LEHRERKOOPERATION IN DEUTSCHLAND - Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I - Deutsche ...

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Dirk Richter
Hans Anand Pant

LEHRERKOOPERATION
IN DEUTSCHLAND
Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen
bei Lehrkräften der Sekundarstufe I
LEHRERKOOPERATION
IN DEUTSCHLAND
Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen
bei Lehrkräften der Sekundarstufe I

Autoren

Dirk Richter,
Bergische Universität Wuppertal

Hans Anand Pant,
Humboldt-Universität zu Berlin,
Deutsche Schulakademie
Inhalt                                                                                                  5

Inhalt

Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern                                                    6

Zusammenfassung zentraler Befunde                                                                   8

1.        Einleitung                                                                               10

2.        Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland                                          13

          2.1 Einstellungen zur Lehrerkooperation in der Schule                                    13
          2.2 Kooperation von Lehrkräften im nationalen und internationalen Vergleich              14
          2.3 Für Kooperationsaktivitäten aufgewendete Zeit                                        17
          2.4 Formen der Kooperation                                                               19

3.        Unterschiede im Kooperations­verhalten von Lehrkräften je nach individuellen Merkmalen   21

          3.1 Unterschiede nach Geschlecht, Berufserfahrung und Region                             21
          3.2 Unterschiede nach Professionsmerkmalen                                               22

4. Unterschiede im Kooperations­verhalten von Lehrkräften je nach institutionellem Kontext         26

          4.1 Unterschiede nach strukturellen und schulorganisatorischen Merkmalen                 26
          4.2 Unterschiede in Abhängigkeit der Zusammensetzung der Schülerschaft an der Schule     30

5.        Unterschiede im Kooperations­verhalten von Lehrkräften je nach schulischen
          Rahmenbedingungen                                                                        32

6. Fazit und Empfehlungen                                                                          35

Summary of key findings                                                                            38

Literatur                                                                                          40

Tabellenanhang                                                                                     42

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis                                                                58

Über die Autoren                                                                                   60

Impressum                                                                                          61
6                                                                       Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern

VORWORT

Lehrkräfte auf dem Weg
zu Teamspielern
          T
                 eamarbeit ist in der heutigen Arbeitswelt       Die bisherige Forschung gibt viele Hinweise
                 von der Ausnahme zum Normalfall gewor-          darauf, dass eine intensive Zusammenarbeit
                 den. Dies gilt zunehmend auch für den           den Lehrkräften hilft, diese Herausforderungen
          Bereich der Schule, in dem deutschlandweit über        konstruktiv zu bewältigen. So sehen auch die
          750.000 Lehrkräfte arbeiten. Gleichwohl ist das        Studienautoren in einer stärkeren Teamarbeit
          Bild vom Lehrer als Einzelkämpfer genauso hart-        zwischen Lehrkräften einen Erfolgsfaktor für
          näckig wie das Klischee über angeblich mangeln-        gute Schule, die gerade angesichts wachsender
          de Motivation und Einsatzfreude von Lehrern.           Heterogenität im Schulsystem an Bedeutung
                                                                 gewinnt. Deshalb steht Kooperation im Fokus
          Die vorliegende Studie der Bildungsforscher Dirk       der Umfrage und der Studie von Dirk Richter und
          Richter von der Bergischen Universität Wupper-         Hans Anand Pant.
          tal und Hans Anand Pant von der Humboldt-Uni-
          versität zu Berlin sowie der Deutschen Schulaka-       Die Befunde sind zunächst erfreulich. Die Lehrer
          demie beruht auf einer repräsentativen Umfrage         lieben ihren Beruf. 80 Prozent bezeichnen sich
          unter mehr als 1000 Lehrkräften. Sie erlaubt em-       als hoch motiviert, 76 Prozent sind sehr zufrie-
          pirisch fundierte Einblicke in die Realität von Leh-   den in ihrem Job. Nur sechs Prozent klagen über
          rern in Deutschland. Als Bertelsmann Stiftung,         große Erschöpfung. Besonders positiv äußern
          Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und           sich diejenigen Lehrkräfte, die eng mit Kollegen
          Deutsche Telekom Stiftung haben wir die Umfra-         kooperieren. Weiterhin erfreulich: Lehrkräfte
          ge und die Studie anlässlich des internationalen       haben eine positive Einstellung zur Kooperati-
          Gipfels für den Lehrerberuf in Auftrag gegeben.        on mit anderen Lehrkräften sowie mit anderen
          Dieser Gipfel findet Anfang März 2016 zum ers-         pädagogischen Fachkräften, Eltern und außer-
          ten Mal in Deutschland statt. Als Stiftungen, die      schulischen Partnern. Rund fünf Stunden von
          seit vielen Jahren im Bildungsbereich tätig sind,      durchschnittlich 43 Stunden Wochenarbeitszeit
          unterstützen wir die Kultusministerkonferenz           wenden Lehrer nach eigenen Angaben für Ko-
          gern bei der Ausrichtung dieser international be-      operationen auf. 97 Prozent der Lehrer finden
          achteten Konferenz. Die Vielfalt in den Klassen-       es wichtig, mit Kollegen zusammenzuarbeiten,
          zimmern nimmt zu – dabei kommen mehrere                und für 87 Prozent lohnt sich der Aufwand. Auch
          Faktoren zusammen: die Bemühungen um ein               für außerschulische Partner ist die Mehrheit der
          inklusives Schulsystem, sinkende Schülerzahlen         Lehrkräfte aufgeschlossen.
          und die daraus folgende Notwendigkeit alters-
          heterogener Lerngruppen, der Trend zu einem            Wenn es um die Form der Kooperation geht, er-
          zweigliedrigen Schulsystem und die anhaltende          gibt sich ein differenzierteres Bild. Zwar zeigt
          und aktuell stark steigende Einwanderung nach          sich, dass Lehrkräfte sich häufig austauschen,
          Deutschland. Dieser Vielfalt gerecht zu werden         wenn es um Unterrichtsmaterialien oder Schüler
          und dafür Sorge zu tragen, dass Schüler faire Bil-     (82 Prozent) und die Arbeitsteilung unter Kolle-
          dungschancen haben, fordert Lehrkräfte heute           gen (77 Prozent) geht. Die Studie macht aber
          besonders heraus.                                      auch deutlich, dass komplexere Formen der Zu-
                                                                 sammenarbeit weniger verbreitet sind. So be-
Vorwort – Lehrkräfte auf dem Weg zu Teamspielern                                                                                7

richten nur 50 Prozent der Lehrer davon, intensiv   sialen Schulformen häufiger zusammen als an
in Fachteams zusammenzuarbeiten. Weniger als        Gymnasien. Dasselbe gilt auch für gebundene
ein Viertel der Lehrer unterrichtet häufiger auch   Ganztagsschulen im Vergleich zu Halbtagsschu-
im Team (23 Prozent), nur jeder zehnte Lehrer       len oder offenen Ganztagsschulen.
hospitiert häufiger im Unterricht anderer Lehrer
(neun Prozent). Die Feedback-Kultur innerhalb       Wichtige Erkenntnisse liefert die Studie nicht
des Kollegiums ist noch wenig ausgeprägt. „Ein      zuletzt über die Gelingensbedingungen von Ko-
Großteil der Lehrkräfte in Deutschland erhält       operation unter Lehrkräften. Als förderlich für
keine oder nur sehr wenige Einblicke in den         eine enge und intensive Teamarbeit benennen
Unterricht anderer Kollegen”, folgern die Studi-    Richter und Pant die Unterstützung durch die
enautoren. Im Verhältnis Lehrer – Schüler spielt    Schulleitung, fest installierte Teamarbeitszeiten
Feedback hingegen heute schon eine wichtige         und etablierte Strukturen für jahrgangsinterne
Rolle: 53 Prozent der Lehrer geben ihren Schü-      und -übergreifende sowie fachbezogene und
lern regelmäßig Rückmeldung über deren Lern­        -übergreifende Abstimmungen.
entwicklung. Die Meinungen der Schüler zum
Unterricht hingegen fragt nur jeder dritte Lehrer   Eine intensive Kooperation von Lehrern geht
regelmäßig ab.                                      nicht nur mit deren Kompetenzaufbau, Effizienz
                                                    und Gesundheit einher. Teamarbeit im Lehrerkol-
Die Studie ermöglicht erstmals auch internatio-     legium – unter Einbezug anderer Professionen
nale Vergleiche in Bezug auf die Lehrerkooperati-   wie Sozialarbeiter und Schulpsychologen – ist
on. Fragen aus der internationalen TALIS-Lehrer­    ein Schlüssel dafür, mit der wachsenden Vielfalt
studie, an der sich Deutschland bisher nicht        in den Schulklassen umzugehen und Schüler
beteiligt hat, wurden dafür in die Umfrage auf-     besser individuell fördern zu können.
genommen. Die Befunde weisen darauf hin, dass
die Zusammenarbeit der Lehrkräfte in Deutsch-       Wir danken den Autoren Dirk Richter und Hans
land weniger intensiv ist als in anderen Ländern.   Anand Pant für ihre hervorragende Arbeit und
In Deutschland unterstützen sich mehr Lehrer        hoffen, dass die Studie einen Impuls gibt, die Po-
gegenseitig mit Unterrichtsmaterialien als im       tenziale von Kooperationen in der Schule weiter
OECD-Mittelwert (62 zu 46 Prozent). Bei fachli-     auszubauen und zu nutzen.
chen oder pädagogischen Diskussionen über die
Lernentwicklung von Schülern (50 zu 62 Prozent)
oder gemeinsamen Bewertungsstandards (33 zu
41 Prozent) fällt Deutschland hinter den interna-
tionalen Durchschnitt zurück.

Ein weiterer wichtiger Befund der Studie ist die
Erkenntnis, dass die Zusammenarbeit in Schulen             Jörg Dräger                               Uta-Micaela Dürig
mit Inklusionsangebot besonders ausgeprägt                 Vorstandmitglied                          Geschäftsführerin
ist. Inklusion unterstützt also Kooperation, von           Bertelsmann Stiftung                      Robert Bosch Stiftung

der alle Schüler profitieren: Je höher der Anteil
von Schülern mit sonderpädagogischem Förder-
bedarf, desto häufiger und intensiver arbeiten
Lehrer auch konzeptionell zusammen. Weitere
beeinflussende Faktoren bei der Häufigkeit von
Zusammenarbeit sind Schul- und Organisations-
formen. So arbeiten Lehrkräfte an nicht-gymna-
                                                           Winfried Kneip                            Ekkehard Winter
                                                           Geschäftsführer                           Geschäftsführer
                                                           Stiftung Mercator                         Deutsche Telekom Stiftung
8                                                                            Zusammenfassung zentraler Befunde

Zusammenfassung
zentraler Befunde
      1.  Lehrkräfte sind der Kooperation mit ande-       3.  Stärken und Schwächen im Kooperations-
           ren Lehrkräften und weiteren schulischen             verhalten von Lehrkräften in Deutschland im
           Akteuren grundsätzlich positiv gegenüber             internationalen Vergleich.
           eingestellt.
                                                           Beim Vergleich des Kooperationsverhaltens von
      Über 90 Prozent der Lehrkräfte halten es für         Lehrkräften in Deutschland mit den Befunden der
      wichtig, mit anderen Lehrkräften zusammen-           internationalen Lehrkräftebefragung TALIS (Tea-
      zuarbeiten und sich kollegial bei Problemen zu       ching and Learning International Survey; OECD
      helfen. Auch der Kooperation mit Vereinen, Un-       2014a) zeigt sich, dass Lehrkräfte in Deutschland
      ternehmen und Kultureinrichtungen steht die          häufiger als im OECD-Durchschnitt regelmäßig
      Mehrheit der Lehrkräfte positiv gegenüber. Etwa      Materialien austauschen und an fach- und jahr-
      drei Viertel der Lehrkräfte haben bereits Erfah-     gangsübergreifenden Aktivitäten (z. B. im Rah-
      rungen in einer solchen Zusammenarbeit sam-          men von Projektunterricht) teilnehmen. Deutlich
      meln können.                                         seltener als im OECD-Durchschnitt sprechen
                                                           Lehrkräfte regelmäßig über die Lernentwicklung
                                                           ihrer Schülerinnen und Schüler oder erarbeiten
      2.  Lehrkräfte tauschen häufig Materialien und
                                                           gemeinsam Standards zur Leistungsbewertung.
           Informationen aus, komplexere Formen
           der Zusammenarbeit sind jedoch selten zu
           beobachten.                                     4.  Hohe Motivation und Zufriedenheit im Beruf
                                                               und in der Regel geringe Überlastung.
      Etwa 60 Prozent der Lehrkräfte tauschen regel-
      mäßig Lehr- und Unterrichtsmaterialien unterei-      Hinsichtlich einiger Merkmale des Wohlbefin-
      nander aus. Auch der Austausch von Informati-        dens und der psychischen Lehrergesundheit er-
      onen (z. B. über Inhalte von Fortbildungen oder      gibt sich ein positives Bild bei den Lehrkräften
      Vertretungsstunden) wird von der überwiegen-         der Sekundarstufe I. Sie berichten überwiegend
      den Mehrzahl der Lehrkräfte berichtet. Kom­          über ein durchschnittliches bis hohes Kompe-
      plexere Formen der Zusammenarbeit, wie z. B.         tenzerleben, einen hohen Enthusiasmus für das
      die gemeinsame Unterrichtsplanung oder das           Unterrichten, eine hohe Berufszufriedenheit und
      gemeinsame Unterrichten, finden nur bei etwa         ein geringes Erschöpfungserleben. Die Gruppe
      20 Prozent der Lehrkräfte statt. Noch seltener be-   derer, die über eine hohe emotionale Erschöp-
      richten Lehrkräfte davon, dass sie regelmäßig bei    fung klagen, umfasst lediglich sechs Prozent der
      anderen Lehrkräften hospitieren und Feedback         Lehrkräfte.
      geben (neun Prozent). Dies macht deutlich, dass
      zeitintensive Kooperationsaktivitäten, bei denen
                                                           5.  Intensiveres Kooperationsverhalten bei mo-
      gemeinsam ein Problem gelöst oder etwas Neu-
                                                                tivierten, zufriedenen und wenig belasteten
      es erarbeitet wird, sehr selten stattfinden.
                                                                Lehrkräften.

                                                           Lehrkräfte, die sich selbst als kompetent erleben,
                                                           Freude am Unterrichten haben, mit dem Beruf
                                                           zufrieden sind und wenig emotionale Erschöp-
Zusammenfassung zentraler Befunde                                                                        9

fung wahrnehmen, kooperieren in der Regel häu-      offenen Ganztagsschulen mit den Halbtags-
figer. Dies zeigt sich insbesondere für den Aus-    schulen zeigen sich keine oder nur marginale
tausch mit den Schülerinnen und Schülern über       Unterschiede in der Kooperationsaktivität. Dies
ihre Lernentwicklung und den Unterricht sowie       deutet darauf hin, dass vor allem an vollgebun-
für die Weitergabe von Lehr- und Unterrichtsma-     denen Ganztagsschulen günstige Bedingungen
terial. Komplexere Formen der Zusammenarbeit,       für Kooperationen gegeben sind.
wie z. B. die gemeinsame Unterrichtsplanung,
werden häufiger von den Lehrkräften berichtet,
                                                    8.  Häufig ungünstige Rahmenbedingungen
die sich auch als kompetent im Unterrichten
                                                         zur Schaffung von komplexen Kooperations-
erleben und generell zufrieden mit ihrer Arbeit
                                                         strukturen an Schulen.
sind. Kooperationsaktivitäten scheinen daher
nicht zu einer stärkeren Belastung beizutragen.     Weniger als die Hälfte der Lehrkräfte berichtet
                                                    davon, dass der Stundenplan und die Zeitpläne
                                                    nach dem Unterricht Freiräume für die gemein-
6.  Lehrkräfte an Schulen mit Inklusionsangebot
                                                    same Zusammenarbeit bieten und dass ausrei-
     weisen starkes Kooperationsverhalten auf.
                                                    chend Arbeitsräume für die gemeinsame Team-
An Schulen mit Inklusionsangebot arbeiten           arbeit zur Verfügung stehen. Dementsprechend
Lehrkräfte erwartungskonform häufiger mit           ist die Mehrheit des Kollegiums an vielen Schu-
Sonder- und Sozialpädagogen zusammen und            len nach dem Unterricht nicht mehr präsent.
unterrichten häufiger regelmäßig im Team.           Trotz der ungünstigen zeitlichen und materiel-
Aber auch andere Formen des Austauschs, wie         len Rahmenbedingungen nimmt die Mehrheit
die Weitergabe von Material, das Gespräch über      der befragten Lehrkräfte jedoch auch wahr, dass
die Lernentwicklung mit den Schülerinnen und        sich die Schulleitungen für die Zusammenarbeit
Schülern und die Erarbeitung von Bewertungs-        zwischen den Lehrkräften einsetzen und gute
standards finden an Inklusionsschulen häufiger      Koordinationsstrukturen zur Organisation der
statt. Ferner zeigt sich, dass die Kooperations­    Unterrichts­arbeit bestehen.
aktivitäten dann zunehmen, wenn der Anteil der
Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogi-
                                                    9.  Zeit, Koordinationsstrukturen und Unter-
schem Förderbedarf steigt. Dies weist darauf hin,
                                                         stützung durch die Schulleitung begünstigen
dass Inklusion möglicherweise als Katalysator
                                                         Kooperation an Schulen.
für die Etablierung kooperativer Arbeitsbezie-
hungen dient. Dabei beschränkt sich die Koope-      Einige schulorganisatorische Rahmenbedingun-
ration nicht nur auf einen erhöhten Austausch       gen stehen deutlich mit dem berichteten Koope-
von Informationen, sondern umfasst auch häu-        rationsverhalten der Lehrkräfte in Verbindung.
figer komplexe und zeitintensive Formen der Zu-     Vor allem die Berücksichtigung von Teamarbeits-
sammenarbeit.                                       zeiten im Stundenplan, die Etablierung von Ko-
                                                    ordinationsstrukturen zur Abstimmung der Un-
                                                    terrichtsarbeit und die Unterstützung durch die
7.  Mehr kooperatives Verhalten an vollgebunde-
                                                    Schulleitung scheinen sich positiv auf das Koope-
     nen Ganztagsschulen.
                                                    rationsverhalten auszuwirken. Dies deckt sich mit
Lehrkräfte an vollgebundenen Ganztagsschulen        dem Befund, dass Lehrkräfte, die auch nach dem
unterscheiden sich im Kooperationsverhalten in      Unterricht längere Zeit an der Schule präsent sind,
Teilen stark von Lehrkräften an Halbtagsschulen.    mehr Zeit in Kooperationsaktivitäten investieren.
Mehr Aktivitäten zeigen sich insbesondere beim      Die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen
Team-Teaching, bei der gemeinsamen Vorberei-        (z. B. Arbeitsräume für die Teamarbeit) hängt ent-
tung von Unterricht und bei der kollegialen Hos-    gegen der Erwartung nicht oder nur in geringerer
pitation. Beim Vergleich der teilgebundenen bzw.    Form mit dem Kooperationsverhalten zusammen.
10                                                                                                   Einleitung

1Einleitung
       L
            iest man die Anforderungsprofile in Stellen-      nahmen zur Erhöhung von Rechenschaftspflicht
            anzeigen, so findet man kaum noch ein Be-         (Accountability) mit Maßnahmen einer erweiter-
            rufsfeld, in dem nicht Teamfähigkeit als ein      ten Autonomie der Einzelschule. Schulen werden
        zentrales Profilmerkmal von Bewerberinnen und         infolge einer stärkeren Dezentralisierung von Ent-
        Bewerbern erwünscht oder sogar gefordert wird.        scheidungszuständigkeiten zu eigenständigen
        Dies gilt für den privaten Arbeitsmarkt ebenso        Steuerungsakteuren (Thiel 2008). Damit haben
        wie für viele Stellen im öffentlichen oder staat-     sich auch die Anforderungen an das professio-
        lichen Bereich. Die Fähigkeit, sich in bestehende     nelle Selbstverständnis und Handeln von Schul-
        Teamstrukturen einzupassen und konstruktiv            leitungen und Lehrkräften erheblich gewandelt.
        mit Kolleginnen und Kollegen berufliche Anfor-
        derungen und Probleme zu bewältigen, gilt in-         In der Logik eines Modells der professionellen
        zwischen als unabdingliche Metaqualifikation          Selbstregulierung zählen die gemeinschaftliche
        moderner Arbeitswelten.                               Verständigung über die Ziele schulischer Arbeit,
                                                              z. B. im Rahmen einer Leitbildentwicklung, der
        Das Berufsfeld Schule schien lange Zeit von die-      Schulprogrammarbeit oder der Entwicklung ei-
        ser Entwicklung abgeschnitten. Im Gegenteil:          nes schuleigenen Curriculums, die Peer-Evalua-
        Eine Kultur der pädagogischen Unabhängigkeit          tion selbstgesteckter Entwicklungsziele sowie
        und der Handlungsautonomie prägte weitge-             eine kollaborative Unterrichtsentwicklung nun-
        hend das Selbstverständnis und das unterrichtli-      mehr zum Kernbestand eines neuen professi-
        che Wirken von Lehrkräften. Typisch ist das (Zerr-)   onellen Selbstverständnisses (Thiel, Cortina &
        Bild des Lehrers, der die Tür des Klassenzimmers      Pant 2014, S. 142).
        hinter sich schließt und niemandem außer sich
        selbst Rechenschaft über das Geschehen im Un-         Neben den genannten neuen Steuerungskonzep-
        terricht sowie über die erzielten pädagogischen       ten kamen in den letzten Jahren weitere Entwick-
        Erfolge abgab und abgeben musste. Zu den in-          lungen im Bildungssystem hinzu, die die Koopera-
        dividuell belastenden Kehrseiten der Autono-          tion unter Lehrkräften zu einer immer dringlicher
        mie zählten Einzelkämpfertum bis hin zu Phä-          erscheinenden Notwendigkeit werden lassen. So
        nomenen der intellektuellen und menschlichen          ist die Schülerschaft in deutschen Klassenzim-
        Vereinsamung. Die kollegial geteilte Vorstellung      mern erheblich heterogener zusammengesetzt
        bestand oftmals eher in „kollegialen Nichtan-         als noch vor wenigen Jahren. Um individuelles
        griffspakten“ (Schimank 2014, S. 146).                Lernen in heterogenen Gruppen optimal zu er-
                                                              möglichen, so die Grundthese, ist die Zusammen-
        Spätestens seit den für Deutschland enttäu-           arbeit aller mit der Lernentwicklung des Kindes
        schenden Resultaten in der ersten PISA-Studie         befassten pädagogischen Kräfte (Fachlehrkräfte,
        hat sich an diesem Lehrerbild und der Lehrer­         Sonder- und Sozialpädagogen, Schulsozialarbei-
        realität vieles geändert. Im Zuge neuer bildungs-     ter, Schulpsychologen) erforderlich.
        politischer Steuerungskonzepte haben in den
        zurückliegenden zwei Jahrzehnten viele Staaten        Für die zunehmende Heterogenität im deut-
        und auch Deutschland Elemente des sogenann-           schen Bildungssystem sind verschiedene Fakto-
        ten New Public Management sowie des Modells           ren verantwortlich, die sich teilweise überlagern
        evidenzbasierter Steuerung eingeführt. Diese          und verstärken: (1) Der regional zum Teil massive
        neuen Steuerungskonzepte verknüpfen Maß-              Rückgang der Schülerzahlen ist mit dafür aus-
Einleitung                                                                                              11

schlaggebend, dass altersheterogene Lerngrup-       me pädagogische Grundhaltungen vorhanden
pen in jahrgangsübergreifenden Lernformen bis       sein müssen oder wie groß ein kooperatives
in die Sekundarstufe hinein unterrichtet werden.    Arbeitsnetzwerk sein darf, wird uneinheitlich
(2) Der Trend zur Zweigliedrigkeit des Bildungs-    gesehen. Häufig wird in der wissenschaftlichen
systems in den Bundesländern, bei der neben         Betrachtung noch hinsichtlich struktureller und
dem Gymnasium nur noch eine weitere Schul-          inhaltlicher Aspekte von Lehrerkooperation dif-
art angeboten wird, bedingt eine erhebliche         ferenziert. Strukturell wird zwischen jahrgangs-
Leistungsspreizung in den verbliebenen Schul-       interner bzw. jahrgangsübergreifender (vertika-
formen; dies betrifft nicht nur die nicht-gymna-    ler) Kooperation sowie zwischen fachlicher bzw.
sialen Schularten, sondern aufgrund der stark       fachübergreifender (horizontaler) Kooperation
gestiegenen Gymnasialquote, die inzwischen          unterschieden. Inhaltlich wird der Grad der er-
bundesweit fast 50 Prozent erreicht, eben auch      reichten „Tiefe“ der Kooperation aufgeschlüsselt
das Gymnasium. (3) Schließlich führen die Um-       auf einem Kontinuum von weitgehender Auto-
setzung der UN-Behindertenrechtskonvention          nomie über verschiedene Grade der koordinier-
in inklusive Beschulungsmodelle in den Ländern      ten Handlungsplanung und -ausführung bis hin
sowie (4) der aktuelle Andrang von Kindern mit      zum Austausch über pädagogische Ansätze, teil-
Fluchterfahrung zu einer bisher ungekannten         weise durch Realisierung gemeinsamer Unter-
sozialen, ethnischen, religiösen und leistungs-     richtseinheiten und kollegialer Hospitation und
mäßigen Unterschiedlichkeit der Lernvorausset-      Supervision. Die weiter unten im Abschnitt 2.4
zungen und Lernbedürfnisse in den Schulen. Um       vorgestellte Konzeption der drei Niveaustufen
dieser „neuen Heterogenität“ gerecht werden         der Lehrerkooperation von Gräsel, Fussangel und
zu können, bedarf es aus Expertensicht einer        Pröbstel (2006) schließt hier an.
Vielzahl pädagogischer Konzepte, Unterrichtsar-
rangements, fachdidaktischer Ansätze und prak-      Welche Vorteile und welcher Nutzen, aber auch
tischer Erfahrungen, die nur durch Kommunika-       welche negativen Konsequenzen von Lehrerko-
tion und Austausch im Kollegium – also durch        operation sind nach dem Stand der Forschung
kooperative Arbeitsformen – für möglichst viele     zu erwarten? Hier lassen sich drei Ebenen unter-
verfügbar und einsetzbar werden. Wie Vangrie-       scheiden, auf denen Kooperation in der Schule
ken und Kolleginnen (2015, S. 36) es formulieren:   einen Mehrwert verspricht: (1) für Schülerinnen
„Not collaborating is no longer an option.“         und Schüler, (2) für die Lehrkräfte selbst und (3)
                                                    für die Schule als Organisation. In einer umfang-
Was aber soll unter Lehrerkooperation verstan-      reichen Überblicksarbeit (Metaanalyse) wurde
den werden? Der Blick in die Forschungslitera-      gezeigt, dass das Vorhandensein professioneller
tur offenbart einen erstaunlichen Mangel an         Lerngemeinschaften an Schulen zwar schwach,
präzisen Definitionen. Vielmehr finden sich vor     aber positiv mit dem Leistungsniveau der Schü-
allem im angloamerikanischen Raum unter dem         lerinnen und Schüler zusammenhängt (Lomos,
Überbegriff Teacher Collaboration verschiede-       Hofman & Bosker 2011). Den dahinter liegenden
ne Konzepte wie Teaching Teams, Professionelle      Mechanismus beschreiben einige Studien so: Ko-
Lerngemeinschaften, Communities of Practice         operierende Lehrkräfte verfeinern und erweitern
und viele mehr (vgl. Vangrieken et al. 2015). Im    im Austausch mit Kollegen ihr eigenes fachliches
Kern gemeinsam ist den meisten Vorstellungen,       und fachdidaktisches Repertoire, fühlen sich si-
dass sich Lehrkräfte regelmäßig treffen, um in      cherer in der Vermittlung der Inhalte, werden
gemeinsamer Verantwortung den Lernerfolg            sensibler für die Denkprozesse ihrer Schülerin-
ihrer Schülerinnen und Schüler zu sichern oder      nen und Schüler und werden generell offener für
zu steigern. Wie formalisiert oder eng dabei        evidenzbasierte Unterrichtsmethoden. Weiter-
die Austauschbeziehungen sind, ob gemeinsa-         hin profitieren Schülerinnen und Schüler indirekt
12                                                                                               Einleitung

      von kooperativen Lehrerbeziehungen, wenn sie         heraus, die das Entstehen kooperativer Arbeits-
      selbst sich in kooperativen Lernformen mit ihren     formen im Lehrerkollegium begünstigen bzw.
      Mitschülern betätigen sollen. Hier fungieren ko-     behindern. Hierzu zählen unter vielen anderen
      operative Kollegien als Rollenmodell für die Ler-    ausreichende Zeitgefäße für kooperative Ab-
      nenden.                                              stimmungen, eine geringe Personalfluktuation
                                                           im Kollegium, eine nicht bloß symbolisch, son-
      Die meisten Studien beschäftigen sich mit den        dern instrumentell unterstützende Schulleitung,
      positiven Effekten von Kooperation auf die Leh-      geringer Arbeits- und Standardisierungsdruck
      rerinnen und Lehrer selbst (s. Vangrieken et al.     sowie Wissen und Fertigkeiten zum Aufbau von
      2015). Dazu zählt das Empfinden kooperierender       Teamstrukturen (s. Übersicht bei Vangrieken et
      Lehrerinnen und Lehrer, dass sie effektiver, vari-   al. 2015, S. 30 ff).
      antenreicher und kreativer unterrichten, moti-
      vierter bei der Unterrichtsvorbereitung sind, dass   In dieser kurzen Einführung wurden einige An-
      Gefühle der Entfremdung von der Arbeit und der       sätze und internationale Forschungsergebnisse
      Isolation zurückgehen und insgesamt Selbstbe-        zur Lehrerkooperation zusammengefasst. Eini-
      wusstsein und Arbeitszufriedenheit ansteigen.        ges hiervon findet sich auch im theoretischen
      Diese positiven Effekte gelten offenbar insbe-       Rahmenkonzept der TALIS-Studie wieder (OECD
      sondere für Berufsanfänger und für Lehrkräfte,       2014a). Für Deutschland, dessen 16 Bundesländer
      die es mit herausfordernd zusammengesetzten          sich nicht an TALIS beteiligt haben, lag bislang
      Lerngruppen zu tun haben.                            keine entsprechende Bestandsaufnahme vor, die
                                                           zumindest wichtige Grunddaten zur Lehrerko-
      Auf der Ebene der Schule als Organisation trägt      operation auf breiter empirischer Basis vorhält,
      Lehrerkooperation nach Aussage mehrerer Stu-         die als Ausgangspunkt für vertiefende Analysen
      dien zu verstärkter Innovationsbereitschaft bei,     bzw. weiterführende Studien genutzt werden
      begünstigt schulweit eine stärkere Orientierung      können. Die nachfolgend berichteten Ergebnisse
      auf die Lernergebnisse der Schülerinnen und          unserer Studie schließen diese Lücke.
      Schüler, teilweise vermittelt über eine intensive-
      re Evaluations- und Feedbackkultur, sie lässt Hie-
      rarchien tendenziell verflachen und partizipative
      Strukturen erstarken (s. Vangrieken et al. 2015).

      Aber auch negative Konsequenzen der Lehrerko-
      operation finden sich. So berichten etliche Studi-
      en, dass Lehrkräfte sich in kooperativen Settings
      einem erhöhten Konkurrenz-, aber auch Kon-
      formitätsdruck ausgesetzt fühlen, Autonomie-
      verluste wahrnehmen und ihren Zeitaufwand
      intensivieren mussten. Es werden Phänomene
      der „Kleinstaaterei“ und „geschlossener Gesell-
      schaft“ vor allem in großen Kollegien berichtet.
      Insgesamt ruft eine „von oben verordnete“ Ko-
      operation tendenziell ein erhöhtes Widerstands-
      verhalten auf den Plan.

      Weiterhin kristallisieren sich in der empirischen
      Forschung einige Bedingungen und Faktoren
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland                                                        13

2Grunddaten zur
 Lehrerkooperation in Deutschland
 I
   m Herbst 2015 gab ein Konsortium bestehend         Die Ergebnisse haben auch gezeigt, dass 74 Pro-
   aus der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch     zent der Lehrkräfte Erfahrungen in der außer­
   Stiftung, der Deutschen Telekom Stiftung und       schulischen Zusammenarbeit mit Vereinen, Un-
 der Stiftung Mercator eine Befragung in Auftrag,     ternehmen und Kultureinrichtungen gesammelt
 um repräsentative Erkenntnisse über die Zusam-       haben. Von dieser Gruppe berichtet ebenfalls die
 menarbeit von Lehrkräften zu gewinnen. An der        überwiegende Mehrheit von grundsätzlich posi-
 Umfrage, die durch das Meinungsforschungsin-         tiven Erfahrungen. Aus Sicht der Lehrkräfte be-
 stitut Infratest dimap durchgeführt wurde, nah-      reichern außerschulische Partner die Lehr- und
 men insgesamt 1.015 Lehrkräfte der Sekundarstu-      Lernkultur (95 %), ergänzen den Unterricht um
 fe I teil, die an staatlichen allgemeinbildenden     wichtige Inhalte (91 %), fördern fächerübergrei-
 Schulen unterrichten. Lehrkräfte an Förderschu-      fendes Arbeiten (80 %) und stützen die eigene
 len und Privatschulen wurden nicht befragt. Die      berufliche Weiterentwicklung (70 %). Der zusätz-
 Erhebung wurde als Quotenstichprobe angelegt         liche Mehraufwand, der durch die Einbeziehung
 und durch eine Gewichtung an die amtlichen           außerschulischer Partner entsteht, wird ebenso
 Strukturen angepasst. Die Studie ist damit reprä-    nicht als problematisch angesehen (89 %). Die
 sentativ für Alter, Geschlecht, Region (Ost/West)    positiven Äußerungen der Lehrkräfte gegenüber
 und Schulform.                                       kooperativer Arbeitsformen lassen vermuten,
                                                      dass sich diese Einstellungen auch in einem in-
 2.1  Einstellungen zur Lehrerkooperation            tensiven Kooperationsverhalten niederschlagen.
       in der Schule

 Nahezu alle befragten Lehrkräfte halten es für
 wichtig, mit anderen Lehrkräften zusammenzu-
 arbeiten (97 %) und sich kollegial bei Problemen
 zu helfen (96 %) (Tabelle 1). Auch der zusätzliche
 Aufwand, der durch die Zusammenarbeit mit
 anderen entsteht, wird nicht als problematisch
 angesehen (87 %). Dies macht deutlich, dass
 Lehrkräfte ihre Rolle nicht als Einzelkämpfer auf-
 fassen, obwohl sie ihren Beruf weitestgehend
 allein ausüben. Diese Haltungen finden sich
 gleichermaßen bei Männern und Frauen, bei
 Berufseinsteigern und bei sehr erfahrenen Lehr-
 kräften.
14                                                                                            Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland

Tabelle 1: Prozentualer Anteil von Lehrkräften mit positiven bzw. negativen Einstellungen zur Kooperation

 Positive Einstellung                                                         stimme eher zu                  stimme voll und ganz zu
 Für die Tätigkeit als Lehrer ist es wichtig, mit Kollegen
                                                                                    22                                   75
 zusammenzuarbeiten.
 Kollegiale Hilfe bei Problemen ist ein wichtiger Bestandteil
                                                                                    25                                    71
 der Lehrerarbeit.

 Negative Einstellung                                                      stimme eher nicht zu            stimme überhaupt nicht zu
 Die Kooperation mit Kollegen bedeutet einen hohen Aufwand,
                                                                                    44                                   43
 der sich selten lohnt.
 Die Kooperation in Lehrerkollegien ist nicht notwendig, da die
                                                                                    31                                    57
 einzelne Lehrkraft für ihren Unterricht allein verantwortlich ist.

Quelle: eigene Erhebung.

                               2.2  Kooperation von Lehrkräften im nationalen      Internationale Vergleiche können für die in Tabel-
                                     und internationalen Vergleich                  le 2 aufgeführten Kooperationsaktivitäten vorge-
                                                                                    nommen werden. Im Mittelpunkt steht dabei der
                               Die Kooperationsaktivitäten von Lehrkräften          Vergleich der Angaben aus der aktuell durchge-
                               wurden bereits in der international verglei-         führten Untersuchung und dem OECD-Durch-
                               chenden Lehrkräftebefragung TALIS (Teaching          schnittswert, der in TALIS für alle OECD-Staaten
                               and Learning International Survey) untersucht        ermittelt wurde. Zur Erfassung der Kooperati-
                               (OECD 2014a). Aus dieser Untersuchung liegen         onsaktivitäten gaben Lehrkräfte in TALIS an, wie
                               jedoch keine Daten darüber vor, wie Lehrkräfte in    häufig sie bestimmte kooperative Aktivitäten
                               Deutschland hinsichtlich ihres Kooperationsver-      innerhalb eines Schuljahres durchgeführt ha-
                               haltens im internationalen Vergleich abschnei-       ben. Differenziert wurde hierbei, ob Lehrkräfte
                               den. Die vorliegende Studie zielt deshalb darauf     eine Aufgabe nie, einmal im Jahr oder seltener,
                               ab, Informationen über das Kooperationsverhal-       zwei- bis viermal pro Jahr, fünf- bis zehnmal pro
                               ten von Lehrkräften in Deutschland zu gewinnen       Jahr, ein- bis dreimal pro Monat oder mindes-
                               und diese Befunde international zu vergleichen.      tens einmal pro Woche übernommen haben. Von

                                  Was ist die TALIS-Studie?
                                  Die TALIS-Studie ist eine internationale, von der OECD durchgeführte Befragung von Lehrkräften
                                  und Schulleitern der Sekundarstufe zur Untersuchung der beruflichen Situation und der Arbeits-
                                  bedingungen des Lehrpersonals. Die Untersuchung fand bislang in den Jahren 2008 und 2013
                                  statt und umfasste im letzten Durchgang insgesamt 24 OECD-Staaten und weitere zehn Partner-
                                  staaten. Deutschland befand sich bislang jedoch nicht unter den Teilnehmerländern. Pro Teilneh-
                                  merland wurden aus 200 Schulen jeweils 20 Lehrkräfte und ein Mitglied der Schulleitung mit
                                  einem schriftlichen oder onlinegestützten Fragebogen befragt. In der TALIS-Befragung wurden
                                  u. a. Daten zur Lehreraus- und -fortbildung, zu pädagogischen Überzeugungen, Merkmalen des
                                  Unterrichts, zur professionellen Kompetenz und zur Kooperation zwischen Lehrkräften erhoben.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland                                                                                                       15

diesen sechs Kategorien wurden für diese Un-                   hospitiert und kollegiales Feedback gibt (64 %).
tersuchung jeweils die beiden unteren und obe-                 Mit anderen Worten: Ein Großteil der Lehrkräfte
ren zusammengefasst, um Extremgruppen mit                      in Deutschland erhält keine oder nur sehr wenige
geringen bzw. höheren Kooperationsaktivitäten                  Einblicke in den Unterricht anderer Kollegen.
miteinander zu vergleichen. Die eine Gruppe um-
schließt die Kategorien nie und einmal im Jahr                 Zur Einordnung der Ergebnisse lassen sich
oder seltener, die zweite verbindet die Kategorien             die Vergleichswerte aus der internationalen
ein- bis dreimal pro Monat und mindestens ein-                 TALIS-Befragung 2013 heranziehen. Im internati-
mal pro Woche. Diese Art der Zusammenfassung                   onalen Vergleich tauschen deutlich mehr Lehr-
erschien vor allem deshalb angemessen, da nicht                kräfte in Deutschland Unterrichtsmaterialien aus
alle untersuchten Aktivitäten im Schulalltag im                als im OECD-Durchschnitt (62 % bzw. 46 %) und
wöchentlichen Rhythmus realisiert werden.                      sie beteiligen sich häufiger an Aktivitäten mit
                                                               verschiedenen Klassen oder Altersgruppen (18 %
Die Ergebnisse in Tabelle 2 weisen darauf hin,                 bzw. 12 %). Deutlich geringer fallen hingegen die
dass die Mehrzahl der Lehrkräfte in Deutsch-                   Kooperationswerte aus, die einen fachlichen bzw.
land regelmäßig Lehr- und Unterrichtsmateria-                  pädagogischen Diskurs zwischen Lehrkräften
lien austauscht und die Hälfte über die Lernent-               beschreiben. Diskussionen über die Lernentwick-
wicklung von Schülern spricht. Deutlich weniger                lung und Absprachen zu gemeinsamen Bewer-
Lehrkräfte geben an, mindestens im monatlichen                 tungsstandards finden zwar bei vielen Lehrkräf-
Rhythmus in anderen Bereichen zu kooperieren,                  ten in Deutschland regelmäßig statt, jedoch
z. B. als Team in der Klasse zu unterrichten (23 %),           seltener als im OECD-Durchschnitt. Hinsichtlich
im Unterricht anderer zu hospitieren (9 %) und an              der Teilnahme an gemeinsamen Fortbildungen
gemeinsamen Fortbildungen teilzunehmen (4 %).                  gibt es in Deutschland ein anderes Muster als in-
Besonders auffällig ist dabei auch, dass über die              ternational: Zwar nehmen weniger Lehrkräfte in
Hälfte der Lehrkräfte in Deutschland nie oder nur              Deutschland häufig an Fortbildungen teil, ande-
einmal pro Jahr im Team mit einer anderen Lehr-                rerseits ist der Anteil der „Fortbildungsabstinen-
kraft unterrichtet (56 %) oder in anderen Klassen              ten“, also derjenigen ohne Fortbildungsbesuch,

Tabelle 2: Häufigkeit verschiedener Kooperationsaktivitäten: Vergleich Deutschland und OECD-Durchschnitt (TALIS-Befragung)
            (Angaben in Prozent)

 Kooperationsaktivitäten                                                                     Deutschland                   OECD Durchschnitt

                                                                                      nie1           regelmäßig2           nie1          regelmäßig2

 Lehr- und Unterrichtsmaterial mit Kollegen austauschen                                8                   62              16                46
 An Diskussionen über die Lernentwicklung bestimmter Schüler
                                                                                       5                   50               8                62
 teilnehmen
 Mit anderen Lehrern an meiner Schule zur Gewährleistung
                                                                                      19                   33              19                 41
 gemeinsamer Bewertungsstandards zusammenarbeiten
 Gemeinsam als Team in derselben Klasse unterrichten                                  56                   23              56                26
 Mich an gemeinsamen Aktivitäten mit verschiedenen Klassen
                                                                                      20                   18              45                 12
 und Altersgruppen (z. B. Projekten) beteiligen
 Im Unterricht anderer Lehrer hospitieren und Feedback geben                          64                   9               66                 9
 An gemeinsamen Fortbildungen teilnehmen                                              27                   4               37                 17

Anmerkungen: 1 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „jährlich“ und „nie“, 2 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „wöchentlich“ und „monatlich“ .
Quelle: eigene Erhebung.
16                                                                                   Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland

      kleiner als in der TALIS-Studie 2013. Die Übersich-                 Unterricht ein. Insbesondere diese beiden Formen
      ten im Tabellenanhang ermöglichen darüber hi-                       des Feed­backs sind aus Sicht von Hattie (2009)
      naus eine Einordnung der deutschen Befunde in                       von besonderer Bedeutung: Die kontinuierlichen
      das Ergebnis der einzelnen TALIS-Teilnehmerstaa-                    Rückmeldungen der Lehrkräfte über den Fortgang
      ten (Anhang T1).                                                    des Lernprozesses tragen maßgeblich zu einer
                                                                          positiven Lernentwicklung der Schüler bei (d=.9;
      Zusätzlich zu den Kooperationsaktivitäten, die in                   ebd.). Auch das Einholen von Feedback über den
      TALIS untersucht wurden, betrachtet die vorlie-                     Unterricht unterstützt Lehrkräfte wiederum dar-
      gende Studie für Deutschland noch weitere Ak-                       in, Lehr- und Lernprozesse aus Sicht der Schüler zu
      tivitäten, in denen Lehrkräfte mit ihren Kollegen                   bewerten und die so gewonnenen Hinweise für
      und weiterem schulischem Personal zusammen-                         die weitere Unterrichtsgestaltung zu nutzen. Die
      arbeiten. Für diese liegen keine internationalen                    Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass ein
      Vergleichswerte vor. Aus Tabelle 3 wird ersicht-                    substanzieller Anteil der Lehrkräfte regelmäßig
      lich, dass ein Großteil der Lehrkräfte regelmäßig                   lernbezogenes Feedback gibt und auch Feedback
      mit Sonderpädagogen und Sozialpädagogen an                          über den Unterricht einholt. Eine größere Gruppe
      der Schule zusammenarbeitet1. Inwiefern diese                       von Lehrkräften (21 %) nutzt jedoch bislang gar
      intensive Zusammenarbeit mit den Rahmenbe-                          nicht oder nur sehr selten die Möglichkeit, unter-
      dingungen an der Schule und der Komposition                         richtsbezogene Rückmeldungen zu bekommen.
      der Schülerschaft zusammenhängt, wird in den                        Ebenfalls selten berichten Lehrkräfte davon, dass
      Kapiteln 4 und 5 näher untersucht. Des Weiteren                     ganze Unterrichtseinheiten oder Projekte mit an-
      zeichnet sich in den Daten ab, dass gut die Hälf-                   deren Kollegen gemeinsam geplant werden (20 %)
      te der befragten Lehrkräfte regelmäßig mit ihren                    und dass Lehrkräfte mit Kollegen anderer Schulen
      Schülern über deren Lernentwicklung spricht.                        zusammenarbeiten (9 %). Formale Strukturen wie
      Das Instrument des Schülerfeedbacks zum eige-                       fachliche oder fachübergreifende Konferenzen
      nen Unterricht nutzt hingegen nur ein Drittel der                   werden von Lehrkräften wahrgenommen, doch
      Lehrkräfte regelmäßig und etwa ein Fünftel der                      nur etwa jede sechste Lehrkraft besucht diese
      Lehrkräfte holt nie Feedback über den eigenen                       monatlich oder öfter.

      Tabelle 3: Häufigkeit verschiedener Kooperationsaktivitäten (kein TALIS-Vergleich möglich)

       Kooperationsaktivitäten                                                                                  Deutschland

                                                                                                         nie1            regelmäßig2

       Mit Sonderpädagogen meiner Schule           zusammenarbeiten3                                      22                  59
       Mit meinen Schülern über ihre Lernentwicklung sprechen                                             4                   53
       Mit Sozialpädagogen/Sozialarbeitern/Psychologen meiner Schule
                                                                                                          21                  45
       zusammenarbeiten4
       Feedback über den Unterricht von meinen Schülern einholen                                          21                  32
       Ganze Unterrichtseinheiten oder Projekte mit Kollegen gemeinsam planen                             30                  20
       An fachübergreifenden Konferenzen teilnehmen                                                       22                  16
       An Fachkonferenzen teilnehmen                                                                       7                  15
       Mit Lehrkräften anderer Schulen zusammenarbeiten                                                   61                  9

      Anmerkungen: 1 Zusammenfassung der Antwortmöglichkeiten „jährlich“ und „nie“, 2 Zusammenfassung der Antwortmöglichkei-
      ten „wöchentlich“ und „monatlich“, 3 n=393 Lehrkräfte, 4 n=802 Lehrkräfte.
      Quelle: eigene Erhebung.

      1 Der
          Anteil der Lehrkräfte, die mit Sonder- und Sozialpädagogen zusammenarbeiteten, bezieht sich auf diejenigen, an deren Schule
       selbst ein Sonder- bzw. Sozialpädagoge tätig ist. Lehrkräfte, an deren Schulen keine Sonder- bzw. Sozialpädagogen beschäftigt sind,
       wurden bei dieser Frage nicht berücksichtigt.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland                                                               17

2.3  Für Kooperationsaktivitäten                        verbringen Lehrkräfte mit dem Unterrichten
      aufgewendete Zeit                                  selbst (20 Stunden), gefolgt von Unterrichts-
                                                         vorbereitungen (8,1 Stunden) und Korrekturen
Wie sieht das berufsbezogene wöchentliche                von Schülerarbeiten (5 Stunden) (Tabelle 4). Auf
Zeitbudget von Lehrkräften aus und welchen               die kooperationsbezogenen Tätigkeiten entfal-
Raum nehmen darin die Kooperationsaktivitäten            len im Durchschnitt 4,9 Stunden pro Woche,
ein? Um dies zu erfahren, wurden die Lehrkräfte          was 11,5 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit
darum gebeten anzugeben, wie viele Stunden               ausmacht. Bei Vollzeitlehrkräften liegt dieser
sie in der letzten Kalenderwoche (einschließlich         Wert bei 5,3 Stunden (11,5 % der Wochenarbeits-
der Wochenenden) mit beruflichen Aufgaben                zeit), bei Teilzeitlehrkräften sind es vier Stunden
verbrachten. Dabei zeigte sich, dass die befrag-         (11,7 %).
ten Lehrkräfte im Durchschnitt 42,8 Stunden
pro Woche arbeiten. Vollzeitkräfte berichten             In einer vertiefenden Analyse wurde untersucht,
über eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit            ob der Zeitumfang, der für Kooperationsaktivi-
von 45,8 Stunden, während Teilzeitkräfte eine            täten aufgewendet wird, davon abhängt, wie
wöchentliche Stundenzahl von 34,5 angeben.               viele Stunden Lehrkräfte in der Schule unter-
Den weitaus größten Teil dieser Arbeitszeit              richten und wie viele Stunden sie an der Schule

Tabelle 4: Aufschlüsselung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit nach beruflichen Aufgaben in
            Stunden

 Aufgabe                                                              Stundenzahl

 Unterricht                                                               20,0
 Individuelle Planung oder Vorbereitung von Unterrichtsstunden             8,1
 Korrektur von Schülerarbeiten                                             5,0
 Allgemeine Verwaltungstätigkeit (u. a. Informationsaustausch,
                                                                           1,2                     37,8
 Schreibarbeiten und andere Sekretariatsaufgaben)
                                                                                                 Stunden
 Mitwirkung beim Schulmanagement (z. B. Funktionsaufgaben)                 1,2                   (88,5  %)
 Schülerberatung (u. a. Betreuung von Schülern und Berufsberatung)         1,0
 Außerunterrichtliche Angebote                                             0,5
 Andere Aufgaben                                                           0,5
 Einrichtung und Wartung von Computern/IT-Administration                   0,3
 Zusammenarbeit und Besprechung mit Lehrerkollegen an der Schule           2,5
                                                                                              KOOPERATION
 Informationsaustausch und Zusammenarbeit mit Eltern oder
                                                                           1,1                       4,9
 Erziehungsberechtigten
                                                                                                 Stunden
 Zusammenarbeit mit weiterem pädagogischem Personal an der                                        (11,5  %)
                                                                           0,8
 Schule (z. B. Sozialpädagogen)
 Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern (z. B. Vereine,
                                                                           0,6
 Unternehmen, Kultureinrichtungen)

Quelle: eigene Erhebung.
18                                                                     Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland

      Tabelle 5: Wöchentliche Arbeitszeit, die für Kooperationsaktivitäten aufgewendet wird, 
                  nach Anzahl der Unterrichtsstunden (absolut und prozentual an der Wochenarbeitszeit)

       Anzahl der Unterrichtsstunden      n           Kooperationszeit               Anteil der Kooperationszeit
       pro Woche                                                                      an der Wochenarbeitszeit

                                                           in Stunden                          in Prozent

       bis 10 Stunden                     71                  5,1                                  15
       11 bis 15 Stunden                  137                 4,5                                  12
       16 bis 20 Stunden                  374                 5,4                                  12
       21 bis 25 Stunden                  245                 5,2                                  11
       26 bis 30 Stunden                  152                 4,2                                  9

      Quelle: eigene Erhebung.

      außerhalb des Unterrichts präsent sind. Es kann        ihrer Zeit in die Zusammenarbeit mit anderen
      angenommen werden, dass die verfügbare Zeit            Personen investieren und erst bei einer hohen
      eine wesentliche Voraussetzung für Kooperati-          Lehrbelastung diesen Anteil reduzieren.
      onsaktivitäten darstellt. Bei einem hohen Stun-
      dendeputat bzw. bei geringen Präsenzzeiten             Bei der Betrachtung der Präsenzzeiten zeigte
      außerhalb des Unterrichts sind die persönlichen        sich, dass bei steigender Präsenzzeit außerhalb
      Zeitressourcen für Kooperationen eingeschränkt.        des Unterrichts nicht nur der prozentuale Anteil
      Und in der Tat: Mit zunehmendem Unterrichts-           der Arbeitszeit für Kooperationsaktivitäten von
      deputat verringert sich der prozentuale Anteil         sieben auf 15 Prozent ansteigt, sondern auch die
      der Arbeitszeit, der für Kooperationsaktivitäten       absolute Kooperationszeit von 2,3 Stunden auf
      aufgewendet wird, von 15 auf neun Prozent der          acht Stunden (Tabelle 6). Somit erhöht sich die
      Arbeitszeit (Tabelle 5). Die absolute Stundenzahl,     reale Kooperationszeit um mehr als das Dreifa-
      die für Kooperationen pro Woche aufgewendet            che, wenn Lehrkräfte nicht nur wenige Stunden,
      wird, verringert sich insbesondere bei einem sehr      sondern über die Hälfte ihrer wöchentlichen Ar-
      hohen Deputat ab 26 Unterrichtsstunden. Dies           beitszeit (d. h. 20 Stunden) auch an der Schule
      deutet darauf hin, dass Lehrkräfte unabhängig          präsent sind.
      von ihrer Lehrbelastung einen bestimmten Teil

      Tabelle 6: Wöchentliche Arbeitszeit, die für Kooperationsaktivitäten aufgewendet wird, nach Anzahl
                  der Präsenzstunden in der Schule (absolut und prozentual an der Wochenarbeitszeit)

       Anzahl der Präsenzstunden an der   n           Kooperationszeit               Anteil der Kooperationszeit
       Schule zusätzlich zum Unterricht                                               an der Wochenarbeitszeit

                                                           in Stunden                          in Prozent

       0 bis 4 Stunden                    192                 2,3                                  7
       5 bis 9 Stunden                    313                 4,1                                 10
       10 bis 14 Stunden                  226                 5,6                                  13
       15 bis 19 Stunden                  137                 6,2                                  13
       über 20 Stunden                    147                 8,0                                  15

      Quelle: eigene Erhebung.
Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland                                                          19

2.4 Formen der Kooperation                           Arbeitsaufwand. Aus diesem Grund findet sich
                                                     diese Form der Kooperation eher selten im schu-
In der Forschung zur Kooperation zwischen            lischen Alltag. Zu den kokonstruktiven Formen
Lehrkräften finden sich verschiedene Modelle,        der Zusammenarbeit gehört beispielsweise der
die unterschiedliche Formen der Kooperation          gegenseitige Unterrichtsbesuch (kollegiale Hos-
beschreiben. Ein prominentes Modell, das von         pitation) mit anschließendem Feedback oder die
Gräsel, Fussangel und Pröbstel (2006) entwickelt     gemeinsame Planung ganzer Unterrichtseinhei-
wurde, unterscheidet drei Niveaustufen: (1) Aus-     ten.
tausch, (2) arbeitsteilige Kooperation und (3) die
Kokonstruktion. Als Austausch lassen sich solche     Zur empirischen Untersuchung der verschie-
Kooperationsaktivitäten bezeichnen, bei denen        denen Niveaustufen wurden die Lehrkräfte in
Informationen oder Materialien weitergegeben         dieser Studie befragt, welche Formen der Zu-
werden. Diese Art der Zusammenarbeit erfordert       sammenarbeit an der eigenen Schule etabliert
keine Abstimmung auf ein gemeinsames Ziel, sie       sind. Hierfür wurde den Lehrkräften eine Liste
ermöglicht eine hohe Autonomie für alle Betei-       von Aktivitäten vorgelegt, für die sie einschätzen
ligten und setzt keine besondere Vertrauensba-       sollten, ob diese an der eigenen Schule vorkom-
sis voraus. Beispiele hierfür sind der Austausch     men oder nicht. Da in dieser Liste Aktivitäten aus
von Arbeitsblättern oder die Weitergabe von In-      allen drei Niveaustufen des Kooperationsmodells
formationen aus der letzten besuchten Fortbil-       von Gräsel und Kollegen (2006) enthalten waren,
dungsveranstaltung.                                  kann in der nachfolgenden Analyse dargestellt
                                                     werden, in welchem Umfang die verschiedenen
Als die nächsthöhere Stufe der Kooperation wird      Niveaustufen der Kooperation in der Schule re-
die arbeitsteilige Kooperation angesehen. Diese      präsentiert sind.
Form der Zusammenarbeit setzt voraus, dass die
zu bearbeitende Aufgabe eine Arbeitsteilung zu-      Detailanalysen (Anhang T2) zeigen, dass die
lässt. Bei arbeitsteiligen Prozessen bedarf es der   überwiegende Mehrheit der Lehrkräfte einen
Abstimmung auf ein gemeinsames Ziel und Ab-          regen Informationsaustausch unter den Lehr-
sprachen darüber, wie es erreicht werden kann.       kräften an der Schule erlebt. Jeweils etwa 90 Pro-
Hierfür ist gegenseitiges Vertrauen bezüglich        zent der befragten Personen berichten, dass sich
der Erledigung der Aufgabe erforderlich, jedoch      das Kollegium über Inhalte von Fortbildungen
bleiben die Beteiligten in der Ausführung der        austauscht und sich gegenseitig über Stärken
Teilaufgaben weitgehend autonom. Beispiele           und Schwächen von Schülern informiert. Eine
für diese Form der Zusammenarbeit bilden die         ebenfalls große Mehrheit von circa 77 Prozent
Erstellung und die Korrektur von Prüfungen, die      berichtet davon, dass sie regelmäßig Materia-
arbeitsteilige Vorbereitung von Unterrichtsein-      lien austauscht und sich auch Empfehlungen
heiten sowie die Planung und Umsetzung von           für hilfreiche Literatur gibt. Häufig ausgeprägt
Förderangeboten für einzelne Schüler.                sind auch Kooperationsformen, die der Arbeits-
                                                     teilung zugeordnet werden können. Eine deut-
Die höchste Stufe der Kooperation stellt die Ko-     liche Mehrheit der Lehrkräfte (zwischen 75 %
konstruktion dar. Bei dieser Form der Zusammen-      und 79 %) erlebt, dass sich Lehrkräfte über fach-
arbeit nutzen die Beteiligten ihre Kompetenzen,      liche und fachübergreifende Förderangebote von
um sich gemeinsam neues Wissen anzueignen,           Schülern abstimmen und darüber verständigen,
ein Problem gemeinsam zu lösen oder ein Pro-         wie die Inhalte der jahrgangsspezifischen Curri-
dukt zu entwickeln. Die Zusammenarbeit fällt         cula aufeinander aufbauen. Arbeitsformen der
hier intensiver aus als bei der arbeitsteiligen      Kokonstruktion wurden ebenfalls von den Lehr-
Kooperation und sie erfordert einen höheren          kräften berichtet, jedoch in Teilen deutlich sel-
20                                                                                Grunddaten zur Lehrerkooperation in Deutschland

      tener als auf dem Kooperationsniveau des Aus-                    liche Bearbeitung von Aufgaben voraussetzen,
      tauschs oder der Arbeitsteilung. Nur zwei Drittel                deutlich seltener zu beobachten sind als Formen
      der Lehrkräfte stellen fest, dass eine intensive Zu-             des Informations- bzw. Materialaustauschs.
      sammenarbeit in fachbezogenen Teams besteht
      und dass fächerübergreifend an gemeinsamen                       Zur Beurteilung, in welchem Ausmaß Kooperati-
      Themen gearbeitet wird. Noch seltener berichten                  on auf den einzelnen Niveaustufen stattfindet,
      die Lehrkräfte davon, dass sie zur Bewältigung                   wurden die Angaben für die einzelnen Aktivitä-
      beruflicher Probleme gemeinsam Strategien ent-                   ten jeweils pro Niveaustufe zusammengefasst.
      wickeln (45 %) und mit Kollegen anderer Schulen                  Somit lässt sich etwas über den Anteil der Lehr-
      den eigenen Unterricht fachlich und methodisch                   kräfte aussagen, die Kooperationsaktivitäten auf
      weiterentwickeln (25 %). Insbesondere bei den                    der jeweiligen Stufe an ihrer Schule wahrneh-
      beiden letzten Aktivitäten fällt der Anteil derer,               men. Die zusammengefassten Angaben in Ab-
      die dies voll und ganz befürworten, sehr gering                  bildung 1 zeigen, dass Formen des Austauschs
      aus. Insgesamt machen diese Befunde deutlich,                    häufiger berichtet werden (82 % Zustimmung)
      dass kooperative Arbeitsformen, die zeit- und                    als Formen der Arbeitsteilung (77 %) und der Ko-
      ressourcenintensiv sind und die gemeinschaft-                    konstruktion (50 %).

      Abbildung 1: Wahrnehmung von Kooperationsaktivitäten auf den drei Niveaustufen der Kooperation
                    an der eigenen Schule

                                                                                                      50 %
                                                            77 %
                                                                                             Kokonstruktion

                                                                                               z. B. fachbezogene oder

                  82 %
                                                     Arbeitsteilung                           fachübergreifende Arbeit
                                                                                                        in Teams
                                                     z. B. Absprachen über
               Austausch                            individuelle Förderung,
                                                  übergreifende Abstimmung
                                                    von Inhalten und Zielen

              z. B. Austausch von
               Materialien oder
           Literaturempfehlungen

      Anmerkung: Bei jeder Frage wurden die Antwortoptionen „trifft eher zu“ und „trifft voll und ganz zu“ zunächst zusammengefasst
      und anschließend über alle Kooperationsaktivitäten der jeweiligen Niveaustufe gemittelt.
      Quelle: eigene Erhebung.
Unterschiede im Kooperations­verhalten von Lehrkräften je nach individuellen Merkmalen                               21

3Unterschiede im Kooperations­
 verhalten von Lehrkräften je
 nach individuellen Merkmalen
 D
         ieses Kapitel nimmt individuelle Unter-                  von sehr erfahrenen Lehrkräften verglichen. Die
         schiede des Kooperationsverhaltens in                    Berufseinsteiger weisen eine Unterrichtserfah-
         den Blick und betrachtet dabei zum einen                 rung von bis zu fünf Jahren auf, während die er-
 die Häufigkeit einzelner Kooperationsaktivitä-                   fahrenen Lehrkräfte mindestens 30 Jahre Unter-
 ten (siehe Abschnitt 2.2) und zum anderen die                    richtserfahrung mitbringen. Beim Vergleich der
 drei beschriebenen Kooperationsformen (siehe                     beiden Gruppen zeigt sich, dass Berufseinsteiger
 Abschnitt 2.4). In einem ersten Schritt werden                   häufiger regelmäßig als Team in der Klasse un-
 in diesem Kapitel Unterschiede hinsichtlich aus-                 terrichten, ganze Unterrichtseinheiten häufiger
 gewählter demografischer Merkmale berichtet.                     gemeinsam planen, über die Lernentwicklung
 Anschließend folgt eine Betrachtung, wie pro-                    der Schüler sprechen und auch häufiger Mate-
 fessionsbezogene Merkmale mit dem Kooperati-                     rial austauschen. Dieses Ergebnis weist darauf
 onsverhalten in Verbindung stehen.                               hin, dass insbesondere die wenig erfahrenen
                                                                  Lehrkräfte die Unterstützung anderer Kollegen in
 3.1  Unterschiede nach Geschlecht,                              Anspruch nehmen, um ihren eigenen Unterricht
      Berufserfahrung und Region                                  weiterzuentwickeln. Erfahrene Lehrkräfte weisen
                                                                  nur in einzelnen Bereichen (z. B. beim Einholen
 Zu den demografischen Merkmalen, die in dieser                   von Feedback von den Schülern) eine marginal
 Untersuchung genauer betrachtet werden, gehö-                    höhere Kooperationsintensität auf.
 ren das Geschlecht der Lehrkraft, die Berufserfah-
 rung und die Region, in der sie unterrichtet. Für                Der Vergleich zwischen Lehrkräften an ost- und
 diese drei Merkmale wird im Folgenden berichtet,                 westdeutschen Schulen weist zum Teil auf sehr
 welcher Anteil der Lehrkräfte regelmäßig, also                   deutliche Unterschiede in den Kooperationsakti-
 mindestens monatlich, jeweils eine bestimmte                     vitäten hin. Zum einen wird deutlich, dass ein hö-
 Form der Zusammenarbeit ausübt. Nur für we-                      herer Anteil der ostdeutschen Lehrkräfte regel-
 nige Kooperationsaktivitäten sind deutliche Ge-                  mäßig Feedback über den Unterricht von ihren
 schlechterunterschiede zu beobachten (Anhang                     Schülern einholt und mit ihnen über ihre Lern­
 T4). Hinsichtlich spezifischer Kooperationsaktivi-               entwicklung spricht. Darüber hinaus zeichnen
 täten fällt auf, dass Frauen stärker regelmäßig                  sich die ostdeutschen Lehrkräfte dadurch aus,
 mit sonderpädagogischem bzw. mit sozialpäda-                     dass sie häufiger mit Sonder- und Sozialpädago-
 gogischem Personal zusammenarbeiten und in                       gen zusammenarbeiten. In den westdeutschen
 einem höheren Maße Unterrichtsmaterial aus-                      Ländern berichten die Lehrkräfte häufiger davon,
 tauschen. Für die anderen Bereiche zeigen sich                   dass sie als Team in einer Klasse unterrichten
 nur marginale oder gar keine Unterschiede. Um                    und Unterrichtseinheiten oder Projekte gemein-
 die Rolle der Unterrichtserfahrung für das Ko-                   sam planen. Diese Befunde geben erste Hinwei-
 operationsgeschehen zu betrachten, wurde eine                    se, dass in ost- und westdeutschen Schulen un-
 Gruppe von Berufseinsteigern mit einer Gruppe                    terschiedliche Kooperationskulturen bestehen.
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