verwenden wir an dieser Stelle und im Folgenden den Median der Angebotsmie- ten bzw. -preise, da der Median robuster gegenüber Ausreißern ist 120 als das arithmetische Mittel. 3 Diese Zahlen basieren auf den um Duplikate bereinigten Roh- daten aller auf immowelt.de geschalteten Anzeigen. Für das erste 110 Quartal 2020 werden die Januarwerte hochgerechnet. Wir stufen Anzeigen mit identischen Wohnungscharakteristika, wie beispiels- weise Wohnfläche und Baujahr, identischer Adresse und identischem 100 Anzeigetext als Duplikate ein, wenn sie innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten geschaltet wurden. In diesem Fall ist das aktuellste Veröffentlichungsdatum maßgeblich, und es wird davon ausgegan- gen, dass die Vermietung zum ersten Anzeigedatum nicht erfolgreich 90 war. Durch diese Bereinigung fällt die Anzahl der Angebote am aktu- 2017q1 2018q1 2019q1 2020q1 ellen Rand vergleichsweise höher aus als in den Vormonaten. Liegen Die Grafik zeigt Wachstumsraten der mittleren Quadratmetermieten basierend auf Informationen über annoncierte mehr als drei Monate zwischen zwei identischen Anzeigen, werden Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. sie als separate Anzeigen gewertet. Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020 35
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 5 lung in Berlin und in der Kontrollgruppe nicht auf Veränderung der Angebotsmieten in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten unterschiedliche Charakteristika der annoncierten Nicht reguliert Reguliert Wohnungen zurückzuführen sind. Die Schätzung % 95%-Konfidenzintervall 95%-Konfidenzintervall 10 berücksichtigt ebenfalls unterschiedliche Ausgangs- niveaus der Mieten je Postleitzahlgebiet. Insgesamt 5 umfasst unsere Stichprobe 285 465 Annoncen für Mietwohnungen in den 14 größten Städten Deutsch- 0 lands im Zeitraum von Januar 2017 bis Januar 2020. Hierbei werden separate Schätzungen für Wohnun- −5 gen durchgeführt, die vor dem Jahr 2014 errich- tet wurden sowie für solche, die seit dem Jahr 2014 −10 errichtet wurden. −29 −24 −19 −14 −9 −4 1 6 Monate vor/nach Präsentation der Senatsvorlage Die Ergebnisse sind in Abbildung 5 darge- Die Grafik zeigt das differenzielle Wachstum der Angebotsmieten (pro m2) in Prozentpunkten für Mietwohnungen in stellt. Als Referenzmonat haben wir den Juni 2019 Berlin im Vergleich zu den 13 nächstgrößeren Städten Deutschlands im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut gewählt, da in diesem Monat in der Senatsvorlage Nr. S-2365/2019 die Eckpunkte für das Berliner Mie- nommen; die Vermieter dieser Wohnungen verlang- tengesetz präsentiert wurden. Die Koeffizienten bil- ten im Schnitt ebenfalls eine höhere Miete. Hinge- den jeweils ab, in welchem Umfang das Mietpreis- gen zeigt sich bei den Angebotsmieten der zukünftig wachstum im regulierten und im nicht regulierten vom Mietendeckel betroffenen Wohnungen bereits Segment des Mietmarkts zwischen Berlin und ande- ein erster, wenn auch schwacher Rückgang der ren Großstädten divergiert. Während vor und ab Angebotsmieten. 2014 erbaute Wohnungen vor der Präsentation der Unterschiede in den Mietniveaus könnten jedoch Senatsvorlage ähnliche Mietentwicklungen aufwie- auch durch eine veränderte Zusammensetzung des sen, divergierten die Trends ab Juli 2019. Die Ange- Wohnungsangebots auf immowelt.de hervorge- botsmieten von Wohnungen, die in Zukunft dem rufen werden. Wir schätzen daher ein lineares Mietendeckel unterliegen werden, wiesen leicht Regressionsmodell, in dem wir die Mietentwicklung geringere Mietanstiege auf als vergleichbare Woh- für Wohnungen in Berlin mit entsprechenden Woh- nungen in anderen Großstädten. Hingegen stiegen nungsannoncen in einer erweiterten Kontrollgrup- die Mieten bei ab 2014 erbauten Wohnungen in der pe vergleichen, die alle Großstädte Deutschlands zweiten Jahreshälfte 2019 stärker als in vergleichba- mit mehr als 500 000 Einwohnern umfasst.4 Dabei ren Städten, wobei die Unterschiede in den meisten werden die Wohnungen in der Kontrollgruppe Monaten statistisch nicht signifikant sind. Die diffe- mit Hilfe des Entropy-Balancing-Verfahrens so renzielle Preisentwicklung von regulierten und nicht gewichtet, dass die Verteilung der Wohnungs regulierten Wohnungen deckt sich mit den Ergeb- charakteristika in Berlin und in der Kontrollgruppe nissen der deskriptiven Analyse. Unsere Ergebnisse identisch ist (vgl. Hainmueller 2012).5 Somit ist si- legen den Schluss nahe, dass die Mieten in Berlin im chergestellt, dass Unterschiede in der Mietentwick- nicht regulierten Segment über den Zeitraum von Juni 2019 bis Dezember 2019 um etwa 3 bis 5 Pro- 4 Die Kontrollgruppe umfasst Hamburg, München, Köln, Frankfurt zentpunkte stärker gestiegen sind als im regulierten am Main, Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig, Dortmund, Essen, Bremen, Dresden, Hannover und Nürnberg. Segment. 5 Zu den Kontrollvariablen zählen das Baujahr der Wohnung, die Anzahl der Zimmer, die Fläche, der Zustand (saniert vs. unsaniert), das Vorhandensein einer Terrasse, eines Gartens oder eines Balkons KURZFRISTIGE PREISEFFEKTE und weitere Wohnungscharakteristika. Bei der Analyse von Antizipationseffekten ist es von Abb. 6 besonderem Interesse, die Entwicklung der Woh- Quartalsweise Wachstumsraten des mittleren Angebotspreises nungspreise zu untersuchen. Da Wohnungspreise 145 Index (2017 Q1 = 100) Berlin Hamburg letztlich erwartete künftige Mieteinnahmen wider- München Köln 140 spiegeln, könnten sich bei Wohnungspreisen deut- 135 liche Reaktionen auf den Mietendeckel ergeben. 130 Das dürfte allenfalls dadurch gemildert werden, 125 dass die Käufer Wohnungen auch selbst nutzen kön- 120 nen. Außerdem könnte die erwartete Angebotsver- 115 110 knappung durch verringerte Bautätigkeit preisstabi- 105 lisierend wirken. 100 Analog zu Abbildung 2 stellt Abbildung 6 die 95 Wachstumsraten des mittleren Angebotspreises pro 2017q1 2018q1 2019q1 2020q1 Die Grafik zeigt quartalsweise Wachstumsraten des mittleren Quadratmeterpreises basierend auf Informationen über Quadratmeter in den vier größten Städten Deutsch- annoncierte Eigentumswohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Das erste Quartal im Jahr 2020 umfasst lands für den Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020 annoncierte Eigentumswohnungen bis zum Stichtag 31. Januar 2020. Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut auf Quartalsbasis dar. In dem betrachteten Zeit- 36 ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE raum sind die mittleren Angebotspreise in einer Abb. 7 Spanne von 26% in München bis 44% in Köln gestie- Veränderung der Angebotspreise in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten gen. Während in München und Köln im letzten Quar- Preiseffekt tal 2019 und im Januar 2020 ein fortgesetzter Preis % 95%-Konfidenzintervall 10 anstieg zu verzeichnen war, haben sich die Preise in Berlin und Hamburg im Mittel zuletzt eher seitwärts 5 bewegt. Der beobachtete Trend in Berlin muss je- doch nicht zwangsläufig auf die bevorstehende Ein- 0 führung des Mietendeckels zurückzuführen sein. −5 Zum einen hat sich der mittlere Angebotspreis auch in einigen vorangegangenen Quartalen vor Ankündi- −10 gung der Mietenbegrenzung seitwärts bewegt. Zum −29 −24 −19 −14 −9 −4 1 6 Monate vor/nach Präsentation der Senatsvorlage anderen ist auch bei den zum Kauf angebotenen Woh- Die Grafik zeigt das differenzielle Wachstum der Angebotspreise (pro m2) in Prozentpunkten für Eigentumswohnun- nungen denkbar, dass ein Teil der Preisschwankun- gen in Berlin im Vergleich zu den 13 nächstgrößeren Städten Deutschlands im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut gen durch Unterschiede in den Charakteristika der annoncierten Wohnungen erklärt werden kann. Wir schätzen daher auch für die Kaufpreise ein war der Mietendeckel im betrachteten Zeitraum noch mit der Entropy-Balancing-Methode gewichtetes nicht in Kraft, er war aber bereits angekündigt und lineares Regressionsmodell, das die Preisentwick- ist in den Medien intensiv diskutiert worden. Unsere lung für Eigentumswohnungen in Berlin mit entspre- Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Mieten chenden Wohnungsangeboten in allen Großstäd- betroffener Wohnungen als auch Kaufpreise in Berlin ten Deutschlands mit mehr als 500 000 Einwohnern – letztere allerdings in geringerem Umfang – seit der kontrastiert. Insgesamt umfasst unsere Stichprobe Ankündigung des Mietendeckels langsamer gestie- 90 386 Eigentumswohnungen, die in den 14 größten gen sind als in anderen Großstädten. Bemerkenswert Städten Deutschlands im Zeitraum von Januar 2017 ist außerdem, dass die Mieten für neuere, nicht vom bis Januar 2020 zum Verkauf angeboten wurden. Mietendeckel betroffene Wohnungen schneller gestie- Die Regressionsergebnisse sind in Abbildung 7 gen sind. grafisch dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Statistisch sind diese Effekte aber nur teilweise Preiswachstum in Berlin in den 29 Monaten vor der signifikant. Dafür sind unterschiedliche Erklärungen Senatsvorlage in einigen Monaten unter und in eini- denkbar. So bewegen sich vor allem Immobilienpreise gen Monaten über dem Preiswachstum in der Kont- typischerweise nur mit einer gewissen Zeitverzöge- rollgruppe lag. Die Abweichungen sind jedoch nicht rung. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den von statistisch signifikant. Nach der Senatsvorlage stie- uns verwendeten Daten um Angebotspreise handelt. gen die Angebotspreise in Berlin in den Monaten Es ist durchaus denkbar, dass die tatsächlichen Kauf- Juli/August zunächst etwas stärker als in der Kont- preise stärker gefallen sind als die Angebotspreise. rollgruppe, im Dezember jedoch signifikant schwä- Auf erhebliche Preiswirkungen lassen auch Berichte cher. Das Preiswachstum in Berlin lag im Dezem- über Kaufvertragsklauseln mit Bezug auf den Mieten- ber rund 5 Prozentpunkte unterhalb des Preis- deckel schließen. wachstums in der Kontrollgruppe. Der negative Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sind die Preiseffekt im Dezember 2019 ist der einzige Monat zugrunde liegenden Daten und die Prämissen der Ana- in unserem Betrachtungszeitraum, in dem das Preis- lyse zu berücksichtigen. Bei den Daten handelt es sich wachstum in Berlin signifikant unter dem Preis- um Miet- und Kaufangebote, nicht um die tatsäch wachstum in der Kontrollgruppe lag. Im Januar die- lichen Vertragsabschlüsse. Zudem sind die Annoncen ses Jahres ist kein statistisch signifikanter Unter- bei immowelt.de nicht notwendigerweise repräsen schied zwischen dem Preiswachstum in Berlin und tativ für den Immobilienmarkt insgesamt. Insbe- in der Kontrollgruppe feststellbar. Diese Ergebnisse sondere könnten gewerbliche Anbieter in unse- sind auch vor dem Hintergrund einzuordnen, dass rer Stichprobe überrepräsentiert sein. Bei der Ana- nach Aussage des Berliner Gutachterausschusses lyse der Wirkungen des Mietendeckels haben wir als viele Kaufverträge der vergangenen Monate mit einer »kontrafaktisches Szenario« ein Szenario betrachtet, Klausel abgeschlossen wurden, nach der eine (auto- in dem sich Mieten und Preise so entwickeln wie in matische) Preissenkung nach Inkrafttreten des Ber- anderen Großstädten. Ob sich der Immobilienmarkt liner Mietengesetzes eintritt (vgl. Löhr 2019). in Berlin tatsächlich so entwickelt hätte, ist trotz der Parallelen in der Entwicklung vor der Ankündigung MIETEN IM REGULIERTEN UND IM NICHT des Mietendeckels unklar. REGULIERTEN SEGMENT GEHEN AUSEINANDER LITERATUR In diesem Beitrag untersuchen wir erste Auswir Autor, D. H., C. J. Palmer und P. A. Parag (2014), »Housing Market kungen der Ankündigung des Mietendeckels in Berlin Spillovers: Evidence from the End of Rent Control in Cambridge, Massachusetts«, Journal of Political Economy 122(3), 661–717. auf Mieten und Preise angebotener Immobilien. Zwar ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020 37
FORSCHUNGSERGEBNISSE Bulow, J. und P. Klemperer (2012), »Regulated Prices, Rent Seeking, and Löhr, J. (2019), »In München kostet der Quadratmeter so viel wie ein gan- Consumer Surplus«, Journal of Political Economy 120(1), 160–186. zes Dorf«, www.faz.net, 17. Dezember, verfügbar unter: https://www.faz. net/aktuell/finanzen/immobilien-in-muenchen-kostet-der-quadratmeter- Diamond, R., T. McQuade und F. Qian (2019), »The Effects of Rent so-viel-wie-ein-dorf-16539986.html?GEPC=s3. Control Expansion on Tenants, Landlords, and Inequality: Evidence from San Francisco,« American Economic Review 109(9), 3365–3394. Sagner, P. und M. Voigtländer (2019), Volkswirtschaftliche Folgen des Ber- liner Mietendeckel, Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln. Downs, A. (1988), Residential Rent Controls: An Evaluation, Urban Land Institute, Washington, DC. Sims, D. P. (2007), »Out of Control: What Can We Learn from the End of Massachusetts Rent Control?«, Journal of Urban Economics 61(1), 129–151. Glaeser, E. L. und E. F. P. Luttmer (2003), »The Misallocation of Housing under Rent Control«, American Economic Review 93(4), 1027–1046. Sims, D. P. (2011), »Rent Control Rationing and Community Composi- tion: Evidence from Massachusetts«, B.E. Journal of Economic Analysis & Hainmueller, J. (2012), »Entropy balancing for causal effects: A multi Policy 11(1), Article 25. variate reweighting method to produce balanced samples in observatio- nal studies«, Political Analysis 20, 25–46. 38 ifo Schnelldienst 3 / 2020 73. Jahrgang 11. März 2020
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