LEHRERKOOPERATION IN DEUTSCHLAND - Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I - Deutsche ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Dirk Richter Hans Anand Pant LEHRERKOOPERATION IN DEUTSCHLAND Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I
LEHRERKOOPERATION IN DEUTSCHLAND Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I Autoren Dirk Richter, Bergische Universität Wuppertal Hans Anand Pant, Humboldt-Universität zu Berlin, Deutsche Schulakademie
Inhalt 5 Inhalt Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern 6 Zusammenfassung zentraler Befunde 8 1. Einleitung 10 2. Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland 13 2.1 Einstellungen zur Lehrerkooperation in der Schule 13 2.2 Kooperation von Lehrkräften im nationalen und internationalen Vergleich 14 2.3 Für Kooperationsaktivitäten aufgewendete Zeit 17 2.4 Formen der Kooperation 19 3. Unterschiede im Kooperationsverhalten von Lehrkräften je nach individuellen Merkmalen 21 3.1 Unterschiede nach Geschlecht, Berufserfahrung und Region 21 3.2 Unterschiede nach Professionsmerkmalen 22 4. Unterschiede im Kooperationsverhalten von Lehrkräften je nach institutionellem Kontext 26 4.1 Unterschiede nach strukturellen und schulorganisatorischen Merkmalen 26 4.2 Unterschiede in Abhängigkeit der Zusammensetzung der Schülerschaft an der Schule 30 5. Unterschiede im Kooperationsverhalten von Lehrkräften je nach schulischen Rahmenbedingungen 32 6. Fazit und Empfehlungen 35 Summary of key findings 38 Literatur 40 Tabellenanhang 42 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 58 Über die Autoren 60 Impressum 61
6 Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern VORWORT Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern T eamarbeit ist in der heutigen Arbeitswelt Die bisherige Forschung gibt viele Hinweise von der Ausnahme zum Normalfall gewor- darauf, dass eine intensive Zusammenarbeit den. Dies gilt zunehmend auch für den den Lehrkräften hilft, diese Herausforderungen Bereich der Schule, in dem deutschlandweit über konstruktiv zu bewältigen. So sehen auch die 750.000 Lehrkräfte arbeiten. Gleichwohl ist das Studienautoren in einer stärkeren Teamarbeit Bild vom Lehrer als Einzelkämpfer genauso hart- zwischen Lehrkräften einen Erfolgsfaktor für näckig wie das Klischee über angeblich mangeln- gute Schule, die gerade angesichts wachsender de Motivation und Einsatzfreude von Lehrern. Heterogenität im Schulsystem an Bedeutung gewinnt. Deshalb steht Kooperation im Fokus Die vorliegende Studie der Bildungsforscher Dirk der Umfrage und der Studie von Dirk Richter und Richter von der Bergischen Universität Wupper- Hans Anand Pant. tal und Hans Anand Pant von der Humboldt-Uni- versität zu Berlin sowie der Deutschen Schulaka- Die Befunde sind zunächst erfreulich. Die Lehrer demie beruht auf einer repräsentativen Umfrage lieben ihren Beruf. 80 Prozent bezeichnen sich unter mehr als 1000 Lehrkräften. Sie erlaubt em- als hoch motiviert, 76 Prozent sind sehr zufrie- pirisch fundierte Einblicke in die Realität von Leh- den in ihrem Job. Nur sechs Prozent klagen über rern in Deutschland. Als Bertelsmann Stiftung, große Erschöpfung. Besonders positiv äußern Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und sich diejenigen Lehrkräfte, die eng mit Kollegen Deutsche Telekom Stiftung haben wir die Umfra- kooperieren. Weiterhin erfreulich: Lehrkräfte ge und die Studie anlässlich des internationalen haben eine positive Einstellung zur Kooperati- Gipfels für den Lehrerberuf in Auftrag gegeben. on mit anderen Lehrkräften sowie mit anderen Dieser Gipfel findet Anfang März 2016 zum ers- pädagogischen Fachkräften, Eltern und außer- ten Mal in Deutschland statt. Als Stiftungen, die schulischen Partnern. Rund fünf Stunden von seit vielen Jahren im Bildungsbereich tätig sind, durchschnittlich 43 Stunden Wochenarbeitszeit unterstützen wir die Kultusministerkonferenz wenden Lehrer nach eigenen Angaben für Ko- gern bei der Ausrichtung dieser international be- operationen auf. 97 Prozent der Lehrer finden achteten Konferenz. Die Vielfalt in den Klassen- es wichtig, mit Kollegen zusammenzuarbeiten, zimmern nimmt zu – dabei kommen mehrere und für 87 Prozent lohnt sich der Aufwand. Auch Faktoren zusammen: die Bemühungen um ein für außerschulische Partner ist die Mehrheit der inklusives Schulsystem, sinkende Schülerzahlen Lehrkräfte aufgeschlossen. und die daraus folgende Notwendigkeit alters- heterogener Lerngruppen, der Trend zu einem Wenn es um die Form der Kooperation geht, er- zweigliedrigen Schulsystem und die anhaltende gibt sich ein differenzierteres Bild. Zwar zeigt und aktuell stark steigende Einwanderung nach sich, dass Lehrkräfte sich häufig austauschen, Deutschland. Dieser Vielfalt gerecht zu werden wenn es um Unterrichtsmaterialien oder Schüler und dafür Sorge zu tragen, dass Schüler faire Bil- (82 Prozent) und die Arbeitsteilung unter Kolle- dungschancen haben, fordert Lehrkräfte heute gen (77 Prozent) geht. Die Studie macht aber besonders heraus. auch deutlich, dass komplexere Formen der Zu- sammenarbeit weniger verbreitet sind. So be-
Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern 7 richten nur 50 Prozent der Lehrer davon, intensiv sialen Schulformen häufiger zusammen als an in Fachteams zusammenzuarbeiten. Weniger als Gymnasien. Dasselbe gilt auch für gebundene ein Viertel der Lehrer unterrichtet häufiger auch Ganztagsschulen im Vergleich zu Halbtagsschu- im Team (23 Prozent), nur jeder zehnte Lehrer len oder offenen Ganztagsschulen. hospitiert häufiger im Unterricht anderer Lehrer (neun Prozent). Die Feedback-Kultur innerhalb Wichtige Erkenntnisse liefert die Studie nicht des Kollegiums ist noch wenig ausgeprägt. „Ein zuletzt über die Gelingensbedingungen von Ko- Großteil der Lehrkräfte in Deutschland erhält operation unter Lehrkräften. Als förderlich für keine oder nur sehr wenige Einblicke in den eine enge und intensive Teamarbeit benennen Unterricht anderer Kollegen”, folgern die Studi- Richter und Pant die Unterstützung durch die enautoren. Im Verhältnis Lehrer – Schüler spielt Schulleitung, fest installierte Teamarbeitszeiten Feedback hingegen heute schon eine wichtige und etablierte Strukturen für jahrgangsinterne Rolle: 53 Prozent der Lehrer geben ihren Schü- und -übergreifende sowie fachbezogene und lern regelmäßig Rückmeldung über deren Lern -übergreifende Abstimmungen. entwicklung. Die Meinungen der Schüler zum Unterricht hingegen fragt nur jeder dritte Lehrer Eine intensive Kooperation von Lehrern geht regelmäßig ab. nicht nur mit deren Kompetenzaufbau, Effizienz und Gesundheit einher. Teamarbeit im Lehrerkol- Die Studie ermöglicht erstmals auch internatio- legium – unter Einbezug anderer Professionen nale Vergleiche in Bezug auf die Lehrerkooperati- wie Sozialarbeiter und Schulpsychologen – ist on. Fragen aus der internationalen TALIS-Lehrer ein Schlüssel dafür, mit der wachsenden Vielfalt studie, an der sich Deutschland bisher nicht in den Schulklassen umzugehen und Schüler beteiligt hat, wurden dafür in die Umfrage auf- besser individuell fördern zu können. genommen. Die Befunde weisen darauf hin, dass die Zusammenarbeit der Lehrkräfte in Deutsch- Wir danken den Autoren Dirk Richter und Hans land weniger intensiv ist als in anderen Ländern. Anand Pant für ihre hervorragende Arbeit und In Deutschland unterstützen sich mehr Lehrer hoffen, dass die Studie einen Impuls gibt, die Po- gegenseitig mit Unterrichtsmaterialien als im tenziale von Kooperationen in der Schule weiter OECD-Mittelwert (62 zu 46 Prozent). Bei fachli- auszubauen und zu nutzen. chen oder pädagogischen Diskussionen über die Lernentwicklung von Schülern (50 zu 62 Prozent) oder gemeinsamen Bewertungsstandards (33 zu 41 Prozent) fällt Deutschland hinter den interna- tionalen Durchschnitt zurück. Ein weiterer wichtiger Befund der Studie ist die Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit in Schulen Jörg Dräger Uta-Micaela Dürig mit Inklusionsangebot besonders ausgeprägt Vorstandmitglied Geschäftsführerin ist. Inklusion unterstützt also Kooperation, von Bertelsmann Stiftung Robert Bosch Stiftung der alle Schüler profitieren: Je höher der Anteil von Schülern mit sonderpädagogischem Förder- bedarf, desto häufiger und intensiver arbeiten Lehrer auch konzeptionell zusammen. Weitere beeinflussende Faktoren bei der Häufigkeit von Zusammenarbeit sind Schul- und Organisations- formen. So arbeiten Lehrkräfte an nicht-gymna- Winfried Kneip Ekkehard Winter Geschäftsführer Geschäftsführer Stiftung Mercator Deutsche Telekom Stiftung
8 Zusammenfassung zentraler Befunde Zusammenfassung zentraler Befunde 1. Lehrkräfte sind der Kooperation mit ande- 3. Stärken und Schwächen im Kooperations- ren Lehrkräften und weiteren schulischen verhalten von Lehrkräften in Deutschland im Akteuren grundsätzlich positiv gegenüber internationalen Vergleich. eingestellt. Beim Vergleich des Kooperationsverhaltens von Über 90 Prozent der Lehrkräfte halten es für Lehrkräften in Deutschland mit den Befunden der wichtig, mit anderen Lehrkräften zusammen- internationalen Lehrkräftebefragung TALIS (Tea- zuarbeiten und sich kollegial bei Problemen zu ching and Learning International Survey; OECD helfen. Auch der Kooperation mit Vereinen, Un- 2014a) zeigt sich, dass Lehrkräfte in Deutschland ternehmen und Kultureinrichtungen steht die häufiger als im OECD-Durchschnitt regelmäßig Mehrheit der Lehrkräfte positiv gegenüber. Etwa Materialien austauschen und an fach- und jahr- drei Viertel der Lehrkräfte haben bereits Erfah- gangsübergreifenden Aktivitäten (z. B. im Rah- rungen in einer solchen Zusammenarbeit sam- men von Projektunterricht) teilnehmen. Deutlich meln können. seltener als im OECD-Durchschnitt sprechen Lehrkräfte regelmäßig über die Lernentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler oder erarbeiten 2. Lehrkräfte tauschen häufig Materialien und gemeinsam Standards zur Leistungsbewertung. Informationen aus, komplexere Formen der Zusammenarbeit sind jedoch selten zu beobachten. 4. Hohe Motivation und Zufriedenheit im Beruf und in der Regel geringe Überlastung. Etwa 60 Prozent der Lehrkräfte tauschen regel- mäßig Lehr- und Unterrichtsmaterialien unterei- Hinsichtlich einiger Merkmale des Wohlbefin- nander aus. Auch der Austausch von Informati- dens und der psychischen Lehrergesundheit er- onen (z. B. über Inhalte von Fortbildungen oder gibt sich ein positives Bild bei den Lehrkräften Vertretungsstunden) wird von der überwiegen- der Sekundarstufe I. Sie berichten überwiegend den Mehrzahl der Lehrkräfte berichtet. Kom über ein durchschnittliches bis hohes Kompe- plexere Formen der Zusammenarbeit, wie z. B. tenzerleben, einen hohen Enthusiasmus für das die gemeinsame Unterrichtsplanung oder das Unterrichten, eine hohe Berufszufriedenheit und gemeinsame Unterrichten, finden nur bei etwa ein geringes Erschöpfungserleben. Die Gruppe 20 Prozent der Lehrkräfte statt. Noch seltener be- derer, die über eine hohe emotionale Erschöp- richten Lehrkräfte davon, dass sie regelmäßig bei fung klagen, umfasst lediglich sechs Prozent der anderen Lehrkräften hospitieren und Feedback Lehrkräfte. geben (neun Prozent). Dies macht deutlich, dass zeitintensive Kooperationsaktivitäten, bei denen 5. Intensiveres Kooperationsverhalten bei mo- gemeinsam ein Problem gelöst oder etwas Neu- tivierten, zufriedenen und wenig belasteten es erarbeitet wird, sehr selten stattfinden. Lehrkräften. Lehrkräfte, die sich selbst als kompetent erleben, Freude am Unterrichten haben, mit dem Beruf zufrieden sind und wenig emotionale Erschöp-
Zusammenfassung zentraler Befunde 9 fung wahrnehmen, kooperieren in der Regel häu- offenen Ganztagsschulen mit den Halbtags- figer. Dies zeigt sich insbesondere für den Aus- schulen zeigen sich keine oder nur marginale tausch mit den Schülerinnen und Schülern über Unterschiede in der Kooperationsaktivität. Dies ihre Lernentwicklung und den Unterricht sowie deutet darauf hin, dass vor allem an vollgebun- für die Weitergabe von Lehr- und Unterrichtsma- denen Ganztagsschulen günstige Bedingungen terial. Komplexere Formen der Zusammenarbeit, für Kooperationen gegeben sind. wie z. B. die gemeinsame Unterrichtsplanung, werden häufiger von den Lehrkräften berichtet, 8. Häufig ungünstige Rahmenbedingungen die sich auch als kompetent im Unterrichten zur Schaffung von komplexen Kooperations- erleben und generell zufrieden mit ihrer Arbeit strukturen an Schulen. sind. Kooperationsaktivitäten scheinen daher nicht zu einer stärkeren Belastung beizutragen. Weniger als die Hälfte der Lehrkräfte berichtet davon, dass der Stundenplan und die Zeitpläne nach dem Unterricht Freiräume für die gemein- 6. Lehrkräfte an Schulen mit Inklusionsangebot same Zusammenarbeit bieten und dass ausrei- weisen starkes Kooperationsverhalten auf. chend Arbeitsräume für die gemeinsame Team- An Schulen mit Inklusionsangebot arbeiten arbeit zur Verfügung stehen. Dementsprechend Lehrkräfte erwartungskonform häufiger mit ist die Mehrheit des Kollegiums an vielen Schu- Sonder- und Sozialpädagogen zusammen und len nach dem Unterricht nicht mehr präsent. unterrichten häufiger regelmäßig im Team. Trotz der ungünstigen zeitlichen und materiel- Aber auch andere Formen des Austauschs, wie len Rahmenbedingungen nimmt die Mehrheit die Weitergabe von Material, das Gespräch über der befragten Lehrkräfte jedoch auch wahr, dass die Lernentwicklung mit den Schülerinnen und sich die Schulleitungen für die Zusammenarbeit Schülern und die Erarbeitung von Bewertungs- zwischen den Lehrkräften einsetzen und gute standards finden an Inklusionsschulen häufiger Koordinationsstrukturen zur Organisation der statt. Ferner zeigt sich, dass die Kooperations Unterrichtsarbeit bestehen. aktivitäten dann zunehmen, wenn der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi- 9. Zeit, Koordinationsstrukturen und Unter- schem Förderbedarf steigt. Dies weist darauf hin, stützung durch die Schulleitung begünstigen dass Inklusion möglicherweise als Katalysator Kooperation an Schulen. für die Etablierung kooperativer Arbeitsbezie- hungen dient. Dabei beschränkt sich die Koope- Einige schulorganisatorische Rahmenbedingun- ration nicht nur auf einen erhöhten Austausch gen stehen deutlich mit dem berichteten Koope- von Informationen, sondern umfasst auch häu- rationsverhalten der Lehrkräfte in Verbindung. figer komplexe und zeitintensive Formen der Zu- Vor allem die Berücksichtigung von Teamarbeits- sammenarbeit. zeiten im Stundenplan, die Etablierung von Ko- ordinationsstrukturen zur Abstimmung der Un- terrichtsarbeit und die Unterstützung durch die 7. Mehr kooperatives Verhalten an vollgebunde- Schulleitung scheinen sich positiv auf das Koope- nen Ganztagsschulen. rationsverhalten auszuwirken. Dies deckt sich mit Lehrkräfte an vollgebundenen Ganztagsschulen dem Befund, dass Lehrkräfte, die auch nach dem unterscheiden sich im Kooperationsverhalten in Unterricht längere Zeit an der Schule präsent sind, Teilen stark von Lehrkräften an Halbtagsschulen. mehr Zeit in Kooperationsaktivitäten investieren. Mehr Aktivitäten zeigen sich insbesondere beim Die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen Team-Teaching, bei der gemeinsamen Vorberei- (z. B. Arbeitsräume für die Teamarbeit) hängt ent- tung von Unterricht und bei der kollegialen Hos- gegen der Erwartung nicht oder nur in geringerer pitation. Beim Vergleich der teilgebundenen bzw. Form mit dem Kooperationsverhalten zusammen.
10 Einleitung 1Einleitung L iest man die Anforderungsprofile in Stellen- nahmen zur Erhöhung von Rechenschaftspflicht anzeigen, so findet man kaum noch ein Be- (Accountability) mit Maßnahmen einer erweiter- rufsfeld, in dem nicht Teamfähigkeit als ein ten Autonomie der Einzelschule. Schulen werden zentrales Profilmerkmal von Bewerberinnen und infolge einer stärkeren Dezentralisierung von Ent- Bewerbern erwünscht oder sogar gefordert wird. scheidungszuständigkeiten zu eigenständigen Dies gilt für den privaten Arbeitsmarkt ebenso Steuerungsakteuren (Thiel 2008). Damit haben wie für viele Stellen im öffentlichen oder staat- sich auch die Anforderungen an das professio- lichen Bereich. Die Fähigkeit, sich in bestehende nelle Selbstverständnis und Handeln von Schul- Teamstrukturen einzupassen und konstruktiv leitungen und Lehrkräften erheblich gewandelt. mit Kolleginnen und Kollegen berufliche Anfor- derungen und Probleme zu bewältigen, gilt in- In der Logik eines Modells der professionellen zwischen als unabdingliche Metaqualifikation Selbstregulierung zählen die gemeinschaftliche moderner Arbeitswelten. Verständigung über die Ziele schulischer Arbeit, z. B. im Rahmen einer Leitbildentwicklung, der Das Berufsfeld Schule schien lange Zeit von die- Schulprogrammarbeit oder der Entwicklung ei- ser Entwicklung abgeschnitten. Im Gegenteil: nes schuleigenen Curriculums, die Peer-Evalua- Eine Kultur der pädagogischen Unabhängigkeit tion selbstgesteckter Entwicklungsziele sowie und der Handlungsautonomie prägte weitge- eine kollaborative Unterrichtsentwicklung nun- hend das Selbstverständnis und das unterrichtli- mehr zum Kernbestand eines neuen professi- che Wirken von Lehrkräften. Typisch ist das (Zerr-) onellen Selbstverständnisses (Thiel, Cortina & Bild des Lehrers, der die Tür des Klassenzimmers Pant 2014, S. 142). hinter sich schließt und niemandem außer sich selbst Rechenschaft über das Geschehen im Un- Neben den genannten neuen Steuerungskonzep- terricht sowie über die erzielten pädagogischen ten kamen in den letzten Jahren weitere Entwick- Erfolge abgab und abgeben musste. Zu den in- lungen im Bildungssystem hinzu, die die Koopera- dividuell belastenden Kehrseiten der Autono- tion unter Lehrkräften zu einer immer dringlicher mie zählten Einzelkämpfertum bis hin zu Phä- erscheinenden Notwendigkeit werden lassen. So nomenen der intellektuellen und menschlichen ist die Schülerschaft in deutschen Klassenzim- Vereinsamung. Die kollegial geteilte Vorstellung mern erheblich heterogener zusammengesetzt bestand oftmals eher in „kollegialen Nichtan- als noch vor wenigen Jahren. Um individuelles griffspakten“ (Schimank 2014, S. 146). Lernen in heterogenen Gruppen optimal zu er- möglichen, so die Grundthese, ist die Zusammen- Spätestens seit den für Deutschland enttäu- arbeit aller mit der Lernentwicklung des Kindes schenden Resultaten in der ersten PISA-Studie befassten pädagogischen Kräfte (Fachlehrkräfte, hat sich an diesem Lehrerbild und der Lehrer Sonder- und Sozialpädagogen, Schulsozialarbei- realität vieles geändert. Im Zuge neuer bildungs- ter, Schulpsychologen) erforderlich. politischer Steuerungskonzepte haben in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten viele Staaten Für die zunehmende Heterogenität im deut- und auch Deutschland Elemente des sogenann- schen Bildungssystem sind verschiedene Fakto- ten New Public Management sowie des Modells ren verantwortlich, die sich teilweise überlagern evidenzbasierter Steuerung eingeführt. Diese und verstärken: (1) Der regional zum Teil massive neuen Steuerungskonzepte verknüpfen Maß- Rückgang der Schülerzahlen ist mit dafür aus-
Einleitung 11 schlaggebend, dass altersheterogene Lerngrup- me pädagogische Grundhaltungen vorhanden pen in jahrgangsübergreifenden Lernformen bis sein müssen oder wie groß ein kooperatives in die Sekundarstufe hinein unterrichtet werden. Arbeitsnetzwerk sein darf, wird uneinheitlich (2) Der Trend zur Zweigliedrigkeit des Bildungs- gesehen. Häufig wird in der wissenschaftlichen systems in den Bundesländern, bei der neben Betrachtung noch hinsichtlich struktureller und dem Gymnasium nur noch eine weitere Schul- inhaltlicher Aspekte von Lehrerkooperation dif- art angeboten wird, bedingt eine erhebliche ferenziert. Strukturell wird zwischen jahrgangs- Leistungsspreizung in den verbliebenen Schul- interner bzw. jahrgangsübergreifender (vertika- formen; dies betrifft nicht nur die nicht-gymna- ler) Kooperation sowie zwischen fachlicher bzw. sialen Schularten, sondern aufgrund der stark fachübergreifender (horizontaler) Kooperation gestiegenen Gymnasialquote, die inzwischen unterschieden. Inhaltlich wird der Grad der er- bundesweit fast 50 Prozent erreicht, eben auch reichten „Tiefe“ der Kooperation aufgeschlüsselt das Gymnasium. (3) Schließlich führen die Um- auf einem Kontinuum von weitgehender Auto- setzung der UN-Behindertenrechtskonvention nomie über verschiedene Grade der koordinier- in inklusive Beschulungsmodelle in den Ländern ten Handlungsplanung und -ausführung bis hin sowie (4) der aktuelle Andrang von Kindern mit zum Austausch über pädagogische Ansätze, teil- Fluchterfahrung zu einer bisher ungekannten weise durch Realisierung gemeinsamer Unter- sozialen, ethnischen, religiösen und leistungs- richtseinheiten und kollegialer Hospitation und mäßigen Unterschiedlichkeit der Lernvorausset- Supervision. Die weiter unten im Abschnitt 2.4 zungen und Lernbedürfnisse in den Schulen. Um vorgestellte Konzeption der drei Niveaustufen dieser „neuen Heterogenität“ gerecht werden der Lehrerkooperation von Gräsel, Fussangel und zu können, bedarf es aus Expertensicht einer Pröbstel (2006) schließt hier an. Vielzahl pädagogischer Konzepte, Unterrichtsar- rangements, fachdidaktischer Ansätze und prak- Welche Vorteile und welcher Nutzen, aber auch tischer Erfahrungen, die nur durch Kommunika- welche negativen Konsequenzen von Lehrerko- tion und Austausch im Kollegium – also durch operation sind nach dem Stand der Forschung kooperative Arbeitsformen – für möglichst viele zu erwarten? Hier lassen sich drei Ebenen unter- verfügbar und einsetzbar werden. Wie Vangrie- scheiden, auf denen Kooperation in der Schule ken und Kolleginnen (2015, S. 36) es formulieren: einen Mehrwert verspricht: (1) für Schülerinnen „Not collaborating is no longer an option.“ und Schüler, (2) für die Lehrkräfte selbst und (3) für die Schule als Organisation. In einer umfang- Was aber soll unter Lehrerkooperation verstan- reichen Überblicksarbeit (Metaanalyse) wurde den werden? Der Blick in die Forschungslitera- gezeigt, dass das Vorhandensein professioneller tur offenbart einen erstaunlichen Mangel an Lerngemeinschaften an Schulen zwar schwach, präzisen Definitionen. Vielmehr finden sich vor aber positiv mit dem Leistungsniveau der Schü- allem im angloamerikanischen Raum unter dem lerinnen und Schüler zusammenhängt (Lomos, Überbegriff Teacher Collaboration verschiede- Hofman & Bosker 2011). Den dahinter liegenden ne Konzepte wie Teaching Teams, Professionelle Mechanismus beschreiben einige Studien so: Ko- Lerngemeinschaften, Communities of Practice operierende Lehrkräfte verfeinern und erweitern und viele mehr (vgl. Vangrieken et al. 2015). Im im Austausch mit Kollegen ihr eigenes fachliches Kern gemeinsam ist den meisten Vorstellungen, und fachdidaktisches Repertoire, fühlen sich si- dass sich Lehrkräfte regelmäßig treffen, um in cherer in der Vermittlung der Inhalte, werden gemeinsamer Verantwortung den Lernerfolg sensibler für die Denkprozesse ihrer Schülerin- ihrer Schülerinnen und Schüler zu sichern oder nen und Schüler und werden generell offener für zu steigern. Wie formalisiert oder eng dabei evidenzbasierte Unterrichtsmethoden. Weiter- die Austauschbeziehungen sind, ob gemeinsa- hin profitieren Schülerinnen und Schüler indirekt
12 Einleitung von kooperativen Lehrerbeziehungen, wenn sie heraus, die das Entstehen kooperativer Arbeits- selbst sich in kooperativen Lernformen mit ihren formen im Lehrerkollegium begünstigen bzw. Mitschülern betätigen sollen. Hier fungieren ko- behindern. Hierzu zählen unter vielen anderen operative Kollegien als Rollenmodell für die Ler- ausreichende Zeitgefäße für kooperative Ab- nenden. stimmungen, eine geringe Personalfluktuation im Kollegium, eine nicht bloß symbolisch, son- Die meisten Studien beschäftigen sich mit den dern instrumentell unterstützende Schulleitung, positiven Effekten von Kooperation auf die Leh- geringer Arbeits- und Standardisierungsdruck rerinnen und Lehrer selbst (s. Vangrieken et al. sowie Wissen und Fertigkeiten zum Aufbau von 2015). Dazu zählt das Empfinden kooperierender Teamstrukturen (s. Übersicht bei Vangrieken et Lehrerinnen und Lehrer, dass sie effektiver, vari- al. 2015, S. 30 ff). antenreicher und kreativer unterrichten, moti- vierter bei der Unterrichtsvorbereitung sind, dass In dieser kurzen Einführung wurden einige An- Gefühle der Entfremdung von der Arbeit und der sätze und internationale Forschungsergebnisse Isolation zurückgehen und insgesamt Selbstbe- zur Lehrerkooperation zusammengefasst. Eini- wusstsein und Arbeitszufriedenheit ansteigen. ges hiervon findet sich auch im theoretischen Diese positiven Effekte gelten offenbar insbe- Rahmenkonzept der TALIS-Studie wieder (OECD sondere für Berufsanfänger und für Lehrkräfte, 2014a). Für Deutschland, dessen 16 Bundesländer die es mit herausfordernd zusammengesetzten sich nicht an TALIS beteiligt haben, lag bislang Lerngruppen zu tun haben. keine entsprechende Bestandsaufnahme vor, die zumindest wichtige Grunddaten zur Lehrerko- Auf der Ebene der Schule als Organisation trägt operation auf breiter empirischer Basis vorhält, Lehrerkooperation nach Aussage mehrerer Stu- die als Ausgangspunkt für vertiefende Analysen dien zu verstärkter Innovationsbereitschaft bei, bzw. weiterführende Studien genutzt werden begünstigt schulweit eine stärkere Orientierung können. Die nachfolgend berichteten Ergebnisse auf die Lernergebnisse der Schülerinnen und unserer Studie schließen diese Lücke. Schüler, teilweise vermittelt über eine intensive- re Evaluations- und Feedbackkultur, sie lässt Hie- rarchien tendenziell verflachen und partizipative Strukturen erstarken (s. Vangrieken et al. 2015). Aber auch negative Konsequenzen der Lehrerko- operation finden sich. So berichten etliche Studi- en, dass Lehrkräfte sich in kooperativen Settings einem erhöhten Konkurrenz-, aber auch Kon- formitätsdruck ausgesetzt fühlen, Autonomie- verluste wahrnehmen und ihren Zeitaufwand intensivieren mussten. Es werden Phänomene der „Kleinstaaterei“ und „geschlossener Gesell- schaft“ vor allem in großen Kollegien berichtet. Insgesamt ruft eine „von oben verordnete“ Ko- operation tendenziell ein erhöhtes Widerstands- verhalten auf den Plan. Weiterhin kristallisieren sich in der empirischen Forschung einige Bedingungen und Faktoren
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland 13 2Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland I m Herbst 2015 gab ein Konsortium bestehend Die Ergebnisse haben auch gezeigt, dass 74 Pro- aus der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch zent der Lehrkräfte Erfahrungen in der außer Stiftung, der Deutschen Telekom Stiftung und schulischen Zusammenarbeit mit Vereinen, Un- der Stiftung Mercator eine Befragung in Auftrag, ternehmen und Kultureinrichtungen gesammelt um repräsentative Erkenntnisse über die Zusam- haben. Von dieser Gruppe berichtet ebenfalls die menarbeit von Lehrkräften zu gewinnen. An der überwiegende Mehrheit von grundsätzlich posi- Umfrage, die durch das Meinungsforschungsin- tiven Erfahrungen. Aus Sicht der Lehrkräfte be- stitut Infratest dimap durchgeführt wurde, nah- reichern außerschulische Partner die Lehr- und men insgesamt 1.015 Lehrkräfte der Sekundarstu- Lernkultur (95 %), ergänzen den Unterricht um fe I teil, die an staatlichen allgemeinbildenden wichtige Inhalte (91 %), fördern fächerübergrei- Schulen unterrichten. Lehrkräfte an Förderschu- fendes Arbeiten (80 %) und stützen die eigene len und Privatschulen wurden nicht befragt. Die berufliche Weiterentwicklung (70 %). Der zusätz- Erhebung wurde als Quotenstichprobe angelegt liche Mehraufwand, der durch die Einbeziehung und durch eine Gewichtung an die amtlichen außerschulischer Partner entsteht, wird ebenso Strukturen angepasst. Die Studie ist damit reprä- nicht als problematisch angesehen (89 %). Die sentativ für Alter, Geschlecht, Region (Ost/West) positiven Äußerungen der Lehrkräfte gegenüber und Schulform. kooperativer Arbeitsformen lassen vermuten, dass sich diese Einstellungen auch in einem in- 2.1 Einstellungen zur Lehrerkooperation tensiven Kooperationsverhalten niederschlagen. in der Schule Nahezu alle befragten Lehrkräfte halten es für wichtig, mit anderen Lehrkräften zusammenzu- arbeiten (97 %) und sich kollegial bei Problemen zu helfen (96 %) (Tabelle 1). Auch der zusätzliche Aufwand, der durch die Zusammenarbeit mit anderen entsteht, wird nicht als problematisch angesehen (87 %). Dies macht deutlich, dass Lehrkräfte ihre Rolle nicht als Einzelkämpfer auf- fassen, obwohl sie ihren Beruf weitestgehend allein ausüben. Diese Haltungen finden sich gleichermaßen bei Männern und Frauen, bei Berufseinsteigern und bei sehr erfahrenen Lehr- kräften.
14 Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland Tabelle 1: Prozentualer Anteil von Lehrkräften mit positiven bzw. negativen Einstellungen zur Kooperation Positive Einstellung stimme eher zu stimme voll und ganz zu Für die Tätigkeit als Lehrer ist es wichtig, mit Kollegen 22 75 zusammenzuarbeiten. Kollegiale Hilfe bei Problemen ist ein wichtiger Bestandteil 25 71 der Lehrerarbeit. Negative Einstellung stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu Die Kooperation mit Kollegen bedeutet einen hohen Aufwand, 44 43 der sich selten lohnt. Die Kooperation in Lehrerkollegien ist nicht notwendig, da die 31 57 einzelne Lehrkraft für ihren Unterricht allein verantwortlich ist. Quelle: eigene Erhebung. 2.2 Kooperation von Lehrkräften im nationalen Internationale Vergleiche können für die in Tabel- und internationalen Vergleich le 2 aufgeführten Kooperationsaktivitäten vorge- nommen werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Die Kooperationsaktivitäten von Lehrkräften Vergleich der Angaben aus der aktuell durchge- wurden bereits in der international verglei- führten Untersuchung und dem OECD-Durch- chenden Lehrkräftebefragung TALIS (Teaching schnittswert, der in TALIS für alle OECD-Staaten and Learning International Survey) untersucht ermittelt wurde. Zur Erfassung der Kooperati- (OECD 2014a). Aus dieser Untersuchung liegen onsaktivitäten gaben Lehrkräfte in TALIS an, wie jedoch keine Daten darüber vor, wie Lehrkräfte in häufig sie bestimmte kooperative Aktivitäten Deutschland hinsichtlich ihres Kooperationsver- innerhalb eines Schuljahres durchgeführt ha- haltens im internationalen Vergleich abschnei- ben. Differenziert wurde hierbei, ob Lehrkräfte den. Die vorliegende Studie zielt deshalb darauf eine Aufgabe nie, einmal im Jahr oder seltener, ab, Informationen über das Kooperationsverhal- zwei- bis viermal pro Jahr, fünf- bis zehnmal pro ten von Lehrkräften in Deutschland zu gewinnen Jahr, ein- bis dreimal pro Monat oder mindes- und diese Befunde international zu vergleichen. tens einmal pro Woche übernommen haben. Von Was ist die TALIS-Studie? Die TALIS-Studie ist eine internationale, von der OECD durchgeführte Befragung von Lehrkräften und Schulleitern der Sekundarstufe zur Untersuchung der beruflichen Situation und der Arbeits- bedingungen des Lehrpersonals. Die Untersuchung fand bislang in den Jahren 2008 und 2013 statt und umfasste im letzten Durchgang insgesamt 24 OECD-Staaten und weitere zehn Partner- staaten. Deutschland befand sich bislang jedoch nicht unter den Teilnehmerländern. Pro Teilneh- merland wurden aus 200 Schulen jeweils 20 Lehrkräfte und ein Mitglied der Schulleitung mit einem schriftlichen oder onlinegestützten Fragebogen befragt. In der TALIS-Befragung wurden u. a. Daten zur Lehreraus- und -fortbildung, zu pädagogischen Überzeugungen, Merkmalen des Unterrichts, zur professionellen Kompetenz und zur Kooperation zwischen Lehrkräften erhoben.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland 15 diesen sechs Kategorien wurden für diese Un- hospitiert und kollegiales Feedback gibt (64 %). tersuchung jeweils die beiden unteren und obe- Mit anderen Worten: Ein Großteil der Lehrkräfte ren zusammengefasst, um Extremgruppen mit in Deutschland erhält keine oder nur sehr wenige geringen bzw. höheren Kooperationsaktivitäten Einblicke in den Unterricht anderer Kollegen. miteinander zu vergleichen. Die eine Gruppe um- schließt die Kategorien nie und einmal im Jahr Zur Einordnung der Ergebnisse lassen sich oder seltener, die zweite verbindet die Kategorien die Vergleichswerte aus der internationalen ein- bis dreimal pro Monat und mindestens ein- TALIS-Befragung 2013 heranziehen. Im internati- mal pro Woche. Diese Art der Zusammenfassung onalen Vergleich tauschen deutlich mehr Lehr- erschien vor allem deshalb angemessen, da nicht kräfte in Deutschland Unterrichtsmaterialien aus alle untersuchten Aktivitäten im Schulalltag im als im OECD-Durchschnitt (62 % bzw. 46 %) und wöchentlichen Rhythmus realisiert werden. sie beteiligen sich häufiger an Aktivitäten mit verschiedenen Klassen oder Altersgruppen (18 % Die Ergebnisse in Tabelle 2 weisen darauf hin, bzw. 12 %). Deutlich geringer fallen hingegen die dass die Mehrzahl der Lehrkräfte in Deutsch- Kooperationswerte aus, die einen fachlichen bzw. land regelmäßig Lehr- und Unterrichtsmateria- pädagogischen Diskurs zwischen Lehrkräften lien austauscht und die Hälfte über die Lernent- beschreiben. Diskussionen über die Lernentwick- wicklung von Schülern spricht. Deutlich weniger lung und Absprachen zu gemeinsamen Bewer- Lehrkräfte geben an, mindestens im monatlichen tungsstandards finden zwar bei vielen Lehrkräf- Rhythmus in anderen Bereichen zu kooperieren, ten in Deutschland regelmäßig statt, jedoch z. B. als Team in der Klasse zu unterrichten (23 %), seltener als im OECD-Durchschnitt. Hinsichtlich im Unterricht anderer zu hospitieren (9 %) und an der Teilnahme an gemeinsamen Fortbildungen gemeinsamen Fortbildungen teilzunehmen (4 %). gibt es in Deutschland ein anderes Muster als in- Besonders auffällig ist dabei auch, dass über die ternational: Zwar nehmen weniger Lehrkräfte in Hälfte der Lehrkräfte in Deutschland nie oder nur Deutschland häufig an Fortbildungen teil, ande- einmal pro Jahr im Team mit einer anderen Lehr- rerseits ist der Anteil der „Fortbildungsabstinen- kraft unterrichtet (56 %) oder in anderen Klassen ten“, also derjenigen ohne Fortbildungsbesuch, Tabelle 2: Häufigkeit verschiedener Kooperationsaktivitäten: Vergleich Deutschland und OECD-Durchschnitt (TALIS-Befragung) (Angaben in Prozent) Kooperationsaktivitäten Deutschland OECD Durchschnitt nie1 regelmäßig2 nie1 regelmäßig2 Lehr- und Unterrichtsmaterial mit Kollegen austauschen 8 62 16 46 An Diskussionen über die Lernentwicklung bestimmter Schüler 5 50 8 62 teilnehmen Mit anderen Lehrern an meiner Schule zur Gewährleistung 19 33 19 41 gemeinsamer Bewertungsstandards zusammenarbeiten Gemeinsam als Team in derselben Klasse unterrichten 56 23 56 26 Mich an gemeinsamen Aktivitäten mit verschiedenen Klassen 20 18 45 12 und Altersgruppen (z. B. Projekten) beteiligen Im Unterricht anderer Lehrer hospitieren und Feedback geben 64 9 66 9 An gemeinsamen Fortbildungen teilnehmen 27 4 37 17 Anmerkungen: 1 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „jährlich“ und „nie“, 2 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „wöchentlich“ und „monatlich“ . Quelle: eigene Erhebung.
16 Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland kleiner als in der TALIS-Studie 2013. Die Übersich- Unterricht ein. Insbesondere diese beiden Formen ten im Tabellenanhang ermöglichen darüber hi- des Feedbacks sind aus Sicht von Hattie (2009) naus eine Einordnung der deutschen Befunde in von besonderer Bedeutung: Die kontinuierlichen das Ergebnis der einzelnen TALIS-Teilnehmerstaa- Rückmeldungen der Lehrkräfte über den Fortgang ten (Anhang T1). des Lernprozesses tragen maßgeblich zu einer positiven Lernentwicklung der Schüler bei (d=.9; Zusätzlich zu den Kooperationsaktivitäten, die in ebd.). Auch das Einholen von Feedback über den TALIS untersucht wurden, betrachtet die vorlie- Unterricht unterstützt Lehrkräfte wiederum dar- gende Studie für Deutschland noch weitere Ak- in, Lehr- und Lernprozesse aus Sicht der Schüler zu tivitäten, in denen Lehrkräfte mit ihren Kollegen bewerten und die so gewonnenen Hinweise für und weiterem schulischem Personal zusammen- die weitere Unterrichtsgestaltung zu nutzen. Die arbeiten. Für diese liegen keine internationalen Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass ein Vergleichswerte vor. Aus Tabelle 3 wird ersicht- substanzieller Anteil der Lehrkräfte regelmäßig lich, dass ein Großteil der Lehrkräfte regelmäßig lernbezogenes Feedback gibt und auch Feedback mit Sonderpädagogen und Sozialpädagogen an über den Unterricht einholt. Eine größere Gruppe der Schule zusammenarbeitet1. Inwiefern diese von Lehrkräften (21 %) nutzt jedoch bislang gar intensive Zusammenarbeit mit den Rahmenbe- nicht oder nur sehr selten die Möglichkeit, unter- dingungen an der Schule und der Komposition richtsbezogene Rückmeldungen zu bekommen. der Schülerschaft zusammenhängt, wird in den Ebenfalls selten berichten Lehrkräfte davon, dass Kapiteln 4 und 5 näher untersucht. Des Weiteren ganze Unterrichtseinheiten oder Projekte mit an- zeichnet sich in den Daten ab, dass gut die Hälf- deren Kollegen gemeinsam geplant werden (20 %) te der befragten Lehrkräfte regelmäßig mit ihren und dass Lehrkräfte mit Kollegen anderer Schulen Schülern über deren Lernentwicklung spricht. zusammenarbeiten (9 %). Formale Strukturen wie Das Instrument des Schülerfeedbacks zum eige- fachliche oder fachübergreifende Konferenzen nen Unterricht nutzt hingegen nur ein Drittel der werden von Lehrkräften wahrgenommen, doch Lehrkräfte regelmäßig und etwa ein Fünftel der nur etwa jede sechste Lehrkraft besucht diese Lehrkräfte holt nie Feedback über den eigenen monatlich oder öfter. Tabelle 3: Häufigkeit verschiedener Kooperationsaktivitäten (kein TALIS-Vergleich möglich) Kooperationsaktivitäten Deutschland nie1 regelmäßig2 Mit Sonderpädagogen meiner Schule zusammenarbeiten3 22 59 Mit meinen Schülern über ihre Lernentwicklung sprechen 4 53 Mit Sozialpädagogen/Sozialarbeitern/Psychologen meiner Schule 21 45 zusammenarbeiten4 Feedback über den Unterricht von meinen Schülern einholen 21 32 Ganze Unterrichtseinheiten oder Projekte mit Kollegen gemeinsam planen 30 20 An fachübergreifenden Konferenzen teilnehmen 22 16 An Fachkonferenzen teilnehmen 7 15 Mit Lehrkräften anderer Schulen zusammenarbeiten 61 9 Anmerkungen: 1 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „jährlich“ und „nie“, 2 Zusammenfassung der Antwortmöglichkei- ten „wöchentlich“ und „monatlich“, 3 n=393 Lehrkräfte, 4 n=802 Lehrkräfte. Quelle: eigene Erhebung. 1 Der Anteil der Lehrkräfte, die mit Sonder- und Sozialpädagogen zusammenarbeiteten, bezieht sich auf diejenigen, an deren Schule selbst ein Sonder- bzw. Sozialpädagoge tätig ist. Lehrkräfte, an deren Schulen keine Sonder- bzw. Sozialpädagogen beschäftigt sind, wurden bei dieser Frage nicht berücksichtigt.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland 17 2.3 Für Kooperationsaktivitäten verbringen Lehrkräfte mit dem Unterrichten aufgewendete Zeit selbst (20 Stunden), gefolgt von Unterrichts- vorbereitungen (8,1 Stunden) und Korrekturen Wie sieht das berufsbezogene wöchentliche von Schülerarbeiten (5 Stunden) (Tabelle 4). Auf Zeitbudget von Lehrkräften aus und welchen die kooperationsbezogenen Tätigkeiten entfal- Raum nehmen darin die Kooperationsaktivitäten len im Durchschnitt 4,9 Stunden pro Woche, ein? Um dies zu erfahren, wurden die Lehrkräfte was 11,5 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit darum gebeten anzugeben, wie viele Stunden ausmacht. Bei Vollzeitlehrkräften liegt dieser sie in der letzten Kalenderwoche (einschließlich Wert bei 5,3 Stunden (11,5 % der Wochenarbeits- der Wochenenden) mit beruflichen Aufgaben zeit), bei Teilzeitlehrkräften sind es vier Stunden verbrachten. Dabei zeigte sich, dass die befrag- (11,7 %). ten Lehrkräfte im Durchschnitt 42,8 Stunden pro Woche arbeiten. Vollzeitkräfte berichten In einer vertiefenden Analyse wurde untersucht, über eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit ob der Zeitumfang, der für Kooperationsaktivi- von 45,8 Stunden, während Teilzeitkräfte eine täten aufgewendet wird, davon abhängt, wie wöchentliche Stundenzahl von 34,5 angeben. viele Stunden Lehrkräfte in der Schule unter- Den weitaus größten Teil dieser Arbeitszeit richten und wie viele Stunden sie an der Schule Tabelle 4: Aufschlüsselung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit nach beruflichen Aufgaben in Stunden Aufgabe Stundenzahl Unterricht 20,0 Individuelle Planung oder Vorbereitung von Unterrichtsstunden 8,1 Korrektur von Schülerarbeiten 5,0 Allgemeine Verwaltungstätigkeit (u. a. Informationsaustausch, 1,2 37,8 Schreibarbeiten und andere Sekretariatsaufgaben) Stunden Mitwirkung beim Schulmanagement (z. B. Funktionsaufgaben) 1,2 (88,5 %) Schülerberatung (u. a. Betreuung von Schülern und Berufsberatung) 1,0 Außerunterrichtliche Angebote 0,5 Andere Aufgaben 0,5 Einrichtung und Wartung von Computern/IT-Administration 0,3 Zusammenarbeit und Besprechung mit Lehrerkollegen an der Schule 2,5 KOOPERATION Informationsaustausch und Zusammenarbeit mit Eltern oder 1,1 4,9 Erziehungsberechtigten Stunden Zusammenarbeit mit weiterem pädagogischem Personal an der (11,5 %) 0,8 Schule (z. B. Sozialpädagogen) Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern (z. B. Vereine, 0,6 Unternehmen, Kultureinrichtungen) Quelle: eigene Erhebung.
18 Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland Tabelle 5: Wöchentliche Arbeitszeit, die für Kooperationsaktivitäten aufgewendet wird, nach Anzahl der Unterrichtsstunden (absolut und prozentual an der Wochenarbeitszeit) Anzahl der Unterrichtsstunden n Kooperationszeit Anteil der Kooperationszeit pro Woche an der Wochenarbeitszeit in Stunden in Prozent bis 10 Stunden 71 5,1 15 11 bis 15 Stunden 137 4,5 12 16 bis 20 Stunden 374 5,4 12 21 bis 25 Stunden 245 5,2 11 26 bis 30 Stunden 152 4,2 9 Quelle: eigene Erhebung. außerhalb des Unterrichts präsent sind. Es kann ihrer Zeit in die Zusammenarbeit mit anderen angenommen werden, dass die verfügbare Zeit Personen investieren und erst bei einer hohen eine wesentliche Voraussetzung für Kooperati- Lehrbelastung diesen Anteil reduzieren. onsaktivitäten darstellt. Bei einem hohen Stun- dendeputat bzw. bei geringen Präsenzzeiten Bei der Betrachtung der Präsenzzeiten zeigte außerhalb des Unterrichts sind die persönlichen sich, dass bei steigender Präsenzzeit außerhalb Zeitressourcen für Kooperationen eingeschränkt. des Unterrichts nicht nur der prozentuale Anteil Und in der Tat: Mit zunehmendem Unterrichts- der Arbeitszeit für Kooperationsaktivitäten von deputat verringert sich der prozentuale Anteil sieben auf 15 Prozent ansteigt, sondern auch die der Arbeitszeit, der für Kooperationsaktivitäten absolute Kooperationszeit von 2,3 Stunden auf aufgewendet wird, von 15 auf neun Prozent der acht Stunden (Tabelle 6). Somit erhöht sich die Arbeitszeit (Tabelle 5). Die absolute Stundenzahl, reale Kooperationszeit um mehr als das Dreifa- die für Kooperationen pro Woche aufgewendet che, wenn Lehrkräfte nicht nur wenige Stunden, wird, verringert sich insbesondere bei einem sehr sondern über die Hälfte ihrer wöchentlichen Ar- hohen Deputat ab 26 Unterrichtsstunden. Dies beitszeit (d. h. 20 Stunden) auch an der Schule deutet darauf hin, dass Lehrkräfte unabhängig präsent sind. von ihrer Lehrbelastung einen bestimmten Teil Tabelle 6: Wöchentliche Arbeitszeit, die für Kooperationsaktivitäten aufgewendet wird, nach Anzahl der Präsenzstunden in der Schule (absolut und prozentual an der Wochenarbeitszeit) Anzahl der Präsenzstunden an der n Kooperationszeit Anteil der Kooperationszeit Schule zusätzlich zum Unterricht an der Wochenarbeitszeit in Stunden in Prozent 0 bis 4 Stunden 192 2,3 7 5 bis 9 Stunden 313 4,1 10 10 bis 14 Stunden 226 5,6 13 15 bis 19 Stunden 137 6,2 13 über 20 Stunden 147 8,0 15 Quelle: eigene Erhebung.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland 19 2.4 Formen der Kooperation Arbeitsaufwand. Aus diesem Grund findet sich diese Form der Kooperation eher selten im schu- In der Forschung zur Kooperation zwischen lischen Alltag. Zu den kokonstruktiven Formen Lehrkräften finden sich verschiedene Modelle, der Zusammenarbeit gehört beispielsweise der die unterschiedliche Formen der Kooperation gegenseitige Unterrichtsbesuch (kollegiale Hos- beschreiben. Ein prominentes Modell, das von pitation) mit anschließendem Feedback oder die Gräsel, Fussangel und Pröbstel (2006) entwickelt gemeinsame Planung ganzer Unterrichtseinhei- wurde, unterscheidet drei Niveaustufen: (1) Aus- ten. tausch, (2) arbeitsteilige Kooperation und (3) die Kokonstruktion. Als Austausch lassen sich solche Zur empirischen Untersuchung der verschie- Kooperationsaktivitäten bezeichnen, bei denen denen Niveaustufen wurden die Lehrkräfte in Informationen oder Materialien weitergegeben dieser Studie befragt, welche Formen der Zu- werden. Diese Art der Zusammenarbeit erfordert sammenarbeit an der eigenen Schule etabliert keine Abstimmung auf ein gemeinsames Ziel, sie sind. Hierfür wurde den Lehrkräften eine Liste ermöglicht eine hohe Autonomie für alle Betei- von Aktivitäten vorgelegt, für die sie einschätzen ligten und setzt keine besondere Vertrauensba- sollten, ob diese an der eigenen Schule vorkom- sis voraus. Beispiele hierfür sind der Austausch men oder nicht. Da in dieser Liste Aktivitäten aus von Arbeitsblättern oder die Weitergabe von In- allen drei Niveaustufen des Kooperationsmodells formationen aus der letzten besuchten Fortbil- von Gräsel und Kollegen (2006) enthalten waren, dungsveranstaltung. kann in der nachfolgenden Analyse dargestellt werden, in welchem Umfang die verschiedenen Als die nächsthöhere Stufe der Kooperation wird Niveaustufen der Kooperation in der Schule re- die arbeitsteilige Kooperation angesehen. Diese präsentiert sind. Form der Zusammenarbeit setzt voraus, dass die zu bearbeitende Aufgabe eine Arbeitsteilung zu- Detailanalysen (Anhang T2) zeigen, dass die lässt. Bei arbeitsteiligen Prozessen bedarf es der überwiegende Mehrheit der Lehrkräfte einen Abstimmung auf ein gemeinsames Ziel und Ab- regen Informationsaustausch unter den Lehr- sprachen darüber, wie es erreicht werden kann. kräften an der Schule erlebt. Jeweils etwa 90 Pro- Hierfür ist gegenseitiges Vertrauen bezüglich zent der befragten Personen berichten, dass sich der Erledigung der Aufgabe erforderlich, jedoch das Kollegium über Inhalte von Fortbildungen bleiben die Beteiligten in der Ausführung der austauscht und sich gegenseitig über Stärken Teilaufgaben weitgehend autonom. Beispiele und Schwächen von Schülern informiert. Eine für diese Form der Zusammenarbeit bilden die ebenfalls große Mehrheit von circa 77 Prozent Erstellung und die Korrektur von Prüfungen, die berichtet davon, dass sie regelmäßig Materia- arbeitsteilige Vorbereitung von Unterrichtsein- lien austauscht und sich auch Empfehlungen heiten sowie die Planung und Umsetzung von für hilfreiche Literatur gibt. Häufig ausgeprägt Förderangeboten für einzelne Schüler. sind auch Kooperationsformen, die der Arbeits- teilung zugeordnet werden können. Eine deut- Die höchste Stufe der Kooperation stellt die Ko- liche Mehrheit der Lehrkräfte (zwischen 75 % konstruktion dar. Bei dieser Form der Zusammen- und 79 %) erlebt, dass sich Lehrkräfte über fach- arbeit nutzen die Beteiligten ihre Kompetenzen, liche und fachübergreifende Förderangebote von um sich gemeinsam neues Wissen anzueignen, Schülern abstimmen und darüber verständigen, ein Problem gemeinsam zu lösen oder ein Pro- wie die Inhalte der jahrgangsspezifischen Curri- dukt zu entwickeln. Die Zusammenarbeit fällt cula aufeinander aufbauen. Arbeitsformen der hier intensiver aus als bei der arbeitsteiligen Kokonstruktion wurden ebenfalls von den Lehr- Kooperation und sie erfordert einen höheren kräften berichtet, jedoch in Teilen deutlich sel-
20 Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland tener als auf dem Kooperationsniveau des Aus- liche Bearbeitung von Aufgaben voraussetzen, tauschs oder der Arbeitsteilung. Nur zwei Drittel deutlich seltener zu beobachten sind als Formen der Lehrkräfte stellen fest, dass eine intensive Zu- des Informations- bzw. Materialaustauschs. sammenarbeit in fachbezogenen Teams besteht und dass fächerübergreifend an gemeinsamen Zur Beurteilung, in welchem Ausmaß Kooperati- Themen gearbeitet wird. Noch seltener berichten on auf den einzelnen Niveaustufen stattfindet, die Lehrkräfte davon, dass sie zur Bewältigung wurden die Angaben für die einzelnen Aktivitä- beruflicher Probleme gemeinsam Strategien ent- ten jeweils pro Niveaustufe zusammengefasst. wickeln (45 %) und mit Kollegen anderer Schulen Somit lässt sich etwas über den Anteil der Lehr- den eigenen Unterricht fachlich und methodisch kräfte aussagen, die Kooperationsaktivitäten auf weiterentwickeln (25 %). Insbesondere bei den der jeweiligen Stufe an ihrer Schule wahrneh- beiden letzten Aktivitäten fällt der Anteil derer, men. Die zusammengefassten Angaben in Ab- die dies voll und ganz befürworten, sehr gering bildung 1 zeigen, dass Formen des Austauschs aus. Insgesamt machen diese Befunde deutlich, häufiger berichtet werden (82 % Zustimmung) dass kooperative Arbeitsformen, die zeit- und als Formen der Arbeitsteilung (77 %) und der Ko- ressourcenintensiv sind und die gemeinschaft- konstruktion (50 %). Abbildung 1: Wahrnehmung von Kooperationsaktivitäten auf den drei Niveaustufen der Kooperation an der eigenen Schule 50 % 77 % Kokonstruktion z. B. fachbezogene oder 82 % Arbeitsteilung fachübergreifende Arbeit in Teams z. B. Absprachen über Austausch individuelle Förderung, übergreifende Abstimmung von Inhalten und Zielen z. B. Austausch von Materialien oder Literaturempfehlungen Anmerkung: Bei jeder Frage wurden die Antwortoptionen „trifft eher zu“ und „trifft voll und ganz zu“ zunächst zusammengefasst und anschließend über alle Kooperationsaktivitäten der jeweiligen Niveaustufe gemittelt. Quelle: eigene Erhebung.
Unterschiede im Kooperationsverhalten von Lehrkräften je nach individuellen Merkmalen 21 3Unterschiede im Kooperations verhalten von Lehrkräften je nach individuellen Merkmalen D ieses Kapitel nimmt individuelle Unter- von sehr erfahrenen Lehrkräften verglichen. Die schiede des Kooperationsverhaltens in Berufseinsteiger weisen eine Unterrichtserfah- den Blick und betrachtet dabei zum einen rung von bis zu fünf Jahren auf, während die er- die Häufigkeit einzelner Kooperationsaktivitä- fahrenen Lehrkräfte mindestens 30 Jahre Unter- ten (siehe Abschnitt 2.2) und zum anderen die richtserfahrung mitbringen. Beim Vergleich der drei beschriebenen Kooperationsformen (siehe beiden Gruppen zeigt sich, dass Berufseinsteiger Abschnitt 2.4). In einem ersten Schritt werden häufiger regelmäßig als Team in der Klasse un- in diesem Kapitel Unterschiede hinsichtlich aus- terrichten, ganze Unterrichtseinheiten häufiger gewählter demografischer Merkmale berichtet. gemeinsam planen, über die Lernentwicklung Anschließend folgt eine Betrachtung, wie pro- der Schüler sprechen und auch häufiger Mate- fessionsbezogene Merkmale mit dem Kooperati- rial austauschen. Dieses Ergebnis weist darauf onsverhalten in Verbindung stehen. hin, dass insbesondere die wenig erfahrenen Lehrkräfte die Unterstützung anderer Kollegen in 3.1 Unterschiede nach Geschlecht, Anspruch nehmen, um ihren eigenen Unterricht Berufserfahrung und Region weiterzuentwickeln. Erfahrene Lehrkräfte weisen nur in einzelnen Bereichen (z. B. beim Einholen Zu den demografischen Merkmalen, die in dieser von Feedback von den Schülern) eine marginal Untersuchung genauer betrachtet werden, gehö- höhere Kooperationsintensität auf. ren das Geschlecht der Lehrkraft, die Berufserfah- rung und die Region, in der sie unterrichtet. Für Der Vergleich zwischen Lehrkräften an ost- und diese drei Merkmale wird im Folgenden berichtet, westdeutschen Schulen weist zum Teil auf sehr welcher Anteil der Lehrkräfte regelmäßig, also deutliche Unterschiede in den Kooperationsakti- mindestens monatlich, jeweils eine bestimmte vitäten hin. Zum einen wird deutlich, dass ein hö- Form der Zusammenarbeit ausübt. Nur für we- herer Anteil der ostdeutschen Lehrkräfte regel- nige Kooperationsaktivitäten sind deutliche Ge- mäßig Feedback über den Unterricht von ihren schlechterunterschiede zu beobachten (Anhang Schülern einholt und mit ihnen über ihre Lern T4). Hinsichtlich spezifischer Kooperationsaktivi- entwicklung spricht. Darüber hinaus zeichnen täten fällt auf, dass Frauen stärker regelmäßig sich die ostdeutschen Lehrkräfte dadurch aus, mit sonderpädagogischem bzw. mit sozialpäda- dass sie häufiger mit Sonder- und Sozialpädago- gogischem Personal zusammenarbeiten und in gen zusammenarbeiten. In den westdeutschen einem höheren Maße Unterrichtsmaterial aus- Ländern berichten die Lehrkräfte häufiger davon, tauschen. Für die anderen Bereiche zeigen sich dass sie als Team in einer Klasse unterrichten nur marginale oder gar keine Unterschiede. Um und Unterrichtseinheiten oder Projekte gemein- die Rolle der Unterrichtserfahrung für das Ko- sam planen. Diese Befunde geben erste Hinwei- operationsgeschehen zu betrachten, wurde eine se, dass in ost- und westdeutschen Schulen un- Gruppe von Berufseinsteigern mit einer Gruppe terschiedliche Kooperationskulturen bestehen.
Sie können auch lesen