30 Jahre vereintes Deutschland- eine wirtschaftliche Bilanz Wo stehen Deutschlands Regionen im innerdeutschen sowie europäischen Vergleich? ...
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STUDIE 30 Jahre vereintes Deutschland – eine wirtschaftliche Bilanz Wo stehen Deutschlands Regionen im innerdeutschen sowie europäischen Vergleich?
DAS UNTERNEHMEN IM ÜBERBLICk Prognos – wir geben Orientierung. Die Prognos AG ist eines der ältesten Wirtschaftsforschungsunternehmen Europas. An der Universität Basel gegründet, forschen Prognos-Expertinnen und -Experten seit 1959 für verschiedenste Auftragge- ber aus dem öffentlichen und privaten Sektor – politisch unabhängig, wissenschaftlich fundiert. Die be- währten Modelle der Prognos AG liefern die Basis für belastbare Prognosen und Szenarien. Mit rund 150 Expertinnen und Experten ist das Unternehmen an neun Standorten vertreten: Basel, Berlin, Bremen, Brüssel, Düsseldorf, Freiburg, Hamburg, München und Stuttgart. Die Projektteams arbeiten interdiszipli- när, verbinden Theorie und Praxis, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Geschäftsführer Rechtsform Christian Böllhoff Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht; Sitz der Gesellschaft: Basel Präsident des Verwaltungsrates Handelsregisternummer Dr. Jan Giller CH-270.3.003.262-6 Handelsregisternummer Gründungsjahr Berlin HRB 87447 B 1959 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Arbeitssprachen DE 122787052 Deutsch, Englisch, Französisch Hauptsitz Prognos AG St. Alban-Vorstadt 24 4052 Basel | Schweiz Prognos AG Prognos AG Tel.: +41 61 3273-310 Résidence Palace, Block C Hermannstraße 13 Fax: +41 61 3273-300 Rue de la Loi 155 (C/O WeWork) 1040 Brüssel | Belgien 20095 Hamburg | Deutschland Weitere Standorte Tel: +32 280 89-947 Tel.: +49 40 554 37 00-28 Prognos AG Prognos AG Prognos AG Goethestr. 85 Werdener Straße 4 Nymphenburger Str. 14 10623 Berlin | Deutschland 40227 Düsseldorf | Deutschland 80335 München | Deutschland Tel.: +49 30 5200 59-210 Tel.: +49 211 913 16-110 Tel.: +49 89 954 1586-710 Fax: +49 30 5200 59-201 Fax: +49 211 913 16-141 Fax: +49 89 954 1586-719 Prognos AG Prognos AG Prognos AG Domshof 21 Heinrich-von-Stephan-Str. 23 Eberhardstr. 12 28195 Bremen | Deutschland 79100 Freiburg | Deutschland 70173 Stuttgart | Deutschland Tel.: +49 421 845 16-410 Tel.: +49 761 766 1164-810 Tel.: +49 711 3209-610 Fax: +49 421 845 16-428 Fax: +49 761 766 1164-820 Fax: +49 711 3209-609 info@prognos.com | www.prognos.com | www.twitter.com/prognos_ag
INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis............................................................................................................................................I Abbildungsverzeichnis.....................................................................................................................................II Tabellenverzeichnis..........................................................................................................................................III Zusammenfassung..........................................................................................................................................1 1 Einleitung: 30 Jahre deutsche Einheit...................................................................................................4 1.1 Wo kommen wir her?......................................................................................................................4 1.2 Wo stehen wir heute?.....................................................................................................................5 1.3 Wie geht es weiter?.........................................................................................................................5 1.4 Wie ist diese Studie aufgebaut?....................................................................................................5 2 Demografie und Raumstruktur...............................................................................................................6 2.1 Land vs. Stadt: Wo leben die Deutschen?.....................................................................................6 2.2 Infrastruktur: Gut vernetzt?............................................................................................................9 2.3 Bevölkerungsentwicklung: Wer wächst, wer schrumpft?.............................................................11 2.4 Bevölkerungsstruktur: Jung, alt, international?............................................................................13 2.5 Synopse: Demografische Muster deutscher Regionen................................................................16 3 Wirtschaftsstruktur und Beschäftigung................................................................................................20 3.1 Wirtschaftskraft und Einkommen: Was leisten die Deutschen?.................................................20 3.2 Beschäftigung: Wie und wo arbeiten die Deutschen?.................................................................23 3.3 Branchen: Welche Branchen prägen Deutschlands Regionen?..................................................27 3.4 Unternehmen und Innovation: Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen?.....................35 3.5 Synopse: Wirtschaftliche Muster deutscher Regionen................................................................40 4 Deutschlands Regionen im EU-Vergleich..............................................................................................44 4.1 Wirtschaftskraft: Auf Augenhöhe mit Europa?..............................................................................45 4.2 Bevölkerung: Wie schnell altert Europa?.......................................................................................47 5 Ausblick: Zehn Jahre weiter...................................................................................................................50 5.1 Wie krisenfest ist Deutschland eigentlich?...................................................................................50 5.2 Welche Regionen werden langfristig wachsen, welche schrumpfen?.........................................53 6 Fazit: Vereintes Land mit Unterschieden..............................................................................................56 Quellenverzeichnis...........................................................................................................................................60 Impressum........................................................................................................................................................61 I | Regionale Wirtschaftskraft | Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Ländlichkeit und Bevölkerungsdichte.......................................................................................12 Abbildung 2: Breitbandverfügbarkeit und weitere infrastrukturelle Indikatoren.........................................14 Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsbewegungen seit 1991.....................................16 Abbildung 4: Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre auf Kreisebene..................................................18 Abbildung 5: Entwicklung des Durchschnittsalters seit 1991......................................................................19 Abbildung 6: Jugend- und Altenquotient (Mittelwert der Jahre 2014 bis 2018).........................................20 Abbildung 7: Deutschlands Regionen nach demografischen Mustern........................................................22 Abbildung 8: BIP pro Kopf in Ost- und Westdeutschland seit 1991.............................................................26 Abbildung 9: Medianeinkommen 2019 und Entwicklung des Medianeinkommens 2012−2019.............27 Abbildung 10: Beschäftigte mit Berufsausbildung und Anteil hochqualifizierter Beschäftigter 2019......30 Abbildung 11: Schulabbrechendenquote (Mittelwert 2014−2018) und Auszubildendenquote (2019)...31 Abbildung 12: Regionale Verteilung der Zukunftsbranchen und der öffentlichen Dienstleistungen.........34 Abbildung 13: Regionale Verteilung der Branchen Energie & Bau sowie Handel & Tourismus.................36 Abbildung 14: Deutschlands Regionen nach branchenspezifischen Mustern............................................38 Abbildung 15: Mittelstandsdichte und Anteil an Beschäftigten in Großunternehmen 2019.....................41 Abbildung 16: Top-500-Unternehmen und Anteil Weltmarkführer 2019..................................................... 42 Abbildung 17: Gründungs- und Patentintensität in Deutschlands Regionen...............................................44 Abbildung 18: Deutschlands Regionen nach wirtschaftlichen Mustern......................................................46 Abbildung 19: BIP pro Kopf in den ostdeutschen Bundesländern im Jahr 2018, in Euro..........................50 Abbildung 20: BIP pro Kopf im Jahr 2018, in Euro normiert auf den EU-Schnitt........................................ 52 Abbildung 21: Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung, in Prozent, 2018................................................... 53 Abbildung 22: Altenquotient, in Prozent, 2018..............................................................................................53 Abbildung 23: NEET-Rate in den NUTS-1-Regionen in der EU und in ausgewählten Regionen, 2018......54 Abbildung 24: Regionale Betroffenheit in der Finanzkrise- und Wirtschaftskrise 2008/2009.................56 Abbildung 25: Regionale Betroffenheit durch die Corona-Krise...................................................................57 Abbildung 26: BIP pro Kopf im Jahr 2030, in Euro normiert auf den EU-Schnitt........................................58 Abbildung 27: Veränderung der Bevölkerung insgesamt und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter.59 II | Regionale Wirtschaftskraft | Abbildungsverzeichnis
TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Charakterisierung der demografischen Muster............................................................................18 Tabelle 2: Charakterisierung der branchenspezifischen Muster..................................................................34 Tabelle 3: Charakterisierung der wirtschaftsspezifischen Muster...............................................................42 Tabelle 4: Wirtschaftskraft (BIP pro Kopf 2018) in ausgewählten europäischen NUTS-1-Regionen.........46 Tabelle 5: Wer hat von wem profitiert? Eine exemplarische Bilanz der Einheit...........................................58 III | Regionale Wirtschaftskraft | Tabellenverzeichnis
ZUSAMMENFASSUNG Als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Die ostdeutschen Bundesländer (inkl. Berlin) stell- 1990 im Zuge der Wiedervereinigung über die ten 1991 gut 22 Prozent der gesamtdeutschen ökonomischen Perspektiven der neuen Bundes- Bevölkerung, erwirtschafteten aber nur knapp länder sprach, versprach er, dass die Mammut- 12 Prozent des gesamtdeutschen Bruttoinlands- aufgabe rasch bewältigt sein würde: „Durch eine produkts (BIP). Seither ist die Bevölkerungszahl gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, im Osten um insgesamt 1,8 Millionen Menschen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, bzw. rund 10 Prozent zurückgegangen, die wirt- Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald schaftliche Leistung hingegen überproportional wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, gewachsen. Jede/-r fünfte Deutsche wohnt heu- in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ te in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Deutschland hat sich in den zurückliegenden 30 Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Berlin, der Jahren dieser außergewöhnlichen Aufgabe gestellt Beitrag zum BIP ist auf 15,5 Prozent gestiegen. Pro und sich dabei gut geschlagen. Besser womöglich, Kopf liegt das BIP in Ostdeutschland mittlerweile als viele Menschen im Land glauben. Warum das bei knapp 80 Prozent des Bundesschnitts (1991: so ist, zeigt diese Studie. Sie zieht eine Bilanz der unter 50 %). wirtschaftlichen Entwicklung des wiedervereinten Deutschlands, beleuchtet regionale Ähnlichkeiten Aus der Wirtschaftskraft lassen sich die Median- und Unterschiede, gemeinsame Erfolge und He- einkommen ableiten. Hier ist die Lücke etwas klei- rausforderungen und wagt einen Blick in die Zu- ner und sie schrumpft auf 13 Prozentpunkte (87 % kunft. des Bundesdurchschnitts, ohne Kaufkraftberei- nigung 83 %), wenn man die Medianeinkommen Die Studie konzentriert sich auf die vergangenen kaufkraftbereinigt, also die unterschiedlichen Le- drei Jahrzehnte. Gleichwohl ist es wichtig, auch benshaltungskosten berücksichtigt. Die Lebens- die prägenden Jahre der Deutschen Demokrati- haltungskosten sind im Osten im Durchschnitt schen Republik und der Bundesrepublik Deutsch- deutlich geringer als im Westen; insbesondere die land vor 1990 mitzudenken. Dadurch lassen sich Wohnkosten treiben sie in die Höhe. viele Unterschiede erklären. Die Bundesrepublik Deutschland, wie wir sie kennen – mit ihren 16 Hier spiegeln sich die ungleichen Flächen und Bundesländern –, existiert seit dem Jahr 1990. Knappheitsverhältnisse sowie andere raumstruk- Seither sind zwei Regionen zusammengewach- turelle Merkmale wider. So verfügt Ostdeutschland sen − ein historisch einmaliger Transformations- über knapp 31 Prozent der Fläche Deutschlands, und Angleichungsprozess mit unterschiedlichen was bei knapp 20 Prozent Bevölkerungsanteil eine Ausgangsbedingungen. Diese Unterschiede waren deutlich geringere Bevölkerungs- und Siedlungs- besonders am Anfang deutlich spürbar. dichte mit sich bringt. In Westdeutschland leben 1 | Regionale Wirtschaftskraft | Zusammenfassung
mit durchschnittlich 269 Einwohnerinnen und Ein- bau der Breitbandversorgung geht deutlich langsa- wohnern fast doppelt so viele Menschen auf einem mer voran. Entsprechend ziehen junge Menschen Quadratkilometer wie in Ostdeutschland (149 EW/ weg und siedeln sich in Regionen mit besserer km²). Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn Infrastruktur und größeren Beschäftigungschan- Ostdeutschland ohne Berlin betrachtet wird (116 cen an. Diese liegen aber längst nicht mehr nur im EW/km2). Der Unterschied zwischen Ost und West Westen, weshalb sich seit knapp zehn Jahren die hat sich über die Zeit leicht vergrößert. Während innerdeutschen Wanderungsbewegungen verän- im Westen gut ein Viertel der Menschen in städti- dert haben: Waren die 1990er-und 2000er-Jahre schen Regionen lebt, sind es im Osten nur 13 Pro- noch von einer ausgeprägten Ost-West-Wanderung zent. Damit ist Ostdeutschland sehr viel ländlicher von Fachkräften und deren Familien geprägt, hat geprägt als Westdeutschland. sich der Trend seit 2013 umgekehrt. Seither wan- dern mehr und vor allem junge Menschen vom Viele raumstrukturelle Unterschiede sind weniger Westen in den Osten als umgekehrt. Boomende Ausdruck eines Ost-West-Gefälles als vielmehr „urbane Inseln“ wie Berlin, Leipzig, Dresden, Jena eines Auseinanderdriftens von Stadt und Land. oder Potsdam heben sich mit ihrer hohen Lebens- Auf dem Land sind die Entfernungen zu Ober- und qualität und neuen Arbeitsplätzen von den ansons- Mittelzentren, Unternehmen und neuen Jobs, Fern- ten ländlich geprägten Regionen Ostdeutschlands bahnhöfen oder Hochschulen größer und der Aus- ab und entfalten eine starke Sogwirkung. ZAHLENSPIEGEL 30 JAHRE VEREINTES DEUTSCHLAND Status quo 100 Deutschland Anteile Ostdeutschland Anteil der Bevölkerung an Deutschland 2.800 | 3.500 149 | 269 87 % | 93 % € 32,7 | 43,4 E/km2 Fläche 109 Tsd. km2 30,5 % der Haushalte Tsd. Arbeitslose 544 Tsd. 24,0 % Ländliche Regionen* 67 22,0 % 116 Hochqualifizierte 1,45 Mio. 19,8 % 95 101 104 105 83 79 64 Bevölkerung 16,2 Mio. 19,5 % Erwerbstätige 8,0 Mio. 17,8 % Breitbandver- Median- BIP pro Bevölkerungs- BIP 530 Mrd. 15,4 % fügbarkeit einkommen Kopf dichte Städtische Regionen* 10 10,4 % Prozentuale Entwicklung seit 1991 Patente 8,4 Tsd. 9,1 % 235 % TOP-500-Unternehmen 42 8,4 % Hidden-Champions 13 2,9 % 91 % 0 10 20 30 7% 22 % 8% Ostdeuschland *Die Unterscheidung erfolgt auf Basis der 401 -10 % -5 % Kreise und kreisfreien Städte und folgt der Ab- -46 % grenzung von Thünen 2018. 67 der 77 ost- deutschen Kreise bzw. kreisfreien Städte sind BIP pro Bevölkerung Erwerbs- Arbeits- Westdeutschland dem ländlichen Raum zuzuordnen (sehr ländlich Kopf tätige lose bzw. eher ländlich) und 10 Kreise bzw. kreisfreie Städte dem städtischen Raum (nicht ländlich). | Quelle: siehe Studie, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 2 | Regionale Wirtschaftskraft | Zusammenfassung
Bei der Wirtschaftsstruktur sind die Unterschiede erheblich. Positiv ist die erheblich bessere Ausbil- zwischen ost- und westdeutschen Regionen am dungs- und Beschäftigungsquote junger Menschen größten. In Ostdeutschland sind nur 8 Prozent der in ganz Deutschland. Insbesondere die süd- und Zentralen bzw. Hauptsitze der Top-500-Unterneh- südosteuropäischen Länder stehen aufgrund ihrer men und lediglich 3 Prozent der „Weltmarktführer“ überdurchschnittlich hohen Jugendarbeitslosigkeit angesiedelt (ein Grund, warum die Einkommen im vor erheblichen Herausforderungen. Osten geringer sind). Auch die Gründungsintensität oder die Zahl an Patentanmeldungen je 100.000 Die wirtschaftliche Bilanz des vereinten Deutsch- Erwerbsfähige (41) sind im Vergleich zu West- lands nach 30 Jahren zeigt: „Blühende Landschaf- deutschland (95) unterdurchschnittlich. Dieser ten“ gibt es in Ost und West, Nord und Süd. Gleich- historisch bedingte strukturelle Rückstand konnte wohl sind das faktische und wahrgenommene in den zurückliegenden 30 Jahren nicht flächende- Wohlstandsniveau weiterhin verschieden. Diese ckend abgebaut werden. Aber einige erfolgreiche Unterschiede beruhen allerdings auf einem zuneh- ostdeutsche Innovations- und Technologieregio- menden Stadt-Land-Gefälle und einer andersarti- nen (u. a. Jena) haben zu den westdeutschen Regi- gen Branchen- und Unternehmensstruktur − die onen aufgeschlossen. Unterschiede werden auch Himmelsrichtung spielt dabei keine Rolle. Bis bei einer branchenspezifischen Clusterung erkenn- 2030 wird sich an diesem Bild nicht viel ändern. bar. Ein überdurchschnittlicher Anteil ostdeutscher Die Schere zwischen Nord und Süd wird weiter auf- Beschäftigter ist in sogenannten Basisbranchen gehen, der Abstand zwischen Ost und West wird wie etwa den öffentlichen Dienstleistungen, im tendenziell gleichbleiben bzw. sich aufgrund der Handel und Tourismus oder der Bau- und Ener- demografischen Entwicklung wieder leicht vergrö- giewirtschaft tätig. Die strategisch bedeutsamen ßern. Der Bevölkerungsrückgang im Osten hatte Zukunftsbranchen (u. a. technologieorientierte In- sich in den letzten Jahren stabilisiert. Er wird sich dustrie, wissensintensive Dienstleistungen), die für in den ostdeutschen Flächenländern allerdings in Exporte, Innovation sowie Beschäftigungsaufbau Zukunft fortsetzen, gesellschaftliche Alterungspro- in Deutschland sorgen, sind im Osten im Vergleich zesse werden sich dadurch beschleunigen und die zu West- und Süddeutschland deutlich unterpro- Engpässe an qualifizierten Fachkräften verschär- portional vertreten. Dass diese abweichende Bran- fen. Entscheidender wird aber sein, ob es gelingt, chenstruktur gerade in Krisenphasen vorteilhaft die unterschiedlichen Dynamiken zwischen Stadt sein kann, zeigt die Analyse der Krisenresilienz. und Land in ganz Deutschland zu durchbrechen. Denn nicht nur in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, sondern auch aktuell in der Corona- Krise zeigt sich die ostdeutsche Wirtschaft deutlich robuster. Der Anteil der Branchen, die stark vom Lockdown und von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen sind, ist dort spürbar geringer als im Westen (18 % zu 23 %). Insgesamt sind die deutschen Regionen im euro- päischen Vergleich gut positioniert. In Bezug auf die Wirtschaftskraft und das BIP pro Kopf liegen sie nahe bei oder deutlich oberhalb des EU-Durch- schnitts. Die vermeintlich erheblichen Ungleich- heiten zwischen Brandenburg und Bayern oder Sachsen und Nordrhein-Westfalen relativieren sich damit deutlich. Der im innerdeutschen Vergleich ältere Osten fällt in der europäischen Einordnung zwar etwas weniger auf, die Auswirkungen und He- rausforderungen der Alterung bleiben gleichwohl 3 | Regionale Wirtschaftskraft | Zusammenfassung
1 EINLEITUNG: 30 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT samtdeutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro „Wo steht Deutschland 30 Jahre Kopf, hatten nur sehr wenige auf dem Weltmarkt nach der Wiedervereinigung?“ wettbewerbsfähige Unternehmen, aber z. B. ein niedrigeres Durchschnittsalter. Viele Ostdeutsche nutzten in den folgenden Jahren die Chance, in den Westen zu ziehen. Die westdeutschen Arbeits- Dieser Frage geht die Studie nach und untersucht, marktregionen boten höhere Einkommensniveaus, wie Deutschlands Regionen demografisch, struk- attraktivere Arbeitsplätze und eine bessere Infra- turell und wirtschaftlich aufgestellt sind. Anhand struktur. von 15 Leitfragen wird geklärt, was sich innerhalb Deutschlands seit 1991 getan hat und was bis Die Abwanderung von Ost nach West hielt an 2030 zu erwarten ist. Ein Vergleich mit anderen und führte dazu, dass die ostdeutsche Bevölke- EU-Ländern hilft, die Ergebnisse einzuordnen. rung stark abnahm und im Vergleich zum Westen deutlich schneller alterte. War zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung die Altersstruktur in Ost- und 1.1 Wo kommen wir her? Westdeutschland1 ähnlich, bewirkten die innerdeut- schen, aber auch die internationalen Wanderungs- bewegungen sowie der Einbruch der Geburtenrate Diese Studie konzentriert sich auf die 30 Jahre einen deutlich schnelleren Alterungsprozess des nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Ostens. Seit ein paar Jahren ist allerdings eine Republik zur Bundesrepublik Deutschland. Die Trendumkehr zu erkennen. So konnte Ostdeutsch- Jahrzehnte vor 1990, in denen die ostdeutschen land den Abwanderungsstrom von Ost nach West Bundesländer durch die DDR und die westdeut- eindämmen und sogar umkehren. Seit 2013 zie- schen Bundesländer durch die BRD geprägt wur- hen mehr Menschen vom Westen in den Osten den, sind nicht Gegenstand dieser Studie. Gleich- als in die umgekehrte Richtung. Die Auswirkungen wohl waren diese Jahre auch für die strukturelle zeigen sich auch in anderen Dimensionen: So hat und wirtschaftliche Entwicklung nach 1990 ent- sich beispielsweise das Pro-Kopf-Einkommen in scheidend. den vergangenen 30 Jahren deutlich angenähert und die Arbeitslosenzahlen sind in Ostdeutschland Die Bundesrepublik Deutschland, wie wir sie ken- überproportional stark gesunken. nen – mit ihren 16 Bundesländern –, existiert seit dem Jahr 1990. Seither sind die beiden Regionen mit unterschiedlichen Entwicklungen zusammen- gewachsen. Unterschiede waren vor allem am An- 1 Im Folgenden umfasst – sofern nicht anders kenntlich gemacht – Ostdeutsch- fang deutlich spürbar: So lagen die ostdeutschen land fünf Flächenländer und den Stadtstaat Berlin, zu Westdeutschland gehö- Bundesländer bei nur knapp 50 Prozent des ge- ren acht Flächenländer sowie die Stadtstaaten Bremen und Hamburg. 4 | Regionale Wirtschaftskraft | Einleitung: 30 Jahre deutsche Einheit
1.2 Wo stehen wir heute? chen Perspektiven. Die Metropolregionen und ur- banen Standorte im Osten haben sich zuletzt kon- tinuierlich nach vorne gearbeitet und stehen vielen Trotz dieser Annäherung gibt es im Jahr 2020 westdeutschen Regionen kaum nach. An der Spit- noch immer Unterschiede zwischen Ost- und ze zu nennen sind dabei Berlin, Leipzig und Dres- Westdeutschland. Der Abstand hat sich seit 1991 den, gefolgt von Jena, Potsdam, Erfurt, Magdeburg spürbar verringert, auf einem vergleichbaren Ni- und Greifswald. Diese „Ankerstädte“ haben sich veau stehen Ost und West aber 30 Jahre nach als erfolgreiche Leuchttürme in Ostdeutschland der Wiedervereinigung nicht. Immerhin erreicht etabliert und strahlen ins Umland aus. Ostdeutschland mittlerweile ein Niveau von rund 80 Prozent des bundesweiten BIP pro Kopf (+30 Bis 2030 wird sich an diesem Bild nicht viel än- Prozentpunkte gegenüber 1991). Somit bleibt dern. Die Schere zwischen Nord und Süd nimmt zu, nach wie vor eine Lücke, aber diese ist im europä- der Abstand zwischen Ost und West wird tenden- ischen Vergleich gar nicht so groß. Die vermeint- ziell gleichbleiben bzw. sich aufgrund der demo- lich erheblichen Unterschiede innerhalb Deutsch- grafischen Entwicklung wieder leicht vergrößern. lands – etwa zwischen Bayern und Brandenburg Entscheidender wird aber sein, ob es gelingt, die oder zwischen Nordrhein-Westfalen und Sachsen – unterschiedlichen Dynamiken zwischen Stadt und relativieren sich beim Blick über die Landesgren- Land in ganz Deutschland zu durchbrechen. zen. Denn beim Pro-Kopf-Einkommen nehmen alle deutschen Regionen ausnahmslos gute Positionen ein. Viele liegen deutlich über dem EU-Durchschnitt. 1.4 Wie ist diese Studie aufgebaut? Selbst die deutschen Regionen mit dem geringsten BIP pro Kopf liegen nur knapp unter oder genau im europäischen Schnitt, in etwa auf gleicher Höhe Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungskraft mit bekannten Regionen in Spanien oder Frank- können diverse Ursachen haben. Sie hängen u. a. reich. „Abgehängt“ erscheint aus diesem Blickwin- mit den raumstrukturellen und demografischen kel keine passende Vokabel zu sein. Gegebenheiten in den Regionen zusammen, die in Kapitel 2 erläutert werden. Kapitel 3 schließt daran an und ordnet die deutschen Regionen an- 1.3 Wie geht es weiter? hand verschiedener wirtschaftlicher Indikatoren in unterschiedliche Regionstypen ein. In Kombination mit dem vorangegangenen Kapitel wird so die Fra- Die wirtschaftliche Lage in Deutschland – Ost und ge beantwortet, ob und, falls ja, warum in vielen West – ist aktuell durch die Corona-Pandemie so wirtschaftlichen Bereichen auch 30 Jahre nach der unsicher wie nie zuvor. Die Krise bedeutet nicht Wende noch Unterschiede zu beobachten sind. In nur einen tiefen wirtschaftlichen Einschnitt, sie Kapitel 4 werden die deutschen Regionen im euro- kann auch strukturelle Veränderungen auslösen, päischen Kontext betrachtet und eingeordnet, ehe die heute noch gar nicht absehbar sind. Die Studie Kapitel 5 einen Ausblick wagt. wagt dennoch einen Blick nach vorne und zeigt, wo die deutschen und europäischen Regionen in zehn Jahren stehen, wenn die Corona-Krise hoffentlich überwunden ist. Das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West ist seit der Jahrtausendwende kleiner geworden, zwi- schen Nord und Süd haben die Einkommensunter- schiede jedoch zugenommen. Neben der geografi- schen Lage ist daher vor allem die Entwicklung von Stadt und Land entscheidend für die wirtschaftli- 5 | Regionale Wirtschaftskraft | Einleitung: 30 Jahre deutsche Einheit
2 DEMOGRAFIE UND RAUMSTRUKTUR Etwa 230 Menschen leben in Deutschland auf 2.1 Land vs. Stadt: Wo leben die Deutschen? einem Quadratkilometer. Hinter Belgien, den Nie- derlanden und Großbritannien gehört Deutschland damit zu den am dichtesten besiedelten Ländern Um die auf den ersten Blick banale Frage zu be- in Europa. Der europäische Durchschnitt liegt ge- antworten, ist zunächst eine nachvollziehbare mäß Eurostat (2020) nur bei 120 Einwohnerinnen Begriffsklärung notwendig. Denn wo das „Land“ und Einwohnern je Quadratkilometer. Allerdings anfängt und wo die „Stadt“ aufhört, ist bei diffe- sagt der Durchschnitt nichts über die räumliche renzierter Betrachtung nicht so eindeutig und und demografische Struktur in den Teilregionen abschließend zu beantworten. Durch die indika- aus. So unterscheidet sich Deutschland mit sei- torbasierte Definition der Ländlichkeit des Thü- ner eher dezentralen Struktur deutlich von ande- nen-Instituts lassen sich Regionen über die Be- ren großen europäischen Ländern wie Frankreich trachtung vielseitiger raumstruktureller Merkmale oder Großbritannien, die jeweils sehr dominante klassifizieren (Thünen-Institut 2018). Indikatoren Hauptstadtregionen haben (dazu auch Kapitel wie die Siedlungsdichte (Einwohnerzahl je Quad- 4). Während die Großräume Paris und London ratkilometer Siedlungs- und Verkehrsfläche), das klare Spitzenreiter in ihren Ländern sind, verfügt Bevölkerungspotenzial, die Erreichbarkeit großer Deutschland über viele räumlich verteilte Metro- Zentren, der Anteil an Ein- und Zweifamilienhäu- pol- bzw. Ballungsräume mit einer hohen Bevöl- sern sowie der Anteil der land- und forstwirtschaft- kerungsdichte, mit vielfältigen wirtschaftlichen, lichen Flächen werden vom Thünen-Institut auf sozialen und kulturellen Angeboten und einer gu- Kreisebene erfasst und geclustert. Die 401 Kreise ten Infrastruktur. Neben diesen Ballungsräumen und kreisfreien Städte Deutschlands werden damit prägen viele ländliche Regionen, insbesondere in den Klassen „sehr ländlich“, „eher ländlich“ und Nord- und Ostdeutschland sowie in Bayern und „nicht ländlich“ zugeordnet (Abbildung 1). Rheinland-Pfalz, das Bild. Für die Analyse der wirt- schaftlichen Entwicklung der deutschen Regionen In Westdeutschland liegt der Anteil der „nicht länd- seit 1991 und deren Zukunftsperspektiven ist eine lichen“, also städtischen Regionen bezogen auf Berücksichtigung raumstruktureller und demogra- alle westdeutschen Kreise und kreisfreien Städte fischer Gegebenheiten unabdingbar. Im Folgenden bei 26,5 Prozent. Räumlich finden sich diese ins- blicken wir daher zunächst auf zentrale Aspekte besondere im Umfeld von Metropolregionen (u. a. der Bereiche Bevölkerung und Infrastruktur und Rhein-Main, Stuttgart) mit einer starken Konzentra- prüfen, was Ost- und Westdeutschland besonders tion in Nordrhein-Westfalen mit der Metropolregion auszeichnet. Rhein-Ruhr. Die Kreise der Klasse „eher ländlich“ (29,9 %) befinden sich größtenteils im erweiter- ten Umfeld der Metropolregionen und können als Schnitt- und Übergangsstellen zu „sehr ländlich“, also peripher gelegenen Kreisen (43,5 %) betrach- 6 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
tet werden. In Westdeutschland sind weite Teile Städte, wie z. B. Berlin, Leipzig, Dresden oder von Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen sowie Chemnitz, wirken wie „urbane Inseln“ in einer in Schleswig-Holstein den „sehr ländlichen“ Regio- weiten Teilen ländlich geprägten Raumstruktur nen zuzuordnen. (48,1 % „eher ländlich“ und 39,0 % „sehr länd- lich“). In Ostdeutschland zählen weite Teile von In Ostdeutschland ist der deutlich geringere An- Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt so- teil an städtischen Regionen (13,0 %) augenfällig wie Thüringen zu den „sehr ländlichen“ Regionen und diese sind auch weniger räumlich geclustert. (Abbildung 1). ABBILDUNG 1: LÄNDLICHKEIT UND BEVÖLKERUNGSDICHTE Ländlichkeit wird nach dem Thünen-Institut (2018) definiert;* Bevölkerungsdichte: EinwohnerInnen je km² (2018) | Kartengrundlage: © GeoBasis-DE / BKG 2020 | Quellen: Thünen-Institut 2018, Destatis 2020, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 * Fünf Indikatoren bestimmen die Ländlichkeit: Die Ländlichkeit sinkt mit der Zunahme der Siedlungsdichte, dem Bevölkerungspotenzial und der Erreichbarkeit großer Zentren. Sie steigt mit dem Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern und dem Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Fläche (Thünen-Institut 2018). 7 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
Ost und West sind also jeweils zu etwa 40 Prozent wald: 3.946 km2) zu finden sind.4 Verglichen mit „sehr ländlich“ geprägt. Der zentrale Unterschied den drei größten westdeutschen Kreisen, welche liegt somit in den „eher ländlichen“ und städti- alle in Niedersachsen liegen, sind sie fast doppelt schen Räumen. Der Westen weist doppelt so vie- so groß (Emsland: 2.884 km2, Region Hannover: le städtische Regionen auf wie der Osten, wo sich 2.297 km2, Landkreis Osnabrück: 2.122 km2). Die das Leben mehrheitlich in der mittleren Kategorie durchschnittliche Flächengröße der ostdeutschen abspielt. Kreise insgesamt ist mit 1.415 km2 etwa zwei- mal so groß wie in Westdeutschland (767 km2). Ein zentraler Indikator zur Bestimmung der Länd- Zurückzuführen ist die Größe der Landkreise in lichkeit einer Region ist die Einwohner- bzw. Be- Ostdeutschland auf Fusionen im Zuge von Kreis- völkerungsdichte. Diese Kennzahl beschreibt die gebietsreformen, die in drei der fünf ostdeutschen durchschnittliche Anzahl von Einwohnerinnen und Flächenländern in den letzten Jahren umgesetzt Einwohnern je Quadratkilometer Gesamtfläche wurden.5 (EW/km2) einer entsprechenden Raumkategorie und liegt bundesweit bei rund 230 (Stand 2018). In der gesamtdeutschen Perspektive leben in Westdeutschland mit durchschnittlich 269 Ein- Wie Abbildung 1 verdeutlicht, zeigen sich klare wohnerinnen und Einwohnern fast doppelt so Unterschiede zwischen kreisfreien Städten und viele Menschen auf einem Quadratkilometer wie Landkreisen. Aber auch in der Ost-West-Perspek- in Ostdeutschland (149 EW/km²). Oder anders tive sind deutliche Unterschiede erkennbar. Dicht ausgedrückt: Ostdeutschland umfasst etwa 30 besiedelt sind erwartungsgemäß die größtenteils Prozent der Fläche Deutschlands, dort leben aber im Westen liegenden Großstädte bzw. Metropol- nur 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwoh- regionen sowie deren Umgebung. Dort liegt die ner. Noch deutlicher wird der Unterschied, wenn Bevölkerungsdichte bei rund 1.160 EW/km2. Auf Ostdeutschland ohne Berlin betrachtet wird (116 Ebene der Bundesländer zeigt sich dies in hohen EW/km2). Der Unterschied zwischen Ost und Bevölkerungsdichten in den Stadtstaaten (Berlin: West hat sich seit 1995 durch eine unterschied- 4.090 EW/km2, Hamburg: 2.438 EW/km2, Bre- liche Bevölkerungsentwicklung weiter vergrößert men: 1.627 EW/km2). Nordrhein-Westfalen verfügt (Westdeutschland: 252 EW/km2, Ostdeutschland: mit 526 EW/km2 über die höchste Bevölkerungs- 162 EW/km2).6 Daraus ergibt sich für Westdeutsch- dichte aller deutschen Flächenländer.2 land auch ein erhöhter Anteil an Siedlungsfläche (2018: 10 %) im Vergleich zu Ostdeutschland (8 %). Auf Ebene der Landkreise zeigt sich eine beson- ders dünne Besiedlung in den flächenintensi- ven Kreisen in Ostdeutschland (z. B. Uckermark: 39 EW/km2, Mecklenburgische Seenplatte: 47 EW/ km2), wodurch die ostdeutschen Bundesländer die geringsten Bevölkerungsdichten in Deutschland aufweisen (Mecklenburg-Vorpommern: 69 EW/ km2, Brandenburg: 85 EW/km2).3 Dies liegt maß- geblich daran, dass die flächenmäßig größten Kreise Deutschlands allesamt in Ostdeutschland (Mecklenburgische Seenplatte: 5.496 km2, Lud- Die genannten Landkreise haben jeweils eine Fläche, die bis zu zweimal so wigslust-Parchim: 4.767 km2, Vorpommern-Greifs- 4 groß ist wie das Saarland (2.571 km²), das kleinste Flächenland in Deutsch- land. 2 Die Bevölkerungsdichte von Nordrhein-Westfalen liegt damit über der der 5 Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben aufgrund des Niederlande (knapp 500 EW/km²), die (mit Ausnahme von Malta) in Europa demografischen Wandels ihre Verwaltungsstrukturen angepasst. die höchste Bevölkerungsdichte aufweisen. 6 Dabei ist auch zu berücksichtigten, dass Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen 3 Diese ostdeutschen Bundesländer liegen damit allerdings immer noch über und Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren Kreisgebietsreformen durchgeführt dem Niveau von Schweden (25 EW/km²), Litauen (ca. 45 EW/km²) oder Bulga- und dabei kleinere Landkreise zu großen Flächenkreisen fusioniert ha- rien (ca. 64 EW/km²). ben. 8 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
2.2 Infrastruktur: Gut vernetzt? oder die Erreichbarkeit von Mobilitätsknoten- punkten näher beleuchtet (Abbildung 2).7 Neben der Raumstruktur bestehen in verschie- Ostdeutschland ist durch eine Kombination an gro- denen infrastrukturellen Bereichen erkennbare ßen, dünn besiedelten Flächenkreisen und eine Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen vergleichsweise geringe Zahl an Großstädten und Regionen. Im Folgenden werden zentrale Infra- Agglomerationsräumen geprägt. Die weitläufige strukturindikatoren wie die Breitbandversorgung 7 Weitere Infrastrukturaspekte wie die Erreichbarkeit von Krankenhäusern oder Supermärkten sind nicht Bestandteil dieser Untersuchung. Ausführliche Daten und Rankings hierzu finden sich in der großen Deutschland-Studie 2019 „Wo leben Familien und Senioren am besten?“ (ZDF/Prognos 2019). ABBILDUNG 2: BREITBANDVERFÜGBARKEIT UND WEITERE INFRASTRUKTURELLE INDIKATOREN Breitbandverfügbarkeit (≥ 50 Mbit/s) Ende 2019* | Kartengrundlage: © GeoBasis-DE / BKG 2020 | Quellen: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, atene KOM GmbH 2020, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2020, BBSR 2020, © Prognos 2020 eigene Berechnung und Darstellung Prognos * Anteil der privaten Haushalte mit einer Breitbandversorgung ≥ 50 Mbit/s (alle Technologien) an allen Haushalten in Prozent. Die Breitbandverfügbarkeit umfasst leitungsgebundene und drahtlose Technologien. Alle Angaben beziehen sich immer auf die Downloadgeschwindigkeit (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, atene KOM GmbH 2020). 9 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
Struktur spiegelt sich in infrastrukturellen Kennzif- Die Erreichbarkeitsunterschiede sind daher nicht fern zur Erreichbarkeit und Verfügbarkeit wider. zwischen Ost und West interessant, sondern eher zwischen einzelnen Bundesländern und Regionen. Im Vergleich zu Westdeutschland weist Ostdeutsch- Dies zeigt sich beispielsweise bei der Erreichbar- land eine unterdurchschnittliche Abdeckung mit keit des nächsten Bundesautobahn-Anschlusses und Verfügbarkeit von Breitband auf. Da sich (BAB-Anschlussstelle): In Niedersachsen braucht die Ausbauziele der Bundesregierung maßgeblich es rechnerisch rund 17 Minuten bis zur nächsten an der Zahl der erreichten Haushalte orientieren, Auffahrt und damit ebenso lange wie im Durch- bieten dünn besiedelte Gebiete tendenziell eine schnitt Ostdeutschlands. In einzelnen Kreisen dau- schlechtere Breitbandausstattung. So verfügen ert es hingegen häufig deutlich länger; am längsten (Stand Ende 2019) knapp 87 Prozent der ostdeut- in Lüchow-Dannenberg (Niedersachsen) mit einer schen Haushalte über eine Breitbandausstattung durchschnittlichen Fahrtzeit von 53 Minuten und von mindestens 50 Mbit/s, während es in West- im Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt, 46 min). Im deutschland mit 93 Prozent knapp 6 Prozentpunk- Erzgebirgskreis (Sachsen) benötigt man mit durch- te mehr sind. Berlin liegt mit über 98 Prozent, wie schnittlich 79 Minuten am längsten zum nächsten auch die anderen Stadtstaaten Hamburg und Bre- IC-/EC-/ICE-Bahnhof. In Westdeutschland beträgt men, deutlich über dem Bundesschnitt (knapp die längste durchschnittliche Fahrtzeit 74 Minuten 92 %). Ausstattungsdefizite sind hauptsächlich in im Landkreis Tirschenreuth (Bayern). Schlusslicht den ostdeutschen Flächenländern Mecklenburg- bei der Erreichbarkeit des nächsten internationa- Vorpommern und Sachsen-Anhalt auszumachen. len Flughafens ist das westdeutsche Nordfriesland Nur knapp 76 bzw. 78 Prozent der Haushalte ha- mit durchschnittlich 122 Minuten, knapp hinter ben dort Zugang zu schnellem Internet. Sachsen, dem ostdeutschen Vorpommern-Rügen (119 min). Brandenburg und Thüringen liegen mit etwa 85, Die weitläufigen räumlichen Strukturen Ost- 88 bzw. 89 Prozent nur knapp unter dem Bun- deutschlands mit wenigen Oberzentren spiegeln desschnitt. Der Rückstand der ostdeutschen Flä- sich auch im Pendlerverhalten der Bevölkerung chenländer hängt maßgeblich ab von der geringen wider. Im Jahr 2017 hatten 12,1 Prozent der so- Siedlungsdichte, dem hohen Anteil an ländlichen zialversicherungspflichtig Beschäftigten im Osten Gebieten und dem Fehlen größerer Städte; Fakto- einen Arbeitsweg von 50 Kilometern und mehr ren, die das wirtschaftliche Erschließungspotenzial (Westdeutschland: 10,4 %). Interessant ist dabei für Telekommunikationsanbieter begrenzen.8 allerdings, dass im Osten in den letzten zehn Jah- ren eine abnehmende Tendenz auszumachen ist Gemessen an der durchschnittlichen Pkw-Fahrt- (2007: 13,5 %), während die Anteile im Westen an- zeit in Minuten9 sind Oberzentren (37 min in Ost- gesichts steigender Mobilitätsbereitschaft sowie deutschland vs. 27 min in Westdeutschland), IC-/ weitgehend angespannter Wohnungsmärkte stei- EC-/ICE-Bahnhöfe (30 vs. 25 min), Anschlussstellen gen (2007: 9,4 %). der Bundesautobahn (18 vs. 14 min) sowie Flughä- fen (64 vs. 54 min) in Ostdeutschland schwieriger zu erreichen als in Westdeutschland, wobei auch in ländlichen Gegenden Westdeutschlands eine teils schlechte Anbindung zu verzeichnen ist. 8 Allerdings ist Westdeutschland in Bezug auf die Breitbandversorgung keineswegs das Maß aller Dinge. Norwegen, Niederlande und das Vereinigte Königreich haben bereits über 95 Prozent ihrer Haushalte angeschlossen. 9 Es handelt sich um den flächengewichteten Durchschnittswert der Pkw-Fahrt- zeiten zur nächsten BAB-Anschlussstelle (bzw. zum Flughafen oder zur IC-/EC-/ ICE-Haltestelle). Die Erreichbarkeitsberechnungen basieren auf Routensuchen in einem Straßennetzmodell. Die Ermittlung der für Straßentypen zugrunde ge- legten Pkw-Geschwindigkeiten erfolgt in Abhängigkeit von Ausbaustand sowie siedlungsstrukturellen und topografischen Gegebenheiten (BBSR 2020). 10 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
2.3 Bevölkerungsentwicklung: Der Anteil Ostdeutschlands an der Gesamtbevöl- Wer wächst, wer schrumpft? kerung sinkt seit 1991 (22,4 % und 18 Mio. Men- schen) kontinuierlich. In den 30 Jahren seit der Wiedervereinigung hat Ostdeutschland rund 1,8 Deutschland erlebte in den zurückliegenden 30 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner (−9,8 %) Jahren unterschiedliche Phasen und Wellen der Be- verloren. Auf Ebene der Bundesländer verzeichne- völkerungsentwicklung. Zur Wende lebten knapp te im Osten lediglich Berlin (+6,5 %) einen Zuwachs. 80,3 Millionen Menschen in Deutschland. Diese Geburten, Lebenserwartung und Wanderungsbe- Zahl wuchs bis 2002 auf knapp 82,5 Millionen wegungen bestimmen diese Entwicklung. Im Jahr an, während sie anschließend bis 2010 auf 81,8 2019 lebten 80,5 Prozent der Gesamtbevölkerung Millionen zurückging. Im Jahr 2019 lag die Bevöl- Deutschlands im Westen und 19,5 Prozent im Os- kerungszahl bei 83,2 Millionen Menschen (Abbil- ten. dung 3), ein Fünftel davon in Ostdeutschland.10 10 Die Bevölkerungszahl in Ost- und Westdeutschland wurde durch den Zensus 2011 korrigiert. ABBILDUNG 3: BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG UND WANDERUNGSBEWEGUNGEN SEIT 1991 Bevölkerungsentwicklung 1991 bis 2019 (Index: 1991 = 100)* sowie absolute Wanderungsbewegungen | Quellen: Destatis 2020, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 * Hinweis: Der Zensus 2011 hat zu einer Reduktion der Bevölkerungszahl in Deutschland um ca. 1,5 Millionen geführt. 11 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
Der Rückgang der ostdeutschen Bevölkerung seit und 2002 mit jährlich über 200.000 Menschen, 1991 ist zunächst auf einen deutlichen Sterbeüber- die von Ost nach West umzogen. Gleichzeitig wan- schuss (Gestorbene > Geborene) zurückzuführen. derten durchschnittlich lediglich ca. 130.000 Men- Dieser betrug in Ostdeutschland in den Jahren schen pro Jahr in die entgegengesetzte Richtung.11 1991 bis 1996 durchschnittlich fast 100.000 Men- Im gesamten Zeitraum von 1991 bis 2019 zogen schen pro Jahr. Im Zeitraum 1997 bis 2018 lag insgesamt 4,93 Millionen Menschen von Ost- nach der Sterbeüberschuss noch bei durchschnittlich Westdeutschland. In umgekehrter Richtung von 55.000 Personen pro Jahr. Seit dem Jahr 2011 ist West- nach Ostdeutschland waren es 3,86 Milli- in Ostdeutschland eine Trendwende zu beobach- onen Menschen, was für Westdeutschland einen ten. So wuchs die Bevölkerung von 2011 bis 2019 Binnenwanderungsgewinn von 1,07 Millionen um rund 300.000 Menschen bzw. rund 2 Prozent. Menschen seit 1991 bedeutet. Allerdings ist diese Entwicklung nicht „flächende- ckend“. In den ostdeutschen Flächenländern konn- Wie Abbildung 4 zeigt, sollte der allgemeine Zu- te lediglich Brandenburg seit 2011 einen signifi- wachs der ostdeutschen Bevölkerung aber nicht kanten Bevölkerungszuwachs um ca. 2,8 Prozent darüber hinwegtäuschen, dass in weiten Teilen, verzeichnen. Während sich die Bevölkerungszahl besonders in ländlichen Regionen, die Bevölke- von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen kaum rungsentwicklung weiterhin rückläufig ist und verändert hat, ist sie in Sachsen-Anhalt und Thü- sich das Wachstum auf einige wenige attraktive ringen weiterhin rückläufig (−3,6 bzw. −2,2 % seit und dynamische Ballungsräume beschränkt (u. a. 2011). Berlin +175.000, Potsdam +14.000 und Leipzig +43.000 Menschen) mit Wachstumsraten von über Westdeutschland verzeichnete zwischen 1991 5 Prozent im Zeitraum von 2014 bis 2018. Hinter und 1996 einen leichten Geburtenüberschuss von dem Zuzug nach Ostdeutschland stehen in diesen jahresdurchschnittlich knapp 400 Menschen, seit urbanen Räumen häufig gute Arbeitsmöglichkeiten 1997 dann einen durchschnittlichen Sterbeüber- in Kombination mit noch relativ entspannten Woh- schuss von rund 85.000 Menschen jährlich. Seit nungsmärkten im Vergleich zu west- und süddeut- 1991 ist die Bevölkerung in Westdeutschland um schen Metropolen. Die positivere Bevölkerungsent- knapp 7,5 Prozent gewachsen. Doch auch in West- wicklung der letzten Jahre in West- im Vergleich zu deutschland ist diese Entwicklung nicht „flächen- Ostdeutschland kann u. a. durch ein deutlich höhe- deckend“. Einige Städte und städtische Regionen res Außenwanderungssaldo im Westen mit deutli- sind in den 30 Jahren geschrumpft (u. a. Bremerha- chen Wanderungsgewinnen aus europäischen und ven, Wilhelmshaven, Pirmasens oder das nördliche außereuropäischen Ländern erklärt werden. Ruhrgebiet). Seit 2011 wuchs die westdeutsche Bevölkerung um knapp 2,5 Millionen Menschen In Deutschland zeigt sich ein übergreifender bzw. 4 Prozent und damit deutlich stärker als die Trend: das Wachstum städtischer Regionen und ostdeutsche. die Schrumpfung bzw. Stagnation und Alterung der Bevölkerung auf dem Land. In der Folge fehlen ge- Die Trendwende in der Bevölkerungsentwick- rade in den ländlichen Regionen zunehmend junge lung Ostdeutschlands geht einher mit innerdeut- und qualifizierte Fachkräfte. Dies gilt für Ost- und schen Netto-Wanderungsgewinnen (Abbildung 3). Westdeutschland gleichermaßen, allerdings ist Seit 2013 ziehen erstmals mehr Menschen von dieser Trend in Ostdeutschland deutlich stärker Westdeutschland nach Ostdeutschland, mit einem ausgeprägt. durchschnittlichen jährlichen Plus für Ostdeutsch- land von 6.400 Personen (2013−2019). Von 1991 bis 2010 wanderten hingegen noch ca. 185.000 Menschen jahresdurchschnittlich von Ost- nach Westdeutschland. Die größten Wellen fanden direkt 11 Auffällig ist dabei im Übrigen, dass besonders in den ersten Jahren nach nach der Wiedervereinigung 1991 bzw. 1992 statt der Wiedervereinigung der Großteil der West-Ost-Wanderer Männer waren (bis sowie nach der Jahrtausendwende 2000, 2001 1994 durchschnittlich 60 %). 12 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
ABBILDUNG 4: BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG DER LETZTEN JAHRE AUF KREISEBENE Entwicklung des Bevölkerungsstands von 2014 bis 2018 in Prozent | Kartengrundlage: © GeoBasis-DE / BKG 2020 | Quellen: Destatis 2020, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 2.4 Bevölkerungsstruktur: westdeutsche Bevölkerung mit +4,5 Jahren ver- Jung, alt, international? gleichsweise langsam gealtert. Der „Vorsprung“ Ostdeutschlands beim Durchschnittsalter war be- reits wenige Jahre nach der Einheit aufgebraucht Die großen Abwanderungswellen Anfang der (Abbildung 5). 1990er- und 2000er-Jahre von in weiten Teilen jungen Menschen in Kombination mit einem ge- Leichte Unterschiede finden sich auch bei der ringen Zuzug von Frauen in gebärfähigem Alter Lebenserwartung zwischen Ost- und West- führten zu einem deutlichen Alterungsprozess in deutschland. Im Westen leben die Menschen im Ostdeutschland. Erkennbar wird das beispielswei- Durchschnitt mit 80,9 Jahren ca. 0,6 Jahre län- se am Durchschnittsalter, welches für die ost- ger als im Osten (80,3 Jahre). Allerdings lag im deutsche Bevölkerung seit 1991 um knapp acht Jahr 2017 mit Bremerhaven der Stadtkreis mit Jahre auf 46,2 Jahre gestiegen ist. Parallel ist die der niedrigsten Lebenserwartung (77,9 Jahre) 13 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
ABBILDUNG 5: ENTWICKLUNG DES DURCHSCHNITTSALTERS SEIT 1991 Durchschnittsalter der Bevölkerung in Jahren | Quellen: Destatis 2020, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 ebenso in Westdeutschland wie mit Starnberg Die Karte zeigt eine fast durchgehend dunklere der Landkreis mit der höchsten Lebenserwartung Einfärbung im Westen Deutschlands (Abbildung 6). (83,6 Jahre).12 Vor allem in Norden und Süden ist der Jugendquo- tient überdurchschnittlich hoch. In Ostdeutschland Erkennbar ist der Alterungsprozess der Bevölke- liegen die „jüngsten“ Regionen westlich von Berlin rung in Ostdeutschland auch an der Entwicklung und um Dresden herum. Ein signifikantes Stadt- der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter Land-Gefälle ist nicht zu erkennen.13 (20−64 Jahre) sowie am Alten- und Jugendquo- tienten. Während die Zahl der Erwerbsfähigen in Die Bevölkerung in Ostdeutschland ist nicht nur Westdeutschland trotz der insgesamt alternden deutlich älter, sie ist auch weniger international Gesellschaft im Zeitraum von 1991 bis 2018 um geprägt als im Westen. Der Anteil der ausländi- 1,4 Prozent (570.000) auf 40,3 Millionen gestie- schen Bevölkerung hat in den letzten Jahren in gen ist, schrumpfte diese für den Arbeitsmarkt Deutschland zugenommen und lag in Ostdeutsch- entscheidende Altersgruppe in Ostdeutschland im land mit 7,9 Prozent im Jahr 2018 deutlich unter gleichen Zeitraum um 15 Prozent bzw. 1,7 Millio- dem westdeutschen und bundesdeutschen Niveau nen auf 9,5 Millionen. Der ostdeutsche Altenquo- (13,2 bzw. 12,2 %). In Ostdeutschland liegt ledig- tient (Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahre an der lich Berlin mit knapp 19 Prozent über diesem Ni- Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren) liegt mit veau (Destatis 2017). Deutschlandweit zeigt sich 40 deutlich über dem westdeutschen Niveau von ein erheblicher Unterschied zwischen städtischen 34. Diese Kennzahl ist besonders in den periphe- und ländlichen Regionen. Die ländlichen Regi- ren ländlichen Teilen Ostdeutschlands stark erhöht onen („sehr ländlich“ und „eher ländlich“ nach (Abbildung 6). Thünen-Institut 2018) weisen mit 8,8 Prozent ei- nen nur etwa halb so hohen Ausländeranteil auf Der Jugendquotient (Anteil der Bevölkerung unter wie die städtischen Regionen (16,5 %). Sowohl in 20 Jahren an der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Ost- als auch in Westdeutschland kommt die aus- Jahren) ist mit 28,0 in Ostdeutschland niedriger ländische Bevölkerung mehrheitlich aus Europa. In als im Westen (31,0), sodass die ostdeutsche Be- Ostdeutschland dabei überproportional viele Men- völkerung auch „von unten“ weniger verjüngt wird. schen aus osteuropäischen Staaten wie Polen oder Russland. 12 Diese Kennzahl korreliert mit anderen Indikatoren, wie z. B. dem Wohlstand, Bildungs- und Einkommensniveau sowie den strukturellen Merkmalen regiona- ler Arbeitsmärkte (u. a. Berufe, strukturelle Arbeitslosigkeit). 13 Ausgewiesen ist jeweils der Mittelwert der Jahre 2014−2018. 14 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
ABBILDUNG 6: JUGEND- UND ALTENQUOTIENT (MITTELWERT DER JAHRE 2014 BIS 2018) Jugendquotient: Anteil der Bevölkerung unter 20 Jahren an der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren Altenquotient: Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahre an der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren | Kartengrundlage: © GeoBasis-DE / BKG 2020 | Quellen: Destatis 2020, eigene Berechnung und Darstellung Prognos © Prognos 2020 15 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
2.5 Synopse: Demografische Muster Bezüglich der räumlichen Verteilung ist erkennbar, deutscher Regionen dass sich die Gruppen auf verschiedene Bundeslän- der verteilen und in Deutschland breit gestreut sind. Allerdings können auch klare geografische Muster Ausgehend von den vorangestellten Analysen und festgestellt werden (Abbildung 7 und Tabelle 1): strukturellen Merkmalen wurden mithilfe statisti- scher Clusteranalysen14 die deutschen Regionen ■■ Die stark schrumpfenden Regionen (Klasse 1) nach demografischen Mustern in verschiedene sind in Ostdeutschland mit einem Anteil von 53 Cluster eingeordnet. Die Clusteranalyse basiert da- Prozent (41 der insgesamt 77 Kreise und kreis- bei auf einer Reihe von Indikatoren aus den Berei- freien Städte in Ostdeutschland) weit über- chen Bevölkerungsentwicklung, Altersstruktur, Her- durchschnittlich vertreten. In Westdeutschland kunft und Lebenserwartung, die in den vorherigen schrumpfen lediglich sechs Kreise und kreis- Abschnitten näher beleuchtet wurden. Mithilfe der freie Städte (u. a. Südwestpfalz und Zweibrü- Methode wurden für die 401 Kreise und kreisfrei- cken) entsprechend stark. en Städte dominante und prägende Unterschiede aufgedeckt und bestimmt. Die fünf sich daraus er- ■■ Die stagnierenden und eher älteren Regionen gebenden Cluster umfassen jeweils demografisch (Klasse 2) machen sowohl in Ost- (25 %) als ähnliche Kreise: auch in Westdeutschland (22 %) knapp ein Viertel aller Kreise aus. Klasse 1: schrumpfend, alt und geringer Ausländeranteil ■■ Zu den leicht wachsenden und ansonsten durchschnittlichen Regionen (Klasse 3) zählen Klasse 2: stagnierend (bzw. Binnenab- 17 Prozent der ostdeutschen Regionen. Hierbei wanderung) und eher älter handelt es sich hauptsächlich um das Berliner Umland und Städte wie Dresden, Magdeburg. Klasse 3: leicht wachsend, ansonsten Rostock oder Erfurt. Die westdeutschen Krei- durchschnittlich se und kreisfreien Städte können zu gut einem Drittel dieser Gruppe zugeordnet werden. Sie Klasse 4: wachsend, jung und eher ländlich mit finden sich hauptsächlich in den ländlicheren hoher Lebenserwartung Teilen von Nordrhein-Westfalen, Niedersach- sen, Schleswig-Holstein und Bayern. Klasse 5: wachsend, städtisch und international ■■ Die wachsenden, jungen und eher ländlichen Regionen (Klasse 4) befinden sich vollständig im Westen Deutschlands – und hier vornehm- lich im Süden (Bayern und Baden-Württem- berg). 27 Prozent der Regionen zählen zu die- sem Typus. ■■ Zu den wachsenden und international gepräg- ten Städten (Klasse 5) gehören in Ostdeutsch- land Berlin, Potsdam, Leipzig und Jena, was einem Anteil von 5 Prozent entspricht. In West- deutschland gehören 45 Städte bzw. rund 14 Prozent aller Regionen zu dieser Klasse. 14 Hierarchische Clusteranalyse nach Ward, Distanzkriterium: quadrierte euklidische Distanz. 16 | Regionale Wirtschaftskraft | Demografie und Raumstruktur
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