KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?

 
WEITER LESEN
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
KRISENMANAGEMENT FÜR
 BLACKOUT-SZENARIEN UND
 PANDEMIE-SCHADENSLAGEN
 – EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA
 MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE
 OPTIMIERTE LÖSUNG?
  HANS-WALTER BORRIES
ABSTRACT                                                                       DOI: 10.26410/SF_1/21/7
As part of seminar papers at the University of Witten/Herdecke
(Germany) in 2020 and 2021, an original research paper was
prepared to compare the pandemic management of previous
events („Spanish Flu 1918-1920, Hong Kong Flu 1968-1970) in
relation to the current Corona-COVIS-19 pandemic. Pandemic
management as part of crisis management was questioned in
itself, and the effectiveness of preventive measures was con-
trasted with the expected reactions. Since there is hardly any
experience to date in dealing with pandemic situations in Ger-
many (and also its neighbouring countries), and the possibility
of postvention in the sense of an evaluation of damage situa-
tions that have only rarely occurred has largely been omitted,
the potentially possible case of damage was examined more
closely in case studies as an option and action model for ve-
rifying the hypothesis of the study. At the same time, the existing
crisis management was transferred to the likewise still unknown
damage situation of a nationwide and long-lasting power supply
failure, the so-called “blackout“, in order to gain initial insights
into dealing with such damage situations based on case studies
from the federal state of NRW. The failure of so-called “critical
infrastructures“ (abbreviation “CRITIS“) would confront the po-
pulation per se and also industry with almost insoluble tasks and
lead to a collapse of basic services. For this reason, the focus of
the study was also on developing initial proposals for solutions
to cope with both types of damage and to improve the perfor-
mance of official crisis management. As a conclusion, it can be
deduced that both damage situations, both the pandemic and
a “CRITIS event“, can only be managed if prevention in the sen-
se of pre-planning takes up all possible damage areas and ana-         Hans-Walter Borries, Phd
lyses these cleanly with suitable “countermeasures“, evaluates                     e-mail: hwb@firmitas.de
them accordingly and objectively and shows unprejudiced con-           Institut für Wirtschafts- und Sicher-
clusions (solution variants). This must be seen as part of a future                     heitsstudien, Witten
optimised crisis management for such special damage situati-
                                                                     Deputy Chairman of the Board of the
ons and should quickly find broad implementation in practice.
                                                                                        Federal Association
KEY WORDS                                                             for Critical Infrastructure Protection
Critical infrastructure, blackout, pandemic, crisis management.                      (BSKI) e. V. (Germany)
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
76                                                                            7. HANS-WALTER BORRIES

        Katastrophen und Schadenslagen eine eingeschränkte vorausschauende
     haben in der Menschheitsgeschichte Vorbereitung (Planung) für den Ernstfall
     immer wieder zu Beeinträchtigungen im stattfindet, bevor dieser systemrelevant
     Zusammenleben und zu großen volks- eintritt. Ein „schlechtes“ Krisenmanage-
     wirtschaftlichen Schäden geführt. Da ment selber ist:
     sich selbst bei bester Planung und von        – zu langsam;
     Vorsorgemaßnahmen solche Szenarien            – zu stark vom „Topmanagement“ der
     nicht zu 100 Prozent ausschließen las-           Unternehmensleitung geprägt;
     sen muss im Rahmen eines sorgfältigen         – Rückschlüsse sind zu sehr taktisch
     Krisenmanagements eine möglichst op-             und operativ ausgerichtet und die
     timale Vorbeugung im Sinne einer Kri-          „Gesamtfolgen“ werden nicht umfas-
     senprävention gefordert werden und sich          send erkannt;
     dabei mit einem strategischen Handeln         – der strategische Lösungsansatz in der
     neben der Vorsorge vor einer Katastro-           Planung (vor die Lage zu kommen)
     phe/Schadenslage zugleich auch mit               wird zu wenig berücksichtigt!
     der Bewältigung einer solchen eingetre-         Im Schwerpunkt eines anzustrebenden
     ten Lage zu beschäftigen. Letztendlich „guten“ Krisenmanagement steht immer
     geht es um sinnhaftes „gutes“ Krisen- das innovative Forschen nach neuen
     management, dass möglichst optimal Präventionsstrategien, die das bestehen-
     alle möglichen Schadensereignisse und de Krisenmanagement und vorhandene
     deren Eintrittswahrscheinlichkeit auflistet, (alte) Präventionsstrategien jederzeit neu
     beschreibt und bewertet um daraus Fol- optimieren. Es gilt der eherne Grundsatz,
     gerungen für die anstehende Prävention, die bestehenden Konzepte zukunftso-
     der Intervention und auch der Postven- rientiert wertneutral zu analysieren und
     tion zu gewinnen. „Schlechtes“ Krisen- neu den aktuellen Gefahrenlagen anzu-
     management gilt es dabei zu vermeiden, passen und so die Krisenreaktion damit
     bedeutet es doch, dass keine, oder nur deutlich zu verbessern.

                     Abbildung 1. Krisenmanagement von der Prävention bis hin zur Postvention

       Die    derzeitige    Corona-Pandemie               und Notfallplänen und dem reaktiven
     (SARS COVID-19 und dessen neue Mu-                   Krisenmanagement geführt. Zentral stellt
     tationen) hat in Verwaltungen von Behör-             sich die Frage für verantwortungsvolle
     den und in Unternehmen zu einem Neu-                 Krisen- und Notfallmanager/innen, ob
     überdenken von vorhandenen Krisen-                   man in der Vergangenheit ausreichend
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                                              77

 auf die „neuen“ Gefahren aufgestellt war,   sogenannte „Technikfolgenabschätzung-
 ob das Handeln in der Krise strategisch     studie“ (die TAB – Studien) auf die Ge-
 weitsichtig ausgerichtet war und nicht      fährdung und Verletzbarkeit moderner
 nur taktisch-operativ das Ereignis an       Gesellschaften – am Beispiel eines groß-
 sich für die nächsten Tage und Wochen       räumigen Ausfalls der Stromversorgung,
 gesehen wurde. Überaus wichtig wird in      (Endbericht November 2010 Arbeitsbe-
 der laufenden Pandemie sein, wie das        richt Nr. 141) hingewiesen, der Experten
 vorhandene Krisenmanagement und             aus dem KRITIS-Bereich bekannt, aber
 die Business-Continuity-Pläne (BCM)         nicht von der breiten Öffentlichkeit gele-
 so ausgeplant werden können, dass           sen und verinnerlicht wurde. Gemäß ei-
 sie stets den neuen Voraussetzungen         ner anerkannten und allgemein gültigen
 und Anforderungen jederzeit gerecht         Definition vom (deutschen) Bundesamt
 werden. Aus der Pandemie und dem be-        für Bevölkerungsschutz und Katastro-
 stehenden Krisen-/Notfallmanagement         phenhilfe (BBK) aus Bonn handelt es
 die richtigen Schlüsse für die zukünftige   sich bei Kritischen Infrastrukturen „um
 Krisenbewältigung zu ziehen, wird zum       Organisationen oder Einrichtungen mit
 vorrangingen Ziel für ein angepasstes       wichtiger Bedeutung für das stattliche
„Pandemie-Management“ für Verwaltun-         Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder
 gen und Unternehmen für die Jahre 2021      Beeinträchtigung nachhaltig wirkende
 und 2022 sein.                              Versorgungsengpässe, erhebliche Stö-
   Während die Pandemielage schon seit       rungen der öffentlichen Sicherheit oder
 mehr als einem Jahr eingetreten ist und     andere dramatische Folgen eintreten
 damit erste Erfahrungen zum Krisenma-       würden“. Die Gefahren eines solchen
 nagement vorliegen, handelt es sich bei     Schadensfalls kämen bei einem Ein-
 den Warnungen vor Gefahrenlagen eines       tritt einem „Supergau“ gleich, denn die
 Ausfalls von Kritischen Infrastrukturen     Komplexität und die Wechselwirkungen
 in Folge z. B. eines langanhaltenden        der bislang definierten neun KRITIS-Sek-
 Stromausfalles oder einer Wasserman-        toren (Energie, Transport und Verkehr,
 gellage „nur“ um Zukunftsgefahren, die      Informationstechnik und Telekommuni-
 in Masse noch nicht eingetreten sind.       kation, Gesundheit, Wasser, Ernährung,
 Häufig werden hierzu Fachgutachter          Finanz- und Versicherung, Staat und Ver-
 und Berater in der Rolle von „Kassandra-    waltung, Medien und Kultur) mit- und un-
 Rufern“ gesehen, die das Undenkbare         tereinander würden bei einem Ausfall die
 wagen zu beschwören und eventuell die       Versorgungssicherheit für Bürger/innen
 Gefahrenlagen überbetonen.                  und Unternehmen sowie der allgemei-
   Seit Jahren warnen auf Fachtagungen       nen Gesellschaft nachhaltig treffen.
 in Deutschland und den Alpenländern            Zum Glück ist dieser Umstand eines
 Österreich und Schweiz Vertreter von        Schadensfalles noch nicht großflächig
 Stromversorgungsunternehmen und Kri-        und langanhaltend dauerhaft eingetre-
 senmanager vor der Möglichkeit eines        ten, aber die Abwägung der Wahrschein-
 langanhaltenden Stromausfalles und es       lichkeit für einen solchen Fall lassen sich
 werden die Auswirkungen auf die Kriti-      nicht gegen Null bestimmen, so der Fall
 schen Infrastrukturen (oftmals auch         des Eintritts und seine Auswirkungen
 als KRITIS bezeichnet) skizziert. Bereits
                                                https://www.kritis.bund.de/SubSites/Kritis/DE/Einfu-
 im Jahre 2010 hatte in Deutschland eine         ehrung/einfuehrung_node.html (22.06.2021).
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
78                                                                            7. HANS-WALTER BORRIES

     ernsthaft geprüft und umfangreiche Prä-               management der Hongkong-Grippe aus
     ventionsmaßnahmen getroffen werden                    den Jahren 1968 bis ca. 1970 (allein in
     sollten, um auf den Schadensfall, wenn er             Deutschland mit bis zu 120.000 Toten)
     denn eintreten würde, besser vorbereitet              nicht mehr im Bewusstsein verfügbar,
     zu sein. Der Stromausfall in der Bundes-              so hätte man wenigstens auf die aus
     hauptstadt Berlin im Stadtteil von Berlin-            Länderübergreifenden      (Katastrophen-
     Köpenick vom 19. Februar 2019 mit einer               schutz-) Übungen, wie z. B. der „LÜKEX“
     Dauer von etwas über 30 Stunden für ca.               in Deutschland im Jahre 2007, gewonne-
     70.000 Einwohner (u. a. mit zwei Kliniken)            nen Erkenntnisse zurückgreifen können.
     hat in einer von „KRITIS-Forschungsvor-                 Sehr anschaulich und nahezu passend
     haben“ gut geprägten Region katastro-                 auf die Corona-Pandemie 2020 ff. wurde
     phale Defizite der Krisenvorsorge und                 bereits vor 8 Jahren das Thema „Pan-
     des handelnden Krisenmanagements zu                   demiegefahren und deren Auswirkun-
     Tage geführt. Zum Glück war das Ereig-                gen“ in der Drucksache 17/12051 vom
     nis dann auch vorbei, aber es ging eine               Deutschen Bundestag vom 3.01.2013
     Art „Schock“ zumindest in den Fachbei-                zur Unterrichtung durch die Bundesre-
     trägen von Fachkongressen hervor.                     gierung auf eine Anfrage der FDP-Bun-
       Ähnlich verhielt es sich in Deutschland             destagsfraktion in einem Bericht zur Ri-
     bei den Warnungen und der konkreten                   sikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012
     Wahrnehmung vor Seuchen und Pande-                    mit dem Titel „Risikoanalyse Pandemie
     mien, die bis vor einem Jahr (2020) na-               durch Virus Modi-Sars“ in Hinblick auf
     hezu sträflich missachtet bzw. verdrängt              das machbare Krisenmanagement aus-
     wurden. Hatte man vielleicht noch nach-               führlich beschrieben. Die Autoren dieser
     vollziehbar die Erkenntnisse aus der Spa-             Studie rechnen in einem fast dreijährigen
     nischen Grippe vor hundert Jahren (von                Pandemiefall mit rund 7,5 Millionen Toten
     1918 bis ca. 1920 mit weltweit zwischen               und nahezu einem Zusammenbruch des
     25 bis 50 Millionen Toten) nahezu ver-                öffentlichen Lebens.
     gessen, das Krisen- und Gesundheits-

                      Abbildung 1. Prognostizierte Dauer und Verlauf einer schweren Pandemie

                 Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 17/12051 17. Wahlperiode 03.01.2013, S. 62.
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                                         79

                 Tabelle 1. Erwartete Anzahl der Erkrankten und Toten im Pandemieverlauf

            Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 17/12051 17. Wahlperiode 03.01.2013, S. 64.

   Es scheint, dass nicht alle verantwort-            Wochen und Monaten (bei einer Seuche
lichen politischen Entscheidungsträger                und Pandemie), zu einer Katastrophenla-
und handelnden Krisenmanager diese                    ge für ganze Regionen und Bundeslän-
Studien bis zum Beginn der Corona-Pan-                der bzw. auch von weiten Teilen Europas
demie in 2020 gelesen und wohl auch                   und der ganzen Welt führen können. Es
verinnerlicht hatten, ja das die dort be-             setzt sich dabei zunehmend die Erkennt-
schriebenen       Präventionsmaßnahmen                nis durch, das auch die mit der Krisen-
nicht erkannt und umgesetzt wurde. So                 bewältigung betrauten Organisationen
fehlte es noch bis vor kurzem an ausrei-             – hier die Behörden und Organisationen
chender Einlagerung von Schutzausstat-                mit Sicherheitsaufgaben (BOS) wie z.B.
tungen und -mittel (Atemschutzmasken,                 Feuerwehren, THW, DRK etc., Krisen-/
Schutzhandschuhe, Gesichtbrillen, Des-                Verwaltungs-/Katastrophenschutzstäbe,
infektionsmittel) sowie um Logitsikon-                aber auch Polizei und selbst die Bundes-
zepte zum Verteilen dieser Güter an die               wehr – in solchen Schadenslagen (selber)
rund 83 Millionen Bundesbürger, ganz                  zu einer Kritischen Infrastruktur werden
zu schweigen von den Produktionsmög-                  und in ihrer Leistungsfähigkeit nachhaltig
lichkeiten und Impfstoffkapazitätenen so-             beeinträchtigt werden. Diese Erkenntnis,
wie Testmitteln von namhaften Pharma-                 dass die BOS selber ausfallen könnten,
betrieben. Allesamt waren und sind es                 oder zumindest sehr beeinträchtig wären
nach wie vor Schadenszenarien, deren                  und kaum noch helfend agieren könnten,
Eintrittswahrscheinlich eher als gering               muss noch verinnerlicht werden.
eingeschätzt wurden, die aber, wenn es                  Damit kann innerhalb des Bevölke-
dennoch zu diesem Ereignisfall (= Scha-               rungsschutzes der sogenannte „Blackout“
denseintrittsfall) kommen sollte, umge-              – ein langanhaltender totaler Stromausfall
hend, d. h. innerhalb von wenigen Stun-               von mehreren Tagen und weiten Landes-
den und Tagen (beim „Blackout“) bzw.                  teilen – neben der Pandemie, wie wir sie
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
80                                                                7. HANS-WALTER BORRIES

      mit der derzeitigen COVID-19-Corona-            Erschwerend kommt hinzu, dass auf-
      Lage kennen, als die größte Herausfor-        grund der Umstrukturierung der Deut-
      derung für die o. g. Organisationen und       schen Stromerzeugungslandschaft, die
      unsere Gesellschaft bewertet werden.          bis zum Jahr 2022 die Abschaltung aller
         Es stellt sich im Rahmen einer allgemei-   Kernkraftwerke zur Stromgewinnung ver-
      nen Lagebeurteilung die Frage, wie die        anlasst und die bis spätesten 2038 alle
      o. g. Organisationen auf einen solchen        Kohlekraftwerke (Stein- und Braunkoh-
      Schadensfall vorbereitet sind, wie deren      lenkraftwerke) als Teil eines Aussteiges
      Vorsorgekonzepte aussehen und welche          definiert hat, das deutsche Stromnetz in
      Vorsorgemaßnahmen im Rahmen eines             sich mit Belastungsschwankungen zu
      vorausschauenden Krisenmanagements            rechnen haben wird. Es wird oft verkannt,
      einer Prävention getroffen worden sind        dass zu bestimmten Phasen im Jahr
      oder noch beachtet werden müssen.             die installierte Versorgungsleistung von
         Besondere Beachtung findet die Tat-        Wind- und Solaranlagen nicht einer tat-
      sache, dass zukünftig in Deutschland          sächlichen Leistung im Tagesverlauf ent-
      die Übertragungsnetzbereichsbetreiber         spricht. Bei Windstille (Flaute) wird keine
      mit dem Übertragungsnetz bzw. Höchst-         Windenergie zur Stromgewinnung zur
      spannungsnetz (380/400 KV) den Re-            Verfügung stehen, zum Abend und in der
      gionalnetzen und Stadtwerken als Ver-         Nacht bewirkt verstärkt im Winterhalbjahr
      teilnetzbetreiber mit deren Mittel- und       die sogenannte „Dunkelflaute“ ein Absin-
      Niederspannungsnetz (20 KV bis 230 V)         ken der Stromgewinnung durch Solaran-
      mitteilen können, dass ein „unverzöger-       lagen. Bislang kann die Stromnachfrage
      ter Lastabwurf“ in Stromkrisenlagen in-       in Deutschland durch herkömmliche
      nerhalb von wenigen Minuten (evtl. noch       konventionelle Kraftwerke und durch
      bis zu 30 Minuten bzw. zwei Stunden Vor-      Stromzukauf aus dem Ausland (Nach-
      laufzeit) zu erwarten ist. Damit steigt der   barländern) zeitnah gedeckt werden,
     Termindruck, in den wenigen verbleiben-        bei Abschalten der klassischen fossilen
      den Minuten zu handeln und die ersten         Kraftwerke wird dies zu Problemen einer
      richtigen Maßnahmen zu treffen. Bereits       hohen Versorgungssicherheit führen, da
      in der Vergangenheit kam es immer wie-        die Speicherkapazitäten bislang noch
      der in solchen „Mangellagen“ dazu, dass       sehr begrenzt und neue Wasserkraftwer-
      größere Industrieunternehmen (hier: Alu-      ke (Pumpspeicherbecken) nicht beliebig
      miniumhütten) als stromintensive Abneh-       vermehrbar sind. Auch kann der Strom-
      mer kurzfristig vom Netz genommen wer-        deckungsbedarf nicht unbegrenzt aus
      den, damit das gesamte Stromnetz sta-         dem Nachbarausland gedeckt werden,
      bilisiert werden kann. Während dies über      da die Nachbarländer aus ähnlichen
      Verträge und Kosten vorgeplant werden         Gründen ggf. auch in einer Stromeng-
      konnte, sind landesweite Abschaltungen        passlage sich befinden können.
      über mehrere Versorgungswaben bis-              Derzeit stellen sich neben Großun-
      lang nicht in der Praxis erprobt worden       ternehmen auch Kleine und Mittelstän-
      und kamen über den Status von simulier-       dische Unternehmen (KMU, sowie Fa-
      ten Modellaktionen nicht hinaus. Es fehlt     milienunternehmen) die speziellen und
     – leider oder Gott sei Dank – hier die Pra-    existenziellen Fragen nach der auf per-
      xiserfahrung.                                 manent „24/7“-Sicherheit, d. h. kann eine
                                                    unterbrechungsfreie sichere Stromver-
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                              81

sorgung über 24 Stunden am Stück am         se in Deutschland vor zwei Jahren, als
Tag, bei sieben Tagen die Woche (sowie      Tankschiffe den Rhein nicht mehr befah-
bei 365/366 Tagen im Jahr) sichergestellt   ren konnten und einzelne Tankstellen kei-
werden? Ist diese auch dann (noch) ge-      nen Treibstoff mehr zum Verkauf hatten.
währleistet, wenn in den nächsten Jahren    Experten rechneten mit Kosten von einer
die konventionellen Kraftwerke mit Stein-   halben Mrd. Euro für Notmaßnahmen,
und Braunkohlenverstromung nach und         um Stromausfälle in diesen Phasen zu
nach vom Netz gehen? Wie lassen sich        verhindern und weiterführende notwen-
Produktionsausfälle und Schäden selbst      dige massive Eingriffe zu tätigen.
bei meist nur kurzfristigen Stromausfäl-      Oftmals wird das Risiko eines großflä-
len von wenigen Sekunden bis zu drei        chigen Ausfalls der Energieversorgung
Minuten an Anlagen ausschließen und         entweder relativiert oder aber verdrängt.
wie sollten sich bereits heute die KMU,     Bislang gibt es kaum schlüssige Kon-
die keine kostenintensiven Investitionen    zepte zur Bewältigung einer solchen
in eigene Kraftwerke und Stromspeicher      Krise. Da ein solcher „Super-GAU“ in
ausführen können, für diese Zeit rüsten?    Deutschland noch nicht flächendeckend
Ein Stromausfall von wenigen Sekunden       und langanhaltend eingetreten ist, fehlt
kann bei Unternehmen schnell Produk-        ein erlebtes Erfahrungswissen und die
tionsausfallkosten von einigen hundert-     Dimension des „Schreckensszenario“
tausend Euro bis hin zu einigen Millionen   führt oftmals dazu, dass dieses wichti-
Euro bewirken, im Extremfall die gesam-     ge Thema verdrängt oder in den Bereich
ten Produktionsanlagen nachhaltig be-       des Unmöglichen a la Hollywood abge-
schädigen oder gar zerstören.               tan wird, nur um ein „Nichthandeln“ mit
   Zunehmend werden auch Unwetter-          einem angepassten Krisenmanagement
gefahren und die Auswirkungen eines         zu rechtfertigen. Seit rund fünf Jahren
Klimawandels als Faktoren für einen         versucht man sich in Überlegungen und
möglichen Blackout diskutiert. Die Hitze-   Lösungen, den fehlenden Strom in den
sommer der letzten drei Jahre von 2018      Netzen durch Notstromersatzaggregate
bis 2020 haben uns gezeigt, dass es zu      zu ersetzen. Dabei wirkt die Konzentrati-
einem Absinken der Pegel in den Flüs-       on auf den Notstrom auf den ersten Blick
sen und Kanälen kommt, demzufolge           wie eine logische Reaktion. Doch stellt
die damit verbundenen Auswirkungen          man bei genauerem Hinsehen schnell
auf die Binnenschifffahrt zum Transport     fest, dass man sich damit scheinbar in
von Kohle und anderen Gütern für eine       eine trügerische Sicherheit begibt.
Verstromung zunehmen und gleichzeitig         Ein anschauliches Beispiel für das
das Medium „Wasser“ zum Kühlen von          Handeln in Krisenlagen zeigt der Fall
Kraftwerksblöcken nicht mehr in aus-        einer Naturkatastrophe im Jahre 2014
reichendem Maße zur Verfügung stand,        in Teilen Sloweniens. Ein extremer Eis-/
was letztendlich zu einer Reduzierung       Schneeregen ließ die Stromversorgung in
der Kühlleistung von Kraftwerksblöc-        der Region Notranjska ausfallen. Studien
ken geführt hat. In einzelnen Wochen im     von Vertretern des österreichischen Bun-
Hitzesommer arbeiteten die Deutschen        desheeres zeigen sehr genau auf, wel-
Stromnetze bereits am Rande ihrer Ka-       che Auswirkungen ein Ausfall der Strom-
pazität. Allen bekannt sind noch die        versorgung mit sich bringt und welchen
drastischen Verteuerungen der Spritprei-    internationalen logistischen Aufwand
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
82                                                                7. HANS-WALTER BORRIES

      man (für eine kleine Teilregion) betreiben   Ersatzversorgung erreicht. Aus diesem
      musste. Über die Europäische Union und       Grunde stellt sich die Frage, wie sähe
      deren Zivilschutzeinrichtungen ließen        die Lage aus, wenn eine ganze Region
      sich über 170 Notstromaggregate in die       von Deutschland oder mehrere Bundes-
      Krisenregion heranführen, die dann mit       länder von so einem „Blackout“ betroffen
      Unterstützung der Stromversorgungs-          wären? Welche Strommengen müssten
      unternehmen an die Trafostationen an-        über Notstromaggregate geleistet wer-
      gebunden werden konnten (Pislar 2014).       den und wie hoch wäre die Abnahmera-
      Beim Eintreffen eines solchen Ereignis-      te bei den Verbrauchern, insbesondere
      ses darf man sich nicht darauf verlassen,    beim stufenweisen Hochfahren der Net-
      dass genügend Notstromaggregate und          ze? Wie sähe die sogenannte „Abnahme-
      vor allem auch ausreichend Betriebsstof-     gier“, d. h. die evtl. kurzfristig überhöhte
      fe zur Verfügung stehen. Noch fataler        Stromnachfrage der Verbraucher bei
      wäre es, darauf zu vertrauen, dass der       Ankündigung der Widerherstellung der
      Staat und/oder alle BOS über genügend        Stromversorgung, aus?
      Aggregate und Betriebsstoffe verfügen,         Bis heute existieren keine Erkennt-
      um damit die gesamte Bundesrepublik          nisse, wie viele NEA als Geräte mit wel-
      Deutschland im Bedarfsfall versorgen         cher Größe und Leistung überhaupt in
      zu können. Leider ist bis heute keine Be-    einem solchen Schadensfall benötigt
      standsanalyse durchgeführt worden, die       würden. Untersuchungen einzelner Ge-
      den tatsächlichen Bestand an Notstro-        fahrenabwehrpläne von Gebietskörper-
      mersatzaggregaten (NEA) und benötigte        schaften (Landkreise, kreisfreie Städte)
      Betriebsstoffmengen als Teil eines „Logi-    zeigen, dass selbst der Strombedarf für
      stischen Krisenmanagementkonzeptes“          wichtige Stadt-/Ortsteile mit Wohn- und
      auflistet.                                   Arbeitsstätten sowie Einrichtungen, wie
        Analysiert man die Erfahrungen aus         Krankenhäuser und Altenpflegeheime
      dem längsten und größten Stromaus-           den Ordnungsbehörden, i. d. R. nicht
      fall in Deutschland, dem Stromausfall        hinreichend bekannt sind. Während
      von über 5 bis 7 Tage während des sog.       noch in Deutschland die Bauvorschriften
     „Schneechaos im West-Münsterland (im          für Krankenhäuser/Kliniken den Einsatz
      November 2005)“ vor nunmehr rund 15          von NEA und eine Treibstoffbevorratung
      Jahren, der drei halbe Kreisgebiete von      von bis zu 48 Stunden für die NEA ver-
      Borken, Coesfeld und Steinfurz mit rund      bindlich vorschreiben, findet man keine
      100.000 Haushalten und umgerechnet           baulich-rechtlichen Bestimmungen für
      etwa 250.000 Einwohnern betraf, so zeigt     die Errichtung und das Betreiben von
      sich, dass aus ganz Deutschland rund         Altenpflegeeinrichtungen. Diese würden
      80% aller in Deutschland verfügbaren         in einer solchen Stromangellage massiv
      Aggregate des THW zum Einsatz kamen.         betroffen sein. Im kalten Winter wären
      Die Kapazitäten mit NEA dürften zwar         Evakuierungsmaßnahmen für so viele
      seit 2005 bei den BOS-Organisationen         Heiminsassen kaum machbar, im Hitze-
      geringfügig erhöht worden sein, bei ei-      sommer würde die Ventilation und Raum-
      nem Ausfall der Stromversorgung in fünf      kühlung (Klimatisierung) zu einem gro-
      bis sechs Landkreisen (mit bis zu einer      ßen Problem werden. In der Wechselwir-
      Million Einwohner und mehr) wäre aber        kung eines Stromausfalls und einer damit
      sehr schnell die Leistungsgrenze zur         resultierenden Wechselwirkung auf die
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                               83

Wasserversorgung und speziell der Ab-      ment für die Festlegung des Preises für
wasserentsorgung würden nicht nur Al-      den zu pumpenden Treibstoff überbrückt
tenpflegeinrichtungen vor beträchtlichen   werden, was nicht immer machbar ist.
Problemen gestellt werden, auch die           Nicht nur die Bevorratung in einigen
Krankenhäuser/Kliniken und Kureinrich-     zentralen oder in vielen dezentralen Tan-
tungen würden ohne Trink- und Brauch-      klagern wäre zu lösen, auch die Logistik
wassertransport schnell an ihre Arbeits-   und Versorgungskette, mit der man die
grenzen stoßen, ganz zu schweigen von      Betriebsstoffe zu den einzelnen Verbrau-
der ausfallenden Abwasserentsorgung        chern transportieren müsste, wäre in der
und dem Ausströmen von Fäkalwasser         Realität nur mit hohem Aufwand und ho-
in höheren Stockwerken aus Waschbec-       hen Kosten umzusetzen. Dabei wären
ken und Toiletten. Erste Abstimmungsge-    auch Themen wie die Absicherung von
spräche mit den Energieversorgern auf      solchen Einrichtungen vor Plünderern
Stadtwerkeebene laufen derzeit in Pilot-   und der sichere Transport vor ungewoll-
projekten an, bedürfen aber noch einer     ten Zugriff, zu hinterfragen, Themen die
flächenhaften Ausdehnung auf das be-       bislang nicht oder nur wenig öffentlich zur
nachbarte Umland mit weiteren Gebiets-     Diskussion gestellt wurden und für deren
körperschaften.                            sichere Umsetzung die Polizeikräfte in
   Ähnlich schwierig dürfte die Lage bei   Deutschland nicht verfügbar sind. Dies
den Betriebsstoffen aussehen, ohne die     würde ein Konzept von ausreichenden
kein NEA laufen kann. Eine konkrete Ab-    Tank-/Transportfahrzeugen hinterfragen,
schätzung der benötigten und zur Verfü-    die allesamt selber wieder mit Treibstoffen
gung stehenden Treibstoffmengen (Die-      versorgt werden müssten. Allein eine Be-
sel, Benzin, Gas), die vor einer solchen   rufsfeuerwehr einer größeren deutschen
Krise notwendig wären, fehlt bislang und   Stadt kann dabei auf Verbrauchsmengen
bedarf einer raschen Umsetzung als Teil    von ca. 10.000 Liter Treibstoff am Tag al-
eines nachhaltigen Sicherheitskonzepts.    lein für die „roten“ Feuerwehrfahrzeuge
Dabei stellt sich die Frage nach einem     kommen, noch nicht eingerechnet der
vorsorglich geplanten Transport-Logi-      Rettungsdienst mit Krankenfahrzeugen.
stikwesen, wie diese wichtigen Güter       Addiert man hierzu den täglichen Ver-
in einer solchen Lage sicher abzurufen     brauch an Treibstoff für Notstromaggre-
wären. Werfen wir einen Blick auf die      gate, die dann durchweg unter Volllast
Tankstellensituation in Deutschland, die   laufen würden, so käme eine größere
allesamt auf eine verlässliche Stromver-   Feuerwehr leicht auf zusätzliche 10.000
sorgung aus dem Netz angewiesen sind,      bis 20.000 Liter Treibstoffbedarf am Tag.
um den Treibstoff auch jederzeit fördern   Treibstoffmengen, die zum Schutz vor
zu können. In Deutschland existieren       dem ungewollten Zugriff durch Dritte je-
derzeit rund 14.000 Tankstellen, von de-   derzeit im Bereich der Einsatzkräfte und
nen nicht einmal 100 mit einer Notstrom-   deren Dienststellen sicher zu lagern und
versorgung ausgestattet sind. Moderne      auch zu sichern wären. Um eine funktio-
Tankstellen verfügen zwar häufig über      nierende Notstromversorgung aufzubau-
die Vorrichtung für den Anschluss eines    en, ist es daher zwingend erforderlich,
Aggregats, doch müssen auch hier erst      schon lange vor der Lage ein entspre-
entsprechende Geräte beschafft werden      chendes schlüssiges Konzept zu erarbei-
und zugleich das zentrale Preismanage-     ten, um für die Krisenlage gewappnet zu
84                                                                              7. HANS-WALTER BORRIES

     sein. Vorhandene Notstromkonzepte be-                  dimentär in einzelnen Pilotuntersuchun-
     dürfen einer konsequenten Überprüfung                  gen zu finden.
     und Umsetzung in der Praxis, Aggrega-                     An der Universität Witten/Herdecke
     te einer regelmäßigen Überprüfung und                  (in NRW in Deutschland) wurde dazu im
     Wartung, um die Einsatzbereitschaft im                 Jahr 2020 eine Seminararbeit von Studie-
     Notfall zu gewährleisten.                              renden unter Leitung von Dr. Hans-Walter
       Solange davon auszugehen ist, dass                   Borries und Dipl.-Ing. Peter Winkel (beide
     schlüssige Konzepte für die Resilienz                  Lehrbeauftragte an der Universität) zum
     während eines Blackouts in Deutsch-                    Thema „KRITIS – der Schutz kritischer In-
     land nicht über den Status von Pilotun-                frastrukturen eines Katastrophenfalls aus
     tersuchungen und Forschungswerken                      der Perspektive „Rathaus“ durchgeführt.
     hinausgehend vorliegen, wäre es für alle                  Exemplarisch zeigen die folgenden Ta-
     Krisen- und Verwaltungsstäbe von Ge-                   bellen einmal die Notwendigkeit zur Vor-
     bietskörperschaften absolut notwendig,                 planung der Kapazitäten von NEA sowie
     bereits im Vorfeld sinnvolle Strategien zu             zum Umfang der bereitzuhaltenden Men-
     erarbeiten, die helfen, eine solche Krise              gen an Treibstoffen und an Lebensmittel
     abzufedern. Diese wichtigen Untersu-                   für die Mitglieder eines Krisen-/Notfall-
     chungen sind bisher immer noch sehr ru-                stabes.

              Tabelle 2. Strom- und Energiebedarf eines Krisenstabs in den Räumlichkeiten des Rathauses.

                      Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020).
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                                           85

         Tabelle 3. Strom- und Energiebedarf eines Krisenstabs in den Räumlichkeiten des Rathauses

                 Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020).

          Tabelle 4. Nahrungsmittelversorgung von Mitarbeiter/innen eines Krisenstabes im Rathaus

                 Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020).

   Von den Bedrohungen und Gefahren, wiegen, dass neben den Alten- und Pfle-
die ein solches Ereignis für die Sicherheit geheimen, speziell für die Dialyse- sowie
der Gesellschaft mit sich bringen dürf- Beatmungspatienten und auch Apothe-
te, muss hier ausdrücklich auch auf die ken (zum Kühlen wichtiger Medikamente)
Gefahren für den medizinischen und vor keine solchen gesetzlichen Mindestvor-
allem für den Pflegebereich hingewiesen gaben (Notstromaggregate, Treibstoff-
werden. Zwar verfügen wie zuvor schon mengen, Anschlüsse für externe Strom-
beschrieben aufgrund von gesetzlichen versorger) vorgeschrieben sind.
Vorgaben Krankenhäuser über eine              Auch müssen alle Verwaltungsgebäude
entsprechende Ausstattung mit Not- im Sinne von Rathäusern, Kreishäusern
stromversorgungsaggregaten, die einen und Feuerwachen mit einer autarken und
Grundlastbetrieb ausgewählter Bereiche leistungsstarken Strom- und Wasserver-
von bis zu zwei Tagen gewährleisten sol- sorgung ausgestattet werden.
len. Doch schwerer dürfte die Tatsache
86                                                                             7. HANS-WALTER BORRIES

               Tabelle 6. Priorisierung von Maßnahmen zur Schutzausstattung von Krisenstabsgebäuden.

                     Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020).

       Es ist daher zu fordern, so rasch wie               an oder mit dem Corona-Virus verstor-
     möglich von allen mit Sicherheitsfragen               benen Bundesbürgern und einem hohen
     beschäftigten Stellen ein länderüber-                 volkswirtschaftlichen Milliardenschaden,
     greifendes, schlüssiges Gesamtkonzept                 der erst in den nächsten Jahren in sei-
     zur Bewältigung der neuen Gefahrenla-                 ner Gesamtheit sichtbar werden wird, ist
     ge eines Blackouts und dessen Auswir-                 eine „Katastrophe“ schnell beschrieben.
     kungen auf die KRITIS-Einrichtungen zu                Käme es aber zu einem Blackout, un-
     erarbeiten. Krisen-/Verwaltungs- oder                 abhängig ob als Ursache ein Cyberan-
     Katastrophenschutzstäbe von Behörden                  griff auf Strom(netz)versorger oder ein
     und Unternehmen sollten sich hierzu un-               Naturereignis dahintersteckt, dann träte
     tereinander abstimmen und einen offe-                 die Katastrophe binnen weniger Stunden
     nen Dialog führen.                                    bzw. binnen zwei Tage ein. Vorsichtige
       Der mögliche Fall eines „Blackouts“,                Schätzungen, z. B. aus dem Forschungs-
     der uns heute manchmal als Illusion                   vorhaben von Tanknotstrom gehen allein
     der Apokalypse erscheint, die niemand                 von 600 Millionen Euro Schadensausfall-
     herbeireden möchte, die aber schnel-                  kosten pro Stunde zur Mittagszeit aus,
     ler als gewollt eintreten kann, sollte aus            bei mehreren Tagen Dauer eines Black-
     den Erfahrungen des Umgangs mit dem                   outs dürften die Volkswirtschaft in ein
     Eintreten der Corona-Pandemie in Re-                  Milliardenloch ungeahnten Ausmaßes
     lation gesetzt werden. Versagt – wie im               fallen, abgesehen davon, dass die Bür-
     Falle der Corona-Pandemie – ein Prä-                  gerinnen und Bürger nicht mehr versorgt
     ventionskonzept oder findet es im Vor-                werden könnten und Randgruppen wie
     feld der Krise keine ausreichende Be-                 Kranke und ältere Mitmenschen diesen
     achtung, so nehmen die Auswirkungen                   Katastrophenfall nur schwerlich überle-
     in der Krisenlage schnell den Charakter               ben dürften. Dies wäre sicherlich von der
     einer „Katastrophe“ ein. Mit heute (in                Kürze der Zeit, die das Schadensaus-
     Deutschland im April 2021) über 80.000                maß zur Wirkung führt, der gravierende
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                                       87

Unterschied zu einer Pandemielage sein,                 Was gilt es daher zu tun, um mit einer
wie sie derzeit seit über einem Jahr in              weit vorausschauenden Präventions- und
Deutschland anhält. Der Blackout würde               Krisenmanagementstrategie Vorsorge für
binnen weniger Tage ein Industrieland                den Fall der Fälle zu treffen?
wie die Bundesrepublik Deutschland                      Zuerst einmal sollten beide Schadens-
in das Stadium eines vorindustriellen                lagen, Blackout und Pandemie in ihrer Di-
Agrarlandes (vergleichbar im Mittelalter)            mension der wahren Eintrittswahrschein-
zurückwerfen.                                        lichkeit und ihren Auswirkungen (Risiko-
                                                     analyse) auf alle neun KRITIS-Bereiche
                                                     überprüft und hinterfragt werden.
                Foto. „Krisenmanagement darf nicht so laufen ...“ (Hans-Walter Borries)

  Beide Schadenslagen, Pandemie und                  Vorsorgemaßnahme wie die Beschaf-
auch Blackout-Schadenslagen sind lei-                fung von ausreichend Versorgungsgü-
der vielfach für die Entscheidungsträger             tern, ein entsprechendes Logistikkonzept
von Krisen-/Notfallstäben eine unbe-                 zum Einlagern und Verteilen dieser Gü-
kannte Schadenslage, die man weder                   ter an die betroffenen Bevölkerungsteile
 – direkt sieht,                                     vorsehen. Zugleich müssen Strategien
 – oder unmittelbar spürt,                           für ein strategisches Krisenmanagement
 – und über die man keine Erfahrungen                erarbeitet werden, für den Fall, dass die
   hat.                                              Präventionsmaßnahmen nicht zu 100%
  Alles spielt sich im Bereich von „Ver-             das Schadensereignis abwehren und
mutungen, Prognosen“ ab! Man muss                    dass – wie im Falle der Corona-Lage
Experten vollständig glauben und er-                – der Schadensfall eintritt und länger an-
kennt in sich Widersprüche und auch die              hält. Die Erkenntnisse aus der laufenden
Zurücknahme von früheren Statements                  Pandemie müssen analysiert und auf
kann zu einer nachhaltigen Verunsiche-               den Fall Blackout-Prävention und -Inter-
rung führen. Dies gilt es immer abzuwä-              vention übertragen werden. Parallel zu
gen und zu bewerten. Daran anschließen               diesen Maßnahmen sollten alle mit der
sich Präventionskonzepte, die sowohl                 Krisenbewältigung betroffenen Einrich-
88                                                                7. HANS-WALTER BORRIES

      tungen und Institutionen (speziell alle       o plan, plans o fail“) wäre es ratsam, lie-
      BOS-Organisationen) für den Ernstfall         ber heute als morgen das Szenario an-
     „gehärtet“ werden. Dies meint, dass hier       zugehen, denn übermorgen könnte es
      die Vorsorgemaßnahmen in Form von             bereits zu spät sein.
      NEA für Stromerzeugung mit ausreichen-
      denden Vorräten an Treibstoffmenge,           Fazit
      ausreichend Wasser für die Trinkwasser          Blackout und Pandemie können – wenn
      und Abwasserentsorgung bereit zu hal-         Sie eintreten und eine Prävention versagt
      ten sind. Neben der Seite der Vorsorge        hat – sowohl Unternehmen als auch das
      einer materiellen Ausstattung gilt es das     öffentliche Leben nachhaltig treffen und
      Führungs- und Funktionspersonal hin-          zu hohen Todesraten und Milliarden an
      sichtlich der Schadensfälle und einer         Schadenssummen führen. Der vorliegen-
      strategischen sowie operativ-taktischen       de Aufsatz zeigt gewisse Parallelen aus
      Bewältigung zu trainieren. Dies geht nur      der vorherrschenden Corona-Virus-Lage
      durch spezielle Ausbildungsvorhaben           und einem Mangel an Präventionsmaß-
      möglichst in deren Liegenschaftskonzep-       nahmen im Vorfeld auf, die bei einem
      ten („Inhouse“-Schulungen vor Ort) und        langanhaltenden Stromausfall im Sinne
      der Kernaufgabe dem „Üben“ solcher            eines Blackouts noch gravierendere und
      Schadenslagen als wichtiger Bestandteil       härtere Schäden verursachen könnten.
      von immer wiederkehrenden Katastro-           Es müsste daher Ziel eines strategisch
      phenschutzübungen. Zu prüfen wäre, ob         ausgerichteten Krisenmanagements und
      der Einsatz von „Künstlicher Intelligenz      Präventionsplanung sein, schon jetzt vor
      (KI)“ hier eine sinnhafte Anwendung fin-      einer Krise – und nicht dann erst in der
      den kann, um Entscheidungsfindung und         eingetreten Krisenlage – die Auswirkun-
      Entscheidungsprozesse transparenter           gen der möglichen Schadenslage in der
      und zielgerichteter auf die „richtige“ Ide-   Krise zu erkennen und weitgehend ab-
      allösung hin zu führen und Handlungsal-       zufedern, damit diese Lage sich nicht zu
      ternativen besser prüfen zu können.           einer Katastrophe entwickelt. Hierzu wer-
         Im Allgemeinen gilt, dass die Mitglieder   den erste Handlungsempfehlungen ge-
      von Krisen-/Verwaltungsstäben sowie           reicht, die von Vorsorgemaßnahmen, z.
      von Einsatzleitungen sich in Ausbildun-       B. Materialbeschaffung, bin hin zu Schu-
      gen und Übungen mit realistischen Lage-       lungs- und Übungskonzepten für mit der
      meldungen der Thematik „langanhalten-         Schadenslage beauftragte Führungs-
      der Stromausfall als möglicher Blackout       und Funktionskräfte in Krisen- und Not-
      und seine Auswirkungen auf die Kriti-         fallstäben reichen.
      sche Infrastruktur“ beschäftigen sollten.       Hieraus lassen sich vier Kardinalforde-
      Aufgrund der langanhaltenden Pandemi-         rungen und Anforderungen an ein gutes
      elage werden in Sachen „Seuchen/Pan-          und angepasstes Krisenmanagement
      demien“ wichtige Erfahrungen gemacht          definieren:
      werden und bei einer Postvention die          1. Analyse der vorhandenen Alarmie-
      richtigen Rückschlüsse zum Umgang mit              rungs- und Notfallpläne sowie vor-
      Entscheidungen zur Krisenbewältigung               handener Pandemie- und Hygiene-
      hoffentlich gefunden werden. Im Sinn ei-           schutzkonzepte einschließlich von
      nes Spruches „wer den Erfolg nicht plant,          Blackout-Vorsorgemaßnahmen;
      plant den Misserfolg“ („he who failst
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN...                                                    89

2. Aufzeigen und Bewerten der bis-             gen und Rückmeldungen von
   her eingeleiteten Maßnahmen in              nächst höheren Organisationen;
   Verwaltung und Unternehmen mit           f) Prüfung der durchgeführten Pres-
   deren Krisen-/Notfallstäbe anhand           se- und Öffentlichkeitsarbeit und
   von Fakten (getätigte Maßnahmen             der Rückmeldung von Bürgerin-
   des Krisenmanagements, Ziele und            nen/Bürgern und Kunden;
   erreichte Zwischenschritte im Verhält-   g) Überlegungen zum effektiven Ein-
   nis zum Einsatz der Mittel (u. a. Per-      satz von Stabs- und Führungs-
   sonal) und den Kosten);                     systemen (Technikeinsatz) und
3. Bewertung der Effektivität der ge-          ob sich dadurch kurzfristig auch
   troffenen Entscheidungen und der            sichere Entscheidungen ableiten
   eingeleiteten Maßnahmen zum Kri-            lassen (erste Überlegungen zum
   sen-/Notfallmanagement.                     Einsatz von „KI“);
   a) Beurteilung, ob bestehende Pan-       h) Generelles Abwägen, was hat „gut“
      demie-/Hygieneschutzpläne und            funktioniert und welche Maßnah-
      Blackout-Vorsorgepläne entspre-          men bzw. Handlungen haben „er-
      chend angewandt wurden;                  schwerend“ und/oder sogar „hin-
   b) Vorschläge zur Besetzung der be-         derlich“ für das Krisen-/Notfallma-
      stehenden Krisen-/Notfallteams           nagement gewirkt.
      (Struktur des Krisen- und Notfall- 4. Folgerungen für ein zukünftiges
      stabes);                              optimiertes Krisen- und Notfallma-
   c) Überprüfung der Zielvorgaben für      nagement
      den Business-Continuity-Plan und      a) Abwägung der bestehenden und
      des Grades dessen Umsetzung in           sich wandelnden Risiken weiterer
      der Praxis;                              Gefahrenlagen (und deren Verän-
   d) Prüfung der Entscheidungsgrund-          derungen);
      lagen, auf deren Basis Entschei-      b) Aufzeigen von konkreten Hand-
      dungen auch im Verhältnis zur            lungsoptionen mit Schwerpunkt
      Kompetenz getroffen wurden;              auf neue „Chancen“, die sich aus
   e) Reaktion auf außergewöhnliche,           der derzeitigen Krise für Verwaltun-
      nicht vorhersehbare Entwicklun-          gen und Unternehmen ergeben.

             Tabelle 7. Muster für ein angepasstes Krisenmanagement in einer Pandemie-Lage.

                                       Quelle: eigene Darstellung.
90                                                                   7. HANS-WALTER BORRIES

       Unter Anwendung der o. g. vier Punkte           Petermann, Thomas und Harald Brad-
     und dem spezifischen Ableiten von ge-               ke, Arne Lüllmann, Maik Poetzsch und
     meinsamen Vorstellungen zu vorhande-                Ulrich Riehm (2010): Gefährdung und
     nen und neuen strategischen Überlegun-              Verletzbarkeit moderner Gesellschaften
     gen können Verwaltungen/Behörden so-               – am Beispiel eines großräumigen Aus-
                                                         falls der Stromversorgung, Endbericht
     wie Unternehmen besser für die Zukunft
                                                         November 2010 Arbeitsbericht Nr. 141,
     aufgestellt werden und werden somit in              TAB Studien, Berlin.
     die Lage versetzt, gestärkt auf Krisenla-         Pislar, Marko (2014): Blackout in Sloweni-
     gen reagieren zu können.                            en. Erster Teil, In: Truppendienst. Maga-
                                                         zin des Österreichischen Bundesheeres,
     Literatur                                           340, 4.
     Borries, Hans-Walter (2018): Schutz kriti-        Priorisierung im Kontext Kritischer Infra-
        scher Infrastrukturen – Ein Gebot unse-          strukturen – Kriterien und Vorgehenswei-
        rer Zeit. In: Rathausconsult, Heft 1/2018,       se. Stand 01-2021, Bonn.
        S. 33-36.
     Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
        Katastrophenhilfe (BBK) – aktuelle und
        ältere Onlineveröffentlichungen und Pu-
        blikationen (Downloads) sowie Seiten
        zum Thema „KRITIS“ und Quartalshefte.
     Drucksache 17/12051 vom Deutschen
        Bundestag vom 3.01.2013 zur Unter-
        richtung durch die Bundesregierung auf
        eine Anfrage der FDP-Bundestagsfrakti-
        on in einem Bericht zur Risikoanalyse im
        Bevölkerungsschutz 2012 mit dem Titel
       „Risikoanalyse Pandemie durch Virus
        Modi-Sars“.
     Grasborn, Laura und Lars-Hendrik Hars-
        veld und Ferdinand Picard (2020): KRI-
        TIS – der Schutz kritischer Infrastrukturen.
        Betrachtung eines Katastrophenfalls aus
        der Perspektive Rathaus. Forschungsar-
        beit für das Seminar „Sicherheit der Ener-
        gieversorgung – die Energieversorgung
        im Wandel und aktuelle KRITIS-Gefah-
        ren“ an der Universität Witten/Herdecke,
        betreut von Dr. Hans-Walter Borries und
        Dipl.-Ing Peter Winkel als Dozenten des
        Seminars.
     Identifizierung im Kontext Kritischer Infra-
        strukturen – Kriterien und Vorgehenswei-
        se. Stand 01-2021, Bonn.
     Köppe, Mario (2020): „Als in Köpenick
        das Licht ausging“ – ein Erfahrungsbe-
        richt. In: BBK Bevölkerungsschutz, Heft
        1/2020, S. 18-19.
Sie können auch lesen