Kultursensitive Diagnostik - eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten - ZHAW Zürcher ...
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Kultursensitive Diagnostik – eine Gratwanderung zwischen verschiedenen Welten Prof. Rainer Georg Siefen Klinik für Kinder und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum 6. Zürcher Diagnostik-Kongress Diagnostik – zwischen Ganzheitlichkeit und Reduktion 28. bis 29. Juni 2018 Institut für Angewandte Psychologie ZHAW
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Personale Diagnostik - Patienten - Angehörige und Begleitpersonen - Dolmetscher - Diagnostiker und Therapeuten 5. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Wer Erfolg hat, freut sich über offizielle Anerkennung. Die Eltern und Geschwister sowie die weitere Familie freuen sich vermutlich ebenso
Es kann nämlich ebenso mit Stolz erfüllen, auch den in der familiären Heimat lebenden Großeltern und anderen Verwandten zeigen zu können, dass man erfolgreich ist - ohne seine Wurzeln zu verleugnen.
Die Empörung von Fußballfans und Teilen der Öffentlichkeit in Deutschland war für die beiden Topspieler vermutlich nicht sofort nachzuvollziehen
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 5. Personale Diagnostik - Patienten - Angehörige und Begleitpersonen - Dolmetscher - Diagnostiker und Therapeuten 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Akkulturationsbedingungen (Celenk & van de Vijver, 2011) • Merkmale der Aufnahmegesellschaft (wahrgenommene oder objektive Diskriminierung) • Merkmale der Herkunftsgesellschaft (politische Entwicklung) • Merkmale der ethnischen Herkunftsgruppe (Ethnic vitality) • Persönliche Eigenschaften des Migranten (Erwartungen, Normen, Persönlichkeit) *
Ergebnisse von Akkulturation (Celenk & van de Vijver, 2011) • Psychisches Wohlbefinden - psychische Ausgeglichenheit / psychische Belastungen - Stimmungslage - Gefühl des Akzeptiertseins - Lebenszufriedenheit • Soziokulturelle Kompetenz in der Herkunftskultur - Kontakte zu Menschen gleicher Herkunft - Bewahrung von herkunftstypischen Fähigkeiten und Verhaltenskompetenzen • Soziokulturelle Kompetenz in der Mehrheitsgesellschaft - Kontakte zu Mehrheitsangehörigen - Aneignung von Fähigkeiten und Verhaltenskompetenzen der Aufnahmegesellschaft - Leistungen in Schulen, Ausbildung und Beruf *
Zwei Herzen (Mesut Özil, 2017, S.36) 1. „Nazan Eckes, die Fernsehmoderatorin schrieb im Buch über ihre Erfahrungen als in Deutschland geborene Frau mit türkischen Wurzeln… und sie schreibt darin den wunderbaren Satz: “Mein Herz schlägt türkisch, mein Herz schlägt deutsch“ 2. „Eine tolle Botschaft, die ich für mich genauso in Anspruch nehmen kann. Zudem gilt für mich: Ich denke deutsch, aber ich fühle türkisch“. https://www.hansemann.de/STEMPEL-Zwei-H *
Wie türkisch und wie deutsch? (Mesut Özil, 2017, S. 36) Wie oft habe ich in meinem Leben die Frage gestellt bekommen was ich sei. Türke? Oder Deutscher? Ob ich mich mehr türkisch fühle ? Oder ob ich mehr deutsche Eigenschaften habe? Ich mag diese Ausschließlichkeit nicht. Ich bin nicht nur das eine oder das andere. *
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 5. Personale Diagnostik - Patienten - Angehörige und Begleitpersonen - Dolmetscher - Diagnostiker und Therapeuten 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Diagnostische Gratwanderungen mit Migrantenkindern, -jugendlichen und -familien 1. Kampfsport schult? 1. Kampfsport (Junge) schult? (Junge) 2. 2. In Inder derSackgasse Sackgasse(Junge) (Junge) 3. Wie intelligent müssen Mädchen sein? (Mädchen) 3. Wie intelligent müssen Mädchen sein? 4. Wie (Mädchen) intelligent dürfen Mädchen sein? (Mädchen) 5. 4. Wie Wiefrüh intelligent ist familiäre dürfenAutismusdiagnostik? Mädchen sein? (Mutter, Vater) (Mädchen) 6. Was würden Sie tun? (Vater) 5. Wie früh ist familiäre Autismusdiagnostik? 7. Wann (Mutter, geht Vater) Deutschlernen? (UMF und Familie) 8. 6. Wie Wasviel würden NäheSie ist gut tun?für uns? (UMF und Familie) (Vater) 7. Wann geht Deutschlernen? (UMF und Familie) 8. Wie viel Nähe ist gut für uns? (UMF und Familie) *
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 5. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Die vernachlässigten 95 Prozent (Arnett 2008) • Die US-Amerikaner produzieren die meisten psychologischen Forschungsergebnisse (Sue 1999) • Tatsächlich machen Amerikaner nur 5% der Weltbevölkerung aus • Zusammen mit Europa, Australien, Neuseeland, etc. beschäftigt sich die wissenschaftlichen Psychologie vor allem mit 12% der Weltbevölkerung • Stichproben in wichtigen US-amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschriften (2007) bezogen sich zu 60-82% auf europäischstämmige Probanden • Somit stehen die „reichen“ Populationen im Mittelpunkt der Untersuchungen und Publikationen der Psychologie, also insbesondere der amerikanischen Psychologie *
Die vernachlässigten 95 Prozent (Arnett 2008) • Psychologen suchen nach dem „universalen Menschen“ • Kognitive Psychologie, neurowissenschaftliche Konzepte und Verhaltensgenetik dominieren zunehmend die Forschungsaktivitäten • Kulturelle Psychologie nimmt ebenfalls an Bedeutung zu • Zu kurz kommen in der Forschung alternative Lebenswirklichkeiten, etwa bei - Peergroups, - Geschlechtsrollen, - Ehebeziehungen, - Familienstrukturen jenseits der Kernfamilie. *
Möglichkeiten zur Messung gesundheitsbezogener Lebensqualität in einer zusätzlichen ethnokulturellen Gruppe (Guillemin et al. 1993) • Entwicklung eines neuen Fragebogens • Interkulturelle Adaptation vorhandener Fragebögen *
Vergleichbarkeit von Testergebnissen (van de Vijver & Tanzer (2004) 1. Gruppenvergleiche: Ein Testergebnis in einer Kultur kann nicht ohne Weiteres mit dem Ergebnis dieses Tests in einer anderen Kultur- selbst wenn er übersetzt wurde - verglichen werden. 2. Einzeldiagnostik: Das gilt auch für die Testung von einzelnen Migranten mit einem in der Schweiz oder Deutschland üblichen Test. *
Überersetzung oder mehr? (van de Vijver et al. 1996) • Wenn Konzepte oder zumindest Verhalten sich in Kulturen sehr unterscheiden, reicht eine Übersetzung von Testverfahren nicht. • Vielmehr müssen dann Testverfahren für die Zielgruppe neu zusammengestellt werden (Assembley) • Bei Übersetzungen von Testverfahren unterscheiden van de Vijver et al. (1996) drei Arten von Bias - Konstrukt – Bias (psychologische Konstrukte sind nicht gleich in verschiedenen kulturellen Gruppen) - Methodischer-Bias (Instrument – Anwendung ist problematisch / fehlerträchtig) - Item-Bias (tritt oft durch ungenügende Übersetzungen auf, inkorrekte Wortwahl) *
Ursachen von Item-Bias ähneln Kommunikationsproblemen in der Personaldiagnostik (van de Vijver & Tanzer (2004, S. 127) • Schwache Übersetzung • Ambiguität des Ursprung-Items • Mangelnde Vertrautheit mit Iteminhalt • Unangemessenheit von Frageformulierungen in bestimmten Kulturen • unerwünschte Konnotationen der Itemformulierung bei Probanden in der Zielkultur. *
Weitere Aspekte von Bias (van de Vijver & Tanzer (2004) • Äquivalenz ist das Gegenteil von Bias • Äquivalenz oder das Fehlen von Bias ist eine Voraussetzung für valide Vergleiche kulturell unterschiedlicher Populationen • Bias hängt davon ab, welche Populationen miteinander verglichen werden *
Methodik kultureller Vergleiche: Äquivalenz (Beaton et al.2000. Byrne et al. 2009) • Strukturelle Äquivalenz (konzeptuelle Äquivalenz, strukturelle Äquivalenz) beschäftigt sich mit dem Ausmaß der Übereinstimmung von Bedeutung und dimensionaler Struktur • Mess-Äquivalenz hängt davon ab, ob Iteminhalt und psychometrische Eigenschaften wie Validität und Reliabilität eines Testinstruments in den untersuchten Gruppen ähnlich sind • Weitere Formen von Äquivalenz - semantische Äquivalenz - idiomatische Äquivalenz - erfahrungsbezogene Äquivalenz - konzeptionelle Äquivalenz *
Formen der Äquivalenz (van de Vijver & Tanzer (2004) • Konstrukt-Äquivalenz (Strukturelle Äquivalenz/funktionelle Äquivalenz) • Äquivalenz der Messeinheit (z.B. Gradangaben auf der Calvin- oder der Celsius-Skala) • Skalare Äquivalenz (Messung ohne Bias) • Verzerrungen auf Itemebene *
Kann der weit verbreitete Kurzfragebogen SDQ zum Vergleich der Prävalenz in verschiedenen Ländern eingesetzt werden? (Goodman et al. 2012) • Die Beziehungen zwischen Fallindikatoren des SDQ und Störungsraten unterscheiden sich signifikant in verschiedenen Populationen • Unterschiede der positiven Fallindikationsraten zwischen unterschiedlichen nationalen Populationen bilden nicht zwingend unterschiedliche Belastungsraten ab • Das gilt allerdings nicht ohne Weiteres für den Gruppenvergleich innerhalb eines Landes (konkret: GB) • Auf jeden Fall sind populationsspezifische Re-Normierungen/ Standardisierungen für den Vergleich unterschiedlicher ethnokultureller Gruppen aus verschiedenen Ländern notwendig. *
Referenzgruppeneffekte in interkulturellen Vergleichen (Heine et al. 2002) • Referenzgruppeneffekte werden am Beispiel der Individualitäts- oder Kollektivitäts- Orientierung von Kulturen aufgezeigt • Selbsteinschätzungen von Japanern und Euro-Kanadiern zeigen hier weniger Unterschiede als die Einschätzung von Experten zu beiden Gruppen • Methodisch kann das an der Messung von Einstellungen mit Likert- Skalen zusammenhängen • Vergleiche werden innerhalb der eigenen Gruppe angestellt: Japaner vergleichen sich mit Japanern, Euro-Kanadier mit Euro-Kanadiern. • Paralleler Einsatz verschiedener Messmethoden kann Abhilfe schaffen. *
Transkulturelle Daten haben eine hierarchische Struktur (Byrne et al. 2009) • Individuelle oder Einzelebene • Gruppen- oder länderbezogene Ebene Beispiel: WISC-Untertest Zahlen nachsprechen *
Methodische Aspekte von Testübersetzungen (van de Vijver & Tanzer (2004)) • Übersetzungsmethoden • Übersetzungs-Rückübersetzungsprozess • Arbeitsgruppenprozess • Entwicklungsprozess der Messinstrumente - simultane Entwicklung - sukzessive Entwicklung - Applikation (Übersetzung) - Adaptation (zusätzliche Items) - Neukonstruktion (Assembley) *
Hohe Anforderungen an die transkulturelle Validierung von Fragebögen (Herenko et al. 2005) • Die methodischen Anleitungen müssen ständig aktualisiert werden • Die Methodik richtet sich auch nach dem Anwendungsbereich. Konkret geht es hier um gesundheitsbezogene Lebensqualität • Die Autoren haben einen universal anwendbaren Übersetzungsprozess konzipiert - Übersetzung - Rück-Übersetzung - Vergleich von Übersetzung und Rück-Übersetzung - unabhängige Re-Viewer - Test durch Probebefragungen - Unterscheidung qualitativer und quantitativer Überprüfungen des Übersetzungsergebnisses *
Persönlichkeitsfragebögen zur Selbsteinschätzung älterer Menschen ab 60 • Da die Weltbevölkerung im Schnitt älter wird, braucht es diagnostische Instrumente zur Selbsteinschätzung für diese Gruppe • Bei Anwendung in einer anderen kulturellen Gruppe müssen Syndromäquivalenz oder Äquivalenz auf Symptomebene überprüft werden • Das war mit dem Older Adult Self-Report (OASR) erfolgreich. Die Syndromstruktur wurde bestätigt • Der Fragebögen erlaubt dimensionale statt kategoriale Diagnostik. Letztere entspricht dem Psychiatriemanualen. *
Spezifische Methoden transkultureller Untersuchungen am Beispiel des Strukturgleichungsmodells (Byrne et al. 2009, Wikipedia 2018) • Das Strukturgleichungsmodell (Struktural equation modelling (SEM)) stützt sich auf - Kovarianzbasierte Verfahren (z.B. LISREL) - Varianzbasierte Verfahren (Partial Least Squares) • Modellelemente - Indikatoren (z.B. Items) - latente Variablen (Faktoren) - Messmodell (z.B. konfirmatorische Faktorenanalyse) - Strukturmodelle (structural models) Wikipedia, Strukturgleichungsmodell, heruntergeladen am 19.06.2018 *
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 5. Personale Diagnostik - Patienten - Angehörige und Begleitpersonen - Dolmetscher - Diagnostiker und Therapeuten 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Personale und Testpsychologische Diagnostik bei Migranten ergänzen sich • Testpsychologische Diagnostik ergänzt oder korrigiert die Beurteilungen des Klinikers (Personale Diagnostik) • Die testpsychologische transkulturelle Diagnostik ist stärker systematisiert und methodisch weiterentwickelt worden als die personale Diagnostik • Die personale Diagnostik bedarf ebenfalls einer stärkeren Systematisierung und empirischen Überprüfung • Ziel ist eine personale Diagnostik nach ähnlichen methodischen Kriterien wie sie für die interkulturelle Testdiagnostik gelten • Personale Diagnostik ist die entscheidende Form der klinischen Urteilsbildung - auch. wenn geeignete Testverfahren zur Verfügung stehen • Von der personalen Diagnostik gehen wertvolle Anregungen aus zur Erweiterung des Spektrums von Testverfahren und Fragebögen aus *
Aus der früheren Sowjetunion stammende Einwanderer in Israel im Heranwachsendenalter (Walsch et al. 2005) • Verglichen wurden 41 Heranwachsende aus der früheren Sowjetunion mit 42 israelischen Heranwachsenden ohne Migrationserfahrung. • Gefühle von Instabilität die auf die Einwanderung zurückgehen könnten, trugen zu Einschränkungen des Selbstnarrativs und der Selbstreflexionsfähigkeit bei. • Die Einwanderer zeigten mehr Gefühle von Feindseligkeit, Phobie und Paranoia. • Die Einwanderer werteten das Aufnahmeland als schlecht und als nicht ihren Vorstellungen entsprechend ab. • Immigranten mussten offenbar schneller erwachsen werden und eine entsprechende Rolle in der Familie einnehmen. • Einwanderung könnte zu einem besonderen Entwicklungsprozess im Alter zwischen 19 und 25 Jahren führen. https://qostanay.tv/obshchestvo/segodnya-v-kazahstane-nachali-otmechat-maslenicu https://www.jetzt.de/interview/ins-heilige-land-reise-nach-jerusalem-sucht-noch-mitfahrer-342444 *
Externalisierendes Problemverhalten türkisch- und marokkanisch - niederländischer Jugendlicher: Die Bedeutung der herkunftsorientierten Erziehung (van Bergen et al. 2012) • Untersucht wurden 14 – 18-jährige Jugendliche beider Gruppen (türkisch-NL (N=143) und marokkanisch-NL (N=164) • Hypothese: die wahrgenommene kulturelle Erziehung durch die Eltern schützt vor externalisierendem Problemverhalten • Externalisierendes Problemverhalten: körperliche Auseinandersetzungen, äußern von Ärger, Lügen, Stehlen https://www.alamy.de/fotos-bilder/moroccan- • Jugendliche mit wahrgenommen starker boys.html herkunftsorientierter Erziehung zeigten weniger externalisierendes Problemverhalten • Das gilt nur für türkisch-NL Jugendliche *
Protektive Wirkung herkunftsorientierter Erziehung durch die Eltern (van Bergen et al. 2012) • Stärkere Beziehung zu Menschen aus derselben Minderheitsgruppe ist eine Mediatorvariable bei türkisch-NL Jugendlichen • Die gruppenbezogene soziale Verbundenheit ist niedriger bei marokkanisch-NL Jugendlichen • Bei den marokkanisch-NL Jugendlichen kann stärker traditionsorientierte Erziehung externalisierendes Problemverhalten sogar wahrscheinlicher werden lassen • Unterschiede der kulturellen Erziehung in verschiedenen ethnischen Gruppen sollten weiter untersucht werden • Wünschenswert sind auch Vergleichsstudien in anderen europäischen Ländern *
Die Arbeit mit Dolmetschern (I) (Gräßer et al. 2017) • Nicht geeignet als Dolmetscher sind - Verwandte oder befreundete Personen des Patienten - Personen die in einem Abhängigkeits- oder Dienstverhältnis zum Patienten stehen - Kinder und Jugendliche, egal wie gut sie die Sprache sprechen - Personen die selbst psychisch nicht stabil sind - Personen die selbst noch im Asylverfahren stehen • Geeignet sind - Psychisch stabile Personen - mindestens 18 Jahre alt - Personen die ausreichend gut die Sprache des Patienten und des Therapeuten beherrschen - Personen die bereit sind sich trainieren und fortbilden zu lassen oder bereits ein Zertifikat haben - Professionelle Dolmetscher *
Die Arbeit mit Dolmetschern (III) (Gräßer et al. 2017) • Der Dolmetscher beherrscht beide Sprachen einigermaßen. • Das Geschlecht des Dolmetschers ist kompatibel mit den Problemen des Patienten • Der Patient kann sich vorstellen mit dem Dolmetscher zusammen zu arbeiten • Herkunft und Religion des Dolmetschers sind kompatibel • Der Dolmetscher hat genügend Zeit *
Die Arbeit mit Dolmetschern (II) (Gräßer et al. 2017) • Einführung des Dolmetschers • Der Dolmetscher wird als Gesprächsleiter vorgestellt • Nur der Name und die Herkunft wird angegeben • Die Rolle des Dolmetschers wird genau erklärt • Auf die Schweigepflicht des Dolmetschers wird hingewiesen • Die Konsekutiv-Übersetzung wird erläutert • Es wird ein Handzeichen für mögliche Unterbrechungen des Gesprächs vereinbart • Am Anfang des Gesprächs sollten einige Sätze zwischen Patient und Dolmetscher über ein allgemeines Thema gewechselt werden *
Die Arbeit mit Dolmetschern (IV) (Gräßer et al. 2017) • Kontakt zwischen Patient und Dolmetscher nur während der Gespräche • Aufklärung des Patienten über die Funktion des Dolmetschers • Auch während des Gesprächs kein Kontakt in Abwesenheit des Therapeuten • Konsekutive statt simultane Übersetzung • Übersetzung in Ich-Form, wenn die Inhalte nicht zu belastend sind • Eindeutiges Handzeichen für Unterbrechungen oder Nachfragen • Dolmetscher-Qualifikation muss ausreichend geklärt sein *
Empfehlungen für mit Herkunftssprache und Herkunftskultur nicht vertraute Diagnostiker und Therapeuten (Tribe & Summerfield 2002) • Vor- und Nachbesprechung mit Dolmetschern • Derselbe Dolmetscher für alle Gespräche • Dolmetschergestützte Gespräche brauchen mehr Zeit • Fachbegriffe vermeiden oder sparsam einsetzen • Wenn möglich geschulte Dolmetscher einsetzen • Patienten aus einer anderen Kultur können Erlebnisse und Gefühle anders bewerten • Gesundheitsüberzeugungen sind kulturabhängig • Übersetzungen sind nicht immer genau *
Subjektive Einflüsse auf die Psychodiagnostik durch Experten (Siefen et al. 2018, Kirkcaldy, Furnham & Siefen 2011) • Bei empirischen Untersuchungen zeigt sich immer wieder, dass psychologische und psychiatrische Experten Diagnosen nicht leitliniengerecht stellen. • Das kann einerseits „kulturellen Einflüssen“ geschuldet sein, wie Diagnostik- und behandlungstraditonen und Versorgungsstrukturen im jeweiligen Land. • Das kann andererseits auf persönliche Voraussetzungen des Diagnostikers zurückgehen (Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund) • Diese Subjektivität der Experten kann entweder als Störvariable verstanden werden, oder als Element des diagnostischen Prozesses, das intensiver untersucht werden sollte *
Diagnostikerprofile (Aufzählungen sind nicht erschöpfend) • Objektives Diagnostikerprofil - Alter, - Geschlecht, - Migrationshintergrund, - berufliche Qualifikation, - spezifische Weiterbildungen, - Dauer spezifischer beruflicher Tätigkeiten (Berufserfahrung), - Position in Praxis, Klinik, anderer Organisation. • Subjektives Diagnostikerprofil - Interkulturelle Kompetenzen, - Interesse an anderen Ländern und Kulturen, - politische Einstellungen, - Geduld angesichts des besonderen Zeitbedarfs der Diagnostik bei Migranten, - Toleranz bei „Instrumentalisierung“ oder „strategischer Kommunikation“, - Empathie und Techniken der emotionalen Distanzierung. *
Gliederung des Vortrags 1. Die Unvermeidlichkeit interkultureller Missverständnisse 2. Akkulturation 3. Authentizität und Kreativität bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund 4. Testdiagnostik - Systematik der Testverfahren - Äquivalenz und Bias - weitere methodische Herausforderungen 5. Personale Diagnostik - Patienten - Angehörige und Begleitpersonen - Dolmetscher - Diagnostiker und Therapeuten 6. Interaktions- und Prozessdiagnostik 7. Take-Home Message *
Unterdiagnostik von Depression von Patienten aus ethno- kulturellen Minderheiten in der Erstversorgung (Ahmed & Bhugra 2007, Bhugra & Mastroianni 2004) • WHO (2002) erwartet Depression als weltweit zweithäufigste gesundheitliche Behinderung in 2020 • Unterdiagnostik von Depression wird gefördert durch - unterschiedliche Gesundheitsmodelle von Arzt und Patient, - unvollständige Symptomschilderung und Betonung somatischer Symptome, - Kulturabhängigkeit der Symptome und der körperbezogenen Metaphern, - sprachliche und kulturelle Kommunikationsbarrieren, - nicht ausreichend intensive Untersuchung, - höheres Alter des Patienten und komorbide körperliche Störungen. *
Symptompräsentation: Chinesische Depressive somatisieren mehr als europäisch stämmige Depressive? (Ryder et al. 2008) • 174 chinesische ambulante Patienten mit Depression • 107 eurokanadische ambulante Patenten mit Depression • Spontaner Gesundheitsbericht gegenüber bis dahin nicht bekanntem Interviewer • Systematisches Interview zu depressiver Symptomatik • Symptom-Fragebogen zu Depressions-Symptomen, Alexithymie, Stigmatisierung • Sehr differenziertes methodisches Vorgehen bei Untersuchungsplanung für China und Kanada und bei Datenauswertung https://www.blick.ch/life/reisen/citytrip/amerika/unterwegs-in-toronto-viel-mehr-als-kanada- id6996989.html *
Somatisierungstendenz chinesischer Depressiver oder Psychologisierungstendenz europäischstämmiger Depressiver (Ryder et al. 2008) • Chinesen berichten mehr körperbezogene Symptome im strukturierten Interview und Testverfahren • Europäischstämmige berichten viel mehr psychologische Symptome in den Interviews und den Tests • Chinesen gaben mehr Belastung durch Stigmatisierung an und hatten höhere Alexithymiewerte • External orientiertes Denken war Mediatorvariable für die kulturellen Unterschiede https://www.pinterest.de/chedionisio/changsha-china/ *
Chinesische und europäisch-stämmige Depressive (Ryder et al. 2008) • Die Patientenrolle fördert das Mitteilen somatischer Symptome • Chinesen erleben sich als stigmatisierter. Mehr Stigmatisierung korreliert mit Körperbeschwerden. • Chinesen waren „alexithymer“ aber dachten auch „externaler“ • Beide Gruppen hatten psychologische und somatische Beschwerden *
Depression im Inter-kulturellen Vergleich (Ryder et al. 2008) • „Westliche Kultur“ ist eine von vielen Kulturen • Chinesen denken externaler und haben mehr somatische Symptome • Europäer sind sehr stark auf psychologische Symptome orientiert • Interaktion biologischer, kultureller und individueller Faktoren bei der Entwicklung und Ausgestaltung depressiver Symptome *
Take-Home Message 1. Interkulturelle Testdiagnostik und Personale Diagnostik ergänzen sich in Forschung und Versorgung. 2. Die Auswirkungen eines Einsatzes von Dolmetschern und Mediatoren müssen viel intensiver empirisch untersucht werden. 3. Das persönliche Diagnostikerprofil spielt eine Schlüsselrolle in der kultursensitiven Diagnostik und fristet ein Schattendasein. 4. Interkulturelle Missverständnisse sind unvermeidlich und lehrreich. 5. Authentizität und Kreativität in der Diagnostik und Therapie von Menschen mit Migrationshintergrund sind erlaubt. *
Giovanni di Lorenzo Foto: Von Moritz Kosinsky - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28480644
• Giovanni di Lorenzo (* 9. März 1959 in Stockholm) ist ein italienisch-deutscher Journalist und Autor. • Er ist Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegels und Moderator der Talkshow 3 nach 9 bei Radio Bremen
• Am Abend der Europawahl 2014 erklärte di Lorenzo in der Polit-Talkshow Günther Jauch, er habe aufgrund seiner doppelten Staatsangehörigkeit zweimal abgestimmt. • Dies ist nach § 6 Abs. 4 des Europawahlgesetzes nicht zulässig.[14] • Di Lorenzo begründete sein Verhalten damit, dass er sowohl als deutscher als auch als italienischer Staatsbürger eine Wahlbenachrichtigung erhalten habe und es ihm nicht bewusst gewesen sei, nur in einem Land wählen zu dürfen. Er bedauere sein Verhalten.[17] • Das Ermittlungsverfahren wurde im November 2014 nach Zahlung eines „namhaften Betrags“ von di Lorenzo als Geldauflage eingestellt.[18][19][20] • 14. Ermittlungen gegen „Zeit“-Chefredakteur. In: Focus, 26. Mai 2014. • 17. Jauch verteidigt „Zeit“-Chef di Lorenzo. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Mai 2014. • 18. Geldstrafe! Verfahren gegen di Lorenzo eingestellt. In: Hamburger Abendblatt. 18. November 2014, abgerufen am 18. November 2014. • 19. Verfahren gegen "Zeit"-Chefredakteur vorläufig eingestellt. In: Spiegel Online, 19. November 2014. • 20. Verfahren gegen di Lorenzo wegen doppelter Stimmabgabe eingestellt. In: Die Zeit, 19. November 2014. • https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_di_Lorenzo . Abgerufen am 12.06.2018. Zitatnummerierung von Wikipedia
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bitte vergessen Sie nicht: • Migranten haben (mindestens) zwei Herzen! • …und Sie?
Literatur: Ahmed, K., & Bhugra, D. (2007). Depression across ethnic minority cultures: diagnostic issues. World Cultural Psychiatry Research Review, 2(2/3), 47-56. Arends-Tóth, J., & van de Vijver, F. J. (2006). Issues in the Conceptualization and Assessment of Acculturation. Arnett, J. J. (2008). The neglected 95%: why American psychology needs to become less American. American Psychologist, 63(7), 602. Banville, D., Desrosiers, P., & Genet-Volet, Y. (2000). Translating questionnaires and inventories using a cross-cultural translation technique. Journal of teaching in Physical Education, 19(3), 374-387. Beaton, D. E., Bombardier, C., Guillemin, F., & Ferraz, M. B. (2000). Guidelines for the process of cross-cultural adaptation of self-report measures. Spine, 25(24), 3186-3191 Busch, J., Leyendecker, B. Siefen, R.G. (2018) Klinische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen. In: Maehler, D.B., Shajek. A.. Brinkmann, H.U. (2018) Diagnostik bei Migrantinnen und Migranten. Ein Handbuch. Hogrefe: Göttingen, 197-244 Celenk, O., Van de Vijver, F. J. R. (2011). Assessment of Acculturation: Issues and Overview of Measures. Online Readings in Psychology and Culture, 8 Eremenco, S. L., Cella, D., Arnold, B. J. (2005). A Comprehensive Method for the Translation and Cross-Cultural Validation of Health Status Questionnaires. Evaluation & the health professions, 28(2), 212-232 Goodman, A., Heiervang, E., Fleitlich-Bilyk, B., Alyahri, A., Patel, V., Mullick, M. S. I., Slobodskaya H., dos Santos, D. N., Goodman, R. (2012). Cross-national differences in questionnaires do not necessarily reflect comparable differences in disorder prevalence. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol (2012) 47:1321-1331 https://doi.org/10.1007/s00127-011-0440-2 Gräßer, M., Iskenius, E.L, Hovermann, E. (2017) Therapie-Tools Psychotherapie für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen. München: Belz
Literatur: Guillemin, F., Bombardier, C., & Beaton, D. (1993). Cross-cultural adaptation of health-related quality of life measures: literature review and proposed guidelines. Journal of clinical epidemiology, 46(12), 1417-1432. Hambleton, R. K., Merenda, P. F., & Spielberger, C. D. (Eds.). (2004). Adapting educational and psychological tests for cross-cultural assessment. Psychology Press. Heine, S. J., Lehman, D. R., Peng, K., & Greenholtz, J. (2002). What's wrong with cross-cultural comparisons of subjective Likert scales?: The reference-group effect. Journal of personality and social psychology, 82(6), 903. Johnson, T. P., & Van de Vijver, F. J. (2003). Social desirability in cross-cultural research. Cross-cultural survey methods, 325, 195-204. Ivanova, M. Y., Achenbach, T., Leite, M., Almeida, V., Caldas, C., Turner, L., & Dumas, J. A. (2018). Empirically derived dimensional syndromes of self‐reported psychopathology: Cross‐cultural comparisons of Portuguese and US elders. International journal of geriatric psychiatry, 33(5), 695-702. Kirkcaldy, B.,Furnham, A., Siefen, R.G. (2011). Culture, Psychopharmacology and Well-Being. In: Kircaldy, B. (Ed.) The Art and Science of Health Care. Hogrefe: Göttingen, 51 – 77 Leung, A. K. Y., & Cohen, D. (2011). Within-and between-culture variation: individual differences and the cultural logics of honor, face, and dignity cultures. Journal of personality and social psychology, 100(3), 507. Ryder, A. G., Yang, J., Zhu, X., Yao, S., Yi, J., Heine, S. J., & Bagby, R. M. (2008). The cultural shaping of depression: somatic symptoms in China, psychological symptoms in North America?. Journal of abnormal psychology, 117(2), 300. Machleidt, W., Kluge, U., Sieberer M.G., Heinz, A. (Hrsg.)(2018) Praxis der interkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie. Migration und psychische Gesundheit. Elsevier: München. 2. Aufl. Maehler, D.B., Shajek. A.. Brinkmann, H.U. (2018) Diagnostik bei Migrantinnen und Migranten. Ein Handbuch. Hogrefe: Göttingen
Literatur: Özil, M. (2017) Die Magie des Spiels. Lübbe: Köln Siefen, R.G., Glaaesmer, H.,Brähler, E. (2018) Interkulturelle psychologische Testdiagnostik bei Menschen mit Migrationshintergrund. In: Machleidt, W., Kluge, U., Sieberer M.G., Heinz, A. (Hrsg.)(2018) Praxis der interkulturellen Psychiatrie und Psychotherapie. Migration und psychische Gesundheit. Elsevier: München. 2. Aufl., 219-227 Stewart, S. M., Kennard, B. D., Lee, P. W., Hughes, C. W., Mayes, T. L., Emslie, G. J., & Lewinsohn, P. M. (2004). A cross-cultural investigation of cognitions and depressive symptoms in adolescents. Journal of Abnormal Psychology, 113(2), 248. Tribe, R. (2002). Mental health of refugees and asylum-seekers. Advances in psychiatric treatment, 8(4), 240-247. van Bergen, D. D., Wachter, G. G., & Feddes, A. R. (2017). Externalizing behaviours of Turkish-Dutch and Moroccan-Dutch youth: The role of parental cultural socialization. European Journal of Developmental Psychology, 1-14. Van de Schoot, R., Lugtig, P., & Hox, J. (2012). A checklist for testing measurement invariance. European Journal of Developmental Psychology, 9(4), 486-492. Van de Vijver, F., & Hambleton, R. K. (1996). Translating tests. European psychologist, 1(2), 89-99. Vardar, A., Kluge, U., & Penka, S. (2012). How to express mental health problems: Turkish immigrants in Berlin compared to native Germans in Berlin and Turks in Istanbul. European Psychiatry, 27, S50-S55. Verhoeven, F. E., Booij, L., Van der Wee, N. J., Penninx, B. W., der Does, V., & Willem, A. J. (2011). Clinical and physiological correlates of irritability in depression: results from the Netherlands Study of Depression and Anxiety. Depression research and treatment, 2011. Walsh, S., Shulman, S., Feldman, B., & Maurer, O. (2005). The impact of immigration on the internal processes and developmental tasks of emerging adulthood. Journal of Youth and Adolescence, 34(5), 413-426. Westermeyer, J., & Janca, A. (1997). Language, culture and psychopathology: Conceptual and methodological issues. Transcultural Psychiatry, 34(3), 291-311.
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