Ländersache - luxemburgreport - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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luxemburgreport

              # ländersache
           ZUR WAHL IN NORDRHEIN-WESTFALEN
IMPRESSUM

Herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
V. i. S. d. P.: Alrun Kaune-Nüßlein
Straße der Pariser Kommune 8A · 10243 Berlin · www.rosalux.de
ISSN 2747-9617 · Redaktionsschluss: März 2022
Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin
Layout/Satz: MediaService GmbH Druck und Kommunikation
Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling

Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit
der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie wird kostenlos abgegeben
und darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden.
LANDTAGSWAHL
                                                NORDRHEIN-WESTFALEN

#LÄNDERSACHE
ANALYSE, DOKUMENTATION
UND DISKUSSION DER POLITIK
IN DEN LÄNDERN

Landespolitische Themen, Strukturen und Prozesse stehen im Fokus der
Analysenreihe #Ländersache. Landtagswahlen sind immer auch Kristalli-
sationspunkte politischer Debatten, Entwicklungen und Entscheidungen.
Deswegen blicken wir im Vorfeld dieser Wahlen auf Herausforderungen
und politische Chancen auf Landesebene. Wir bieten einen komprimier-
ten und fundierten Überblick über die politische Lage vor Ort, die relevan-
ten politischen Kräfte und Akteure innerhalb und außerhalb der Parlamen-
te, die jüngere politische Geschichte der Region, wichtige Themen und
zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen. #Ländersache heißt
daher: praxisnahe politische Bildung entlang politischer Prozesse, Struk-
turen und Themen in Institutionen und in der Gesellschaft.

Wir erkunden Veränderungs- und Gestaltungspotenzial sowie Chan-
cen progressiver Mehrheiten – in den Parlamenten, Institutionen und in
der Gesellschaft. Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland
unterscheiden sich Debatten, Auseinandersetzungen und Herausforde-
rungen auf Landesebene und zu Wahlkämpfen erheblich. Auch werden
Landtagswahlen häufig unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen, der
Einfluss bundespolitischer Trends und Debatten variiert daher sehr.

Die Landtagswahl im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-West-
falen am 15. Mai 2022 steht im Zeichen der (hoffentlich endenden) Co-
rona-Pandemie und des Regierungswechsels auf Bundesebene 2021.
Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen wird in der Regel eine besonde-
re bundespolitische Bedeutung zugesprochen, in der Vergangenheit wur-
den sie gern als «kleine Bundestagswahlen» bezeichnet. Auch wenn sie
das aus verschiedenen Gründen nicht sind, Signalwirkung für die Bun-
despolitik wird die Wahl ganz sicher haben. Und sie wird, weit mehr noch
als bisherige Landtagwahlen in Nordrhein-Westfalen, von bundespoliti-
schen Fragestellungen und Trends bestimmt sein. Vielleicht nicht nur im
Wahlkampf und bezogen auf das Ergebnis der Wahl, sondern insbeson-
dere hinsichtlich der anschließenden Regierungsbildung in Düsseldorf.

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LANDTAGSWAHL
NORDRHEIN-WESTFALEN

Der Versuch, in dieser #Ländersache auch der politischen Lage in Nord-
rhein-Westfalen gerecht zu werden, muss also dazu führen, diejenigen
bundespolitischen Trends und Entwicklungen in den Blick zu nehmen, die
manche landespolitische Frage überlagert haben oder noch überlagern
werden. Für politische Beobachter*innen ist die Wahl in Nordrhein-West-
falen zweifellos die bedeutsamste Wahl in Deutschland im Jahr 2022.

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LANDTAGSWAHL
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ANDREAS THOMSEN

LANDTAGSWAHLEN IN
NORDRHEIN-WESTFALEN

POLITISCHES FAZIT

Dem amtierenden Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) ist es in
kurzer Zeit gelungen, seine Bekanntheits- und Zustimmungswerte nen-
nenswert zu steigern und so einen gewichtigen Vorteil gegenüber der
Konkurrenz zu erlangen. Angesichts der großen Bedeutung, die dem
Amtsträger-Bonus bei vorangegangenen Wahlen zukam, kann dieser
Umstand den Ausschlag für das Wahlergebnis geben.

Eine große Unsicherheit besteht drei Monate vor der Wahl bezüglich der
wahlentscheidenden Themen. Würde die Wahl im Februar/März stattfin-
den, wäre der Umgang mit der Corona-Pandemie und wären die Eindäm-
mungsmaßnahmen, vielleicht auch die diskutierte Impfpflicht eindeutig
die wahlentscheidenden Themen. Welche Rolle diese Themen im Mai
spielen werden und wie sich dies auf das Ergebnis auswirken wird, ist
sehr schwer abzusehen.

Die Demoskopie zeigt zum jetzigen Zeitpunkt ein enges Rennen zwischen
CDU und SPD um die stärkste Fraktion, bei dem die CDU die Nase vorne
haben könnte. Doch auch in diesem Fall wäre die Bildung einer Koalition
unter Auslassung der CDU wahrscheinlich. Selbst eine rot-grüne Mehr-
heit ist nicht ausgeschlossen. Falls jedoch eine solche Mehrheit nicht er-
reichbar ist, bleibt die Option einer Ampelkoalition. Dass CDU und FDP
ihre Mehrheit verteidigen können, ist unwahrscheinlich.

Für die Partei DIE LINKE steht ein schwieriger Wahlgang bevor, Kern-
themen der LINKEN stehen nicht im Vordergrund des Wahlkampfs und
der Wahlentscheidung. Der Bundestrend ist relativ kurz nach der Bun-
destagswahl ungünstig. Bei besserer Ausschöpfung des Potenzials der
­LINKEN im Lande ist ein Landtagseinzug aber auch nicht ausgeschlos-
 sen.

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LANDTAGSWAHL
NORDRHEIN-WESTFALEN

POLITISCHE AUSGANGSLAGE

Als «Herzkammer der Sozialdemokratie» wird das bevölkerungsreichste
deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) in den Medien häu-
fig bezeichnet. Das Bild der sozialdemokratischen Herzkammer geht auf
Herbert Wehner (SPD) zurück, der dies allerdings auf die Stadt Dortmund
bezogen hatte. Die nachträglich vorgenommene Übertragung auf ganz
NRW trifft tatsächlich nur teilweise zu. Bis in die 1960er-Jahre hinein war
die Union die stärkste Kraft im Land und führte in den zwei Jahrzehn-
ten von 1946 bis 1966 mit Ausnahme zweier Jahre auch die Landesre-
gierungen an. Dem folgten beinahe 20 Jahre, in denen die beiden großen
Volksparteien in den Wahlergebnissen stets knapp beieinanderlagen, in
denen die SPD jedoch zunächst mit Ministerpräsident Heinz Kühn und
ab 1978 mit Johannes Rau die jeweiligen Landesregierungen anführte.
Erst mit Johannes Raus drittem Wahlsieg 1985 gelang es der SPD, einen
deutlichen Vorsprung vor der CDU zu erzielen und diese in der Folge, bei
allerdings stetig schlechter werdenden Wahlergebnissen, bis 2005 auf
Distanz zu halten. Im Jahr 2005, dem wichtigsten Jahr der Massenpro-
teste gegen die Agenda-2010-Politik der damaligen rot-grünen Bundes-
regierung, verlor Ministerpräsident Peer Steinbrück das Land schließlich
wieder an die CDU und Jürgen Rüttgers. Seit 2005 führen Landtagswah-
len in Nordrhein-Westfalen beinahe immer zu wechselnden Mehrheiten.
2010 folgte eine SPD-geführte Regierung unter Hannelore Kraft und 2017
wechselte die führende Rolle wiederum an die CDU und an Armin La-
schet, der im Zuge seiner Kanzlerkandidatur 2021 das Amt des Minister-
präsidenten an Hendrik Wüst übergab.

Auch in Nordrhein-Westfalen sind Alleinregierungen eher ungewöhnlich.
Bis auf die Kabinette Meyers I (CDU, 1958–1962) und Rau II bis IV (SPD,
1980–1995) wurde zur Regierungsbildung stets mindestens ein weiterer
Partner benötigt. Dies war meistens die FDP, die als Juniorpartner in den
1960er- und 1970er-Jahren alle Landesregierungen unterstützte und die
sich in dieser Rolle seit 1995 mit den Grünen abwechselt. Dabei brachte
es die FDP auf immerhin fast 30 Jahre Regierungszeit – mehr, als die CDU
in Nordrhein-Westfalen erreicht hat.

Bei der letzten Landtagswahl am 14. Mai 2017 gelang es der CDU, mit
33 Prozent knapp stärkste Kraft vor der SPD mit 31,2 Prozent zu werden.
Gemeinsam mit der deutlich gestärkten FDP, die 12,6 Prozent erreichte,
wurde eine schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Armin La-

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LANDTAGSWAHLERGEBNISSE
SEIT 1990
                                    DIE
 SPD    CDU    FDP Grüne AfD       LINKE Piraten
31,2 % 33,0 % 12,6 % 6,4 % 7,4 %   4,9 %  1,0 %
Andere
 3,5 %
                                                               DIE
                        SPD                CDU    FDP Grüne LINKE Piraten
                       39,1 %             26,3 % 8,6 % 11,3 % 2,5 % 7,8 %
              2017
                                                                         Andere
                                                                          4,4 %
                            DIE
 SPD    CDU    FDP Grüne LINKE Piraten
34,5 % 34,6 % 6,7 % 12,1 % 5,6 % 1,6 %
                                                            2012
Andere
 4,9 %
                                                                         WASG/
                                            SPD    CDU    FDP Grüne       PDS
                                           37,1 % 44,8 % 6,2 % 6,2 %     3,1 %*
              2010
                                                                         Andere
                                                                          2,7 %

 SPD    CDU    FDP Grüne PDS Andere
42,8 % 37,0 % 9,8 % 7,1 % 1,1 % 2,2 %
                                                            2005

                                           SPD    CDU    FDP Grüne Andere
                                          46,0 % 37,7 % 4,0 % 10,0 % 2,3 %
              2000

 SPD    CDU    FDP Grüne Andere
50,0 % 36,7 % 5,8 % 5,0 % 2,5 %
                                                           1995

                                                   *2005: WASG: 2,2 %, PDS: 0,9 %
              1990
                                                           Quelle: Landtag NRW:
                                                     Wahlergebnisse im Rückblick

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schet gebildet. Die Grünen erzielten mit 6,4 Prozent ein sehr schwaches
Ergebnis und die LINKE verfehlte den Landtagseinzug mit 4,9 Prozent nur
sehr knapp. Viertstärkste Partei im Landtag von NRW wurde 2017 die AfD
mit 7,4 Prozent.

Bei der Bundestagswahl 2021 blieben in NRW sowohl SPD (29,1 Prozent)
als auch CDU (26 Prozent) unter der 30-Prozent-Marke, die SPD lag hier
aber klar vor der CDU. Die Grünen schnitten mit 16 Prozent sehr stark ab,
die LINKE etwas schwächer als bei der Landtagswahl 2017 (3,7 Prozent),
während FDP (11,4 Prozent) und AfD (7,3 Prozent) ähnliche Ergebnisse
wie bei den Landtagswahlen erzielten.

Den Umfragen von Januar und Februar 2022 zufolge wird es bei der an-
stehenden Landtagswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und
CDU auf einem Niveau von jeweils knapp unter 30 Prozent geben, sehr
deutliche Zugewinne für die Grünen, die über 15 Prozent und mehr errei-
chen könnten, stabile Ergebnisse für FDP und AfD und leichte Verluste für
die LINKE. Weil es bisher allerdings nur wenige Umfragen sind, markieren
die dort prognostizierten Trends nicht mehr als die Ausgangslage vor dem
«heißen Wahlkampf», der nicht allzu lange nach der Bildung der neuen
Bundesregierung begonnen hat und nach wie vor unter Corona-Ausnah-
mebedingungen und auch sonst in politisch recht bewegten Zeiten statt-
findet. Gegenüber den Umfragen und Prognosen von Ende 2021 und An-
fang 2022 sind bei der Landtagswahl durchaus Überraschungen möglich.

SPITZENKANDIDAT*INNEN

Die bislang regierende CDU geht mit ihrem Landesvorsitzenden und Mi-
nisterpräsidenten Hendrik Wüst an der Spitze ins Rennen. Wüst ist ehe-
maliger Generalsekretär seines Landesverbands und gehört dem Landtag
seit 2005 an. Zuletzt war er von 2017 bis 2021 Verkehrsminister in NRW.
Von seinem Posten als Generalsekretär war er 2010 nach der sogenann-
ten Rent-a-Rüttgers-Affäre (der damalige CDU-Ministerpräsident Rütt-
gers hatte Treffen und Fototermine gegen Bezahlung angeboten) zurück-
getreten. Wüst hatte für diese Vorgänge die politische Verantwortung
übernommen.

Als Herausforderer schickt die SPD Thomas Kutschaty in den Ring. 2010
bis 2017 war Kutschaty Justizminister des Landes. Auch er ist seit 2005

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Mitglied des Landtags, seit 2018 Fraktionschef im Landtag und seit März
2021 Landesvorsitzender der SPD in NRW. Joachim Stamp, der Spitzen-
kandidat der FDP, hat ebenfalls Regierungserfahrung. Er ist seit 2017
stellvertretender Ministerpräsident und zugleich Minister für Kinder, Fa-
milie, Flüchtlinge und Integration. Mona Neubaur, Spitzenkandidatin der
Grünen, ist seit sieben Jahren auch Landesvorsitzende ihrer Partei. Die
AfD hat ihren Fraktionsvorsitzenden Markus Wagner als Spitzenkandida-
ten aufgestellt. Die Liste der LINKEN wird von der Kölner Soziologin Caro-
lin Butterwegge angeführt. Sie saß schon von 2010 bis 2012 für die LINKE
im Landtag.

Vergangene Landtagswahlen haben gezeigt, dass der Einfluss der Spit-
zenkandidat*innen auf die Wahlergebnisse zugenommen hat. In allen
ostdeutschen Bundesländern, aber auch in Rheinland-Pfalz und Baden-
Württemberg konnte sich die Partei, die die jeweils amtierenden Minis-
terpräsident*innen stellte, – teils deutlich – behaupten. Häufig und ge-
rade in ostdeutschen Ländern mit sehr starken AfD-Ergebnissen stand
dies auch in Zusammenhang mit der verbreiteten Einschätzung, der AfD
dürfte nicht der Platz der stärksten Partei zufallen. Die Ausgangsbedin-
gungen für die anstehende NRW-Landtagswahl sind allerdings deutlich
anders. Die AfD ist hier eine zwar parlamentarisch vertretene, aber kleine
Partei, und der amtierende Ministerpräsident Hendrik Wüst bekleidet sein
Amt erst seit Oktober vergangenen Jahres. Vielleicht ist dieser Zeitraum
zu kurz, um einen Bonus als Amtsinhaber zu erhalten. Allerdings – das
muss hinzugefügt werden – übernahm Wüst sein Amt während der Coro-
na-Krise, in einer Zeit also, in der deutlich mehr Aufmerksamkeit auf dem
Handeln von Landesregierungen und Ministerpräsident*innen liegt. Zu-
dem übernahm Wüst gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Vorsitz der Mi-
nisterpräsidentenkonferenz. Unter normalen Umständen spielt dies kei-
ne große Rolle, während der Pandemie aber durchaus, denn angesichts
steter Aus- und Verhandlungsprozesse zwischen Bund und Ländern kann
dieses Amt dazu beitragen, Bekanntheits- und auch Zustimmungswerte
rasch zu steigern.

Die demoskopische Einschätzung der Zustimmungs- und Bekanntheits-
werte der Spitzenkandidat*innen von Januar 2022 scheint dies zu bestäti-
gen (Infratest Dimap, Ländertrend NRW von Januar 2022). Demnach hat
Wüst seit Übernahme des CDU-Landesvorsitzes und des Ministerpräsi-
dentenamts deutlich an Bekanntheit und auch an Zustimmung gewon-
nen. 43 Prozent der Befragten geben an, mit seiner Arbeit zufrieden zu

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sein. Bei seinem Kontrahenten Thomas Kutschaty von der SPD sind es
nur 21 Prozent. Während Wüst allerdings von 32 Prozent auch kritisiert
wird, sind dies bei Kutschaty nur 25 Prozent. Bei den Präferenzen für eine
Direktwahl wird der Abstand ganz deutlich: Hier sprechen sich 43 Pro-
zent der Befragten für Wüst und nur 21 Prozent für Kutschaty aus. Falls
es Wüst also in der kurzen Zeit seit seiner Amtsübernahme gelungen sein
sollte, den Bonus des Amtsinhabers für sich zu nutzen, das heißt, sei-
ne Bekanntheits- und Zustimmungswerte entsprechend steigern konnte,
dann könnte dies auch den Ausschlag im prognostizierten Kopf-an-Kopf-
Rennen geben.

THEMEN

Für die Landtagswahl 2017 waren vor allem vier Themen wahlentschei-
dend: soziale Gerechtigkeit (46 Prozent), Wirtschaft und Arbeit (40 Pro-
zent), Schule und Bildung (31 Prozent) und innere Sicherheit (21 Prozent).
Im Vorfeld der Landtagswahl 2022 stellt sich dies sehr anders dar. Die vier
führenden politischen Problemfelder sind nun: Corona-Krise/Pandemie
(35 Prozent), Schule und Bildung (22 Prozent), Mobilität/Verkehr (20 Pro-
zent) und Umweltschutz/Klimawandel (17 Prozent). Das Themenfeld so-
ziale Gerechtigkeit, das 2017 noch an der Spitze der wahlentscheidenden
Themen stand, ist derzeit mit acht Prozent auf den sechsten Platz zurück-
gefallen. Wohnen und Mieten liegt mit sieben Prozent auf Rang acht.

Beachtlich ist, dass Schul- und Bildungspolitik eine echte Konstante bei
den bedeutsamen Themen in der nordrhein-westfälischen Landespolitik
darstellt. Schon im Zuge des Landtagswahlkampfs 2010 galt dieses Poli-
tikfeld als das wahlentscheidende. Zudem erweist sich die Schulpolitik
als gutes und durchaus plakatives Themenfeld für progressive Parteien
und Kandidaturen jeder Couleur. Das Festhalten der CDU am traditionel-
len dreigliedrigen Schulsystem und prinzipiell auch halbtätigen Schultag
kann durch eine Reihe von Reformvorschlägen unterschiedlicher Radika-
lität – unterstützt durch internationale und innerdeutsche Erfahrungen so-
wie durch wissenschaftliche Erkenntnisse – angegriffen und infrage ge-
stellt werden. Ganztägige Gemeinschaftsschulen gehören dabei nur zu
den griffigsten und gröbsten Konzepten. Die LINKE positioniert sich 2022
zudem noch mit dem Vorschlag einer «Schule ohne Noten», die FDP be-
tont insbesondere die nötige Digitalisierung der Schulen, aber auch sie
will zum Beispiel Ganztagsschulen stärken, hat in ihrer Kampagne aller-

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WAHLENTSCHEIDENDE THEMEN

2017
                                                                           46 %

  soziale Gerechtigkeit

                                                                    40 %

  Wirtschaft und Arbeit

                                                      31 %

  Schule und Bildung

                                     21 %

  innere Sicherheit

2022
                                                             35 %

  Corona-Krise

                                      22 %

  Schule, Bildung, Ausbildung

                                    20 %

  Mobilität/Verkehr

                             17 %
  Umweltschutz/
  Klimawandel

Quellen für 2017: infratest dimap; für 2022: Statista 2022

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dings das Handicap, mit Yvonne Gebauer in der vergangenen Legislatur-
periode die zuständige Ministerin gestellt zu haben.

Auf den Plätzen drei und vier der wahlentscheidenden landespolitischen
Themen rangieren Mobilität/Verkehr und Umweltschutz/Klimawandel,
die eng miteinander verknüpft sind. Das Themenfeld Mobilität/Verkehr ist
jedoch nicht neu in der Liste der Topthemen für Landtagswahlen in NRW.
Schon zur Landtagswahl 2017 tauchte dieses Thema auf den vorderen
Rängen auf, dort allerdings noch als «Verkehr und Staus». Die Ausein-
andersetzungen bewegen sich dabei zum Teil entlang hoch polarisierter
und symbolisch aufgeladener Fragen. Bei der Energiewende in NRW geht
es vor allem um die Zukunft des Braunkohletagebaus bzw. um den Aus-
stieg daraus. So sind etwa die Kämpfe um den Hambacher Forst noch in
lebhafter Erinnerung. Immer wieder, nicht zuletzt auch in NRW, wirft die
Energiewende die Frage nach den Arbeitsplätzen in energieintensiven In-
dustriezweigen auf und die kombinierte Fragestellung Mobilität und Ver-
kehr rückt die Pendler*innen, die Spritpreise und den Ausbau der öffent-
lichen Verkehrsinfrastruktur in den Fokus der Debatten. In diesem Feld
erhalten auch grundsätzliche wirtschaftspolitische Positionierungen der
Parteien auf Landesebene eine besondere Bedeutung. Die Frage der Ver-
kehrs- und Mobilitätswende ist nicht nur in den Städten, sondern insbe-
sondere auch im ländlichen Raum eine Frage öffentlicher Investitionen.
Dass die SPD nunmehr auf verstärkte öffentliche Investitionen setzt, stellt
eine deutliche Abkehr von der Landespolitik dar, die bereits in der Zeit
von Johannes Rau eingeleitet worden war und verstärkt unter den Mi-
nisterpräsidenten Clement und Steinbrück weitergeführt wurde. Hier galt
besondere Zurückhaltung in der Frage staatlicher, öffentlicher Investitio-
nen. Die folgenden CDU-geführten Regierungen, aber auch die Regierun-
gen unter Hannelore Kraft übten Zurückhaltung. Sparzwänge und eine
Politik der «Haushaltskonsolidierung» hatten stets Vorrang. Das Ergeb-
nis ist eine weitgehend marode Infrastruktur, ob Straßen, Schiene oder
in manch anderem Bereich. Zuletzt war es die amtierende Landesregie-
rung, die durch einige Förderungs- und Investitionsprogramme den Aus-
bau und die Sanierung des Schienennetzes und der Bahninfrastruktur in
Nordrhein-Westfalen auf die Tagesordnung setzte. Wenn die SPD nach
einer möglichen Regierungsübernahme ihre entsprechenden Pläne um-
setzen möchte, dürfte sie zuverlässige Verbündete bei den Grünen und –
falls sie im Landtag vertreten wäre – auch der LINKEN finden.

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Fragen der inneren Sicherheit, Fragen also, die die AfD, aber auch die
CDU in ihren Wahlkämpfen bevorzugt in den Vordergrund stellen, spielen
in der Reihe der wahlentscheidenden Themen bislang keine hervorgeho-
bene Rolle. In der Vergangenheit war die sogenannte innere Sicherheit
stets willkommenes Vehikel für Parteien der Rechten oder der rechten
Mitte, um ihr Stammwählerklientel zu mobilisieren und gegenüber dem
progressiven Lager zu polarisieren. Trotzdem wird diese schwache Aus-
gangslage im Jahr 2022 für die AfD keine besondere Rolle spielen, da-
zu ist die Thematik für sie zu sehr Markenkern. Die CDU, die im Vorfeld
des Wahlkampfes signalisierte, insbesondere das Thema «Clan-Kriminali-
tät» aufgreifen zu wollen, hat durchaus reagiert und die Thematik in ihrem
Wahlkampf deutlich zurückgestellt.

WAHLKAMPAGNEN UND -PROGRAMME

Die CDU verweist vor allem auf die aus ihrer Sicht erfolgreiche Politik
der bisherigen schwarz-gelben Koalition. Dabei stellt sie die Themenfel-
der innere Sicherheit und Justiz, Wirtschaft, Innovation und Digitalisie-
rung sowie Verkehr/Infrastruktur in den Vordergrund. Interessant ist, dass
diese Politik und damit auch die Bewerbung für ein neuerliches Regie-
rungsmandat in NRW in der öffentlichen Kommunikation als Ergebnis der
Arbeit einer «Nordrhein-Westfalen-Koalition» dargestellt wird, die Kandi-
datur des koalierenden Juniorpartners FDP also direkt mitbeworben wird
und somit eine klare Koalitionspräferenz seitens der CDU ausgesprochen
wird – eine Präferenz, die der Juniorpartner in dieser Intensität vielleicht
gar nicht so sehr teilt.

Die SPD schlägt zur Landtagswahl und für eine neue Landesregierung
einen «Solidarpakt Zukunft» vor, der sich vor allem auf vier Felder bezieht:
bessere Bildung für alle (von der Kita bis zur Uni), «deutlich mutigere In-
vestitionen» zur Stärkung der Wirtschaftskraft von NRW, Stärkung der
Gesundheitsversorgung und Krankenpflege und eine bessere Finanzie-
rung der Kommunen, die den Großteil der kommenden Aufgaben werden
schultern müssen.

Auch die FDP stellt Bildungsthemen in ihrer Wahlprogrammatik in den
Vordergrund. Dabei geht es vor allem um eine bessere Bereitstellung
von Kitaplätzen, um Digitalisierung im Bildungswesen, Ausgleich sozia-
ler Nachteile in der Bildungslaufbahn durch «Talentschulen» und «Ta-

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lentscouts», praxisnähere Lehrpläne (etwa durch das Fach Wirtschaft
an Schulen) und gleichberechtigte Anerkennung jeder Ausbildung und
Schulform (etwa Aufwertung von Handwerksausbildungen im dualen
System).

Wenig überraschend legen Bündnis 90/Die Grünen einen Schwerpunkt
auf das Themenfeld Klima und Energie, verknüpft mit Positionen und
Forderungen im Bereich der Mobilitätswende. Daneben spielt auch Bil-
dungspolitik eine zentrale Rolle. Auch die Grünen versprechen quantita-
tive und qualitative Verbesserungen der Kita-Angebote und stellen eine
stärkere Digitalisierung, mehr Investitionen sowie eine bessere Personal-
ausstattung in den Schulen in Aussicht. Ganztagsschulen sollen ausge-
baut und soziale Ungleichheit soll durch die gezielte Förderung bestimm-
ter Schulen bekämpft werden. Zudem betonen auch die Grünen in ihrem
Programm das Ziel einer Aufwertung und bestenfalls Gleichstellung von
handwerklichen Ausbildungen im dualen System. Das grüne Wahlpro-
gramm hebt außerdem einige soziale Positionen, auch im Themenfeld
Wohnen und Mieten, hervor und enthält einen umfangreichen Part zum
Thema Demokratie, Bürgerrechte und Inklusion.

Die Partei DIE LINKE stellt in ihrem Wahlprogramm soziale Themen und
Forderungen in den Vordergrund, in diesem Zusammenhang auch das
Thema Wohnen und Mieten. Der sozialökologische Umbau der Wirt-
schaft und weitere Maßnahmen und Handlungsfelder zur Stärkung des
Klimaschutzes stehen an zweiter Stelle. Auch Bildungspolitik spielt in der
Programmatik eine wichtige Rolle, gebührenfreie und besser ausgestat-
tete Kitas, Schulreformen, Verbesserung der dualen Ausbildung und der
Lernbedingungen an Hochschulen. Zur Landtagswahl 2022 konnte der
Landesverband einen kleinen politischen Coup präsentieren, der ange-
sichts der Einschätzung zu wahlentscheidenden Themen hilfreich sein
kann: Es wurde mit der «Klimaliste NRW» eine Kooperation vereinbart, die
Klimaliste tritt nun nicht selbst zur Landtagswahl an, stattdessen wurde
auf Listenplatz 5 der linken Landesliste Nicolin Gabrysch von der Klima-
liste aufgestellt.

Der AfD-Landesverband gilt zu Unrecht als eher gemäßigt. Er ist sehr
heterogen und bietet auch radikalen Kräften ausreichend Raum, auch
wenn im derzeit amtierenden Landesvorstand überwiegend sogenann-
te Moderate sitzen. Ganz grundsätzlich bleibt abzuwarten, wie sich Jörg
Meuthens Rückzug von der Parteispitze und sein Austritt aus der AfD

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LETZTE UMFRAGEWERTE

Februar 2022 (Forsa)

 29 %        27 %      18 %     9%       4%        7%      6%
 CDU          SPD      Grüne    FDP    DIE LINKE   AfD   Sonstige

Februar 2022 (INSA)

 26 %        28 %      14 %     12 %     4%        8%      8%
 CDU          SPD      Grüne    FDP    DIE LINKE   AfD   Sonstige

Januar 2022 (Infratest dimap)

 28 %        28 %      17 %     10 %     3%        8%      6%
 CDU          SPD      Grüne    FDP    DIE LINKE   AfD   Sonstige

Quelle: Wahlumfragen

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auswirken werden. Eine Stärkung «moderater» Kräfte ist jedoch nicht
zu erwarten. Die Vorgänge um den Bundestagsabgeordneten Matthi-
as Helferich, der sich selbst als das «freundliche Gesicht des National-
sozialismus» charakterisiert hatte, zeigen, wie viel Rückhalt auch sehr
radikale Positionen im Landesverband genießen. Helferich musste die
AfD-Bundestagsfraktion verlassen, blieb jedoch zunächst stellvertreten-
der Landessprecher der AfD NRW. Im Februar 2022 wurde bekannt, dass
ein Schiedsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war, dessen Ziel ein
Ämterverbot, jedoch kein Parteiausschluss sein soll. Etwa zur selben Zeit
wurde Helferich in die Landesschiedskommission der AfD NRW gewählt.
Das Landtagswahlprogramm spricht sich für eine Verschärfung der Ab-
schiebungspolitik aus, wendet sich gegen Maßnahmen zur Bekämpfung
der Klimakrise, will am mehrgliedrigen Schulsystem festhalten und for-
dert die Einführung von Schuluniformen.

CORONA UND KANZLERKANDIDATUR

Eine Besonderheit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen ist offen-
sichtlich, dass der amtierende Ministerpräsident Wüst erst sehr kurz im
Amt ist. Sein Amtsvorgänger ist der glück- und erfolglose CDU-Kanzler-
kandidat Armin Laschet. Die Covid-19-Pandemie beeinflusste in den ver-
gangenen Monaten das gesamte politische Geschehen in Deutschland.
So war auch die Auseinandersetzung um die CDU-Kanzlerkandidatur –
insbesondere zwischen Markus Söder und Armin Laschet – von der Fra-
ge des Umgangs mit der Pandemie geprägt. Die starke Rolle, die in die-
sen Fragen den Ministerpräsident*innen der Länder zukam, erwies sich
gegenüber Konkurrenten wie Friedrich Merz oder Norbert Röttgen zu-
nächst als Vorteil für Erstere. Vor allem zu Beginn der Pandemie nahm
Söder eine eher restriktive Haltung ein, während Laschet zögerlicher
wirkte, harte Kontaktbeschränkungen zu befürworten oder gar zu er-
lassen. Laschet diente diese Haltung auch als Mittel, Distanz zur Kanz-
lerin herzustellen bzw. zu wahren. Die Zeit der Pandemie war für beide
Ministerpräsidenten eine Gratwanderung zwischen strikteren Law-and-
Order-Positionen und eher opportunistischen Eigenverantwortungs- und
Freiheitsdiskursen. Klare konsistente Linien waren schwer zu halten, da
unmittelbare Entscheidungen zu treffen und in vielen Fragestellungen
auch unmittelbare Folgen zu beobachten waren. Die Entscheidung um
die Kanzlerkandidatur zwischen dem CDU- und dem CSU-Chef wurde
schließlich zu einem bemerkenswerten Politkrimi, in dem sich Laschet

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durchsetzen konnte, um zum Schluss den Kampf ums Kanzleramt zu ver-
lieren. Söder setzt seitdem voll auf eine zweite Chance bei der nächsten
Bundestagswahl 2025. Eine zentrale Voraussetzung dafür wird die bay-
erische Landtagswahl 2023 sein. Söder war zu keinem Zeitpunkt daran
interessiert, einen Bundeskanzler Laschet zu erleben. Folglich fuhr er –
etwas behutsamer zweifellos – fort, Laschets Autorität zu untergraben.
Insbesondere das Bild des entschlossenen Krisenmanagers, das Laschets
Kampagne prägen sollte, wurde in der fortwährenden und auch vor dem
Hintergrund der Pandemie geführten Auseinandersetzung beschädigt.
Endgültig zerstört wurde Laschets Kampagne durch seine Lacher vor TV-
Kameras beim Besuch im Gebiet der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli
2021. Das Image als Macher und Lenker in Krisenzeiten war danach nicht
mehr haltbar.

Der Pyrrhussieg des Armin Laschet im Kampf um die Kanzlerkandidatur
mit der anschließenden Niederlage bei der Bundestagswahl könnte für
Hendrik Wüst einen Vorteil bedeuten. Aufgrund dieses Vorlaufs könnte
es ihm, neben anderen Faktoren, leichter gefallen sein, aus dem Schat-
ten des Vorgängers herauszutreten, eigene Bekanntheit und auch höhere
Zustimmung zu generieren, als dies unter anderen Umständen möglich
gewesen wäre. Die überraschend schnelle Verbesserung der Persönlich-
keitswerte in den vergangenen Wochen spricht jedenfalls dafür.

AMPEL FÜR NRW?

Nach der Bundestagswahl und der Bildung der ersten Ampelkoalition
aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verfügt die neue Bundesregie-
rung nicht annährend über eine Mehrheit im Bundesrat. Lediglich die vier
Stimmen der Ampelkoalition aus Rheinland-Pfalz und die drei Stimmen
der rot-grünen Koalition aus Hamburg stehen – formal betrachtet – der
Bundesregierung zur Seite. Keine Regierungskonstellation in Nordrhein-
Westfalen kann zu substanziellen Änderungen an den Mehrheitsverhält-
nissen im Bundesrat führen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Ländern,
die im Bundesrat als «neutrale Länder» betrachtet werden und die sich
bei Abstimmungen häufig enthalten werden. Dies sind diejenigen Län-
der, in denen die CDU mit einer Partei oder mehreren Parteien der Am-
pelkoalition im Bund koaliert. Tatsächlich sind dies alle Länder, in denen
die CDU regiert – auch Nordrhein-Westfalen mit seiner schwarz-gelben
Koalition. Nur Bayern, wo die CSU die Regierung mit den Freien Wäh-

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lern stellt, kann im Bundesrat als echtes Oppositionsland gelten. Dadurch
erhalten die sechs nordrhein-westfälischen Bundesratsstimmen eine er-
heblich größere Bedeutung. Die Ampelparteien, insbesondere natürlich
SPD und Grüne, müssen also auch mit Blick auf den Bundesrat und die
Bundespolitik ein gesteigertes Interesse daran haben, entweder zu einer
Ampelkoalition oder, falls das Wahlergebnis dies hergibt, zu einer rot-grü-
nen Koalition in NRW zu kommen. Die besondere Aufmerksamkeit, die
die CDU in Nordrhein-Westfalen ihrem Koalitionspartner FDP zukommen
lässt, zeigt wohl an, dass diese Lage auch seitens der Union verstanden
wurde. Das Wahlergebnis wird mit Sicherheit die Bildung einer Ampelko-
alition zulassen und könnte zugleich die Fortführung der bisherigen Koali-
tion möglich machen. Selbst wenn die CDU stärkste Partei werden sollte,
könnte der entsprechende bundespolitische Druck aus diesen Gründen
zur Bildung einer Ampelkoalition unter Führung der SPD führen. Alles hin-
ge dann vom Verhalten der FDP ab.

DIE LINKE

Nordrhein-Westfalen war gemeinsam mit Bayern eines der Zentren der
Wahlalternative bzw. WASG, die schließlich gemeinsam mit der PDS in
der Partei DIE LINKE aufgingen. Die Landtagswahl 2005 spielte dabei eine
entscheidende Rolle, weil hier sowohl die Wahlalternative als auch die
PDS antraten. Im Ergebnis konnten beide Parteien nicht in den Landtag
einziehen, auch wenn die WASG ein deutlich besseres Ergebnis erziel-
te als die PDS. Die SPD verlor diese wichtige Landtagswahl unter dem
Eindruck der Agenda-2010-Reformen und der sozialen Proteste dagegen
deutlich, sodass die CDU die Regierung des Landes übernehmen konnte.
Unmittelbare Folge der Landtagswahl 2005 war auch die Ankündigung
vorgezogener Neuwahlen zum Deutschen Bundestag durch die amtieren-
de rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Zu dieser
Bundestagswahl traten PDS und WASG gemeinsam an und erreichten
den Wiedereinzug der PDS in den Bundestag deutlich gestärkt und als
Fraktion. 2010 gelang der LINKEN mit 5,6 Prozent erstmals (und bisher
einmalig) der Einzug in den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Die Folge
der Wahl 2010 war die Bildung einer Minderheitsregierung unter Hanne-
lore Kraft, die jedoch nur bis 2012 Bestand hatte, weil der Haushaltsplan
der Landesregierung im Landtag abgelehnt wurde und Neuwahlen erfor-
derlich wurden. Die Landtagswahl 2012 erbrachte eine deutliche Schlap-
pe für die LINKE, mit 2,5 Prozent fiel sie noch hinter die addierten Ergeb-

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nisse von WASG und PDS des Jahres 2005 zurück. 2017 war dann erneut
eine deutliche Verbesserung des Wahlergebnisses zu beobachten. Zwar
verpasste die LINKE den Landtagseinzug mit 4,9 Prozent sehr knapp,
doch waren die Verluste des Jahres 2012 beinahe wieder ausgeglichen.

Die Wahlniederlage der LINKEN im Jahr 2012 ist besonders beachtens-
wert, denn die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen hatte ihre we-
sentliche (Über-)Lebensversicherung in der Tolerierung durch die LINKE
in zentralen Punkten. Die Ablehnung eines Einzelplans als Teil des durch
die Landesregierung vorgelegten Haushaltsplans, die im Ergebnis als Ab-
lehnung und damit Scheitern des Gesamthaushalts betrachtet wurde,
war der Anlass für die Auflösung des Landtags und die vorgezogene Neu-
wahl. Diese Ablehnung erfolgte auch mit allen Stimmen der LINKEN im
Landtag, die durch dieses Abstimmungsverhalten die Neuwahl faktisch
erzwang. Das sehr schlechte Ergebnis der LINKEN bei der Neuwahl 2012
kann zumindest zu Teilen als Quittung für dieses Verhalten gewertet wer-
den. Nicht verschwiegen werden darf hier allerdings, dass die Neuwahl
des Landtags 2012 in die – eher kurze Phase – des Höhenflugs der Pira-
tenpartei fiel. In den Jahren 2011 bis 2013 zog die Piratenpartei in einige
deutsche Landtage ein und lag in Umfragen im Jahr 2012 kurzfristig bun-
desweit bei zehn Prozent. In ebendiesen Zeitraum fiel die Neuwahl des
Landtags in NRW im Jahr 2012, bei der die Piratenpartei 7,8 Prozent er-
zielte.

Die Strömungs- und Richtungskämpfe innerhalb der LINKEN wurden im
nordrhein-westfälischen Landesverband mit besonderer Härte ausgetra-
gen und haben tiefe Spuren hinterlassen. Die politische Landschaft in-
nerhalb des Landesverbands ist ausgesprochen vielfältig, alle Strömun-
gen und Tendenzen sind hier vertreten. Prägend in den vergangenen
Jahren war jedoch die Auseinandersetzung zwischen den Strömungen
der Sozialistischen Linken (SL) und der Antikapitalistischen Linken (AKL).
Spätestens 2018 wurden die inneren Auseinandersetzungen durch die
Gründung von «Aufstehen» überformt und zugespitzt. Bei «Aufstehen»
handelte es sich um eine neue politische Formation, die als «Sammlungs-
bewegung» Menschen über Parteigrenzen hinweg und auch parteiunge-
bundene Engagierte zusammenbringen sollte. Maßgeblich wurde dieses
politische Experiment von Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine vo-
rangetrieben. In den Jahren 2018 und 2019 sorgte die damit verbunde-
ne politische Strategie vor allem in der LINKEN für einige Aufregung und
heftige Auseinandersetzungen. Sahra Wagenknecht kandidiert seit 2009

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in Nordrhein-Westfalen, zuletzt im Wahlkreis Düsseldorf, und ist Mitglied
des Landesverbands Nordrhein-Westfalen. 2021 wurde sie – mit knap-
per Mehrheit und nach sehr kontroverser Diskussion – erneut als Spitzen-
kandidatin des Landesverbands zur Bundestagswahl aufgestellt. Die Kon-
flikte im Landesverband setzen sich in vielen Kreis- und Stadtverbänden
fort. Bislang ist es noch keiner Führung des Landesverbands gelungen,
aus dem Schatten dieser inneren Spannungen herauszutreten. So vermit-
telt der Landesverband oft den Eindruck großer innerer Zerrissenheit und
macht es neu hinzukommenden Mitglieder häufig schwer, sich aktiv ein-
zubringen. Zwar gelingt es dem Verband, insbesondere in Wahlkämpfen,
immer wieder, zu gemeinsamer Kampagnenarbeit zu finden, auch gibt es
im Land viele erfolgreich und konstruktiv arbeitende kommunale Fraktion
und Gruppen, doch der andauernde Konflikt bleibt ein schweres Hemm-
nis für gute Wahlergebnisse und eine produktive Parteientwicklung.

Auch wenn das Landtagswahlergebnis des Jahres 2012 ein Ausreißer
nach unten war, für den es eine Reihe von Ursachen gibt, die Ergebnis-
se der Jahre 2010 und 2017 also eher das tatsächliche Potenzial für die
LINKE anzeigen, wird auch die Landtagswahl 2022 für die LINKE in Nord-
rhein-Westfalen kein leichter Wahlgang. Der bundespolitische Trend so
kurz nach der Bundestagswahl ist nicht günstig und soziale Themen wie
etwa das Thema Mieten und Wohnen stehen nicht an der Spitze der poli-
tischen Agenda. Der Eindruck einer gewissen Befriedung des Landesver-
bands, engagiertes Spitzenpersonal, inhaltliche Ausrichtung und auch
vorliegende Umfragen zeigen jedoch an, dass das Vorhaben, 2022 in den
Landtag zurückzukehren, bei allen Schwierigkeiten nicht vollkommen
ausgeschlossen ist. Zudem bietet sich die Partei zu dieser Landtagswahl
als konstruktive politische Kraft an und schließt auch die Mitwirkung an
einer neuen Landesregierung nicht mehr kategorisch aus.

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QUELLEN
DEMOSKOPIE

Prognosen zur Landtagswahl:
www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/nrw.htm

Wahlentscheidende Themen 2017:
www.tagesschau.de/wahl/archiv/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-
wahlentscheidend.shtml

Wahlentscheidende Themen 2022:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/691608/umfrage/aktuelle-
probleme-in-nordrhein-westfalen/

PROGRAMME/KAMPAGNEN

CDU: www.cdu-nrw.de/erfolgreich-fuer-nrw

SPD: www.nrwspd.de/wahlprogramm/

Bündnis 90/Die Grünen: https://gruene-nrw.de/dateien/ltw22_
Wahlprogramm_gruenenrw.pdf

FDP: www.fdp.nrw/sites/default/files/2022-02/
BeschlussfassungLandtagswahlprogramm.pdf

DIE LINKE: www.dielinke-nrw.de/wahlen/landtagswahlprogramm-2022/

AfD: www.afd.de/wahlprogramm/
(Die AfD NRW verweist weiterhin auch zur Landtagswahl in NRW auf ihr
Bundestagswahlprogramm)
(Stand 1. März 2022)

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ZUM AUTOR
Andreas Thomsen ist Soziologe. Bis September 2021 leitete er das
Europa­büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel. Seitdem ist er
als stellvertretender Leiter des Bereichs Bundesweite Arbeit der Rosa-­
Luxemburg-Stiftung in Berlin tätig.

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