Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung - Gabriel Felbermayr* und Holger Görg - De Gruyter
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Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2020; aop Gabriel Felbermayr* und Holger Görg Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung https://doi.org/10.1515/pwp-2020-0025 des Personenverkehrs verordneten und ab Ende Januar im ganzen Land Ausgangssperren und Quarantänen verhäng- Zusammenfassung: In diesem Artikel erörtern Gabriel ten. Dies betrifft auch wirtschaftliche Aktivitäten, da viele Felbermayr und Holger Görg die weltwirtschaftlichen Im- Produktionsstätten des verarbeitenden Gewerbes, aber plikationen der Covid-19-Pandemie. Ausgehend von der auch zahlreiche Dienstleistungsbetriebe (Einzelhandel, Beobachtung, dass sich die Globalisierung in den zurück- Gaststätten etc.) geschlossen wurden, um mögliche Kon- liegenden zehn Jahren merklich verlangsamt hat, stellen takte zwischen Einzelpersonen zu reduzieren und die wei- sie dar, wie sich die Covid-19-Pandemie auf China – das tere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Ähnliche, wenn Herzstück vieler globaler Wertschöpfungsketten – aus- auch nicht unbedingt gleich restriktive Maßnahmen wur- wirkt und welche Folgen dies wiederum für andere Länder den in den meisten anderen betroffenen Ländern ab Mitte in der Kette hat – insbesondere auch Deutschland. Es folgt März ebenfalls verhängt. Diese Einschränkungen der per- eine Diskussion darüber, ob und wie die Globalisierung sönlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten werden als resilienter gestaltet werden kann. Der Artikel schließt mit „Lockdowns“ bezeichnet. wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind im Moment nur schwer abschätzbar, sollen jedoch im Wei- JEL-Klassifikation: F60, F50, I18 teren näher erläutert werden. Dabei kommt der interna- Schlüsselwörter: Covid-19, Globalisierung, globale Liefer- tionalen Dimension des Problems hier besondere Bedeu- ketten, internationale Arbeitsteilung, Handel tung zu. 1 Einleitung 2 Die internationale Arbeitsteilung Der Dezember 2019 wird vielen Menschen in Erinnerung vor Corona bleiben als derjenige Monat, in dem in China die ersten Infektionen mit dem damals noch unbekannten Coronavi- Schon lange vor der Corona-Krise ist die Globalisierung – rus SARS-CoV-2 begannen. Der erste Fall wurde in Wuhan, charakterisiert durch ein schnelleres Wachstum interna- Provinz Hubei, gemeldet. Die Zahl der Infektionen (die tionaler Transaktionen relativ zu heimischen – in eine auch als Covid-19 bezeichnet werden) stieg zuerst langsam Phase der Verlangsamung eingetreten. Während manche an, breitete sich im ganzen Land aus und lag Ende Januar Beobachter das Wort von der Deglobalisierung im Munde 2020 bei 12.000 und einen Monat später bei 80.000. Ab führen, ist der Terminus der „Slowbalisation“, eine Wort- Mitte Januar breitete sich der Virus auch schnell in ande- schöpfung des britischen Wochenblattes The Economist ren Ländern und Erdteilen aus; am 11. März 2020 rief die (2019), wohl treffender. In der Tat hat sich nach der großen Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine globale Pande- internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 mie aus. Bis 29. April 2020 wurden mehr als drei Millionen eine lange währende Phase der Globalisierung der Güter- Fälle von Covid-19 rund um den Globus bestätigt. Die Ver- märkte in eine Phase der Stagnation verwandelt. einigten Staaten haben mit mehr als 1,1 Millionen Fällen Abbildung 1 zeigt einen Indikator der Offenheit, der die mit Abstand höchste Zahl an bestätigten Infektionen, einen preisbereinigten Index der globalen Güterimporte gefolgt von europäischen Ländern wie Spanien, Italien, auf einen Mengenindex der industriellen Produktion be- Frankreich, Großbritannien und Deutschland. zieht. Dieser Index zeigt kurz nach dem Zusammenbruch Die chinesischen Behörden reagierten auf den Aus- der Investmentbank Lehman Brothers einen Struktur- bruch der Infektionen, indem sie strenge Einschränkungen bruch. Vor der Krise stieg der Index stark; das Wachstum der Importe überstieg jenes der Industrieproduktion jähr- lich um durchschnittlich 3 Prozentpunkte. Danach gab es *Kontaktperson: Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft, Kiellinie 66, 24105 Kiel, E-Mail: felbermayr@ifw-kiel.de keinen messbaren Unterschied zwischen den beiden Holger Görg, Institut für Weltwirtschaft, Kiellinie 66, 24105 Kiel, Wachstumsraten mehr, und der Index bewegte sich seit- E-Mail: holger.goerg@ifw-kiel.de wärts, mit einem leicht negativen Trend. Der Begriff „De-
2 Gabriel Felbermayr und Holger Görg Abbildung 1: Index der globalen güterwirtschaftlichen Globalisierung seit 2000 Anmerkungen: Der Globalisierungsindex wird als Quotient des Mengenindex der globalen Importe (mgz_w1_qnmi_sn) durch die globale Industrieproduktion (importgewichtet; ipz_w1_qnmi_sm) berechnet; Oktober 2008 ist auf 100 normiert. Quelle: Centraal Planbureau (CPB), niederländisches Zentrum für wirtschaftspolitische Analysen, eigene Berechnungen und Darstellung globalisierung“ ist irreführend, weil trotz der Stagnation heimischen Wertschöpfung der Exporte Deutschlands, der des Globalisierungsindex der Welthandel zwischen 2009 Vereinigten Staaten und Chinas. In allen Ländern ist dieser und heute deutlich wuchs. Im Unterschied zur Periode der Anteil seit 2011 gestiegen. Dies bedeutet, dass auslän- Hyperglobalisierung 1990 bis 2008 (Rodrik 2011) wuchs dische Vorprodukte für die Produktion der heimischen der Handel aber nicht schneller als die Industrieprodukti- Güter tendenziell weniger wichtig geworden sind.1 Beson- on. ders ausgeprägt war dies in China, das mindestens seit Dieser Trend wurde vermutlich von verschiedenen 2005 – und wahrscheinlich schon sehr viel früher – eine Einflussfaktoren getrieben. Wie Evenett (2019) zeigt, hat es sehr aktive Politik der Steigerung der heimischen Wert- seit der großen Krise eine zuerst schleichende, und in den schöpfungsanteile verfolgte. Weil China ein so großes Ge- jüngeren Jahren eine sehr explizite Rückkehr protektionis- wicht in der Weltwirtschaft besitzt, prägt seine Politik auch tischer Politik gegeben. In den frühen Jahren dieser Ära die globale Situation. Die beiden Abbildungen zeigen sehr fanden industriepolitische Instrumente wie die Bestim- klar, dass sich die Weltwirtschaft schon seit ungefähr zehn mungen des „Buy American Act“ im Konjunkturprogramm Jahren – beginnend deutlich vor dem Amtsantritt von Prä- 2009 von Präsident Barack Obama sowie Handelsschutz- sident Trump – in einem neuen Modus befindet, in dem instrumente wie die Antidumpingzölle der Europäischen internationale Transaktionen nicht stärker wachsen als Union Verwendung. Seit dem Amtsantritt von Donald inländische. Trump als Präsident der Vereinigten Staaten steigen nach Während die Dynamik des Güterhandels in den zu- einer Jahrzehnte andauernden Reduktion die globalen rückliegenden zehn Jahren eine deutliche Entschleunigung Durchschnittszölle wieder an (Evenett und Fritz 2019). Be- erfuhr, wuchs der internationale Dienstleistungshandel feuert wird diese Dynamik sowohl durch wachsendes deutlich schneller. Ähnliches kann für die Dynamik ande- Misstrauen zwischen China und den Vereinigten Staaten rer Dimensionen der Globalisierung – grenzüberschreiten- als auch durch den verstärkten Einsatz außenwirtschaftli- de Datenströme, internationaler Tourismus – gesagt wer- cher Instrumente zur Verfolgung machtpolitischer Ziele den, wie das Magazin The Economist (2019) gezeigt hat. (vgl. Harris und Blackwill 2017). Dazu kommt, dass die Welthandelsorganisation (WTO) seit ihrer Gründung 1995 wiederholt damit gescheitert ist, das globale System von Handelsregeln zu modernisieren (Felbermayr 2018). Die schwächere Dynamik des Welthandels ging im 1 Dafür wird angenommen, dass der Wertschöpfungsanteil der sek- zurückliegenden Jahrzehnt mit einer Verkürzung der Wert- toralen Exporte eines Landes in einem Jahr dem seiner Güterprodukti- schöpfungsketten einher. Abbildung 2 zeigt den Anteil der on entspricht.
Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung 3 schaftlichen Aktivitäten im Land mit sich brachte. Die ne- gativen Auswirkungen auf die Wirtschaft zeigen sich in den Daten zur Industrieproduktion in China. Wie aus Abbil- dung 3 ersichtlich ist, ist diese im Januar und Februar zusammengenommen um 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken.2 Dieser Produktionsrückgang ist schwerwiegend, insbesondere wenn man ihn in eine länge- re Perspektive stellt: Weder der SARS-Ausbruch 2002/2003 noch die Finanzkrise 2008/2009 waren mit einem derart starken Einbruch der Industrieproduktion verbunden. Glei- ches gilt für Chinas Bruttoinlandsprodukt, das nach offi- Abbildung 2: Anteil heimischer Wertschöpfung am Wert der Exporte (in Prozent) ziellen Angaben im ersten Quartal 2020 um 6,8 Prozent im Anmerkung: Die Werte für die Krisenjahre 2009 und 2010 wurden Vergleich zum Vorjahr gesunken ist. Es handelt sich um interpoliert. den ersten Rückgang, den China seit Beginn der Veröffent- Quelle: OECD Trade in Value Added Statistics, eigene Berechnungen lichung dieser Zahlen im Jahr 1992 verzeichnet hat. Seither und Darstellung war die chinesische Wirtschaft nie weniger als 6 Prozent pro Jahr gewachsen. 3 Corona – Gefahr für Globale Wertschöpfungsketten Dass sich der Globalisierungsprozess in den zurückliegen- den Jahren entschleunigt hat, ändert nichts an der zentra- len Rolle Chinas in den globalen Wertschöpfungsketten, in denen Rohstoffe und Zwischenprodukte aus verschiede- nen Ländern zur Verarbeitung um den Globus verschifft, an einem weiteren Standort montiert, und die fertigen Pro- dukte schließlich an Endverbraucher sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungs- und Schwellenländern expor- tiert werden. In solchen globalen Wertschöpfungsketten spielt China dabei zum Beispiel als Primärproduzent ver- schiedener Produkte und Komponenten eine Rolle, als Großabnehmer globaler Rohstoffe und Zwischenprodukte zur weiteren Verarbeitung und Montage sowie als bedeu- tender Markt für Konsum- und Investitionsgüter. Foxconn, ein Auftragshersteller für Elektronik, ist ein bekanntes Beispiel, das die Position Chinas in globalen Abbildung 3: Industrieproduktion und Bruttoinlandsprodukt in China Wertschöpfungsketten illustriert. Seine auf dem chinesi- Anmerkungen: Monatliche Daten der Industrieproduktion, schen Festland ansässigen Montagewerke produzieren für saisonbereinigt, in konstanten Dollar von 2010. Veränderung viele global führende Elektronikunternehmen, darunter gegenüber dem Vorjahr. Quelle: China National Bureau of Statistics Apple, Intel und Sony. Dazu werden Rohstoffe und Zwi- schenprodukte aus verschiedenen Ländern importiert und die weiterverarbeiteten Produkte in alle Welt exportiert. Zwar hat man im März damit begonnen, die Produktion Die Pandemie sowie die zur Eindämmung der Weiter- wieder hochzufahren. Dennoch wirkt sich ein solcher Ein- verbreitung ergriffenen Maßnahmen haben negative Aus- bruch der Wirtschaftsleistung in dem Land, das oft als wirkungen auf die Wirtschaft im Allgemeinen und globale „verlängerte Werkbank der Welt“ bezeichnet wird, not- Wertschöpfungsketten im Speziellen. Dabei können zwei wendigerweise auf globale Wertschöpfungsketten aus. Phasen unterschieden werden: der Ausbruch des Virus in China, und die Weiterverbreitung in aller Welt. Die erste Phase geht zurück auf den Ausbruch von 2 Wegen des chinesischen Neujahrsfests publizieren die Behörden in COVID-19 in China, der erhebliche Rückgänge der wirt- China nur Zahlen für Januar und Februar zusammen.
4 Gabriel Felbermayr und Holger Görg Abbildung 4: Entwicklung der chinesischen Exporte und Importe für ausgewählte Produkte (in Prozent) Anmerkung: Nominale Exporte und Importe des 1. Quartals 2020 für ausgewählte Güter(-gruppen) im Vorjahresvergleich. *Importzahlen liegen noch nicht vor. Quelle: General Administration of Customs, China Dass der Produktionsrückgang auch mit einem starken desamts im Februar 2020 insgesamt um 2,9 Prozent im Ver- Schrumpfen der internationalen Handelsströme verbun- gleich zu Februar 2019 gesunken, während die Ausfuhren den ist, illustriert die Position Chinas im Zentrum vieler um 0,4 Prozent gestiegen sind. Exporte nach China sind globaler Wertschöpfungsketten. Die Importe des Landes gegenüber Februar 2019 um 8,9 Prozent gefallen, die Im- sanken im Januar und Februar um 4 Prozent in Dollar porte aus China sanken um 12,0 Prozent. Im Vergleich dazu gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, während sind im Handel mit EU-Länder die Exporte um 0,8 Prozent die Exporte im gleichen Zeitraum um 17 Prozent zurück- gestiegen, während die Importe um 1,9 Prozent gefallen gingen, so die offizielle chinesische Handelsstatistik. Im sind.4 März betrug der Rückgang der Ausfuhren nur noch 6,6 Eine Aufgliederung der Handelsdaten nach Güter- Prozent, der Rückgang der Einfuhren 0,9 Prozent. gruppen zeigt, dass Deutschlands Importe aus China an Wie aus Abbildung 4 ersichtlich, sind deutliche Rück- Vorleistungsgütern mit rund 17 Prozent die schwersten gänge der Importe bei Produkten zu verzeichnen, die als Rückgänge im Vorjahresvergleich zu verzeichnen haben, Zwischenprodukte in der Produktion verwendet werden, wobei Investitionsgüter, Ver- und Gebrauchsgüter eben- wie z. B. elektronische und elektrische Produkte und Auto- falls an Handelsvolumen verloren haben. Am stärksten mobilteile. In ähnlicher Weise sind auch die Exporte dieser sind die Ausfuhren nach China im Bereich der Investitions- Waren sowie die Ausfuhren von Textilien und Bekleidung güter gesunken. stark zurückgegangen.3 Die negativen Auswirkungen des Ausbruchs der Pan- Der Einbruch der Produktionstätigkeit in China, dem demie in China werden in einer zweiten Phase dadurch Herzstück vieler globaler Wertschöpfungsketten, hat Aus- multipliziert, dass wegen der globalen Weiterverbreitung wirkungen auf Produzenten und Verbraucher in Ländern des Virus nun ähnlich wie China auch viele andere Länder auf den vor- und nachgelagerten Stufen. In Deutschland Lockdown-Maßnahmen treffen. Dadurch kommt es zu wei- sind die Einfuhren nach Angaben des Statistischen Bun- teren Produktionsstopps in vielen Ländern, die Zwischen- produkte produzieren, was wiederum dazu führt, dass die- 3 Die in der Abbildung enthaltenen Produkte sind solche, für die Chinas Bedeutung in globalen Wertschöpfungsketten besonders hoch 4 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/04/ ist, siehe UNIDO 2018. PD20_125_51.html.
Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung 5 Abbildung 5: Nominaler bilateraler Handel Deutschland-China nach ausgewählten Gütergruppen Anmerkung: Veränderung gegenüber Vorjahr in Prozent Quelle: Destatis, Aus- und Einfuhr (Außenhandel) se für die Weiterverarbeitung in anderen Ländern fehlen, ketten aktiv sind – signifikant zurückgehen werden. Die wo noch oder wieder produziert wird. Weiterhin verursa- UNCTAD schätzt, dass diese, ähnlich wie der Handel, chen die Produktionsstopps und der Nachfragerückgang durch die Pandemie um rund 30 bis 40 Prozent schrump- für viele Dienstleistungen, zum Beispiel in der Gastrono- fen werden. Besonders betroffen sind dabei Investitionen mie, Arbeitsplatzverluste und Einkommenseinbußen für durch Mergers & Acquisitions; hier geht UNCTAD von viele Beschäftigte. Dies führt zu einem Rückgang der aggre- einem Rückgang von 70 Prozent aus. Gleichzeitig haben gierten Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. multinationale Unternehmen UNCTAD-Angaben zufolge ihre Gewinnerwartungen durch ausländische Investitio- nen um rund 30 Prozent nach unten revidiert. Am pessi- mistischen eingeschätzt wird die Lage in Industrieländern, 4 Auswirkungen auf Handel und insbesondere in den Vereinigten Staaten und Europa; hier Investitionen wurden die Gewinnerwartungen im Durchschnitt um 35 Prozent nach unten angepasst. Am schwersten betroffen Es ist natürlich noch zu früh, um die Auswirkungen der ist neben der Energiewirtschaft und der Luftfahrtindustrie durch die Coronavirus-Pandemie verursachten Lockdowns vor allem die Automobilindustrie, die ihre Gewinnerwar- vollständig zu quantifizieren. Es gibt jedoch erste Anzei- tungen um 47 Prozent reduziert hat.6 chen und Schätzungen, dass diese substanziell ausfallen Auch Deutschland wird nicht ungeschoren davon- könnten. Die WTO geht gemäß einer aktuellen Studie da- kommen. Nach einer Umfrage des DIHK von deutschen von aus, dass der Welthandel in diesem Jahr um rund ein Unternehmen im Ausland erwarten 79 Prozent der befrag- Drittel geringer ausfallen wird als ohne die Krise.5 Eine ten Unternehmen Umsatzeinbußen. 58 Prozent gehen von Umfrage unter Repräsentanten von Sonderwirtschafts- einem Rückgang der Nachfrage aus, während 47 Prozent zonen in aller Welt zeigt, dass 90 Prozent bereits spürbar mit einer Verschiebung oder Streichung von geplanten durch den Ausfall von Handel infolge der Pandemie be- Investitionen rechnen. Damit verbunden erwarten rund troffen sind (Gern und Mösle 2020). ein Drittel der Unternehmen durch die Pandemie ver- Es zeichnet sich ebenfalls bereits ab, dass auslän- ursachte Liquiditätsengpässe.7 dische Direktinvestitionen – ein wichtiges Vehikel multi- nationaler Unternehmen, die in globalen Wertschöpfungs- 6 https://unctad.org/en/PublicationsLibrary/diaeiainf2020d3_en. pdf. 7 https://www.dihk.de/resource/blob/22910/886 f.12e661aed87cf4c 5 https://news.un.org/en/story/2020/04/1061342. 0889d4c96 f.6/ahk-world-business-outlook-fruehjahr-2020-data.pdf.
6 Gabriel Felbermayr und Holger Görg Bedeuten diese Befunde, dass die Globalisierung der haben, ein Anreiz, anderen Versicherten, die einen Scha- Produktionsnetzwerke zu weit gegangen ist, weil sie die den erlitten haben, die Auszahlung zu verweigern. Die Verletzlichkeit der Weltwirtschaft vergrößert hat? Vorteile der Versicherung werden erst sichtbar, wenn man selbst von einem Schadensfall betroffen ist. Dies stellt aber die Sinnhaftigkeit der Versicherung ex ante, sozusagen 5 Globalisierung und Resilienz „behind the veil of ignorance“, nicht in Frage. Auch die Erfahrungen mit katastrophenbedingten Un- Es gibt wenig seriöse wissenschaftliche Literatur, die in terbrechungen von Lieferketten zeigen, dass sich adverse Abrede stellt, dass wirtschaftliche Offenheit einen positi- Schocks auf einzelne Lieferanten zwar in Produktionsnetz- ven Effekt auf das durchschnittliche Einkommen der Bür- werken ausbreiten und zu erheblichen Schäden bei den ger eines Landes haben kann. Die Frage, ob die positiven Kunden führen, vor allem wenn es sich um spezifische Effekte auf das Durchschnittseinkommen mit höherer Un- Inputs handelt (Barrot und Sauvignat 2016), dass aber gleichheit (im Querschnitt) und größerer Volatilität (im Unternehmen, die eine gut diversifizierte globale Lieferan- Zeitablauf) erkauft ist, ist deutlich umstrittener (Helpman tenstruktur haben, widerstandsfähiger sind. Letzteres zei- 2018). gen Todo et al. (2015) für den Fall des Tsunami in Japan Caselli et al. (2020) zeigen in einer aktuellen und sehr 2011 und Kashiwagi et al. (2018) für Hurricane Sandy 2012. überzeugenden Analyse, dass der Effekt der Offenheit auf Das Management von Unternehmen trifft bewusste die Volatilität des Outputs von der Natur der Schocks Entscheidungen darüber, ob diese ihre Vorleistungen abhängt. In einem Modell komparativer Vorteile (und mit- selbst herstellen oder auf dem Markt beziehen, welche hin sektoraler Spezialisierung) nimmt die makroökonomi- Anzahl und geographische Verteilung der Lieferanten sche Volatilität im Grad der Handelsliberalisierung zu, sinnvoll ist, wieviel Lagerhaltung optimal erscheint und wenn die Schocks sektoraler Natur sind. Wenn die Schocks welche vertragliche Beziehung sie eingehen.8 Jede einzel- hingegen vorwiegend länderspezifischer Art sind, dann ne Beziehung ist mit fixen Kosten verbunden, daher ist es hat der internationale Handel eine Versicherungsfunktion, typischerweise zweckmäßig, die Anzahl der Lieferanten zu und die makroökonomische Volatilität geht bei einem Sin- begrenzen. Andererseits erleiden die Firmen schmerzhafte ken der Handelskosten zurück. Caselli et al. (2020) weisen Produktionsausfälle, wenn sie aufgrund von Lieferunter- nach, dass länderspezifische Schocks quantitativ deutlich brechungen nicht arbeiten können. Für die Optimierung wichtiger sind als sektorale. Es ist klar, dass die Corona- ist entscheidend, wie hoch die fixen Kosten sind und wie Pandemie einen systemischen Schock darstellt, der alle die Verteilung von Unterbrechungswahrscheinlichkeiten Länder und Wirtschaftszweige trifft; es ist daher nicht klar, aussieht. Wie so häufig, ist diese Verteilung nicht exakt wie man argumentieren kann, dass eine weniger aus- bekannt. Vor allem die Wahrscheinlichkeit extremer Ereig- geprägte internationale Arbeitsteilung die nationale Be- nisse ist schwer festzulegen („Fat tail problem“). Die glo- wältigung des Schocks erleichtern würde. Dazu kommt, bale Corona-Pandemie ist ein Beispiel hierfür. Sie wird mit dass höhere Handelsbarrieren die durchschnittliche Effi- Gewissheit zu einer Neubewertung der Unterbrechungs- zienz der Volkswirtschaften reduzieren würden, was die wahrscheinlichkeiten führen. Funktionsfähigkeit und die Kapazitäten der Gesundheits- Es ist aber höchst unsicher, was dies für die Globalisie- systeme kaum stärken könnte. rung der Produktionsnetzwerke bedeutet, weil es sich bei Naturkatastrophen bieten ein gutes Beispiel dafür, der Pandemie um einen systematischen Schock handelt, dass die Diversifizierung durch internationalen Handel der alle Länder, Wirtschaftszweige und Unternehmen glei- stabilisierend wirkt. Allerdings ist auch klar, dass dies nur chermaßen trifft. Lieferanten, die geographisch näher am ex ante gilt. Wenn ein Land von einem adversen Schock Produktionsstandort liegen, sind daher nicht zwingend getroffen wird, breiten sich die ökonomischen Effekte, sicherer, es sei denn, gerade die weiten Transportwege zum Beispiel höhere Preise (verbesserte Terms of trade) für brechen durch den Schock ab. Es ist daher nicht klar, dass das Exportgut des Landes, auf seine Handelspartner aus. eine Verkürzung von Lieferketten notwendigerweise zu Die Kosten verteilen sich dadurch auf viele Schultern und mehr Versorgungssicherheit führt. Eher ist zu erwarten, sind leichter zu tragen. Wenn sich das getroffene Land in dass Unternehmen mehr Lagerhaltung als bisher betrei- Autarkie befände, erlitten zwar die anderen Länder diese ben; sie werden versuchen, die fixen Kosten des Lieferan- Kosten im Katastrophenfall nicht, aber sie wären aufgrund der geringeren Arbeitsteilung im Durchschnitt über den Zeitablauf ärmer. Wie in jedem Versicherungskontext be- 8 Dazu existiert eine reichhaltige ökonomische Literatur, die Antras steht für jene Versicherte, die selbst keinen Schadensfall (2020) aktuell zusammengefasst hat.
Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung 7 tenmanagements zu reduzieren, was mithilfe digitaler allem südostasiatische Schwellen- und Entwicklungslän- Technologien gelingen sollte; und sie werden die Spezifizi- der wären davon betroffen (UNIDO 2018). Ebenso könnte tät von Inputs nach Möglichkeit senken. All diese Maß- die Integration in globale Wertschöpfungsketten für die nahmen werden die Resilienz gegen Schocks steigern, sind Länder, die in der aktuellen Phase der Globalisierung noch aber nicht zwangsläufig mit einer Regionalisierung oder nicht in hohem Maße eingebunden sind, schwieriger wer- Nationalisierung von Lieferketten verbunden. den. Das gilt insbesondere für einige Länder in Afrika, die Das gilt auch im Medizinbereich, der in der gegen- generell das Potential zur Einbindung haben. wärtigen Krise auch in handelspolitischer Hinsicht stark in Für Entwicklungsländer bietet die Integration in glo- der Diskussion steht (Braml et al. 2020). Gerade dieser bale Netzwerke die Möglichkeit, von den mit Wertschöp- Markt ist durch eine besonders ausgeprägte Regulierungs- fungsketten assoziierten Kapitalströmen und dem Zugang dichte geprägt. Die Zulassung und Bepreisung von Prä- zu internationalen Märkten, Humankapital und Wissen zu paraten, Apparaten, Schutzkleidung etc. wird gerade nicht profitieren, die Wertschöpfung der eigenen Produktion zu auf dem „freien Markt“ entschieden. Häufig ist die Anzahl steigern und dadurch ihr Wirtschaftswachstum nachhaltig der Beteiligten klein (oligopolistische Pharmaindustrie, zu erhöhen (UNIDO 2018, Görg 2016 sowie Görg und Han- Krankenkassen, Behörden). Welche Bedeutung in den Be- ley 2018). Ein Wegfall dieser Option würde Industrialisie- schaffungsvorgängen der Preis, die Qualität und die Lie- rungsbemühungen mit ziemlicher Sicherheit einen schwe- fersicherheit jeweils relativ zu einander haben, liegt daher ren Schlag versetzen und den sozioökonomischen im Einflussbereich staatlicher oder staatsnaher Stellen. Fortschritt behindern, der in vielen Entwicklungsregionen Hier ist damit zu rechnen, dass aufgrund der Erfahrungen in den zurückliegenden Jahren zu verzeichnen war. mit der Corona-Krise die Liefersicherheit künftig ein größe- Daher stellt sich hier die Aufgabe für die Entwick- res Gewicht erhalten wird. Doch auch im Medizinbereich lungspolitik, durch zielgerichtete Maßnahmen sicher- wird dies nicht zwangsläufig mit einer Renationalisierung zustellen, dass diese Länder alternative Möglichkeiten ha- der Produktion erreicht, sondern mit einer stärkeren Diver- ben, die Wertschöpfung ihrer eigenen Produkte zu sifizierung der Beschaffungssysteme und mit höherer lo- steigern und diese dadurch international wettbewerbsfähi- kaler Lagerhaltung. ger zu machen. Wünschenswert wären zum Beispiel Aus- Die Weltwirtschaft hat während der Phase rapider Glo- und Weiterbildungsprogramme, die insbesondere auf die balisierung hohe Wohlfahrtsgewinne erzielt. Die Vertei- Managementebene zielen. So könnte ein Austausch zwi- lung dieser Gewinne zwischen und innerhalb von Ländern schen Fachkräften aus entwickelten Ländern mit Mana- mag nicht den Gerechtigkeitsvorstellungen aller Beobach- gern und Unternehmerinnen aus Entwicklungsländern ter entsprechen, doch ihre Präsenz ist unumstritten (Help- neue Produktideen und Marketingstrategien hervorbrin- man 2018). Gerade in einer globalen Wirtschaftskrise wäre gen. Auch wäre eine verstärkte Zusammenarbeit im Rah- es geradezu fahrlässig, auf diese Vorteile zu verzichten. In men von „Aid for Trade“ zu nennen, um zum einen den den zurückliegenden Wochen wurde häufig auf die Lehren Zugang zu entwickelten Märkten voranzutreiben, aber aus der großen Krise von 2008/09 zurückgegriffen. Eine auch um den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren dieser Lehren war, dass die Abwehr protektionistischer zwischen den Entwicklungsländern einer Region – ins- Politiken eine wichtige Rolle in der Krisenbewältigung besondere in Afrika – zu verbessern. Eine verstärkte regio- gespielt hat. nale Integration erleichtert den Zugang zu einem größeren Markt, der es wiederum ermöglicht, den Unternehmen Ab- satzperspektiven für die neu entwickelten Produkte zu geben, die zum nachhaltigen Wachstum der Entwick- 6 Risiken für Schwellen- und lungsländer beitragen können. Entwicklungsländer Eine verstärkte regionale Integration erhöht ebenfalls die Attraktivität als Standort für ausländische Unterneh- Sollten Unternehmen im Zuge betriebswirtschaftlicher men, die Zugang zu diesem vergrößerten Markt suchen Überlegungen doch zu einer Verkürzung oder Regionali- (Glitsch et al. 2020). In Verbindung damit sollten auch sierung von Lieferketten kommen, hätte dies potentiell ausländische Investitionen in Entwicklungsländern geför- signifikante negative Auswirkungen auf die wirtschaftli- dert werden, zum Beispiel durch die Ausweitung der In- che Entwicklung von Schwellen- und Entwicklungslän- vestitionsgarantien des Bundes und ähnlicher Instrumente dern. So könnte die Einbindung in globale Wertschöp- anderer europäischer Länder. fungsketten von Ländern zurückgehen, die im Moment stark in globale Produktionsnetzwerke integriert sind. Vor
8 Gabriel Felbermayr und Holger Görg 7 Wirtschaftspolitische und anderen medizinischen Artikeln erlassen, unter Miss- achtung der Regeln des europäischen Binnenmarktes. Die Schlussfolgerungen Nachbarländer Schweiz und Österreich protestierten vehe- ment in Brüssel. Die europäische Kommission rettete die 7.1 Ausländische Investitionen Situation, indem sie gegenüber Drittstaaten Exportkontrol- len erlaubte und im Gegenzug dafür deren Entfernung im In den vergangenen Jahren ist die deutsche Außenwirt- intraeuropäischen Handel durchsetzte. Diese Maßnahme schaftsverordnung wiederholt angepasst worden. Die könnte zwar durchaus von geltendem WTO-Recht gedeckt Grundlage dafür war das politische Bemühen darum, dass sein, sie setzt allerdings europäische Handelspartner unter der Staat Übernahmen heimischer Firmen durch auslän- Druck. Diese haben nach europäischem Vorbild ebenfalls dische Investoren zumindest in kritischen Sektoren über- Exportkontrollen eingeführt. Evenett (2020) weist nach, prüfen und gegebenenfalls mit Auflagen versehen oder gar dass bereits mehr als 50 Länder solche Maßnahmen einge- verbieten kann. Bis vor kurzem besaß Deutschland eines führt haben. Er kritisiert die Strategie, durch Exportrestrik- der liberalsten Investitionsregelwerke der Welt und ist tionen die Verfügbarkeit kritischer Medizinartikel im In- bisher damit auch gut gefahren. Die Neuorientierung ist land kurzfristig zu verbessern, als eine „Sicken-Thy- vor allem vor dem Hintergrund zu verstehen, dass inzwi- Neighbour-Policy“. In der Tat ändert die Einführung sol- schen einige Länder verstärkt ambitionierte nationale in- cher Restriktionen nichts am grundlegenden Problem in- dustriepolitische Ziele verfolgen, die auf Kosten anderer ternational fehlender Produktionskapazitäten für be- Länder gehen könnten, auch Deutschlands. Dies untermi- stimmte zurzeit stark nachgefragte Medizinprodukte. Im niert das Vertrauen zu diesen Ländern als verlässliche Gegenteil verhindern solche Maßnahmen eine outputma- kooperative Partner in der Weltwirtschaft. In der Corona- ximierende, arbeitsteilig organisierte Produktion. Krise kam es zwischenzeitlich bereits zur nächsten Ver- Deutschland und die Europäische Union sollten sich schärfung der Außenwirtschaftsverordnung. So wurde das mit Nachdruck dafür einsetzen, dass gerade im Zusam- Gesundheitswesen in die Liste der besonders sicherheits- menhang mit kritischen Medizinprodukten bestehende relevanten Branchen aufgenommen, in denen sich die Zölle und Handelsbarrieren so schnell und deutlich wie Bundesregierung eine Prüfung und Untersagung auslän- möglich reduziert und dass neue Exportrestriktionen ge- discher Investitionen vorbehält. ächtet werden (Bown 2020 und Gonzalez 2020). Dies ist In Zeiten eines deutlich wiedererstarkenden Nationa- umso bedeutender, als in den zurückliegenden Wochen lismus in großen Ländern wie den Vereinigten Staaten, viele Länder, darunter Russland, Indien und die Türkei, China, Brasilien und Indien ist es verständlich, dass die Exportrestriktionen in anderen wichtigen Bereichen ver- Vertreter der Wirtschaftspolitik die Sorge umtreibt, dass hängt haben, zum Beispiel in der Getreideversorgung. Eine opportunistisch handelnde ausländische Akteure Abhän- Verknappung von Lebensmitteln in Entwicklungsländern, gigkeiten des Inlands für ihre Ziele missbrauchen könnten. die auf Nahrungsimporte angewiesen sind, kann dort zu Allerdings sollten wirtschaftspolitische Eingriffe wie die Engpässen führen, die mehr Todesfälle verursachen könn- Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung nicht auf ten als Covid-19. Basis bloßer Verdachtsmomente oder des Lobbyings be- Wie im Fall von ausländischen Direktinvestitionen stimmter gesellschaftlicher Gruppen erfolgen. Vielmehr ist müssten auch im internationalen Handel Importländer es notwendig, dass sich die Politik auf Evidenz stützt und darauf vertrauen können, dass die ausländischen Liefe- diese der Öffentlichkeit so transparent wie möglich zu- ranten und ihre Regierungen in Krisen nicht opportunis- gänglich macht. Die Überwachung der Außenwirtschafts- tisch handeln. Je größer diese Gefahr ist, umso notwendi- verordnung könnte zum Beispiel einer unabhängigen Be- ger ist es, dass die Länder Lagerbestände von kritischen hörde nach dem Vorbild der Monopolkommission Gütern aufbauen und erhalten sowie für eine unter öko- überantwortet werden. Eine solche Delegation wirtschafts- nomischen Gesichtspunkten hinreichende Diversifizie- politischer Verantwortung könnte sicherstellen, dass die rung der Lieferquellen sorgen. Damit ließe sich der Ausfall Verordnung nicht populistisch missbraucht wird. eines oder mehrerer Lieferanten ausgleichen. Dies ist öko- nomisch vorteilhafter, als auf die Vorteile der internationa- len Arbeitsteilung zu verzichten und mit Subventionen 7.2 Internationaler Handel und restriktiven Auflagen, die im Übrigen WTO-rechtswid- rig sein können, eine inländische Produktion hochzuzie- Anfang März 2020 haben Deutschland und Frankreich hen, die sich auf freien Märkten nicht durchsetzen könnte. kurzzeitig neue Barrieren für den Export von Atemmasken
Die Folgen von Covid-19 für die Globalisierung 9 7.3 Internationale Migration diskriminierende Wirkung haben. Die WTO unterstützt Entwicklungsländer im Rahmen des „Capacity building“, Das Corona-Virus wird weder durch den Güterhandel von die SPS-Standards einzuhalten. Im Hinblick auf die grenz- einem Land zum anderen übertragen, noch verbreitet es überschreitende Mobilität von Menschen ist das Regelwerk sich durch den internationalen Kapitalverkehr oder Daten- deutlich weniger ambitioniert. Hier sollte nachgearbeitet mobilität. Seine grenzüberschreitende Verbreitung hat in- werden. des mit internationaler Mobilität von Personen zu tun, zum Gerade die EU-Mitglieder, und hier besonders die Län- Beispiel mit jenen Touristen, die das Virus aus dem Tiroler der, die im Schengenraum eine gemeinsame Außengrenze Skiort Ischgl in die deutschen Städte gebracht haben,9 haben, sollten sich koordinieren und abstimmen. Dazu oder mit jenen Geschäftsreisenden, die für deutsche Unter- könnte es auch notwendig sein, dass die EU finanzielle nehmen wie Webasto in der chinesischen Provinz Hubei Mittel zur Verfügung stellt, ähnlich wie sie das für den tätig waren. Und es gibt die Hypothese, dass die engen Schutz der Außengrenzen vor illegalen Grenzübertritten Verbindungen der norditalienischen Modeindustrie mit im Frontex-Programm tut. Die Corona-Pandemie könnte, China die frühe Verbreitung des Virus in Italien verursacht falls es den EU-Mitgliedern nicht gelingen sollte, Vertrau- hat.10 Auch wenn solche kausalen Zusammenhänge nur en zur Qualität der Kontrollen der Außengrenzen herzu- schwer nachgewiesen werden können, ist in Zukunft damit stellen, zu einer Erosion des Schengenraumes und mithin zu rechnen, dass viele Länder an ihren Grenzen stärkere des Binnenmarktes beitragen, was erhebliche ökonomi- gesundheitspolizeiliche Kontrollen vornehmen. Dies kann sche Kosten verursachen könnte (Felbermayr et al. 2018). zu Verzögerungen führen, die Immigrationsvorgänge ver- Insgesamt gesehen stellt die Coronavirus-Pandemie langsamen und damit eine weitere Säule der Globalisie- die Weltwirtschaft vor große Herausforderungen, die auch rung in Schwanken bringen: die relativ freie Bewegung nach der Überwindung des Virus langfristige Folgen zeiti- von Touristen und Geschäftsreisenden. Letztere sind es- gen werden. Die internationale Zusammenarbeit wird da- sentiell für das Funktionieren der globalen Wertschöp- her verstärkt gefordert sein, um das Räderwerk der globa- fungsketten. len Arbeitsteilung zu ölen und das nachhaltige Wachstum Zwar existieren im Rahmen der Weltgesundheitsorga- in Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern durch nisation WHO die Internationalen Gesundheitsvorschrif- eine Integration in die Weltwirtschaft voranzutreiben. ten (IGV, International Health Regulations). Es handelt sich um völkerrechtlich verbindliche Regeln, die dazu die- nen, „die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krank- Literaturverzeichnis heiten zu verhüten und zu bekämpfen, davor zu schützen und dagegen Gesundheitsschutzmaßnahmen einzuleiten, Antràs, P. (2020), Conceptual aspects of global value chains, World und zwar auf eine Art und Weise, die den Gefahren für die Bank Economic Review, im Erscheinen. Barrot, J.-N. und J. Sauvagnat (2016), Input specificity and the öffentliche Gesundheit entspricht und auf diese be- propagation of idiosyncratic shocks in production networks, The schränkt ist und eine unnötige Beeinträchtigung des inter- Quarterly Journal of Economics 131(3), S. 1543–92. nationalen Verkehrs und Handels vermeidet“ (Art. 2 IGV). Bown, C. (2020), How the G20 can strengthen access to vital medical Diese Regeln wurden 2005 im Hinblick auf die zunehmen- supplies in the fight against COVID-19, Trade and Investment de Globalisierung und internationale Verbreitung von In- Policy Watch, 9. April, Peterson Institute for International Econo- fektionskrankheiten wie SARS novelliert. Deutschland hat mics. Braml, M. T., F. A. Teti und R. Aichele (2020), Apotheke der Welt oder die Regeln ratifiziert. Allerdings ist dieses Regelwerk nicht am Tropf der Weltwirtschaft? Deutschlands Außenhandel auf mit dem zu vergleichen, was die Welthandelsorganisation dem Markt für Arzneien und medizinische Ausrüstungen, ifo WTO im Übereinkommen über die Anwendung gesund- Schnelldienst, im Erscheinen. heitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnah- Caselli, F., M. Koren, M. Lisicky und S. Tenreyro (2020), Diversification men (SPS) für den Güterhandel vorsieht. Dort existieren through trade, The Quarterly Journal of Economics 135(1), S. 449–502. Notifikationspflichten, Transparenzvorschriften und klar Evenett, S. (2019), Protectionism, state discrimination, and interna- definierte rechtliche Verfahren, die dafür sorgen sollen, tional business since the onset of the Global Financial Crisis, dass die SPS-Maßnahmen verhältnismäßig sind und keine Journal of International Business Policy 2, S. 9-36. Evenett, Simon (2020), Tackling Coronavirus: The trade policy dimen- sion, Global Trade Alert Project, Universität St. Gallen. 9 Siehe dazu Felbermayr et al. 2020. Evenett, S. und J. Fritz (2019), Going it alone: Trade policy after three 10 Diese These ist weder bestätigt noch widerlegt; siehe https:// decades of populism, 25th Global Trade Alert Report, Universität www.tagesschau.de/faktenfinder/italien-coronavirus-china-101. St. Gallen. html.
10 Gabriel Felbermayr und Holger Görg Felbermayr, G. (2018), Zur Rückkehr der Machtpolitik in Handelsfra- Görg, H. und A. Hanley (2018), Offshoring: Causes and Consequences gen: Theoretische Überlegungen und politische Empfehlungen, at the Firm and Worker Level, World Scientific Studies in Interna- Perspektiven der Wirtschaftspolitik 19(3), 232–44. tional Economics, London, World Scientific Publishers. Felbermayr, G., J. Gröschl und T. Steinwachs (2018), The trade effects Harris, R. und J. Blackwill (2017), War by Other Means: Geoeconomics of border controls: Evidence from the European Schengen Agree- and Statecraft, Cambridge, Harvard University Press. ment, Journal of Common Market Studies 56(2), S. 335–51. Helpman, E. (2018), Trade and Inequality, Cambridge, Harvard Univer- Felbermayr, G., J. Hinz und S. Chowdhry (2020), Après-Ski: The spread sity Press. of Coronavirus from Ischgl through Germany, Kiel Working Rodrik, D. (2011), The Globalization Paradox: Democracy and the Paper, im Erscheinen. Future of the World Economy, New York, W. W. Norton & Co. Gern, K.-J. und S. Mösle (2020), Auswirkungen der Corona-Pandemie The Economist (2019), Slowbalisation: The Steam has gone out of auf die Weltwirtschaft – Evidenz aus einer Umfrage unter globalisation, 24. Januar, online verfügbar unter https://www. Sonderwirtschaftszonen, Kiel Policy Brief 139. economist.com/leaders/2019/01/24/the-steam-has-gone-out- Glitsch, J., O. Godart, H. Görg, S. Mösle und F. Steglich (2020), Lagging of-globalisation. behind? German foreign direct investment in Africa, Institut für Todo, Y., K. Nakajima und P. Matous (2015), How do supply chain Weltwirtschaft, unveröffentlichtes Manuskript. networks affect the resilience of firms to natural disasters? Gonzalez, A. (2020), The G20 should expand trade to help developing Evidence from the Great East Japan earthquake, Journal of countries overcoming COVID-19, Trade and Investment Policy Regional Science 55(2), S. 209–29. Watch, 7. April, Peterson Institute for International Economics. Kashiwagi, Y., Y. Todo und P. Matous (2018), International propaga- Görg, H. (2016), Multinational Enterprises and Host Country Develop- tion of economic shocks through global supply chains, WINPEC ment, World Scientific Studies in International Economics, Working Paper E1810. London, World Scientific Publishers. UNIDO (2018), Global Value Chains and Industrial Development: Lessons from China, South-East and South Asia, Wien.
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