Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...

 
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Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...
Kultursensitive Diagnostik – eine Gratwanderung
zwischen verschiedenen Welten

                       Prof. Rainer Georg Siefen
   Klinik für Kinder und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum

                      6. Zürcher Diagnostik-Kongress
           Diagnostik – zwischen Ganzheitlichkeit und Reduktion
                             28. bis 29. Juni 2018
                Institut für Angewandte Psychologie ZHAW
Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...
Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation

3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit
   Migrationshintergrund

4. Personale Diagnostik
    - Patienten
    - Angehörige und Begleitpersonen
    - Dolmetscher
    - Diagnostiker und Therapeuten

5. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik

7. Take-Home Message
                                                                       *
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Wer Erfolg hat, freut sich über offizielle Anerkennung.
Die Eltern und Geschwister sowie die weitere Familie
            freuen sich vermutlich ebenso
Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...
Interkulturelle Unterschiede fallen nicht selten erst in
         besonderen Situationen deutlich auf
Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...
Die familiäre Herkunft ist oft von großer emotionaler
                     Bedeutung
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Es kann nämlich ebenso mit Stolz erfüllen, auch den in
   der familiären Heimat lebenden Großeltern und
  anderen Verwandten zeigen zu können, dass man
  erfolgreich ist - ohne seine Wurzeln zu verleugnen.
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Die Empörung von Fußballfans und Teilen der Öffentlichkeit
 in Deutschland war für die beiden Topspieler vermutlich
              nicht sofort nachzuvollziehen
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Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation
3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit
   Migrationshintergrund

4. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

5. Personale Diagnostik
    - Patienten
    - Angehörige und Begleitpersonen
    - Dolmetscher
    - Diagnostiker und Therapeuten

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik

7. Take-Home Message                                                   *
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Akkulturationsbedingungen
(Celenk & van de Vijver, 2011)

• Merkmale der Aufnahmegesellschaft
  (wahrgenommene oder objektive Diskriminierung)

• Merkmale der Herkunftsgesellschaft
  (politische Entwicklung)

• Merkmale der ethnischen Herkunftsgruppe
  (Ethnic vitality)

• Persönliche Eigenschaften des Migranten
  (Erwartungen, Normen, Persönlichkeit)

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Ergebnisse von Akkulturation
(Celenk & van de Vijver, 2011)

• Psychisches Wohlbefinden
      - psychische Ausgeglichenheit / psychische Belastungen
      - Stimmungslage
      - Gefühl des Akzeptiertseins
      - Lebenszufriedenheit

• Soziokulturelle Kompetenz in der Herkunftskultur
      - Kontakte zu Menschen gleicher Herkunft
      - Bewahrung von herkunftstypischen Fähigkeiten und
        Verhaltenskompetenzen

• Soziokulturelle Kompetenz in der Mehrheitsgesellschaft
      - Kontakte zu Mehrheitsangehörigen
      - Aneignung von Fähigkeiten und Verhaltenskompetenzen der
        Aufnahmegesellschaft
      - Leistungen in Schulen, Ausbildung und Beruf

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Zwei Herzen
(Mesut Özil, 2017, S.36)

1. „Nazan Eckes, die Fernsehmoderatorin schrieb im Buch über ihre
   Erfahrungen als in Deutschland geborene Frau mit türkischen Wurzeln…
   und sie schreibt darin den wunderbaren Satz: “Mein Herz schlägt türkisch,
   mein Herz schlägt deutsch“

2. „Eine tolle Botschaft, die ich für mich genauso in Anspruch nehmen kann.
   Zudem gilt für mich: Ich denke deutsch, aber ich fühle türkisch“.

                               https://www.hansemann.de/STEMPEL-Zwei-H

                                                                          *
Wie türkisch und wie deutsch?
(Mesut Özil, 2017, S. 36)

Wie oft habe ich in meinem Leben die Frage gestellt bekommen was ich sei.
Türke? Oder Deutscher? Ob ich mich mehr türkisch fühle ? Oder ob ich mehr
deutsche Eigenschaften habe?
Ich mag diese Ausschließlichkeit nicht. Ich bin nicht nur das eine oder das
andere.

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Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation

3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen
   mit Migrationshintergrund
4. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

5. Personale Diagnostik
    - Patienten
    - Angehörige und Begleitpersonen
    - Dolmetscher
    - Diagnostiker und Therapeuten

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik

7. Take-Home Message
                                                              *
Diagnostische Gratwanderungen mit
Migrantenkindern, -jugendlichen und -familien

 1. Kampfsport schult?
1. Kampfsport
    (Junge)   schult? (Junge)

2.
 2. In
     Inder
        derSackgasse
            Sackgasse(Junge)
     (Junge)
3. Wie intelligent müssen Mädchen sein? (Mädchen)
 3. Wie intelligent müssen Mädchen sein?
4. Wie
     (Mädchen)
         intelligent dürfen Mädchen sein? (Mädchen)

5.
 4. Wie
    Wiefrüh
        intelligent
             ist familiäre
                    dürfenAutismusdiagnostik?
                           Mädchen sein?       (Mutter, Vater)
    (Mädchen)
6. Was würden Sie tun? (Vater)
 5. Wie früh ist familiäre Autismusdiagnostik?
7. Wann
    (Mutter,
          geht
             Vater)
                Deutschlernen? (UMF und Familie)

8.
 6. Wie
    Wasviel
         würden
            NäheSie
                 ist gut
                     tun?für uns? (UMF und Familie)
    (Vater)

7. Wann geht Deutschlernen?
   (UMF und Familie)

8. Wie viel Nähe ist gut für uns? (UMF und Familie)
                                                                 *
Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation

3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit
   Migrationshintergrund

4. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

5. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik

7. Take-Home Message
                                                                       *
Die vernachlässigten 95 Prozent
(Arnett 2008)

• Die US-Amerikaner produzieren die meisten psychologischen
  Forschungsergebnisse (Sue 1999)

• Tatsächlich machen Amerikaner nur 5% der Weltbevölkerung aus

• Zusammen mit Europa, Australien, Neuseeland, etc. beschäftigt sich die
  wissenschaftlichen Psychologie vor allem mit 12% der Weltbevölkerung

• Stichproben in wichtigen US-amerikanischen wissenschaftlichen
  Zeitschriften (2007) bezogen sich zu 60-82% auf europäischstämmige
  Probanden

• Somit stehen die „reichen“ Populationen im Mittelpunkt der
  Untersuchungen und Publikationen der Psychologie, also
  insbesondere der amerikanischen Psychologie

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Die vernachlässigten 95 Prozent
(Arnett 2008)

• Psychologen suchen nach dem „universalen Menschen“

• Kognitive Psychologie, neurowissenschaftliche Konzepte und
  Verhaltensgenetik dominieren zunehmend die Forschungsaktivitäten

• Kulturelle Psychologie nimmt ebenfalls an Bedeutung zu

• Zu kurz kommen in der Forschung alternative Lebenswirklichkeiten,
  etwa bei
      - Peergroups,
      - Geschlechtsrollen,
      - Ehebeziehungen,
      - Familienstrukturen jenseits der Kernfamilie.

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Möglichkeiten zur Messung gesundheitsbezogener
Lebensqualität in einer zusätzlichen ethnokulturellen
Gruppe (Guillemin et al. 1993)

• Entwicklung eines neuen Fragebogens

• Interkulturelle Adaptation vorhandener Fragebögen

                                                        *
Vergleichbarkeit von Testergebnissen (van de Vijver &
Tanzer (2004)

1. Gruppenvergleiche:
   Ein Testergebnis in einer Kultur kann nicht ohne Weiteres mit dem Ergebnis
   dieses Tests in einer anderen Kultur- selbst wenn er übersetzt wurde -
   verglichen werden.

2. Einzeldiagnostik:
   Das gilt auch für die Testung von einzelnen Migranten mit einem in der
   Schweiz oder Deutschland üblichen Test.

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Überersetzung oder mehr?
(van de Vijver et al. 1996)

• Wenn Konzepte oder zumindest Verhalten sich in Kulturen sehr
  unterscheiden, reicht eine Übersetzung von Testverfahren nicht.

• Vielmehr müssen dann Testverfahren für die Zielgruppe neu
  zusammengestellt werden (Assembley)

• Bei Übersetzungen von Testverfahren unterscheiden van de Vijver et al.
  (1996) drei Arten von Bias

   - Konstrukt – Bias (psychologische Konstrukte sind nicht gleich in
     verschiedenen kulturellen Gruppen)

    - Methodischer-Bias (Instrument – Anwendung ist
      problematisch / fehlerträchtig)

    - Item-Bias (tritt oft durch ungenügende Übersetzungen auf, inkorrekte
      Wortwahl)

                                                                             *
Ursachen von Item-Bias ähneln
Kommunikationsproblemen in der Personaldiagnostik (van
de Vijver & Tanzer (2004, S. 127)

• Schwache Übersetzung

• Ambiguität des Ursprung-Items

• Mangelnde Vertrautheit mit Iteminhalt

• Unangemessenheit von Frageformulierungen in bestimmten Kulturen

• unerwünschte Konnotationen der Itemformulierung bei Probanden in
  der Zielkultur.

                                                                 *
Weitere Aspekte von Bias (van de Vijver & Tanzer (2004)

• Äquivalenz ist das Gegenteil von Bias

• Äquivalenz oder das Fehlen von Bias ist eine Voraussetzung für valide
  Vergleiche kulturell unterschiedlicher Populationen

• Bias hängt davon ab, welche Populationen miteinander verglichen
  werden

                                                                      *
Methodik kultureller Vergleiche: Äquivalenz
(Beaton et al.2000. Byrne et al. 2009)

• Strukturelle Äquivalenz
  (konzeptuelle Äquivalenz, strukturelle Äquivalenz) beschäftigt sich mit dem
  Ausmaß der Übereinstimmung von Bedeutung und dimensionaler Struktur

• Mess-Äquivalenz
  hängt davon ab, ob Iteminhalt und psychometrische Eigenschaften wie
  Validität und Reliabilität eines Testinstruments in den untersuchten Gruppen
  ähnlich sind

• Weitere Formen von Äquivalenz
      - semantische Äquivalenz
      - idiomatische Äquivalenz
      - erfahrungsbezogene Äquivalenz
      - konzeptionelle Äquivalenz

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Formen der Äquivalenz (van de Vijver & Tanzer (2004)

• Konstrukt-Äquivalenz
  (Strukturelle Äquivalenz/funktionelle Äquivalenz)

• Äquivalenz der Messeinheit
  (z.B. Gradangaben auf der Calvin- oder der Celsius-Skala)

• Skalare Äquivalenz
  (Messung ohne Bias)

• Verzerrungen auf Itemebene

                                                              *
Kann der weit verbreitete Kurzfragebogen SDQ zum
Vergleich der Prävalenz in verschiedenen Ländern
eingesetzt werden? (Goodman et al. 2012)

• Die Beziehungen zwischen Fallindikatoren des SDQ und Störungsraten
  unterscheiden sich signifikant in verschiedenen Populationen

• Unterschiede der positiven Fallindikationsraten zwischen
  unterschiedlichen nationalen Populationen bilden nicht zwingend
  unterschiedliche Belastungsraten ab

• Das gilt allerdings nicht ohne Weiteres für den Gruppenvergleich
  innerhalb eines Landes (konkret: GB)

• Auf jeden Fall sind populationsspezifische Re-Normierungen/
  Standardisierungen für den Vergleich unterschiedlicher
  ethnokultureller Gruppen aus verschiedenen Ländern notwendig.

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Referenzgruppeneffekte in interkulturellen Vergleichen
(Heine et al. 2002)

• Referenzgruppeneffekte werden am Beispiel der Individualitäts- oder
  Kollektivitäts- Orientierung von Kulturen aufgezeigt

• Selbsteinschätzungen von Japanern und Euro-Kanadiern zeigen hier
  weniger Unterschiede als die Einschätzung von Experten zu beiden Gruppen

• Methodisch kann das an der Messung von Einstellungen mit Likert-
  Skalen zusammenhängen

• Vergleiche werden innerhalb der eigenen Gruppe angestellt: Japaner
  vergleichen sich mit Japanern, Euro-Kanadier mit Euro-Kanadiern.

• Paralleler Einsatz verschiedener Messmethoden kann Abhilfe schaffen.

                                                                        *
Transkulturelle Daten haben eine hierarchische Struktur
(Byrne et al. 2009)

• Individuelle oder Einzelebene

• Gruppen- oder länderbezogene Ebene

  Beispiel: WISC-Untertest Zahlen nachsprechen

                                                          *
Methodische Aspekte von Testübersetzungen (van de
Vijver & Tanzer (2004))

• Übersetzungsmethoden

• Übersetzungs-Rückübersetzungsprozess

• Arbeitsgruppenprozess

• Entwicklungsprozess der Messinstrumente
     - simultane Entwicklung
     - sukzessive Entwicklung
              - Applikation (Übersetzung)
              - Adaptation (zusätzliche Items)
              - Neukonstruktion (Assembley)

                                                    *
Hohe Anforderungen an die transkulturelle Validierung von
Fragebögen
(Herenko et al. 2005)

• Die methodischen Anleitungen müssen ständig aktualisiert werden

• Die Methodik richtet sich auch nach dem Anwendungsbereich. Konkret geht
  es hier um gesundheitsbezogene Lebensqualität

• Die Autoren haben einen universal anwendbaren Übersetzungsprozess
  konzipiert
       - Übersetzung
       - Rück-Übersetzung
       - Vergleich von Übersetzung und Rück-Übersetzung
       - unabhängige Re-Viewer
       - Test durch Probebefragungen
       - Unterscheidung qualitativer und quantitativer Überprüfungen des
         Übersetzungsergebnisses

                                                                       *
Persönlichkeitsfragebögen zur Selbsteinschätzung älterer
Menschen ab 60

• Da die Weltbevölkerung im Schnitt älter wird, braucht es diagnostische
  Instrumente zur Selbsteinschätzung für diese Gruppe

• Bei Anwendung in einer anderen kulturellen Gruppe müssen
  Syndromäquivalenz oder Äquivalenz auf Symptomebene überprüft
  werden

• Das war mit dem Older Adult Self-Report (OASR) erfolgreich. Die
  Syndromstruktur wurde bestätigt

• Der Fragebögen erlaubt dimensionale statt kategoriale Diagnostik.
  Letztere entspricht dem Psychiatriemanualen.

                                                                           *
Spezifische Methoden transkultureller Untersuchungen am
Beispiel des Strukturgleichungsmodells
(Byrne et al. 2009, Wikipedia 2018)

• Das Strukturgleichungsmodell
  (Struktural equation modelling (SEM)) stützt sich auf
       - Kovarianzbasierte Verfahren (z.B. LISREL)
       - Varianzbasierte Verfahren (Partial Least Squares)

• Modellelemente
     - Indikatoren (z.B. Items)
     - latente Variablen (Faktoren)
     - Messmodell (z.B. konfirmatorische Faktorenanalyse)
     - Strukturmodelle (structural models)

Wikipedia, Strukturgleichungsmodell, heruntergeladen am 19.06.2018

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Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation

3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit
   Migrationshintergrund

4. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

5. Personale Diagnostik
    - Patienten
    - Angehörige und Begleitpersonen
    - Dolmetscher
    - Diagnostiker und Therapeuten

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik

7. Take-Home Message
                                                                       *
Personale und Testpsychologische Diagnostik bei
Migranten ergänzen sich

• Testpsychologische Diagnostik ergänzt oder korrigiert die Beurteilungen des
  Klinikers (Personale Diagnostik)

• Die testpsychologische transkulturelle Diagnostik ist stärker systematisiert und
  methodisch weiterentwickelt worden als die personale Diagnostik

• Die personale Diagnostik bedarf ebenfalls einer stärkeren Systematisierung und
  empirischen Überprüfung

• Ziel ist eine personale Diagnostik nach ähnlichen methodischen Kriterien wie sie
  für die interkulturelle Testdiagnostik gelten

• Personale Diagnostik ist die entscheidende Form der klinischen Urteilsbildung
  - auch. wenn geeignete Testverfahren zur Verfügung stehen

• Von der personalen Diagnostik gehen wertvolle Anregungen aus zur Erweiterung
  des Spektrums von Testverfahren und Fragebögen aus

                                                                                *
Aus der früheren Sowjetunion stammende Einwanderer in
Israel im Heranwachsendenalter
(Walsch et al. 2005)

•   Verglichen wurden 41 Heranwachsende
    aus der früheren Sowjetunion
    mit 42 israelischen Heranwachsenden
    ohne Migrationserfahrung.

•   Gefühle von Instabilität die auf die Einwanderung zurückgehen könnten, trugen zu
    Einschränkungen des Selbstnarrativs und der Selbstreflexionsfähigkeit bei.

•   Die Einwanderer zeigten mehr Gefühle von Feindseligkeit, Phobie und
    Paranoia.

•   Die Einwanderer werteten das Aufnahmeland als schlecht und als nicht ihren
    Vorstellungen entsprechend ab.

•   Immigranten mussten offenbar schneller erwachsen werden und eine entsprechende
    Rolle in der Familie einnehmen.

•   Einwanderung könnte zu einem besonderen Entwicklungsprozess
    im Alter zwischen 19 und 25 Jahren führen.
    https://qostanay.tv/obshchestvo/segodnya-v-kazahstane-nachali-otmechat-maslenicu

    https://www.jetzt.de/interview/ins-heilige-land-reise-nach-jerusalem-sucht-noch-mitfahrer-342444   *
Externalisierendes Problemverhalten türkisch- und marokkanisch -
niederländischer Jugendlicher: Die Bedeutung der
herkunftsorientierten Erziehung (van Bergen et al. 2012)

  • Untersucht wurden 14 – 18-jährige Jugendliche
    beider Gruppen (türkisch-NL (N=143) und
    marokkanisch-NL (N=164)

  • Hypothese: die wahrgenommene kulturelle
    Erziehung durch die Eltern schützt vor
    externalisierendem Problemverhalten

  • Externalisierendes Problemverhalten: körperliche
    Auseinandersetzungen,
    äußern von Ärger, Lügen, Stehlen
                                                       https://www.alamy.de/fotos-bilder/moroccan-
  • Jugendliche mit wahrgenommen starker               boys.html

    herkunftsorientierter Erziehung zeigten
    weniger externalisierendes Problemverhalten

  • Das gilt nur für türkisch-NL Jugendliche

                                                                                             *
Protektive Wirkung herkunftsorientierter Erziehung durch die
Eltern
(van Bergen et al. 2012)

• Stärkere Beziehung zu Menschen aus derselben Minderheitsgruppe ist
  eine Mediatorvariable bei türkisch-NL Jugendlichen

• Die gruppenbezogene soziale Verbundenheit ist niedriger bei
  marokkanisch-NL Jugendlichen

• Bei den marokkanisch-NL Jugendlichen kann stärker traditionsorientierte
  Erziehung externalisierendes Problemverhalten sogar
  wahrscheinlicher werden lassen

• Unterschiede der kulturellen Erziehung in verschiedenen ethnischen
  Gruppen sollten weiter untersucht werden

• Wünschenswert sind auch Vergleichsstudien in anderen europäischen
  Ländern

                                                                       *
Die Arbeit mit Dolmetschern (I)
(Gräßer et al. 2017)

• Nicht geeignet als Dolmetscher sind
      - Verwandte oder befreundete Personen des Patienten
      - Personen die in einem Abhängigkeits- oder Dienstverhältnis zum
        Patienten stehen
      - Kinder und Jugendliche, egal wie gut sie die Sprache sprechen
      - Personen die selbst psychisch nicht stabil sind
      - Personen die selbst noch im Asylverfahren stehen

• Geeignet sind
      - Psychisch stabile Personen
      - mindestens 18 Jahre alt
      - Personen die ausreichend gut die Sprache des Patienten und des
        Therapeuten beherrschen
      - Personen die bereit sind sich trainieren und fortbilden zu lassen oder
        bereits ein Zertifikat haben
      - Professionelle Dolmetscher

                                                                             *
Die Arbeit mit Dolmetschern (III)
(Gräßer et al. 2017)

• Der Dolmetscher beherrscht beide Sprachen einigermaßen.

• Das Geschlecht des Dolmetschers ist kompatibel mit den Problemen des
  Patienten

• Der Patient kann sich vorstellen mit dem Dolmetscher zusammen zu
  arbeiten

• Herkunft und Religion des Dolmetschers sind kompatibel

• Der Dolmetscher hat genügend Zeit

                                                                         *
Die Arbeit mit Dolmetschern (II)
(Gräßer et al. 2017)

• Einführung des Dolmetschers

• Der Dolmetscher wird als Gesprächsleiter vorgestellt

• Nur der Name und die Herkunft wird angegeben

• Die Rolle des Dolmetschers wird genau erklärt

• Auf die Schweigepflicht des Dolmetschers wird hingewiesen

• Die Konsekutiv-Übersetzung wird erläutert

• Es wird ein Handzeichen für mögliche Unterbrechungen des Gesprächs
  vereinbart

• Am Anfang des Gesprächs sollten einige Sätze zwischen Patient und
  Dolmetscher über ein allgemeines Thema gewechselt werden

                                                                      *
Die Arbeit mit Dolmetschern (IV)
(Gräßer et al. 2017)

• Kontakt zwischen Patient und Dolmetscher nur während der Gespräche

• Aufklärung des Patienten über die Funktion des Dolmetschers

• Auch während des Gesprächs kein Kontakt in Abwesenheit des
  Therapeuten

• Konsekutive statt simultane Übersetzung

• Übersetzung in Ich-Form, wenn die Inhalte nicht zu belastend sind

• Eindeutiges Handzeichen für Unterbrechungen oder Nachfragen

• Dolmetscher-Qualifikation muss ausreichend
  geklärt sein

                                                                      *
Empfehlungen für mit Herkunftssprache und Herkunftskultur
nicht vertraute Diagnostiker und Therapeuten
(Tribe & Summerfield 2002)

• Vor- und Nachbesprechung mit Dolmetschern

• Derselbe Dolmetscher für alle Gespräche

• Dolmetschergestützte Gespräche brauchen mehr Zeit

• Fachbegriffe vermeiden oder sparsam einsetzen

• Wenn möglich geschulte Dolmetscher einsetzen

• Patienten aus einer anderen Kultur können Erlebnisse und Gefühle
  anders bewerten

• Gesundheitsüberzeugungen sind kulturabhängig

• Übersetzungen sind nicht immer genau

                                                                     *
Subjektive Einflüsse auf die Psychodiagnostik durch Experten
(Siefen et al. 2018, Kirkcaldy, Furnham & Siefen 2011)

• Bei empirischen Untersuchungen zeigt sich immer wieder, dass
  psychologische und psychiatrische Experten Diagnosen nicht
  leitliniengerecht stellen.

• Das kann einerseits „kulturellen Einflüssen“ geschuldet sein, wie
  Diagnostik- und behandlungstraditonen und Versorgungsstrukturen im
  jeweiligen Land.

• Das kann andererseits auf persönliche Voraussetzungen des
  Diagnostikers zurückgehen (Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund)

• Diese Subjektivität der Experten kann entweder als Störvariable
  verstanden werden, oder als Element des diagnostischen
  Prozesses, das intensiver untersucht werden sollte

                                                                         *
Diagnostikerprofile
(Aufzählungen sind nicht erschöpfend)

• Objektives Diagnostikerprofil
  - Alter,
  - Geschlecht,
  - Migrationshintergrund,
  - berufliche Qualifikation,
  - spezifische Weiterbildungen,
  - Dauer spezifischer beruflicher Tätigkeiten (Berufserfahrung),
  - Position in Praxis, Klinik, anderer Organisation.

• Subjektives Diagnostikerprofil
  - Interkulturelle Kompetenzen,
  - Interesse an anderen Ländern und Kulturen,
  - politische Einstellungen,
  - Geduld angesichts des besonderen Zeitbedarfs der Diagnostik bei
    Migranten,
  - Toleranz bei „Instrumentalisierung“ oder „strategischer Kommunikation“,
  - Empathie und Techniken der emotionalen Distanzierung.

                                                                              *
Gliederung des Vortrags

1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse

2. Akkulturation

3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit
   Migrationshintergrund

4. Testdiagnostik
     - Systematik der Testverfahren
     - Äquivalenz und Bias
     - weitere methodische Herausforderungen

5. Personale Diagnostik
    - Patienten
    - Angehörige und Begleitpersonen
    - Dolmetscher
    - Diagnostiker und Therapeuten

6. Interaktions- und Prozessdiagnostik
7. Take-Home Message                                                   *
Unterdiagnostik von Depression von Patienten aus ethno-
kulturellen Minderheiten in der Erstversorgung
(Ahmed & Bhugra 2007, Bhugra & Mastroianni 2004)

• WHO (2002) erwartet Depression als weltweit zweithäufigste gesundheitliche
  Behinderung in 2020

• Unterdiagnostik von Depression wird gefördert durch

       - unterschiedliche Gesundheitsmodelle von Arzt und Patient,

       - unvollständige Symptomschilderung und Betonung somatischer
         Symptome,

       - Kulturabhängigkeit der Symptome und der körperbezogenen
        Metaphern,

       - sprachliche und kulturelle Kommunikationsbarrieren,

       - nicht ausreichend intensive Untersuchung,

       - höheres Alter des Patienten und komorbide körperliche Störungen.
                                                                            *
Symptompräsentation: Chinesische Depressive somatisieren
mehr als europäisch stämmige Depressive? (Ryder et al. 2008)

• 174 chinesische ambulante Patienten mit
  Depression

• 107 eurokanadische ambulante Patenten mit
  Depression

• Spontaner Gesundheitsbericht gegenüber
  bis dahin nicht bekanntem Interviewer

• Systematisches Interview zu depressiver Symptomatik

• Symptom-Fragebogen zu Depressions-Symptomen,
  Alexithymie, Stigmatisierung

• Sehr differenziertes methodisches Vorgehen bei
  Untersuchungsplanung für China und Kanada und bei
  Datenauswertung
https://www.blick.ch/life/reisen/citytrip/amerika/unterwegs-in-toronto-viel-mehr-als-kanada-
id6996989.html
                                                                                               *
Somatisierungstendenz chinesischer Depressiver oder
Psychologisierungstendenz europäischstämmiger Depressiver
(Ryder et al. 2008)

• Chinesen berichten mehr körperbezogene Symptome im strukturierten
  Interview und Testverfahren

• Europäischstämmige berichten viel mehr psychologische Symptome in
  den Interviews und den Tests

• Chinesen gaben mehr Belastung durch Stigmatisierung an und hatten
  höhere Alexithymiewerte

• External orientiertes Denken war Mediatorvariable
  für die kulturellen Unterschiede

https://www.pinterest.de/chedionisio/changsha-china/

                                                                      *
Chinesische und europäisch-stämmige Depressive
(Ryder et al. 2008)

• Die Patientenrolle fördert das Mitteilen somatischer Symptome

• Chinesen erleben sich als stigmatisierter. Mehr Stigmatisierung korreliert
  mit Körperbeschwerden.

• Chinesen waren „alexithymer“ aber dachten auch „externaler“

• Beide Gruppen hatten psychologische und somatische Beschwerden

                                                                         *
Depression im Inter-kulturellen Vergleich
(Ryder et al. 2008)

• „Westliche Kultur“ ist eine von vielen Kulturen

• Chinesen denken externaler und haben mehr somatische Symptome

• Europäer sind sehr stark auf psychologische Symptome orientiert

• Interaktion biologischer, kultureller und individueller Faktoren bei der
  Entwicklung und Ausgestaltung depressiver Symptome

                                                                             *
Take-Home Message

1. Interkulturelle Testdiagnostik und Personale Diagnostik ergänzen sich
   in Forschung und Versorgung.

2. Die Auswirkungen eines Einsatzes von Dolmetschern und Mediatoren
   müssen viel intensiver empirisch untersucht werden.

3. Das persönliche Diagnostikerprofil spielt eine Schlüsselrolle in der
   kultursensitiven Diagnostik und fristet ein Schattendasein.

4. Interkulturelle Missverständnisse sind unvermeidlich und lehrreich.

5. Authentizität und Kreativität in der Diagnostik und Therapie von
   Menschen mit Migrationshintergrund sind erlaubt.

                                                                          *
Giovanni di Lorenzo
Foto: Von Moritz Kosinsky - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28480644
• Giovanni di Lorenzo (* 9. März 1959 in Stockholm) ist ein
  italienisch-deutscher Journalist und Autor.
• Er ist Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit,
  Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegels und Moderator der
  Talkshow 3 nach 9 bei Radio Bremen
• Am Abend der Europawahl 2014 erklärte di Lorenzo in der
  Polit-Talkshow Günther Jauch, er habe aufgrund seiner
  doppelten Staatsangehörigkeit zweimal abgestimmt.
• Dies ist nach § 6 Abs. 4 des Europawahlgesetzes nicht
  zulässig.[14]
• Di Lorenzo begründete sein Verhalten damit, dass er sowohl als deutscher
  als auch als italienischer Staatsbürger eine Wahlbenachrichtigung erhalten
  habe und es ihm nicht bewusst gewesen sei, nur in einem Land wählen zu
  dürfen. Er bedauere sein Verhalten.[17]
• Das Ermittlungsverfahren wurde im November 2014 nach Zahlung eines
  „namhaften Betrags“ von di Lorenzo als Geldauflage
  eingestellt.[18][19][20]

•   14. Ermittlungen gegen „Zeit“-Chefredakteur. In: Focus, 26. Mai 2014.
•   17. Jauch verteidigt „Zeit“-Chef di Lorenzo. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Mai 2014.
•   18. Geldstrafe! Verfahren gegen di Lorenzo eingestellt. In: Hamburger Abendblatt. 18. November 2014,
    abgerufen am 18. November 2014.
•   19. Verfahren gegen "Zeit"-Chefredakteur vorläufig eingestellt. In: Spiegel Online, 19. November 2014.
•   20. Verfahren gegen di Lorenzo wegen doppelter Stimmabgabe eingestellt. In: Die Zeit, 19. November 2014.
•   https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_di_Lorenzo . Abgerufen am 12.06.2018. Zitatnummerierung von
    Wikipedia
Herzlichen Dank für Ihre
          Aufmerksamkeit!
      Bitte vergessen Sie nicht:

• Migranten haben (mindestens)
  zwei Herzen!
• …und Sie?
Literatur:

Ahmed, K., & Bhugra, D. (2007). Depression across ethnic minority cultures: diagnostic issues. World Cultural Psychiatry
Research Review, 2(2/3), 47-56.

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