KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
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KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019 HAUTNAH. Ein Blick auf den heimischen und internationalen Erfolg der koreanischen Kosmetikindustrie KLEINE BRÜCHE MIT DER GROßEN NORM. Ein Reiseführer der besonderen Art WISSENSEXPORT BIS DISNEYLAND. Education First ist ein Bildungsgigant und eröffnet Horizonte für Weltbürger KULTUR KOREA 1
EDITORIAL Liebe Leser*innen! Das Jahr 2019! Zeit für neue Themen! Für Aktuelles, für ,,Heiße Häufchen zum Dessert”. Wem zwar Anregendes und Erstaunliches, aber auch für der Appetit, nicht aber die Lust auf Bizarres Historisches und Traditionelles aus dem Land der vergangen ist, kann alternativ in einem Topf- oder Mönche und jahrhundertealten Bräuche auf der Gefängnishotel übernachten. In seinem Reise- und einen und der Heimat des Gamings, der virtuellen Kulturführer führt Sören Kittel wortwörtlich durch Realität oder des Verspielten mit Hang zum „Kitsch die Kultur und zeigt, dass der Fantasie in Korea mit Kulleraugen“ auf der anderen Seite. keine Grenzen gesetzt und ,,Kleine Brüche mit der großen Norm” längst überfällig sind. Wir berichten über den ersten deutschen Staatsbesuch eines Prinzen im Korea des Jahres Wie immer widmen wir uns den Künsten des 1899 und über den internationalen Erfolg der Schreibens, Malens, Performens, Musizierens und koreanischen Kosmetikindustrie im Hier und Fotografierens. „GOYANG LOVE“ heißt die Fotoserie Heute. Und „wer sein Geld mit dem Streben nach über eine Stadt der Liebe, die wohl erst „Auf den Schönheit verdient, sollte auch beim Bau seines zweiten Blick“ liebenswert ist. Kreativität bewegt Firmen-Hauptsitzes guten Geschmack beweisen“, und vermittelt neue Perspektiven – ob in Busans ist Ulf Meyer in seinem Artikel über die Zentrale Jungang-Viertel oder mittels Videoperformance der des „Amore Pacific“-Konzerns in Seoul überzeugt, Künstlerin kate-hers RHEE. Kim Hyesoon wiederum die das Berliner Chipperfield-Architekturbüro ist nicht nur eine berühmte, sondern auch eine entworfen hat. engagierte Lyrikerin und wichtige Stimme der koreanischen Gesellschaft. Das hat sie gemein Franz Lerchenmüller erzählt von seinen Erlebnissen mit der Autorin Gong Ji-young, die in Berlin über als Fahrradfahrer in Seoul, während sich eine US- „Literatur und Liebe“ sprach und der Überzeugung amerikanische Expat in Korea über die Kultur des ist, dass wir Menschen diese Welt verändern „Hoeshik“ - jenes regelmäßige Essen mit Kollegen können - zum Besseren hin. Wir informieren über nach Feierabend im Dienste der Vertrauensbildung NEUES AUF DEM BÜCHERMARKT und blicken - wundert. In seinem Buch „Mein Hirn hat seinen zurück auf das Alte in Gestalt der höfischen Musik eigenen Kopf“ erklärt der Neurowissenschaftler namens „Jeong-ak“. und Bestsellerautor Dong-seon Chang wie unsere Wahrnehmung funktioniert und warum keine Im Jahr des Schweins wünschen wir Ihnen „viel „weltbürgerliche Toleranz“ entwickelt, wer nicht in Schwein“, alles Gute und viel Zeit für freudvolles die Welt geht. Apropos Toleranz: Im Seouler „Poop- Lesevergnügen! Café“ werden Hundehaufen als Süßgebäck serviert und Suppen aus Toilettenschüsseln gelöffelt. Ihre Redaktion „Kultur Korea“ Erfahren Sie mehr über diese skurrile Begeisterung KULTUR KOREA 3
INHALTSVERZEICHNIS 1 25 EDITORIAL Zeit für Hoeshik! Über den Austausch mit Kollegen nach 2 Feierabend INHALTSVERZEICHNIS Von Kate Engelkes GESCHICHTE & RELIGION KALEIDOSKOP 4 28 Die Insel Jeju Wissensexport bis Disneyland Der Gegenentwurf zum Festland Education First ist ein Bildungsgigant und Von Alexander Reisenbichler eröffnet Horizonte für Weltbürger - auch in Korea Von Dr. Stefanie Grote 8 Erster deutscher Staatsbesuch in Korea 30 Prinz Heinrich von Preußen Hautnah Von Michael Dirauf Ein Blick auf den heimischen und internationalen Erfolg der koreanischen Kosmetikindustrie 10 Von Gesine Stoyke Mönche in buddhistischen Klöstern Bunter, als die grauen Kutten vermuten lassen 33 Von Alexander Reisenbichler Das Abenteuer beginnt - escape the room! Vom Online-Spiel in die Realität 15 Von Ylva Gothe Kirchen sind „in“ Pfarrerin Mi-Hwa Kang kommt 36 aus Deutschland und predigt in Korea Beständig ist nur der Wandel Von Nele Becker Das Berliner Büro von David Chipperfield erfindet für Seoul ein „Hof-Hochhaus“ KULTUR & GESELLSCHAFT Von Ulf Meyer 17 39 Ein Maibaum für Busan Roter Mohn vor Hochhausschluchten Eine liebgewonnene deutsche Tradition Erkundungstour durch Seoul auf zwei Rädern in der südkoreanischen Meeresstadt Von Franz Lerchenmüller Von Tim Hirschberg LITERATUR 19 Verspieltes Korea 41 Der Griff zum Kitsch mit Kulleraugen ,,Wenn das Wasser kommt, muss man rudern!” Von Jana Aléna Scharfenberg Im Gespräch mit Dong-Seon Chang über sein Buch „Mein Hirn hat seinen eigenen Kopf“ 21 Von Rainer Rippe Heiße Häufchen zum Dessert „Poop Cafés“ en vogue 44 Von Vildan Özgen Mitgefühl mit dem geschundenen Körper Ein Lyrikabend mit der Autorin Kim Hyesoon 23 Von Katharina Borchardt Die reelle Virtualität Korea, die Heimat des Gamings 46 Von Johannes Waldeck Wenn ein Kind 80 Jahre alt ist Die Schriftstellerin Ae-ran Kim stellte in Berlin ihr Werk vor Von Dr. Kai Köhler 4 KULTUR KOREA
48 KOREA IM SUCHER DER KAMERA - FOTOREPORTAGE Ewig währt der Schmerz der Liebe Die Schriftstellerin Gong Ji-young spricht 68 über ,,Literatur und Liebe“ ,,GOYANG LOVE” Von Christiane Pöhlmann Fotos von Matthias Ley NEUES AUF DEM BÜCHERMARKT 72 Auf den zweiten Blick 50 Im Gespräch mit dem Fotografen Matthias Ley Kleine Brüche mit der großen Norm über seine Reihe „GOYANG LOVE“ „An guten Tagen siehst du den Norden“ Von Dr. Stefanie Grote - Ein Reiseführer der besonderen Art Von Dr. Stefanie Grote NEWS & VIEWS 2018 52 74 Lim Chul Woo: ,,Das Viertel der Clowns” BTS, die Sensation aus Südkorea Jeong Yu-jeong: ,,Der gute Sohn” (Leseprobe) Koreanischer Pianist überzeugt Jury und Publikum und gewinnt Neue Sterne FILM & KUNST & MUSIK Theaterautorin Yeon-Ok Koh gewinnt den Internationalen Autorenpreis in Heidelberg 55 Im Spannungsfeld zwischen harter Realität Der diesjährige Hannah-Höch-Förderpreis ging und dem Wunsch nach Glück an Sunah Choi - Die Filme von KOREA INDEPENDENT 2018 Von Michaela Grouls RÜCKBLICK IM BILD 57 75 „Das Volk ist das gleiche, aber die Zeit eine andere.” Das Jahr 2018 im Koreanischen Kulturzentrum Der Blick eines japanischen Fotografen & anderswo... auf das geteilte Korea Von Bettina Dirauf 81 59 IMPRESSUM kate hers RHEE Kunst ohne Übersetzung Von Rachel Jans 61 Wachgeküsst durch die Kunst Neue Perspektiven durch kreative Projekte in Busans Jungang-Viertel Von Tim Hirschberg 64 Der rätselhafte Zauber der Jeong-ak Wie die alte Musik aus Korea in deutschen Ohren ganz neu klang Von Matthias R. Entreß 66 Was nach der Rückkehr von Isang Yun übrig bleibt Sein Auftrag an die Nachwelt Von Dr. Shin-Hyang Yun KULTUR KOREA 5
GESCHICHTE & RELIGION DIE INSEL JEJU Der Gegenentwurf zum Festland Von Alexander Reisenbichler Einleitung Die drei Halbgötter heirateten diese Prinzes- ,Sam-da-do‘, die Insel, die von drei Dingen sinnen, schossen drei Pfeile in verschiedene sehr viel hat: Steine, Frauen und Wind. So lau- Richtungen und teilten die Insel in drei Ab- tet das Sobriquet dieser subtropischen Insel schnitte: Ildo, Ido und Samdo. im Südwesten Südkoreas. Die Vulkaninsel Tamna blieb lange Zeit unabhängig, und Jeju mit dem Hallasan als höchster Erhebung archäologische Funde bezeugen Handels- (1950m und damit Südkoreas höchster Berg) beziehungen mit der südindischen Cho- bietet vulkanisches Gestein im Überfluss, aus la-Dynastie (300 v.Chr. – Ende d. 13. Jhdts.), dem Steinmauern, Häuser und das Symbol der chinesischen Han-Dynastie (206 v.Chr. der Insel, der Dol-harubang (wörtl. „steiner- - 220 n.Chr.) und der Yayoi-Periode im Japan ner Großvater“) erbaut werden. Fischerei war des 1. Jahrhunderts n.Chr. Im 10. Jahrhundert in der Joseon-Zeit (1392-1910) die Haupter- wurde Tamna vom Königreich Goryeo (918- werbsquelle der Bevölkerung und kein unge- 1392) unterworfen und 1105 offiziell annek- fährliches Unterfangen, bei dem viele Fischer tiert und in Jeju umbenannt. ums Leben kamen. Daher gab es dort immer Der Schöpfungsmythos Tamnas ist in Ostasi- mehr Frauen als Männer. Ein weiteres Merk- en insofern einzigartig, als dass die meisten mal der Insel ist der Wind, den die Bewohner mythischen Gründer oder Götter aus dem im Sommer als kühlend empfinden und im Himmel kommen. Dangun, der legendäre Winter als schneidend kalt. Diese Insel war Gründer Koreas, stieg vom Himmel herab, lange ein sehr entlegener Ort, und deshalb sein Großvater Hwanin war der Herrscher konnte sich eine eigene Kultur entwickeln des Himmels. Der Sonnengott Amaterasu und teilweise bis heute behaupten. Hier ein (genannt ,der vom Himmel abstammt‘) und kleiner Einblick in die historischen und kultu- Urahn des ersten Herrschers von Japan, Jim- rellen Charakteristika. mu tenno, ist ebenfalls himmlischer Abstam- mung. Mythologie Es gibt keine historischen Aufzeichnungen Verbannt auf die Ferieninsel der Frühgeschichte Tamnas, so der histori- In der modernen Geschichte Südkoreas ist die sche Name der Insel. Vor 4400 Jahren kamen Insel Jeju eine Ferien- und Flitterwochenin- Dolharubang – Steingroßvater. Diese laut der Legende die drei halbgöttlichen sel. Seit Aufkommen der Billigfluglinien ha- steinernen Figuren stehen zumeist an Gründer Go, Yang und Bu aus der Erde ge- ben sich die Flitterwochen zwar eher nach Eingängen und schützen vor Dämo- fahren. Die drei Löcher, die dabei entstanden Südostasien verlagert, aber auch heute noch nen, haben aber auch eine phallische sein sollen, sind heute noch sichtbar, und im sieht man südkoreanische Pärchen in Hoch- Bedeutung. Andere Bezeichnungen Jahr 1526 errichtete der Gouverneur dort ei- zeitsmontur auf Stränden posieren. Seit der wie z.B. Beoksumeori (Schamanen- kopf) lassen auf einen schamanisti- nen Altar. Diese Stätte wird ‚‚Samseonghyeol“ Goryeo-Dynastie (918-1392) wurde diese In- Fotos: Alexander Reisenbichler schen Ursprung schließen. (,Löcher der drei Klans‘) genannt. Eines Tages sel zu einem Exil - ebenso wie viele abgelege- wurde eine mythische Holzkiste ans Ufer ge- ne Orte auf der koreanischen Halbinsel, von spült, der drei Prinzessinnen aus dem König- den Bergen in Nordkorea über die Jiri-Berge reich Byeongnang entstiegen, die Nutztiere in Südkorea bis hin zu anderen kleinen In- wie Pferde und Kühe, aber auch Reis und seln im Südwesten Koreas. Die Insel Jeju war andere Agrarprodukte mit sich brachten. das bekannteste Exil (schließlich war es am 6 KULTUR KOREA
weitesten vom Hof in Seoul entfernt), in das mehr als 200 zumeist politisch unliebsame oder in Ungnade gefallene Gelehrte, Politiker und Thronanwärter, aber auch Kleinkriminelle und Prostitu- ierte, geschickt wurden und dort bis zu 20 Jahren blieben. Einige starben auch im Exil, andere wurden nach wenigen Jahren wieder rehabilitiert. Für viele Ge- lehrte war dies eine überaus produktive Phase ihres Lebens, in der Gedichte und philosophische Traktate entstanden. Doch auch die Insel profitierte von den Exilanten, die für fruchtbare Außenein- flüsse sorgten. Die Verbannten waren sozusagen konfuzianistische Missionare, die ihr karges und langweiliges Landle- ben (die meisten von ihnen waren ein üppiges Leben am Hof gewohnt) durch Unterrichten und teilweise auch durch die Ausübung politischer Ämter erträgli- cher machten. Ein natürliches Schwimmbecken aus Lavagestein direkt am Meer. Quelpart, wie die Insel in Europa vor dem 20. Jahrhundert hieß, nach einem hollän- dischen Schiff benannt, das diese Insel auf dem Weg zur japanischen Handels- station Nagasaki passierte, ist für seine unruhige See bekannt. Das musste auch der niederländische Seefahrer Hendrik Hamel im 17. Jahrhundert erfahren, als er und seine Crew an der Küste Schiffbruch erlitten und dort gegen ihren Willen fest- gehalten wurden. Hendrik Hamel gelang 13 Jahre später die Flucht nach Japan, wo er einen kurzen Bericht über seinen unfreiwilligen Aufenthalt im „Hermit Kingdom“ (‚Einsiedler-Königreich´) Korea verfasste, der heute im historischen Mu- seum von Jeju zu bewundern ist. Pferde Jorang-mal, Pferde von der Insel Jeju, sind in ganz Südkorea bekannt. Diese Mischrasse geht auf die Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert zurück, als der mongolische Herrscher Kublai Khan im Jahr 1276 rund 160 Pferde für Zuchtzwecke auf die Insel brachte, die mit den lokalen Pferden gekreuzt wur- den. Korea sollte zum Sprungbrett der Eroberung Japans werden, und Jeju war wie für die Pferdezucht geschaffen. Ein altes Sprichwort lautet: ,,Menschen sollte man nach Hanyang (heute Seoul) schicken, Pferde auf die Insel Jeju.” Die KULTUR KOREA 7
Jorang-mal, Pferde der Insel Jeju (Wikimedia Commons) importierten Pferde wurden mit den ben, die es heute im Hochkoreanischen Hochzeit und Begräbnis lokalen gekreuzt, und so entstand das nicht mehr gibt, andererseits finden sich Im Leben erfährt eine Person, so lautet kleine, stämmige Jorang-mal. Pferde wa- mongolische, mandschurische, japani- ein Sprichwort, zwei Mal Luxus, einmal ren besonders in der Joseon-Dynastie sche, und chinesische Wörter in dieser bei der Hochzeit, das zweite Mal nach (1392-1910) zu Kriegszwecken sehr wich- Sprache sowie Vokabeln, die in der Jo- dem Tod. Diese rituellen Ereignisse sind tig, im 15. Jahrhundert wurde sogar ein seon-Dynastie verwendet wurden, heu- sehr aufwendig und nehmen einige Tage Schlacht- und Konsumverbot verhängt. te aber nur noch in der Sprache Jejus in Anspruch. Hochzeiten haben früher Heutzutage gibt es auf Jeju viele Reiter- überlebt haben. Ein weiteres kurioses fünf Tage gedauert, aber auch heute höfe. Charakteristikum ist das Fehlen der Ho- noch, besonders im Süden der Insel, wird norativformen, der sogenannten Höflich- zwei Tage lang gefeiert. Das erste Fest fin- Jeju-mal – der Dialekt der Insel keitsstufen. det im Dorf statt, und alle Dorfbewohner Nach all den Unterschieden zwischen In- feiern mit. Das zweite Fest ist der Familie sel und Festland überrascht es nicht, dass Landwirtschaftliche Erzeugnisse der und den Verwandten vorbehalten. Die sich auf Jeju auch die Sprache vom Hoch- Insel Jeju Flitterwochen werden nicht, wie sonst koreanischen unterscheidet. Leider wird Am bekanntesten sind die Mandarinen, üblich, sofort angetreten, die erste Nacht der Dialekt fast ausschließlich nur mehr die wegen des milden Klimas der Insel wird im Haus des Mannes verbracht, erst von der älteren Generation gesprochen, eine bekannte Winterfrucht sind. In der am darauffolgenden Tag beginnt der Ho- deren Zahl nicht mehr als 10.000 Perso- Joseon-Dynastie waren diese eine elitä- neymoon. nen umfasst. Jeju-mal, die Mundart Jejus, re Frucht, die in hölzernen Kisten nach Das Datum des „zweiten Luxus“, dem wird deshalb von der UNESCO auf der Lis- Seoul transportiert wurde und dem kö- Begräbnis, wird von einem Schamanen te bedrohter Sprachen geführt und auch niglichen Hof vorbehalten war. Beson- festgesetzt. Die Herstellung des Sargs ist als eigene Sprache klassifiziert. Der Billig- ders beliebt ist heutzutage die kernlose eine rituelle Angelegenheit, alle Beteilig- fluganbieter Jeju Air gibt seine Durchsa- Mandarinensorte Dekopon, die in Südko- ten und die Familie essen Padchuk, eine gen immerhin auf Hochkoreanisch und rea unter dem Namen ,Hallabong‘ (wört- rote Reisbohnensuppe, um böse Geister auf Jeju-mal durch, eines der letzten lin- lich ,Halla-Bergspitze‘) bekannt ist, weil abzuwehren. Diese Speise muss von der guistischen Rückzugsgebiete. der obere Teil wie eine kleine Bergspitze Schwiegertochter des Toten gekocht In der Jeju-mal sind einerseits Laute aus aussieht. werden. dem Mittelkoreanischen erhalten geblie- Nach dem Tod, so besagt es die Mytho- 8 KULTUR KOREA
logie, begeben sich die Seelen der Fischer ke Frauen, die ihr eigenes, unabhängiges von Jeju auf die Insel Ieodo, eigentlich Leben führen. eine Steinformation 140 km südlich von Traditionelle Häuser (Hanok) wer- Marado, der südlichsten Insel Südkoreas. den auch heute noch abgerissen und Die Frauen sollen ihnen laut dem Volks- müssen Wolkenkratzern weichen. Das glauben nach ihrem Tod dorthin folgen. Apartment hat sich auch auf Jeju als be- liebteste Wohnform durchgesetzt, und Sozialstruktur Apartmentblöcke sprießen selbst in klei- Im traditionellen Korea genossen die nen Städtchen und größeren Dörfern wie Foto: Lea Lee Reisenbichler Frauen der Insel Jeju, anders als die Frau- Pilze aus dem Boden; viele Besonderhei- en auf dem koreanischen Festland, eine ten Jejus wurden ins Touristische über- hohe gesellschaftliche Position. Beson- setzt, die bekannten Meeresfrüchtetau- ders die Haenyeo, die Meeresfrüchte- cherinnen (Haenyeo) gibt es zwar noch, taucherinnen, waren wirtschaftlich stark aber nicht mehr so zahlreich. An Strän- und dementsprechend unabhängig. den verkleiden sich Frauen als Haenyeo Der aus Österreich stammende Eth- Nicht wenige wurden zu Händlerinnen und verkaufen Soju und Meeresprodukte nologe Alexander Reisenbichler und verkauften ihre Waren in Jeolla-do an südkoreanische Touristen; Schama- (*1977) lebt und forscht seit 15 Jah- oder Busan. Das traditionelle Leben der nen, die früher weit verbreitet waren, ren in Südkorea und Indien. Derzeit Frauen war nicht einfach, oft waren sie sind heute häufiger in Touristenbroschü- schreibt er seine Dissertation über verwitwet und mussten ihre Kinder al- ren als in freier Wildbahn anzutreffen. indische Christen im Bundesstaat Goa und arbeitet an einem Reisebe- lein aufziehen. Das spiegelt sich auch in Auch wenn Billigflüge nach Südostasien richt über Südkorea und das Leben der Vielzahl der Göttinnen wider, so z.B. die Touristenströme etwas verändert ha- in einer südkoreanischen Communi- Ja-cheong-bi, die Göttin der Erde, die ben, ist Jeju den Südkoreanern ans Herz ty. Mit seiner koreanischen Frau und sich um die Nutztiere und die Landwirt- gewachsen und nach wie vor ein sehr be- seinen beiden Töchtern hat er sein schaft kümmert. liebtes koreanisches Urlaubsziel. Basecamp in einem kleinen Dorf in den Jiri-Bergen in Südkorea aufge- Der traditionelle Haushalt auf der Insel Die Insel hat die schönsten Strände Süd- schlagen. Alexander Reisenbichler ist Jeju ist in einen inneren (Angeori) und koreas zu bieten, und einen Besuch kann unter anderem Autor von „Die vielen einen äußeren Wohnbereich (Bakgeori) ich nur wärmstens empfehlen. Beson- Gesichter der dokkaebi: Auf den Spu- unterteilt, die auch baulich voneinan- ders beliebt sind Radtouren, die auch ren eines koreanischen Phänomens“, der getrennt sind. Es sind faktisch zwei für unsportliche Mitmenschen machbar erschienen 2014 im OSTASIEN Verlag. Häuser, die von einer Familie bewohnt sind. werden. Der Angeori, der neben dem Schlaf- und dem Wohnzimmer sowie der Küche noch einen Raum zur Ahnen- verehrung umfasst, wird zuerst von den Eltern bewohnt, der Bakgeori vom Sohn und seiner Frau. Wenn die Eltern im fort- geschrittenen Alter sind und der Sohn die Geschäfte im Haus übernimmt, zieht dieser in das prestigereichere Angeori. Diese Wohnform existiert heute im Zuge der Modernisierung kaum noch. Wandel der Zeit Die rapide Modernisierung Südkoreas, die in den späten 1960er Jahren begann, hat ihre Spuren hinterlassen. Auch die Sozialstruktur von Jeju hat sich langsam dem südkoreanischen Mainstream ange- Foto: Alexander Reisenbichler passt; der Jeju-Dialekt hat nur mehr eini- ge wenige Sprecher; die Rolle der Frauen hat sich in Südkorea im Allgemeinen gewandelt, besonders in den urbanen Räumen. Auch auf dem Festland sind Wunderschöne Landschaften in der Nähe von Seogwipo. Palmen und Nadelbäume reichen sich Südkoreanerinnen selbstbewusste, star- hier die Hand. Die Höhlen wurden von den Japanern während des Zweiten Weltkriegs als Versteck ihrer Marine angelegt. KULTUR KOREA 9
GESCHICHTE & RELIGION ERSTER DEUTSCHER STAATSBESUCH IN KOREA Prinz Heinrich von Preußen Von Michael Dirauf 1 Prinz Heinrich von Preußen mit Gattin in einem Militärlager im Schutzgebiet Kiautschou in China einige Wochen vor seiner Reise nach Korea A m 8. Juni 1899 nachmittags um Prinz Heinrich hatte sich im September China, unternahm. Kurz nach der Abreise drei Uhr kam das Flaggschiff 1897 als Kommandant der zweiten Kreu- seiner Frau brach Prinz Heinrich zu sei- „Deutschland“ des deutschen zerdivision mit drei Kriegsschiffen auf nem Besuch nach Korea auf. Ostasiatischen Kreuzergeschwaders vor die Reise nach Asien gemacht. Die Flotte Incheon in Sicht und warf gegen vier Uhr sollte die bereits in Ostasien stationier- Nach seiner Ankunft in Incheon ging den Anker. Damit begann der wohl ein- ten Schiffe unterstützen. Kurz vor seiner Prinz Heinrich am nächsten Morgen an zige Besuch eines ausländischen Staats- Ankunft besetzten die Deutschen im No- Land, wo er durch ein Bataillon der In- gasts im koreanischen Kaiserreich. Der vember 1897 die Bucht von Kiautschou fanterie und einen Salut von 21 Schuss Besucher war der 37-jährige Prinz Hein- in China. Dieses Gebiet wurde auf poli- begrüßt wurde. Wegen des starken Re- rich von Preußen, der Bruder des damali- tischen Druck von Deutschland hin für gens wurde ihm das koreanische Emp- gen deutschen Kaisers Wilhelm II. Dieser 99 Jahre von China gepachtet. Während fangskomitee – alles Verwandte des Staatsbesuch sollte von koreanischer Sei- seines Aufenthaltes in Asien traf Prinz Kaiserlichen Hauses – im Schutze eines te aus die nationale Unabhängigkeit be- Heinrich an Weihnachten 1898 in Hong- Zeltes vorgestellt. Anschließend ging es tonen. Dieser, mit erheblichem Aufwand kong seine Frau, Prinzessin Irene, die mit Pferden in Richtung Seoul. Um 12 vorbereitete Besuch fand jedoch weder zusammen mit ihm bis Ende April des Uhr hatte die Reisegruppe bei mittler- in Deutschland noch in Korea besondere folgenden Jahres verschiedene Reisen, weile sonnigem Wetter etwa den hal- politische oder mediale Aufmerksamkeit. unter anderem nach Bangkok und nach ben Weg zur Hauptstadt zurückgelegt. 10 KULTUR KOREA
2 3 4 Das In hwa mun (인화문) war eigentlich das Haupttor des Palastes Deoksugung. Mit dem Ausbau des Straßennetzes im Umkreis verlor es seine Funktion und brannte 1905 nieder. oben: Talansicht von Tangkogä in Korea um 1900 unten: Johannes Bolljahn mit Schülern und Kollegen vor der Deutschen Schule in Seoul In einem Ort, dem heutigen Bucheon, Der Prinz aus dem unbekannten, fernen Danach besichtigte Prinz Heinrich die war von der koreanischen Regierung ein Deutschen Reich hob sich weder durch Deutsche Schule in Seoul unter Leitung reichhaltiges Mittagessen vorbereitet besondere Kleidung noch durch einen des deutschen Lehrers Johann Bolljahn. worden. Nach etwa einer Stunde bra- besonderen Tragestuhl hervor. Er kam Diese Sprachschule war im September chen die Besucher erneut auf, um den auf einem Pferd daher und trug die glei- 1898 von der koreanischen Regierung Weg Richtung Seoul fortzusetzen. Nach che Uniform wie seine Begleiter. eröffnet worden. Durch den Unterricht einiger Zeit erreichte die Gruppe den sollten Koreaner zu Dolmetschern aus- Han-Fluss, wo bereits zwei große zu- Prinz Heinrich wohnte in Seoul in einem gebildet werden. Der Unterricht wurde sammengebundene koreanische Boote extra für ihn mit europäischem Komfort als Anschauungsunterricht abgehalten, auf Prinz Heinrich warteten. Nach der eingerichteten Gebäude, während die da Bolljahn fast kein Wort Koreanisch Fluss-Überfahrt wurde der Prinz von ei- Offiziere und Soldaten im deutschen sprach. nem weiteren Bataillon der Infanterie im Konsulat untergebracht wurden. In ei- heutigen Stadtteil Mapo begrüßt. Weiter nem gelben Tragestuhl begab sich Prinz Am nächsten Morgen besichtigte Prinz ging es per Pferd zum Tor Namdaemun. Heinrich gegen sechs Uhr zum König.1 Heinrich während eines Ausrittes die al- Hier, vor dem großen Südtor, war ein Zelt Die Farbe Gelb war damals nach chinesi- ten Paläste Gyeongbokgung und Chang- aufgestellt worden, in dem der hohe Be- scher Tradition dem Kaiser vorbehalten. deokgung und die daran anschließenden such aus Deutschland durch eine große Aus diesem Grund empfing der kore- Gartenanlagen. Während des restlichen koreanische Staatsdelegation begrüßt anische König ihn in einem gelbseide- Tages wechselten sich diverse Besuche wurde. Nach einem kurzen Empfang nen Überkleid zusammen mit seinem und Gegenbesuche bei Seiner König- ritt Prinz Heinrich um vier Uhr nachmit- Kronprinzen in der Empfangshalle des lichen Hoheit Prinz Heinrich ab. Dabei tags zusammen mit sechs Offizieren, 25 Palastes Gyeongungung (heute Deoksu- kamen auch die deutsche Militärkapelle marschierenden Seesoldaten und einer gung). Nach der Vorstellung unterhielt und die begleitenden Seesoldaten zum zwölfköpfigen Militärkapelle in die Stadt sich der König mit Unterstützung seines Einsatz. Am Abend traf man sich zum Es- Seoul ein. Die Tausenden Koreaner, die Dolmetschers, dem Vize-Präsidenten des sen beim Kronprinzen, wobei während sich für den Empfang in den Straßen und Auswärtigen Amts, etwa 15 Minuten mit des Essens koreanische Tänzerinnen und auf den Dächern der Häuser versammelt Prinz Heinrich in englischer Sprache, um Sängerinnen die Gäste mit traditionellen hatten, waren allerdings sehr enttäuscht: anschließend mit ihm zu speisen. Tänzen und Gesang unterhielten. KULTUR KOREA 11
GESCHICHTE & RELIGION Am Morgen des 19. Juni trat die MÖNCHE IN Michael Dirauf: ‚‚Goldrausch in Korea. Die deut- deutsche Delegation die Rückreise sche Goldmine in Korea von 1897 bis 1903“, Iudi- BUDDHISTISCHEN cium-Verlag, München 2015. nach Incheon an, wo sich Prinz Hein- Politisches Archiv des Auswärtiges Amts (PA AA), rich am Nachmittag um vier Uhr wie- KLÖSTERN diverser Schriftverkehr zu Korea von 1898 bis der auf dem Flaggschiff „Deutsch- 1900. land“ einschiffte. Am Abend weilte er Landesarchiv Schleswig-Holstein-Abt. 395 Nr. 9 II: auf Einladung von Carl Wolter, deut- ‚‚Acta des persönlichen Adjutanten Seiner König- Bunter, als die grauen Kutten ver- scher Kaufmann und Teilhaber der lichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen betr. Korea. Politisches, Besuche, Handel, Verkehr“. muten lassen Firma E. Meyer & Co. in Korea, bei ei- Vom Dezember 1897. nem Abendessen, an dem alle deut- Von Alexander Reisenbichler schen Bürger aus der Stadt Incheon teilnahmen. Nach dem Konzert der Schiffskapelle verabschiedeten sich der Prinz und seine Begleiter von dem Gastgeber. Am folgenden Mor- M gen segelte die „Deutschland“ aus eine Frau hat in Pune (Indien) indi- dem Hafen von Incheon und brachte Bildrechte: sche Philosophie und Buddhismus Foto 1: Bundesarchiv, Bild 134-B2327 / CC-BY-SA den deutschen Prinzen zurück nach 3.0. Lizenz: Dieses Bild ist unter der Creative-Com- studiert und dort die Bekanntschaft Tsintau, China. mons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter von vielen südkoreanischen (aber auch viet- gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert. namesischen und thailändischen) buddhisti- Prinz Heinrich verfasste nach der Rei- Foto 2: Quelle: Foto Louis Bauer (ca. zwischen 1899 schen Mönchen und Nonnen gemacht. Als wir se einen zehnseitigen Bericht, worin und 1903). Familiensammlung Prof. Andreas Pistori- den Plan hatten, von Indien nach Südkorea zu er vor allem auf die militärische Lage us. Bearbeitet durch Michael Dirauf. ziehen, hat uns ein Mönch, der auch in diesem und die Infrastruktur des Landes ein- Foto 3: Quelle: Foto Louis Bauer. Familiensammlung Beitrag vorgestellt wird, die Community in der ging. Im letzten Satz fasste er die Er- Prof. Andreas Pistorius. Bearbeitet durch Michael Nähe eines südkoreanischen Klosters empfoh- kenntnisse seiner Koreareise zusam- Dirauf. len, weil uns das Leben in den Metropolen zu men und verwies auf „die Anhäufung Foto 4: Quelle: wie Foto 2 hektisch war. Diese alternative Community so vieler fremder militärischer und hat sehr viele Verbindungen zum dort ansäs- staatlicher Machtmittel in Korea“, die sigen Kloster Silsangsa; sie wurde ebenfalls nichts Gutes für den „Fortbestand von einem Mönch gegründet.1 Dank meiner der koreanischen Unabhängigkeit“ Lebensumstände habe ich sehr viele Mön- bedeuten würden. Der Staatsbe- che kennengelernt, und einige wurden meine such in Korea, der sich eher durch Freunde. Eine Auswahl von denen, die ich per- sein touristisches Besuchsprogramm sönlich kennengelernt habe, möchte ich in die- als durch politische Gespräche aus- sem Artikel vorstellen. zeichnete, war Teil seiner Reise durch verschiedene Länder Asiens. 1 1897 ließ sich König Gojong zum Kaiser Gwang- mu von Groß-Korea ausrufen. In den zeitgenössi- schen deutschsprachigen Medien und im Schrift- verkehr wurde er jedoch weiterhin als König bezeichnet, was hier beibehalten wurde. Foto: privat Quellen: ‚‚Der Ostasiatische Lloyd“ [deutschsprachige Zei- tung herausgegeben in Shanghai, China], diverse Michael Dirauf, Dipl.-Ing. Ausgaben von 1898 bis 1900. Universitätsbiblio- (FH), lebte und arbeitete vom thek der Universität der Bundeswehr München. Herbst 1982 bis zum Herbst Jung, Sang-Su, Korea National Open Universi- 1985 mit kurzen Unterbre- ty, Research Professor of Integrated Humanities chungen in Korea. Seit seiner Center: ‚‚Der Besuch von Prinz Heinrich von Preu- Rückkehr gilt sein Interesse der ßen im Jahr 1899 und Bemühungen des Kaisers Geschichte Koreas zwischen Gojong um die Ehre des Koreanischen Kaiser- 1876 und 1910. Er ist Autor des reichs“ [Koreanisch] https://jmagazine.joins.com/ Buches „Goldrausch in Korea“. monthly/view/280661 12 KULTUR KOREA
Kloster Silsangsa: der Haupttempel mit Amithaba, der in Ostasien oft verehrt wird Von den Drogen zum Glauben sprachen und sich hauptsächlich mit an- Einige Monate später zog er nach Seoul deren koreanischen Expats trafen. Er war in ein anderes Kloster, in dem auch an- Gak-seong Seunim (30) hat südkoreani- sehr froh, mich als Ansprechpartner ge- dere Ausländer als Mönche lebten, und sche Eltern, wuchs jedoch in den USA auf funden zu haben, und sein Vater-Mönch lernte Koreanisch und buddhistische Phi- und fühlt sich kulturell als Amerikaner. (uensa-seunim, der Mönch, der sein losophie. Ich war erstaunt, wie schnell er Drogenmissbrauch und eine Schlägerei Lehrer ist, für ihn Verantwortung trägt sich eingelebt hatte, und sein Koreanisch mit einem Polizisten, der ihn seiner Her- und ihn unterstützt) hatte dafür auch wurde von Tag zu Tag besser. kunft wegen diskriminierte, brachten ihn Verständnis. Eines Abends hatte er ein in den USA fast ins Gefängnis.2 Der Rich- weltliches Tief, und wir trafen uns bei Gelehrter und Normenbrecher ter gab ihm noch eine Chance, und man mir zu Hause. Wir plauderten über Bud- einigte sich auf einen einjährigen Aufent- dha und die Welt und über seine Anpas- Hyeon-muk Seunim (63) lebte 15 Jahre halt in einem buddhistischen Kloster süd- sungsprobleme. Als Novize darf er mit lang im indischen Pune, vier Autostun- koreanischer Prägung auf Hawaii. Wäh- niemandem sprechen, er darf das Klos- den von Mumbai entfernt (im Westen rend seiner Zeit dort entschied er sich, ter nicht verlassen, und er beklagte sich, besser unter dem alten Namen ,,Bom- seine Laufbahn als Mönch in Korea fort- dass die koreanische Klosterküche sei- bay“ bekannt). Das Deccan College der zusetzen. Der Anfang war alles andere als nem Magen gewaltig mitspielen würde. Stadt war unter südkoreanischen Mön- leicht. Seine Koreanischkenntnisse waren An diesem Abend tranken wir zusammen chen sehr beliebt, die dort die Sprachen sehr begrenzt, das Leben im Kloster sehr ein paar Flaschen Bier. Da Gak-seong Sanskrit oder Pali studierten. Während strikt und konservativer als die ohnehin Seunim aber normalerweise nicht trank, Zen-Buddhismus in Europa als sehr Fotos: Alexander Reisenbichler nicht sehr offene Gesellschaft Südkoreas, entleerte er später seinen Mageninhalt hippe und moderne Interpretation des wie er meinte. In den Vereinigten Staaten in meine Sockenschublade. Als ich ihn Buddhismus äußerst beliebt ist, gibt es hatte er mit der koreanischen Kultur nur am nächsten Tag darauf ansprach, woll- einige Mönche, die Anhänger des Früh- peripher zu tun, er wollte sich integrie- te er nicht glauben, dass er die mittlere buddhismus sind. Dieser gilt als die rein- ren und nicht wie seine Eltern enden, die Naturkatastrophe verursacht hatte. Mit ste Form des Buddhismus und wurde vor noch immer nur gebrochenes Englisch rotem Kopf wusch er meine Socken aus. 2200 Jahren in Pali niedergeschrieben.3 KULTUR KOREA 13
Die zenbuddhistischen alten Schriften in nicht wirklich. zurück in Südkorea, schrieb er sich in eine Ostasien sind in klassischem Chinesisch Klosterschule ein und studiert seitdem verfasst4 und entsprechen nicht immer Musik und Philosophie – enfant terrible fleißig klassisches Chinesisch. der wahren Lehre Buddhas. Meine Frau auf der Suche nach der Erleuchtung hat während ihres Studiums an der Pu- Mönche im weltlichen Leben – wir grün- ne-Universität Hyeon-muk Seunim ken- Hyeon-cheong Seunim (52) wollte dem den eine Familie nengelernt, und er lud uns in das korea- weltlichen Alltagsleben entfliehen. Sein nische Silsang-Kloster ein, das mit einer Unternehmen, das Nummerntafeln Auch Mönche sind nur Menschen, und so alternativen Community verbunden ist. herstellte, zeigte ihm die Grenzen sei- beeinträchtigen zwischenmenschliche Dies war dann auch der Ort, an dem wir nes ökonomischen Talents auf, und er Beziehungen die klösterliche Unschuld. uns in Südkorea niedergelassen haben beschloss, die spirituelle Unendlichkeit Zumeist sind es Mönche, die eine Frau und noch heute wohnen. auszutesten. Er liebt philosophische Dis- kennenlernen und dann dem klösterli- Schon als Jugendlicher hat sich Hyeon- kussionen, interessiert sich für Plato und chen Leben den Rücken zukehren und muk Seunim mit Philosophie und Religi- tibetischen Buddhismus, Hinduismus, Is- ein neues Leben beginnen. Dieses Phä- on beschäftigt und entschied sich dann lam und Christentum und zog auf einer nomen ist in Südkorea bekannt und wird sehr früh für eine Laufbahn als Mönch. Er Veranstaltung ein christliches Mönchs- des Öfteren mit Fehlschlägen assoziiert. studierte viele Jahre in Südkorea und In- gewand über. In seiner CD-Sammlung Oft kennen Mönche nur das Leben im dien und erklärte die buddhistische Phi- trifft westliche Klassik auf pakistanische Kloster, mussten nie für ihren Lebens- losophie mit Witz und tiefem Wissen. Er Sufi-Musik und psychedelische Bands – unterhalt aufkommen und haben keine gründete mit anderen Glaubensbrüdern musikalischer Underground erreicht den Ausbildung. Mu-ka Seunim (50) lernte eine Schule für Mönche im Silsang-Klos- Overground des irdischen Daseins. Bei seine spätere Frau in Pune kennen, die ter, und Mönche aus ganz Südkorea fan- einem Liederabend einer lokalen alterna- dort studierte. Seine ruhige und aus- den sich hier ein. Er vertritt einen prag- tiven Schule trat er als Sänger auf und in- geglichene Art habe sie fasziniert, kein matischen Buddhismus und verabscheut terpretierte „Highway to Hell” von AC/DC Macho-Gehabe oder Angebereien, wie Rituale. Nach einer Vorlesung über Ahim- in Mönchskutte. sie das von anderen südkoreanischen sa (das Verbot, Lebewesen zu töten) kam Männern kannte. Bald zogen sie zusam- er in sein Zimmer und erschlug ein paar Sein Interesse an dem buddhistischen men, und Frau Lee Ji-hae brachte zwei Stechmücken. „Buddha hat mit Ahim- Philosophen Nagarjuna (2. Jhdt n. Chr.) Söhne zur Welt. Nach dem Studium in sa nicht gemeint, dass man sich von brachte ihn in das indische Pune, um Indien zogen sie wieder nach Südkorea Stechmücken malträtieren lassen und Sanskrit zu studieren. Doch schon bald und wurden nach der Geburt eines drit- sich mit Malaria anstecken soll. Dieses verschoben sich seine Präferenzen, und ten Sohnes von der harschen Realität Gebot muss man lebenspraktischer aus- er lauschte den Klängen des indischen eingeholt. Finanzielle Sorgen plagten legen”, erklärte er uns. Musikinstruments Sitar in der heiligen sie, Mu-ka Seunim konnte keine Arbeit Rituale und Verbote kümmerten ihn Stadt Varanasi am Ganges, las Jack Ke- finden. Er begann zu trinken, allein. nicht. Er war auf sein deviantes Verhalten rouac in Manali und rauchte zu den Klän- Der Computerkurs, den er in Daegu be- sogar stolz und betonte, dass er Kaffee gen von „Just a Poke” der Gruppe Sweet suchte, bescherte ihm erst nach langem trank, Zigaretten rauchte und auch ger- Smoke einen Joint. Er genoss seine Frei- Suchen einen Arbeitsplatz. Zu diesem ne mal ein Bier oder einen Schnaps ge- heit. Nach einem Jahr kehrte er frühzei- Zeitpunkt war die Ehe schon sehr zer- noss. Es verwundert Südkoreaner nicht tig nach Korea zurück und versuchte, rüttet, und sie lebten getrennt. Während unbedingt, wenn Mönche manchmal in seinem Leben im Kloster eine neue Rich- andere Ex-Mönche nach einem Scheitern Maßen Alkohol konsumieren. Es ist teil- tung zu geben. Das Ausbrechen aus der oft wieder in ein Kloster zurückkehren, weise auch ein Ausdruck von bewusster strengen Klosterdisziplin wurde ihm eher stahl sich Mu-ka Seunim nicht aus der Nonkonformität und ein Zeichen für die von Laienbuddhisten als von Mönchen Verantwortung, schickte seiner Familie Sinnlosigkeit von Ritualen. Der 1981 er- selbst angekreidet. Er unterrichtete in regelmäßig Geld und besuchte auch sei- schienene Roman ,,Mandala” von Kim einem buddhistischen Seminar und ver- ne drei Söhne. Seong-dong behandelt dieses Thema diente sich ein wenig Geld. Damit reiste Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten. und auch Korruption in Klöstern.5 Zwei er nach China und radelte von Beijing Go-hyeon Seunim lebte in einem kleinen französische Touristinnen fanden sein bis nach Xian, flog nach Kolkata (vormals Kloster, als er sich in eine Frau verliebte Verhalten gar nicht cool, sondern eher Calcutta), und weiter gings mit dem Rad und heiratete. Nach der Hochzeit erhielt verstörend. Sie stellten sich Mönche als bis ins nordindische Varanasi. Von dort er eine Stelle als Tempelangestellter in asketische und immer meditierende fuhr er mit einem Zug 40 Stunden nach seinem früheren Kloster und sorgt seit- Menschen vor, die mit gesenktem Kopf Pune, wo ich zu der Zeit mit meiner Fa- dem für seine Frau und deren gemeinsa- ruhig durch das Kloster schlichen. Die- milie lebte, und wir besuchten buddhisti- mes Kind, mit denen er in einem kleinen sem Ideal entsprach Hyeon-muk Seunim sche Höhlen am Dekkan-Plateau. Wieder Haus im benachbarten Dorf wohnt. Sie 14 KULTUR KOREA
oben li.: In diesem Gebäude sind die Mönchsunterkünfte unterge- bracht. Dieser Bereich darf von Besuchern nicht betreten werden. oben re.: In vielen Klöstern sieht man Gärten. Sie symbolisieren das Credo des Zen-Buddhismus, dem zufolge man sich auch körperlich betätigen und arbeiten soll. unten: In diesem Teeraum empfängt der Mönch Tannu Gäste, die hier sehr teure und spezielle Teesorten kosten können. Weil man sehr viel Tee bekommt, sprechen einige Leute scherzhaft von einer Wasserfolter (mul-go-mun). * Alle Fotos wurden im Kloster Silsangsa aufgenommen. sind glücklich, und ich treffe sie immer ben entflohen waren und sich eine neue tente Übersetzer waren sehr gefragte wieder im Supermarkt beim Einkaufen. Existenz auf dem Land aufbauen wollten. Leute, und viele Mönche reisten von Es war eine Symbiose und der soziale China zu Fuß nach Indien, dem gelob- Der Umweltaktivist und Tierschützer Treffpunkt für viele Neuzugänge aus der ten Land des Buddhismus, um Schriften Stadt. Der Bauernhof und die Schule exis- zu kopieren, zu übersetzen und mit in Sein Bild kennen viele Südkoreaner aus tieren noch, aber die Schule ist umgezo- ihre Heimatländer zu nehmen. Dieser Tageszeitungen und dem Fernsehen, gen, und so wurde die Verbindung mit rege kulturelle Austausch beschränkte auch außerhalb der buddhistischen Ge- dem Bauernhof gekappt. Als wir in der sich nicht nur auf den Buddhismus, auch meinschaft. Mit seiner flotten Wollmütze Community ankamen und am Anfang Mythologie, astronomisches Wissen und ist Ho-do Seunim sehr engagiert und hat kein Haus fanden, lebten wir eine Zeit andere Wissenschaften aus so entfern- schon viele soziale Projekte organisiert. Er lang im Tempel und wurden dort auch ten Gebieten wie dem arabischen Raum hat durch seine Initiativen eine Commu- verköstigt – alles gratis. erreichten die koreanische Halbinsel. nity in der Provinz Nord-Jeolla gegrün- Hae-san Seunim (65) ist in diese Abfolge det, die heute eine der bekanntesten und Der Übersetzer von gelehrten Mönchen einzureihen. Er größten Zurück-aufs-Land-Communitys lebte fast 20 Jahre in Indien und studier- ist. Neben dem Kloster wurde eine alter- Übersetzungen haben in der buddhisti- te Pali. Er gilt heute in Südkorea als einer native Schule gegründet, die ihre Schüler schen Geschichte eine lange Tradition. der besten Übersetzer. Unter anderem noch in Containern unterrichtete. Der Das erste Jahrtausend unserer Zeitrech- übersetzte er den Pali-Kanon Samyutta Bauernhof, der Erzeugnisse aus biologi- nung war eine sehr umtriebige Zeit für Nikaya ins Koreanische. Buddhistische scher Landwirtschaft herstellte, verkauf- buddhistische Mönche von Zentralasien Mönche übersetzen nicht nur buddhis- te seine Produkte an das Kloster, in dem über Süd- und Südostasien bis nach Ost- tische Texte, sondern auch hinduistische die Schüler der alternativen Schule ihre asien. Hyecho aus dem 8. Jahrhundert wie z.B. die Upanishaden und führen da- Mahlzeiten einnahmen, und war auch ist der wohl bekannteste koreanische durch eine 2000 Jahre alte Tradition fort. Anlaufstelle für Städter, die dem Stadtle- Mönch, der nach Indien reiste. Kompe- Der Blick über den eigenen Tellerrand KULTUR KOREA 15
ist dafür verantwortlich, dass z.B. viele Tipps, um buddhistische Klöster und Sanskrittexte, die in Indien schon lange das Klosterleben genauer kennenzuler- verloren gegangen sind, noch in anderen nen Sprachen wie z.B. dem klassischen Chi- nesisch existieren. Die Siddham-Schrift Der westliche Besucher hat die Möglich- wurde in Indien zwischen dem 5. und keit, an einem Tempel-Stay-Programm 12. Jahrhundert verwendet, und man teilzunehmen, bei dem er die klösterli- sieht sie auch heute noch in Japan (Shin- chen Teezeremonien, die Rituale und das gon-Sekte) und Südkorea, während sie Alltagsleben der Mönche kennenlernen sich in Indien weiterentwickelt hat. Der kann. In einigen Tempeln werden auch rege Austausch zwischen Süd- und Ost- Führungen auf Englisch angeboten. Wer asien endete, so blieb diese Schrift in der tiefer in das Klosterleben eintauchen alten Form erhalten. Die Deckenbeschrif- möchte, kann auf Anfrage als freiwillige tung des Mihwang-Klosters in Haenam, Aushilfe, z.B. in der Küche, mitarbeiten. Südkorea, aus der Mitte des 8. Jahrhun- Verpflegung und Unterkunft sind dann derts ist ein sehr berühmtes Beispiel. In kostenlos. Japan werden auch jetzt noch hinduis- tische Götter verehrt, die im heutigen Indien gar nicht mehr existieren. Die ja- panische tantrische Shingon-Sekte ver- ehrt die Gottheit Goma (frühere indische Bezeichnung Havan oder Homa), und die japanische Tendai-Sekte hat Rituale, die der hinduistischen Agni-Verehrung in Gemeindefest unter strahlend blauem vielen Details stark ähnelt. Himmel im Pfarrgarten, Seoul Hae-san Seunim ist ein sehr ruhiger und eher schüchterner Mönch, aber immer freundlich und hilfsbereit. Er entspricht dem zurückgezogen lebenden, asketi- schen Mönch, der sich ganz seinen Studi- en widmet und sich auch der Meditation hingibt. Doch Meditation ist nicht unbe- dingt ein Garant für eine ausgeglichene 1 Persönlichkeit, der immer ein Lächeln Das Interesse der Mitglieder der Community um die Lippen spielt. Ji-ok Seunim (61) am Buddhismus ist nicht religiöser Natur; die meisten sehen sich als Atheisten mit einer Pas- verbrachte drei Jahre hintereinander in sion für buddhistische Philosophie oder Medita- Meditation, was ihn aber nicht davon tion und nehmen an buddhistischen Festen wie abhielt, regelmäßig seine indische Haus- Buddhas Geburtstag teil, weil sehr viele im Dorf hälterin in Pune anzuschreien, wenn sie diese besuchen. 2 Er wurde aber nicht verurteilt, sonst hätte er zwanzig Minuten zu spät kam. Da er in laut den monastischen Regeln, die schon vor Pune genau über uns wohnte, konnte 2200 Jahren in der ,,Vinaya”, einer Sammlung ich die häuslichen Eskapaden mitverfol- von buddhistischen Ordensregeln, niederge- gen. Die Haushälterin kam dann öfters schrieben wurden und auch heute noch Gültig- weinend zu uns und beklagte sich über keit haben, nicht ordiniert werden können. 3 In den Büchern dieser Glaubensausprägung den Mönch. Als ich ihn einmal auf sein wird unter anderem festgehalten, dass es im Verhalten ansprach, meinte er lapidar, Buddhismus keinen Gott gibt, doch diese Traditi- man müsse das ewige Zuspätkommen on ist heutzutage nur noch in der Philosophie zu einfach abstellen. finden, in der buddhistischen Praxis hat sie sich nicht durchgesetzt. 4 Es gibt natürlich neue buddhistische Texte in den Landessprachen, z.B. auf Japanisch und Ko- reanisch. 5 Auf Deutsch im pendragon Verlag erschienen 16 KULTUR KOREA
GESCHICHTE & RELIGION KIRCHEN SIND „IN“ Pfarrerin Mi-Hwa Kang kommt aus Deutschland und predigt in Korea Von Nele Becker B ei Nacht fallen sie besonders auf, MHK: Also es reicht für den Alltag, um die grell leuchtenden Neonkreu- hier zurechtzukommen, mit dem Taxifah- ze der Kirchen in Seoul. Und jedes rer zu reden, einzukaufen. Es reicht aber Jahr werden es mehr. Das Christentum nicht, um theologische Debatten zu füh- ist im Aufschwung und die Zahl seiner ren oder auf Koreanisch zu predigen. Gläubigen in Korea übersteigt längst die Zahl der Buddhisten. Pfarrerin Mi-Hwa NB: Das können Sie ja Gott sei dank alles Kang ist in Deutschland aufgewachsen auf Deutsch machen. Woher kam bei Ihnen und hat in Münster und Bonn Theologie denn überhaupt das Interesse an Theolo- studiert. Aus Neugier auf ihr Herkunfts- gie? land hat sie eine Stelle als Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde deutscher MHK: Ich bin in Deutschland in der kore- Sprache in Seoul angenommen. Sie ist anischen Gemeinde aufgewachsen, weil mittlerweile seit über einem Jahr in Süd- meine Eltern koreanische Gemeinden korea und erzählt in einem Interview von besucht haben. Wenn ich ehrlich bin, ihren ersten Eindrücken, Anfangsschwie- fand ich die Theologie der koreanischen rigkeiten, und Unterschieden zwischen Pfarrer etwas abschreckend. Die waren deutschen und koreanischen Kirchen. sehr streng und haben immer den Ge- danken vom Menschen als Sünder in Nele Becker (NB): Sie sind jetzt schon über den Vordergrund gestellt. Ich konnte das ein Jahr in Korea. Haben Sie sich gut in nicht alles einfach so annehmen, was Seoul eingelebt und auch wieder ein biss- der Pfarrer gepredigt hat und sagte mir: chen mit der koreanischen Kultur vertraut „Du musst dich mal selber auf den Weg werden können? machen.“ Das war der Grund, weshalb ich mich nach dem Abitur für ein Theolo- Mi-Hwa Kang (MHK): Ich muss sagen, giestudium entschieden habe, ich wollte dass das zweite Jahr jetzt wesentlich an- auch eine Annäherung auf wissenschaft- genehmer ist als das erste, das sehr an- licher Ebene. strengend und chaotisch war. Persönlich anzukommen und direkt eine Gemein- NB: Sie predigen in der evangelischen Ge- de zu übernehmen, das war schon eine meinde deutscher Sprache in Seoul. Zu Ih- recht große Hausnummer. Aber jetzt rem Gottesdienst kommen natürlich viele wiederholt sich vieles, da kennt man Deutsche, aber auch Koreaner, die mit der auch schon viele Leute, weiß, wie On- deutschen Kultur irgendwann einmal in line-Banking funktioniert, wo man ein- Kontakt gekommen sind. Wie funktioniert kaufen geht und so weiter – das ist nun das Miteinander? alles wesentlich einfacher. Das Fatale ist ja, dass ich koreanisch aussehe, aber MHK: Im Gottesdienst selber gibt es kei- Deutsche bin. ne großen Probleme, weil der Gottes- dienst, wie wir ihn feiern, eigentlich für NB: Wie klappt es mit der Sprache? Sie hat- fast alle fremd ist, sowohl für die Deut- Fotos: Mi-Hwa Kang ten ja anfangs nur wenig Koreanischkennt- schen als auch für die Koreaner. Wir sind nisse. eine Freikirche, und die meisten Deut- KULTUR KOREA 17
dhisten. Dieser Umstand deutet auf den lichen Werten zu sprechen. Ich hoffe enormen Aufschwung des Christentums auch, dass meine offene und persönliche in diesem Land hin. Trotzdem gibt es Art, die eben nicht heilig und ohne Feh- hier ähnliche Probleme wie in der deut- ler ist, Menschen ein bisschen die ‚Angst‘ schen Gesellschaft. Viele junge Leute vor der Kirche nehmen kann. Ich glaube, verlieren das Interesse an Glauben und dass gerade in einer Leistungsgesell- Kirche. Aber die überzeugten Christen schaft wie Korea viele christliche Werte vertreten ihren Glauben auch mit großer den Menschen guttun können. Am Ende Vehemenz. Sie zahlen zum Beispiel wirk- zählt nicht die Leistung, zählen nicht vie- lich ein Zehntel ihres Einkommens an die le gute Noten in der Schule oder der tolle Kirche, das kennen wir in Deutschland so Job. Vor Gott sind wir alle gleich, und er gar nicht. Die Beiträge sind in Korea aber liebt jeden so wie er ist. auch unglaublich wichtig, da alle Kirchen Freikirchen sind und sich somit nicht NB: Ihre Zeit in Korea als Pfarrerin ist be- über Steuergelder finanzieren - anders, grenzt auf drei Jahre. Wie geht es danach als das in Deutschland der Fall ist. weiter? Mi-Hwa Kang ist Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Seoul. NB: Mitglieder der evangelischen Gemein- MHK: Es kann sein, dass ich verlängere, Ihre Predigten hält sie auf Deutsch. de in Korea versammeln sich auch oft zu aber früher oder später werde ich nach Hause, zu sogenannten ‚Homemeetings‘, Deutschland zurückgehen. Da ich in der wo zusammen gegessen, gesungen, gere- rheinischen Landeskirche Pfarrerin bin, det und gebetet wird. werde ich irgendwo im Rheinland unter- schen sind eher an die Strukturen einer MHK: Das kenne ich auch aus Deutsch- kommen. Am liebsten würde ich wieder Landeskirche gewöhnt. Uns verbindet land von den Freikirchen. Hier in der in Köln eine Gemeinde übernehmen. ja eines, die deutsche Sprache. Alle, die evangelischen Gemeinde deutscher zu einem Gottesdienst kommen, wollen Sprache versuchen wir das natürlich gerne etwas auf Deutsch hören. Von da- auch, um einen persönlicheren Umgang her kann man sagen, dass wir trotz aller zu pflegen, uns besser kennenzulernen, Unterschiedlichkeiten auch sehr mitein- Freundschaften zu knüpfen. Für die Kin- ander verbunden sind. der werden zum Beispiel gemeinsame Spielnachmittage veranstaltet. Aber wir NB: Es ist ja gerade für die Koreaner, die ihre können es noch nicht ganz so gut wie Deutschkenntnisse verbessern wollen, eine die rein koreanischen evangelischen Ge- tolle Gelegenheit. meinden. MHK: Auf jeden Fall. Wir sind auch ein- NB: Sie haben angesprochen, dass sowohl fach eine interessante Mischung. Es gibt in Deutschland als auch in Korea gerade deutsche Auswanderer, interkulturelle junge Leute das Interesse an der Kirche ver- Ehen, Koreaner, die in Deutschland auf- lieren beziehungsweise der Kirche kritisch gewachsen sind, und so weiter. Jeder ist gegenüberstehen. Haben Sie eine Idee oder irgendwie anders, und dennoch versam- Strategie, junge Leute wieder mehr für die meln wir uns alle unter einem Namen. Kirche zu begeistern? Foto: privat Deswegen finde ich das Bild einer Brücke so passend, die jeder auf seine Art und MHK: Viele haben heutzutage ein ver- Weise zwischen den beiden Ländern dar- staubtes Bild von der Kirche im Kopf – zu Nele Becker schloss im Juli 2018 stellt. Recht. Das gilt es zu ändern, aber es ist ihren Bachelor in Europawissen- nicht leicht. Am Reformationssonntag schaften in Maastricht ab. Aus Be- NB: Welche Rolle spielt das Christentum in haben wir versucht, durch moderne Lie- geisterung für die koreanische der einen anderen Zugang zu ermög- Kultur verbrachte sie vor dem Korea? lichen, und wir bieten in der Gemeinde Studium ein Jahr an der Sprach- schule der Yonsei-Universität und MHK: Vermutlich würde man zunächst einen Gesprächskreis für Partner*innen absolvierte ein Praktikum in der nicht davon ausgehen, dass in Korea so in interkulturellen Ehen an. Es ist wichtig, Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. viele Christen leben. Mittlerweile gibt auch außerhalb der Kirche auf Menschen Seit Juli 2018 lebt sie in Sydney und zuzugehen und glaubwürdig von christ- arbeitet für das American Institute for es in Korea aber mehr Christen als Bud- Foreign Study. 18 KULTUR KOREA
KULTUR & GESELLSCHAFT EIN MAIBAUM FÜR BUSAN Eine liebgewonnene deutsche Tradition in der südkoreanischen Meeresstadt Von Tim Hirschberg S ieben Tage Regenwetter und dicker Nebel an der Küste – manch einem in Busan wurde schon das Herz schwer, und er sah einen Traditionsbruch kommen. Eigentlich scheint pünktlich zum deutschen Maifest die Sonne in der südkoreanischen Meeresstadt - und zwar oben li.: Bücherwürmer! Daniel Krasa vom seit 15 Jahren ausnahmslos. Als dann am Hueber Verlag zeigt die neuesten Hilfen frühen Morgen der Festplatz auf dem zum Deutschlernen. Campus der Pusan National University oben re.: Junge Koreaner mit strammen doch noch im Licht funkelte, war die Be- Waden und Kunstbärten mit ihren grazilen geisterung umso größer. Tanzpartnerinnen unten: 화이팅! (,Fighting!´) Koreanischer Kein gewöhnlicher Samstag für die ko- Anfeuerungsruf. Der Maibaum stellt sich reanischen Studenten und Professoren: schließlich nicht von alleine auf. Sie tauchen alles in schwarz-rot-goldene Farben, zupfen Dirndl und Lederhosen zurecht, feilen an den Reden in deutscher Sprache und proben waghalsige Tanz- manöver. Die Pusan National University, die Busan University of Foreign Studies, die Korean Maritime and Ocean Univer- dahoam“, sagt ein Urlauber aus Tirol, den sity und der Deutsche Akademische Aus- es zufällig aufs Maifest verschlagen hat. tauschdienst (DAAD) bündeln die Kräfte, Nach der kühnen Akrobatik tönen die um die deutsche Sprache, Kultur und die zarten Klänge eines Streichorchesters, Freundschaft mit Korea zu feiern. bevor es wieder Schlag auf Schlag geht und kernige Männerchöre die Lieder von Versteckt im Schatten liegt die Überra- Max Giesinger schmettern. Dazwischen schung: Koreas erster Maibaum – ein Ge- mischen sich ein paar lässige K-Pop-Tän- schenk der Deutschen Botschaft – wird zerinnen als Kontrast zum sonst deut- gleich von vier Germanistikstudenten in schen Programm. die Vertikale gehievt. Bei der ausgelassenen Stimmung fällt „Hepp, hepp!“, rufen sie. Die rund 450 es schwer zu glauben, dass die Situa- Gäste halten den Atem an, als der tion für die deutsche Sprache in Korea massive Holzpfahl abzukippen droht. komplizierter ist als früher. Die Germa- Doch dann ist der nervenaufreibende nistikinstitute geraten unter Druck, und Balanceakt gemeistert, und das Pro- das Maifest selbst ist der Beleg dafür. gramm beginnt. Es folgt ein wilder Ritt Konnten sich vor zehn Jahren noch fünf durch diverse Zeiten, Stile, Regionen und Universitäten beteiligen, sind es heute Bräuche des deutschsprachigen Raums. nur noch drei. Das liegt weniger an den Fotos: Tim Hirschberg Junge Koreaner mit strammen Waden linguistischen Fallstricken des Deut- und Kunstbärten wirbeln bei ihrer Versi- schen – den ‚alphabetischen Prozessio- on des Schuhplattlers die grazilen Tanz- nen‘ (überlange Bandwurmwörter) oder partnerinnen durch die Luft. „Fast wie der ‚Parenthesekrankheit‘ (komplizierte KULTUR KOREA 19
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