Kriterien zur Analyse von Drittstaaten zur Gewinnung von Auszubildenden für die Pflege - Kurzbericht - BMWi
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1 | Mobilität | Bildung | | Gesundheit IGES Kriterien zur Analyse von Drittstaaten zur Gewinnung von Auszubildenden für die Pflege Kurzbericht IGES Institut. Ein Unternehmen der IGES Gruppe.
| Gesundheit | Mobilität | Bildung | Kriterien zur Analyse von Drittstaaten zur Gewinnung von Auszubildenden für die Pflege Grit Braeseke Nina Lingott Sandra Rieckhoff Ulrike Pörschmann-Schreiber Kurzbericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Berlin, August 2020 IGES Institut. Ein Unternehmen der IGES Gruppe.
Autoren Dr. Grit Braeseke Nina Lingott Ulrike Pörschmann-Schreiber Sandra Rieckhoff IGES Institut GmbH Friedrichstraße 180 10117 Berlin © Alle Rechte vorbehalten
IGES 3 Inhalt 1. Hintergrund und Ziel der Untersuchung 11 2. Der WHO Code of Practice (2010) 14 3. Politische Länderinitiativen zum Gesundheitspersonal der letzten zehn Jahre 17 3.1 Deutsche Initiativen zur Rekrutierung und Integration von Pflegekräften und Auszubildenden aus Drittstaaten 17 3.1.1 Projekt „Triple Win“ 19 3.1.2 Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) 20 3.1.3 Projekte „Fachkräftegewinnung in der Altenpflege“ und „Modellvorhaben zur Gewinnung von Arbeitskräften aus Vietnam zur Ausbildung in der Krankenpflege in Deutschland“ 21 3.1.4 Projekt „Sprungbrett Pflege“ für geflüchtete Menschen aus Drittstaaten 22 3.1.5 IQ Netzwerk – Integration durch Qualifizierung 22 3.1.6 „Make it in Germany“ 23 3.2 Internationale politische Initiativen im Bereich der Gesundheitsfachkräfte 23 4. Überblick über die Fachkräftesituation in der Pflege weltweit (Literaturrecherche) 26 4.1 Klassifikation der Berufsabschlüsse des Pflegepersonals 26 4.2 Daten zum Pflegepersonal weltweit 29 4.2.1 Regionale Verteilung, Dichte des Pflegepersonals 29 4.2.2 Migration und Mobilität der Pflegekräfte 32 4.2.3 Ausbildung und Angebot an Pflegepersonal 33 4.2.4 Regulierung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen 36 4.2.5 Geschlechterverteilung und Alter des Pflegepersonals 38 4.3 Fachkräftemangel weltweit - heute und morgen 40 5. Zuwanderungsrechtliche Rahmenbedingungen für Deutschland 44 5.1 Regelungen für die Zuwanderung zum Zweck der Ausbildung 45 5.2 Regelungen für Personen aus Drittstaaten mit Berufsabschluss 47 6. Konzept und Kriterienkatalog zur Analyse von Drittstaaten 49 6.1 Identifizierung von Kriterien 49 6.1.1 Bereich Demografie/Arbeitsmarkt 52 6.1.2 Bereich (Pflege-)Fachlichkeit 53 6.1.3 Bereich Kulturelle Werte und Integrationspotenziale 53 6.1.4 Bereich Politik 54 6.2 Finales Konzept für die Drittstaatenanalyse 54 6.3 Ergänzende Empfehlung für die Bundes- und Landespolitik 56 Literaturverzeichnis 58
IGES 4 Anhang 63 A1 Übersicht der WHO-Regionen mit zugeordneten Ländern 64 A2 WHO-Liste (2006), Anlage zu § 38 BeschV 65 A3 Erläuterung zu den Kulturdimensionen nach Hofstede 67 A4 Sonderauswertungen der Bundesagentur für Arbeit 68 A5 Anwendungsbeispiel für die Drittstaatenanalyse 71 Abbildungen 5 Tabellen 7 Abkürzungsverzeichnis 9
IGES 5 Abbildungen Abbildung 1: Personalausstattung in der Gesundheitsversorgung im internationalen Vergleich (2014) 15 Abbildung 2: Maßnahmen die die Pflegeeinrichtungen ergreifen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen 16 Abbildung 3: Anzahl der verschiedenen Berufsbezeichnungen für Pflegepersonal pro WHO-Region (Berufsabschlüsse und Spezialisierungen in der Pflege) 27 Abbildung 4: Globale Dichte des Pflegepersonals im Verhältnis zu 10.000 Einwohnern pro Land im Jahr 2018 30 Abbildung 5: Pflegekräfte pro 1.000 Einwohner in den OECD-Ländern im Jahr 2000 und 2016 30 Abbildung 6: Anzahl des Pflegepersonals pro 10.000 Einwohner nach Einkommensgruppen im Jahr 2018 31 Abbildung 7: Anteil von im Ausland geborenen Pflegekräften in den OECD- Ländern im Jahr 2015/2016, Angabe in % 32 Abbildung 8: Durchschnittliche Dauer der Ausbildung der Pflegefachkräfte nach WHO-Region im Jahr 2018 34 Abbildung 9: Indikatoren zur Reglementierung der Pflegeausbildung 35 Abbildung 10: Verteilung von Pflegefach- und -hilfskräften in den WHO- Regionen im Jahr 2018, Angabe in % 36 Abbildung 11: Weltkarte – Anzahl der genutzten Maßnahmen für die Regulierung der Arbeitsbedingungen in den einzelnen Ländern in 2019 38 Abbildung 12: Geschlechterverteilung des Pflegepersonals in den WHO- Regionen im Jahr 2018, Angabe in % 39 Abbildung 13: Anteil des Pflegepersonals im Alter von unter 35 Jahren und 55 Jahren oder älter nach WHO-Region im Jahr 2018, Angabe in % 40 Abbildung 14: Schätzung des Mangels an Pflegepersonal in den Jahren 2013, 2018 und 2030 41 Abbildung 15: Verteilung der prognostizierten Zunahme des Pflegepersonalbestandes (bis 2030), nach WHO-Region und nach Einkommensgruppen 42 Abbildung 16: Prognose der Pflegepersonalquote pro 10.000 Einwohner für das Jahr 2030 (weltweite Verteilung) 43 Abbildung 17: Schritte zur Durchführung der Potenzialanalyse von Drittstaaten 55
IGES 6 Abbildung 18: Die drei Stufen und fünf Bereiche des Analysekonzeptes 56
IGES 7 Tabellen Tabelle 1: Entwicklung der Zahl der erteilten Zustimmungen der BA zur Betriebliche Aus- und Weiterbildung gem. § 8 Abs. 1 BeschV (§ 17 AufenthG) 12 Tabelle 2: Ausgewählte deutsche Initiativen zur Gewinnung von Pflegefachkräften und jungen Menschen zum Zweck einer Pflegeausbildung in Deutschland aus Drittstaaten 17 Tabelle 3: Ausgewählte internationale politische Initiativen zum Gesundheitspersonal 24 Tabelle 4: Unterscheidung der Aufgaben von Pflegefach- und -hilfskräften auf Basis des ISCO-Systems (Tätigkeitsprofile Pflege) 28 Tabelle 5: Anzahl der Absolventen der Pflege pro WHO-Region im Jahr 2018 33 Tabelle 6: Anteil der Länder mit Regulierungen zu den Arbeitsbedingungen, nach WHO-Region im Jahr 2018, Angaben in % 37 Tabelle 7: Mangel an Pflegepersonal in Ländern unterhalb des Richtwertes der Globalen Strategie für Humanressourcen im Gesundheitswesen im Jahr 2018 41 Tabelle 8: Übersicht zu den Elementen des Analysekonzeptes 51 Tabelle 9: WHO-Regionen und Länder 64 Tabelle 10: WHO-Liste der 57 Länder, aus denen keine Fachkräfte der Gesundheits- und Pflegeberufe rekrutiert werden dürfen 65 Tabelle 11: Ranking der häufigsten in Deutschland vertretenen Drittstaatsangehörigen mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in der Gesundheits- und Kranken- sowie Altenpflege in 2019 – Anteil an allen ausländischen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, Angabe in % 68 Tabelle 12: Ranking der häufigsten Zustimmungen zur Arbeitsaufnahme in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege von Drittstaatsangehörigen zur Aus- oder Weiterbildung (2019) – Anteil an allen Drittstaatsangehörigen nach Tätigkeit, in % 69 Tabelle 13: Ranking der häufigsten Zustimmungen zur Arbeitsaufnahme von Drittstaatsangehörigen zur Aus- oder Weiterbildung § 39 i.V.m § 17 AufenthG (2019) – Anteil an allen Drittstaatsangehörigen im Gesundheits- und Sozialwesen, Angabe in % 70 Tabelle 14: Initiale Länderauswahl für die Drittstaatenanalyse 71
IGES 8 Tabelle 15: Indikatoren zur Einschätzung/Bewertung der Demografie ausgewählter Drittstaaten (Anwendung der zweiten Stufe des Kriterienkatalogs) als Grundlage für ein Länderranking 72 Tabelle 16: Indikatoren zur Einschätzung/Bewertung des Arbeitsmarktes ausgewählter Drittstaaten (Anwendung der zweiten Stufe des Kriterienkatalogs) als Grundlage für ein Länderranking 74 Tabelle 17: Indikatoren zur Einschätzung/Bewertung des Bereichs „(Pflege- )Fachlichkeit“ ausgewählter Drittstaaten (Anwendung der dritten Stufe des Kriterienkatalogs) als Grundlage für ein Länderranking 76 Tabelle 18: Indikatoren zur Einschätzung/Bewertung des Bereichs „Kulturelle Werte und Integrationspotenziale“ ausgewählter Drittstaaten (Anwendung der dritten Stufe des Kriterienkatalogs) als Grundlage für ein Länderranking 77 Tabelle 19: Ermittlung des Rankings anhand der Kulturdimensionen 79 Tabelle 20: Indikatoren zur Einschätzung/Bewertung des Bereichs „Politik“ ausgewählter Drittstaaten (Anwendung der dritten Stufe des Kriterienkatalogs) als Grundlage für ein Länderranking 80
IGES 9 Abkürzungsverzeichnis Abkürzung Erläuterung AufenthG Aufenthaltsgesetz BA Bundesagentur für Arbeit BeschV Beschäftigungsverordnung BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMG Bundesministerium für Gesundheit BMI Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DeFa Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegebe- rufe ESF Europäischer Sozialfonds EU Europäische Union FEG Fachkräfteeinwanderungsgesetz GCNO Government Chief Nursing Officer GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit HEEG High-Level Commission on Health Employment and Economic Growth ILO International Labour Organization ISCO International Standard Classification of Occupations KAP Konzertierte Aktion Pflege KDA Kuratorium Deutsche Altershilfe KldB Klassifikation der Berufe MUT IQ IQ Multiplikatorenprojekt Transfer
IGES 10 Abkürzung Erläuterung OECD Organisation for Economic Co-operation and Development SEPEN Support for the health workforce planning and forecasting ex- pert network WHO World Health Organization WZ 2008 Klassifikation der Wirtschaftszweige 2008 ZAV Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesanstalt für Arbeit ZSBA Zentrale Servicestelle Berufsanerkennung
IGES 11 1. Hintergrund und Ziel der Untersuchung Mit der steigenden Anzahl alter und hochaltriger Menschen in unserer Gesell- schaft steigt auch der Bedarf an professioneller pflegerischer Versorgung deutlich an. Dies macht sich in Deutschland schon seit mehr als zehn Jahren in Form eines Fachkräftemangels in der Pflege bemerkbar. Die Politik hat darauf mit vielfältigen Maßnahmen reagiert - Ausbildungsoffensive, Förderung von Umschulung, Unter- stützung betrieblicher Maßnahmen zur Erhöhung des Berufsverbleibs, Vermitt- lungsabkommen für Pflegekräfte mit Drittstaaten und Abbau der Hürden für die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland – und nicht zuletzt mit der Verab- schiedung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG). Aktuell hat die Bundesregierung eine „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) zur be- darfsgerechten Weiterentwicklung der Situation in der Pflege ins Leben gerufen. Unter Federführung von drei Bundesministerien (BMG, BMAS und BMFSFJ) sowie mit Beteiligung aller relevanten Akteure tagte die KAP ab Juli 2018 und legte im Juni 2019 die getroffenen Vereinbarungen vor. Die Partner der Arbeitsgruppe 4 „Pflegekräfte aus dem Ausland“ formulierten folgendes Ziel: „Ziel der KAP ist, die Versorgungssicherheit in der Pflege sowie eine gute professi- onelle Pflege vorrangig durch Pflegefachpersonen aus dem Inland und der Europä- ischen Union zu gewährleisten. Ein darüberhinausgehender Bedarf soll durch Pfle- gefachpersonen aus Drittstaaten gedeckt werden“ (Bundesministerium für Gesundheit 2019a: 133). Im Handlungsfeld VI „Ausbildung in Deutschland“ wurde u. a. die Entwicklung von Kriterien für eine Drittstaaten-Potenzialanalyse zur Gewinnung von Personen für die Pflegeausbildung in Deutschland beschlossen. Diese ist Gegenstand des vorlie- genden Berichts. Die hier im Fokus stehende „Drittstaatenanalyse“ ist Voraussetzung für eine den internationalen Regelungen entsprechende und nachhaltige Strategie der Fach- kräftesicherung in der Pflege, in Bezug auf die Rekrutierung aus dem Ausland. Um aus Sicht von ganz Deutschland langfristig erfolgreich zu sein, sollte die Wahl von Herkunftsländern nicht nur den einzelnen Unternehmen und mehr oder weniger zufälligen Kontakten ins Ausland überlassen werden. Das führt bereits heute zu einer großen Vielfalt unterschiedlicher Kulturen in den Einrichtungen des Gesund- heitswesens, was mit Problemen bei der beruflichen Integration und Kommunika- tion einhergeht. Notwendig ist daher der gezielte Aufbau von bilateralen Migrati- onspartnerschaften mit einigen geeigneten Herkunftsländern unter Beachtung der internationalen Regelungen und ethischen Standards (wie beispielsweise mit den Philippinen). Solche Vereinbarungen bieten den Unternehmen der Pflegebranche eine verlässliche Basis für eigenständige Rekrutierungen und minimieren die un- ternehmerischen Risiken. Das BMWi hat bereits seit 2012 erfolgreich Modellvorhaben in der Alten- und Krankenpflege umgesetzt, so dass auf breiter Basis praktische Erfahrungen bei der
IGES 12 Rekrutierung von Auszubildenden gewonnen werden konnten. Diese zielten da- rauf ab, zunächst pilothaft zu erproben, unter welchen Voraussetzungen und Be- dingungen junge Menschen aus Drittstaaten für eine Pflegeausbildung in Deutsch- land gewonnen werden können und wie eine erfolgreiche Ausbildung ausgestaltet werden muss. Die Erkenntnisse aus den Evaluationen sind in Handlungsempfeh- lungen für die Pflegebranche eingeflossen. Diese kann nunmehr auf verlässlicher Basis (u. a. bilateralen einer gemeinsamen Absichtserklärung mit dem Partnerland Vietnam) eigenständig Migrationsprogramme zum Zweck der Ausbildung fortfüh- ren. Erste Erfolge lassen sich bereits anhand der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) nachweisen: Die Anzahl der Auszubildenden aus Drittstaaten in den nichtme- dizinischen Gesundheitsberufen hat sich seit 2016 erhöht um 84 % erhöht, aus Vi- etnam sogar um 88 %. Auf Vietnam entfallen damit ein Viertel der zum Zweck der Ausbildung aus Drittstaaten zugewanderten Personen dieser Berufsgruppe. Tabelle 1: Entwicklung der Zahl der erteilten Zustimmungen der BA zur Be- triebliche Aus- und Weiterbildung gem. § 8 Abs. 1 BeschV (§ 17 AufenthG) Berufe (KldB 2010) 2016 2017 2018 bis Zuwachs 11/2019 82 Nichtmedizin. Ge- 3.160 3.589 4.716 5.826 + 84 % sundheitsberufe (alle Drittstaaten) 82 Nichtmedizin. Ge- 783 869 1.093 1.470 + 88 % sundheitsberufe (Vietnam) dar. Altenpflege 782 868 1.091 1.463 + 87 % (Vietnam) Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Sonderauswertung Vietnam lag damit im Ländervergleich 2019 sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege an erster Stelle, wie eine Sonderauswertung der BA ergab (vgl. Ta- belle 12 (nach Berufen) und Tabelle 13 (nach Branchen) im Anhang A4). Ziel dieser Studie war die Entwicklung eines Konzepts zur Analyse von Drittstaaten zur Gewinnung von Auszubildenden für die Pflege in Deutschland. Das Analyse- konzept soll Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Arbeitsverwaltung und Pfle- gebranche bei der Gestaltung fairer Migrationsprogramme unterstützen. Das Konzept für die Drittstaatenanalyse soll möglichst einfach in der Anwendung, mit überschaubarem Zeitaufwand realisierbar und ohne besondere fachliche Vorkenntnisse durchführbar sein.
IGES 13 Der vorliegende Kurzbericht stellt zunächst die migrationspolitischen Regelungen und Initiativen für die Gesundheitsberufe dar (Kapitel 2 WHO Code of Practice und Kapitel 3 nationale und internationale politische Initiativen zum Gesundheitsper- sonal). Im Abschnitt 4 erfolgt ein aktueller Überblick über die Fachkräftesituation weltweit auf Basis einer Literaturrecherche. Anschließend werden die zuwande- rungsrechtlichen Rahmenbedingungen Deutschlands erläutert (Kapitel 5). Kapitel 6 stellt das entwickelte Konzept für die Drittstaatenanalyse vor. Ergänzend zum Abschlussbericht wurden in einem separaten Dokument Hand- lungsempfehlungen für Politik, Arbeitsverwaltung und Pflegebranche erarbeitet, in denen das Konzept, die Kriterien und Datenquellen ausführlich erläutert sind.
IGES 14 2. Der WHO Code of Practice (2010) Im World Health Report 2006 stellte die WHO die „Krise im Bereich des Gesund- heitspersonals“ in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Damals wurde ge- schätzt, dass weltweit rund 4,3 Mio. ausgebildete Ärzte, Pflegefachpersonen und Hebammen fehlten. Angesichts großer Unterschiede in der bevölkerungsbezoge- nen Personalausstattung der einzelnen Länder ermittelte die WHO anhand eines Schwellenwertes (22,8 Gesundheitsfachkräfte pro 10.000 Einwohner), dass 57 Staaten unterhalb dieses Wertes lagen und somit einen „kritischen Mangel“ an Gesundheitspersonal aufwiesen, so dass die Sicherstellung der Gesundheitsversor- gung der Bevölkerung als „gefährdet“ zu bezeichnen war. Es zeigte sich, dass be- sonders die ärmeren Länder vom Gesundheitspersonalmangel betroffen waren. Vorgeschlagen wurde daher ein 10-Jahres-Plan zur Überwindung dieser Krise (WHO 2006). 2010 verständigten sich die Mitgliedsstaaten der WHO daraufhin zum ersten Mal in der Geschichte dieser Institution auf eine gemeinsame Leitlinie - den Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel. Dabei han- delt es sich um einen freiwilligen Kodex, der ethische Grundsätze für die internati- onale Rekrutierung von Gesundheitsfachkräften enthält. Er dient den Mitglieds- staaten als Referenz und Leitfaden bei der Einrichtung oder Verbesserung des rechtlichen und institutionellen Rahmens und der Formulierung und Umsetzung von bspw. bilateralen Abkommen. Kooperation und Zusammenarbeit der Staaten im Hinblick auf Gesundheitspersonal ist ausdrücklich gewünscht. Die Länder wer- den zu einer Zusammenarbeit mit Stakeholdern wie Arbeitgebern oder Organisa- tionen des Gesundheitswesens angehalten. Weiterhin werden sie aufgefordert, ef- fektive und nachhaltige Gesundheitspersonalplanung sowie Aus- und Weiterbildung zu betreiben bzw. zu fördern, damit Gesundheitsfachkräfte langfris- tig gebunden werden und der Bedarf an Fachkräften aus dem Ausland reduziert wird. Zudem sollen negative Effekte der Fachkraftmigration bzw. der Migration po- tenzieller Fachkräfte in den Herkunftsländern vermieden werden. Zu erleichtern und möglichst zu fördern sind Formen zirkulärer Migration (d. h. temporäre Ar- beitsaufenthalte in anderen Ländern zum Zweck des Kompetenzerwerbs) - auch das Herkunftsland soll von Fähigkeiten und Wissen des zurückkehrenden Gesund- heitspersonals profitieren können. Grundsätzlich sind internationale Rekrutie- rungsmaßnahmen transparent und fair zu gestalten und die Nachhaltigkeit der Ge- sundheitssysteme der Herkunftsländer ist zu fördern. Die Rechte der Migrantinnen und Migranten müssen sichergestellt werden (WHO 2010: 3 ff.). Die spezifischen Bedarfe und Umstände in den Ländern, die hinsichtlich eines Ar- beitskräftemangels im Gesundheitswesen besonders gefährdet sind oder nur be- grenzte Kapazitäten haben, um die Empfehlungen des Code of Practice umzuset- zen, sind bei Migrationsvorhaben explizit zu berücksichtigen (WHO 2010: 3 ff.). Insofern ist im Rahmen der Analyse von Drittstaaten, die zur Rekrutierung von Per- sonen mit dem Zwecke der pflegerischen Ausbildung in Deutschland in Betracht
IGES 15 gezogen werden, möglichst zu überprüfen, inwieweit ein Land derzeit und in ab- sehbarer Zukunft über ein ausreichendes Arbeitskräftepotenzial im Pflegebereich verfügt. Gesundheitsfachkräfte werden von vielen Industrienationen gesucht: Weltweit standen nach Schätzungen der WHO (2014) nur rund 27,2 Mio. ausgebildete Ge- sundheitsfachkräfte zur Verfügung (Ärzte, Pflegekräfte und Hebammen). Die Per- sonalausstattung variiert sehr stark von Land zu Land (von 2,7 bis 240 Fachkräften pro 10.000 Einwohner). Es existieren verschiedene Schwellenwerte zur Feststel- lung von Unterversorgung (siehe Abbildung 1, gelbe Balken). Abbildung 1: Personalausstattung in der Gesundheitsversorgung im internatio- nalen Vergleich (2014) Quelle: Braeseke 2015, auf Grundlage von WHO 2014 Lediglich 37 % (68 Länder) überschreiten den oberen, von der WHO 2013 definier- ten Schwellenwert von knapp 60 Gesundheitsfachkräften je 10.000 Einwohner, rund 45 % (83 Länder) liegen unterhalb des 2006 genannten Schwellenwertes von rund 23 Fachkräften. Für gut ausgebildete Gesundheitsfachkräfte in anderen Ländern ist Deutschland nicht das Zielland Nr. 1 – an erster Stelle stehen englischsprachige Länder wie Aust- ralien, die USA, Kanada oder Großbritannien. Aber es bestehen nicht nur sprachli- che Hürden – auch die komplizierten Regelungen bei Zuwanderung, Arbeits- markterlaubnis und Berufsanerkennung haben es in der Vergangenheit schwer gemacht, Fachkräfte aus Drittstaaten zu rekrutieren.
IGES 16 Die Unternehmen der Pflegebranche haben sich daher bisher auf Maßnahmen konzentriert, die auf eine bessere Ausschöpfung des inländischen Erwerbspoten- zials ausgerichtet sind (siehe Abbildung 2), wie es auch der 2010 verabschiedete WHO-Code of Practice zur internationalen Rekrutierung von Gesundheitsfachper- sonal vorsieht. Abbildung 2: Maßnahmen die die Pflegeeinrichtungen ergreifen, um dem Fach- kräftemangel zu begegnen Quelle: Bonin, Braeseke, Ganserer 2015 Dennoch zeichnet sich ab, dass die Personalengpässe in der Pflege nur bewältigt werden können, wenn alle Möglichkeiten zur Erhöhung des Arbeitskräfteangebots ausgeschöpft werden können – einschließlich der Rekrutierung ausländischer Fach- und Nachwuchskräfte. Für die Unternehmen der Pflegebranche, die größ- tenteils zu den kleineren und mittleren Unternehmen gehören, ist dieser Weg teuer und mit vielen Risiken verbunden. Politik und Wirtschaftsverbände sollten daher die Bemühungen der Einrichtungen zur Sicherstellung des Personalbedarfs mit geeigneten wirtschaftspolitischen Maßnahmen flankieren.
IGES 17 3. Politische Länderinitiativen zum Gesundheitspersonal der letzten zehn Jahre Sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene gab es in den letzten Jahren vielfältige politische Initiativen mit Blick auf die Gewinnung von Gesundheits- bzw. Pflegepersonal aus Drittstaaten. Ausgewählte deutsche und internationale Initiati- ven werden in den beiden nachfolgenden Unterkapiteln vorgestellt, wobei der Fo- kus auf deutschen Projekten liegt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht er- hoben werden, da viele Träger in kleinerem Maßstab Rekrutierungsinitiativen gestartet haben. 3.1 Deutsche Initiativen zur Rekrutierung und Integration von Pflegekräften und Auszubildenden aus Drittstaaten Auf nationaler und internationaler Ebene bemüht sich Deutschland in vielfältigen Projekten und Engagements Pflegekräfte bzw. junge Menschen aus Drittstaaten anzuwerben und für die deutsche Pflegebranche zu qualifizieren. Dies beinhaltet auch das Erlernen der deutschen Sprache in einem für die Ausübung des Pflege- berufs erforderlichen Umfang. Weiterhin sollen auch nach Deutschland geflüch- tete Menschen sprachlich qualifiziert, fachlich ausgebildet und integriert werden. Für Unternehmen werden von unterschiedlichen Ressorts der Verwaltung und Wirtschaftsverbänden breitgefächerte Informationen bereitgestellt und sie wer- den im Prozess der Gewinnung und Integration ausländischer Arbeitskräfte unter- stützt und beraten (u. a. vom BMWi, der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der BA, dem Bundeministerium für Gesundheit (BMG) sowie von den Indust- rie- und Außenhandelskammern und Pflegeverbänden). Die folgende Tabelle 2 gibt einen Überblick über nationale Initiativen der letzten Jahre mit bundesweiter Ausstrahlung. Tabelle 2: Ausgewählte deutsche Initiativen zur Gewinnung von Pflegefach- kräften und jungen Menschen zum Zweck einer Pflegeausbildung in Deutschland aus Drittstaaten Jahre Institutionen Initiativen / Pro- Beschreibungen jekte 2005 IQ Multiplika- Integration durch Das Förderprogramm soll die Arbeits- torenprojekt Qualifizierung (IQ) marktchancen sollen für Menschen mit Transfer (MUT Migrationshintergrund verbessern, insb. IQ) / ebb Ent- durch: Anerkennung ausländischer Berufs- wicklungsge- abschlüsse und Qualifizierungen, um dies sellschaft für zu unterstützen sowie um die interkultu- berufliche Bil- relle Kompetenzentwicklung in Behörden dung mbH und Unternehmen zu stärken, und Auf- bau/Unterstützung regionaler Fachkräfte- netzwerke (IQ-Netzwerk 2020).
IGES 18 Jahre Institutionen Initiativen / Pro- Beschreibungen jekte 2012 Bundesregie- Make it in Ger- Das mehrsprachige Portal stellt vielfältige rung many Informationen zu den Thematiken Erler- nen der deutschen Sprache, Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Berufs- abschlüsse sowie zu Einreise und Aufent- halt für Migrantinnen und Migranten so- wie Arbeitgeber bereit. Ziel ist die weltweite Rekrutierung von Fachkräften, insb. in den Engpassberufen (Die Bundes- regierung o. J.). 2012 bis BMWi Fachkräftegewin- Bereits ausgebildete Pflegekräfte wurden 2016 nung in der Alten- in Vietnam rekrutiert und noch im Heimat- pflege land sprachlich auf Deutschland vorberei- tet. Im Anschluss absolvierten sie eine auf zwei Jahre verkürzten Altenpflegeausbil- dung in Berlin, Bayern, Baden-Württem- berg oder Niedersachsen (Braeseke et al. 2020). Seit 2013 ZAV und GIZ Triple Win Verfolgt werden die Ansätze bereits ausge- bildete Pflegefachkräfte aus Bosnien-Her- zegowina, Kroatien, den Philippinen, Ser- bien und Tunesien zu vermitteln und anschließend in Deutschland eine Aner- kennungsqualifizierung durchlaufen zu las- sen sowie seit 2019 die Vermittlung junger Menschen mit pflegerischer Vorerfahrung aus Vietnam, die anschließend in Deutsch- land die dreijährige generalistische Pflege- ausbildung absolvieren (Bundesagentur für Arbeit o. J.). 2016 bis BMWi Modellvorhaben Ziel war es den Prozess der Gewinnung 2019 zur Gewinnung junger Menschen aus Drittstatten zum von Arbeitskräf- Zweck einer Pflegeausbildung in Deutsch- ten aus Vietnam land zu erproben. Dazu wurden in Vietnam zur Ausbildung in junge Menschen rekrutiert und 13 Monate der Krankenpflege sprachlich sowie fachlich qualifiziert. In in Deutschland Deutschland absolvierten sie eine Kran- kenpflegeausbildung. (Braeseke et al. 2020). 2018 Bonner Verein Sprungbrett Geflüchtete Menschen sollen im Rahmen für Pflege- und Pflege des Projekts sukzessive auf eine Ausbil- Gesundheits- dung in der Altenpflege vorbereitet wer- berufe e. V. den. Sprachkenntnisse sollen verbessert, Fachwissen zur Altenpflege zu vermittelt, ein Hauptschulabschluss nachgeholt oder auf den Übergang in eine Altenpflegeaus- bildung vorbereitet werden. Zudem sollen
IGES 19 Jahre Institutionen Initiativen / Pro- Beschreibungen jekte die Geflüchteten in die deutsche Gesell- schaft und ein Mentorenprogramm inte- griert werden (Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e. V. 2020). Oktober BMG Gründung der Die Deutsche Fachkräfteagentur für Ge- 2019 Deutschen Fach- sundheits- und Pflegeberufe (DeFa) unter- kräfteagentur für stützt Einrichtungen des Gesundheitswe- Gesundheits- und sens und Personalserviceagenturen dabei, Pflegeberufe Pflegefachkräfte im Ausland zu gewinnen (DeFa) (Bundesministerium für Gesundheit 2019b). Aktuell konzentrieren sich ihre Ak- tivitäten ausschließlich auf Mexiko, die Philippinen und Brasilien. Sie sollen jedoch sukzessive auf weitere Länder erweitert werden (Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe o. J.). Oktober BMG Gründung des Ziel des Kompetenzzentrums ist es, sich an 2019 Deutsches Kom- der Entwicklung, Begleitung und Umset- petenzzentrum zung von Maßnahmen zur Gewinnung von für internationale Personen mit einer pflege- oder gesund- Fachkräfte der heitsfachlichen Ausbildung aus dem Aus- Gesundheits- und land zu beteiligen. Dazu gehören Instru- Pflegeberufe mente der Qualitätssicherung im Rahmen (DKF) von Anwerbungen und Vermittlungen die- ser Personengruppe und auch Maßnah- men zur fachlichen, betrieblichen und sozi- alen Integration im Sinne eines guten Integrationsmanagements (KDA 2019). Februar Bundesagentur Einrichtung einer Die Zentrale Servicestelle Berufsanerken- 2020 für Arbeit Zentralen Service- nung unterstützt Fachkräfte aus dem Aus- stelle Berufsaner- land und begleitet sie durch das Anerken- kennung (ZSBA) nungsverfahren bis zur Einreise nach Deutschland. Dadurch sollen die Verfahren für Bewerberinnen und Bewerber aus dem Ausland schneller, transparenter und ein- heitlicher sowie Anerkennungsbehörden entlastet werden (BMBF 2020). Quelle: IGES 3.1.1 Projekt „Triple Win“ Deutschland hat mit einigen Drittstatten bereits bilaterale Vermittlungsabspra- chen für Pflegeberufe getroffen, mit dem Ziel, nachhaltig, transparent und fair Pflegekräfte für die Gesundheits- und Pflegebranche gewinnen zu können. Als Ori- entierung dient dabei der Code of Practice der WHO. Um das Ziel zu erreichen, verfolgte das Projekt Triple Win seit 2013 zunächst den Ansatz bereits ausgebildete Pflegefachkräfte aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, den Philippinen, Serbien und
IGES 20 Tunesien zu vermitteln und anschließend in Deutschland eine Anerkennungsquali- fizierung durchlaufen zu lassen. Die Vermittlung erfolgte in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durch die Zent- rale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). 2019 wurde die Strategie um einen zweiten Ansatz erweitert. Dieser konzentriert sich auf die Gewinnung von jungen Menschen mit pflegerischer Vorerfahrung aus Vietnam, die im Anschluss in Deutschland die dreijährige generalistische Pflegeausbildung absolvieren (Bunde- sagentur für Arbeit o. J.). Im Rahmen des Projekts erhalten Arbeitgeber der Pflegebranche Unterstützung bei der Auswahl, Anerkennung und Integration der Pflegekräfte. Die Pflegekräfte selbst profitieren durch eine neue berufliche und persönliche Perspektive, wobei Lohnungleichheiten im Vergleich zu deutschen Pflegekräften durch ein transparen- tes Vorgehen vermieden und Arbeitnehmerrechte geschützt werden sollen. Geld- sendungen der Pflegekräfte in ihre Heimatländer unterstützen ihre Familien und stoßen zudem entwicklungspolitische Impulse im jeweiligen Land an (Bundesagen- tur für Arbeit o. J., Bundesagentur für Arbeit 2019). Weiterhin wird der Arbeitsmarkt der Herkunftsländer entlastet, da nur in Ländern rekrutiert wird, in denen ein Fachkräfteüberschuss besteht (Bundesagentur für Ar- beit o. J., Bundesagentur für Arbeit 2019) bzw. eine hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht. Die Anwerbung junger Menschen und die Bereitstellung von Ausbil- dungsmöglichkeiten in Pflegeberufen birgt für die Herkunftsländer der Migrantin- nen und Migranten das Potenzial, dass sie als ausgebildete Pflegefachkräfte ggf. in ihre Heimatländer zurückkehren und eine Tätigkeit in der dortigen Gesundheits- und Pflegebranche aufnehmen, was die Gesundheitssysteme der Herkunftsländer stärkt. Zu prüfen ist in diesem Fall, inwiefern die deutsche Pflegeausbildung im je- weiligen Drittstaat anerkannt wird. Aus deutscher Sicht liegt der Fokus allerdings auf einer langfristigen Bindung der Fachkräfte in Deutschland. Dies setzt eine er- folgreiche berufliche und soziale Integration in Deutschland voraus, die maßgeb- lich von den Arbeitgebern zu gestalten ist. 3.1.2 Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) Die im Oktober 2019 gegründete DeFa mit Sitz in Saarbrücken unterstützt Einrich- tungen des Gesundheitswesens und Personalserviceagenturen dabei Pflegefach- kräfte im Ausland gewinnen zu können (Bundesministerium für Gesund- heit 2019b). Aktuell konzentrierten sich ihre Aktivitäten ausschließlich auf Mexiko, die Philippinen und Brasilien. Sie sollen jedoch sukzessive auf weitere Herkunfts- länder erweitert werden (Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pfle- geberufe o. J.). Die DeFa organisiert in erster Linie Anträge auf Visa, die Anerken- nung der Berufserlaubnis sowie Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Zudem kontrolliert sie Anträge auf Vollständigkeit und Korrektheit. Auf diese Weise wer- den Antragsverfahren beschleunigt und beteiligte deutsche Behörden entlastet. Bereits drei Monate nach dem Visa-Antrag sollen die Fachkräfte nach Deutschland
IGES 21 einreisen können und nach weiteren drei Monaten die volle berufliche Anerken- nung vorliegen. Flankiert wird das Angebot durch eine Unterstützung bei der Be- werberauswahl und Sprachkursen im Herkunftsland (Bundesministerium für Ge- sundheit 2019b). 3.1.3 Projekte „Fachkräftegewinnung in der Altenpflege“ und „Modellvorha- ben zur Gewinnung von Arbeitskräften aus Vietnam zur Ausbildung in der Krankenpflege in Deutschland“ Ziel des „Modellvorhaben zur Gewinnung von Arbeitskräften aus Vietnam zur Aus- bildung in der Krankenpflege in Deutschland“, das von 2016 bis 2019 unter Feder- führung des BMWi lief, war es, den Prozess der Gewinnung junger Menschen aus Drittstatten zum Zweck einer Pflegeausbildung in Deutschland zu erproben. Als Partnerland fungierte Vietnam. Insgesamt haben zwei Jahrgänge das Projekt durchlaufen (Braeseke et al. 2020). Das Modellvorhaben ließ sich in vier Phasen bzw. Thematiken einteilen: Rekrutierung geeigneter junger Menschen in Vietnam für eine Kranken- pflegeausbildung in Deutschland, eine dreizehnmonatige sprachliche sowie eine fachliche Qualifizierung in Vietnam, eine Pflegeausbildung in Deutschland sowie der Integrationsprozess in Deutschland. Von 2012 bis 2016 hatte bereits das Vorgängerprojekt „Fachkräftegewinnung in der Altenpflege“ stattgefunden, in dem Vietnam ebenfalls als Partnerland am Pro- jekt teilnahm. Die Pflegekräfte wurden ebenfalls in Vietnam sprachlich auf Deutschland vorbereitet und absolvierten anschließend eine auf zwei Jahre ver- kürzten Altenpflegeausbildung in Berlin, Bayern, Baden-Württemberg oder Nie- dersachen. Die im Projekt geknüpften Kooperationsbeziehungen werden von Akt- euren der Pflegebranche weiterhin gepflegt und Aktivitäten zur Rekrutierung von Pflegekräften selbstständig weitergeführt (Braeseke et al. 2020). Die Projektevaluation bestätigte, dass durch beide Modellvorhaben eine selbst- ständige Fortsetzung der Rekrutierungen, durch einzelne Akteure der Pflegebran- che sowie der GIZ und ZAV, erreicht werden konnte und diese weitergeführt wer- den. Weiterhin erwies sich der Ansatz, junge Menschen aus Vietnam in Deutschland pflegerisch auszubilden, als erfolgreich und praktikabel. Als heraus- fordernd zeigte sich in der Evaluation der Spracherwerb. So haben die Sprach- kenntnisse der Auszubildenden trotz Vorbereitung im ersten Pilotprojekt zunächst nicht ausgereicht, um zu Beginn der Ausbildung dem Unterricht in Theorie und Praxis zu folgen. Auch nach Abschluss der Ausbildung wurde zum Teil noch weite- rer Sprachunterricht in Anspruch genommen, was einerseits die Notwendigkeit ei-
IGES 22 ner guten sprachlichen Vorbereitung im Herkunftsland und andererseits eines wei- terführenden Sprachunterrichts in Deutschland unterstreicht (Braeseke et al. 2020). 3.1.4 Projekt „Sprungbrett Pflege“ für geflüchtete Menschen aus Drittstaaten Das Projekt wird seit 2018 durch den Bonner Verein für Pflege- und Gesundheits- berufe e. V. angeboten und richtet sich an Flüchtlinge, die mindestens die Sprach- ebene A1 erreicht haben. Im Rahmen des Projekts sollen sie auf eine Ausbildung in der Altenpflege vorbereitet werden. Zentrale Zielstellungen sind dabei: die Sprachkenntnisse zu verbessern (A2- und B1-Nivau), Fachwissen zur Altenpflege zu vermitteln, Nachholen des Hauptschulabschlusses oder Vorbereitung auf den Übergang in eine Altenpflegeausbildung, Aktivitäten zur gesellschaftlichen, sozia- len und beruflichen Integration in die deutsche Gesellschaft sowie das Einbinden der Geflüchteten in ein Mentorenprogramm (Bonner Verein für Pflege- und Ge- sundheitsberufe e. V. 2020). Weitere Informationen sowie Material zum Download sind unter dem nachfolgen- den Link zu finden: https://www.bv-pg.de/index.php/integration_sprache/sprungbrett-pflege/ 3.1.5 IQ Netzwerk – Integration durch Qualifizierung Das Netzwerk des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ arbei- tet bereits seit 2005 daran, Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrations- hintergrund zu verbessern. Gefördert wird das Programm durch das Bundesminis- terium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF). Von zentralem Interesse ist, dass ausländische Berufsabschlüsse auch in Deutsch- land zu einer Beschäftigung führen. Das Förderprogramm IQ weist vier Handlungs- schwerpunkte auf, die in Teilprojekten umgesetzt werden: 1. Die Anerkennungsberatung, in deren Zentrum die Anerkennung ausländi- scher Berufsabschlüsse steht. 2. Anpassungsqualifizierungen, um eine volle Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen zu unterstützen. 3. Förderung der interkulturellen Kompetenzentwicklungen in Jobcentern, Agenturen für Arbeit, kommunalen Verwaltungen, Unternehmen sowie de- ren Verbänden 4. Vernetzung und Unterstützung von regionalen Fachkräftenetzwerken (IQ Netzwerk 2020). Insgesamt werden durch das Förderprogramm 380 Teilprojekte für zugewanderte Menschen oder Geflüchtete in allen 16 Bundesländern unterstützt. Eine Übersicht über alle Teilprojekte (Stand 03/2020) ist über folgenden Link abrufbar:
IGES 23 https://www.netzwerk-iq.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/IQ_Publikatio- nen/IQ_Liste/08_2020_IQ_Liste.pdf Weiterhin stellt das IQ Netzwerk für Arbeitgeber auch Informationen zum Thema Aufenthalt von Drittstaatenangehörigen zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder Ausbildung in Deutschland bereit. 3.1.6 „Make it in Germany“ Über das mehrsprachige Portal „Make it in Germany“ bietet die Bundesregierung seit 2012 ausländischen Fachkräften und interessierten Unternehmen vielseitige Informationen zu den Thematiken Erlernen der deutschen Sprache, Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sowie zu Einreise und Auf- enthalt. Zusätzlich werden Unternehmen Unterstützung und Informationen zur Thematik der Gewinnung und Integration von Fachkräften aus dem Ausland, die in Deutschland arbeiten, studieren oder sich ausbilden lassen wollen, geboten. Pra- xisbeispiele bieten Einblicke in Erfahrungen anderer Unternehmen. Ziel des Portals ist es, die Attraktivität Deutschlands als Land für eine Arbeitsmigration zu präsen- tieren und damit die Rekrutierungsbemühungen deutscher Unternehmen interna- tional zu stärken (Die Bundesregierung o. J.). 3.2 Internationale politische Initiativen im Bereich der Gesund- heitsfachkräfte Unabhängig von den deutschen Bemühungen und Projekten gab es in den vergan- genen zehn Jahren, mit Blick auf Gesundheitsfachkräfte, verschiedene internatio- nale politische Initiativen. Bereits 2006 erstellte die WHO eine Liste mit 57 Staaten (Anhang A2), in denen nach WHO-Einschätzung ein Mangel an Gesundheitsperso- nal bestand und aus denen hierzulande nicht ohne Abstimmung mit der BA Ge- sundheitspersonal rekrutiert werden darf (Bundesagentur für Arbeit 2020a: 23). 2010 verabschiedete die WHO den Kodex zur internationalen Rekrutierung von Gesundheitspersonal, welcher jedoch auf Freiwilligkeit basiert (WHO 2010). Daneben existieren weitere politische Initiativen (Tabelle 3). In der Recherche bei großen internationalen politischen Organisationen stellte sich heraus, dass sich Ini- tiativen auf den europäischen Raum fokussieren. Sie verfolgen hauptsächlich das Ziel, die Gesundheitspersonalplanung und -prognose der EU-Mitgliedstaaten nachhaltig und effektiv zu gestalten und dabei länderübergreifend Wissen und Er- fahrungen auszutauschen. Daneben sollen auf nationaler Ebene Gesundheitssys- teme gestärkt und Rahmenbedingungen verbessert werden. Die 2016 von der UN eingesetzte High-Level Commission on Health Employment and Economic Growth soll zudem Maßnahmen zur Förderung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Ge- sundheitssektor vorschlagen (WHO 2020b).
IGES 24 Tabelle 3: Ausgewählte internationale politische Initiativen zum Gesund- heitspersonal Jahre Institutionen Initiativen Beschreibungen 2010 WHO Global Code of Freiwilliger Kodex, der ethische Grundsätze Practice on the für die internationale Rekrutierung von Ge- International sundheitsfachkräften enthält. Er dient den Recruitment of Mitgliedsstaaten zudem als Referenz und Leit- Health Person- faden bei der Einrichtung oder Verbesserung nel des rechtlichen und institutionellen Rahmens und in Formulierung und Umsetzung von bspw. bilateralen Abkommen. Weiterhin wer- den Mitgliedstaaten aufgefordert, effektive und nachhaltige Gesundheitspersonalplanung sowie Aus- und Weiterbildung zu betreiben, damit Gesundheitsfachkräfte langfristig ge- bunden werden (WHO 2010). 2012 Europäische Action Plan for Aktionsplan zur Förderung der gemeinsamen Kommission EU Health Zusammenarbeit der Länder der EU. Ziel war Workforce es, die Planung und Prognose von Gesund- heitsfachkräften zu verbessern, zukünftige Qualifikationsbedarfe zu antizipieren sowie die berufliche Weiterbildung kontinuierlich zu verbessern (Europäische Kommission o. J.a) 2013- Europäische Joint Action Die Initiative sollte für Partner aus 28 europäi- 2016 Kommission Health Work- schen Ländern eine gemeinsame Plattform force Planning zur Zusammenarbeit und zum Wissensaus- and Forecasting tausch bieten. Ziel war die Unterstützung in der Gesundheitspersonalplanung und -prog- nose (Europäische Kommission o. J.a; Europäi- sche Kommission o. J.b) Seit WHO Global Strategy Richtet sich hauptsächlich an Planer und poli- 2015 on Human Re- tische Entscheider der WHO-Mitgliedstaaten. sources for Verfolgt u. a. die Ziele: (1) evidenzbasierte Ge- Health: Work- sundheitspersonalpolitik, z. B. zur Leistungs- force 2030 und Qualitätssteigerung sowie Stärkung der Gesundheitssysteme, (2) Abstimmung von In- vestitionen in Personalplanung mit künftigen Bevölkerungsbedarfen und den Gesundheits- systemen, um Engpässe zu beheben und Be- schäftigte im Gesundheitswesen besser zu verteilen, (3) Auf- bzw. Ausbau institutioneller Kapazitäten auf verschiedenen Ebenen mit dem Ziel einer effektiven Public Policy, Füh- rung und Governance hinsichtlich Human Re- sources, (4) Ausbau bzw. Stärkung u. Monito- ring des Datenbestandes zu Human Resources sowie Sicherstellung der Implementierung von Strategien auf regionaler, nationaler u. globaler Ebene (WHO 2016; WHO 2020c).
IGES 25 Jahre Institutionen Initiativen Beschreibungen Seit ILO/OECD/WHO High-Level Die von der UN eingesetzte Kommission soll 2016 Commission on Maßnahmen zur Förderung und Schaffung Health Employ- von Arbeitsplätzen im Gesundheits- und Sozi- ment and Eco- alsektor entwickeln, um ein integratives Wirt- nomic Growth schaftswachstum voranzutreiben, wobei den (HEEG) Bedürfnissen der Länder mit niedrigem und niedrig-mittlerem Einkommen besondere Auf- merksamkeit geschenkt werden soll (WHO 2020b). Seit Europäische Support for the Expertennetzwerk für Planung und Progno- 2017 Kommission health work- sen, das u. a. folgende Zielsetzungen verfolgt: force planning (1) Bildung von Expertennetzwerken zur Wis- and forecasting sensstrukturierung und zum Wissensaus- expert network tausch, sowie Aufbau einer gemeinsamen (SEPEN) Plattform, (2) Kartierung nationaler Strategien für Ge- sundheitsfachkräfte, (3) Förderung und Aus- tausch von Wissen und bewährten Verfahren der Gesundheitspersonalplanung in Work- shops, (4) ggf. länderspezifische Unterstützung hin- sichtlich der Umsetzung einer Gesundheits- personalplanung (Europäische Kommission o. J.a) Quelle: IGES Die dargestellten Initiativen standen bzw. stehen federführend unter der Leitung der Institutionen WHO, ILO, OECD sowie der Europäischen Kommission. Im Rah- men der High-Level Commission on Health Employment and Economic Growth kommt es innerhalb einer Initiative zur institutionellen Kooperation von WHO, ILO und OECD. Zum Teil sind Initiativen so angelegt, dass sie auf den Resultaten und der Arbeit der vorangegangenen Aktionen aufbauen, wie im Fall von SEPEN (Sup- port for the health workforce planning and forecasting expert network), das ein Folgeprojekt der Joint Action Health Workforce Planning and Forecasting ist. Die Finanzierung beider Initiativen wurde im Rahmen des EU-Gesundheitsprogramms sichergestellt, unter Federführung der Europäischen Kommission (Europäische Kommission o. J.a). Die Kommission betont die Notwendigkeit, Aktivitäten zur Ge- sundheitspersonalplanung und -prognose länderübergreifend zu koordinieren, was sich im Aufbau europaweiter Expertennetzwerke und Foren zum gemeinsa- men Austausch widerspiegelt (ebd.). Insgesamt liegt der Fokus der vorgestellten Initiativen größtenteils darauf, Gesundheitsfachpersonal bedarfsgerecht zu planen und zu prognostizieren, Fachkräfte dem Bedarf entsprechend im Land zu qualifi- zieren und mittels guter Arbeitsbedingungen dauerhaft im Land zu binden.
IGES 26 4. Überblick über die Fachkräftesituation in der Pflege weltweit (Literaturrecherche) Einen globalen Überblick über die Fachkräftesituation in der Pflege ermöglicht eine aktuelle Studie der WHO (WHO 2020a). In dieser finden sich Daten zu den Pflege- berufen in 191 WHO-Mitgliedsstaaten. Der Bericht liefert Angaben zu Anzahl und Art der beschäftigten Pflegepersonen in den jeweiligen Ländern, Beschreibungen zur Pflegeausbildung und zu Qualifikationsniveaus, zur Regulierung der Pflegeaus- bildung und der Arbeitsbedingungen, zu Migration etc. Daten zum Pflegepersonal werden jeweils aggregiert für die sechs WHO-Regionen dargestellt: Afrika (African Region), Amerika (Region of the Americas), Südostasien (South-East Asia Region), Europa (European Region), östlicher Mittelmeerraum (Eastern Mediterranean Region) und der westpazifische Raum (Western Pacific Re- gion). Eine Übersicht, welche Länder den einzelnen Regionen zugeordnet sind, ist im Anhang zu finden (siehe Anhang A1). 4.1 Klassifikation der Berufsabschlüsse des Pflegepersonals Für den internationalen Vergleich werden Berufe, wie auch die Pflegeberufe, ei- nem international gültigen monohierarchischen Klassifikationsschema für Grup- pen von Berufen zugeordnet, der International Standard Classification of Occupa- tions (ISCO, deutsch: Internationale Standardklassifikation der Berufe). Die Zusammenstellung dieser Systematik erfolgte durch die International Labour Or- ganization (ILO). Die aktuelle Fassung ist die ISCO-08. In dieser Klassifikation wer- den Pflegekräfte unterschiedlicher Berufsabschlüsse abgebildet. Zwei Berufsab- schlüsse, die im Fokus der Erhebung der WHO 2020 liegen, sind Pflegefachkräfte (professional nurse) mit dem ISCO-Code 2221 und Pflegehilfskräfte (associate pro- fessional nurse) mit dem ISCO-Code 3221 (WHO 2020a: 8). Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Ausbildungswege, das Aufgabenspek- trum und das Rollenverständnis von beispielsweise Pflegefachkräften von Land zu Land verschieden sein kann (WHO 2020a: 9). Dies wird im Bericht an den unter- schiedlichen Berufsbezeichnungen des Pflegepersonals verdeutlicht. Folgende Ab- bildung 3 gibt einen Einblick, wie viele Berufsbezeichnungen für das Pflegeperso- nal in den einzelnen WHO-Regionen existieren und spiegelt damit auch das unterschiedliche Verständnis von „Pflegepersonal“ wider:
IGES 27 Abbildung 3: Anzahl der verschiedenen Berufsbezeichnungen für Pflegeperso- nal pro WHO-Region (Berufsabschlüsse und Spezialisierungen in der Pflege) 40 35 32 31 30 25 20 19 20 15 11 10 10 5 0 Quelle: Eigene Darstellung IGES, auf Grundlage von WHO 2020a: 9 Es ist zu beachten, dass Leistungen im Bereich „Pflege“ in einem multidisziplinären Gesundheitssystem nicht nur von Pflegekräften erbracht werden, sondern in der Regel weitere Berufsgruppen involviert sind. Je nach Tätigkeitsspektrum könnten dabei z. B. "nurse aides" in der ISCO-Klassifikation als Gesundheitsassistenten ein- geordnet werden und damit nicht zu den Pflegekräften im engeren Sinne zählen. Bei der Länderabfrage der WHO konnten 2,6 Millionen (9 %) „Pflegekräfte“ (gem. Berufsbezeichnung) keiner der beiden Kategorien „professional nurse“ oder „associate professional nurse“ zugeordnet werden, da deren Aufgabenbereiche über den der „Pflege“ deutlich hinausgehen (WHO 2020a: 108). In einigen Ländern ist auch die eindeutige Zuordnung verschiedener Qualifika- tionsniveaus zu Pflegefach- und Pflegehilfskräften schwierig. Wenn keine trenn- scharfe Beurteilung möglich war, konsultierte die WHO nationale Stakeholder. Diese wurden gebeten, unter Berücksichtigung der Rollen und Verantwortlichkei- ten der Berufsgruppe zu entscheiden, ob diese eher als Fach- oder Hilfskräfte ein- zuordnen sind. Als Entscheidungshilfe galt, dass eine Pflegefachkraft eine Min- destausbildungsdauer von drei Jahren absolviert haben muss. Falls ein Land diese Entscheidung nicht treffen konnte, gab es die Möglichkeit, die Klassifikation zu um- gehen und die betreffenden Berufsgruppen in eine Kategorie zu sortieren, die als „nicht näher bezeichnete Pflegekräfte“ definiert war (WHO 2020a: 108).
IGES 28 In der ISCO-08 werden die Pflegefach- und -hilfskräfte anhand ihrer Aufgaben in der Pflege unterschieden. Dabei ist zusammenfassend zu sagen, dass die Pflege- fachkräfte Verantwortung für Planung und Management der Pflege von Patienten tragen, autonom oder in Teams mit Ärzten und anderen Berufsgruppen arbeiten. Die Pflegehilfskräfte hingegen bieten eine grundlegende pflegerische und persön- liche Betreuung und arbeiten in der Regel unter Aufsicht und Anleitung einer Fach- kraft oder zur Unterstützung von medizinischem, therapeutischem oder anderem Gesundheitspersonal (WHO 2020a: 108) (siehe auch folgende Tabelle 4): Tabelle 4: Unterscheidung der Aufgaben von Pflegefach- und -hilfskräften auf Basis des ISCO-Systems (Tätigkeitsprofile Pflege) Aufgabenfeld Aufgaben von Pflegefachkräften Aufgaben von Pflegehilfskräf- ten Pflegeprozess Planung, Durchführung und Bewer- Durchführung von Pflege, per- tung der Pflege von Patienten sönlicher Betreuung und Ver- sorgung von Patienten Versorgungskoordi- Koordination der Versorgung von Pa- Gesundheitsberatung der Pati- nation und Bera- tienten in Absprache mit anderen Be- enten gemäß den Pflegeplä- tung rufsgruppen innerhalb der Gesund- nen von anderen Berufsgrup- heitsberufe pen der Gesundheitsberufe Pflegeplanung und Entwicklung und Umsetzung der Pfle- Unterstützung bei der Planung -durchführung geplanung in Zusammenarbeit mit an- und dem Management der deren Gesundheitsfachkräften Pflege einzelner Patienten Durchführung und Planung und Durchführung von Verabreichung von Medi- Überwachung von persönlicher Betreuung, Behand- kamenten und anderen Therapien lungen und Therapien Behandlungen an Patien- Verabreichung von Medikamen- ten ten Überwachung des Zustan- Überwachung der Reaktionen auf des der Patienten und Re- die Behandlung oder Pflege aktionen auf die Behand- lung Überweisung von Patien- ten an einen Angehörigen eines Gesundheitsberufs zur spezialisierten Versor- gung nach Bedarf Wundversorgung Wundreinigung und Versorgung mit Wundreinigung und Versor- Verbänden gung mit Verbänden Schmerz-/Notfall- Überwachung von Schmerz und Unterstützung bei der Ersten behandlung Unwohlsein bei Patienten und Hilfe in Notfällen Linderung von Schmerzen durch Therapien Verabreichung schmerzstillender Medikamente Gesundheitsförde- Planung und Beteiligung an gesund- heitserziehenden Programmen, z. B.
IGES 29 Aufgabenfeld Aufgaben von Pflegefachkräften Aufgaben von Pflegehilfskräf- ten rung und Präven- zur Gesundheitsförderung und Ge- tion sundheitskursen für Patienten Weitergabe von In- Beantwortung von Fragen von Patien- Aktualisierung von Informatio- formationen über ten und deren Angehörigen und Be- nen über den Zustand und Be- den Gesundheitszu- reitstellung von Informationen über handlungen der Patienten aus stand von Patienten die Prävention von Gesundheitsprob- der Patientenakte/dem Pfle- lemen, Behandlung und Pflege gedokumentationssystem Koordinierung und Koordinierung und Anleitung anderer Anleitung anderer Gesundheitsberufe im Behandlungs- Gesundheitsberufe prozess im Behandlungspro- zess Pflegeforschung Durchführung von Forschung über Pflegepraktiken und Verfahren Quelle: Eigene Darstellung IGES, auf Grundlage von WHO 2020a: 109 4.2 Daten zum Pflegepersonal weltweit 27,9 Millionen Pflegekräfte waren im Jahr 2018 weltweit tätig, von denen zwei Drittel (19,3 Millionen) zu den Pflegefachkräften (professional nurses) gehörten. Etwa 6 Millionen Pflegekräfte gehören der Gruppe der Pflegehilfskräfte an (associ- ate professional nurses) und 2,6 Millionen konnten nicht eindeutig zugeordnet werden (siehe auch Abschnitt 4.1).1 Die Anzahl der Pflegekräfte gesamt ist im Zeit- raum von 2013 bis 2018 etwa um 4,7 Millionen gestiegen (WHO 2020a: 38). Welt- weit gehört damit das Pflegepersonal (bestehend aus professionellen Pflegekräf- ten und Pflegehilfskräften) zu der größten Gruppe im Gesundheitssektor (59 % aller Beschäftigungsgruppen im Gesundheitssektor) (WHO 2020a: 37). 4.2.1 Regionale Verteilung, Dichte des Pflegepersonals Die Personalressourcen in der Pflege sind weltweit sehr ungleich verteilt. Über 80 % des weltweiten Pflegepersonals ist in Ländern tätig, die zusammen die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren. Abbildung 4 veranschaulicht die großen Un- terschiede in der Dichte des Pflegepersonals, wobei die niedrigsten Werte in den Regionen Afrika, Südostasien und dem Östlichen Mittelmeerraum sowie einigen Ländern in Lateinamerika zu finden sind: 1 Nicht alle teilnehmenden Länder konnten Daten zum Pflegepersonalbestand für das Jahr 2018 liefern, sondern stellten Daten aus vorherigen Jahren zur Verfügung. In diesen Fällen wurden diese Pflegepersonal-Bestandsdaten auf Basis der Daten zur Bevölkerung im Jahr 2018 hochge- rechnet.
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