KVJSJugendhilfe - Service Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen nach - 20 SGB VIII

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KVJSJugendhilfe – Service

     Betreuung und
     Versorgung des Kindes
     in Notsituationen nach
     § 20 SGB VIII
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 Inhaltsverzeichnis
                 Vorwort                                                                        3

                 1.    Rechtsgrundlagen                                                         4
                 1.1   Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen – § 20 SGB VIII    4
                 1.2   Sinn, Bedeutung und sozialpädagogische Inhalte von § 20 SGB VIII         4
                 1.3   Anspruchsvoraussetzungen nach § 20 SGB VIII                              5
                 1.3.1 Anspruchsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 1 – Ausfall des überwiegend
                       betreuenden Elternteils                                                  5
                 1.3.2 Hilfegewährung nach § 20 Abs. 1 – Ausfall des überwiegend
                       betreuenden Elternteils                                                  7
                 1.3.3 Anspruchsvoraussetzung nach § 20 Abs. 2 – Ausfall beider
                       Elternteile oder des alleinerziehenden Elternteils                       8
                 1.4   Leistungsinhalte, Formen und Dauer                                       8

                 2.      Abgrenzungen der Hilfe nach § 20 SGB VIII zu anderen Hilfen           10
                 2.1     Abgrenzung zu vorrangigen Hilfen im Fünften Sozialgesetzbuch
                         beziehungsweise der Krankenversicherung der RVO                       10
                 2.2     Überblick: Die Leistung Haushaltshilfe in der RVO und im SGB V        11
                 2.3     Abgrenzung zu nachrangigen Hilfen im Zwölften Sozialgesetzbuch        13
                 2.4     Abgrenzung zu § 31 SGB VIII – Sozialpädagogische Familienhilfe        13
2
                 3.      Hilfebedarf nach § 20 SGB VIII – Fallkonstellationen                  14

                 4.    Leistungen des öffentlichen Jugendhilfeträgers                          18
                 4.1   Hilfeplanung und Strukturierung                                         18
                 4.2   Idealtypischer Verlauf einer Krisenintervention in Notfällen –
                       Zusammenwirken zwischen öffentlichem Jugendhilfeträger
                       und freien Trägern (Fachdienste Familienpflege)                         19
                 4.2.1 Hilfebedarf und Kostenklärung im Rahmen des SGB VIII: Der Ausfall
                       des überwiegend betreuenden Elternteils gefährdet die Versorgung
                       und Betreuung eines oder mehrerer Kinder in einer Familie               19
                 4.2.2 Hifebedarf und Kostenklärung im Rahmen des SGB V beziehungsweise
                       der RVO: Der Ausfall des haushaltsführenden Elternteils aufgrund
                       einer teilstationären oder ambulanten Behandlung gefährdet die
                       Versorgung und Betreuung eines oder mehrerer Kinder in einer Familie    19
                 4.3   Rechtlicher Rahmen, Zuständigkeiten und Kostenheranziehung
                       im Rahmen des SGB VIII                                                  19

                 5.      Kooperation mit freien Trägern                                        22
                 5.1     Qualifikationsanforderungen                                           22
                 5.2     Leistungsprofil der Familienpflege                                    22
                 5.3     Anforderungsprofil und Zusammenwirken zwischen dem
                         öffentlichen Jugendhilfeträger und freien Trägern                     23

                 6.      Jugendhilfeplanung                                                    24

                 Anlage 1                                                                      25

                 Literaturverzeichnis                                                          26
Hilfen nach § 20 SGB VIII

Vorwort
Die Betreuung und Versorgung von Kin-         nie in Baden-Württemberg, dem Landes-
dern in Notsituationen ist ein wichtiges      amt für Soziales, Jugend und Versorgung
Instrument, wenn in Familien der betreu-      Rheinland-Pfalz und dem KVJS-Landesju-
ende Elternteil aus gesundheitlichen oder     gendamt.
anderen zwingenden Gründen ausfällt.
Im § 20 SGB VIII hat der Gesetzgeber die      Unser besonderer Dank gilt Liz Deutz von
Unterstützung für betroffene Kinder und       Zukunft Familie, Fachverband Familien-
Familien geregelt. Diese Orientierungs-       pflege und Nachbarschaftshilfe in der Di-
hilfe bietet wertvolle Anregungen für die     özese Rottenburg Stuttgart, die einen we-
rechtliche und praktische Ausgestaltung       sentlichen Anteil der inhaltlichen und
der Hilfe und enthält fundierte Praxisbei-    redaktionellen Arbeit im Auftrag der vier
spiele.                                       kirchlichen Verbände leistete.

Gerade in der heutigen Zeit, in der die       Weiterer Dank gilt Frank Wettengel vom
Aufmerksamkeit der Gesellschaft sich in       Landesamt für Soziales, Jugend und Ver-
besonderer Weise auf den Schutz und das       sorgung Rheinland-Pfalz, der fundierte
Wohlergehen von jungen Menschen rich-         Textbeiträge beisteuerte.
tet, ist es von hoher Bedeutung, die recht-
lichen Möglichkeiten im Sinne der sozia-      Das gemeinschaftliche Zusammenwirken
len Stärkung von Familien auszuschöpfen.      hat erfolgreich dazu beigetragen, dass es               3
Dafür engagiert sich auch der Kommu-          für Baden-Württemberg eine praxisnahe
nalverband für Jugend und Soziales. Der       Orientierungshilfe zum § 20 SGB VIII gibt,
KVJS möchte dazu beitragen, dass Famili-      die von den verschiedenen Leistungsträ-
en auch in schwierigen Situationen unter-     gern angewendet werden kann.
stützt und stabilisiert werden.

Die Orientierungshilfe ist ein Gemein-
schaftsprodukt von Caritas und Diako-

Landrat Karl Röckinger                        Senator e. h. Prof. Roland Klinger
Verbandsvorsitzender                          Verbandsdirektor
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 1. Rechtsgrundlagen
                 1.1 Betreuung und Versorgung des                      Es soll verhindert werden, dass ein er-
                 Kindes in Notsituationen – § 20                       werbstätiger oder in Ausbildung ste-
                 SGB VIII                                              hender Elternteil aufgrund des Ausfalles
                                                                       des überwiegend betreuenden Eltern-
                 „(1) Fällt der Elternteil, der die überwiegen-        teils seine Berufstätigkeit beziehungswei-
                 de Betreuung des Kindes übernommen hat,               se Ausbildung aufgibt. Das Kind bezie-
                 für die Wahrnehmung dieser Aufgabe aus                hungsweise die Kinder sollen beim Ausfall
                 gesundheitlichen oder anderen zwingenden              der elterlichen Betreuungsperson auf-
                 Gründen aus, so soll der andere Elternteil bei        grund von „gesundheitlichen oder – eben-
                 der Betreuung und Versorgung des im Haus-             so schwerwiegenden – anderen zwingenden
                 halt lebenden Kindes unterstützt werden,              Gründen“3 im familiären Lebensraum ver-
                 wenn                                                  bleiben. Die bislang von den Eltern in an-
                                                                       gemessener Weise gewährleistete Betreu-
                 1. er wegen berufsbedingter Abwesenheit               ung, Versorgung und Erziehung des oder
                 nicht in der Lage ist, die Aufgabe wahrzu-            mehrerer Kinder in der Familie soll weiter-
                 nehmen,                                               geführt werden. Eine kostenintensive und
                 2. die Hilfe erforderlich ist, um das Wohl des        pädagogisch nicht angezeigte Fremdun-
                 Kindes zu gewährleisten,                              terbringung soll vermieden werden. Kin-
                 3. Angebote der Förderung des Kindes in Ta-           der sollen nicht „außerhalb der Familie un-
4                geseinrichtungen oder in Tagespflege nicht            tergebracht werden müssen, obwohl keine
                 ausreichen.                                           erzieherischen Gründe dafür gegeben sind“4.

                 (2) Fällt ein alleinerziehender Elternteil oder       Hilfe nach § 20 SGB VIII ist stets dann päd-
                 fallen beide Elternteile aus gesundheitlichen         agogisch angezeigt, wenn
                 oder anderen zwingenden Gründen aus, so
                 soll unter der Voraussetzung des Absatzes 1           • das Wohl des Kindes den Erhalt der
                 Nr. 3 das Kind im elterlichen Haushalt ver-             häuslichen familiären Gemeinschaft, ei-
                 sorgt und betreut werden, wenn und solan-               nen Verbleib im Sozialraum, in nach-
                 ge es für sein Wohl erforderlich ist.“ 1                barschaftlichen und anderen Bezügen
                                                                         wie zum Beispiel der Tagesbetreuung,
                 1.2 Sinn, Bedeutung und sozialpäd-                      Schulbesuch erfordert,
                 agogische Inhalte von § 20 SGB VIII                   • der familiäre Alltag durch die Fortfüh-
                                                                         rung des Betreuungsverhältnisses der
                 Die Vorschrift des § 20 SGB VIII hat eine               bisherigen Hauptbetreuungsperson im
                 familienunterstützende und familiener-                  familiären Haushalt stabilisiert werden
                 haltende Funktion. Sie zielt darauf ab, die             kann und
                 Entstehung dauerhafter Krisen oder Be-                • dadurch das räumliche und das soziale
                 nachteiligungen durch familiäre Not- und                Umfeld des Kindes erhalten bleiben.5
                 Belastungssituationen zu verhindern. Die
                                                                       3   ebd.
                 Vorschrift soll „eine Lücke im derzeitigen            4   Wiesner (Hrsg.), SGB VIII, Kinder- und Jugendhil-
                 Spektrum der Jugendhilfe (...) schließen“.2               fe, Kommentar, 2011, S. 239
                                                                       5   s. auch Deutscher Verein für öffentliche und pri-
                                                                           vate Fürsorge, Unterstützung von Familien in
                 1   Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) § 20,       Krisensituationen – Ein Leitfaden für die Ge-
                     2012                                                  währung von familienunterstützenden Hilfen
                 2   Münder, Meysen, Trenczek (Hrsg.), Frankfurter         2003, S. 1: „Das Kindeswohl gebietet es, einer-
                     Kommentar SGB VIII, 2009, S. 211                      seits die Betreuung und Versorgung des Kindes
                                                                           sicherzustellen, andererseits aber auch dessen
                                                                           familiären Lebensraum zu erhalten.“
Hilfen nach § 20 SGB VIII

Die Sicherstellung der Betreuung und Ver-     • andere Betreuungsformen wie Tages-
sorgung des Kindes in Notsituationen er-        betreuung (Tageseinrichtungen/Schu-
folgt daher ausschließlich im Haushalt der      len oder Kindertagespflege) den Be-
Eltern beziehungsweise des alleinerzie-         treuungsbedarf eines oder mehrerer
henden Elternteils. Demzufolge beinhal-         Kinder während des Ausfalls des über-
tet die Gewährleistung des Kindeswohls          wiegend betreuenden Elternteils nicht
                                                oder nicht ausreichend decken oder
• seine psychische und physische Grund-         pädagogisch nicht angezeigt sind,
  versorgung,                                 • andere Betreuungsformen nicht sofort
• die Sicherung personeller und sozialer        bei Feststellung des Hilfebedarfs vom
  Beziehungen und                               öffentlichen Jugendhilfeträger bereit-
• die Sicherung der Bindungen des Kin-          gestellt werden können, um den aku-
  des an die ihm vertraute häusliche Le-        ten Betreuungsbedarf und Betreuungs-
  bensgemeinschaft.                             umfang eines oder mehrerer Kinder
                                                während des Ausfalls des überwiegend
Die Hilfe nach § 20 SGB VIII ermöglicht es      betreuenden Elternteils zu überneh-
den Eltern, nach Überwindung der fami-          men,
liären Notsituation wieder am früheren        • die gesetzlich festgelegten Kinderbe-
Familienleben anzuknüpfen, auch wenn            treuungstage eines erwerbstätigen
zum Beispiel der Ausfall eines Elternteils      Elternteils zur Beaufsichtigung, Be-
aufgrund von Trennung und Scheidung             treuung oder Pflege eines erkrankten
zu Veränderungen im elterlichen Haushalt        Kindes nach § 45 SGB V bereits ausge-                  5
geführt hat.                                    schöpft sind und keine anderen Betreu-
                                                ungsformen – zum Beispiel Kinderta-
Leistungen nach § 20 SGB VIII sind keine        gespflege oder Tagesbetreuung – den
Hilfe zur Erziehung entsprechend § 27 ff        Betreuungsbedarf ausreichend decken
SGB VIII. Dem öffentlichen Jugendhilfeträ-      können oder pädagogisch angezeigt
ger obliegt aufgrund seiner besonderen          sind.
Verantwortung und seines umfassenden
Beratungsauftrags mit dem Schwerpunkt         1.3.1 Anspruchsvoraussetzungen nach
Erziehung, die Hilfe nach § 20 SGB VIII zu    § 20 Abs. 1 – Ausfall des überwiegend
definieren und abzugrenzen gegenüber          betreuenden Elternteils
der Hilfe zur Erziehung (HzE) oder zu Leis-
tungen anderer Sozialleistungsträger wie      Leistungsempfänger ist der Elternteil, der
§ 31 SGB VIII, § 38 SGB V, § 199 RVO oder     vom Ausfalls des überwiegend betreuen-
§ 70 SGB XII.                                 den Elternteils aus gesundheitlichen oder
                                              anderen zwingenden Gründen betroffen
1.3 Anspruchsvoraussetzungen                  ist: Dieser Elternteil erhält Unterstützung
nach § 20 SGB VIII                            in der Betreuung und Versorgung eines
                                              oder mehrerer Kinder, wenn diese ohne
Die Überbrückung einer familiären Not-        diese Hilfe unversorgt und/oder unbe-
situation nach § 20 SGB VIII setzt voraus,    aufsichtigt sind und das Kindeswohl da-
dass                                          durch gefährdet wird. Ein Milieuwechsel
                                              für Kinder wird vermieden, die Bindungs-
• im elterlichen Haushalt mindestens          fähigkeit von Kindern wird aufrechterhal-
  ein Kind lebt, das das 14. Lebensjahr       ten und eine Trennung von Beziehungen,
  noch nicht vollendet hat (vgl. § 7 Abs. 1   insbesondere zum ausfallenden Elternteil
  SGB VIII),                                  und zu Geschwistern verhindert.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 Voraussetzung für den Anspruch ist der         • nachweislich die fehlende Versorgung
                 Ausfall des überwiegend betreuenden El-          oder Betreuung eines oder mehre-
                 ternteils: „Entscheidend ist der Ausfall als     rer Kinder nur wegen des zwingenden
                 Betreuungsperson, weil Eltern, auch wenn         Grundes gegeben ist und bei Fehlen
                 sie weiterhin im familiären Haushalt leben,      dieses Grundes von dem ausfallenden
                 aus unterschiedlichen und gravierenden           Elternteil sichergestellt würde.
                 Gründen (...) vorübergehend (oder auch län-
                 ger) der Aufgabe der Versorgung, Betreuung     Zu den anderen zwingenden Gründen
                 und Erziehung der eigenen Kinder nicht ge-     zählen insbesondere
                 wachsen sein können (mit den entsprechen-
                 den, negativen Folgen für das/die Kinder).“6   • Entbindung eines Kindes,
                                                                • Mehrlingsgeburten,
                 Gesundheitliche Gründe sind insbeson-          • Unfälle beziehungsweise Ausfallzei-
                 dere:                                            ten aufgrund unfallbedingter medizini-
                                                                  scher Maßnahmen,
                 • akute, chronische und/oder unheilbare        • Rehabilitationsmaßnahmen,
                   Erkrankungen,                                • Trennung der Eltern,
                 • psychische Erkrankungen,                     • Tod des überwiegend betreuenden El-
                 • Suchterkrankungen,                             ternteils oder eines Elternteils,
                 • schwere Pflegebedürftigkeit,                 • Inhaftierung.
                 • Versorgung und Pflege zu früh gebore-
6                  ner Mehrlinge,                               Oder zusammenfassend formuliert:
                 • Versorgung und Pflege eines schwer-          „Familien- und Lebenskrisen mit hieraus
                   kranken, sterbenden oder behinderten         resultierenden Minderungen der Hand-
                   Kindes.                                      lungskompetenzen.“7

                 Die gesundheitlichen Gründe sind auch          So kann zum Beispiel die Betreuungsper-
                 gegeben, wenn der sonst überwiegend            son auch dann ausfallen, „wenn sie durch
                 betreuende Elternteil im Krankheits- oder      die Pflege eines schwererkrankten Kindes
                 Pflegefall im elterlichen Haushalt anwe-       so belastet ist, dass sie sich um das bezie-
                 send ist, aber die Grundversorgung und         hungsweise die Geschwister nicht in not-
                 Betreuung der Kinder und seinen Er-            wendigen Umgang kümmern kann“8.
                 ziehungsauftrag nicht oder nur einge-
                 schränkt übernehmen kann.                      Die Vorschrift benennt als Leistungsadres-
                                                                saten die Eltern. Sie hat jedoch auch Gül-
                 Anspruchsvoraussetzung für „andere             tigkeit für andere Erziehungspersonen:
                 zwingende Gründe“ ist, dass                    „Dem Zweck der Regelung entsprechend,
                                                                dem Kind in einer familialen Notsituation
                 • diese mit gesundheitlichen Gründen           sein Umfeld zu erhalten, ist die Vorschrift
                   vergleichbar sind,                           auch dann anzuwenden, wenn ein Kind in
                 • diese in direktem Zusammenhang mit           Vollzeitpflege lebt und ein Pflegeelternteil
                   gesundheitlichen Gründen stehen oder         ausfällt.“9
                   zu einer vergleichbaren familiären Not-
                   lage führen, in denen die Versorgung
                   und Betreuung eines oder mehrerer
                   Kinder nicht gegeben ist,                    7   Münder u.a. 2009, S. 212
                                                                8   Wiesner 2011, S. 240
                 6   Münder u.a. 2009, S. 211 f                 9   ebd.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

1.3.2 Hilfegewährung nach § 20 Abs. 1                      heit nicht durch Inanspruchnahme von
– Ausfall des überwiegend betreuen-                        Jahres- oder Sonderurlaub, Reduzie-
den Elternteils                                            rung oder flexiblere Arbeitszeitgestal-
                                                           tung oder Vertretung am Arbeitsplatz
Abs. 1 geht von einer familiären Konstel-                  beheben.
lation aus, in der ein Elternteil erwerbstä-             • Auch wenn sich zwei berufstätige El-
tig ist und der zweite Elternteil die famili-              ternteile bis zum Eintritt der familiä-
äre Versorgung und Betreuung eines oder                    ren Notsituation die Aufgaben geteilt
mehrerer Kinder im Haushalt sicherstellt.                  hatten, „kann sich mangels ausreichen-
Die heutige Lebenswirklichkeit von Fa-                     der Gewährleistung der Betreuung bezie-
milienhaushalten, in denen beide Eltern-                   hungsweise Versorgung des Kindes die
teile erwerbstätig sind und sich zugleich                  Notwendigkeit unterstützender Hilfen er-
die Kinderbetreuung teilen, wird in dieser                 geben. Es muss vermieden werden, dass
Vorschrift nicht ausreichend berücksich-                   der berufstätige andere Elternteil seine
tigt.10                                                    Erwerbstätigkeit (zumindest vorüberge-
                                                           hend) aufgeben muss und die Familie auf
„Die Vorschrift dient jedoch nicht der Privi-              Sozialhilfe angewiesen ist“13.
legierung traditioneller Rollenaufteilung“‘11.
Denn auch wenn beide Elternteile sich die                2. Die Hilfe „ist erforderlich, um das
Kinderbetreuung teilen, können familiä-                  Wohl des Kindes zu gewährleisten“:
re Notsituationen aufgrund oben genann-
ter Gründe entstehen. Ebenso kann eine                   • Um das Wohl des Kindes sicherzustel-                        7
akute Krise die Hilfe erforderlich machen,                 len, muss eine Hilfe durch eine nicht
wenn ein Elternteil für die Familie ausfällt,              zum Familienhaushalt gehörende Per-
weil er die Familie verlässt und die bisher                son erforderlich sein.
wahrgenommenen Versorgungs- und Be-                      • Die Fremdhilfe muss das Wohlergehen
treuungsaufgaben nicht wahrnimmt. „Ent-                    des beziehungsweise der im elterlichen
sprechend dem Sinn der Regelung ist eine                   Haushalt lebenden Kindes/Kinder und
großzügige Auslegung angebracht.“12                        seine/deren gesundheitliche Entwick-
                                                           lung gewährleisten, das heißt eine dem
Der andere Elternteil hat bei einem Ausfall                jeweiligen Kind, seinem Alter und sei-
des überwiegend betreuenden Elternteils                    nem Entwicklungsstand angemessene
Anspruch auf Hilfegewährung nach § 20                      Grundversorgung, Betreuung, Pflege,
SGB VIII, wenn gleichzeitig drei Vorausset-                Beaufsichtigung und Erziehung.14
zungen vorliegen:
                                                         3. Die Angebote der Förderung des
1. Der andere Elternteil ist wegen be-                   Kindes in Tageseinrichtungen oder in
rufsbedingter Abwesenheit nicht in der                   Tagespflege reichen nicht aus.
Lage, die Aufgabe wahrzunehmen:
                                                         Vorrangig sind Angebote von Tagesein-
• Der andere Elternteil kann seine berufs-               richtungen, Kindertagespflege oder Schu-
  oder ausbildungsbedingte Abwesen-                      len zur Behebung der Notsituation zu ver-
                                                         mitteln, sofern diese Betreuungsangebote
10 „Nicht erfasst werden demnach grundsätzlich die
   in der Praxis zunehmenden Fälle, in denen bei-
   de Elternteile gleichermaßen die Betreuung ihres
   Kindes sicherstellen, weil sie z.B. beide einem Be-
   ruf nachgehen.“ Deutscher Verein für öffentliche      13 Deutscher Verein für öffentliche und private
   und private Fürsorge 2003, S. 6                          Fürsorge 2003, S.6
11 Münder u.a. 2009, S. 211                              14 Münder u.a. 2009, S. 212
12 Wiesner 2011, S. 239
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 • pädagogisch angezeigt sind,                   Die Betreuung des Kindes soll im elterli-
                 • in akuten Krisensituationen sofort be-        chen Haushalt erfolgen anstatt einer Un-
                   reit gestellt werden können,                  terbringung in einer Pflegefamilie oder ei-
                 • die Zeiten der berufs- beziehungswei-         ner stationären Einrichtung. „Selbst im Fall
                   se ausbildungsbedingten Abwesenheit           des Todes eines alleinstehenden oder beider
                   des anderen Elternteils ausreichend ab-       Elternteile kann es bis zur Klärung der Ver-
                   decken können.                                hältnisse sinnvoll sein, das beziehungswei-
                                                                 se die Kinder (für eine Übergangszeit) wei-
                 Die Hilfe nach § 20 ist dann erforderlich,      ter im Familienhaushalt zu versorgen. Ist die
                 wenn die oben genannten Betreuungs-             vorrangig anzustrebende Versorgung des
                 angebote nicht verfügbar sind oder nicht        Kindes im elterlichen Haushalt nicht mög-
                 ausreichen, um das Wohl des Kindes si-          lich (weil eine geeignete Pflegeperson, die
                 cherzustellen.                                  das Kind dort Tag und Nacht versorgt, nicht
                                                                 zu finden ist)“16, müssen andere Maßnah-
                 Die Hilfe kann auch ergänzend zu den            men erfolgen.
                 oben genannten Betreuungsangeboten
                 eingesetzt werden und je nach Einzelfall        1.4 Leistungsinhalte, Formen und
                 notwendig sein.                                 Dauer

                 1.3.3 Anspruchsvoraussetzung nach               Die Leistung richtet sich nach den jeweili-
                 § 20 Abs. 2 – Ausfall beider Elternteile        gen Erfordernissen im Einzelfall. Die fort-
8                oder des alleinerziehenden Elternteils          zuführende Versorgung, Betreuung und
                                                                 Erziehung zielt nicht auf Veränderungen
                 Abs. 2 hebt die familiären Notsituationen       oder Korrekturen der familiären Struktur.
                 hervor, wenn beide Elternteile oder der         Sie geht aber über eine Haushaltsführung
                 alleinerziehende Elternteil ausfallen: Das      hinaus (§ 70 SGB XII), denn auch der Aus-
                 Kind selbst ist Leistungsberechtigter. Es       fall von Erziehungsleistungen muss kom-
                 soll im elterlichen Haushalt versorgt und       pensiert werden. Der familiäre Erziehungs-
                 betreut werden, wenn und solange dies           und Versorgungsbereich für das Kind soll
                 für sein Wohl erforderlich ist.                 erhalten bleiben, bis die Eltern diese Auf-
                                                                 gaben wieder übernehmen können.
                 Entscheidend für die Hilfe ist der Ausfall
                 der Eltern oder des alleinerziehenden El-       Dementsprechend umfasst die Leistung
                 ternteils aus den oben genannten ge-            nach § 20 die Bereiche, die zur Betreuung,
                 sundheitlichen oder anderen zwingen-            Versorgung und Erziehung des Kindes im
                 den Gründen. „Voraussetzung für die Hilfe       Haushalt erforderlich sind, wie beispiels-
                 ist, dass die Förderung des Kindes in Ta-       weise
                 geseinrichtungen oder Kindertagespflege
                 nicht ausreicht (Rn6). Dies wird in schwe-      • Alltagsorganisation: Versorgung und al-
                 ren Krankheitsfällen und bei dauernder Ab-        tersgemäße Tagesstrukturierung von
                 wesenheit immer anzunehmen zu sein. An-           Kindern,
                 spruchsberechtigte Person ist bei Ausfall des   • Ernährung und Zubereitung der Mahl-
                 alleinerziehenden Elternteils oder beider El-     zeiten des Kindes einschließlich Ein-
                 tern das Kind selbst.“15                          kauf,

                 15 ebd.                                         16 Wiesner 2011, S. 242
Hilfen nach § 20 SGB VIII

• Gesundheitsvorsorge und Körperpflege                 sonen zurückgreifen, sofern diese den
  des Kindes,                                          erforderlichen Betreuungsbedarf aus-
• hauswirtschaftliche Versorgung – auch                reichend und zweckmäßig abdecken
  Reinigung der Wohnräume,                             können. Wenn diese jedoch nicht zur Ver-
• Unterstützung/Vertretung der Eltern                  fügung stehen und angemessene An-
  bei der Beaufsichtigung des Kindes und               gebote nach §§ 22 und 23 SGB VIII nicht
  elterlichen Erziehungsaufgaben wie                   greifen, ist für die Hilfe nach § 20 SGB VIII
  zum Beispiel Gewährleistung der Teil-                die Inanspruchnahme von Leistungen
  nahme an Tagesbetreuung, am Schul-                   ambulanter Träger erforderlich.
  besuch, altersentsprechende Freizeit-
  gestaltung, Hausaufgabenhilfe.17                     Die Hilfe ist eine vorübergehende ambu-
                                                       lante Leistung, deren Zeitrahmen sich aus
Die von den Eltern oder dem alleinerzie-               dem Einzelfall ergibt. Sie soll dazu beizu-
henden Elternteil vorgegebene und ver-                 tragen, die familiäre Notsituation dauer-
antwortlich durchgeführte Erziehung des                haft zu überwinden.18
Kindes soll in der Zeit fortgeführt wer-
den, in der diese die Versorgungs- und                 Die Voraussetzung, dass im Familienhaus-
Betreuungsaufgaben nicht leisten kön-                  halt mindestens ein junger Mensch unter
nen. Die Betreuungsform kann daher eine                14 Jahren lebt, beinhaltet nicht, dass die
stundenweise Betreuung, aber auch eine                 Hilfegewährung mit Vollendung des 14.
Ganztagsbetreuung oder eine Betreuung                  Lebensjahres eingestellt wird. Solange die
über Tag und Nacht beinhalten.                         übrigen Voraussetzungen vorliegen und                     9
                                                       die Hilfe erforderlich ist, soll sie fortge-
Bei der Hilfegewährung nach § 20 SGB                   führt werden. Entscheidend für die Hilfe-
VIII ist das Wunsch- und Wahlrecht (§ 5                gewährung ist, dass das Alter des Kindes
SGB VIII) der Leistungsberechtigten zu be-             zu Beginn der Leistung unter 14 Jahren
rücksichtigen. Leistungsberechtigte kön-               liegt.19
nen auf verwandte oder bekannte Per-

17 vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private   18 ebd.
   Fürsorge 2003, S. 129, und Wiesner 2011, S.241      19 ebd., S.239
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 2. Abgrenzungen der Hilfe nach § 20
                 SGB VIII zu anderen Hilfen
                 2.1 Abgrenzung zu vorrangigen Hil-             Weitere Voraussetzungen sind – mit Aus-
                 fen im Fünften Sozialgesetzbuch                nahme von schwangeren Versicherten –
                 beziehungsweise der Krankenversi-              dass
                 cherung der RVO
                                                                • im Haushalt ein Kind unter 12 Jahren
                 Bei Ausfall eines haushaltsführenden El-         lebt oder ein Kind lebt, das behindert
                 ternteils und dem Fehlen familiärer oder         und auf Hilfe angewiesen ist und
                 nachbarschaftlicher Unterstützungssyste-       • keine andere im Haushalt lebende Per-
                 me sind im Sinne des § 20 SGB VIII aufsu-        son den Haushalt weiterführen kann.
                 chende ambulante Hilfen im elterlichen
                 Haushalt erforderlich, die geeignet sind,      Versicherte haben einen gesetzlichen An-
                 das Wohl des Kindes zu gewährleisten.          spruch auf Haushaltshilfe nur bei einer
                                                                stationären Behandlung des haushalts-
                 Die Hilfe nach § 20 ist jedoch nachrangig      führenden Elternteils.
                 (§ 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) gegenüber So-
                 zialleistungen anderer Träger in der Ge-       „Eine ambulante Behandlung im Kranken-
                 sundheitshilfe: Dazu gehören Leistungen        haus vermag dagegen keinen Anspruch auf
10               der gesetzlichen Krankenversicherungen         Haushaltshilfe zu begründen. § 38 Abs. 1
                 sowie Renten-, Unfallversicherungen und        SGB V findet nur für die stationäre Kranken-
                 Beihilfen.                                     hausbehandlung Anwendung. (…) In ande-
                                                                ren als den in § 38 Abs. 1 SGB V genannten
                 Die Leistung „Haushaltshilfe“ ist eine Leis-   Fällen kann – wenn eine Weiterführung des
                 tung der Krankenbehandlung. Sie bein-          Haushalts nicht möglich ist – Haushaltshil-
                 haltet die Weiterführung des Haushaltes        fe nur beansprucht werden, wenn die Kran-
                 bei Geburt oder Krankheit oder Rehabili-       kenkasse eine Satzungsbestimmung gemäß
                 tationsmaßnahmen des haushaltsführen-          § 38 Abs. 2 SGB V geschaffen hat, die fest-
                 den Elternteils.                               legt, in welchen anderen Fällen Haushalts-
                                                                hilfe zur Verfügung gestellt wird.“20
                 Haushaltshilfe kann beansprucht werden,
                 wenn dem Versicherten die Weiterfüh-           Die Anwendung von § 38 SGB V be-
                 rung des Haushalts ganz oder teilweise         schränkt sich auf den ärztlich festgestell-
                 nicht möglich ist wegen                        ten Krankheitsfall des haushaltsführenden
                                                                Elternteils und kann nicht zur Verhinde-
                 • einer Krankenhausbehandlung,                 rung eines solchen im Sinne einer präven-
                 • einer medizinischen Vorsorgeleistung         tiven Hilfe gewährt werden.
                   (§ 23 Abs. 2 oder 4 SGB V),
                 • medizinischer Vorsorge für Mütter            Im Fokus der Hilfegewährung steht der
                   (§ 24),                                      aufgrund von Erkrankung oder Schwan-
                 • häuslicher Krankenpflege (§ 37),             gerschaft/Geburt ausfallende Elternteil.
                 • Leistungen zur medizinischen Rehabili-       Zwar ist die Haushaltshilfe im Rahmen
                   tation (§ 40, § 41).                         von § 38 SGB V an das Vorhandensein von

                                                                20 Deutscher Verein für öffentliche und private
                                                                   Fürsorge 2003, S. 2
Hilfen nach § 20 SGB VIII

im Haushalt lebenden Kindern geknüpft;             treuung der Kinder gefährdet ist. Dadurch
die Anerkennung des Hilfebedarfs ist je-           kann eine Leistungsverpflichtung des öf-
doch bei ambulanter Behandlung vor-                fentlichen Trägers der Jugendhilfe nach
rangig von der ärztlichen Einschätzung             § 20 SGB VIII angezeigt sein.
abhängig, ob der Gesundheitszustand
des überwiegend haushaltsführenden El-             Die Leistung Haushaltshilfe wird beendet,
ternteils eine Weiterführung des Haus-             wenn der Grund des Ausfalls des haus-
halts und Betreuungsleistungen zulässt.            haltsführenden Elternteils nicht mehr ge-
Der mögliche Hilfebedarf von Kindern in            geben ist, zum Beispiel beim Tod des El-
familiären, gesundheitlich bedingten Kri-          ternteils. Es liegt im Ermessensspielraum
sensituationen liegt im ambulanten Be-             der Krankenkasse, ob die Kostenzusage
reich der Gesundheitshilfe im Ermessens-           für eine Haushaltshilfe noch nach dem Tod
spielraum der Sozialversicherungsträger            für einen bestimmten Zeitraum gültig ist
– entsprechend der Ausgestaltung ihrer             oder ob mit Eintritt des Todes eines Eltern-
Satzungsleistungen und den damit ver-              teils der Leistungsanspruch erlischt und
bundenen Vorgaben.                                 die Haushalthilfe sofort zu beenden ist.

Aufgrund der Freiwilligkeit der Leistun-           Die Hilfe nach § 20 tritt ebenso nachran-
gen im ambulanten Bereich kann die                 gig ein nach Leistungen der gesetzlichen
Krankenkasse eine Kostenübernahme der              Unfallversicherung (§ 42 SGB VII) und
Haushaltshilfe ablehnen – auch wenn der            nach Leistungen der Träger der Renten-
haushaltsführende Elternteil nachweis-             versicherung nach § 29 SGB VI sowie nach                     11
lich aus gesundheitlichen Gründen aus-             Leistungen zur Rehabilitation und Teilha-
fällt und dadurch die Versorgung und Be-           be behinderter Menschen (§ 54 SGB IX).

2.2 Überblick: Die Leistung Haushaltshilfe in der RVO und im SGB V
Leistungen nach              Erläuterungen                     Verfahrenswege
§ 199 RVO
„Die Versicherte erhält      Die Krankenkassen sind ver- „Eine Begrenzung der Haushaltshilfe ist
Haushaltshilfe, soweit ihr   pflichtet, die Leistungen einer
                                                         nicht vorgesehen. Sie ist deshalb solan-
wegen Schwangerschaft        Haushaltshilfe nach § 199 RVO
                                                         ge zu gewähren, wie sie von einem Arzt
oder Entbindung die Wei-     zu gewährleisten, wenn hierfür
                                                         oder einer Hebamme (...) für notwen-
terführung des Haus-         eine ärztlich begründete Indi-
                                                         dig und begründet erachtet wird. Für
halts nicht möglich ist      kation vorliegt.            die Zeit vor der Entbindung kann Haus-
und eine andere im Haus-                                 haltshilfe z.B. bei drohender Frühgeburt
halt lebende Person den „Der Anspruch auf Haushaltshil- in Betracht kommen. Für die Zeit nach
                        fe nach § 199 RVO setzt – im Ge- der Entbindung liegt die Notwendigkeit
Haushalt nicht weiterfüh-
ren kann.               gensatz zur Haushaltshilfe nach nur so lange vor, wie die Frau durch die
                        § 38 SGB V – nicht voraus, dass Entbindung oder deren Folgen noch ge-
§ 38 Abs. 4 des Fünften in dem Haushalt ein Kind unter schwächt ist.“3
Buches Sozialgesetzbuch zwölf Jahren oder ein behinder-
gilt entsprechend.“1    tes Kind lebt.“2

1   Reichsversicherungsordnung (RVO), Zweites Buch Krankenversicherung, Leistungen bei Schwangerschaft
    und Mutterschaft, 1997
2   AOK-Bundesverband Bonn, BKK Bundesverband Essen, IKK-Bundesverband Bergisch Gladbach, See-Kran-
    kenkasse Hamburg, Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen Kassel, Bundesknappschaft
    Bochum, Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. Siegburg, AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V.
    Siegburg, Gemeinsames Rundschreiben zu den Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Februar
    2005
3   ebd.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 Leistungen nach                Erläuterungen                 Verfahrenswege
                 § 38 SGB V
                 „Abs. 1 Versicherte erhal-     Versicherte haben einen      Die Haushaltshilfe ist bei den Leistungs-
                 ten Haushaltshilfe, wenn       gesetzlichen Anspruch auf trägern schriftlich zu beantragen – mit
                 ihnen wegen Kranken-           die Leistung Haushaltshil- dem Nachweis der stationären Behand-
                 hausbehandlung oder we-        fe nur bei einem stationä- lung des haushaltsführenden Elternteils.
                 gen einer Leistung nach §      ren Aufenthalt des haus-
                 23 Abs. 2 oder 4, §§ 24, 37,   haltsführenden Elternteils
                 40 oder § 41 die Weiterfüh-    (Krankenhausbehandlung,
                 rung des Haushalts nicht       ärztliche Vorsorge- oder Re-
                 möglich ist. Voraussetzung     habilitationsleistungen).
                 ist ferner, dass im Haus-
                 halt ein Kind lebt, das bei Gesetzliche und priva-
                 Beginn der Haushaltshil-    te Sozialversicherungsträ-
                 fe das zwölfte Lebensjahr   ger sind verpflichtet, die
                 noch nicht vollendet hat    Leistung „Haushaltshilfe“
                 oder das behindert und      als Pflichtleistung für versi-
                 auf Hilfe angewiesen ist.   cherte Familienmitglieder
                                             bei Vorliegen der gesetzli-
                                             chen Anspruchsvorausset-
                                             zungen zu gewährleisten.
                 Abs. 2 Die Satzung soll be- Die Krankenkasse soll im         Zur Beantragung einer Haushaltshilfe ist
                 stimmen, dass die Kran-     Rahmen ihrer Satzung die         eine ärztliche Verordnung erforderlich,
                 kenkasse in anderen als     Leistung „Haushaltshilfe“        welche die Notwendigkeit einer Haus-
                 den in Absatz 1 genannten als freiwillige Leistung ihren     haltshilfe aufgrund medizinischer Indi-
12               Fällen Haushaltshilfe er- Versicherten anbieten.             kation begründet.
                 bringt, wenn Versicherten                                    Die ärztliche Verordnung kann je nach
                 wegen Krankheit die Wei- Das Leistungsspektrum bei           Krankheitsfall zur Prüfung dem Medizi-
                 terführung des Haushalts ambulanter und teilstatio-          nischen Dienst vorgelegt werden. Wäh-
                 nicht möglich ist. Sie kann närer Behandlung gestaltet       rend der Prüfungszeit ist die Gewäh-
                 dabei von Absatz 1 Satz 2 sich entsprechend sehr aus-        rung einer Haushaltshilfe trotz Ausfalls
                 abweichen sowie Umfang differenziert.                        des haushaltsführenden Elternteils nicht
                 und Dauer der Leistung be-                                   gegeben.
                 stimmen.                    Die jeweilige Satzungsleis-
                                             tung legt fest, ob eine Kran-    Trotz ärztlicher Verordnung und beste-
                                             kenkasse beim Ausfall eines      henden Ausfalls des haushaltsführen-
                                             haushaltsführenden Eltern-       den Elternteils kann die Krankenkasse
                                             teils die Weiterführung und      die Gewährung einer Haushaltshilfe ab-
                                             Versorgung sowie Betreu-         lehnen.
                                             ung des Kindes/ der Kinder
                                             durch eine Haushaltshilfe        Die freiwilligen Leistungen sind zeitlich
                                             gewährleistet wegen              begrenzt – unabhängig davon, ob der
                                             • einer teilstationären          Ausfall eines haushaltsführenden Eltern-
                                                oder ambulanten Kran-         teils aufgrund der bestehenden Erkran-
                                                kenhausbehandlung,            kung bzw. medizinischer ambulanter
                                             • einer ambulanten ärztli-       Behandlung weiter besteht.
                                                chen Behandlung,              Es besteht kein Anspruch auf Haushalts-
                                             • einer ambulanten zahn-         hilfe, wenn ein im Haushalt lebendes
                                                ärztlichen Behandlung,        Kind erkrankt ist, aber nicht der haus-
                                             • ambulanter Leistungen          haltsführende Elternteil. Ausnahmere-
                 Abs. 3 Der Anspruch auf        zur medizinischen Reha-       gelungen bestehen bei vielen Kranken-
                 Haushaltshilfe besteht         bilitation bzw. medizini-     kassen, wenn der haushaltsführende
                 nur, soweit eine im Haus-      schen Vorsorge.               Elternteil aufgrund ärztlich begründeter
                 halt lebende Person den                                      Verordnung bei einem stationären Auf-
                 Haushalt nicht weiterfüh-                                    enthaltes eines erkrankten Kindes mit
                 ren kann.“4                                                  stationär aufgenommen wird.
                 4   Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung, Fünfter Abschnitt, Leistun-
                     gen bei Krankheit, § 38 Abs. 1 - 3, 2011
Hilfen nach § 20 SGB VIII

2.3 Abgrenzung zu nachrangigen                   Abschnitt des SGB VIII. Sie zielt auf eine
Hilfen im Zwölften Sozialgesetz-                 wesentliche Veränderung des Erziehungs-
buch                                             verhaltens beziehungsweise auf die Her-
                                                 stellung der Erziehungskompetenz der El-
Die Hilfe nach § 20 SGB VIII geht der Hil-       tern hin.
fe zur Weiterführung des Haushalts nach
§ 70 SGB XII vor. Die Hilfe nach § 70            Ihr Schwerpunkt liegt auf der Gestaltung
SGB XII ist in erster Linie für die Weiterfüh-   pädagogischer Prozesse und der Siche-
rung der Haushaltsführung gedacht. Die           rung oder Wiederherstellung der Erzie-
Hilfe zur Haushaltsführung soll nur vorü-        hungsfunktion der Familie, letztlich auf ei-
bergehend gewährt werden. Im Falle ei-           ner nachhaltigen Änderung der Dynamik
ner Berührung mit § 20 SGB VIII geht die         des Familiensystems.
Jugendhilfeleistung der Leistung nach
SGB XII vor. Im Gegensatz zu § 20 SGB VIII       Bei der Hilfe nach § 20 SGB VIII steht die
knüpft diese Vorschrift nicht an das Vor-        Alltagsstabilisierung durch die Gewähr-
handensein eines Kindes im Haushalt an.          leistung der Versorgung und Betreuung
                                                 der Kinder im Haushalt der Eltern im Vor-
                                                 dergrund.
2.4 Abgrenzung zu § 31 SGB VIII –
Sozialpädagogische Familienhilfe                 Eine Hilfe nach § 31 SGB VIII kann sich im
                                                 Einzelfall aus der Betreuung und Versor-
Die Sozialpädagogische Familienhil-              gung eines Kindes in Notsituationen ent-                 13
fe (§ 31 SGB VIII) ist eine ausgewiesene         wickeln oder zusätzlich als pädagogisch
Leistung der Hilfen zur Erziehung im 4.          sinnvoll angezeigt sein.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 3. Hilfebedarf nach § 20 SGB VIII –
                 Fallkonstellationen
                 Fallkonstellation 1                            maßnahme. Sie ist aufgrund noch offe-
                 Frau und Herr S. haben zwei Kinder im Al-      ner Wunden an der Narbe und eines noch
                 ter von zwei Monaten und zehn Jahren.          nicht verheilten künstlichen Darmausgan-
                 Frau S. ist seit mehreren Jahren chronisch     ges sehr eingeschränkt. Sie muss nachts
                 erkrankt. Nach der Geburt des zweiten          im Sitzen schlafen und kann nicht durch-
                 Kindes erlitt sie einen schweren Schub,        schlafen.
                 der die chronische Erkrankung noch ver-
                 schlimmerte. Frau S. kann ihr Baby nicht       Frau H. kann ihren dreijährigen Sohn, der
                 allein versorgen beziehungsweise pflegen       auf der Warteliste einer Tageseinrichtung
                 oder tragen.                                   steht, nicht ausreichend zu Hause ver-
                                                                sorgen und beaufsichtigen. Die Kranken-
                 Die Krankenkasse, in der Frau S. als Fami-     kasse der versicherten Frau H. lehnt eine
                 lienmitglied versichert ist, bewilligte auf-   Unterstützung der Familie durch eine
                 grund des akuten Schubs für vier Wochen        Haushaltshilfe ab, da sie die Erkrankung
                 eine Haushaltshilfe zur Weiterführung des      als nicht akut, sondern chronisch einstuft.
                 Haushaltes, um die Versorgung und Be-          Frau H hat hierzu Widerspruch eingelegt
                 treuung des Babys und des zehnjährigen         und parallel beim Jugendamt Unterstüt-
14               Kindes sicherzustellen. Eine weitere Bewil-    zung beantragt.
                 ligung wird abgelehnt, da die Erkrankung
                 von Frau S. von der Krankenkasse als chro-     Das Jugendamt prüfte den Hilfebedarf
                 nisch eingestuft wird und die Satzung der      durch einen Hausbesuch und sagte im Eil-
                 Krankenkasse eine Haushaltshilfe nur für       verfahren eine Unterstützung durch eine
                 akute Erkrankungen gewährt.                    Haushaltshilfe nach § 20 SGB VIII zu, um
                                                                das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Im
                 Frau und Herr S. sind aktiv dabei, eine län-   Einverständnis mit der Familie forderte
                 gerfristige Lösung zu finden – voraus-         das Jugendamt eine Stellungnahme der
                 sichtlich kommt in zwei Monaten ein Au-        Krankenkasse zur Ablehnung an.
                 pair-Mädchen. Für die Überbrückung bis
                 dahin unterstützt eine Familienpflegerin       Fallkonstellation 3
                 im Auftrag des Jugendamtes die Eltern          Familie H. wurde im Auftrag der Kran-
                 bei der Versorgung und Betreuung des           kenkasse von Frau H. sechs Wochen lang
                 Babys sowie des zehnjährigen Kindes au-        durch einen freien Träger der Familien-
                 ßerhalb der Schulzeiten und bei den da-        pflege bei der Weiterführung des Haus-
                 mit verbundenen Tätigkeiten im Familien-       halts und Versorgung von zwei Kindern
                 haushalt.                                      im Alter von zwei und fünf Jahren unter-
                                                                stützt. Bei Frau H. wurde während dieser
                 Fallkonstellation 2                            Zeit Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnos-
                 Frau H. ist vor einem halben Jahr lebens-      tiziert, sie verstarb am Wochenende der
                 bedrohlich erkrankt und lag nach einem         sechsten Krankheitswoche.
                 chirurgischen Eingriff (Darmoperation)
                 wochenlang auf der Intensivstation eines       Die Krankenkasse zog zunächst ihre Kos-
                 Krankenhauses. Inzwischen war sie für          tenzusage zurück, da die Voraussetzun-
                 mehrere Wochen in einer Rehabilitations-       gen für die Satzungsleistung nicht mehr
Hilfen nach § 20 SGB VIII

gegeben waren: Der haushaltsführende           tung und schließt daher die Bewilligung
Elternteil – Frau H. – war nicht mehr auf-     einer Haushaltshilfe aus. Der Sozialdienst
grund Krankheit ausgefallen, sondern           der Krankenkasse hat im Einverständnis
verstorben. Der freie Träger empfahl der       mit der Familie mit dem örtlichen Jugend-
Familie, sich umgehend an das örtliche         amt Kontakt aufgenommen.
Jugendamt zu wenden.
                                               Das Jugendamt organisiert über die Le-
Das Jugendamt übernahm im Einver-              benshilfe an zwei Nachmittagen eine Be-
ständnis mit Herrn H. die Klärung mit der      treuung für die behinderte Tochter. Für
Krankenkasse und genehmigte vorab die          einen Zeitraum von acht Wochen kom-
Fortführung der Hilfe durch den freien         men abwechselnd eine Familienhebam-
Träger der Familienpflege.                     me zweimal pro Woche für je drei Stun-
                                               den und eine Familienpflegerin an fünf
Die Krankenkasse übernahm nach Inter-          Tagen mit je vier Stunden, um Frau M. bei
vention der ASD-Mitarbeiterin rückwir-         der Versorgung und Betreuung der drei
kend die Kosten für die Familienpflege in      Kinder zu unterstützen und die Krisensitu-
der ersten Woche nach dem Tod der Mut-         ation abzuwenden.
ter. Danach übernahm das Jugendamt
für zwölf Wochen die Kosten für die Hil-       Fallkonstellation 5
fe nach § 20 SGB VIII, bis eine Tagesmutter    Familie K. hat drei Kinder: ein vierjähri-
für beide Kinder gefunden werden konn-         ges Kind und Zwillinge im Alter von ei-
te.                                            nem halben Jahr. Die Zwillinge kamen                      15
                                               zehn Wochen zu früh auf die Welt. Einer
Fallkonstellation 4                            der beiden Zwillinge wurde erst nach drei
Familie M. hat drei Kinder: eine fünfjährige   Monaten aus dem Krankenhaus entlas-
Tochter, eine dreijährige Tochter mit Be-      sen. Für beide Säuglinge ist ein sehr ho-
hinderung (Down-Syndrom), die als Früh-        her Zeitaufwand für die Versorgung und
chen auf die Welt kam, und einen Säug-         Förderung nötig. Fast täglich sind Arzt-
ling von 14 Wochen. Fr. M. ist mit Verdacht    termine und Krankengymnastik erforder-
auf einen Hörsturz akut erkrankt und lei-      lich. Das vierjährige Kind hat einen Platz
det zusätzlich an einem Dauerschwindel.        im Kindergarten und wird dort halbtags
                                               betreut.
Da der Säugling seit der Geburt täg-
lich mehrere Stunden ununterbrochen            Herr K. hat aufgrund der schwierigen
schreit, hat die Familie in einer Schreiam-    Schwangerschaft und frühen Entbindung
bulanz um Unterstützung gebeten. Frau          bereits seinen Jahresurlaub genommen
M. hat bei der Krankenkasse und paral-         und kann aus beruflichen Gründen seine
lel beim örtlichen Jugendamt Hilfe bean-       Frau nicht länger tagsüber zuhause unter-
tragt, da sie aufgrund ihrer Überbelastung     stützten. Frau K. ist sehr erschöpft und lei-
nicht mehr sicherstellen kann, ihre Kinder     det unter großem Schlafmangel.
ausreichend versorgen und beaufsichti-
gen zu können.                                 Eine Familienpflegerin unterstützt im Auf-
                                               trag des Jugendamtes für sechs Wochen
Die Krankenkasse definiert trotz Vorliegen     mit 20 bis 30 Stunden pro Woche die Fa-
einer ärztlichen Verordnung die Erkran-        milie, um die Versorgung und Betreuung
kung von Frau M. als chronische Überlas-       der drei Kinder sicherzustellen.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 Fallkonstellation 6                            zwei Jahren an Krebs erkrankt. Sie befin-
                 Familie B. hat drei Kinder. Die älteren Kin-   det sich jetzt im Endstadium und ist da-
                 der sind drei und fünf Jahre alt und be-       heim, um zu Hause zu sterben. Kinder
                 suchen ganztags bis 16 Uhr eine Tages-         und Ehemann möchten in den letzten Ta-
                 einrichtung. Das jüngste Kind ist drei         gen zu Hause von ihr Abschied nehmen.
                 Wochen alt. Bei der Geburt wurde fest-         Die Krankenkasse übernahm während der
                 gestellt, dass dem Kind ein Teil des End-      stationären Behandlung von Frau K. sowie
                 darms und des Anus fehlen. Es wurde            in Zeiten, in denen sie ambulant medizi-
                 noch in der Geburtsnacht notoperiert und       nisch behandelt wurde, teilweise die Kos-
                 ihm zunächst ein künstlicher Ausgang ge-       ten einer Haushaltshilfe.
                 schaffen. Mutter und Säugling wurden in
                 der vierten Woche nach der Geburt aus          Da der Zeitraum für die Gewährung der
                 der Klinik entlassen. Der Ehemann hat          Haushaltshilfe als freiwillige Leistung der
                 während der letzten Wochen vor der Ge-         Krankenkasse ausgelaufen ist, hat die Fa-
                 burt und nach der Geburt Urlaub genom-         milie um Unterstützung beim Jugendamt
                 men und kann die Familie berufsbedingt         angefragt. Dieser übernimmt die Finan-
                 nicht weiter unterstützen: Er ist von mon-     zierung der vertrauten Familienpflege-
                 tags bis freitags außerhalb des Wohnorts       rin, die bisher die Kinder im Familienhaus-
                 tätig und erst am Freitagabend wieder zu       halt versorgt hat. Gemeinsam mit einem
                 Hause.                                         Pflegedienst (Häusliche Krankenpflege)
                                                                unterstützt und begleitet die Familien-
16               Die unerwartete Behinderung des Säug-          pflegerin die Familienmitglieder und die
                 lings und die Sorge, ob er die Operation       Mutter beim Sterbeprozess.
                 und weitere Folgeoperationen überlebt,
                 hat die Familie in eine Krisensituation ge-    Fallkonstellation 8
                 bracht. Es gibt keine Verwandten in der        Frau und Herr G. haben zwei Kinder im Al-
                 Nähe, die unterstützen können. Die Pflege      ter von vier und acht Jahren. Frau G. ver-
                 und Versorgung des Säuglings sind sehr         stirbt plötzlich mit 37 Jahren an Herztod
                 aufwändig; alle drei Stunden muss der          und wird von den Kindern tot aufgefun-
                 Säugling – Tag und Nacht – gewickelt und       den. Der verwitwete Vater und die Kinder
                 müssen die Hilfsmittel (künstliche Beutel)     stehen unter Schock. Neben der Trauerar-
                 ausgewechselt werden. Frau B. ist durch        beit ist die Beerdigung zu regeln und zu-
                 die „Rund-um-die-Uhr“-Pflege und Versor-       gleich die Versorgung und Betreuung der
                 gung des Säuglings sehr erschöpft.             Kinder. In der akuten Notsituation – bis
                                                                eine andere Lösung für die Betreuung der
                 In den ersten vier Wochen unterstützt          Kinder während der berufsbedingten Ab-
                 eine Familienpflegerin im Auftrag des Ju-      wesenheit des verwitweten Vaters gefun-
                 gendamts Frau B. in der Zeit von 16 bis        den wird – kommt eine Familienpflegerin
                 20 Uhr. Sie holt die älteren Kinder von der    im Auftrag des Jugendamtes in die Fami-
                 Tageseinrichtung ab, unterstützt Frau B.       lie, um die familiäre Alltagssituation mit
                 bei der Betreuung und Beaufsichtigung          zu stabilisieren und die Betreuung und
                 der beiden Kinder sowie in der Pflege des      Versorgung der Kinder sicherzustellen.
                 Säuglings, bis sich der Alltag der Familie     Geplant ist eine begleitende psychologi-
                 wieder stabilisiert hat.                       sche Unterstützung für die Familie.

                 Fallkonstellation 7                            Fallkonstellation 9
                 Familie K hat drei Kinder, im Alter von        Familie U. hat drei Kinder im Alter von
                 fünf, 15 und 16 Jahren. Frau K. ist vor        acht, zehn und zwölf Jahren. Frau U. hat
Hilfen nach § 20 SGB VIII

im Sommer kurz vor den Schulferien ei-       Fallkonstellation 10
nen Suizidversuch unternommen und            Frau R. ist nach der Geburt ihres ersten
wurde stationär in eine psychiatrischen      Kindes wegen einer Wochenbettdepressi-
Klinik aufgenommen; es ist offen, wann       on stationär aufgenommen worden. Der
aus ärztlicher Sicht eine Entlassung mög-    Säugling kann nicht mit aufgenommen
lich ist. Frau U. ist als Beamtin halbtags   werden, weil Frau R. nach ärztlicher Dia-
vormittags berufstätig und privat versi-     gnose für sich und den Säugling eine Ge-
chert. Herr U. konnte berufsbedingt nur      fahr darstellt. Der Vater konnte in den ers-
für ein paar Tage Urlaub nehmen, um sei-     ten drei Wochen Urlaub nehmen. Nun
ne Kinder vor und nach den Schultagen        muss er wieder schichtweise arbeiten. Sei-
zu betreuen und zu versorgen. Die private    ne Arbeitszeit an vier Tagen und bei zu-
Krankenkasse übernimmt keine Leistun-        sätzlichem 14-tägigem Wochenenddienst
gen der Haushaltshilfe und das Landes-       umfasst mehr als 40 Stunden/Woche. Die
amt für Besoldung hat nur eingeschränkt      Krankenkasse der versicherten Mutter
eine Haushaltshilfe bewilligt.               übernimmt jedoch nur maximal 40 Stun-
                                             den pro Woche die Kostenerstattung für
Um eine Versorgung und Betreuung der         die Versorgung und Betreuung des Säug-
Schulkinder während der Schulzeit ab         lings durch die genehmigte Haushaltshil-
mittags und in den Schulferien sicherzu-     fe.
stellen, hat das Jugendamt als erste Über-
brückung einen Familienpflegedienst be-      Das Jugendamt übernimmt die zusätz-
auftragt. Die Familienpflegerin kommt        lichen – je nach Schichtdienst – anfal-                  17
während der verbleibenden Schultage ab       lenden Stunden der Betreuung und
mittags für vier Stunden in den Familien-    Versorgung durch die eingesetzte Fami-
haushalt und während der Schulferien für     lienpflegerin des Fachdienstes, auch um
sechs Stunden täglich. Parallel wird von     Kontinuität in der Bezugsperson zu si-
Jugendamt und Vater für die Zeit nach        chern.
den Schulferien eine Ganztagsbetreuung
in einem Schülerhort gesucht.
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 4. Leistungen des öffentlichen
                 Jugendhilfeträgers
                 4.1 Hilfeplanung und Strukturie-               den – mit dem Schwerpunkt der Versor-
                 rung                                           gung und Betreuung von Säuglingen und
                                                                (Klein-)Kindern im Familienhaushalt. Die-
                 „In welcher Weise der andere Elternteil bei    se Angebote können auch ergänzend zu
                 der Betreuung und Versorgung des Kindes        Leistungen nach § 23 Tagespflege und
                 unterstützt wird, ist gesetzlich nicht näher   § 31 Sozialpädagogische Familienhilfe fle-
                 bestimmt.“21 Die individuelle Hilfe ist da-    xibel und passgenau zum individuellen
                 her im Einzelfall zu prüfen und mit der Fa-    Hilfebedarf eingesetzt werden.
                 milie zu klären.
                                                                Wenn sich die Betreuung des Kindes in
                 Die Mitarbeiter/innen der Dienste müssen       der Notsituation über einen längeren
                 sorgfältig abwägen, wie und mit wem in         Zeitraum hinzieht, ist mit den Eltern die
                 familiären Notsituationen zeitnah und be-      Strukturierung der Hilfe mit der Zielpers-
                 darfsorientiert Unterstützung für das Kind     pektive zu planen, wie eine eigenständige
                 beziehungsweise die Kinder erreicht wer-       Lebensbewältigung mit langsam zurück-
                 den kann. Die Hilfe nach § 20 SGB VIII sieht   gehender Unterstützung durch die Ju-
                 kein Hilfeplanverfahren vor, wie dies nach     gendhilfe wieder möglich wird.
18               § 36 SGB VIII für die Hilfen zur Erziehung
                 zwingend vorgeschrieben ist. Da die Hilfe      Die Planung und Strukturierung zur Be-
                 aber den Einzelfall individuell regelt, ent-   wältigung solcher familiären Notsituatio-
                 spricht es einem allgemeinen fachlichen        nen erfordern als Voraussetzung geregel-
                 Standard, die Durchführung der Hilfe nach      te und geeignete Kommunikationsformen
                 § 20 SGB VIII zeitnah unter Einbeziehung       zwischen Mitarbeiter/innen innerhalb des
                 der Betroffenen und Leistungserbringer zu      Jugendamts (Allgemeiner Sozialdienst/
                 planen und zu gestalten.                       Wirtschaftliche Jugendhilfe) sowie das
                                                                Vorhalten eines Krisenkatalogs für Notfäl-
                 Die Mitarbeiter/innen sollen den Leis-         le mit freien Trägern als möglichen Leis-
                 tungsberechtigten umfassende Be-               tungsanbietern. Es ist davon auszugehen,
                 ratungsleistungen anbieten, die im             dass in solchen Notsituationen, in denen
                 Gegensatz zu denen anderer Sozialleis-         Eltern die erforderliche Beaufsichtigung
                 tungsträger im besonderen Maße auf             und Versorgung ihrer Kinder nicht sicher-
                 die familiäre Situation und den Versor-        stellen können, nicht immer sofort verfüg-
                 gungs- und Betreuungsbedarf des Kindes         bare Angebote aus der Kindertagespfle-
                 ausgerichtet sind. Die Beratung und die        ge oder in Tageseinrichtungen bestehen
                 Leistung nach § 20 SGB VIII sollen Eltern      oder pädagogisch nicht angemessen sind.
                 befähigen, Notsituationen angemessen
                 zu überbrücken und durch die Unterstüt-        Gravierende Notsituationen treten in der
                 zung eine Stabilisierung und gegebenen-        Regel unerwartet, am Wochenende oder
                 falls Neuorganisation des familiären Sys-      abends auf und erfordern zeitnahe, flexi-
                 tems zu erreichen.                             ble Überbrückungshilfen: „Bei der Auswahl
                                                                der Hilfe ist zu berücksichtigen, dass die
                 Als Hilfe können ambulante Leistungen          Notfallsituation häufig ein rasches und un-
                 freier Träger angeboten und gewährt wer-       bürokratisches Handeln verlangt, das etwa
                 21 Wiesner 2011, S. 241
Hilfen nach § 20 SGB VIII

die Vernetzung von Bereitschaftsdiensten         teils gefährdet die Versorgung und Be-
mit den Möglichkeiten der sozialen Dienst-       treuung eines oder mehrerer Kinder in
leistung eines freien Trägers erfordert.“22      einer Familie

Die Hilfe nach § 20 SGB VIII bietet die          Siehe Grafik 1, Seite 20
Möglichkeit, akute Versorgungslücken
zwischen Gesundheitshilfe- und Jugend-           4.2.2 Hifebedarf und Kostenklärung im
hilfesystemen zu schließen. Sie kann sich        Rahmen des SGB V beziehungsweise
an Leistungen im Rahmen des § SGB V an-          der RVO: Der Ausfall des haushaltsfüh-
schließen, wenn der Hilfebedarf des Kin-         renden Elternteils aufgrund einer teil-
des aufgrund des Ausfalls des überwie-           stationären oder ambulanten Behand-
gend betreuenden Elternteils fortbesteht,        lung gefährdet die Versorgung und
aber keine Leistungen mehr nach SGB V            Betreuung eines oder mehrerer Kinder
erfolgen.                                        in einer Familie

Sie kann ebenso als Vorleistung gewährt          Siehe Grafik 2, Seite 21
werden, um die Versorgung und Betreu-
ung des Kindes sicherzustellen, solange die      4.3 Rechtlicher Rahmen, Zuständig-
Hilfebedarfsklärung im Rahmen des SGB V          keiten und Kostenheranziehung im
oder SGB VIII noch geprüft wird oder sich        Rahmen des SGB VIII
im Widerspruchsverfahren befindet.
                                                 „Bei dem Leistungsangebot nach § 20 han-                      19
„Leistet ein vorrangig verpflichteter (Sozial-   delt es sich um eine sogenannte „Soll-Leis-
leistungs-)Träger nicht, aus welchen Grün-       tung“, das heißt im Regelfall besteht bei Vor-
den auch immer, so greift der Nachrang           liegen der Anspruchsvoraussetzungen ein
der Jugendhilfeleistungen. Der angegan-          Rechtsanspruch (….). Örtlich und sachlich
gene Träger der öffentlichen Jugendhilfe         zuständig ist gemäß § 85 Abs. 1, § 86 der
muss leisten und ist insoweit ,Ausfallbürge‘     örtliche öffentliche Jugendhilfeträger. Er hat
für die ausbleibenden Leistungen der vor-        die Pflicht, entsprechende Leistungen vor-
rangig Verpflichteten.                           zuhalten (§79). Die theoretische Möglich-
                                                 keit einer Erhebung von Kostenbeiträgen bei
Mögliche Erstattungsansprüche richten sich       Kindern und Jugendlichen (§ 91 Abs. 1 Nr. 3,
zum Beispiel nach § 14 Abs. 4 SGB IX, §§ 102     Abs. 2 Nr. 1; § 92 Abs. 1 Nr. 1); eine solche fin-
ff SGB X (Rn 56 ff).“23                          det allerdings nur statt bei voll- und teilsta-
                                                 tionären Leistungen und die Leistung nach
4.2 Idealtypischer Verlauf einer Kri-            § 20 grundsätzlich ambulant erbracht wird
senintervention in Notfällen - Zu-               und ist daher nicht kostenbeitragspflichtig
sammenwirken zwischen öffentli-                  (§91 Rn13).“24
chem Jugendhilfeträger und freien
Trägern (Fachdienste Familienpfle-               Die Hilfegewährung ist durch einen
ge)                                              rechtsmittelfähigen Bescheid an die El-
                                                 tern beziehungsweise an das Kind als
4.2.1 Hilfebedarf und Kostenklärung              Leistungsberechtigtem und den beauf-
im Rahmen des SGB VIII: Der Ausfall              tragten Leistungserbringer zu bestätigen.
des überwiegend betreuenden Eltern-

22 Münder u.a. 2009, S. 212                      24 vgl. Münder u.a. 2009, S. 212
23 ebd., S.130
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                 Grafik 1:

20

                             13
Hilfen nach § 20 SGB VIII

                                 14
                                   21
Grafik 2:
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