KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019

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KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
KULTUR KOREA                                                                            ausgabe 1 / 2019

HAUTNAH. Ein Blick auf den heimischen und internationalen Erfolg der koreanischen Kosmetikindustrie
KLEINE BRÜCHE MIT DER GROßEN NORM. Ein Reiseführer der besonderen Art
WISSENSEXPORT BIS DISNEYLAND. Education First ist ein Bildungsgigant und eröffnet
Horizonte für Weltbürger
                                                                                             KULTUR KOREA 1
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
Coverbild: Gukje Market in Busan
   Foto: Stefanie Grote

2 KULTUR KOREA
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
EDITORIAL

Liebe Leser*innen!

Das Jahr 2019! Zeit für neue Themen! Für Aktuelles,   für ,,Heiße Häufchen zum Dessert”. Wem zwar
Anregendes und Erstaunliches, aber auch für           der Appetit, nicht aber die Lust auf Bizarres
Historisches und Traditionelles aus dem Land der      vergangen ist, kann alternativ in einem Topf- oder
Mönche und jahrhundertealten Bräuche auf der          Gefängnishotel übernachten. In seinem Reise- und
einen und der Heimat des Gamings, der virtuellen      Kulturführer führt Sören Kittel wortwörtlich durch
Realität oder des Verspielten mit Hang zum „Kitsch    die Kultur und zeigt, dass der Fantasie in Korea
mit Kulleraugen“ auf der anderen Seite.               keine Grenzen gesetzt und ,,Kleine Brüche mit der
                                                      großen Norm” längst überfällig sind.
Wir berichten über den ersten deutschen
Staatsbesuch eines Prinzen im Korea des Jahres        Wie immer widmen wir uns den Künsten des
1899 und über den internationalen Erfolg der          Schreibens, Malens, Performens, Musizierens und
koreanischen Kosmetikindustrie im Hier und            Fotografierens. „GOYANG LOVE“ heißt die Fotoserie
Heute. Und „wer sein Geld mit dem Streben nach        über eine Stadt der Liebe, die wohl erst „Auf den
Schönheit verdient, sollte auch beim Bau seines       zweiten Blick“ liebenswert ist. Kreativität bewegt
Firmen-Hauptsitzes guten Geschmack beweisen“,         und vermittelt neue Perspektiven – ob in Busans
ist Ulf Meyer in seinem Artikel über die Zentrale     Jungang-Viertel oder mittels Videoperformance der
des „Amore Pacific“-Konzerns in Seoul überzeugt,      Künstlerin kate-hers RHEE. Kim Hyesoon wiederum
die das Berliner Chipperfield-Architekturbüro         ist nicht nur eine berühmte, sondern auch eine
entworfen hat.                                        engagierte Lyrikerin und wichtige Stimme der
                                                      koreanischen Gesellschaft. Das hat sie gemein
Franz Lerchenmüller erzählt von seinen Erlebnissen    mit der Autorin Gong Ji-young, die in Berlin über
als Fahrradfahrer in Seoul, während sich eine US-     „Literatur und Liebe“ sprach und der Überzeugung
amerikanische Expat in Korea über die Kultur des      ist, dass wir Menschen diese Welt verändern
„Hoeshik“ - jenes regelmäßige Essen mit Kollegen      können - zum Besseren hin. Wir informieren über
nach Feierabend im Dienste der Vertrauensbildung      NEUES AUF DEM BÜCHERMARKT und blicken
- wundert. In seinem Buch „Mein Hirn hat seinen       zurück auf das Alte in Gestalt der höfischen Musik
eigenen Kopf“ erklärt der Neurowissenschaftler        namens „Jeong-ak“.
und Bestsellerautor Dong-seon Chang wie unsere
Wahrnehmung funktioniert und warum keine              Im Jahr des Schweins wünschen wir Ihnen „viel
„weltbürgerliche Toleranz“ entwickelt, wer nicht in   Schwein“, alles Gute und viel Zeit für freudvolles
die Welt geht. Apropos Toleranz: Im Seouler „Poop-    Lesevergnügen!
Café“ werden Hundehaufen als Süßgebäck serviert
und Suppen aus Toilettenschüsseln gelöffelt.          Ihre Redaktion „Kultur Korea“
Erfahren Sie mehr über diese skurrile Begeisterung

                                                                                           KULTUR KOREA 3
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
INHALTSVERZEICHNIS

                                                                 1      25
                                                         EDITORIAL      Zeit für Hoeshik!
                                                                        Über den Austausch mit Kollegen nach
                                                             2          Feierabend
                                            INHALTSVERZEICHNIS          Von Kate Engelkes

                                         GESCHICHTE & RELIGION          KALEIDOSKOP

                                                                 4      28
                                                   Die Insel Jeju       Wissensexport bis Disneyland
                                  Der Gegenentwurf zum Festland         Education First ist ein Bildungsgigant und
                                       Von Alexander Reisenbichler      eröffnet Horizonte für Weltbürger - auch in Korea
                                                                        Von Dr. Stefanie Grote
                                                                 8
                          Erster deutscher Staatsbesuch in Korea        30
                                       Prinz Heinrich von Preußen       Hautnah
                                                Von Michael Dirauf      Ein Blick auf den heimischen und internationalen
                                                                        Erfolg der koreanischen Kosmetikindustrie
                                                                 10     Von Gesine Stoyke
                               Mönche in buddhistischen Klöstern
                     Bunter, als die grauen Kutten vermuten lassen      33
                                         Von Alexander Reisenbichler    Das Abenteuer beginnt - escape the room!
                                                                        Vom Online-Spiel in die Realität
                                                                 15     Von Ylva Gothe
                                                  Kirchen sind „in“
                                    Pfarrerin Mi-Hwa Kang kommt         36
                             aus Deutschland und predigt in Korea       Beständig ist nur der Wandel
                                                    Von Nele Becker     Das Berliner Büro von David Chipperfield erfindet
                                                                        für Seoul ein „Hof-Hochhaus“
                                        KULTUR & GESELLSCHAFT           Von Ulf Meyer

                                                              17        39
                                          Ein Maibaum für Busan         Roter Mohn vor Hochhausschluchten
                           Eine liebgewonnene deutsche Tradition        Erkundungstour durch Seoul auf zwei Rädern
                              in der südkoreanischen Meeresstadt        Von Franz Lerchenmüller
                                               Von Tim Hirschberg
                                                                        LITERATUR
                                                                19
                                                 Verspieltes Korea      41
                              Der Griff zum Kitsch mit Kulleraugen      ,,Wenn das Wasser kommt, muss man rudern!”
                                       Von Jana Aléna Scharfenberg      Im Gespräch mit Dong-Seon Chang über sein
                                                                        Buch „Mein Hirn hat seinen eigenen Kopf“
                                                              21        Von Rainer Rippe
                                     Heiße Häufchen zum Dessert
                                           „Poop Cafés“ en vogue        44
                                                Von Vildan Özgen        Mitgefühl mit dem geschundenen Körper
                                                                        Ein Lyrikabend mit der Autorin Kim Hyesoon
                                                                  23    Von Katharina Borchardt
                                               Die reelle Virtualität
                                    Korea, die Heimat des Gamings       46
                                             Von Johannes Waldeck       Wenn ein Kind 80 Jahre alt ist
                                                                        Die Schriftstellerin Ae-ran Kim stellte
                                                                        in Berlin ihr Werk vor
                                                                        Von Dr. Kai Köhler

4 KULTUR KOREA
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
48   KOREA IM SUCHER DER KAMERA - FOTOREPORTAGE
                  Ewig währt der Schmerz der Liebe
            Die Schriftstellerin Gong Ji-young spricht    68
                            über ,,Literatur und Liebe“   ,,GOYANG LOVE”
                              Von Christiane Pöhlmann     Fotos von Matthias Ley

                  NEUES AUF DEM BÜCHERMARKT               72
                                                          Auf den zweiten Blick
                                                   50     Im Gespräch mit dem Fotografen Matthias Ley
               Kleine Brüche mit der großen Norm          über seine Reihe „GOYANG LOVE“
             „An guten Tagen siehst du den Norden“        Von Dr. Stefanie Grote
                - Ein Reiseführer der besonderen Art
                                Von Dr. Stefanie Grote    NEWS & VIEWS 2018

                                                52        74
           Lim Chul Woo: ,,Das Viertel der Clowns”        BTS, die Sensation aus Südkorea
      Jeong Yu-jeong: ,,Der gute Sohn” (Leseprobe)        Koreanischer Pianist überzeugt Jury und Publikum
                                                          und gewinnt Neue Sterne
                             FILM & KUNST & MUSIK
                                                          Theaterautorin Yeon-Ok Koh gewinnt den
                                                          Internationalen Autorenpreis in Heidelberg
                                                55
        Im Spannungsfeld zwischen harter Realität         Der diesjährige Hannah-Höch-Förderpreis ging
                       und dem Wunsch nach Glück          an Sunah Choi
          - Die Filme von KOREA INDEPENDENT 2018
                                Von Michaela Grouls       RÜCKBLICK IM BILD

                                                     57   75
„Das Volk ist das gleiche, aber die Zeit eine andere.”    Das Jahr 2018 im Koreanischen Kulturzentrum
               Der Blick eines japanischen Fotografen     & anderswo...
                                 auf das geteilte Korea
                                     Von Bettina Dirauf   81
                                                     59   IMPRESSUM
                                       kate hers RHEE
                             Kunst ohne Übersetzung
                                       Von Rachel Jans

                                                 61
                    Wachgeküsst durch die Kunst
Neue Perspektiven durch kreative Projekte in Busans
                                   Jungang-Viertel
                                Von Tim Hirschberg

                                                   64
                Der rätselhafte Zauber der Jeong-ak
                         Wie die alte Musik aus Korea
                 in deutschen Ohren ganz neu klang
                               Von Matthias R. Entreß

                                               66
 Was nach der Rückkehr von Isang Yun übrig bleibt
                     Sein Auftrag an die Nachwelt
                           Von Dr. Shin-Hyang Yun

                                                                                                             KULTUR KOREA 5
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
GESCHICHTE & RELIGION

       DIE INSEL JEJU
       Der Gegenentwurf
       zum Festland

       Von Alexander Reisenbichler

                                            Einleitung                                        Die drei Halbgötter heirateten diese Prinzes-
                                            ,Sam-da-do‘, die Insel, die von drei Dingen       sinnen, schossen drei Pfeile in verschiedene
                                            sehr viel hat: Steine, Frauen und Wind. So lau-   Richtungen und teilten die Insel in drei Ab-
                                            tet das Sobriquet dieser subtropischen Insel      schnitte: Ildo, Ido und Samdo.
                                            im Südwesten Südkoreas. Die Vulkaninsel           Tamna blieb lange Zeit unabhängig, und
                                            Jeju mit dem Hallasan als höchster Erhebung       archäologische Funde bezeugen Handels-
                                            (1950m und damit Südkoreas höchster Berg)         beziehungen mit der südindischen Cho-
                                            bietet vulkanisches Gestein im Überfluss, aus     la-Dynastie (300 v.Chr. – Ende d. 13. Jhdts.),
                                            dem Steinmauern, Häuser und das Symbol            der chinesischen Han-Dynastie (206 v.Chr.
                                            der Insel, der Dol-harubang (wörtl. „steiner-     - 220 n.Chr.) und der Yayoi-Periode im Japan
                                            ner Großvater“) erbaut werden. Fischerei war      des 1. Jahrhunderts n.Chr. Im 10. Jahrhundert
                                            in der Joseon-Zeit (1392-1910) die Haupter-       wurde Tamna vom Königreich Goryeo (918-
                                            werbsquelle der Bevölkerung und kein unge-        1392) unterworfen und 1105 offiziell annek-
                                            fährliches Unterfangen, bei dem viele Fischer     tiert und in Jeju umbenannt.
                                            ums Leben kamen. Daher gab es dort immer          Der Schöpfungsmythos Tamnas ist in Ostasi-
                                            mehr Frauen als Männer. Ein weiteres Merk-        en insofern einzigartig, als dass die meisten
                                            mal der Insel ist der Wind, den die Bewohner      mythischen Gründer oder Götter aus dem
                                            im Sommer als kühlend empfinden und im            Himmel kommen. Dangun, der legendäre
                                            Winter als schneidend kalt. Diese Insel war       Gründer Koreas, stieg vom Himmel herab,
                                            lange ein sehr entlegener Ort, und deshalb        sein Großvater Hwanin war der Herrscher
                                            konnte sich eine eigene Kultur entwickeln         des Himmels. Der Sonnengott Amaterasu
                                            und teilweise bis heute behaupten. Hier ein       (genannt ,der vom Himmel abstammt‘) und
                                            kleiner Einblick in die historischen und kultu-   Urahn des ersten Herrschers von Japan, Jim-
                                            rellen Charakteristika.                           mu tenno, ist ebenfalls himmlischer Abstam-
                                                                                              mung.
                                            Mythologie
                                            Es gibt keine historischen Aufzeichnungen         Verbannt auf die Ferieninsel
                                            der Frühgeschichte Tamnas, so der histori-        In der modernen Geschichte Südkoreas ist die
                                            sche Name der Insel. Vor 4400 Jahren kamen        Insel Jeju eine Ferien- und Flitterwochenin-
     Dolharubang – Steingroßvater. Diese    laut der Legende die drei halbgöttlichen          sel. Seit Aufkommen der Billigfluglinien ha-
     steinernen Figuren stehen zumeist an   Gründer Go, Yang und Bu aus der Erde ge-          ben sich die Flitterwochen zwar eher nach
     Eingängen und schützen vor Dämo-       fahren. Die drei Löcher, die dabei entstanden     Südostasien verlagert, aber auch heute noch
     nen, haben aber auch eine phallische   sein sollen, sind heute noch sichtbar, und im     sieht man südkoreanische Pärchen in Hoch-
     Bedeutung. Andere Bezeichnungen
                                            Jahr 1526 errichtete der Gouverneur dort ei-      zeitsmontur auf Stränden posieren. Seit der
     wie z.B. Beoksumeori (Schamanen-
     kopf) lassen auf einen schamanisti-    nen Altar. Diese Stätte wird ‚‚Samseonghyeol“     Goryeo-Dynastie (918-1392) wurde diese In-
                                                                                                                                               Fotos: Alexander Reisenbichler

     schen Ursprung schließen.              (,Löcher der drei Klans‘) genannt. Eines Tages    sel zu einem Exil - ebenso wie viele abgelege-
                                            wurde eine mythische Holzkiste ans Ufer ge-       ne Orte auf der koreanischen Halbinsel, von
                                            spült, der drei Prinzessinnen aus dem König-      den Bergen in Nordkorea über die Jiri-Berge
                                            reich Byeongnang entstiegen, die Nutztiere        in Südkorea bis hin zu anderen kleinen In-
                                            wie Pferde und Kühe, aber auch Reis und           seln im Südwesten Koreas. Die Insel Jeju war
                                            andere Agrarprodukte mit sich brachten.           das bekannteste Exil (schließlich war es am

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KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
weitesten vom Hof in Seoul entfernt),
in das mehr als 200 zumeist politisch
unliebsame oder in Ungnade gefallene
Gelehrte, Politiker und Thronanwärter,
aber auch Kleinkriminelle und Prostitu-
ierte, geschickt wurden und dort bis zu
20 Jahren blieben. Einige starben auch
im Exil, andere wurden nach wenigen
Jahren wieder rehabilitiert. Für viele Ge-
lehrte war dies eine überaus produktive
Phase ihres Lebens, in der Gedichte und
philosophische Traktate entstanden.
Doch auch die Insel profitierte von den
Exilanten, die für fruchtbare Außenein-
flüsse sorgten. Die Verbannten waren
sozusagen konfuzianistische Missionare,
die ihr karges und langweiliges Landle-
ben (die meisten von ihnen waren ein
üppiges Leben am Hof gewohnt) durch
Unterrichten und teilweise auch durch
die Ausübung politischer Ämter erträgli-
cher machten.                                Ein natürliches Schwimmbecken aus Lavagestein direkt am Meer.
Quelpart, wie die Insel in Europa vor dem
20. Jahrhundert hieß, nach einem hollän-
dischen Schiff benannt, das diese Insel
auf dem Weg zur japanischen Handels-
station Nagasaki passierte, ist für seine
unruhige See bekannt. Das musste auch
der niederländische Seefahrer Hendrik
Hamel im 17. Jahrhundert erfahren, als er
und seine Crew an der Küste Schiffbruch
erlitten und dort gegen ihren Willen fest-
gehalten wurden. Hendrik Hamel gelang
13 Jahre später die Flucht nach Japan,
wo er einen kurzen Bericht über seinen
unfreiwilligen Aufenthalt im „Hermit
Kingdom“ (‚Einsiedler-Königreich´) Korea
verfasste, der heute im historischen Mu-
seum von Jeju zu bewundern ist.

Pferde
Jorang-mal, Pferde von der Insel Jeju,
sind in ganz Südkorea bekannt. Diese
Mischrasse geht auf die Invasion der
Mongolen im 13. Jahrhundert zurück,
als der mongolische Herrscher Kublai
Khan im Jahr 1276 rund 160 Pferde für
Zuchtzwecke auf die Insel brachte, die
mit den lokalen Pferden gekreuzt wur-
den. Korea sollte zum Sprungbrett der
Eroberung Japans werden, und Jeju
war wie für die Pferdezucht geschaffen.
Ein altes Sprichwort lautet: ,,Menschen
sollte man nach Hanyang (heute Seoul)
schicken, Pferde auf die Insel Jeju.” Die

                                                                                                             KULTUR KOREA 7
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
Jorang-mal, Pferde der Insel Jeju
                       (Wikimedia Commons)

   importierten Pferde wurden mit den                ben, die es heute im Hochkoreanischen        Hochzeit und Begräbnis
   lokalen gekreuzt, und so entstand das             nicht mehr gibt, andererseits finden sich    Im Leben erfährt eine Person, so lautet
   kleine, stämmige Jorang-mal. Pferde wa-           mongolische, mandschurische, japani-         ein Sprichwort, zwei Mal Luxus, einmal
   ren besonders in der Joseon-Dynastie              sche, und chinesische Wörter in dieser       bei der Hochzeit, das zweite Mal nach
   (1392-1910) zu Kriegszwecken sehr wich-           Sprache sowie Vokabeln, die in der Jo-       dem Tod. Diese rituellen Ereignisse sind
   tig, im 15. Jahrhundert wurde sogar ein           seon-Dynastie verwendet wurden, heu-         sehr aufwendig und nehmen einige Tage
   Schlacht- und Konsumverbot verhängt.              te aber nur noch in der Sprache Jejus        in Anspruch. Hochzeiten haben früher
   Heutzutage gibt es auf Jeju viele Reiter-         überlebt haben. Ein weiteres kurioses        fünf Tage gedauert, aber auch heute
   höfe.                                             Charakteristikum ist das Fehlen der Ho-      noch, besonders im Süden der Insel, wird
                                                     norativformen, der sogenannten Höflich-      zwei Tage lang gefeiert. Das erste Fest fin-
   Jeju-mal – der Dialekt der Insel                  keitsstufen.                                 det im Dorf statt, und alle Dorfbewohner
   Nach all den Unterschieden zwischen In-                                                        feiern mit. Das zweite Fest ist der Familie
   sel und Festland überrascht es nicht, dass        Landwirtschaftliche Erzeugnisse der          und den Verwandten vorbehalten. Die
   sich auf Jeju auch die Sprache vom Hoch-          Insel Jeju                                   Flitterwochen werden nicht, wie sonst
   koreanischen unterscheidet. Leider wird           Am bekanntesten sind die Mandarinen,         üblich, sofort angetreten, die erste Nacht
   der Dialekt fast ausschließlich nur mehr          die wegen des milden Klimas der Insel        wird im Haus des Mannes verbracht, erst
   von der älteren Generation gesprochen,            eine bekannte Winterfrucht sind. In der      am darauffolgenden Tag beginnt der Ho-
   deren Zahl nicht mehr als 10.000 Perso-           Joseon-Dynastie waren diese eine elitä-      neymoon.
   nen umfasst. Jeju-mal, die Mundart Jejus,         re Frucht, die in hölzernen Kisten nach      Das Datum des „zweiten Luxus“, dem
   wird deshalb von der UNESCO auf der Lis-          Seoul transportiert wurde und dem kö-        Begräbnis, wird von einem Schamanen
   te bedrohter Sprachen geführt und auch            niglichen Hof vorbehalten war. Beson-        festgesetzt. Die Herstellung des Sargs ist
   als eigene Sprache klassifiziert. Der Billig-     ders beliebt ist heutzutage die kernlose     eine rituelle Angelegenheit, alle Beteilig-
   fluganbieter Jeju Air gibt seine Durchsa-         Mandarinensorte Dekopon, die in Südko-       ten und die Familie essen Padchuk, eine
   gen immerhin auf Hochkoreanisch und               rea unter dem Namen ,Hallabong‘ (wört-       rote Reisbohnensuppe, um böse Geister
   auf Jeju-mal durch, eines der letzten lin-        lich ,Halla-Bergspitze‘) bekannt ist, weil   abzuwehren. Diese Speise muss von der
   guistischen Rückzugsgebiete.                      der obere Teil wie eine kleine Bergspitze    Schwiegertochter des Toten gekocht
   In der Jeju-mal sind einerseits Laute aus         aussieht.                                    werden.
   dem Mittelkoreanischen erhalten geblie-                                                        Nach dem Tod, so besagt es die Mytho-

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KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
logie, begeben sich die Seelen der Fischer    ke Frauen, die ihr eigenes, unabhängiges
                                von Jeju auf die Insel Ieodo, eigentlich      Leben führen.
                                eine Steinformation 140 km südlich von        Traditionelle Häuser (Hanok) wer-
                                Marado, der südlichsten Insel Südkoreas.      den auch heute noch abgerissen und
                                Die Frauen sollen ihnen laut dem Volks-       müssen Wolkenkratzern weichen. Das
                                glauben nach ihrem Tod dorthin folgen.        Apartment hat sich auch auf Jeju als be-
                                                                              liebteste Wohnform durchgesetzt, und
                                Sozialstruktur                                Apartmentblöcke sprießen selbst in klei-
                                Im traditionellen Korea genossen die          nen Städtchen und größeren Dörfern wie

                                                                                                                                                         Foto: Lea Lee Reisenbichler
                                Frauen der Insel Jeju, anders als die Frau-   Pilze aus dem Boden; viele Besonderhei-
                                en auf dem koreanischen Festland, eine        ten Jejus wurden ins Touristische über-
                                hohe gesellschaftliche Position. Beson-       setzt, die bekannten Meeresfrüchtetau-
                                ders die Haenyeo, die Meeresfrüchte-          cherinnen (Haenyeo) gibt es zwar noch,
                                taucherinnen, waren wirtschaftlich stark      aber nicht mehr so zahlreich. An Strän-
                                und dementsprechend unabhängig.               den verkleiden sich Frauen als Haenyeo
                                                                                                                                      Der aus Österreich stammende Eth-
                                Nicht wenige wurden zu Händlerinnen           und verkaufen Soju und Meeresprodukte
                                                                                                                                      nologe Alexander Reisenbichler
                                und verkauften ihre Waren in Jeolla-do        an südkoreanische Touristen; Schama-                    (*1977) lebt und forscht seit 15 Jah-
                                oder Busan. Das traditionelle Leben der       nen, die früher weit verbreitet waren,                  ren in Südkorea und Indien. Derzeit
                                Frauen war nicht einfach, oft waren sie       sind heute häufiger in Touristenbroschü-                schreibt er seine Dissertation über
                                verwitwet und mussten ihre Kinder al-         ren als in freier Wildbahn anzutreffen.                 indische Christen im Bundesstaat
                                                                                                                                      Goa und arbeitet an einem Reisebe-
                                lein aufziehen. Das spiegelt sich auch in     Auch wenn Billigflüge nach Südostasien
                                                                                                                                      richt über Südkorea und das Leben
                                der Vielzahl der Göttinnen wider, so z.B.     die Touristenströme etwas verändert ha-                 in einer südkoreanischen Communi-
                                Ja-cheong-bi, die Göttin der Erde, die        ben, ist Jeju den Südkoreanern ans Herz                 ty. Mit seiner koreanischen Frau und
                                sich um die Nutztiere und die Landwirt-       gewachsen und nach wie vor ein sehr be-                 seinen beiden Töchtern hat er sein
                                schaft kümmert.                               liebtes koreanisches Urlaubsziel.                       Basecamp in einem kleinen Dorf in
                                                                                                                                      den Jiri-Bergen in Südkorea aufge-
                                Der traditionelle Haushalt auf der Insel      Die Insel hat die schönsten Strände Süd-
                                                                                                                                      schlagen. Alexander Reisenbichler ist
                                Jeju ist in einen inneren (Angeori) und       koreas zu bieten, und einen Besuch kann                 unter anderem Autor von „Die vielen
                                einen äußeren Wohnbereich (Bakgeori)          ich nur wärmstens empfehlen. Beson-                     Gesichter der dokkaebi: Auf den Spu-
                                unterteilt, die auch baulich voneinan-        ders beliebt sind Radtouren, die auch                   ren eines koreanischen Phänomens“,
                                der getrennt sind. Es sind faktisch zwei      für unsportliche Mitmenschen machbar                    erschienen 2014 im OSTASIEN Verlag.
                                Häuser, die von einer Familie bewohnt         sind.
                                werden. Der Angeori, der neben dem
                                Schlaf- und dem Wohnzimmer sowie
                                der Küche noch einen Raum zur Ahnen-
                                verehrung umfasst, wird zuerst von den
                                Eltern bewohnt, der Bakgeori vom Sohn
                                und seiner Frau. Wenn die Eltern im fort-
                                geschrittenen Alter sind und der Sohn
                                die Geschäfte im Haus übernimmt, zieht
                                dieser in das prestigereichere Angeori.
                                Diese Wohnform existiert heute im Zuge
                                der Modernisierung kaum noch.

                                Wandel der Zeit
                                Die rapide Modernisierung Südkoreas,
                                die in den späten 1960er Jahren begann,
                                hat ihre Spuren hinterlassen. Auch die
                                Sozialstruktur von Jeju hat sich langsam
                                dem südkoreanischen Mainstream ange-
Foto: Alexander Reisenbichler

                                passt; der Jeju-Dialekt hat nur mehr eini-
                                ge wenige Sprecher; die Rolle der Frauen
                                hat sich in Südkorea im Allgemeinen
                                gewandelt, besonders in den urbanen
                                Räumen. Auch auf dem Festland sind            Wunderschöne Landschaften in der Nähe von Seogwipo. Palmen und Nadelbäume reichen sich
                                Südkoreanerinnen selbstbewusste, star-        hier die Hand. Die Höhlen wurden von den Japanern während des Zweiten Weltkriegs als Versteck
                                                                              ihrer Marine angelegt.
                                                                                                                                                                                       KULTUR KOREA 9
KULTUR KOREA ausgabe 1 / 2019
GESCHICHTE & RELIGION

       ERSTER DEUTSCHER
       STAATSBESUCH IN KOREA
       Prinz Heinrich von Preußen

       Von Michael Dirauf

                                                                                                                        1

                            Prinz Heinrich von Preußen mit Gattin in einem Militärlager im Schutzgebiet Kiautschou in China
                            einige Wochen vor seiner Reise nach Korea

    A
            m 8. Juni 1899 nachmittags um         Prinz Heinrich hatte sich im September           China, unternahm. Kurz nach der Abreise
            drei Uhr kam das Flaggschiff          1897 als Kommandant der zweiten Kreu-            seiner Frau brach Prinz Heinrich zu sei-
            „Deutschland“ des deutschen           zerdivision mit drei Kriegsschiffen auf          nem Besuch nach Korea auf.
    Ostasiatischen Kreuzergeschwaders vor         die Reise nach Asien gemacht. Die Flotte
    Incheon in Sicht und warf gegen vier Uhr      sollte die bereits in Ostasien stationier-       Nach seiner Ankunft in Incheon ging
    den Anker. Damit begann der wohl ein-         ten Schiffe unterstützen. Kurz vor seiner        Prinz Heinrich am nächsten Morgen an
    zige Besuch eines ausländischen Staats-       Ankunft besetzten die Deutschen im No-           Land, wo er durch ein Bataillon der In-
    gasts im koreanischen Kaiserreich. Der        vember 1897 die Bucht von Kiautschou             fanterie und einen Salut von 21 Schuss
    Besucher war der 37-jährige Prinz Hein-       in China. Dieses Gebiet wurde auf poli-          begrüßt wurde. Wegen des starken Re-
    rich von Preußen, der Bruder des damali-      tischen Druck von Deutschland hin für            gens wurde ihm das koreanische Emp-
    gen deutschen Kaisers Wilhelm II. Dieser      99 Jahre von China gepachtet. Während            fangskomitee – alles Verwandte des
    Staatsbesuch sollte von koreanischer Sei-     seines Aufenthaltes in Asien traf Prinz          Kaiserlichen Hauses – im Schutze eines
    te aus die nationale Unabhängigkeit be-       Heinrich an Weihnachten 1898 in Hong-            Zeltes vorgestellt. Anschließend ging es
    tonen. Dieser, mit erheblichem Aufwand        kong seine Frau, Prinzessin Irene, die           mit Pferden in Richtung Seoul. Um 12
    vorbereitete Besuch fand jedoch weder         zusammen mit ihm bis Ende April des              Uhr hatte die Reisegruppe bei mittler-
    in Deutschland noch in Korea besondere        folgenden Jahres verschiedene Reisen,            weile sonnigem Wetter etwa den hal-
    politische oder mediale Aufmerksamkeit.       unter anderem nach Bangkok und nach              ben Weg zur Hauptstadt zurückgelegt.

10 KULTUR KOREA
2                                                      3

                                                                                                                                       4

Das In hwa mun (인화문) war eigentlich das
Haupttor des Palastes Deoksugung. Mit dem
Ausbau des Straßennetzes im Umkreis verlor es
seine Funktion und brannte 1905 nieder.

                                                                                    oben: Talansicht von Tangkogä in Korea um 1900
                                                                                    unten: Johannes Bolljahn mit Schülern und Kollegen vor
                                                                                    der Deutschen Schule in Seoul

In einem Ort, dem heutigen Bucheon,             Der Prinz aus dem unbekannten, fernen      Danach besichtigte Prinz Heinrich die
war von der koreanischen Regierung ein          Deutschen Reich hob sich weder durch       Deutsche Schule in Seoul unter Leitung
reichhaltiges Mittagessen vorbereitet           besondere Kleidung noch durch einen        des deutschen Lehrers Johann Bolljahn.
worden. Nach etwa einer Stunde bra-             besonderen Tragestuhl hervor. Er kam       Diese Sprachschule war im September
chen die Besucher erneut auf, um den            auf einem Pferd daher und trug die glei-   1898 von der koreanischen Regierung
Weg Richtung Seoul fortzusetzen. Nach           che Uniform wie seine Begleiter.           eröffnet worden. Durch den Unterricht
einiger Zeit erreichte die Gruppe den                                                      sollten Koreaner zu Dolmetschern aus-
Han-Fluss, wo bereits zwei große zu-            Prinz Heinrich wohnte in Seoul in einem    gebildet werden. Der Unterricht wurde
sammengebundene koreanische Boote               extra für ihn mit europäischem Komfort     als Anschauungsunterricht abgehalten,
auf Prinz Heinrich warteten. Nach der           eingerichteten Gebäude, während die        da Bolljahn fast kein Wort Koreanisch
Fluss-Überfahrt wurde der Prinz von ei-         Offiziere und Soldaten im deutschen        sprach.
nem weiteren Bataillon der Infanterie im        Konsulat untergebracht wurden. In ei-
heutigen Stadtteil Mapo begrüßt. Weiter         nem gelben Tragestuhl begab sich Prinz     Am nächsten Morgen besichtigte Prinz
ging es per Pferd zum Tor Namdaemun.            Heinrich gegen sechs Uhr zum König.1       Heinrich während eines Ausrittes die al-
Hier, vor dem großen Südtor, war ein Zelt       Die Farbe Gelb war damals nach chinesi-    ten Paläste Gyeongbokgung und Chang-
aufgestellt worden, in dem der hohe Be-         scher Tradition dem Kaiser vorbehalten.    deokgung und die daran anschließenden
such aus Deutschland durch eine große           Aus diesem Grund empfing der kore-         Gartenanlagen. Während des restlichen
koreanische Staatsdelegation begrüßt            anische König ihn in einem gelbseide-      Tages wechselten sich diverse Besuche
wurde. Nach einem kurzen Empfang                nen Überkleid zusammen mit seinem          und Gegenbesuche bei Seiner König-
ritt Prinz Heinrich um vier Uhr nachmit-        Kronprinzen in der Empfangshalle des       lichen Hoheit Prinz Heinrich ab. Dabei
tags zusammen mit sechs Offizieren, 25          Palastes Gyeongungung (heute Deoksu-       kamen auch die deutsche Militärkapelle
marschierenden Seesoldaten und einer            gung). Nach der Vorstellung unterhielt     und die begleitenden Seesoldaten zum
zwölfköpfigen Militärkapelle in die Stadt       sich der König mit Unterstützung seines    Einsatz. Am Abend traf man sich zum Es-
Seoul ein. Die Tausenden Koreaner, die          Dolmetschers, dem Vize-Präsidenten des     sen beim Kronprinzen, wobei während
sich für den Empfang in den Straßen und         Auswärtigen Amts, etwa 15 Minuten mit      des Essens koreanische Tänzerinnen und
auf den Dächern der Häuser versammelt           Prinz Heinrich in englischer Sprache, um   Sängerinnen die Gäste mit traditionellen
hatten, waren allerdings sehr enttäuscht:       anschließend mit ihm zu speisen.           Tänzen und Gesang unterhielten.

                                                                                                                               KULTUR KOREA 11
GESCHICHTE & RELIGION

    Am Morgen des 19. Juni trat die
                                                                                                               MÖNCHE IN
                                                        Michael Dirauf: ‚‚Goldrausch in Korea. Die deut-
    deutsche Delegation die Rückreise                   sche Goldmine in Korea von 1897 bis 1903“, Iudi-

                                                                                                               BUDDHISTISCHEN
                                                        cium-Verlag, München 2015.
    nach Incheon an, wo sich Prinz Hein-
                                                        Politisches Archiv des Auswärtiges Amts (PA AA),
    rich am Nachmittag um vier Uhr wie-

                                                                                                               KLÖSTERN
                                                        diverser Schriftverkehr zu Korea von 1898 bis
    der auf dem Flaggschiff „Deutsch-                   1900.
    land“ einschiffte. Am Abend weilte er               Landesarchiv Schleswig-Holstein-Abt. 395 Nr. 9 II:
    auf Einladung von Carl Wolter, deut-                ‚‚Acta des persönlichen Adjutanten Seiner König-       Bunter, als die grauen Kutten ver-
    scher Kaufmann und Teilhaber der
                                                        lichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen
                                                        betr. Korea. Politisches, Besuche, Handel, Verkehr“.
                                                                                                               muten lassen
    Firma E. Meyer & Co. in Korea, bei ei-              Vom Dezember 1897.
    nem Abendessen, an dem alle deut-                                                                          Von Alexander Reisenbichler
    schen Bürger aus der Stadt Incheon
    teilnahmen. Nach dem Konzert der
    Schiffskapelle verabschiedeten sich
    der Prinz und seine Begleiter von
    dem Gastgeber. Am folgenden Mor-

                                                                                                               M
    gen segelte die „Deutschland“ aus                                                                                    eine Frau hat in Pune (Indien) indi-
    dem Hafen von Incheon und brachte                   Bildrechte:                                                      sche Philosophie und Buddhismus
                                                        Foto 1: Bundesarchiv, Bild 134-B2327 / CC-BY-SA
    den deutschen Prinzen zurück nach                   3.0. Lizenz: Dieses Bild ist unter der Creative-Com-             studiert und dort die Bekanntschaft
    Tsintau, China.                                     mons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter          von vielen südkoreanischen (aber auch viet-
                                                        gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ lizenziert.      namesischen und thailändischen) buddhisti-
    Prinz Heinrich verfasste nach der Rei-              Foto 2: Quelle: Foto Louis Bauer (ca. zwischen 1899    schen Mönchen und Nonnen gemacht. Als wir
    se einen zehnseitigen Bericht, worin                und 1903). Familiensammlung Prof. Andreas Pistori-     den Plan hatten, von Indien nach Südkorea zu
    er vor allem auf die militärische Lage              us. Bearbeitet durch Michael Dirauf.                   ziehen, hat uns ein Mönch, der auch in diesem
    und die Infrastruktur des Landes ein-               Foto 3: Quelle: Foto Louis Bauer. Familiensammlung     Beitrag vorgestellt wird, die Community in der
    ging. Im letzten Satz fasste er die Er-             Prof. Andreas Pistorius. Bearbeitet durch Michael      Nähe eines südkoreanischen Klosters empfoh-
    kenntnisse seiner Koreareise zusam-                 Dirauf.                                                len, weil uns das Leben in den Metropolen zu
    men und verwies auf „die Anhäufung                  Foto 4: Quelle: wie Foto 2                             hektisch war. Diese alternative Community
    so vieler fremder militärischer und                                                                        hat sehr viele Verbindungen zum dort ansäs-
    staatlicher Machtmittel in Korea“, die                                                                     sigen Kloster Silsangsa; sie wurde ebenfalls
    nichts Gutes für den „Fortbestand                                                                          von einem Mönch gegründet.1 Dank meiner
    der koreanischen Unabhängigkeit“                                                                           Lebensumstände habe ich sehr viele Mön-
    bedeuten würden. Der Staatsbe-                                                                             che kennengelernt, und einige wurden meine
    such in Korea, der sich eher durch                                                                         Freunde. Eine Auswahl von denen, die ich per-
    sein touristisches Besuchsprogramm                                                                         sönlich kennengelernt habe, möchte ich in die-
    als durch politische Gespräche aus-                                                                        sem Artikel vorstellen.
    zeichnete, war Teil seiner Reise durch
    verschiedene Länder Asiens.

    1 1897 ließ sich König Gojong zum Kaiser Gwang-

    mu von Groß-Korea ausrufen. In den zeitgenössi-
    schen deutschsprachigen Medien und im Schrift-
    verkehr wurde er jedoch weiterhin als König
    bezeichnet, was hier beibehalten wurde.
                                                                                        Foto: privat

    Quellen:
    ‚‚Der Ostasiatische Lloyd“ [deutschsprachige Zei-
    tung herausgegeben in Shanghai, China], diverse
                                                                Michael Dirauf, Dipl.-Ing.
    Ausgaben von 1898 bis 1900. Universitätsbiblio-
                                                                (FH), lebte und arbeitete vom
    thek der Universität der Bundeswehr München.
                                                                Herbst 1982 bis zum Herbst
    Jung, Sang-Su, Korea National Open Universi-
                                                                1985 mit kurzen Unterbre-
    ty, Research Professor of Integrated Humanities
                                                                chungen in Korea. Seit seiner
    Center: ‚‚Der Besuch von Prinz Heinrich von Preu-
                                                                Rückkehr gilt sein Interesse der
    ßen im Jahr 1899 und Bemühungen des Kaisers
                                                                Geschichte Koreas zwischen
    Gojong um die Ehre des Koreanischen Kaiser-
                                                                1876 und 1910. Er ist Autor des
    reichs“ [Koreanisch] https://jmagazine.joins.com/
                                                                Buches „Goldrausch in Korea“.
    monthly/view/280661

12 KULTUR KOREA
Kloster Silsangsa: der Haupttempel mit Amithaba, der in Ostasien oft verehrt wird

                                 Von den Drogen zum Glauben                        sprachen und sich hauptsächlich mit an-      Einige Monate später zog er nach Seoul
                                                                                   deren koreanischen Expats trafen. Er war     in ein anderes Kloster, in dem auch an-
                                 Gak-seong Seunim (30) hat südkoreani-             sehr froh, mich als Ansprechpartner ge-      dere Ausländer als Mönche lebten, und
                                 sche Eltern, wuchs jedoch in den USA auf          funden zu haben, und sein Vater-Mönch        lernte Koreanisch und buddhistische Phi-
                                 und fühlt sich kulturell als Amerikaner.          (uensa-seunim, der Mönch, der sein           losophie. Ich war erstaunt, wie schnell er
                                 Drogenmissbrauch und eine Schlägerei              Lehrer ist, für ihn Verantwortung trägt      sich eingelebt hatte, und sein Koreanisch
                                 mit einem Polizisten, der ihn seiner Her-         und ihn unterstützt) hatte dafür auch        wurde von Tag zu Tag besser.
                                 kunft wegen diskriminierte, brachten ihn          Verständnis. Eines Abends hatte er ein
                                 in den USA fast ins Gefängnis.2 Der Rich-         weltliches Tief, und wir trafen uns bei      Gelehrter und Normenbrecher
                                 ter gab ihm noch eine Chance, und man             mir zu Hause. Wir plauderten über Bud-
                                 einigte sich auf einen einjährigen Aufent-        dha und die Welt und über seine Anpas-       Hyeon-muk Seunim (63) lebte 15 Jahre
                                 halt in einem buddhistischen Kloster süd-         sungsprobleme. Als Novize darf er mit        lang im indischen Pune, vier Autostun-
                                 koreanischer Prägung auf Hawaii. Wäh-             niemandem sprechen, er darf das Klos-        den von Mumbai entfernt (im Westen
                                 rend seiner Zeit dort entschied er sich,          ter nicht verlassen, und er beklagte sich,   besser unter dem alten Namen ,,Bom-
                                 seine Laufbahn als Mönch in Korea fort-           dass die koreanische Klosterküche sei-       bay“ bekannt). Das Deccan College der
                                 zusetzen. Der Anfang war alles andere als         nem Magen gewaltig mitspielen würde.         Stadt war unter südkoreanischen Mön-
                                 leicht. Seine Koreanischkenntnisse waren          An diesem Abend tranken wir zusammen         chen sehr beliebt, die dort die Sprachen
                                 sehr begrenzt, das Leben im Kloster sehr          ein paar Flaschen Bier. Da Gak-seong         Sanskrit oder Pali studierten. Während
                                 strikt und konservativer als die ohnehin          Seunim aber normalerweise nicht trank,       Zen-Buddhismus in Europa als sehr
Fotos: Alexander Reisenbichler

                                 nicht sehr offene Gesellschaft Südkoreas,         entleerte er später seinen Mageninhalt       hippe und moderne Interpretation des
                                 wie er meinte. In den Vereinigten Staaten         in meine Sockenschublade. Als ich ihn        Buddhismus äußerst beliebt ist, gibt es
                                 hatte er mit der koreanischen Kultur nur          am nächsten Tag darauf ansprach, woll-       einige Mönche, die Anhänger des Früh-
                                 peripher zu tun, er wollte sich integrie-         te er nicht glauben, dass er die mittlere    buddhismus sind. Dieser gilt als die rein-
                                 ren und nicht wie seine Eltern enden, die         Naturkatastrophe verursacht hatte. Mit       ste Form des Buddhismus und wurde vor
                                 noch immer nur gebrochenes Englisch               rotem Kopf wusch er meine Socken aus.        2200 Jahren in Pali niedergeschrieben.3

                                                                                                                                                                KULTUR KOREA 13
Die zenbuddhistischen alten Schriften in     nicht wirklich.                               zurück in Südkorea, schrieb er sich in eine
    Ostasien sind in klassischem Chinesisch                                                    Klosterschule ein und studiert seitdem
    verfasst4 und entsprechen nicht immer        Musik und Philosophie – enfant terrible       fleißig klassisches Chinesisch.
    der wahren Lehre Buddhas. Meine Frau         auf der Suche nach der Erleuchtung
    hat während ihres Studiums an der Pu-                                                      Mönche im weltlichen Leben – wir grün-
    ne-Universität Hyeon-muk Seunim ken-         Hyeon-cheong Seunim (52) wollte dem           den eine Familie
    nengelernt, und er lud uns in das korea-     weltlichen Alltagsleben entfliehen. Sein
    nische Silsang-Kloster ein, das mit einer    Unternehmen, das Nummerntafeln                Auch Mönche sind nur Menschen, und so
    alternativen Community verbunden ist.        herstellte, zeigte ihm die Grenzen sei-       beeinträchtigen zwischenmenschliche
    Dies war dann auch der Ort, an dem wir       nes ökonomischen Talents auf, und er          Beziehungen die klösterliche Unschuld.
    uns in Südkorea niedergelassen haben         beschloss, die spirituelle Unendlichkeit      Zumeist sind es Mönche, die eine Frau
    und noch heute wohnen.                       auszutesten. Er liebt philosophische Dis-     kennenlernen und dann dem klösterli-
    Schon als Jugendlicher hat sich Hyeon-       kussionen, interessiert sich für Plato und    chen Leben den Rücken zukehren und
    muk Seunim mit Philosophie und Religi-       tibetischen Buddhismus, Hinduismus, Is-       ein neues Leben beginnen. Dieses Phä-
    on beschäftigt und entschied sich dann       lam und Christentum und zog auf einer         nomen ist in Südkorea bekannt und wird
    sehr früh für eine Laufbahn als Mönch. Er    Veranstaltung ein christliches Mönchs-        des Öfteren mit Fehlschlägen assoziiert.
    studierte viele Jahre in Südkorea und In-    gewand über. In seiner CD-Sammlung            Oft kennen Mönche nur das Leben im
    dien und erklärte die buddhistische Phi-     trifft westliche Klassik auf pakistanische    Kloster, mussten nie für ihren Lebens-
    losophie mit Witz und tiefem Wissen. Er      Sufi-Musik und psychedelische Bands –         unterhalt aufkommen und haben keine
    gründete mit anderen Glaubensbrüdern         musikalischer Underground erreicht den        Ausbildung. Mu-ka Seunim (50) lernte
    eine Schule für Mönche im Silsang-Klos-      Overground des irdischen Daseins. Bei         seine spätere Frau in Pune kennen, die
    ter, und Mönche aus ganz Südkorea fan-       einem Liederabend einer lokalen alterna-      dort studierte. Seine ruhige und aus-
    den sich hier ein. Er vertritt einen prag-   tiven Schule trat er als Sänger auf und in-   geglichene Art habe sie fasziniert, kein
    matischen Buddhismus und verabscheut         terpretierte „Highway to Hell” von AC/DC      Macho-Gehabe oder Angebereien, wie
    Rituale. Nach einer Vorlesung über Ahim-     in Mönchskutte.                               sie das von anderen südkoreanischen
    sa (das Verbot, Lebewesen zu töten) kam                                                    Männern kannte. Bald zogen sie zusam-
    er in sein Zimmer und erschlug ein paar      Sein Interesse an dem buddhistischen          men, und Frau Lee Ji-hae brachte zwei
    Stechmücken. „Buddha hat mit Ahim-           Philosophen Nagarjuna (2. Jhdt n. Chr.)       Söhne zur Welt. Nach dem Studium in
    sa nicht gemeint, dass man sich von          brachte ihn in das indische Pune, um          Indien zogen sie wieder nach Südkorea
    Stechmücken malträtieren lassen und          Sanskrit zu studieren. Doch schon bald        und wurden nach der Geburt eines drit-
    sich mit Malaria anstecken soll. Dieses      verschoben sich seine Präferenzen, und        ten Sohnes von der harschen Realität
    Gebot muss man lebenspraktischer aus-        er lauschte den Klängen des indischen         eingeholt. Finanzielle Sorgen plagten
    legen”, erklärte er uns.                     Musikinstruments Sitar in der heiligen        sie, Mu-ka Seunim konnte keine Arbeit
    Rituale und Verbote kümmerten ihn            Stadt Varanasi am Ganges, las Jack Ke-        finden. Er begann zu trinken, allein.
    nicht. Er war auf sein deviantes Verhalten   rouac in Manali und rauchte zu den Klän-      Der Computerkurs, den er in Daegu be-
    sogar stolz und betonte, dass er Kaffee      gen von „Just a Poke” der Gruppe Sweet        suchte, bescherte ihm erst nach langem
    trank, Zigaretten rauchte und auch ger-      Smoke einen Joint. Er genoss seine Frei-      Suchen einen Arbeitsplatz. Zu diesem
    ne mal ein Bier oder einen Schnaps ge-       heit. Nach einem Jahr kehrte er frühzei-      Zeitpunkt war die Ehe schon sehr zer-
    noss. Es verwundert Südkoreaner nicht        tig nach Korea zurück und versuchte,          rüttet, und sie lebten getrennt. Während
    unbedingt, wenn Mönche manchmal in           seinem Leben im Kloster eine neue Rich-       andere Ex-Mönche nach einem Scheitern
    Maßen Alkohol konsumieren. Es ist teil-      tung zu geben. Das Ausbrechen aus der         oft wieder in ein Kloster zurückkehren,
    weise auch ein Ausdruck von bewusster        strengen Klosterdisziplin wurde ihm eher      stahl sich Mu-ka Seunim nicht aus der
    Nonkonformität und ein Zeichen für die       von Laienbuddhisten als von Mönchen           Verantwortung, schickte seiner Familie
    Sinnlosigkeit von Ritualen. Der 1981 er-     selbst angekreidet. Er unterrichtete in       regelmäßig Geld und besuchte auch sei-
    schienene Roman ,,Mandala” von Kim           einem buddhistischen Seminar und ver-         ne drei Söhne.
    Seong-dong behandelt dieses Thema            diente sich ein wenig Geld. Damit reiste      Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten.
    und auch Korruption in Klöstern.5 Zwei       er nach China und radelte von Beijing         Go-hyeon Seunim lebte in einem kleinen
    französische Touristinnen fanden sein        bis nach Xian, flog nach Kolkata (vormals     Kloster, als er sich in eine Frau verliebte
    Verhalten gar nicht cool, sondern eher       Calcutta), und weiter gings mit dem Rad       und heiratete. Nach der Hochzeit erhielt
    verstörend. Sie stellten sich Mönche als     bis ins nordindische Varanasi. Von dort       er eine Stelle als Tempelangestellter in
    asketische und immer meditierende            fuhr er mit einem Zug 40 Stunden nach         seinem früheren Kloster und sorgt seit-
    Menschen vor, die mit gesenktem Kopf         Pune, wo ich zu der Zeit mit meiner Fa-       dem für seine Frau und deren gemeinsa-
    ruhig durch das Kloster schlichen. Die-      milie lebte, und wir besuchten buddhisti-     mes Kind, mit denen er in einem kleinen
    sem Ideal entsprach Hyeon-muk Seunim         sche Höhlen am Dekkan-Plateau. Wieder         Haus im benachbarten Dorf wohnt. Sie

14 KULTUR KOREA
oben li.: In diesem Gebäude sind die Mönchsunterkünfte unterge-
                                                                  bracht. Dieser Bereich darf von Besuchern nicht betreten werden.
                                                                  oben re.: In vielen Klöstern sieht man Gärten. Sie symbolisieren das
                                                                  Credo des Zen-Buddhismus, dem zufolge man sich auch körperlich
                                                                  betätigen und arbeiten soll.
                                                                  unten: In diesem Teeraum empfängt der Mönch Tannu Gäste, die
                                                                  hier sehr teure und spezielle Teesorten kosten können. Weil man
                                                                  sehr viel Tee bekommt, sprechen einige Leute scherzhaft von einer
                                                                  Wasserfolter (mul-go-mun).
                                                                  * Alle Fotos wurden im Kloster Silsangsa aufgenommen.

sind glücklich, und ich treffe sie immer       ben entflohen waren und sich eine neue         tente Übersetzer waren sehr gefragte
wieder im Supermarkt beim Einkaufen.           Existenz auf dem Land aufbauen wollten.        Leute, und viele Mönche reisten von
                                               Es war eine Symbiose und der soziale           China zu Fuß nach Indien, dem gelob-
Der Umweltaktivist und Tierschützer            Treffpunkt für viele Neuzugänge aus der        ten Land des Buddhismus, um Schriften
                                               Stadt. Der Bauernhof und die Schule exis-      zu kopieren, zu übersetzen und mit in
Sein Bild kennen viele Südkoreaner aus         tieren noch, aber die Schule ist umgezo-       ihre Heimatländer zu nehmen. Dieser
Tageszeitungen und dem Fernsehen,              gen, und so wurde die Verbindung mit           rege kulturelle Austausch beschränkte
auch außerhalb der buddhistischen Ge-          dem Bauernhof gekappt. Als wir in der          sich nicht nur auf den Buddhismus, auch
meinschaft. Mit seiner flotten Wollmütze       Community ankamen und am Anfang                Mythologie, astronomisches Wissen und
ist Ho-do Seunim sehr engagiert und hat        kein Haus fanden, lebten wir eine Zeit         andere Wissenschaften aus so entfern-
schon viele soziale Projekte organisiert. Er   lang im Tempel und wurden dort auch            ten Gebieten wie dem arabischen Raum
hat durch seine Initiativen eine Commu-        verköstigt – alles gratis.                     erreichten die koreanische Halbinsel.
nity in der Provinz Nord-Jeolla gegrün-                                                       Hae-san Seunim (65) ist in diese Abfolge
det, die heute eine der bekanntesten und       Der Übersetzer                                 von gelehrten Mönchen einzureihen. Er
größten Zurück-aufs-Land-Communitys                                                           lebte fast 20 Jahre in Indien und studier-
ist. Neben dem Kloster wurde eine alter-       Übersetzungen haben in der buddhisti-          te Pali. Er gilt heute in Südkorea als einer
native Schule gegründet, die ihre Schüler      schen Geschichte eine lange Tradition.         der besten Übersetzer. Unter anderem
noch in Containern unterrichtete. Der          Das erste Jahrtausend unserer Zeitrech-        übersetzte er den Pali-Kanon Samyutta
Bauernhof, der Erzeugnisse aus biologi-        nung war eine sehr umtriebige Zeit für         Nikaya ins Koreanische. Buddhistische
scher Landwirtschaft herstellte, verkauf-      buddhistische Mönche von Zentralasien          Mönche übersetzen nicht nur buddhis-
te seine Produkte an das Kloster, in dem       über Süd- und Südostasien bis nach Ost-        tische Texte, sondern auch hinduistische
die Schüler der alternativen Schule ihre       asien. Hyecho aus dem 8. Jahrhundert           wie z.B. die Upanishaden und führen da-
Mahlzeiten einnahmen, und war auch             ist der wohl bekannteste koreanische           durch eine 2000 Jahre alte Tradition fort.
Anlaufstelle für Städter, die dem Stadtle-     Mönch, der nach Indien reiste. Kompe-          Der Blick über den eigenen Tellerrand

                                                                                                                                  KULTUR KOREA 15
ist dafür verantwortlich, dass z.B. viele     Tipps, um buddhistische Klöster und
    Sanskrittexte, die in Indien schon lange      das Klosterleben genauer kennenzuler-
    verloren gegangen sind, noch in anderen       nen
    Sprachen wie z.B. dem klassischen Chi-
    nesisch existieren. Die Siddham-Schrift       Der westliche Besucher hat die Möglich-
    wurde in Indien zwischen dem 5. und           keit, an einem Tempel-Stay-Programm
    12. Jahrhundert verwendet, und man            teilzunehmen, bei dem er die klösterli-
    sieht sie auch heute noch in Japan (Shin-     chen Teezeremonien, die Rituale und das
    gon-Sekte) und Südkorea, während sie          Alltagsleben der Mönche kennenlernen
    sich in Indien weiterentwickelt hat. Der      kann. In einigen Tempeln werden auch
    rege Austausch zwischen Süd- und Ost-         Führungen auf Englisch angeboten. Wer
    asien endete, so blieb diese Schrift in der   tiefer in das Klosterleben eintauchen
    alten Form erhalten. Die Deckenbeschrif-      möchte, kann auf Anfrage als freiwillige
    tung des Mihwang-Klosters in Haenam,          Aushilfe, z.B. in der Küche, mitarbeiten.
    Südkorea, aus der Mitte des 8. Jahrhun-       Verpflegung und Unterkunft sind dann
    derts ist ein sehr berühmtes Beispiel. In     kostenlos.
    Japan werden auch jetzt noch hinduis-
    tische Götter verehrt, die im heutigen
    Indien gar nicht mehr existieren. Die ja-
    panische tantrische Shingon-Sekte ver-
    ehrt die Gottheit Goma (frühere indische
    Bezeichnung Havan oder Homa), und die
    japanische Tendai-Sekte hat Rituale, die
    der hinduistischen Agni-Verehrung in                                                              Gemeindefest unter strahlend blauem
    vielen Details stark ähnelt.                                                                      Himmel im Pfarrgarten, Seoul

    Hae-san Seunim ist ein sehr ruhiger und
    eher schüchterner Mönch, aber immer
    freundlich und hilfsbereit. Er entspricht
    dem zurückgezogen lebenden, asketi-
    schen Mönch, der sich ganz seinen Studi-
    en widmet und sich auch der Meditation
    hingibt. Doch Meditation ist nicht unbe-
    dingt ein Garant für eine ausgeglichene
                                                  1
    Persönlichkeit, der immer ein Lächeln           Das Interesse der Mitglieder der Community
    um die Lippen spielt. Ji-ok Seunim (61)       am Buddhismus ist nicht religiöser Natur; die
                                                  meisten sehen sich als Atheisten mit einer Pas-
    verbrachte drei Jahre hintereinander in       sion für buddhistische Philosophie oder Medita-
    Meditation, was ihn aber nicht davon          tion und nehmen an buddhistischen Festen wie
    abhielt, regelmäßig seine indische Haus-      Buddhas Geburtstag teil, weil sehr viele im Dorf
    hälterin in Pune anzuschreien, wenn sie       diese besuchen.
                                                  2 Er wurde aber nicht verurteilt, sonst hätte er
    zwanzig Minuten zu spät kam. Da er in
                                                  laut den monastischen Regeln, die schon vor
    Pune genau über uns wohnte, konnte            2200 Jahren in der ,,Vinaya”, einer Sammlung
    ich die häuslichen Eskapaden mitverfol-       von buddhistischen Ordensregeln, niederge-
    gen. Die Haushälterin kam dann öfters         schrieben wurden und auch heute noch Gültig-
    weinend zu uns und beklagte sich über         keit haben, nicht ordiniert werden können.
                                                  3 In den Büchern dieser Glaubensausprägung
    den Mönch. Als ich ihn einmal auf sein
                                                  wird unter anderem festgehalten, dass es im
    Verhalten ansprach, meinte er lapidar,        Buddhismus keinen Gott gibt, doch diese Traditi-
    man müsse das ewige Zuspätkommen              on ist heutzutage nur noch in der Philosophie zu
    einfach abstellen.                            finden, in der buddhistischen Praxis hat sie sich
                                                  nicht durchgesetzt.
                                                  4 Es gibt natürlich neue buddhistische Texte in

                                                  den Landessprachen, z.B. auf Japanisch und Ko-
                                                  reanisch.
                                                  5 Auf Deutsch im pendragon Verlag erschienen

16 KULTUR KOREA
GESCHICHTE & RELIGION

                     KIRCHEN SIND „IN“
                     Pfarrerin Mi-Hwa Kang kommt aus Deutschland
                     und predigt in Korea

                     Von Nele Becker

                     B
                           ei Nacht fallen sie besonders auf,      MHK: Also es reicht für den Alltag, um
                           die grell leuchtenden Neonkreu-         hier zurechtzukommen, mit dem Taxifah-
                           ze der Kirchen in Seoul. Und jedes      rer zu reden, einzukaufen. Es reicht aber
                     Jahr werden es mehr. Das Christentum          nicht, um theologische Debatten zu füh-
                     ist im Aufschwung und die Zahl seiner         ren oder auf Koreanisch zu predigen.
                     Gläubigen in Korea übersteigt längst die
                     Zahl der Buddhisten. Pfarrerin Mi-Hwa         NB: Das können Sie ja Gott sei dank alles
                     Kang ist in Deutschland aufgewachsen          auf Deutsch machen. Woher kam bei Ihnen
                     und hat in Münster und Bonn Theologie         denn überhaupt das Interesse an Theolo-
                     studiert. Aus Neugier auf ihr Herkunfts-      gie?
                     land hat sie eine Stelle als Pfarrerin in
                     der evangelischen Gemeinde deutscher          MHK: Ich bin in Deutschland in der kore-
                     Sprache in Seoul angenommen. Sie ist          anischen Gemeinde aufgewachsen, weil
                     mittlerweile seit über einem Jahr in Süd-     meine Eltern koreanische Gemeinden
                     korea und erzählt in einem Interview von      besucht haben. Wenn ich ehrlich bin,
                     ihren ersten Eindrücken, Anfangsschwie-       fand ich die Theologie der koreanischen
                     rigkeiten, und Unterschieden zwischen         Pfarrer etwas abschreckend. Die waren
                     deutschen und koreanischen Kirchen.           sehr streng und haben immer den Ge-
                                                                   danken vom Menschen als Sünder in
                     Nele Becker (NB): Sie sind jetzt schon über   den Vordergrund gestellt. Ich konnte das
                     ein Jahr in Korea. Haben Sie sich gut in      nicht alles einfach so annehmen, was
                     Seoul eingelebt und auch wieder ein biss-     der Pfarrer gepredigt hat und sagte mir:
                     chen mit der koreanischen Kultur vertraut     „Du musst dich mal selber auf den Weg
                     werden können?                                machen.“ Das war der Grund, weshalb
                                                                   ich mich nach dem Abitur für ein Theolo-
                     Mi-Hwa Kang (MHK): Ich muss sagen,            giestudium entschieden habe, ich wollte
                     dass das zweite Jahr jetzt wesentlich an-     auch eine Annäherung auf wissenschaft-
                     genehmer ist als das erste, das sehr an-      licher Ebene.
                     strengend und chaotisch war. Persönlich
                     anzukommen und direkt eine Gemein-            NB: Sie predigen in der evangelischen Ge-
                     de zu übernehmen, das war schon eine          meinde deutscher Sprache in Seoul. Zu Ih-
                     recht große Hausnummer. Aber jetzt            rem Gottesdienst kommen natürlich viele
                     wiederholt sich vieles, da kennt man          Deutsche, aber auch Koreaner, die mit der
                     auch schon viele Leute, weiß, wie On-         deutschen Kultur irgendwann einmal in
                     line-Banking funktioniert, wo man ein-        Kontakt gekommen sind. Wie funktioniert
                     kaufen geht und so weiter – das ist nun       das Miteinander?
                     alles wesentlich einfacher. Das Fatale
                     ist ja, dass ich koreanisch aussehe, aber     MHK: Im Gottesdienst selber gibt es kei-
                     Deutsche bin.                                 ne großen Probleme, weil der Gottes-
                                                                   dienst, wie wir ihn feiern, eigentlich für
                     NB: Wie klappt es mit der Sprache? Sie hat-   fast alle fremd ist, sowohl für die Deut-
Fotos: Mi-Hwa Kang

                     ten ja anfangs nur wenig Koreanischkennt-     schen als auch für die Koreaner. Wir sind
                     nisse.                                        eine Freikirche, und die meisten Deut-

                                                                                                   KULTUR KOREA 17
dhisten. Dieser Umstand deutet auf den         lichen Werten zu sprechen. Ich hoffe
                                                      enormen Aufschwung des Christentums            auch, dass meine offene und persönliche
                                                      in diesem Land hin. Trotzdem gibt es           Art, die eben nicht heilig und ohne Feh-
                                                      hier ähnliche Probleme wie in der deut-        ler ist, Menschen ein bisschen die ‚Angst‘
                                                      schen Gesellschaft. Viele junge Leute          vor der Kirche nehmen kann. Ich glaube,
                                                      verlieren das Interesse an Glauben und         dass gerade in einer Leistungsgesell-
                                                      Kirche. Aber die überzeugten Christen          schaft wie Korea viele christliche Werte
                                                      vertreten ihren Glauben auch mit großer        den Menschen guttun können. Am Ende
                                                      Vehemenz. Sie zahlen zum Beispiel wirk-        zählt nicht die Leistung, zählen nicht vie-
                                                      lich ein Zehntel ihres Einkommens an die       le gute Noten in der Schule oder der tolle
                                                      Kirche, das kennen wir in Deutschland so       Job. Vor Gott sind wir alle gleich, und er
                                                      gar nicht. Die Beiträge sind in Korea aber     liebt jeden so wie er ist.
                                                      auch unglaublich wichtig, da alle Kirchen
                                                      Freikirchen sind und sich somit nicht          NB: Ihre Zeit in Korea als Pfarrerin ist be-
                                                      über Steuergelder finanzieren - anders,        grenzt auf drei Jahre. Wie geht es danach
                                                      als das in Deutschland der Fall ist.           weiter?
    Mi-Hwa Kang ist Pfarrerin in der evangelischen
    Gemeinde deutscher Sprache in Seoul.              NB: Mitglieder der evangelischen Gemein-       MHK: Es kann sein, dass ich verlängere,
    Ihre Predigten hält sie auf Deutsch.              de in Korea versammeln sich auch oft zu        aber früher oder später werde ich nach
                                                      Hause, zu sogenannten ‚Homemeetings‘,          Deutschland zurückgehen. Da ich in der
                                                      wo zusammen gegessen, gesungen, gere-          rheinischen Landeskirche Pfarrerin bin,
                                                      det und gebetet wird.                          werde ich irgendwo im Rheinland unter-
    schen sind eher an die Strukturen einer           MHK: Das kenne ich auch aus Deutsch-           kommen. Am liebsten würde ich wieder
    Landeskirche gewöhnt. Uns verbindet               land von den Freikirchen. Hier in der          in Köln eine Gemeinde übernehmen.
    ja eines, die deutsche Sprache. Alle, die         evangelischen Gemeinde deutscher
    zu einem Gottesdienst kommen, wollen              Sprache versuchen wir das natürlich
    gerne etwas auf Deutsch hören. Von da-            auch, um einen persönlicheren Umgang
    her kann man sagen, dass wir trotz aller          zu pflegen, uns besser kennenzulernen,
    Unterschiedlichkeiten auch sehr mitein-           Freundschaften zu knüpfen. Für die Kin-
    ander verbunden sind.                             der werden zum Beispiel gemeinsame
                                                      Spielnachmittage veranstaltet. Aber wir
    NB: Es ist ja gerade für die Koreaner, die ihre   können es noch nicht ganz so gut wie
    Deutschkenntnisse verbessern wollen, eine         die rein koreanischen evangelischen Ge-
    tolle Gelegenheit.                                meinden.

    MHK: Auf jeden Fall. Wir sind auch ein-           NB: Sie haben angesprochen, dass sowohl
    fach eine interessante Mischung. Es gibt          in Deutschland als auch in Korea gerade
    deutsche Auswanderer, interkulturelle             junge Leute das Interesse an der Kirche ver-
    Ehen, Koreaner, die in Deutschland auf-           lieren beziehungsweise der Kirche kritisch
    gewachsen sind, und so weiter. Jeder ist          gegenüberstehen. Haben Sie eine Idee oder
    irgendwie anders, und dennoch versam-             Strategie, junge Leute wieder mehr für die
    meln wir uns alle unter einem Namen.              Kirche zu begeistern?
                                                                                                                                  Foto: privat

    Deswegen finde ich das Bild einer Brücke
    so passend, die jeder auf seine Art und           MHK: Viele haben heutzutage ein ver-
    Weise zwischen den beiden Ländern dar-            staubtes Bild von der Kirche im Kopf – zu
                                                                                                             Nele Becker schloss im Juli 2018
    stellt.                                           Recht. Das gilt es zu ändern, aber es ist
                                                                                                             ihren Bachelor in Europawissen-
                                                      nicht leicht. Am Reformationssonntag                   schaften in Maastricht ab. Aus Be-
    NB: Welche Rolle spielt das Christentum in        haben wir versucht, durch moderne Lie-                 geisterung für die koreanische
                                                      der einen anderen Zugang zu ermög-                     Kultur verbrachte sie vor dem
    Korea?
                                                      lichen, und wir bieten in der Gemeinde                 Studium ein Jahr an der Sprach-
                                                                                                             schule der Yonsei-Universität und
    MHK: Vermutlich würde man zunächst                einen Gesprächskreis für Partner*innen
                                                                                                             absolvierte ein Praktikum in der
    nicht davon ausgehen, dass in Korea so            in interkulturellen Ehen an. Es ist wichtig,           Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul.
    viele Christen leben. Mittlerweile gibt           auch außerhalb der Kirche auf Menschen                 Seit Juli 2018 lebt sie in Sydney und
                                                      zuzugehen und glaubwürdig von christ-                  arbeitet für das American Institute for
    es in Korea aber mehr Christen als Bud-
                                                                                                             Foreign Study.

18 KULTUR KOREA
KULTUR & GESELLSCHAFT

                        EIN MAIBAUM FÜR BUSAN
                        Eine liebgewonnene deutsche Tradition in der südkoreanischen Meeresstadt

                        Von Tim Hirschberg

                        S
                              ieben Tage Regenwetter und dicker
                              Nebel an der Küste – manch einem
                              in Busan wurde schon das Herz
                        schwer, und er sah einen Traditionsbruch
                        kommen. Eigentlich scheint pünktlich
                        zum deutschen Maifest die Sonne in der
                        südkoreanischen Meeresstadt - und zwar
                                                                                                                oben li.: Bücherwürmer! Daniel Krasa vom
                        seit 15 Jahren ausnahmslos. Als dann am
                                                                                                                Hueber Verlag zeigt die neuesten Hilfen
                        frühen Morgen der Festplatz auf dem                                                     zum Deutschlernen.
                        Campus der Pusan National University                                                    oben re.: Junge Koreaner mit strammen
                        doch noch im Licht funkelte, war die Be-                                                Waden und Kunstbärten mit ihren grazilen
                        geisterung umso größer.                                                                 Tanzpartnerinnen
                                                                                                                unten: 화이팅! (,Fighting!´) Koreanischer
                        Kein gewöhnlicher Samstag für die ko-
                                                                                                                Anfeuerungsruf. Der Maibaum stellt sich
                        reanischen Studenten und Professoren:                                                   schließlich nicht von alleine auf.
                        Sie tauchen alles in schwarz-rot-goldene
                        Farben, zupfen Dirndl und Lederhosen
                        zurecht, feilen an den Reden in deutscher
                        Sprache und proben waghalsige Tanz-
                        manöver. Die Pusan National University,
                        die Busan University of Foreign Studies,
                        die Korean Maritime and Ocean Univer-       dahoam“, sagt ein Urlauber aus Tirol, den
                        sity und der Deutsche Akademische Aus-      es zufällig aufs Maifest verschlagen hat.
                        tauschdienst (DAAD) bündeln die Kräfte,     Nach der kühnen Akrobatik tönen die
                        um die deutsche Sprache, Kultur und die     zarten Klänge eines Streichorchesters,
                        Freundschaft mit Korea zu feiern.           bevor es wieder Schlag auf Schlag geht
                                                                    und kernige Männerchöre die Lieder von
                        Versteckt im Schatten liegt die Überra-     Max Giesinger schmettern. Dazwischen
                        schung: Koreas erster Maibaum – ein Ge-     mischen sich ein paar lässige K-Pop-Tän-
                        schenk der Deutschen Botschaft – wird       zerinnen als Kontrast zum sonst deut-
                        gleich von vier Germanistikstudenten in     schen Programm.
                        die Vertikale gehievt.                      Bei der ausgelassenen Stimmung fällt
                        „Hepp, hepp!“, rufen sie. Die rund 450      es schwer zu glauben, dass die Situa-
                        Gäste halten den Atem an, als der           tion für die deutsche Sprache in Korea
                        massive Holzpfahl abzukippen droht.         komplizierter ist als früher. Die Germa-
                        Doch dann ist der nervenaufreibende         nistikinstitute geraten unter Druck, und
                        Balanceakt gemeistert, und das Pro-         das Maifest selbst ist der Beleg dafür.
                        gramm beginnt. Es folgt ein wilder Ritt     Konnten sich vor zehn Jahren noch fünf
                        durch diverse Zeiten, Stile, Regionen und   Universitäten beteiligen, sind es heute
                        Bräuche des deutschsprachigen Raums.        nur noch drei. Das liegt weniger an den
Fotos: Tim Hirschberg

                        Junge Koreaner mit strammen Waden           linguistischen Fallstricken des Deut-
                        und Kunstbärten wirbeln bei ihrer Versi-    schen – den ‚alphabetischen Prozessio-
                        on des Schuhplattlers die grazilen Tanz-    nen‘ (überlange Bandwurmwörter) oder
                        partnerinnen durch die Luft. „Fast wie      der ‚Parenthesekrankheit‘ (komplizierte

                                                                                                                                           KULTUR KOREA 19
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