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Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa
2 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Impressum STUDIE Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa ERSTELLT IM AUFTRAG VON Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE LEKTORAT •• Inselstraße 6, 10179 Berlin Gisela Lehmeier, FEINSCHLIFF •• Königsworther Platz 6, 30167 Hannover Telefon: +49 30 2787 14 SATZ UND LAYOUT pandamedien GmbH & Co. KG ERSTELLT VON MERICS | Mercator Institute for China Studies TITELBILD Klosterstraße 64, 10179 Berlin Adobe Stock, pandamedien GmbH & Co. KG Telefon: +49 30 3440 999 0 Mail: info@merics.de DRUCK Internet: www.merics.org Spree Druck Berlin GmbH AUTOREN VERÖFFENTLICHUNG •• Max J. Zenglein, Chief Economist, September 2020 MERICS (max.zenglein@merics.de) •• Anna Holzmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin, BITTE ZITIEREN ALS MERICS (anna.holzmann@merics.de) Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE & MERICS (2020): •• Claudia Wessling; Leiterin Publikationen, Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und MERICS (claudia.wessling@merics.de) Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa. Berlin.
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 3 Vorwort Kooperationspartner, Wettbewerber oder Rivale – Chinas Für die Weiterentwicklung des Industriestandorts Rolle in der globalen Wirtschaft veränderte sich in den Deutschland und Europa, insbesondere für den Trans- vergangenen Jahren rasant. Die Volksrepublik vollzog formationsprozess hin zu neuen (nachhaltigeren) Schlüs- einen beeindruckenden industriellen und technischen seltechnologien, ist es wesentlich, Chinas industrielle Aufschwung. Mit enormen staatlichen Unterstützungs- Aktivitäten und Strategien zu verstehen. Zwar hat die EU in leistungen für Unternehmen und einer strategischen jüngster Zeit China als „systemischen Wettbewerber“ be- Industriepolitik strebt China inzwischen die Weltführer- zeichnet und neue Screeningprozesse vorgeschlagen, um schaft in einigen wichtigen Zukunftstechnologien an, ausländische Aktivitäten in Europa zu ermitteln. Auch wei- nicht zuletzt im Bereich erneuerbarer Energien und alter- sen die Green Deal-, Industrie- und Wasserstoffstrategien nativer Antriebstechnologien. der EU-Kommission in eine aktivere industriepolitische Richtung. Nichtsdestotrotz ist eine erweiterte strategi- Der industrielle Wettbewerb und die „Systemkonkurrenz“ sche Antwort auf Chinas industrielle Aktivitäten geboten, zwischen China und der EU beziehungsweise den USA um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Stand- haben sich in jüngster Zeit noch einmal zugespitzt. Bei- orts Deutschland und Europa zu stärken. spiele dafür sind der Handelskrieg und der Konflikt um technologische Führerschaft in Schlüsseltechnologien Mit der vorliegenden Kurzstudie wollen wir die chinesi- mit den USA. Aber auch offensivere industrielle Aktivitä- schen industriellen Entwicklungen in der letzten Dekade ten in Europa zum Erwerb von Spitzentechnologien und in ausgewählten (Schlüssel-)Branchen beleuchten. Zu- -unternehmen unterstreichen die Ambitionen der chine- dem wird die chinesische industriepolitische Strategie mit sischen Regierung. Während der Corona-Pandemie 2020 Blick auf Dominanz in Zukunftstechnologien systematisch führte Chinas Dominanz in einigen Wertschöpfungs- analysiert. Wir hoffen, damit zur Diskussion über eine not- schritten (beispielsweise in Teilen des pharmazeutischen wendige Intensivierung der europäischen und deutschen Bereichs) zu Versorgungsproblemen in Europa. Infolge- Industriepolitik beitragen zu können. dessen entwickelte sich eine Debatte um die Resilienz europäischer Lieferketten und eine mögliche strategische „Rückholung“ von ausgewählten Bereichen nach Europa. Dr. Kajsa Borgnäs Geschäftsführerin Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE
4 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick: Executive Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Die industriepolitische Ambition: China will Zuliefer- und Wertschöpfungsketten dominieren . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Die Strategie: Ausländisches Wissen soll Chinas Innovationsfähigkeit stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Die Folge: Chinas Aufstieg verschiebt globale Liefer- und Wertschöpfungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.1 Der zunehmend globale Industriestandort China erhöht den Druck auf andere Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.2 Ausländische Unternehmen verlagern ihre Geschäftstätigkeit zusehends nach China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.3 Verschiebungen machen sich im deutsch-chinesischen Handel bemerkbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4. Die Analyse: Verschiebungen innerhalb ausgewählter Fokusindustrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4.1 Konsumgüter: Importe haben ihren Zenit überschritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4.2 Elektronik: China hat eine Vormachtstellung erreicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 4.3 Pharmaindustrie: Chinas Unternehmen derzeit noch am unteren Ende der Wertschöpfungskette . . . . . . . . 16 4.4 Grundstoffchemie: Ausländische Unternehmen investieren kräftig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.5 Zwischenfazit: Verlagerungen betreffen Branchen in unterschiedlichem Maß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5. Die Konsequenz: Chinas Aufbau neuer Industrien fordert die deutsche und europäische Wirtschaft heraus . . . . . 25 5.1 Der Aufstieg von Chinas Solarindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5.2 Neue Antriebstechnologien für Fahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5.3 Brennstoffzellen-Antriebe werden der nächste Schauplatz des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5.4 Deutschland und Europa versuchen ihre Position zu stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6. Von Kooperation zu Konkurrenz: Das Verhältnis zu China wird schwieriger zu navigieren . . . . . . . . . . . . . . . . 30 6.1 Die verschärfte Rivalität zwischen China und den USA wird fortbestehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 6.2 Aus Sorge um zu große Abhängigkeit bewertet Europa sein Verhältnis zu China neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 6.3 Neue Konflikte verstärken Chinas Streben nach Autarkie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 5 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Chinas Innovationsfähigkeit baut auf ausländische Expertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abbildung 2: Anteil Chinas an der globalen Wertschöpfung in der industriellen Produktion . . . . . . . . . . . . . . . 13 Abbildung 3: Verschiebungen der Handelsstruktur zwischen China und Deutschland 14 Abbildung 4 und 5: Handelsstruktur deutscher Importe und Exporte nach Produktgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Abbildung 6: Top 10 Unternehmen Haushaltsgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Abbildung 7: Konsumgüter: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel 2010 zu 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Abbildung 8: Top 10 Unternehmen Smartphone, Marktanteil 2019 nach ausgelieferten Geräten . . . . . . . . . . . 19 Abbildung 9: Elektronik: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel, 2010 zu 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abbildung 10: Top 10 Unternehmen Pharma nach Umsatz 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abbildung 11: Aufkäufe ausländischer Pharmaunternehmen durch chinesischer Unternehmen . . . . . . . . . . . . 21 Abbildung 12: Pharma: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel, 2010 zu 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abbildung 13: Investitionsvorhaben Chemie 2020-2023 in Mrd. USD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abbildung 14: Handelsbilanz Deutschland mit der Welt und China für organische und anorganischer Chemie, sowie andere chemische Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abbildung 15: Chinas Import- und Exportanteil nach chemischen Produktgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abbildung 16: Grundstoffe: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel, 2010 zu 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildung 17: Staatlich gestützte Entwicklung von Zukunftstechnologien in China bedroht internationalen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Abbildung 18: Der Großteil der weltweit größten Polysilizium-Hersteller stammt aus China . . . . . . . . . . . . . . . . 27
6 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick: Executive Summary Zum 100. Jahrestag der Volksrepublik im Jahr 2049 soll 4. Erzwungener Transfer: Mitunter greifen chinesische nach dem Willen der Regierung in Peking China zu einer Akteure zu illegalen Mitteln, um an ausländisches globalen Supermacht im Bereich der industriellen Ferti- Wissen und Technologie zu gelangen (zum Beispiel gung und der innovativen Forschung und Entwicklung Hacking oder Betriebsspionage). (F&E) aufsteigen. Industriepolitische Programme wie „Made in China 2025“ (MIC25) und „Internet+“ zielen da- China steht als Industriestandort zunehmend in rauf ab, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Konkurrenz mit Deutschland chinesischen Wirtschaft zu verbessern. In den vergangenen Jahrzehnten ist Chinas Anteil an der globalen Wertschöpfung in der industriellen Produktion kon- Stabile, moderne und wettbewerbsfähige Produktions- tinuierlich gestiegen. War der Anteil der globalen Industriepro- und Zulieferketten sowie wirtschaftliche Entwicklung ent- duktion 2005 noch 9,4 Prozent, so betrug er 2018 (aktuellster lang von Wertschöpfungsketten sind für diese Ambitionen Wert) bereits 28,2 Prozent. Auch bei den globalen Exporten von zentraler Bedeutung. Um die chinesische Position nimmt China heute eine Spitzenposition ein: Sein Anteil be- innerhalb globaler Wertschöpfungsketten zu stärken, trägt knapp 13 Prozent. setzt Peking neben staatlicher Unterstützung in Form von Fonds oder Steuererleichterungen auch stark auf inter- Zu Beginn der Verlagerung globaler Wertschöpfungsketten nationale Kooperation. Mittel- und langfristig allerdings, von Europa nach China spielten Inputfaktoren wie günsti- dies betonte Staats- und Parteichef Xi Jinping erst im gere Produktionskosten und geringere Umweltauflagen eine August dieses Jahres in einer viel beachteten Rede, will wesentliche Rolle. Die Verschiebungen beschränkten sich China seine Abhängigkeit vom Ausland reduzieren, indem zunächst auf Güter mit geringer Wertschöpfung und hoher es eigene Fähigkeiten aufbaut und ausländische Produkte Lohnintensität in der Produktion. ebenso wie Technologien durch chinesische Alternativen ersetzt. Der hohe Spezialisierungsgrad der deutschen Industrie hat dazu beigetragen, dass sich die Verlagerung von Zuliefer- und China verfolgt gezielte Strategien beim Zugriff auf Wertschöpfungsketten nach China in Grenzen hielt. Deutsch- ausländische Expertise lands Anteil an der globalen Industrieproduktion ging seit Chinas Ambitionen, ganze Zuliefer- und Wertschöpfungs- 2005 von 7,4 Prozent auf 5,7 Prozent zurück. Seit 2015 hat ketten zu dominieren, sind eng verknüpft mit der Etab- sich dieser Wert stabilisieren können. lierung eines starken, nationalen Innovationssystems. Um dieses aufzubauen, ist ausländische Expertise weiterhin Doch Chinas Industrie hat in einigen Bereichen technologisch notwendig. Chinesische Akteure verfolgen unterschied- aufgeholt und steht mittlerweile als Industriestandort zuneh- liche Strategien, um sich Zugänge zu sichern: mend in direkter Konkurrenz mit Deutschland und der EU. Dadurch gab es in den vergangenen Jahren auch Verschie- 1 Kooperieren: Dies geschieht beispielsweise über ge- bungen in der Handelsstruktur mit Deutschland und der EU. meinsame Projekte oder Austauschprogramme. •• Mit 46 Prozent des bilateralen Handelsvolumens do- 2. Anlocken: Ausgewählten Unternehmen und Exper- minierte 2019 der Warenfluss von mechanischen und ten wird bevorzugte Behandlung in Aussicht gestellt elektrischen Maschinen klar die deutsch-chinesischen (zum Beispiel Visaerleichterungen, günstige Produk- Handelsbeziehungen. In diesem Segment gab es seit tions- und Forschungsbedingungen). 2010 die größten Verschiebungen. 3. Kaufen: Durch den Erwerb von Patenten und Unter- •• Während Exporte von Zwischenprodukten aus der EU nehmen (anteilig oder gesamt) erlangt China Zugriff und anderen Industrieländern nach China zurückgin- auf begehrtes Fachwissen. gen, nahmen Importe von dort zu.
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 7 Chinas Aufstieg treibt Verschiebungen in globalen komplett nach China (und in andere Teile Asiens) verla- Liefer- und Wertschöpfungsketten an gert. Hinzu kommt, dass China auch bei wichtigen Kom- Die vorliegende Studie analysiert am Beispiel von vier ponenten wie Leiterplatten zunehmend eine dominante Fokusindustrien – Konsumgüter, Elektronik, Pharmapro- Position einnimmt. dukte und Grundstoffchemie – ob und wie sich globale Liefer- und Wertschöpfungsketten zwischen 2010 und Neben der Fertigung der Endprodukte haben sich über die 2019 verschoben haben. Die Analyse erfolgt auf Grund- vergangenen zehn Jahre auch eigene chinesische Marken lage von Handelsdaten der Vereinten Nationen. In diesen zunächst in China und zunehmend international etabliert. Fokusindustrien lassen durch den Aufstieg Chinas einige Verschiebungen erkennen. Zudem wird die strategische Fokusindustrie 3: Pharmaprodukte industriepolitische Herangehensweise Chinas am Beispiel Die Bedeutung von Pharmaprodukten im deutsch-chine- von zwei „Zukunftsindustrien“ – im Bereich erneuerbarer sischen Handel hat am deutlichsten zugenommen. Der Energien sowie alternativer Antriebstechnologien – in der Anteil am Gesamtwarenaustausch betrug 2018 bereits 2,1 Studie aufgezeigt und diskutiert. Prozent (vgl. 0,7 Prozent in 2010). Größter Treiber waren dabei steigende Exporte aus Deutschland. Fokusindustrie 1: Konsumgüter Wegen steigender Produktionskosten sind lohnintensive In- Deutschland hat im Bereich der Arzneimittel nicht nur dustrien wie der Textil- und Konsumgüterbereich von China einen Handelsüberschuss mit China, sondern mit der Welt in andere Länder abgewandert. Der Importanteil von Kon- insgesamt. Hier zeigt sich die starke Position und Innova- sumgütern wie Spielzeuge oder Bekleidung aus China er- tionsfähigkeit der deutschen Pharmahersteller. reichte 2010 seinen Zenit und ging im Betrachtungszeitraum um 3,1 Prozentpunkte zurück. Er machte 2019 nur mehr 19,2 Mit nur 8,7 Prozent ist der chinesische Anteil an den nach Prozent aller Importe aus China aus. China bleibt aber eine Deutschland importierten Arzneimitteln weiterhin gering. der bedeutendsten Bezugsquellen für Deutschland. Die chinesische Pharmaindustrie macht jedoch rasch Fortschritte. 2010 waren Deutschlands Arzneimittelim- Chinas steigende Kaufkraft und das erhöhte Bedürfnis porte aus China noch nahezu irrelevant, 2019 beliefen sie der Mittelklasse nach hochqualitativen, in Deutschland sich bereits auf fast 4 Mrd. USD. hergestellten Konsumgütern ließ indes deutsche Exporte nach China ansteigen. Deutsche Unternehmen profitieren Eine derzeitige Verlagerung von Liefer- und Wertschöp- von dieser verstärkten Nachfrage. fungsketten in der Pharmaindustrie nach China ist noch auf wenige Bereiche konzentriert, vor allem bei den we- Zugleich hat sich die Qualität chinesischer Produkte, et- niger forschungsintensiven Segmenten wie etwa Wirk- wa bei Haushaltsgeräten, verbessert. Einige Marken haben stoffen. In einigen Kategorien (inkl. Provitamine und sich mit eigenen Produkten auf dem europäischen Markt einige antibiotische Wirkstoffe) beträgt der Importanteil etabliert. Deutschlands mehr als 60 Prozent. Fokusindustrie 2: Elektronik Fokusindustrie 4: Grundstoffchemie Im Bereich Elektronik konnte China seine Position konti- Mit der gestiegenen Bedeutung Chinas als globalem Fer- nuierlich ausbauen und immer mehr Teile der Wertschöp- tigungsstandort nahm auch der Bedarf nach chemischen fungskette vereinnahmen. Neben der reinen Montage Produkten massiv zu. Als Zulieferer hat die deutsche In- werden verstärkt Bauteile sowie Baugruppen komplett in dustrie hier zunächst profitiert. Allerdings macht sich eine China hergestellt. wachsende chinesische Konkurrenz bemerkbar. In der Produktion von Endgeräten der Konsumgüterelek- Die deutsche Industrie erwirtschaftet im Handel mit an- tronik wie Notebooks und Mobiltelefonen dominiert Chi- organischer Chemie und Kunststoffen mit China, ebenso na den Welthandel. Mehr als 90 Prozent der Notebooks wie mit dem Rest der Welt, einen Handelsüberschuss. und mehr als 70 Prozent der Mobiltelefone (inkl. Smart- phones), welche die EU importiert, stammen von dort. In der organischen Chemie verzeichnet Deutschland seit Ende der 1990er insgesamt ein Handelsdefizit. Dieser Die deutsche oder gar europäische Produktion in diesen Umstand lässt sich allerdings nicht auf eine dominantere Segmenten spielt keine Rolle mehr. Sie hat sich nahezu Rolle Chinas zurückführen.
8 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Ungeachtet der insgesamt weiterhin bestehenden Stärke Durch diese strategische Vorgehensweise entwickelten Deutschlands in der Grundstoffchemie machen sich bei sich chinesische Solarunternehmen in den vergangenen einzelnen Bereichen starke Veränderungen bemerkbar. Jahren von reinen Monteuren westlicher Komponenten Beispielhaft hierfür steht eine zunehmende chinesische zu global agierenden Akteuren, die mehrere Stufen der Dominanz bei der Produktion von Acetylen und Amino- Wertschöpfungskette dominieren und auch in Forschung säuren. In beiden Bereichen hat sich das Handelsdefizit und Entwicklung aktiv sind. Im Bereich der Batterietech- deutlich ausgeweitet. China plant bis 2023 mindestens nologie für Elektrofahrzeuge ist die Vorgehensweise ähn- zwölf neue Verbundstandorte; der Kapazitätsaufbau im lich gewesen. Die Technologielücke zu China verringert chinesischen Chemiemarkt findet auch unter Beteiligung sich auch in anderen Schlüssel- und Zukunftsindustrien ausländischer Unternehmen statt. zunehmend. Es ist zu erwarten, dass die Brennstoffzel- len-Antriebe der nächste Schauplatz des Wettbewerbs Fazit: Weitere Verschiebungen in den Handelsbeziehun- sein werden. gen sind unausweichlich – eine strategische Reaktion auf Chinas Aufstieg dringend nötig. Chinas Integration in globale Lieferketten und der Auf- stieg in der Wertschöpfungskette war bis 2015 bedingt Die Entwicklung der internationalen Zuliefer- und Wert- durch ein globales Umfeld, das bemüht war, China in schöpfungsketten ist hoch dynamisch und lässt sich nicht das bestehende Weltwirtschaftssystem einzubeziehen. im Detail prognostizieren. Chinas strategischem Vorgehen In den vergangenen fünf Jahren sind jedoch signifikan- beim Aufbau neuer Industrien und Zukunftstechnologien te Veränderungen zu beobachten: In einem volatileren muss von hiesigen Entscheidern in Politik und Wirtschaft und von Systemkonkurrenz geprägten Umfeld sind die jedoch dringend begegnet werden. Das Beispiel der So- Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China larindustrie, in der China heute Weltmarktführer ist, zeigt schwieriger geworden. Die chinesische Wirtschaft hat exemplarisch das geplante Vorgehen Chinas auch in an- technologisch aufgeholt und ist in einigen Bereichen so- deren Zukunftsbranchen: gar führend. Dadurch sind westliche Industriestaaten und China heute nicht mehr nur Kooperationspartner, son- 1. Ergreifen wirtschaftlicher Chancen (Unternehmer- dern auch Konkurrenten. tum), bei teilweiser Interessensüberlappung mit Regierungszielen Es kann davon ausgegangen werden, dass diese System- konkurrenz fortschreiten sowie dass die Rivalität zwischen 2. Aufbau einer eigenen chinesischen Industrie mit aus- China und den USA fortbestehen wird. Nicht zuletzt auf- ländischer Hilfe grund dieser Entwicklungen sieht sich Peking in seinem Streben nach technologischer Unabhängigkeit vom Aus- 3. Enorme staatliche Unterstützung – mit der Gefahr, land bestärkt. Aus diesem Grund und aus Sorge vor zu Abhängigkeiten zu schaffen großer Abhängigkeit (in Schlüssel- und Zukunftsindus- trien) wird auch in Europa das Verhältnis zu China zur- 4. Mitunter bewusste Produktion von Überkapazitäten, zeit einer gründlichen Neubewertung unterzogen. Erste um in internationalen Preiswettbewerb treten zu Schritte eines Decouplings (Diversifizierung) der Liefer- können und Wertschöpfungsketten sind bereits in einigen Be- reichen zu beobachten beziehungsweise könnten eine 5. Verdrängung internationaler Konkurrenz, inklusive mögliche strategische Antwort auf Chinas Streben nach Wegfall von Innovationsanreizen und -möglichkeiten Dominanz sein. Trotz bestehender Stärken der deutschen ausländischer Unternehmen und europäischen Industrie besteht dringender Hand- lungsbedarf, um die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie- 6. China ist Weltmarktführer standorts Deutschland zu erhalten.
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 9 1 1. Die industriepolitische Ambition: China will Zuliefer- und Wertschöpfungsketten dominieren Die Regierung in Peking will China bis 2049 – dem 100. Jahrestag der Volksrepublik – zu einer Supermacht im Be- vid-19-Pandemie sowie des anhaltenden politischen und wirtschaftlichen Konflikts mit den USA haben Peking in reich der industriellen Fertigung sowie der innovativen For- dieser Ansicht bestärkt.3 China möchte mithilfe einer star- schung und Entwicklung (F&E) machen. Stabile, moderne ken Industriepolitik seine Abhängigkeit vom Ausland bei und wettbewerbsfähige Produktions- und Zulieferketten kritischen Rohstoffen, Materialien und Komponenten re- sowie wirtschaftliche Entwicklung entlang von Wertschöp- duzieren, indem es eigene Fähigkeiten aufbaut und aus- fungsketten sind dabei von zentraler Bedeutung. ländische Produkte und Technologien durch chinesische Alternativen ersetzt. Bis 2025 sollen beispielsweise bereits Rund um führende Unternehmen soll China sich in Kern- 80 Prozent der heimischen Nachfrage nach Anlagen und industrien wie Energiesysteme, Medizintechnik oder In- Speichersystemen für erneuerbare Energien durch chine- formations- und Kommunikationstechnologie nicht nur sische Lösungen abgedeckt werden.4 in unteren und mittleren Bereichen, sondern zusehends auch in Premiumsegmenten mit höherpreisigen Pro- Um seine Position in globalen Wertschöpfungsketten zu dukten und fortschrittlicheren Technologien behaupten. stärken, setzt China, neben staatlicher Unterstützung in Industriepolitische Programme wie Made in China 2025 Form von Fonds oder Steuererleichterungen, auch auf (MIC25) und Internet+ wirken als Katalysatoren für die- internationale Kooperationen. Chinesische Unterneh- se Bestrebungen. Ersteres nennt unter anderem konkrete men sind angehalten, aktiv auf globale Ressourcen zuzu- Marktanteilsziele für chinesische Unternehmen in Hoch- greifen.5 Sie sollen zum Beispiel durch Direktinvestitionen technologiefeldern von Maschinenbau bis Pharmazie. Kernkompetenzen aus dem Ausland „hereinholen“ (引进来) Beide Programme zielen auch darauf ab, die chinesische und im Rahmen der Seidenstraßeninitiative „hinausgehen“ Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.1 (走出去), um chinesische Produkte, Technologien und Dienstleistungen in Umlauf zu bringen.6 Für die Indus- Für Chinas Führung ist der Aufbau kompletter und triestaaten der EU ergeben sich aus Chinas ehrgeizigem unabhängiger Industrieketten eine Frage der natio- Ansatz tief greifende Herausforderungen, denen sie be- nalen Sicherheit.2 Die schwerwiegenden Folgen der Co- gegnen müssen.
10 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE 2 2. Die Strategie: Ausländisches Wissen soll Chinas Innovationsfähigkeit stärken Chinas Ambitionen, ganze Zuliefer- und Wertschöpfungsket- ten zu dominieren, sind eng verknüpft mit dem langfristigen 1. Kooperieren: Dies geschieht beispielsweise über gemeinsame Projekte oder Austauschprogramme in Vorhaben, ein nationales Innovationssystem zu etablieren. China oder im Ausland. F&E-Tätigkeiten unter Betei- Bis 2025 sollen etwa 700 „Nationale Labore“, 40 „Nationale ligung von chinesischen und europäischen Akteuren Innovationszentren für Fertigungstechnologien“ sowie zahl- haben zuletzt zugenommen.13 reiche ergänzende Zentren entstehen.7 Chinas Ausgaben für 2. Anlocken: Ausgewählten Unternehmen und Fach- Forschung und Entwicklung nehmen, gemessen am Brutto- kräften wird eine bevorzugte Behandlung am chi- inlandsprodukt (BIP), seit mehr als zehn Jahren zu. Bereits nesischen Markt in Aussicht gestellt – zum Beispiel 2015 investierte China mehr in diesen Bereich als die EU.8 in Form von Visaerleichterungen oder günstigen 2018 beliefen sich Chinas Ausgaben für F&E auf 2,2 Prozent Produktions- und Forschungsbedingungen – um des BIP.9 sie mitsamt ihrer wertvollen Expertise ins Land zu holen.14 Um die eigene Innovationsfähigkeit zu stärken und Wissens- 3. Kaufen: Durch den Erwerb von ausländischen Pa- sowie Technologielücken rasch zu schließen, setzt China tenten und Unternehmen (anteilig oder zur Gänze) stark auf die Expertise ausländischer Akteure (siehe Abbil- erlangt China Zugriff auf begehrtes Fachwissen. 2018 dung 1). Mitunter eher vorsichtige Marktöffnungsschritte10 wiesen fast 60 Prozent der chinesischen Direktin- und Bemühungen, ein für internationale Investoren attrak- vestitionen in Europa einen Bezug zur industriellen tives Geschäftsumfeld zu schaffen, sollen dieses Vorhaben Innovationsstrategie MIC25 auf.15 Durch strategi- erleichtern.11 sche Akquisen sollen ausländische Akteure enger an chinesische Unternehmen und Kunden gebunden Chinesische Akteure verfolgen unterschiedliche Strategien, und ihre Aktivitäten schrittweise ganz nach China um Zugriff auf ausländische Expertise zu erhalten. Es geht da- verlagert werden. bei darum, zunächst mit ausländischer Hilfe, zusehends aber 4. Erzwungener Transfer: Mitunter greifen chinesische auch durch Eigenleistung gesamte Wertschöpfungsketten Akteure zu illegalen Mitteln, um an ausländisches ins Land zu holen beziehungsweise in China abzubilden.12 Die Wissen und Technologien zu gelangen. Beispiele da- Zugriffsstrategien hängen von der Kooperationsbereitschaft für sind inoffizielle Aufforderungen zur Übermittlung der ausländischen Akteure und der strategischen Bedeutung von sensiblem Wissen als Gegenzug für Marktzu- ihrer Expertise ab. Vier Kategorien sind zu unterscheiden: gang, aber auch Hacker-Angriffe und Betriebsspio- nage.16 In einer aktuellen Umfrage der europäischen Handelskammer in China gaben 16 Prozent der befragten europäischen Unternehmer an, sich zum Technologietransfer verpflichtet zu fühlen.17
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 11 Chinas Innovationsfähigkeit baut auf ausländische Expertise Abbildung 1:Chinaseine Beijing verfolgt Innovationsfähigkeit baut auf ausländische Expertise breit angelegte Strategie Chinas nationales Innovationssystem Chinesische Führung Unternehmen Prioritäten Anreize Kontrolle Investitionen* CNY 1,97 Billionen (2,18 % vom BIP) Hauptaufgaben Innovationstransfer Forschung & Ausbildung Entwicklung Anwendung Feedback 4,32 Millionen Patentanträge 8,58 Millionen Studierende (postgraduales Studium) 1052 nationale Gesamtzahl 1480 Technologie- Forschungs- & Ent- 501 Zentren von wicklungsprojekte Unternehmen Hauptakteure** Forschungs- & Universitäten & Nationale Entwicklungs- Unternehmen Konsumenten Forschungsinstitute Labore zentren Stärkung des nationalen Innovationssystems Strategischer Zugriff auf ausländisches Wissen Kooperieren Anlocken Kaufen Attackieren © MERICS * Ausgaben Forschung und Entwicklung ** Beispiele, Daten für 2018 Quellen: National Bureau of Statistics of China, MERICS
12 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE 3 3. Die Folge: Chinas Aufstieg verschiebt globale Liefer- und Wertschöpfungsketten Seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 hat China seine Position als globaler Industriestandort ge- Wertschöpfung in China beschränkte sich großenteils auf den Zusammenbau einzelner Komponenten. festigt. 2006 lag der Anteil der Industrieproduktion am chinesischen BIP noch bei 32 Prozent, auch wenn er auf- Die frühere „Werkbank der Welt“ hat jedoch rasante Fort- grund eines schneller wachsenden Dienstleistungssek- schritte gemacht und ist nach dem beispiellosen wirt- tors 2018 auf nunmehr 27 Prozent gefallen ist.18 Mit dem schaftlichen Wachstum der vergangenen Jahrzehnte Gewicht der chinesischen Volkswirtschaft in der Welt- kein Niedriglohnland mehr. Das Land profitiert von Ska- wirtschaft stieg auch Chinas Bedeutung als Exportland. lierungseffekten des chinesischen Binnenmarkts, der Spielte China vor dem WTO-Beitritt mit einem Anteil von gestiegenen Produktivität, Kostenvorteilen bei Produk- unter zwei Prozent global kaum eine Rolle, verantwortete tionsfaktoren sowie von höheren technischen Fähigkeiten das Land 2015 13,8 Prozent der weltweiten Exporte. In- und der vertikalen Integration der chinesischen Industrie. zwischen hat sich dieser Anteil bei knapp unter 13 Prozent Diese Entwicklungen machen sich sowohl bei höher- eingependelt, aber China bleibt das Land mit dem höchs- wertigen Endprodukten als auch industriellen Zwischen- ten Anteil an globalen Exporten.19 produkten aus China bemerkbar. Mit der zunehmenden Wertschöpfung wächst der Druck auf andere Länder: 3.1 Der zunehmend globale Industriestandort China China steht als Industriestandort zunehmend in direkter erhöht den Druck auf andere Länder Konkurrenz mit Deutschland und der EU. Der Anteil Chinas an der globalen Wertschöpfung in der industriellen Produktion stieg über die vergangenen 20 3.2 Ausländische Unternehmen verlagern ihre Ge- Jahre kontinuierlich an (siehe Abbildung 2). Lag er 2005 schäftstätigkeit zusehends nach China noch bei 9,4 Prozent, so betrug er 2018 bereits 28,2 Pro- Der Anteil ausländischer Wertschöpfung an chinesi- zent.20 Damit ist China neben Deutschland und den USA schen Exporten und damit Chinas Integration in globa- zu einem der wichtigsten Produktionszentren weltweit le Wertschöpfungsketten ist seit circa 2015 rückläufig. geworden. Innerhalb Asiens hat China mittlerweile Japan Während Exporte von Zwischenprodukten aus der EU als das regionale Produktionszentrum abgelöst. Der Anteil und anderen Industrieländern nach China zurück- der EU an der globalen Industrieproduktion ging in diesem gingen, nahmen Exporte aus China zu.21 Ausländische Zeitraum um 7,1 Prozentpunkte auf 17,2 Prozent zurück. Unternehmen trugen zu dieser Entwicklung bei, indem sie Kapazitäten in China aufbauten und so die Wert- Der hohe Spezialisierungsgrad der deutschen Industrie schöpfung innerhalb des Landes steigerten. Auch die hat bislang allerdings dazu beigetragen, dass sich die Ver- knapp 5.000 in China tätigen deutschen Unternehmen lagerung von Zuliefer- und Wertschöpfungsketten nach mit mehr als einer Million Mitarbeitern spielten dabei China in Grenzen hielt. Deutschlands Anteil an der glo- eine wesentliche Rolle.22 balen Industrieproduktion ging seit 2005 von 7,4 Prozent auf 5,7 Prozent zurück. Seit 2015 konnten sich die Antei- Für deutsche Unternehmen ist es längst nicht mehr le Deutschlands ebenso wie die der EU im Wesentlichen nur der direkte Zugang zum chinesischen Binnen- stabilisieren. markt, der die Bedeutung der chinesischen Standorte ausmacht. Laut einer aktuellen Umfrage der deutschen Zu Beginn der Verlagerung globaler Wertschöpfungsketten Auslandshandelskammer (AHK) ist der Zugang zu in von Europa nach China spielten Inputfaktoren wie güns- China generierter Innovation für 61 Prozent der befrag- tigere Produktionskosten und geringere Umweltauflagen ten deutschen Unternehmen von Bedeutung.23 Die re- eine wesentliche Rolle. Die Verschiebungen beschränkten sultierenden Verschiebungen der Geschäftstätigkeiten sich zunächst auf Konsumgüter mit geringer Wertschöp- deutscher Unternehmen wirken sich negativ auf die re- fung und hoher Lohnintensität in der Produktion. Wichtige gionalen Verflechtungen der Produktion innerhalb der Zwischenerzeugnisse kamen weiter aus Europa und die EU – in deren Zentrum Deutschland steht – aus.24
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 13 3.3 Verschiebungen machen sich im deutsch- Verschiebungen bei den Importen aus China seit 2010 chinesischen Handel bemerkbar machten sich insbesondere mit einem Rückgang bei Chinas Handelsstruktur mit Deutschland hat sich in den Konsumgütern und Schiffbau bemerkbar. Die Bedeutung vergangenen zehn Jahren deutlich verschoben. Mit 46 anderer Produktgruppen nahm jedoch zu. Den stärksten Prozent des bilateralen Handelsvolumens dominiert 2019 Anstieg verzeichneten – ähnlich wie bei deutschen Ex- der Warenfluss von mechanischen und elektrischen Ma- porten – elektrische Maschinen und Geräte. schinen klar die deutsch-chinesischen Handelsbeziehun- gen.25 In diesem Segment gab es seit 2010 die größten Aufgrund von Verschiebungen der Anteile übergeordne- Verschiebungen. Der Anteil von Maschinen und mecha- ter Warenkategorien ist die deutsch-chinesische Han- nischen Geräten an den gesamten deutschen Exporten delsstruktur seit 2010 insgesamt vielfältiger geworden. Mit nach China ging über die vergangenen neun Jahre um einem Anteil von 30 Prozent bleiben Transportsysteme, 7,8 Prozentpunkte zurück (siehe Abbildung 3). Metalle, vor allem Automobil- und Luftfahrterzeugnisse, aber die Kunststoffe und Chemie verloren ebenso an Bedeutung; mit Abstand wichtigste Produktgruppe für deutsche Ex- der Anteil von elektrischen Maschinen und Geräten, phar- porte (siehe Abbildung 4). Unverändert ist die Bedeutung mazeutischen und landwirtschaftlichen Produkten konn- elektronischer Geräte als die wichtigste Import-Produkt- te jedoch zulegen. kategorie aus China. Abbildung 2: Anteil Chinas an der globalen Wertschöpfung in der industriellen Produktion 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 China EU Deutschland USA Quelle: Weltbank
14 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Abbildung 3: Verschiebungen der Handelsstruktur zwischen China und Deutschland Veränderungen nach Kategorie 2010 zu 2019 in Prozentpunkten Maschinen und mechanische Geräte 0,77 -7,81 Metalle 0,81 -1,76 Kunststoffe 0,84 -0,32 Chemie 0,66 -0,15 Konsumgüter -3,06 -0,11 Transportsysteme -5,04 0,40 Landwirtschaftliche Erzeugnisse -0,28 2,04 Elektrische Maschinen und Geräte 3,59 2,75 Pharma und Medizin -0,07 3,15 -10 -8 -6 -4 -2 0 2 4 deutsche Importe aus China deutsche Exporte nach China Quelle: Comtrade Abbildung 4 und 5: Handelsstruktur deutscher Importe und Exporte nach Produktgruppen Handelsstruktur deutscher Importe Handelsstruktur deutscher Exporte aus China nach Produktgruppe nach China nach Produktgruppe 100 % 90 % 80 % 19,2 % 70 % 30 % 60 % 50 % 40 % 53 % 30 % 37 % 20 % 10 % 8,6 % 5,6 % 0% 2010 2019 2010 2019 Chemie Pharma und Medizin Kunststoffe Maschinen und mechanische Geräte Elektrische Maschinen und Geräte Transportsysteme Metalle Konsumgüter Landwirtschaftliche Erzeugnisse Andere Quelle: Comtrade
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 15 4 4. Die Analyse: Verschiebungen innerhalb ausgewählter Fokusindustrien Die Frage, inwiefern sich in den vergangenen Jahren die Handelsströme zwischen Deutschland und China ver- chen Konsumgütern aus China, etwa von Spielzeugen oder Kleidung, bereits 2010 seinen Zenit. Aufgrund von schoben haben, kann nur differenziert nach Branchen steigenden Produktionskosten wanderten lohnintensive beantwortet werden. Denn je nach Detailtiefe ist die Ent- Industrien aus China in andere Länder – vor allem in Süd- wicklung teilweise sehr unterschiedlich verlaufen. Im fol- ostasien – ab. Der Anteil deutscher Konsumgüterimporte genden Abschnitt werden auf Grundlage der Comtrade aus China ging zwischen 2010 und 2019 um 3,1 Prozent- Datenbank der Vereinten Nationen die Handelsströme punkte zurück und machte 2019 nur mehr 19,2 Prozent zwischen Deutschland und China zwischen 2010 und aller Importe aus China aus (siehe Abbildung 5). Dennoch 2019 innerhalb von vier ausgewählten Fokusindustrien – bleibt China für Deutschland eine der bedeutendsten Be- Konsumgüter, Elektronik, Pharmazie und Grundstoffche- zugsquellen von Konsumgütern. mie – exemplarisch analysiert.26 Die Veränderung des deutschen Importanteils aus China Die Klassifizierung der Produktgruppen in der Comtrade fällt sehr unterschiedlich aus. Mit steigender Qualität und Datenbank verwendet das harmonisierte Warenbeschrei- technischen Fähigkeiten in der Herstellung nahmen Im- bungs- und Codierungssystem (HS Code) der Weltzollorga- porte von langlebigen Verbrauchsartikeln aus China zu. nisation. Je nach Fokusindustrie werden 2-, 4- oder 6-stellige Der Trend ist insbesondere im Bereich von Küchen- und HS Codes für die nachfolgende Analyse herangezogen. Haushaltsgeräten bemerkbar. So erhöhte sich der Anteil der importierten Kühlschränke aus China zwischen 2010 Die Betrachtung von aggregierten Handelsdaten der und 2019 um 14,1 Prozentpunkte auf insgesamt 41 Pro- übergeordneten Produktkategorien auf den zweistelligen zent. Der Anstieg von Importen in diesem Segment ist HS Codes gibt erste Aufschlüsse über wesentliche Ver- auch auf die zunehmend globale Marktpräsenz von chi- schiebungen. Erst der genaue Blick auf die Unterkate- nesischen Marken wie Haier und Midea zurückzuführen gorien der 4- und 6-stelligen HS Codes ermöglicht dann (siehe Abbildung 6). eine detaillierte Analyse. Gleichzeitig ließen Chinas wachsende Kaufkraft und der 4.1 Konsumgüter: Importe haben ihren Zenit erhöhte Bedarf der chinesischen Mittelklasse nach hoch- überschritten wertigen Konsumgütern auch deutsche Exporte nach Der Export von Konsumgütern war einer der Grundpfeiler China ansteigen. Deutsche Unternehmen, die den Struk- des chinesischen Entwicklungsmodells. Die Produktion turwandel der vergangenen Jahrzehnte und die Ver- war zu großen Teilen bereits in den 1970er- und 1980er- lagerung nach Asien und zuletzt China überlebt haben, Jahren von Europa nach Asien abgewandert und ver- profitieren nun von der starken Nachfrage in China (siehe schob sich nun innerhalb Asiens Richtung China. Ganze Abbildung 7). Der Trend lässt sich am Beispiel der Haus- Branchen, die dem Kostenwettbewerb nicht mehr ge- haltskühlschränke verdeutlichen: Deutschland exportierte wachsen waren, verlagerten ihre Produktion nach China. 2019 knapp 16.000 Kühlschränke nach China, während circa eine Million aus China importiert wurden. Der Wert Durch die günstigen Preise konnten sich chinesische der deutschen Exporte belief sich auf 14,5 Millionen USD, Konsumgüter auf internationalen Märkten durchset- während die Importe sich auf 81,6 Millionen USD sum- zen. Der Anteil von „Made in China“ an den Gesamtim- mierten. Damit importierte Deutschland gemessen an der porten Deutschlands und der EU nahm nach dem WTO Stückzahl 61,4-mal so viele Kühlschränke aus China wie Beitritt Chinas 2001 insbesondere bei kurzlebigen Ge- es dorthin exportierte, während der Faktor des Wertes brauchsartikeln rapide zu. Bei Bekleidung, Schuhen, in USD lediglich 5,6 betrug. Die erhöhte Nachfrage nach Möbeln, Spielzeug, Uhren und anderen Produkten, wie deutschen Premiumprodukten in diesem Segment hat etwa Regenschirmen, lag der Importanteil im Laufe der dazu beigetragen, dass Chinas Bedeutung als Exportmarkt 2000er-Jahre teilweise bei mehr als 80 Prozent. Aller- für Deutschland gestiegen ist und das bilaterale Handels- dings erreichte Deutschlands Importanteil von einfa- defizit in der Produktkategorie reduziert wurde.
16 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE 4.2 Elektronik: China hat eine Vormachtstellung 4.3 Pharmaindustrie: Chinas Unternehmen derzeit erreicht noch am unteren Ende der Wertschöpfungskette In der Produktion von Endgeräten der Konsumgüter- In der forschungsintensiven Arzneimittelherstellung elektronik wie Notebooks und Mobiltelefonen domi- haben deutsche Unternehmen aufgrund ihrer Innova- niert China heute den Welthandel. 2019 stammten tionsfähigkeit im internationalen Vergleich eine Spitzen- mehr als 90 Prozent der Notebooks und mehr als 70 position inne, auch wenn die Top 10 von Unternehmen Prozent der Mobiltelefone (inklusive Smartphones), aus den USA und der Schweiz angeführt werden (siehe welche die EU importierte, aus China. Deutschland und Abbildung 10). Deutsche Pharmaprodukte sind sehr ge- andere europäische Länder spielen in diesen Segmen- fragt. Bei Arzneimitteln hatte Deutschland auch 2019 ten mittlerweile keine Rolle mehr. Die Produktion hat nicht nur mit China einen Handelsüberschuss, sondern sich nahezu komplett nach China und in andere Teile mit allen Ländern. Asiens verlagert. Innerhalb der bilateralen Handelsstruktur stieg der An- Als 2005 die chinesische Firma Lenovo die PC-Sparte von teil von pharmazeutischen Produkten im Vergleich zu IBM übernahm, war dies ein erster Schritt auf Chinas Weg anderen Produktkategorien am stärksten. Der Anteil am zur Internationalisierung seiner Marken (siehe Abbildung Gesamtwarenaustausch stieg von 0,7 Prozent im Jahr 8). Mittlerweile sind chinesische Marken im Bereich von 2010 auf 2,1 Prozent im Jahr 2019. Größter Treiber war Mobilfunkgeräten (Huawei, Oppo, Xiaomi), Drohnen (DJI) die steigende Nachfrage nach qualitativ hochwertiger oder in der Unterhaltungselektronik (TCL, Konka) interna- medizinischer Versorgung. Diese führte dazu, dass sich tional vertreten. der deutsche Export von Pharmaprodukten zwischen 2010 und 2019 versechsfachte. Der Handelsüberschuss Die ursprünglich auf Montage und weniger komplexe verzehnfachte sich sogar. Insgesamt sind deutsche Ex- Fertigungsstufen spezialisierte Elektronikindustrie Chinas porte von Arzneimitteln nach China mit fünf Prozent des hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend Gesamtexports in der übergeordneten Produktkategorie verändert. Die Branche profitierte neben Skalierungsef- (HS30) allerdings noch gering. fekten und dem Gewinn an Fertigungsexpertise auch vom Aufbau eines leistungsfähigen Lieferantennetzwerks aus 2010 waren Deutschlands Arzneimittelimporte aus chinesischen und ausländischen Unternehmen. Die Ent- China noch nahezu irrelevant, 2019 beliefen sie sich stehung von Industrie- und Fertigungsclustern, vor allem bereits auf fast 4 Milliarden USD. Mit nur 8,7 Prozent im Yangtse- und Perlflussdelta, hat die vertikale Integra- ist der chinesische Anteil an den nach Deutschland tion im Bereich der Elektronik dermaßen befördert, dass importierten Arzneimitteln allerdings noch gering. die chinesische Elektronikindustrie immer mehr Teile Von einer potenziell bedrohlichen generellen Abhän- der Wertschöpfungskette vereinnahmen konnte. Neben gigkeit von chinesischen Pharmaendprodukten oder dem Zusammenbauen von Teilen werden verstärkt Bau- Arzneimittelimporten, eine in der Covid-19-Krise teile sowie Baugruppen komplett in China hergestellt. häufig geäußerte Befürchtung, kann derzeit nicht die Bei wichtigen Komponenten, zum Beispiel Leiterplatten Rede sein. und elektronischen Bauelementen wie Transistoren oder Kondensatoren, ist China mittlerweile international na- Ungeachtet der starken Position westlicher Pharma- hezu konkurrenzlos. unternehmen macht die chinesische Pharmaindust- rie rasch Fortschritte. Dazu gehören auch Aufkäufe Die globale Verschiebung der Elektronikindustrie macht von Unternehmen im Ausland (siehe Abbildung 11). In sich auch dadurch bemerkbar, dass der Anteil Chinas weniger forschungsintensiven Segmenten der Wert- an den deutschen Exporten in der Branche in den ver- schöpfungskette nimmt China allerdings eine deut- gangenen zehn Jahren zugenommen hat (siehe Abbil- lich wichtigere Position im bilateralen Handel ein. dung 9). Das liegt – ähnlich wie bei Konsumgütern – am Dazu gehören insbesondere Generika, unwirksame gestiegenen chinesischen Bedarf an hochwertigen Kom- Vorstufen von Arzneimitteln und aktive pharmazeu- ponenten und Steuerungstechnik, die für die Herstellung tische Wirkstoffe (API), die in der Regel nicht von von Zwischenprodukten nötig sind. Die Fähigkeiten der international führenden Pharmaunternehmen selbst chinesischen Hersteller schließen zwar schnell zu denen hergestellt werden. 27 Chinesische Unternehmen ha- von Spezialisten in westlichen Industrieländern auf, in ben sich dabei insbesondere bei den API als wichtige oberen Teilen der Wertschöpfungskette ist China aber Zulieferer etabliert. 28 Deutschland rangierte 2018 als noch auf das Ausland angewiesen. Ein bekanntes Bei- fünftwichtigste Exportdestination für API, nach Indien spiel hierfür sind hochwertige Halbleiter. (dem weltweit wichtigsten Hersteller von Generika) sowie den USA, Japan und Südkorea. 29
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 17 Abbildung 6: Top 10 Unternehmen Haushaltsgeräte 40 39,8 35 30 28,5 25 26,8 20 21,0 15 Umsatz in Mrd. USD 2019 14,3 10 9,7 8,0 5 0 Media Gree Electric Haier Whirlpool Elektrolux LG SEB (China) Appliances (China) (China) (USA) (Schweden) (Südkorea) (Frankreich) Quelle: Statista Im Gegensatz zu Arzneimittelendprodukten lassen bei Allerdings macht sich eine wachsende chinesische bestimmten Arzneistoffen die Handelsdaten auf eine Konkurrenz und der Aufbau von in China konzentrier- starke Abhängigkeit von China schließen. So bezieht ten Produktionskapazitäten bemerkbar. Bis 2023 sollen Deutschland seit 2010 unverändert knapp 60 Pro- mindestens zwölf neue Verbundstandorte (integrated zent der importierten Provitamine aus China (siehe refinery-pertrochemical complex) entstehen.31 Der Ka- Abbildung 12). 2019 betrug Deutschlands Importan- pazitätsaufbau im chinesischen Chemiemarkt findet teil aus China für Tetrazykline 61,8 und für Penicil- auch unter Beteiligung ausländischer Unternehmen line 56,4 Prozent. Ganz anders sieht es bei anderen statt. 2020 erfolgte der Spatenstich für massive Investi- Wirkstoffen aus: Der chinesische Importanteil bei tionsvorhaben der BASF und von Exxon (siehe Abbildung Heterocyclen etwa betrug 2019 lediglich 2,3 Prozent. 13). Das Investitionsvolumen beläuft sich jeweils auf 10 Auch ist Chinas Rolle als Bezugsquelle aller aggre- Milliarden USD.32 Durch den Kapazitätsaufbau wird China gierten Antibiotika mit 5,8 Prozent weiterhin gering. weniger abhängig von Importen, und es ist mit weiteren Verschiebungen innerhalb der Handelsflüsse zu rech- Die derzeitigen Verlagerungen von Liefer- und Wert- nen. Diese Entwicklung macht sich bereits im Bereich schöpfungsketten in der Pharmaindustrie nach China sind der anorganischen Chemie bemerkbar, wo die Exporte insgesamt noch auf wenige Bereiche konzentriert, vor stagnieren. Zwischen 2010 und 2019 betrug das Wachs- allem bei den Wirkstoffen. Auf die deutsche pharmazeu- tum lediglich 0,8 Prozent. tische Industrie, die ihre Stärken in der Herstellung von komplexen Arzneien hat, wirkt sich diese Entwicklung bis- Die deutsche Industrie hat im Handel mit anorganischer lang kaum aus. Chemie und Kunststoffen mit China ebenso wie mit dem Rest der Welt einen Handelsüberschuss (siehe Abbil- 4.4 Grundstoffchemie: Ausländische Unternehmen dung 14). Ein anderes Bild zeigt sich bei der organischen investieren kräftig Chemie. Hier zeichnet sich seit Ende der 1990er-Jah- Mit der gestiegenen Bedeutung als globaler Fertigungs- re ein Handelsdefizit Deutschlands ab. Dieser Umstand standort ist auch Chinas Nachfrage nach chemischen lässt sich allerdings nicht auf eine dominantere Rolle Produkten massiv gestiegen. Als Zulieferer hat die deut- Chinas zurückführen. Denn insgesamt betrachtet hat sche Chemieindustrie davon zunächst profitiert. Zwi- sich die Handelsstruktur mit China bei chemischen Pro- schen 2005 und 2010 verachtfachten sich Exporte nach dukten in den übergeordneten Kategorien (HS28-29 und China in der anorganischen Chemie, während sie sich HS38-39) (siehe Abbildung 15) über die vergangenen in der organischen Chemie mehr als verdoppelten.30 zehn Jahre nicht wesentlich verändert.
18 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Abbildung 7: Konsumgüter: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel 2010 zu 2019 70 % Spielzeug 2010 Chinas Anteil an Gesamtimporten nach Warenklasse 60 % 50 % Spielzeug 2019 Haushaltkühlschränke 2019 40 % Bekleidung 2010 30 % Haushaltkühlschränke 2010 Bekleidung 2019 20% 10 % 0% 0% 1% 2% 3% 4% 5% Chinas Anteil an Gesamtexporten nach Warenklasse Quellen: Comtrade, MERICS Bei Grundstoffen der Kunststoffindustrie ist der deut- Ungeachtet der insgesamt weiterhin bestehenden Stärke sche Handel mit China nicht von zentraler Bedeutung. Deutschlands in der chemischen Industrie machen sich So sind Importe aus China von Polyethylen und thermo- bei einzelnen Bereichen der Grundstoffchemie Verän- plastischem Polyurethan (TPU) weiterhin bedeutungslos. derungen bemerkbar (siehe Abbildung 16). Chinas Anteil Seit 2005 bleibt der Importanteil aus China unter einem an den deutschen Gesamtimporten von Acetylen ist zwi- Prozent. Deutschlands Exportanteil nach China in diesen schen 2010 und 2019 von 8,2 Prozent auf 21,3 Prozent Bereichen macht seit 2005 hingegen konstant zwischen angestiegen. Ähnlich verhält es sich bei Aminosäuren, vier bis fünf Prozent aus. wenn auch weniger ausgeprägt. Hier stieg Chinas Anteil im Betrachtungszeitraum von 3,9 Prozent auf 9,5 Prozent. Im Bereich der anorganischen Chemie sind anhand der Dabei ist allerdings zu beachten, dass Deutschland bei bilateralen Handelsdaten keine wesentlichen Verschie- den untersuchten Unterkategorien bereits seit mehr als bungen erkennbar. 2019 ist die Produktgruppe HS2904 15 Jahren ein Handelsdefizit nicht nur mit China, sondern (Wasserstoff, Edelgase und Buntmetalle) mit einem An- auch mit der restlichen Welt aufweist. Auch der deutsche teil von 45,4 Prozent der mit Abstand wichtigste Be- Exportanteil nach China hält sich auf konstant niedrigem reich. Im Vergleich zu 2010 stieg der China-Anteil bei Niveau. Die in diesem Beispiel dargestellten bilateralen den Exporten in dieser Kategorie im Jahr 2019 um 14,6 Verschiebungen wirken sich daher vor allem auf den Han- Prozentpunkte auf 43,6 Prozent an. del mit Drittländern aus.
Chinas Streben nach Dominanz in globalen Zuliefer- und Wertschöpfungsketten: Auswirkungen auf Europa 19 Abbildung 8: Top 10 Unternehmen Smartphone, Marktanteil 2019 nach ausgelieferten Geräten 40 35 36,7 % 30 25 in Prozent 20 19,2 % 15 15,6 % 12,6 % 10 8,2 % 7,7 % 5 0 Samsung (Südkorea) Huawei (China) Apple (USA) Xiaomi (China) Oppo (China) Andere Quelle: Cartner 4.5 Zwischenfazit: Verlagerungen betreffen Branchen Chinas steigende wirtschaftliche Bedeutung in den darge- in unterschiedlichem Maß stellten Branchen verdeutlicht verschiedene Phasen des In den oben dargestellten Industrien lassen sich durch Aufstiegs der chinesischen Industrie innerhalb der Wert- den Aufstieg Chinas einige Verschiebungen innerhalb der schöpfungskette. Nach den anfänglichen Chancen für die globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten erkennen. ausländischen Unternehmen nimmt der Konkurrenzdruck Die Beispiele in der Konsumgüter- und Elektronikindus- durch chinesische Unternehmen schnell zu. Die Vorteile, trie verdeutlichen, wie sich nach und nach Teile der Wert- welche deutsche und andere ausländische Unternehmen schöpfungskette verlagern. Die pharmazeutische und in den oberen Segmenten der Wertschöpfungskette ha- chemische Industrie sind derzeit noch weniger von den ben, sollten nicht zu übereilten Fehlschlüssen verleiten. Verlagerungen betroffen, doch auch hier zeichnen sich Die Technologielücke zu China verringert sich auch in bereits Trends ab. Insgesamt hat Deutschlands Industrie in Deutschlands Schlüsselindustrien zunehmend. In einigen den vergangenen Jahrzehnten vom wirtschaftlichen Auf- Zukunftstechnologien haben chinesische Unternehmen stieg Chinas durchaus profitiert, allerdings nimmt seit 2010 bereits führende Positionen. Es besteht trotz Stärken der der Konkurrenzdruck zu. Die Skalierungseffekte der chine- deutschen Industrie dringender Handlungsbedarf, um die sischen Industrie, gepaart mit dem Anstieg von technologi- Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts in Deutsch- schem Wissen und Innovationsfähigkeit im Land, sind eine land zu erhalten. wachsende Herausforderung. China holt rapide auf.
20 Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE Abbildung 9: Elektronik: Entwicklung deutsch-chinesischer Handel, 2010 zu 2019 60 % Mobiltelefone (2019) Leiterplatten (2019) Chinas Anteil an Gesamtimporten 50 % Dioden (2010) 40 % Leiterplatten (2010) Dioden (2019) 30 % Mobiltelefone (2010) 20% Kondensatoren (2019) 10 % Kondensatoren (2010) 0% 2% 4% 6% 8% 10 % 12 % 14 % Chinas Anteil an Gesamtexporten Abbildung 10: Top 10 Unternehmen Pharma nach Umsatz 2019 Unternehmen Herkunft Johnson & Johnson USA Roche Schweiz Pfizer USA Novartis Schweiz Merck & Co USA GlaxoSmithKline Großbritannien Sanofi Frankreich AbbVie USA Takeda Japan Bayer Deutschland Quelle: Fierce Pharma
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