Zeitreise durch die Ernährung - Essen im Wandel - BMEL
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Liebe Leserinnen, liebe Leser, Essen bestimmt unser ganzes Leben. In den vergangenen 120 Jahren haben sich unsere Ernährungsgewohnheiten allerdings enorm gewandelt. So haben früher vor allem das Wetter, Kriege, Arbeitsprozesse und Nahrungsmangel, aber auch Gesundheitstrends mitbestimmt, was auf den Teller kam. Durch die Industria lisierung zum Beispiel stieg die Zahl der Arbeiter, in vielen Familien blieb daher wenig Zeit zum Kochen. So kam 1908 der erste Brühwürfel auf den Markt. In der lebensmittel knappen Nachkriegszeit waren die Hersteller erfinderisch: Knäckebrot zum Beispiel wurde aus Kartoffelschalen gemacht. 1955 wurde Tiefkühlkost erstmals auf der Ernäh rungsmesse Anuga präsentiert. Zwei Jahre später war sie schon in einigen Geschäften zu haben. Heutzutage bringt der internationale Handel Produkte aus aller Welt auf den Speiseplan. Neue Technologien sparen Zubereitungszeit oder verlängern die Haltbarkeit. Tierwohl und regionale Herkunft sind wichtige Kriterien für die Kaufentscheidung. Während das Einkommen noch um die Jahrhundertwende vor allem für Lebensmittel ausgegeben wurde, profitieren die Verbraucher heute von einem reichhaltigen Angebot zu bezahl baren Preisen. Ich lade Sie ein auf eine Zeitreise durch die Geschichte unserer Ernährung. Werfen Sie einen Blick auf die Teller Ihrer Eltern und Urgroßeltern. Unsere Epochenteller geben Ihnen einen Eindruck! Herzlichst Julia Klöckner Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft
Inhalt 1900–1913 1960–1969 Handlich verpackt 06 Stress mit dem Abnehmen 25 1914–1918 1970–1979 Hunger und Unterernährung 10 Internationales auf dem Teller 29 1919–1932 1980–1989 Der Volksherd 13 Umweltthemen 32 1933–1944 1990–1999 Die Fettlücke 16 Die Mauer ist weg 36 1945–1949 2000–2009 Kartoffeln und immer wieder Kartoffeln 19 Gesund und bio 39 1950–1959 2010–heute Die Fresswelle rollt heran 22 Unglaubliche Vielfalt 43
Handlich verpackt 1900 –1913 Weil Papier und Karton nun in großen Mengen hergestellt werden können, werden mit Beginn des 20. Jahrhunderts Waren immer häufiger einzeln verpackt – was zuvor ein großer Luxus war. Backpulver zum Beispiel wird jetzt auch in Portionstütchen in kleinen Mengen Neben frischen Lebensmitteln, die in den Städten neuerdings angeboten. Mit der Verpackung werden Marken immer wichtiger – weil sie jetzt auch als in Kaufhäusern und auf Großmärkten erstanden werden können, Werbeträger verwendet werden kann. finden auch Konservendosen zunehmend Verbreitung. Die Nachfrage nach Zucker steigt. Besonders den Arbeitern bietet sich durch Zuckerkonsum eine leichte Möglichkeit, den allgemeinen Kalorienmangel auszugleichen – dass Zucker, wenn er auch in größeren Mengen nicht gesund ist, zumindest kurzzeitig satt macht, ist bekannt. Da Zucker nahezu unbegrenzt gelagert werden kann und gleichzeitig der Preis sinkt, wird der Rübenzucker immer mehr zum Alltagsnahrungsmittel. Von ca. 1850 bis 1913 steigt der Schweinefleischverzehr von 6,6 Kilo auf 25,5 Kilo pro Kopf und Jahr. Der Rindfleischver brauch verdoppelt sich von 7 auf 15 Kilo. Pro Kopf wird das meiste Fleisch in der Stadt gegessen, nicht auf dem Land. Der Grund: In den Städten ist der Lebensstandard insgesamt höher. In Arbeiterfamilien in der Stadt werden allerdings vor allem die nicht so beliebten Fleischteile (Bauch fleisch, Innereien, Rippen, Füße etc.) sowie Wurstsorten wie Presssack, Roh- wurst, Fleisch-, Leber- und Blutwurst gegessen. Dass das Fleischangebot insgesamt immer weiter steigt, hat auch mit dem erhöhten Schlachtgewicht der Tiere zu tun: Dieses konnte innerhalb der letzten 150 Jahre verdoppelt werden. Weniger Tiere machen also mehr Men schen satt. 6 7
Wussten Sie schon? Durch die Industrialisierung steigt der Anteil der Arbeiter in Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts stetig an. Weil in vielen Familien weniger Zeit zum Kochen bleibt und es kein Geld für frische Nahrungsmittel gibt, erfinden der Schweizer Arzt Fridolin Schuler und der Unternehmer Julius Maggi Trockennahrungsmittel wie zum Beispiel Suppen aus der Tüte. Im Jahr 1908 kommt der erste Brühwürfel auf den Markt. Es gibt allerdings einen deutschen Vorläufer: die Erbswurst, eine Rolle, von der Scheiben abgeschnitten werden können. Mit heißem Wasser aufgegossen, werden sie zu einer Erbsensuppe. Dank der verbesserten Infrastruktur auch auf dem Land können nun große Mengen Lebensmittel aus den entlege nen Winkeln des Landes in die Städte gebracht werden. Durch die Eisenbahn können beispielsweise Fisch, Gemüse und Getreide frisch und schnell in die Städte transportiert werden. Ein großer Teil des verzehrten Getreides wird nicht nur als Brot, sondern auch in Form von Breien, Grießsuppen, Nudeln und anderen Mehlspeisen gegessen. Landesarchiv Berlin/F Rep. 290, Nr. 0313963 1902 – Kolonial- und Gemischtwarenläden Der Verkauf von Grundnahrungsmitteln und Haushaltsbedarf findet sowohl in der Stadt als auch auf dem Land vorwiegend in sogenannten Tante-Emma- Läden statt. In größeren Städten gibt es die ersten Delikatessenläden, die „Exotisches“, also Genuss- und Lebensmittel aus Übersee wie Zucker, Kaffee, Tee, Reis, Kakao, Gewürze oder Tabak verkaufen, sogenannte Kolonialwaren. 8 9
Hunger und 1914 –1918 Unterernährung a wegen des Krieges die Getreideproduktion einbricht, D Auf dem Land fehlen Arbeitskräfte und Zugtiere. Lebensmittel werden rationiert – die darf Brot bis zu einem Anteil von 30 Prozent mit Kartoffeln Versorgung ist vor allem in den Städten zeitweise sehr schlecht. Zwischen 1914 und 1918 gestreckt werden. Aber auch die Kartoffeln werden knapp: sterben über 700.000 Menschen an Hunger und Unterernährung. Manche umgehen die Weil sie von staatlicher Seite bewusst billig gehalten werden, Rationierungen, indem sie sich auf dem Schwarzmarkt oder bei Hamsterfahrten ins verfüttern viele Landwirte ihre Kartoffeln einfach an die Schweine, weil mit Umland mit zusätzlichen Lebensmitteln versorgen. Schweinefleisch mehr Gewinn zu machen ist. Auswirkungen des Krieges auf den internationalen Handel führen zu knappen Lebensmitteln und Rohstoffen. Darunter auch Gewürze – wie zum Beispiel der Pfeffer. Hier treten nun versierte Chemiker auf den Plan und schaffen einen günstigen Kunstpfeffer auf Basis des synthetischen Piperins. Die Kunstpfefferproduktion wird 1923 wieder eingestellt, wurde aber im Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen. Statt Butter gibt es gefärbten Quark. Anstelle von Salatöl wird Pflanzenschleim mit Wasser vermengt. Als Ersatz für Marmelade wird ein Gemisch aus Gelatine und gefärbtem Wasser hergestellt oder Marmelade aus Steckrüben gekocht. Die Versorgungslage im Winter 1916/17 ist besonders schlecht. Ursachen hierfür sind die abgeschnittene Zufahrt zu den Seewegen infolge der britischen Seeblockade in der Nordsee und die schlechte Kartoffelernte, die um die Hälfte niedriger ausfiel als in normalen Erntejahren. Als Ersatz für die fehlenden Kartoffeln werden Kohl und Steckrüben verwendet: Es gibt Kohlrübensuppe, Koteletts aus Kohl- rüben sowie Marmelade und Kuchen aus Kohlrüben – daher der Name „Kohlrübenwinter“. 10 11
Wussten Sie schon? Der Volksherd Die Elektrizität ist auf dem Vormarsch. Immer mehr Hausfrauen in der Stadt wissen die Vorteile elektrischer Geräte wie Staubsauger oder Bügeleisen zu schätzen. Der 1928 auf den Markt gebrachte „Volksherd“ ist für den Massenkauf konstruiert. Allerdings lässt die Versorgung mit Strom den flächendeckenden Einsatz von elektrischen Geräten noch nicht zu. BArch, Plak 001-010-024, Grafiker, Ernst Dohrn 1918 – Schüler sammeln Fette Um Öl und Fette zu gewinnen, wird zu ungewöhnlichen Maßnahmen gegriffen: Schüler sind aufgerufen, Obstkerne, Bucheckern und andere öl- und fetthaltige Früchte zu sammeln. In Bauernhöfen, Schulen und öffentlichen Gebäuden werden dafür eigens Werbeplakate aufgehängt, die einen Appell an die deutsche Jugend richten, ihren „patriotischen Pflichten“ nachzukommen. 12 13
1919 –1932 Wussten Sie schon? In den ersten Jahren nach dem Krieg herrscht S uppen und Eintöpfe sind beliebte Gerichte: ein chronischer Mangel an Grundnahrungs Hier können allerlei Reste verwertet und günstige mitteln. Wie zu Kriegszeiten fahren die Lebensmittel verkocht werden. Der Begriff „Eintopf“ Stadtbewohner aufs Land, um dort Wertgegenstände gegen wird erst nach 1930 verwendet: Für die Nationalso Nahrungsmittel zu tauschen. Oberstes Ziel der Ernährung ist zialisten ist der Eintopf Inbegriff der einfachen das Sattwerden und weniger die Ausgewogenheit. Kartoffeln Nahrung des Volkes. 1933 wird der „Eintopfsonntag“ und Rüben stehen ganz oben auf dem Speiseplan. Auch in eingeführt: Zwischen Oktober und März soll in deutschen späteren Jahren reicht das Einkommen vieler Menschen für Haushalten an jedem zweiten Sonntag im Monat Eintopf eine abwechslungsreiche, ausgewogene Ernährung nicht aus. gegessen werden. 1923 erreicht die Inflation in Deutschland ihren Die Jahre von 1920 bis 1929 werden auch als die Höhepunkt. In Wäschekörben tragen die Menschen „Goldenen 20er“ bezeichnet – Luxus, Partys und fast wertlose Geldscheine in die Läden. Ein Kilo Nachtleben blühen zumindest für eine besser Kartoffeln kostet im November 1923 in Berlin 90 Milliarden betuchte Schicht in den Städten auf; Kunst, Kultur und Reichsmark, ein Ei sogar 320 Milliarden. Im Juni kostete es Wissenschaft erleben eine Hoch-Zeit. Zu den Lieblingsge noch 800 Reichsmark. tränken der Boheme gehören Champagner und Absinth. Zwischen 1923 und 1998 ist Absinth wegen seines Wirk Der Verbrauch von Butter, Obst und Süd stoffes Thujon in Deutschland verboten. Das Verbot wurde früchten wird in den Hungerjahren nach dem aufgehoben, der Thujonanteil von Absinthgetränken ist in Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo Krieg praktisch eingestellt. Statt der Butter Deutschland heute beschränkt. Allerdings ist wegen des werden mehr Brot und billiges Schmalz oder zum Teil sehr hohen Alkoholgehalts Vorsicht beim Konsum Margarine gekauft. geboten. 1925 – Schwarzmarkt und Plünderungen Butter wird zum Wertobjekt, mit dem auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Hier werden inzwischen sämtliche Arten von Wertgegenständen gegen Kartoffeln, Eier, Mehl oder Zucker getauscht. Gleichzeitig kommt es zu Dieb stählen von Lebensmitteln und Plünderungen von Geschäften. Verschärft wird diese Situation durch das Ausbrechen der Weltwirtschaftskrise 1929. 14 15
Die Fettlücke 1933–1944 Bei Fetten ist Deutschland von Importen abhängig. Ziel der Nationalsozialisten ist es, viele Rohstoffe selbst zu gewinnen und die sogenannte Fettlücke zu schließen. Daher beschließen deutsche Unternehmen 1936, Walfang zu betreiben. 1939 hat Deutschland die drittgrößte Während des Krieges ersetzt Muckefuck, ein Gebräu aus verschie Fangflotte der Welt. Trotzdem liegt die Abhängigkeit von Fettimporten zu Beginn des Zweiten denen Getreidesorten oder Eicheln, den Bohnenkaffee. Als „Malz- Weltkriegs bei rund 50 Prozent. bzw. Landkaffee“ wird Muckefuck bis heute in Deutschland getrunken. I n der Zeit des Nationalsozialismus wird auch die Ernährung zu Propagandazwecken genutzt: Ab ca. 1934 werden Nahrungs mittelimporte nach Deutschland stark reduziert. Die Bevölkerung soll lernen, einheimische Produkte zu verzehren und mit weniger auszukommen. Der Kochlöffel wird auf Werbeplakaten zur „Waffe der Hausfrau“, mit der sie die zahlreichen offiziellen Spar-Rezepte kochen kann. Unter dem Motto „Kampf dem Verderb“ soll außerdem gegen das Wegwerfen von Essen vorgegangen werden. 1934 ruft der damalige Landwirtschaftsminister Walther Darré zur sogenannten Erzeugungsschlacht auf – es sollen in den kommenden Jahren viel mehr Nahrungsmittel produ ziert werden als bisher. Ziel ist es unter anderem, die Selbstversorgung der Deutschen zu steigern – um im Kriegsfall unabhängig zu sein und das gesparte Geld zum Beispiel für die Aufrüstung zu verwenden. Der Plan geht nicht auf und es kommt zu Engpässen. Besonders gegen Ende des Krieges werden Lebensmittel sehr streng rationiert und sind, wenn überhaupt, nur über Lebensmittelkarten erhältlich. uch der Verzehr von Fisch soll gesteigert werden, da A dieser aus heimischen Gewässern gefangen werden kann. Fische benötigen zudem keine teuren Futtermittel, die importiert werden müssten. Tatsächlich steigt der Pro-Kopf-Verbrauch von Fisch in Deutschland zwischen 1932 und 1938 von 8,5 auf rund 12 Kilo, also um 41 Prozent. 16 17
Wussten Sie schon? Kartoffeln und immer wieder Kartoffeln Die Ernährung in der Nachkriegszeit ist sehr einseitig. Ein Witz karikiert diese Eintönigkeit: Ehemann: „Was gibt es heute zu essen?“ Ehefrau: „Kartoffeln.“ Ehemann: „Und was dazu?“ Ehefrau: „Gabeln.“ Ignaz Böckenhoff © LWL-Medienzentrum für Westfalen 1940 – Muckefuck und anderer Ersatz Während des Krieges ist echter Bohnenkaffee eine Seltenheit. Getrunken wird Ersatzkaffee aus Gerste oder Eicheln, sogenann ter Muckefuck. Zum Kaffee gibt es jetzt immer öfter Ersatzku chen aus Mohrrüben oder Kartoffeln. Auch für Marmelade gibt es Ersatz: Ersatzmarmelade wird beispielsweise aus Steckrüben gekocht. 18 19
1945–1949 Wussten Sie schon? In den ersten Jahren nach dem Krieg (1945– Kohl wird häufig eingesäuert, um 48) können Lebensmittel weiterhin nicht seine Haltbarkeit zu verlängern. einfach im Laden gekauft werden. Sie werden Wird er in einer 1,5-prozentigen gegen Lebensmittelmarken oder auf dem Schwarzmarkt Salzlösung eingelegt und luftdicht abgeschlossen, kann er erworben. Die Ernährung ist äußerst einseitig, meist gibt es mehrere Monate lang aufbewahrt und im Laufe des Winters nur Kartoffeln. Auf dem Schwarzmarkt steigt der Preis für verzehrt werden. Durch Milchsäuregärung konservierter Kartoffeln ins Utopische, zum Teil sind sie 15-mal so teuer Weißkohl und Spitzkohl sind bekannt als „Sauerkraut“ – 1949 – Bundesministerium für Ernährung, wie heute. Im Jahr 1947 kosten 50 Kilo Kartoffeln sogar bis eines der bis heute bekanntesten deutschen Gerichte. zu 600 RM (entspricht heute ca. 2.500 €). Landwirtschaft und Forsten Die Ernährung in den ersten Nachkriegsjahren ist Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird Brot ist neben Kartoffeln Hauptnahrungsmittel, nicht nur von der Menge, sondern auch von der 1949 gegründet. Wichtigste Aufgabe ist erst einmal die Sicherung der Ernäh aber trotzdem rar und wird meist mit ver- Qualität her unzureichend: Vor allem der Mangel an rung der Bevölkerung. Staatlich regulierte Preise für Getreide, Milch, Fett, schiedenen Zusatzstoffen verlängert. Oft Eiweiß, Fett und Vitaminen ist gravierend. Der Vieh, Fleisch und Zucker bieten der heimischen Landwirtschaft einen festen wird es bis zur Hälfte mit Maismehl aus amerikanischen enorme Mangel macht die Menschen anfällig für Krankheiten Rahmen. Nahrungsmittelpaketen gestreckt; im Volksmund heißt wie zum Beispiel Tuberkulose. Deutschland deshalb auch „Maisopotamien“. Die soge nannten CARE-Pakete sind für die Lebensmittelversorgung in Nachkriegsdeutschland enorm wichtig. Das „Strecken“ ist eine gebräuchliche Maß nahme, um die Essensrationen zu vergrößern. Insbesondere rare Güter wie Wurst werden durch Zugabe von Suppen werden vor allem bei Schulspeisun Haferflocken, Schrot, Trockenkartoffeln und Wasser „verlän gen an die sechs- bis vierzehnjährigen Kinder gert“. verteilt: Ausgegeben werden vor allem Graupensuppe, Milchsuppe und Kartoffelsuppe aus ausge kochten Kartoffelschalen. Kartoffelschalen werden in der Nachkriegszeit nicht nur an die Schweine verfüttert, sondern für die Ernährung der Bevölkerung verwendet: Die Steckrübe ist vor allem durch den Gemahlen werden sie zu Knäckebrot oder Hungerwinter 1916/17, den sogenannten Klößen verarbeitet. Steckrübenwinter, bekannt. Auch während Süddeutsche Zeitung Photo und nach dem Zweiten Weltkrieg sichert die gesunde Rübe vielen Menschen das Überleben. 100 Gramm Steckrüben entsprechen ca. 22 Kilokalorien. 20 21
Die Fresswelle rollt heran 1950 –1959 Nach den Hungerjahren füllt das beginnende Wirtschaftswunder wieder die Teller („Fresswelle“). Die beleibte Figur wird Zeichen des Erfolgs. Allerdings überwiegt bis zum Ende der 1950er-Jahre in der Ernährung der Bundesrepublik ein quantitativer Trend: Man konsumiert mehr von dem, was als prestigeträchtig, schmackhaft oder gut gilt. Nach dem Krieg wird deutlich mehr Obst gegessen – im Westen sind vor allem Südfrüchte wie Orangen und Bananen gefragt. In der Vorkriegszeit (1935–1938) wurden ca. 42 Kilo Frischobst und Südfrüchte pro Kopf und Jahr verzehrt, 1954/55 sind es bereits 71,1 Kilo. Die Erfolgsgeschichte der Banane setzte sich fort: Konrad Adenauer erkämpft 1957 bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsge meinschaft (EWG) Zollfreiheit für deutsche Bananenimporte und sorgt so dafür, dass das Symbol des Wirtschaftswunders günstig bleibt. In der DDR sind exotische Früchte nur selten erhältlich, aber heimisches Obst wird gerne gegessen. Nach den Jahren des Hungers wird Westdeutschland in den 1950er-Jahren von einer regelrechten „Fresswelle“ erfasst. Je mehr und je reichhaltiger, umso besser! Der Konsum von Schweinefleisch pro Jahr erhöht sich pro Kopf und Jahr von 1950 bis 1960 von 19 auf 30 Kilogramm. Der Verbrauch von Geflügel verdreifacht sich sogar. Essen ist überall Thema, auch im Fernsehen: Der erste westdeutsche Fernseh koch heißt Clemens Wilmenrod und geht 1953 auf Sendung. In den 1950er-Jahren wird nicht nur gerne viel gegessen – es soll auch immer schneller gehen. Friedrich Jahn, ein ehema liger Kellner aus Österreich, eröffnet 1955 die erste Filiale einer Restaurantkette in Westdeutschland, in der in erster Linie Hähnchen verkauft werden. In der DDR wird das Brathähnchen zehn Jahre später als „Broiler“ sehr beliebt. Zum deftigen Essen gehört auch ein kaltes Getränk – Bier zum Beispiel. Von 1950 bis 1960 erhöht sich der Bierkonsum pro Person und Jahr von 35,6 Litern auf 101,6 Liter. Nach diesem rasanten Anstieg steigt der Konsum nur noch leicht: Heute trinkt der Deutsche durchschnittlich etwa 105 Liter Bier. 22 23
Wussten Sie schon? Stress mit dem Abnehmen Was gibt’s heute? Am besten nichts! Während die einen noch schlemmen, hungern sich die anderen immer dünner: Mitte der 1960er-Jahre wird das magersüchtige Model Twiggy auch in der Bundesrepublik zum Mode-Idol. Juergen/timeline images 1955 – Erste Fertigprodukte Auf der Ernährungsmesse Anuga wird 1955 erstmals Tiefkühlkost präsentiert. 1957 kommen die ersten Tiefkühlwaren in die deutschen Supermärkte, 1958 gibt es die ersten Ravioli aus der Dose. 24 25
1960 –1969 Wussten Sie schon? Hungern muss in den 1960er-Jahren niemand Französische Lebensart zieht ins Esszimmer mehr. In fast jedem Haushalt steht ein gut ein: Im Westen gibt es jetzt Ragout fin in der gefüllter Kühlschrank. Fleisch gibt es vorgebackenen Blätterteigpastete. Als allerdings nicht täglich, sondern eher ideologisch korrekte Alternative bieten viele einfache Gerichte wie Eintöpfe, Pfannkuchen HO-Gaststätten in Ostdeutschland eine eingedeutschte oder Kartoffeln mit Spinat und Ei. Dennoch Alternative an: das Harzer Würzfleisch mit heller Tunke, dazu steigt in Westdeutschland der Pro-Kopf-Verbrauch von Toastbrot. Fleisch auf 64 Kilogramm pro Jahr. 1962 – Einkaufen beim Discounter In Westdeutschland freuen sich besonders Ketchup gibt es zwar schon lange – er wurde angeb Kinder seit Anfang der 1960er-Jahre über Wikimedia Commons/Audio Productions/Alfred Wagg Pictures 1962 eröffnet der erste Discounter in Westdeutschland. lich 1876 entwickelt. Aber seit den 1960er-Jahren ist Fischstäbchen. Das erste Päckchen Fischstäb Mit kleinem Sortiment und einer Beschränkung auf die er aus den westdeutschen Haushalten nicht mehr chen läuft 1959 in Bremerhaven vom Band. In der DDR sind gängigsten Konsumartikel expandiert die Kette der wegzudenken und „veredelt“ seitdem die geliebten Fischstäbchen erst ab 1970 zu haben und werden nicht als Gebrüder Albrecht schnell. Pommes, Würstchen, Buletten und vieles mehr. In Massenware produziert. der DDR wird Ketchup zunächst selbst gemacht. Die Westdeutschen werden Reiseweltmeister: Anfang der 1960er-Jahre fährt jeder dritte Deutsche einmal im Jahr in den Urlaub und 1964 – Siegeszug des Kühlschranks lernt die mediterrane Küche kennen und lieben: Pizza, Spaghetti, Paella und Gyros werden entdeckt Die Verbreitung elektronischer Haushaltsgeräte wächst rasant. Mitte der und schmecken auch zu Hause. 1960er-Jahre haben 60 Prozent der Haushalte einen Kühlschrank. Ende der 1950er-Jahre waren es noch 20 Prozent. Durch die längeren Lagerungsmög lichkeiten verändert sich auch das Einkaufsverhalten. Immer mehr Conve nience-Produkte kommen in die Regale – von Fruchtjoghurt bis Frischkäse. Cola und Fischstäbchen werden zu Verkaufsschlagern. Der Fleischverbrauch pro Kopf steigt auf über 64 Kilogramm pro Jahr. Im Jahr 2012 liegt der durchschnittliche Verbrauch von Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch bei ca. 84 Kilo pro Person. Wikimedia Commons/Radosław Drożdżewski (Zwiadowca21) 26 27
Internationales auf dem Teller In den Siebzigern erobern Hackfleischbrötchen aus den USA, Pizzen aus Italien und ddrbildarchiv.de/Süddeutsche Zeitung Photo exotische Früchte die Teller der Westdeutschen. In der DDR werden russische Gerichte und Obst und Gemüse aus dem eigenen Kleingarten gegessen. 1966 – Delikatläden in der DDR Für Lebensmittel des „gehobenen Bedarfs“ gibt es ab 1966 sogenannte Delikatläden. Angeboten werden hauptsächlich Nahrungs- und Genussmittel (Delikatessen), die überwiegend aus DDR-Produktion stammen, zum Beispiel Exportartikel und selten erhältliche Waren. Es gibt aber auch ausgewählte Westprodukte wie Kaffee oder Coca-Cola. Preislich liegen diese Waren deutlich über denen der Normalgeschäfte. 1969 – Wohlstandsbauch und Punktdiät Im Zuge der Wohlstandsgesellschaft und der Verbreitung von vorgefertigten Lebensmitteln kommt es vermehrt zu Übergewicht. Der Best seller „Hallo, die Punktdiät ist da“ löst 1969 eine Diätwelle aus. Hans Enzwieser/Süddeutsche Zeitung Photo 28 29
1970 –1979 Wussten Sie schon? Der Siegeszug eines 1940 in Kalifornien Auf der Nahrungsmittelausstellung 1971 eingeführten Hackfleischbrötchens setzt können zum ersten Mal Kiwis, Kumquats, sich in Westdeutschland fort: Die erste Papayas und Mangos bestaunt werden. Kurz Filiale einer Hamburger-Kette eröffnet darauf gibt es in westdeutschen Geschäften 1971 in München. Auch in der DDR werden Hamburger auch Auberginen und Avocados. Wer keine Lust hat, Ananas gegessen: Hier heißen sie Grilletta und man kauft sie an zu schälen, macht einfach eine Dose auf. gleichnamigen Imbissständen in Berlin und an anderen touristischen Orten. Exotische Fruchtcocktails sind der Renner auf Partybuffets. In der DDR ist exotisches Obst eher Mangelware, bis auf 1971 – Volkskrankheit Übergewicht Orangen aus Kuba oder teure Ananas aus der Dose. Heimi S eit Ende der 1960er-Jahre gibt es in sches Obst und Gemüse aus dem Kleingarten stehen dafür Gerd Pfeiffer/Süddeutsche Zeitung Photo Essen soll schnell gehen und satt machen: Fast Food und Supermärkten Kühltheken. Darin findet häufig auf dem Speiseplan. Fertiggerichte treten ihren Siegeszug an. Zugleich beginnt man bis heute neben Backwaren, Fleisch, langsam die Aufklärung von Verbrauchern zu Ernährungs- Gemüse und Eis die Tiefkühlpizza, die 1970 und Gesundheitsfragen. das Licht der Welt erblickt. Auch in den Soljanka, die klassische DDR-Restesuppe, ist modernen Einbauküchen stehen jetzt Gefrierschränke und bis heute beliebt. Hauptbestandteile sind sorgen für einen Wandel der traditionellen Essgewohnheiten Bauchspeck, Zwiebeln, Tomatenmark, Essig in Richtung Tiefkühlkost. gurken, Letscho und diverse Wurstreste. 1971 – Der Hamburger kommt In München eröffnet 1971 eine US-amerikanische Fast-Food-Kette ihre ers te Filiale und bringt den Hamburger nach Deutschland. Mit Ragout fin und Pasta wird die Küche internationaler. Im Zeitgeist liegt das Essen als Event: keine Party ohne Fondue oder Raclette. shutterstock.com/Maria Komar 30 31
Umweltthemen 1980 –1989 Während für einige Bundesdeutsche die Kultivierung ihrer Geschmacksnerven mit Feinkost variationen oberste Priorität hat, ist für andere der Umweltschutz das zentrale Anliegen des Jahrzehnts: Pestizide im Essen und im Grundwasser, sterbende Wälder und nicht zuletzt der Während das Angebot an Obst und Gemüse in Westdeutschland Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl sensibilisieren die Gesellschaft für Umweltthemen. durch Importe immer vielfältiger wird, geht es in der DDR der 1980er-Jahre zurück: Die Ernährungsbasis bilden leicht zu kultivierende Sorten wie Äpfel, Rotkohl, Weißkohl und Möhren. 1988 liefern die inländischen Agrarbetriebe fast 89 Prozent der angebotenen Ware. Äpfel machen über zwei Drittel des Obstangebots aus. Eine Ausnahme bildet die Situation nach dem GAU in Tschernobyl 1986: Da das Obst im Westen keine Abnehmer findet, sind die Regale in der DDR plötzlich voll von Obst und Gemüse aus Westdeutschland. Oft tragen Lebensmittel in Ost und West die gleichen Namen, aber es handelt sich nicht immer um die gleichen Produkte: In der DDR ist ein Jägerschnitzel eine panierte Scheibe Jagdwurst, in Westdeutschland bestellt man unter gleichem Namen ein gebratenes Kalbs- oder Schweineschnitzel mit Pilzen. Das Umweltbewusstsein wächst. Mit dem ökologischen Landbau entwickelt sich eine alternative Produktionsweise. Vollkornprodukte, darunter auch alte Getreidesorten wie Dinkel, werden wiederentdeckt. Müsli wird zum Symbol der neuen alternativen, umweltbewussten Lebensführung. Zwischen 1979 und 1989 steigt die Zahl an Naturkost- und Bioläden von 100 auf über 1.000. Immer mehr Frauen sind berufstätig und verbringen immer weniger Zeit in der Küche. Folglich bieten die Supermärkte ein stetig wachsendes Angebot an Fertiggerichten. 32 33
Gab es 1960 gerade mal 24 Tiefkühlprodukte zu kaufen, waren es 1980 schon Wussten Sie schon? mehr als 400. Auch Fertiggerichte in Dosen, Backmischungen, Pulver zum Anrühren von Soßen oder Desserts sind sehr beliebt. Die Mikrowelle hält Einzug in westdeutsche Küchen. Fast Food wird immer beliebter. Wer es sich leisten kann, betont seinen gehobenen gesell schaftlichen Status auf Partys gern mit ausgefallenen und besonders teuren Gerichten wie Hummer, Kaviar, Trüffeln und Champagner. 1986 – FAST FOOD versus Bio Höchste Zeit, den Kampf gegen die Pfunde anzutreten! Hilfe erhoffen sich viele von kalorienreduzierten Produkten: 1983 kommt neben Die Mikrowelle setzt sich als Standardgerät in den bundesdeutschen Haus vielen anderen Light-Produkten die Cola light auf den westdeut halten durch. Mit ihr werden auch Fast Food und Fertigprodukte immer schen Markt. beliebter. Daneben wächst bei Verbraucherinnen und Verbrauchern das Interesse an Vollwert- und Biokost. istockphoto.com/doram 34 35
Die Mauer ist weg 1990 –1999 Im wiedervereinigten Deutschland werden die ehemaligen landwirtschaftlichen Produktions genossenschaften in Agrargenossenschaften umgewandelt. Vor allem in den USA werden gentechnisch veränderte Baumwoll-, Soja- und Maissorten entwickelt und bald auch angebaut und vermarktet. In Deutschland findet kein Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen statt. Deutschlands Ernährung wird immer internationaler. Besonders beliebt ist die asiatische Küche. Sushi und Thaigerichte finden in den 1990er-Jahren den Weg zu breiten Schichten der Bevölkerung. Wenig Zeit zum Essen: Wegen der wachsenden Arbeits mobilität arbeiten nur noch wenige Berufstätige so nah an ihrem Zuhause, dass sie ihre Mittagspause dort verbringen können. Die Schule endet für immer mehr Kinder erst nachmittags. Also bieten viele Kitas, Schulen und Betriebe eine interne Verpflegung an. Der Verzehr von Obst und Gemüse in Deutschland hat über die Jahre zugenommen. Da es aus allen Teilen der Welt kommt und ganzjährig zur Verfügung steht, wird die Auswahl immer größer. Auch die Lagerbedingungen haben sich verbessert. 36 37
Wussten Sie schon? Gesund und bio Die BSE-Krise und Bilder von Massentierhaltung in den Medien lassen die Bedeutung des Verbraucherschutzes und den Tierschutz weiter ins Bewusstsein rücken. Die Bioland wirtschaft wird immer wichtiger. 2001 wird in Deutschland ein einheitliches Biosiegel eingeführt. BMEL 1992 – EU-Herkunftsbezeichnungen Ob Nürnberger Lebkuchen oder Thüringer Rostbratwurst: 1992 führt die Europäische Union geschützte Herkunftsbezeichnungen ein. Damit sollen traditionelle und regionale Lebensmittel geschützt und gefördert werden. Zu den Gütezeichen zählen: g. U. (geschützte Ursprungsbezeichnung), g. g. A. (geschützte geografische Angabe) und g. t. S. (garantiert traditionelle Spezialität). 38 39
2000 –2009 Wussten Sie schon? Kalorienarm und gesund: Vollwert Der Stellenwert des gemeinsamen Essens gerichte, Salate, Gemüse und Fisch in der Familie nimmt durch die verschiedenen werden immer beliebter. Die wach Tagesrhythmen der Familienmitglieder ab. sende Sensibilität für den eigenen Nach einer aktuellen Studie ernähren sich Körper und ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein haben 85 Prozent der Deutschen anders, als sie gerne möchten: zu einer deutlich bewussteren Ernährung geführt. Sie wollen sich besser ernähren, haben aber keine Zeit dafür. Viele greifen zu Snacks, die sie zwischendurch am Schreib 2000 – BSE-Krise Deshalb wachsen auch die Anforderungen an Lebensmittel: tisch oder unterwegs auf dem Heimweg essen. Nur am BMEL/ Walkscreen Obst, Gemüse und Fleisch aus heimischen Regionen sowie Wochenende nehmen sie sich Zeit, frische Lebensmittel Der erste Fall in Deutschland tritt auf. BSE führt zu einer Wende in der Agrar tiergerecht und ökologisch hergestellte Produkte und eine einzukaufen, um gemeinsam zu kochen und zu essen. politik: Die Lebensmittelsicherheit wird nun das zentrale Thema. Die Seuche klare Kennzeichnung sind gefragt. Es gibt reine Biosuper wurde durch ein umfangreiches Maßnahmenpaket eingedämmt. Als Reaktion märkte, aber inzwischen kann man Biolebensmittel auch auf die Krise wurden das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das beim Discounter kaufen. Probiotischer Joghurt, Margarine mit cholesterin Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gegrün senkenden Stoffen, Drinks mit zusätzlichen Mineral det. Beide sind zu wichtigen Bestandteilen der Überwachung der Lebensmittel stoffen: Immer mehr Lebensmittel, die einen sicherheit in Deutschland geworden. Heute wird die Qualität der Lebensmittel er Verbrauch von Fleisch ist in den letzten D positiven Zusatznutzen für die Gesundheit haben auf allen Stufen der Produktion kontrolliert. Jahren konstant gesunken, lediglich beim sollen, finden sich heute im Supermarkt. Ernäh Geflügelfleisch gibt es einen leichten Zu rungsfehler können durch diese funktionellen Lebensmittel wachs. Immer mehr Deutsche essen immer nicht ausgeglichen werden. weniger Fleisch und einige verzichten ganz auf Produkte tierischen Ursprungs und werden Vegetarier oder Veganer. 2002 – Einsetzender Bioboom Die ersten reinen Biosupermärkte werden in Deutschland eröffnet. 2001 wird das staatliche Biosiegel eingeführt. Zurzeit nutzen 5.059 Unternehmen das nationale staatliche Biosiegel auf 77.276 Produkten (Stand: 31. Ok tober 2017). Seit Juli 2012 kann das deutsche Biosiegel zusammen mit dem EU-Biologo für die Kennzeichnung von Biolebensmitteln verwendet werden. BMEL/ Walkscreen 40 41
Unglaubliche Vielfalt Hippe Foodies jagen Modeerscheinungen wie Raw Food, Paleo, Clean Eating oder Hybrid- Food nach; Individualität wird auch beim Essen großgeschrieben. Jeder, der es sich leisten kann, kann aus einer unglaublichen Vielfalt an Lebensmitteln wählen. Schön angerichtete Speisen im Restaurant , das selbst gekochte Essen oder der kreative Snack werden mit dem Smartphone abfotografiert und mit Freunden auf Onlineplattformen geteilt. Den Verbrau cherinnen und Verbrauchern wird es aber auch immer wichtiger, wie die Lebensmittel hergestellt werden, wo sie herkommen und wie es den Nutztieren in den Ställen geht. Der Ruf nach einer Tierwohlkennzeichnung wird lauter. BMEL/Ruthe Zuntz 2008 – Gesunde Ernährung und mehr Bewegung werden gefördert Ein nationaler Aktionsplan soll das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Deutschen bis zum Jahr 2020 verbessern. Der Aktionsplan „IN FORM“ des Ernährungs- und des Gesundheitsministeriums zielt darauf ab, dass Erwachsene gesünder leben und Kinder lernen, wie man sich ausgewogen ernährt und aus reichend bewegt. 42 43
2010 – heute Ist es ein Croissant oder ein Donut? Im Internet gibt es mittlerweile zahlreiche Datenbanken, in Unter Superfoods versteht man naturbelas Was wir essen und trinken, ist zunehmend auch Beides! Das sogenannte Hybrid-Food ist denen gezielt nach Restaurants mit vegetarischen und vega sene Nahrungsmittel, die bestimmte Nähr Ausdruck unserer Lebensqualität. Und so, wie auf dem Vormarsch. Die Idee für diese nen Speisen gesucht werden kann, und viele Lebensmittel stoffe enthalten, zum Beispiel Vitamine, in sozialen Netzwerken private Neuigkeiten und Snacks, die aus zwei oder mehreren tragen entsprechende Siegel. Antioxidantien oder Flavonoide. Beliebte berufliche Erfolge geteilt werden, so hat auch das beliebten Einzelspeisen „gekreuzt“ werden, kommt aus Superfoods sind Samen, grüne Blattgemüse, fermentierte Essen im Internet einen völlig neuen Selbstdar New York. Weitere prominente Beispiele für Hybrid-Food Lebensmittel wie Sauerkraut, aber auch bestimmte Beeren stellungs- und Nachrichtencharakter bekommen. Foodblogs, sind der Cragel – eine Mischung aus Croissant und Bagel – Die Zeiten, in denen nur perfekt geformtes wie die Açaibeere oder heimische Hülsenfrüchte. Bildkollektionen oder auch Rezepte-Apps: Lebensmittel, ihre oder der Ramen-Burger: eine kreative Burger-Variante, bei Obst und Gemüse den Weg in die Auslagen der Zubereitung und ihr Genuss sind inzwischen der die Brötchenhälften durch geschichtete japanische Lebensmittelgeschäfte schaffte, sind vorbei. fester Bestandteil unserer digitalen Welt und Ausdruck eines Ramen-Nudeln ersetzt werden. Auch krumme Möhren bekommen eine Chance, Immer mehr Menschen möchten auch unterwegs individuellen Lebensstils. verwertet zu werden. Mit der Initiative „Zu gut für nicht auf ein Heißgetränk verzichten. So ist der die Tonne!“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums ist es Begriff „Coffee to go“ – also Kaffee zum Mitneh Die neue Sachlichkeit: Clean Eating oder gelungen, die Wertschätzung für Lebensmittel zu erhöhen. men – eine feste Redewendung geworden. Kaffee auch die Paleo-Ernährung setzen auf den Zahlreiche Verbraucher haben sich mit kreativen Ideen und röstereien und Coffeeshops sind auf dem Vormarsch – die puren Geschmack des Lebensmittels. Resterezepten zur Reduzierung der Lebensmittelver Vielfalt der Getränke und Variationen hat im letzten Jahr Zugesetzter Zucker, zugesetzte Fette, Getreide oder Zusatz schwendung eingebracht. zehnt erheblich zugenommen. stoffe sind verpönt. Je naturbelassener und ursprünglicher das Nahrungsmittel, desto besser: Davon sind die Anhänger Zwischen Zuhause und Arbeitsplatz genießt der Pendler dieser Trends überzeugt. Besonders beliebt sind Speisen, die Die Häufigkeit von Lebensmittelallergien- und nicht nur klassischen Kaffee, sondern auch Soja Latte mit trotzdem variantenreich genossen werden können, wie die -unverträglichkeiten nimmt weltweit zu. Etwa ein Aroma-Shot oder Matcha- und Ayurveda-Tee. Um Ressour Forelle. Ihr charakteristischer Geschmack kommt durch Prozent aller Menschen in Europa – und 0,3 cen zu sparen, bieten viele Coffee Shops inzwischen auch Räuchern, Marinieren, Blanchieren oder Grillen zur Geltung. Prozent aller Deutschen – leiden an Zöliakie, einer an, mitgebrachte Thermobecher zu befüllen. Glutenunverträglichkeit. Somit wächst die Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln. egane und vegetarische Speisen werden V immer beliebter. Vegane Lebensmittel enthalten nichts, was von Tieren stammt Ob süß mit Früchten oder herzhaft mit Gemüse – oder bei dessen Herstellung Zutaten oder Smoothies erfreuen sich zunehmender Beliebtheit Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs eingesetzt wurden. in Deutschland. Die Zahl der Deutschen, die Vegetarische Lebensmittel sind in erster Linie pflanzlichen täglich einen Smoothie zu sich nehmen, hat sich Ursprungs oder Pilze. Auch sind bestimmte Erzeugnisse von von 2013 bis 2016 verdoppelt: auf 420.000 lebenden Tieren wie zum Beispiel Milch und Milcherzeugnis Menschen. Frisch zubereitete Smoothies sind se, Eier oder Honig verwendbar. sicherlich gesünder als fertige Limonaden – doch je nach Zutaten können sie sich als durchaus energiereich erweisen. Wie so oft, gilt auch hier: Das rechte Maß entscheidet. 44 45
Wussten Sie schon? 2011 – Lebensmittelsicherheit Heute sind in Deutschland Lebensmittelsicherheit und Ver braucherschutz die Kernthemen im Bereich Ernährung. Klare auremar/stock.adobe.com Regelungen, eine systematische Lebensmittelüberwachung und ein effektives Schnellwarnsystem sorgen für sichere Lebensmittel. maho/Adobe Stock 2016 – Weniger Zucker, Fett und Salz Die niederländische Ratspräsidentschaft hat im Februar 2016 die „Roadmap for Action on Food Product Improvement“ verfasst, die 2012 – Wertschätzung von Lebensmitteln neben Deutschland von 21 weiteren Mitgliedstaaten, Norwegen und der Schweiz sowie einigen EU-Dachverbänden der Lebensmittel Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen bei Industrie, Handel, Groß wirtschaft sowie NGOs unterstützt wird. Im Juni 2016 wurden die verbrauchern und Privathaushalten jährlich im Müll. Das BMEL startete Mitgliedstaaten vom Rat der Europäischen Union aufgefordert, einen deshalb 2012 die Initiative Zu gut für die Tonne!, um Verbraucherinnen nationalen Plan zur Reformierung von Lebensmitteln zu erarbeiten. und Verbraucher zu sensibilisieren. 2015 bekennt sich Deutschland zu dem international vereinbarten Ziel, die Lebensmittelabfälle bis 2030 auf Ziel bis 2020 ist ein größeres Angebot von Lebensmitteln mit einem Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren. Dieses Ziel ist sehr verringerten Gehalt an Zucker, Fetten und Salz. Damit sollen Verbrau ambitioniert. Deshalb erarbeitet das BMEL eine Strategie zur Reduzierung cher es künftig leichter haben, sich gesund zu ernähren. von Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Wertschöpfungs kette und bezieht alle Akteure ein. BMEL/ Walkscreen 46 47
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