KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN - EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG?
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KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN UND PANDEMIE-SCHADENSLAGEN – EIN VERNACHLÄSSIGTES THEMA MIT GEMEINSAMKEITEN FÜR EINE OPTIMIERTE LÖSUNG? HANS-WALTER BORRIES ABSTRACT DOI: 10.26410/SF_1/21/7 As part of seminar papers at the University of Witten/Herdecke (Germany) in 2020 and 2021, an original research paper was prepared to compare the pandemic management of previous events („Spanish Flu 1918-1920, Hong Kong Flu 1968-1970) in relation to the current Corona-COVIS-19 pandemic. Pandemic management as part of crisis management was questioned in itself, and the effectiveness of preventive measures was con- trasted with the expected reactions. Since there is hardly any experience to date in dealing with pandemic situations in Ger- many (and also its neighbouring countries), and the possibility of postvention in the sense of an evaluation of damage situa- tions that have only rarely occurred has largely been omitted, the potentially possible case of damage was examined more closely in case studies as an option and action model for ve- rifying the hypothesis of the study. At the same time, the existing crisis management was transferred to the likewise still unknown damage situation of a nationwide and long-lasting power supply failure, the so-called “blackout“, in order to gain initial insights into dealing with such damage situations based on case studies from the federal state of NRW. The failure of so-called “critical infrastructures“ (abbreviation “CRITIS“) would confront the po- pulation per se and also industry with almost insoluble tasks and lead to a collapse of basic services. For this reason, the focus of the study was also on developing initial proposals for solutions to cope with both types of damage and to improve the perfor- mance of official crisis management. As a conclusion, it can be deduced that both damage situations, both the pandemic and a “CRITIS event“, can only be managed if prevention in the sen- se of pre-planning takes up all possible damage areas and ana- Hans-Walter Borries, Phd lyses these cleanly with suitable “countermeasures“, evaluates e-mail: hwb@firmitas.de them accordingly and objectively and shows unprejudiced con- Institut für Wirtschafts- und Sicher- clusions (solution variants). This must be seen as part of a future heitsstudien, Witten optimised crisis management for such special damage situati- Deputy Chairman of the Board of the ons and should quickly find broad implementation in practice. Federal Association KEY WORDS for Critical Infrastructure Protection Critical infrastructure, blackout, pandemic, crisis management. (BSKI) e. V. (Germany)
76 7. HANS-WALTER BORRIES Katastrophen und Schadenslagen eine eingeschränkte vorausschauende haben in der Menschheitsgeschichte Vorbereitung (Planung) für den Ernstfall immer wieder zu Beeinträchtigungen im stattfindet, bevor dieser systemrelevant Zusammenleben und zu großen volks- eintritt. Ein „schlechtes“ Krisenmanage- wirtschaftlichen Schäden geführt. Da ment selber ist: sich selbst bei bester Planung und von – zu langsam; Vorsorgemaßnahmen solche Szenarien – zu stark vom „Topmanagement“ der nicht zu 100 Prozent ausschließen las- Unternehmensleitung geprägt; sen muss im Rahmen eines sorgfältigen – Rückschlüsse sind zu sehr taktisch Krisenmanagements eine möglichst op- und operativ ausgerichtet und die timale Vorbeugung im Sinne einer Kri- „Gesamtfolgen“ werden nicht umfas- senprävention gefordert werden und sich send erkannt; dabei mit einem strategischen Handeln – der strategische Lösungsansatz in der neben der Vorsorge vor einer Katastro- Planung (vor die Lage zu kommen) phe/Schadenslage zugleich auch mit wird zu wenig berücksichtigt! der Bewältigung einer solchen eingetre- Im Schwerpunkt eines anzustrebenden ten Lage zu beschäftigen. Letztendlich „guten“ Krisenmanagement steht immer geht es um sinnhaftes „gutes“ Krisen- das innovative Forschen nach neuen management, dass möglichst optimal Präventionsstrategien, die das bestehen- alle möglichen Schadensereignisse und de Krisenmanagement und vorhandene deren Eintrittswahrscheinlichkeit auflistet, (alte) Präventionsstrategien jederzeit neu beschreibt und bewertet um daraus Fol- optimieren. Es gilt der eherne Grundsatz, gerungen für die anstehende Prävention, die bestehenden Konzepte zukunftso- der Intervention und auch der Postven- rientiert wertneutral zu analysieren und tion zu gewinnen. „Schlechtes“ Krisen- neu den aktuellen Gefahrenlagen anzu- management gilt es dabei zu vermeiden, passen und so die Krisenreaktion damit bedeutet es doch, dass keine, oder nur deutlich zu verbessern. Abbildung 1. Krisenmanagement von der Prävention bis hin zur Postvention Die derzeitige Corona-Pandemie und Notfallplänen und dem reaktiven (SARS COVID-19 und dessen neue Mu- Krisenmanagement geführt. Zentral stellt tationen) hat in Verwaltungen von Behör- sich die Frage für verantwortungsvolle den und in Unternehmen zu einem Neu- Krisen- und Notfallmanager/innen, ob überdenken von vorhandenen Krisen- man in der Vergangenheit ausreichend
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 77 auf die „neuen“ Gefahren aufgestellt war, sogenannte „Technikfolgenabschätzung- ob das Handeln in der Krise strategisch studie“ (die TAB – Studien) auf die Ge- weitsichtig ausgerichtet war und nicht fährdung und Verletzbarkeit moderner nur taktisch-operativ das Ereignis an Gesellschaften – am Beispiel eines groß- sich für die nächsten Tage und Wochen räumigen Ausfalls der Stromversorgung, gesehen wurde. Überaus wichtig wird in (Endbericht November 2010 Arbeitsbe- der laufenden Pandemie sein, wie das richt Nr. 141) hingewiesen, der Experten vorhandene Krisenmanagement und aus dem KRITIS-Bereich bekannt, aber die Business-Continuity-Pläne (BCM) nicht von der breiten Öffentlichkeit gele- so ausgeplant werden können, dass sen und verinnerlicht wurde. Gemäß ei- sie stets den neuen Voraussetzungen ner anerkannten und allgemein gültigen und Anforderungen jederzeit gerecht Definition vom (deutschen) Bundesamt werden. Aus der Pandemie und dem be- für Bevölkerungsschutz und Katastro- stehenden Krisen-/Notfallmanagement phenhilfe (BBK) aus Bonn handelt es die richtigen Schlüsse für die zukünftige sich bei Kritischen Infrastrukturen „um Krisenbewältigung zu ziehen, wird zum Organisationen oder Einrichtungen mit vorrangingen Ziel für ein angepasstes wichtiger Bedeutung für das stattliche „Pandemie-Management“ für Verwaltun- Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder gen und Unternehmen für die Jahre 2021 Beeinträchtigung nachhaltig wirkende und 2022 sein. Versorgungsengpässe, erhebliche Stö- Während die Pandemielage schon seit rungen der öffentlichen Sicherheit oder mehr als einem Jahr eingetreten ist und andere dramatische Folgen eintreten damit erste Erfahrungen zum Krisenma- würden“. Die Gefahren eines solchen nagement vorliegen, handelt es sich bei Schadensfalls kämen bei einem Ein- den Warnungen vor Gefahrenlagen eines tritt einem „Supergau“ gleich, denn die Ausfalls von Kritischen Infrastrukturen Komplexität und die Wechselwirkungen in Folge z. B. eines langanhaltenden der bislang definierten neun KRITIS-Sek- Stromausfalles oder einer Wasserman- toren (Energie, Transport und Verkehr, gellage „nur“ um Zukunftsgefahren, die Informationstechnik und Telekommuni- in Masse noch nicht eingetreten sind. kation, Gesundheit, Wasser, Ernährung, Häufig werden hierzu Fachgutachter Finanz- und Versicherung, Staat und Ver- und Berater in der Rolle von „Kassandra- waltung, Medien und Kultur) mit- und un- Rufern“ gesehen, die das Undenkbare tereinander würden bei einem Ausfall die wagen zu beschwören und eventuell die Versorgungssicherheit für Bürger/innen Gefahrenlagen überbetonen. und Unternehmen sowie der allgemei- Seit Jahren warnen auf Fachtagungen nen Gesellschaft nachhaltig treffen. in Deutschland und den Alpenländern Zum Glück ist dieser Umstand eines Österreich und Schweiz Vertreter von Schadensfalles noch nicht großflächig Stromversorgungsunternehmen und Kri- und langanhaltend dauerhaft eingetre- senmanager vor der Möglichkeit eines ten, aber die Abwägung der Wahrschein- langanhaltenden Stromausfalles und es lichkeit für einen solchen Fall lassen sich werden die Auswirkungen auf die Kriti- nicht gegen Null bestimmen, so der Fall schen Infrastrukturen (oftmals auch des Eintritts und seine Auswirkungen als KRITIS bezeichnet) skizziert. Bereits https://www.kritis.bund.de/SubSites/Kritis/DE/Einfu- im Jahre 2010 hatte in Deutschland eine ehrung/einfuehrung_node.html (22.06.2021).
78 7. HANS-WALTER BORRIES ernsthaft geprüft und umfangreiche Prä- management der Hongkong-Grippe aus ventionsmaßnahmen getroffen werden den Jahren 1968 bis ca. 1970 (allein in sollten, um auf den Schadensfall, wenn er Deutschland mit bis zu 120.000 Toten) denn eintreten würde, besser vorbereitet nicht mehr im Bewusstsein verfügbar, zu sein. Der Stromausfall in der Bundes- so hätte man wenigstens auf die aus hauptstadt Berlin im Stadtteil von Berlin- Länderübergreifenden (Katastrophen- Köpenick vom 19. Februar 2019 mit einer schutz-) Übungen, wie z. B. der „LÜKEX“ Dauer von etwas über 30 Stunden für ca. in Deutschland im Jahre 2007, gewonne- 70.000 Einwohner (u. a. mit zwei Kliniken) nen Erkenntnisse zurückgreifen können. hat in einer von „KRITIS-Forschungsvor- Sehr anschaulich und nahezu passend haben“ gut geprägten Region katastro- auf die Corona-Pandemie 2020 ff. wurde phale Defizite der Krisenvorsorge und bereits vor 8 Jahren das Thema „Pan- des handelnden Krisenmanagements zu demiegefahren und deren Auswirkun- Tage geführt. Zum Glück war das Ereig- gen“ in der Drucksache 17/12051 vom nis dann auch vorbei, aber es ging eine Deutschen Bundestag vom 3.01.2013 Art „Schock“ zumindest in den Fachbei- zur Unterrichtung durch die Bundesre- trägen von Fachkongressen hervor. gierung auf eine Anfrage der FDP-Bun- Ähnlich verhielt es sich in Deutschland destagsfraktion in einem Bericht zur Ri- bei den Warnungen und der konkreten sikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 Wahrnehmung vor Seuchen und Pande- mit dem Titel „Risikoanalyse Pandemie mien, die bis vor einem Jahr (2020) na- durch Virus Modi-Sars“ in Hinblick auf hezu sträflich missachtet bzw. verdrängt das machbare Krisenmanagement aus- wurden. Hatte man vielleicht noch nach- führlich beschrieben. Die Autoren dieser vollziehbar die Erkenntnisse aus der Spa- Studie rechnen in einem fast dreijährigen nischen Grippe vor hundert Jahren (von Pandemiefall mit rund 7,5 Millionen Toten 1918 bis ca. 1920 mit weltweit zwischen und nahezu einem Zusammenbruch des 25 bis 50 Millionen Toten) nahezu ver- öffentlichen Lebens. gessen, das Krisen- und Gesundheits- Abbildung 1. Prognostizierte Dauer und Verlauf einer schweren Pandemie Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 17/12051 17. Wahlperiode 03.01.2013, S. 62.
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 79 Tabelle 1. Erwartete Anzahl der Erkrankten und Toten im Pandemieverlauf Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 17/12051 17. Wahlperiode 03.01.2013, S. 64. Es scheint, dass nicht alle verantwort- Wochen und Monaten (bei einer Seuche lichen politischen Entscheidungsträger und Pandemie), zu einer Katastrophenla- und handelnden Krisenmanager diese ge für ganze Regionen und Bundeslän- Studien bis zum Beginn der Corona-Pan- der bzw. auch von weiten Teilen Europas demie in 2020 gelesen und wohl auch und der ganzen Welt führen können. Es verinnerlicht hatten, ja das die dort be- setzt sich dabei zunehmend die Erkennt- schriebenen Präventionsmaßnahmen nis durch, das auch die mit der Krisen- nicht erkannt und umgesetzt wurde. So bewältigung betrauten Organisationen fehlte es noch bis vor kurzem an ausrei- – hier die Behörden und Organisationen chender Einlagerung von Schutzausstat- mit Sicherheitsaufgaben (BOS) wie z.B. tungen und -mittel (Atemschutzmasken, Feuerwehren, THW, DRK etc., Krisen-/ Schutzhandschuhe, Gesichtbrillen, Des- Verwaltungs-/Katastrophenschutzstäbe, infektionsmittel) sowie um Logitsikon- aber auch Polizei und selbst die Bundes- zepte zum Verteilen dieser Güter an die wehr – in solchen Schadenslagen (selber) rund 83 Millionen Bundesbürger, ganz zu einer Kritischen Infrastruktur werden zu schweigen von den Produktionsmög- und in ihrer Leistungsfähigkeit nachhaltig lichkeiten und Impfstoffkapazitätenen so- beeinträchtigt werden. Diese Erkenntnis, wie Testmitteln von namhaften Pharma- dass die BOS selber ausfallen könnten, betrieben. Allesamt waren und sind es oder zumindest sehr beeinträchtig wären nach wie vor Schadenszenarien, deren und kaum noch helfend agieren könnten, Eintrittswahrscheinlich eher als gering muss noch verinnerlicht werden. eingeschätzt wurden, die aber, wenn es Damit kann innerhalb des Bevölke- dennoch zu diesem Ereignisfall (= Scha- rungsschutzes der sogenannte „Blackout“ denseintrittsfall) kommen sollte, umge- – ein langanhaltender totaler Stromausfall hend, d. h. innerhalb von wenigen Stun- von mehreren Tagen und weiten Landes- den und Tagen (beim „Blackout“) bzw. teilen – neben der Pandemie, wie wir sie
80 7. HANS-WALTER BORRIES mit der derzeitigen COVID-19-Corona- Erschwerend kommt hinzu, dass auf- Lage kennen, als die größte Herausfor- grund der Umstrukturierung der Deut- derung für die o. g. Organisationen und schen Stromerzeugungslandschaft, die unsere Gesellschaft bewertet werden. bis zum Jahr 2022 die Abschaltung aller Es stellt sich im Rahmen einer allgemei- Kernkraftwerke zur Stromgewinnung ver- nen Lagebeurteilung die Frage, wie die anlasst und die bis spätesten 2038 alle o. g. Organisationen auf einen solchen Kohlekraftwerke (Stein- und Braunkoh- Schadensfall vorbereitet sind, wie deren lenkraftwerke) als Teil eines Aussteiges Vorsorgekonzepte aussehen und welche definiert hat, das deutsche Stromnetz in Vorsorgemaßnahmen im Rahmen eines sich mit Belastungsschwankungen zu vorausschauenden Krisenmanagements rechnen haben wird. Es wird oft verkannt, einer Prävention getroffen worden sind dass zu bestimmten Phasen im Jahr oder noch beachtet werden müssen. die installierte Versorgungsleistung von Besondere Beachtung findet die Tat- Wind- und Solaranlagen nicht einer tat- sache, dass zukünftig in Deutschland sächlichen Leistung im Tagesverlauf ent- die Übertragungsnetzbereichsbetreiber spricht. Bei Windstille (Flaute) wird keine mit dem Übertragungsnetz bzw. Höchst- Windenergie zur Stromgewinnung zur spannungsnetz (380/400 KV) den Re- Verfügung stehen, zum Abend und in der gionalnetzen und Stadtwerken als Ver- Nacht bewirkt verstärkt im Winterhalbjahr teilnetzbetreiber mit deren Mittel- und die sogenannte „Dunkelflaute“ ein Absin- Niederspannungsnetz (20 KV bis 230 V) ken der Stromgewinnung durch Solaran- mitteilen können, dass ein „unverzöger- lagen. Bislang kann die Stromnachfrage ter Lastabwurf“ in Stromkrisenlagen in- in Deutschland durch herkömmliche nerhalb von wenigen Minuten (evtl. noch konventionelle Kraftwerke und durch bis zu 30 Minuten bzw. zwei Stunden Vor- Stromzukauf aus dem Ausland (Nach- laufzeit) zu erwarten ist. Damit steigt der barländern) zeitnah gedeckt werden, Termindruck, in den wenigen verbleiben- bei Abschalten der klassischen fossilen den Minuten zu handeln und die ersten Kraftwerke wird dies zu Problemen einer richtigen Maßnahmen zu treffen. Bereits hohen Versorgungssicherheit führen, da in der Vergangenheit kam es immer wie- die Speicherkapazitäten bislang noch der in solchen „Mangellagen“ dazu, dass sehr begrenzt und neue Wasserkraftwer- größere Industrieunternehmen (hier: Alu- ke (Pumpspeicherbecken) nicht beliebig miniumhütten) als stromintensive Abneh- vermehrbar sind. Auch kann der Strom- mer kurzfristig vom Netz genommen wer- deckungsbedarf nicht unbegrenzt aus den, damit das gesamte Stromnetz sta- dem Nachbarausland gedeckt werden, bilisiert werden kann. Während dies über da die Nachbarländer aus ähnlichen Verträge und Kosten vorgeplant werden Gründen ggf. auch in einer Stromeng- konnte, sind landesweite Abschaltungen passlage sich befinden können. über mehrere Versorgungswaben bis- Derzeit stellen sich neben Großun- lang nicht in der Praxis erprobt worden ternehmen auch Kleine und Mittelstän- und kamen über den Status von simulier- dische Unternehmen (KMU, sowie Fa- ten Modellaktionen nicht hinaus. Es fehlt milienunternehmen) die speziellen und – leider oder Gott sei Dank – hier die Pra- existenziellen Fragen nach der auf per- xiserfahrung. manent „24/7“-Sicherheit, d. h. kann eine unterbrechungsfreie sichere Stromver-
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 81 sorgung über 24 Stunden am Stück am se in Deutschland vor zwei Jahren, als Tag, bei sieben Tagen die Woche (sowie Tankschiffe den Rhein nicht mehr befah- bei 365/366 Tagen im Jahr) sichergestellt ren konnten und einzelne Tankstellen kei- werden? Ist diese auch dann (noch) ge- nen Treibstoff mehr zum Verkauf hatten. währleistet, wenn in den nächsten Jahren Experten rechneten mit Kosten von einer die konventionellen Kraftwerke mit Stein- halben Mrd. Euro für Notmaßnahmen, und Braunkohlenverstromung nach und um Stromausfälle in diesen Phasen zu nach vom Netz gehen? Wie lassen sich verhindern und weiterführende notwen- Produktionsausfälle und Schäden selbst dige massive Eingriffe zu tätigen. bei meist nur kurzfristigen Stromausfäl- Oftmals wird das Risiko eines großflä- len von wenigen Sekunden bis zu drei chigen Ausfalls der Energieversorgung Minuten an Anlagen ausschließen und entweder relativiert oder aber verdrängt. wie sollten sich bereits heute die KMU, Bislang gibt es kaum schlüssige Kon- die keine kostenintensiven Investitionen zepte zur Bewältigung einer solchen in eigene Kraftwerke und Stromspeicher Krise. Da ein solcher „Super-GAU“ in ausführen können, für diese Zeit rüsten? Deutschland noch nicht flächendeckend Ein Stromausfall von wenigen Sekunden und langanhaltend eingetreten ist, fehlt kann bei Unternehmen schnell Produk- ein erlebtes Erfahrungswissen und die tionsausfallkosten von einigen hundert- Dimension des „Schreckensszenario“ tausend Euro bis hin zu einigen Millionen führt oftmals dazu, dass dieses wichti- Euro bewirken, im Extremfall die gesam- ge Thema verdrängt oder in den Bereich ten Produktionsanlagen nachhaltig be- des Unmöglichen a la Hollywood abge- schädigen oder gar zerstören. tan wird, nur um ein „Nichthandeln“ mit Zunehmend werden auch Unwetter- einem angepassten Krisenmanagement gefahren und die Auswirkungen eines zu rechtfertigen. Seit rund fünf Jahren Klimawandels als Faktoren für einen versucht man sich in Überlegungen und möglichen Blackout diskutiert. Die Hitze- Lösungen, den fehlenden Strom in den sommer der letzten drei Jahre von 2018 Netzen durch Notstromersatzaggregate bis 2020 haben uns gezeigt, dass es zu zu ersetzen. Dabei wirkt die Konzentrati- einem Absinken der Pegel in den Flüs- on auf den Notstrom auf den ersten Blick sen und Kanälen kommt, demzufolge wie eine logische Reaktion. Doch stellt die damit verbundenen Auswirkungen man bei genauerem Hinsehen schnell auf die Binnenschifffahrt zum Transport fest, dass man sich damit scheinbar in von Kohle und anderen Gütern für eine eine trügerische Sicherheit begibt. Verstromung zunehmen und gleichzeitig Ein anschauliches Beispiel für das das Medium „Wasser“ zum Kühlen von Handeln in Krisenlagen zeigt der Fall Kraftwerksblöcken nicht mehr in aus- einer Naturkatastrophe im Jahre 2014 reichendem Maße zur Verfügung stand, in Teilen Sloweniens. Ein extremer Eis-/ was letztendlich zu einer Reduzierung Schneeregen ließ die Stromversorgung in der Kühlleistung von Kraftwerksblöc- der Region Notranjska ausfallen. Studien ken geführt hat. In einzelnen Wochen im von Vertretern des österreichischen Bun- Hitzesommer arbeiteten die Deutschen desheeres zeigen sehr genau auf, wel- Stromnetze bereits am Rande ihrer Ka- che Auswirkungen ein Ausfall der Strom- pazität. Allen bekannt sind noch die versorgung mit sich bringt und welchen drastischen Verteuerungen der Spritprei- internationalen logistischen Aufwand
82 7. HANS-WALTER BORRIES man (für eine kleine Teilregion) betreiben Ersatzversorgung erreicht. Aus diesem musste. Über die Europäische Union und Grunde stellt sich die Frage, wie sähe deren Zivilschutzeinrichtungen ließen die Lage aus, wenn eine ganze Region sich über 170 Notstromaggregate in die von Deutschland oder mehrere Bundes- Krisenregion heranführen, die dann mit länder von so einem „Blackout“ betroffen Unterstützung der Stromversorgungs- wären? Welche Strommengen müssten unternehmen an die Trafostationen an- über Notstromaggregate geleistet wer- gebunden werden konnten (Pislar 2014). den und wie hoch wäre die Abnahmera- Beim Eintreffen eines solchen Ereignis- te bei den Verbrauchern, insbesondere ses darf man sich nicht darauf verlassen, beim stufenweisen Hochfahren der Net- dass genügend Notstromaggregate und ze? Wie sähe die sogenannte „Abnahme- vor allem auch ausreichend Betriebsstof- gier“, d. h. die evtl. kurzfristig überhöhte fe zur Verfügung stehen. Noch fataler Stromnachfrage der Verbraucher bei wäre es, darauf zu vertrauen, dass der Ankündigung der Widerherstellung der Staat und/oder alle BOS über genügend Stromversorgung, aus? Aggregate und Betriebsstoffe verfügen, Bis heute existieren keine Erkennt- um damit die gesamte Bundesrepublik nisse, wie viele NEA als Geräte mit wel- Deutschland im Bedarfsfall versorgen cher Größe und Leistung überhaupt in zu können. Leider ist bis heute keine Be- einem solchen Schadensfall benötigt standsanalyse durchgeführt worden, die würden. Untersuchungen einzelner Ge- den tatsächlichen Bestand an Notstro- fahrenabwehrpläne von Gebietskörper- mersatzaggregaten (NEA) und benötigte schaften (Landkreise, kreisfreie Städte) Betriebsstoffmengen als Teil eines „Logi- zeigen, dass selbst der Strombedarf für stischen Krisenmanagementkonzeptes“ wichtige Stadt-/Ortsteile mit Wohn- und auflistet. Arbeitsstätten sowie Einrichtungen, wie Analysiert man die Erfahrungen aus Krankenhäuser und Altenpflegeheime dem längsten und größten Stromaus- den Ordnungsbehörden, i. d. R. nicht fall in Deutschland, dem Stromausfall hinreichend bekannt sind. Während von über 5 bis 7 Tage während des sog. noch in Deutschland die Bauvorschriften „Schneechaos im West-Münsterland (im für Krankenhäuser/Kliniken den Einsatz November 2005)“ vor nunmehr rund 15 von NEA und eine Treibstoffbevorratung Jahren, der drei halbe Kreisgebiete von von bis zu 48 Stunden für die NEA ver- Borken, Coesfeld und Steinfurz mit rund bindlich vorschreiben, findet man keine 100.000 Haushalten und umgerechnet baulich-rechtlichen Bestimmungen für etwa 250.000 Einwohnern betraf, so zeigt die Errichtung und das Betreiben von sich, dass aus ganz Deutschland rund Altenpflegeeinrichtungen. Diese würden 80% aller in Deutschland verfügbaren in einer solchen Stromangellage massiv Aggregate des THW zum Einsatz kamen. betroffen sein. Im kalten Winter wären Die Kapazitäten mit NEA dürften zwar Evakuierungsmaßnahmen für so viele seit 2005 bei den BOS-Organisationen Heiminsassen kaum machbar, im Hitze- geringfügig erhöht worden sein, bei ei- sommer würde die Ventilation und Raum- nem Ausfall der Stromversorgung in fünf kühlung (Klimatisierung) zu einem gro- bis sechs Landkreisen (mit bis zu einer ßen Problem werden. In der Wechselwir- Million Einwohner und mehr) wäre aber kung eines Stromausfalls und einer damit sehr schnell die Leistungsgrenze zur resultierenden Wechselwirkung auf die
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 83 Wasserversorgung und speziell der Ab- ment für die Festlegung des Preises für wasserentsorgung würden nicht nur Al- den zu pumpenden Treibstoff überbrückt tenpflegeinrichtungen vor beträchtlichen werden, was nicht immer machbar ist. Problemen gestellt werden, auch die Nicht nur die Bevorratung in einigen Krankenhäuser/Kliniken und Kureinrich- zentralen oder in vielen dezentralen Tan- tungen würden ohne Trink- und Brauch- klagern wäre zu lösen, auch die Logistik wassertransport schnell an ihre Arbeits- und Versorgungskette, mit der man die grenzen stoßen, ganz zu schweigen von Betriebsstoffe zu den einzelnen Verbrau- der ausfallenden Abwasserentsorgung chern transportieren müsste, wäre in der und dem Ausströmen von Fäkalwasser Realität nur mit hohem Aufwand und ho- in höheren Stockwerken aus Waschbec- hen Kosten umzusetzen. Dabei wären ken und Toiletten. Erste Abstimmungsge- auch Themen wie die Absicherung von spräche mit den Energieversorgern auf solchen Einrichtungen vor Plünderern Stadtwerkeebene laufen derzeit in Pilot- und der sichere Transport vor ungewoll- projekten an, bedürfen aber noch einer ten Zugriff, zu hinterfragen, Themen die flächenhaften Ausdehnung auf das be- bislang nicht oder nur wenig öffentlich zur nachbarte Umland mit weiteren Gebiets- Diskussion gestellt wurden und für deren körperschaften. sichere Umsetzung die Polizeikräfte in Ähnlich schwierig dürfte die Lage bei Deutschland nicht verfügbar sind. Dies den Betriebsstoffen aussehen, ohne die würde ein Konzept von ausreichenden kein NEA laufen kann. Eine konkrete Ab- Tank-/Transportfahrzeugen hinterfragen, schätzung der benötigten und zur Verfü- die allesamt selber wieder mit Treibstoffen gung stehenden Treibstoffmengen (Die- versorgt werden müssten. Allein eine Be- sel, Benzin, Gas), die vor einer solchen rufsfeuerwehr einer größeren deutschen Krise notwendig wären, fehlt bislang und Stadt kann dabei auf Verbrauchsmengen bedarf einer raschen Umsetzung als Teil von ca. 10.000 Liter Treibstoff am Tag al- eines nachhaltigen Sicherheitskonzepts. lein für die „roten“ Feuerwehrfahrzeuge Dabei stellt sich die Frage nach einem kommen, noch nicht eingerechnet der vorsorglich geplanten Transport-Logi- Rettungsdienst mit Krankenfahrzeugen. stikwesen, wie diese wichtigen Güter Addiert man hierzu den täglichen Ver- in einer solchen Lage sicher abzurufen brauch an Treibstoff für Notstromaggre- wären. Werfen wir einen Blick auf die gate, die dann durchweg unter Volllast Tankstellensituation in Deutschland, die laufen würden, so käme eine größere allesamt auf eine verlässliche Stromver- Feuerwehr leicht auf zusätzliche 10.000 sorgung aus dem Netz angewiesen sind, bis 20.000 Liter Treibstoffbedarf am Tag. um den Treibstoff auch jederzeit fördern Treibstoffmengen, die zum Schutz vor zu können. In Deutschland existieren dem ungewollten Zugriff durch Dritte je- derzeit rund 14.000 Tankstellen, von de- derzeit im Bereich der Einsatzkräfte und nen nicht einmal 100 mit einer Notstrom- deren Dienststellen sicher zu lagern und versorgung ausgestattet sind. Moderne auch zu sichern wären. Um eine funktio- Tankstellen verfügen zwar häufig über nierende Notstromversorgung aufzubau- die Vorrichtung für den Anschluss eines en, ist es daher zwingend erforderlich, Aggregats, doch müssen auch hier erst schon lange vor der Lage ein entspre- entsprechende Geräte beschafft werden chendes schlüssiges Konzept zu erarbei- und zugleich das zentrale Preismanage- ten, um für die Krisenlage gewappnet zu
84 7. HANS-WALTER BORRIES sein. Vorhandene Notstromkonzepte be- dimentär in einzelnen Pilotuntersuchun- dürfen einer konsequenten Überprüfung gen zu finden. und Umsetzung in der Praxis, Aggrega- An der Universität Witten/Herdecke te einer regelmäßigen Überprüfung und (in NRW in Deutschland) wurde dazu im Wartung, um die Einsatzbereitschaft im Jahr 2020 eine Seminararbeit von Studie- Notfall zu gewährleisten. renden unter Leitung von Dr. Hans-Walter Solange davon auszugehen ist, dass Borries und Dipl.-Ing. Peter Winkel (beide schlüssige Konzepte für die Resilienz Lehrbeauftragte an der Universität) zum während eines Blackouts in Deutsch- Thema „KRITIS – der Schutz kritischer In- land nicht über den Status von Pilotun- frastrukturen eines Katastrophenfalls aus tersuchungen und Forschungswerken der Perspektive „Rathaus“ durchgeführt. hinausgehend vorliegen, wäre es für alle Exemplarisch zeigen die folgenden Ta- Krisen- und Verwaltungsstäbe von Ge- bellen einmal die Notwendigkeit zur Vor- bietskörperschaften absolut notwendig, planung der Kapazitäten von NEA sowie bereits im Vorfeld sinnvolle Strategien zu zum Umfang der bereitzuhaltenden Men- erarbeiten, die helfen, eine solche Krise gen an Treibstoffen und an Lebensmittel abzufedern. Diese wichtigen Untersu- für die Mitglieder eines Krisen-/Notfall- chungen sind bisher immer noch sehr ru- stabes. Tabelle 2. Strom- und Energiebedarf eines Krisenstabs in den Räumlichkeiten des Rathauses. Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020).
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 85 Tabelle 3. Strom- und Energiebedarf eines Krisenstabs in den Räumlichkeiten des Rathauses Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020). Tabelle 4. Nahrungsmittelversorgung von Mitarbeiter/innen eines Krisenstabes im Rathaus Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020). Von den Bedrohungen und Gefahren, wiegen, dass neben den Alten- und Pfle- die ein solches Ereignis für die Sicherheit geheimen, speziell für die Dialyse- sowie der Gesellschaft mit sich bringen dürf- Beatmungspatienten und auch Apothe- te, muss hier ausdrücklich auch auf die ken (zum Kühlen wichtiger Medikamente) Gefahren für den medizinischen und vor keine solchen gesetzlichen Mindestvor- allem für den Pflegebereich hingewiesen gaben (Notstromaggregate, Treibstoff- werden. Zwar verfügen wie zuvor schon mengen, Anschlüsse für externe Strom- beschrieben aufgrund von gesetzlichen versorger) vorgeschrieben sind. Vorgaben Krankenhäuser über eine Auch müssen alle Verwaltungsgebäude entsprechende Ausstattung mit Not- im Sinne von Rathäusern, Kreishäusern stromversorgungsaggregaten, die einen und Feuerwachen mit einer autarken und Grundlastbetrieb ausgewählter Bereiche leistungsstarken Strom- und Wasserver- von bis zu zwei Tagen gewährleisten sol- sorgung ausgestattet werden. len. Doch schwerer dürfte die Tatsache
86 7. HANS-WALTER BORRIES Tabelle 6. Priorisierung von Maßnahmen zur Schutzausstattung von Krisenstabsgebäuden. Quelle: Laura Grasborn, Lars-Hendrik Harsveld und Ferdinand Picard (2020). Es ist daher zu fordern, so rasch wie an oder mit dem Corona-Virus verstor- möglich von allen mit Sicherheitsfragen benen Bundesbürgern und einem hohen beschäftigten Stellen ein länderüber- volkswirtschaftlichen Milliardenschaden, greifendes, schlüssiges Gesamtkonzept der erst in den nächsten Jahren in sei- zur Bewältigung der neuen Gefahrenla- ner Gesamtheit sichtbar werden wird, ist ge eines Blackouts und dessen Auswir- eine „Katastrophe“ schnell beschrieben. kungen auf die KRITIS-Einrichtungen zu Käme es aber zu einem Blackout, un- erarbeiten. Krisen-/Verwaltungs- oder abhängig ob als Ursache ein Cyberan- Katastrophenschutzstäbe von Behörden griff auf Strom(netz)versorger oder ein und Unternehmen sollten sich hierzu un- Naturereignis dahintersteckt, dann träte tereinander abstimmen und einen offe- die Katastrophe binnen weniger Stunden nen Dialog führen. bzw. binnen zwei Tage ein. Vorsichtige Der mögliche Fall eines „Blackouts“, Schätzungen, z. B. aus dem Forschungs- der uns heute manchmal als Illusion vorhaben von Tanknotstrom gehen allein der Apokalypse erscheint, die niemand von 600 Millionen Euro Schadensausfall- herbeireden möchte, die aber schnel- kosten pro Stunde zur Mittagszeit aus, ler als gewollt eintreten kann, sollte aus bei mehreren Tagen Dauer eines Black- den Erfahrungen des Umgangs mit dem outs dürften die Volkswirtschaft in ein Eintreten der Corona-Pandemie in Re- Milliardenloch ungeahnten Ausmaßes lation gesetzt werden. Versagt – wie im fallen, abgesehen davon, dass die Bür- Falle der Corona-Pandemie – ein Prä- gerinnen und Bürger nicht mehr versorgt ventionskonzept oder findet es im Vor- werden könnten und Randgruppen wie feld der Krise keine ausreichende Be- Kranke und ältere Mitmenschen diesen achtung, so nehmen die Auswirkungen Katastrophenfall nur schwerlich überle- in der Krisenlage schnell den Charakter ben dürften. Dies wäre sicherlich von der einer „Katastrophe“ ein. Mit heute (in Kürze der Zeit, die das Schadensaus- Deutschland im April 2021) über 80.000 maß zur Wirkung führt, der gravierende
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 87 Unterschied zu einer Pandemielage sein, Was gilt es daher zu tun, um mit einer wie sie derzeit seit über einem Jahr in weit vorausschauenden Präventions- und Deutschland anhält. Der Blackout würde Krisenmanagementstrategie Vorsorge für binnen weniger Tage ein Industrieland den Fall der Fälle zu treffen? wie die Bundesrepublik Deutschland Zuerst einmal sollten beide Schadens- in das Stadium eines vorindustriellen lagen, Blackout und Pandemie in ihrer Di- Agrarlandes (vergleichbar im Mittelalter) mension der wahren Eintrittswahrschein- zurückwerfen. lichkeit und ihren Auswirkungen (Risiko- analyse) auf alle neun KRITIS-Bereiche überprüft und hinterfragt werden. Foto. „Krisenmanagement darf nicht so laufen ...“ (Hans-Walter Borries) Beide Schadenslagen, Pandemie und Vorsorgemaßnahme wie die Beschaf- auch Blackout-Schadenslagen sind lei- fung von ausreichend Versorgungsgü- der vielfach für die Entscheidungsträger tern, ein entsprechendes Logistikkonzept von Krisen-/Notfallstäben eine unbe- zum Einlagern und Verteilen dieser Gü- kannte Schadenslage, die man weder ter an die betroffenen Bevölkerungsteile – direkt sieht, vorsehen. Zugleich müssen Strategien – oder unmittelbar spürt, für ein strategisches Krisenmanagement – und über die man keine Erfahrungen erarbeitet werden, für den Fall, dass die hat. Präventionsmaßnahmen nicht zu 100% Alles spielt sich im Bereich von „Ver- das Schadensereignis abwehren und mutungen, Prognosen“ ab! Man muss dass – wie im Falle der Corona-Lage Experten vollständig glauben und er- – der Schadensfall eintritt und länger an- kennt in sich Widersprüche und auch die hält. Die Erkenntnisse aus der laufenden Zurücknahme von früheren Statements Pandemie müssen analysiert und auf kann zu einer nachhaltigen Verunsiche- den Fall Blackout-Prävention und -Inter- rung führen. Dies gilt es immer abzuwä- vention übertragen werden. Parallel zu gen und zu bewerten. Daran anschließen diesen Maßnahmen sollten alle mit der sich Präventionskonzepte, die sowohl Krisenbewältigung betroffenen Einrich-
88 7. HANS-WALTER BORRIES tungen und Institutionen (speziell alle o plan, plans o fail“) wäre es ratsam, lie- BOS-Organisationen) für den Ernstfall ber heute als morgen das Szenario an- „gehärtet“ werden. Dies meint, dass hier zugehen, denn übermorgen könnte es die Vorsorgemaßnahmen in Form von bereits zu spät sein. NEA für Stromerzeugung mit ausreichen- denden Vorräten an Treibstoffmenge, Fazit ausreichend Wasser für die Trinkwasser Blackout und Pandemie können – wenn und Abwasserentsorgung bereit zu hal- Sie eintreten und eine Prävention versagt ten sind. Neben der Seite der Vorsorge hat – sowohl Unternehmen als auch das einer materiellen Ausstattung gilt es das öffentliche Leben nachhaltig treffen und Führungs- und Funktionspersonal hin- zu hohen Todesraten und Milliarden an sichtlich der Schadensfälle und einer Schadenssummen führen. Der vorliegen- strategischen sowie operativ-taktischen de Aufsatz zeigt gewisse Parallelen aus Bewältigung zu trainieren. Dies geht nur der vorherrschenden Corona-Virus-Lage durch spezielle Ausbildungsvorhaben und einem Mangel an Präventionsmaß- möglichst in deren Liegenschaftskonzep- nahmen im Vorfeld auf, die bei einem ten („Inhouse“-Schulungen vor Ort) und langanhaltenden Stromausfall im Sinne der Kernaufgabe dem „Üben“ solcher eines Blackouts noch gravierendere und Schadenslagen als wichtiger Bestandteil härtere Schäden verursachen könnten. von immer wiederkehrenden Katastro- Es müsste daher Ziel eines strategisch phenschutzübungen. Zu prüfen wäre, ob ausgerichteten Krisenmanagements und der Einsatz von „Künstlicher Intelligenz Präventionsplanung sein, schon jetzt vor (KI)“ hier eine sinnhafte Anwendung fin- einer Krise – und nicht dann erst in der den kann, um Entscheidungsfindung und eingetreten Krisenlage – die Auswirkun- Entscheidungsprozesse transparenter gen der möglichen Schadenslage in der und zielgerichteter auf die „richtige“ Ide- Krise zu erkennen und weitgehend ab- allösung hin zu führen und Handlungsal- zufedern, damit diese Lage sich nicht zu ternativen besser prüfen zu können. einer Katastrophe entwickelt. Hierzu wer- Im Allgemeinen gilt, dass die Mitglieder den erste Handlungsempfehlungen ge- von Krisen-/Verwaltungsstäben sowie reicht, die von Vorsorgemaßnahmen, z. von Einsatzleitungen sich in Ausbildun- B. Materialbeschaffung, bin hin zu Schu- gen und Übungen mit realistischen Lage- lungs- und Übungskonzepten für mit der meldungen der Thematik „langanhalten- Schadenslage beauftragte Führungs- der Stromausfall als möglicher Blackout und Funktionskräfte in Krisen- und Not- und seine Auswirkungen auf die Kriti- fallstäben reichen. sche Infrastruktur“ beschäftigen sollten. Hieraus lassen sich vier Kardinalforde- Aufgrund der langanhaltenden Pandemi- rungen und Anforderungen an ein gutes elage werden in Sachen „Seuchen/Pan- und angepasstes Krisenmanagement demien“ wichtige Erfahrungen gemacht definieren: werden und bei einer Postvention die 1. Analyse der vorhandenen Alarmie- richtigen Rückschlüsse zum Umgang mit rungs- und Notfallpläne sowie vor- Entscheidungen zur Krisenbewältigung handener Pandemie- und Hygiene- hoffentlich gefunden werden. Im Sinn ei- schutzkonzepte einschließlich von nes Spruches „wer den Erfolg nicht plant, Blackout-Vorsorgemaßnahmen; plant den Misserfolg“ („he who failst
KRISENMANAGEMENT FÜR BLACKOUT-SZENARIEN... 89 2. Aufzeigen und Bewerten der bis- gen und Rückmeldungen von her eingeleiteten Maßnahmen in nächst höheren Organisationen; Verwaltung und Unternehmen mit f) Prüfung der durchgeführten Pres- deren Krisen-/Notfallstäbe anhand se- und Öffentlichkeitsarbeit und von Fakten (getätigte Maßnahmen der Rückmeldung von Bürgerin- des Krisenmanagements, Ziele und nen/Bürgern und Kunden; erreichte Zwischenschritte im Verhält- g) Überlegungen zum effektiven Ein- nis zum Einsatz der Mittel (u. a. Per- satz von Stabs- und Führungs- sonal) und den Kosten); systemen (Technikeinsatz) und 3. Bewertung der Effektivität der ge- ob sich dadurch kurzfristig auch troffenen Entscheidungen und der sichere Entscheidungen ableiten eingeleiteten Maßnahmen zum Kri- lassen (erste Überlegungen zum sen-/Notfallmanagement. Einsatz von „KI“); a) Beurteilung, ob bestehende Pan- h) Generelles Abwägen, was hat „gut“ demie-/Hygieneschutzpläne und funktioniert und welche Maßnah- Blackout-Vorsorgepläne entspre- men bzw. Handlungen haben „er- chend angewandt wurden; schwerend“ und/oder sogar „hin- b) Vorschläge zur Besetzung der be- derlich“ für das Krisen-/Notfallma- stehenden Krisen-/Notfallteams nagement gewirkt. (Struktur des Krisen- und Notfall- 4. Folgerungen für ein zukünftiges stabes); optimiertes Krisen- und Notfallma- c) Überprüfung der Zielvorgaben für nagement den Business-Continuity-Plan und a) Abwägung der bestehenden und des Grades dessen Umsetzung in sich wandelnden Risiken weiterer der Praxis; Gefahrenlagen (und deren Verän- d) Prüfung der Entscheidungsgrund- derungen); lagen, auf deren Basis Entschei- b) Aufzeigen von konkreten Hand- dungen auch im Verhältnis zur lungsoptionen mit Schwerpunkt Kompetenz getroffen wurden; auf neue „Chancen“, die sich aus e) Reaktion auf außergewöhnliche, der derzeitigen Krise für Verwaltun- nicht vorhersehbare Entwicklun- gen und Unternehmen ergeben. Tabelle 7. Muster für ein angepasstes Krisenmanagement in einer Pandemie-Lage. Quelle: eigene Darstellung.
90 7. HANS-WALTER BORRIES Unter Anwendung der o. g. vier Punkte Petermann, Thomas und Harald Brad- und dem spezifischen Ableiten von ge- ke, Arne Lüllmann, Maik Poetzsch und meinsamen Vorstellungen zu vorhande- Ulrich Riehm (2010): Gefährdung und nen und neuen strategischen Überlegun- Verletzbarkeit moderner Gesellschaften gen können Verwaltungen/Behörden so- – am Beispiel eines großräumigen Aus- falls der Stromversorgung, Endbericht wie Unternehmen besser für die Zukunft November 2010 Arbeitsbericht Nr. 141, aufgestellt werden und werden somit in TAB Studien, Berlin. die Lage versetzt, gestärkt auf Krisenla- Pislar, Marko (2014): Blackout in Sloweni- gen reagieren zu können. en. Erster Teil, In: Truppendienst. Maga- zin des Österreichischen Bundesheeres, Literatur 340, 4. Borries, Hans-Walter (2018): Schutz kriti- Priorisierung im Kontext Kritischer Infra- scher Infrastrukturen – Ein Gebot unse- strukturen – Kriterien und Vorgehenswei- rer Zeit. In: Rathausconsult, Heft 1/2018, se. Stand 01-2021, Bonn. S. 33-36. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – aktuelle und ältere Onlineveröffentlichungen und Pu- blikationen (Downloads) sowie Seiten zum Thema „KRITIS“ und Quartalshefte. Drucksache 17/12051 vom Deutschen Bundestag vom 3.01.2013 zur Unter- richtung durch die Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfrakti- on in einem Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 mit dem Titel „Risikoanalyse Pandemie durch Virus Modi-Sars“. Grasborn, Laura und Lars-Hendrik Hars- veld und Ferdinand Picard (2020): KRI- TIS – der Schutz kritischer Infrastrukturen. Betrachtung eines Katastrophenfalls aus der Perspektive Rathaus. Forschungsar- beit für das Seminar „Sicherheit der Ener- gieversorgung – die Energieversorgung im Wandel und aktuelle KRITIS-Gefah- ren“ an der Universität Witten/Herdecke, betreut von Dr. Hans-Walter Borries und Dipl.-Ing Peter Winkel als Dozenten des Seminars. Identifizierung im Kontext Kritischer Infra- strukturen – Kriterien und Vorgehenswei- se. Stand 01-2021, Bonn. Köppe, Mario (2020): „Als in Köpenick das Licht ausging“ – ein Erfahrungsbe- richt. In: BBK Bevölkerungsschutz, Heft 1/2020, S. 18-19.
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