Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis

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Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
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                          Wissenschaft
                          macht Schule

Lisa Ziernwald, Doris Holzberger, Delia Hillmayr, Kristina Reiss

Leistungsstarke
Schülerinnen und Schüler
fördern
Einblicke in Forschung und Praxis
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Das dieser Broschüre zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung sowie des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister
der Länder in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Förderkennzeichen ZIB2022 gefördert.
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Wissenschaft macht Schule, Band 1
herausgegeben von Doris Holzberger und Kristina Reiss
ISSN 2701-6056

Print-ISBN 978-3-8309-4257-3
E-Book-ISBN 978-3-8309-9257-8
doi: https://doi.org/10.31244/9783830992578
© Waxmann Verlag GmbH, 2020
Steinfurter Straße 555, 48159 Münster
www.waxmann.com
info@waxmann.com

Lektorat: UNGER-KUNZ. Lektorat und Redaktionsbüro – www.unger-kunz.de
Umschlagfoto: © SpeedKingz – shutterstock.com
Satz, Umschlaggestaltung: Waxmann Verlag
Grafiken: grafikbüro Petra Hinterberger – www.das-grafikbuero.de

Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Nicht-kommerziell
Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International

(CC BY-NC-SA 4.0)
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Inhalt
Über diese Broschüre............................................................................................................................................................ 4
Kurzzusammenfassung – Ergebnisse der Forschungssynthese..................................................................................... 5

      1 Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler –
        Leitziel Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.................................................................................... 6

      2 Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler: Ein Überblick..................................... 8
           2.1 Enrichment........................................................................................................................................................... 8
           2.2 Akzeleration......................................................................................................................................................... 9
           2.3 Gruppierung......................................................................................................................................................... 9
           2.4 Integrierte Fördermaßnahmen im Regelunterricht....................................................................................... 9

      3 Die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis................................................................................................. 13
           3.1 Warum Evidenzorientierung?.......................................................................................................................... 13
           3.2 Welchen Beitrag können Forschungssynthesen zur Evidenzorientierung leisten?................................ 13
           3.3 Welche Bedeutung hat internationale Forschung?...................................................................................... 15

      4 Forschungssynthese zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler
        im Regelunterricht..................................................................................................................................................16
           4.1 Hintergrund und Ziele der Forschungssynthese..........................................................................................16
           4.2 Methodisches Vorgehen................................................................................................................................... 17
           4.3 Ergebnisse – Anwendung und Beurteilung von Differenzierungsmaßnahmen
               im Regelunterricht.............................................................................................................................................18
           4.4 Zusammenfassung und Ausblick................................................................................................................... 24
           4.5 Zum Weiterdenken – Reflexionsfragen für die Praxis................................................................................. 24

      5 Ergänzende Forschungsbefunde, Informationsportale und Fortbildungsmöglichkeiten...................... 26
           5.1 Ergänzende aktuelle Forschungssynthesen zu Fördermaßnahmen für leistungsstarke
               Schülerinnen und Schüler................................................................................................................................ 26
           5.2 Informationsportale zur Evidenzorientierung............................................................................................. 28
           5.3 Informationsportale zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler................................... 29
           5.4 Fortbildungen und Informationsportale der einzelnen Bundesländer zur Förderung
               leistungsstarker Schülerinnen und Schüler.................................................................................................. 29

Literatur ................................................................................................................................................................................ 34
Bildnachweis........................................................................................................................................................................ 36

 Das digitale Zusatzmaterial zu dieser Broschüre finden Sie auf go.tum.de/849130.

Dank
Wir möchten Dr. Frank Reinhold, wissenschaftlicher                                              Zudem danken wir den wissenschaftlichen Hilfskräf-
Mitarbeiter und Lehrkraft für Mathematik und Physik,                                            ten, die bei der Erstellung der Broschüre mitgewirkt
für die Unterstützung bei der Erstellung der Unter-                                             haben.
richtsbeispiele danken.                                                                         Abschließend bedanken wir uns für die gelungene Ko-
Unser Dank gilt auch allen Lehrkräften, die ihre jahre-                                         operation mit den Landesinstituten, welche uns Infor-
langen Erfahrungen mit leistungsstarken Schülerin-                                              mationen zu vorhandenen Fortbildungsangeboten in
nen und Schülern mit uns geteilt und für die Veröffent-                                         den einzelnen Bundesländern zur Verfügung gestellt
lichung dieser Broschüre zur Verfügung gestellt haben.                                          haben.
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Über diese Broschüre

Die vorliegende Broschüre richtet sich an Schulleitungen    ne Forschungserkenntnisse aus Einzelstudien zusam-
und Lehrkräfte, an politische Entscheidungsträgerinnen      mengefasst. Um den Einblick in die Forschung durch
und Entscheidungsträger sowie an alle Personen, die         Einblicke in die Praxis zu ergänzen, wurden Interviews
sich für den Themenbereich der Förderung leistungs-         mit Lehrkräften geführt, welche Praxisexpertinnen
starker Schülerinnen und Schüler interessieren. Ziel der    und -experten im Bereich der Förderung leistungs-
Broschüre ist es, die Bedeutung einer angemessenen          starker Schülerinnen und Schüler sind. Zitate aus den
Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler         geführten Interviews werden ergänzend zu den For-
herauszustellen sowie relevante Informationen zu            schungsergebnissen dargestellt.
diesem Themenbereich zur Verfügung zu stellen.
                                                            Da Differenzierungsmaßnahmen das effektive Lernen
In der Bildungspraxis werden bereits vielfältige Maß-       aller Schülerinnen und Schüler zum Ziel haben, werden
nahmen zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen          in dieser Broschüre neben den leistungsstarken auch
und Schüler eingesetzt. Um das bestehende Wissen            potenziell leistungsfähige, durchschnittlich leistungs-
aus der Praxis zu ergänzen, wird in der vorliegenden        fähige sowie leistungsschwächere Schülerinnen und
Broschüre der aktuelle internationale Forschungsstand       Schüler mitgedacht.
zu diesem Themenbereich mit Fokus auf die integrierte
                                                            Um einen umfassenden Einblick in Forschung und Pra-
Förderung im Regelunterricht dargestellt.
                                                            xis zum Thema Leistungsstarke Schülerinnen und Schü-
Im Folgenden werden alle Maßnahmen, welche sich             ler fördern zu bieten, umfasst die Broschüre die folgen-
mit der integrierten Förderung von leistungsstarken         den Inhalte:
Schülerinnen und Schülern im Regelunterricht beschäf-
tigen, unter dem Oberbegriff Differenzierungsmaßnah-
                                                            • Bedeutung der Förderung leistungsstarker Schüle-
                                                              rinnen und Schüler im schulischen Kontext (Kap. 1)
men zusammengefasst. Der übergeordnete Begriff der
Fördermaßnahmen umfasst neben diesen Differenzie-           • Überblick  über Fördermaßnahmen für leistungs-
rungsmaßnahmen auch Maßnahmen wie zum Beispiel                starke Schülerinnen und Schüler (Kap. 2)
Ta­lentwettbewerbe, welche außerhalb des Regelun-           • Rolle von Forschung in der Bildungspraxis (Kap. 3)
terrichts stattfinden. Als Regelunterricht wird dabei der
                                                            • Forschungssynthese mit den Ergebnissen interna-
Unterricht in leistungsheterogenen Klassen mit so-            tionaler Forschung zu Häufigkeit, Nützlichkeit, Hin-
wohl leistungsstarken, durchschnittlich leistungsfähi-        dernissen und Unterstützungsmöglichkeiten sowie
gen als auch leistungsschwächeren Schülerinnen und            Wirksamkeit von Differenzierungsmaßnahmen für
Schülern verstanden.                                          leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Regel-
Die Zusammenfassung des aktuellen Forschungs-                 unterricht (Kap. 4)
stands zum Thema Differenzierungsmaßnahmen zur              • Ergänzende aktuelle Forschungssynthesen zu För-
Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler           dermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen
im Regelunterricht soll – im Kontext des Transfers von        und Schüler (Kap. 5.1)
Forschungswissen – eine zum bereits vorhandenen
Praxiswissen ergänzende und keinesfalls ersetzende
                                                            • Informationsportale zum Transfer von Forschungs-
                                                              wissen und zur Evidenzorientierung (Kap. 5.2)
Perspektive auf das Thema liefern. Aus Sicht der For-
schung wird dabei a) auf die Häufigkeit der Verwen-         • Informationsportale zum Thema Förderung leistungs-
dung, b) auf die von Lehrkräften sowie von Schülerin-         starker Schülerinnen und Schüler (Kap. 5.3)
nen und Schülern eingeschätzte Nützlichkeit, c) auf         • Bundeslandspezifische Fortbildungsmöglichkeiten
Hindernisse und Unterstützungsmöglichkeiten bei der           und Informationsangebote für Schulleitungen und
Implementierung sowie d) auf die Wirksamkeit von              Lehrkräfte zum Themenbereich (Kap. 5.4)
Differenzierungsmaßnahmen im Regelunterricht ein-
gegangen. Für die Zusammenfassung des aktuellen
Forschungsstands wird die Methode der Forschungs-
synthese verwendet. Dabei werden bereits vorhande-

4
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Kurzzusammenfassung – Ergebnisse der Forschungssynthese

Die am Zentrum für internationale Bildungsvergleichs-     3. Hindernisse und Unterstützungsmöglichkeiten
studien (ZIB) erstellte Forschungssynthese zum Thema         bei der Implementierung von Differenzierungs-
Differenzierungsmaßnahmen zur Förderung leistungs-           maßnahmen
starker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht be-   Einerseits sehen Lehrkräfte vielfältige Herausforde-
trachtet insgesamt vier Fragestellungen. Im Folgenden     rungen bei der Implementierung von Differenzie-
werden die Ergebnisse der Forschungssynthese in Kurz-     rungsmaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und
form zusammengefasst.                                     Schüler im Regelunterricht. Diese können in die Berei-
                                                          che administrative Schwierigkeiten, fehlendes Wissen,
1. Häufigkeit der Verwendung von Differenzierungs-        mangelnde Ressourcen und Schwierigkeiten bei der
   maßnahmen                                              Identifikation leistungsstarker Schülerinnen und Schü-
Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke Schü­-      ler eingeteilt werden. Andererseits können Unterstüt-
lerinnen und Schüler werden gemäß der aktuellen Stu-      zungsmöglichkeiten wie beispielsweise Lehrkräftetrai-
dienlage im Regelunterricht relativ selten und nur in     nings, Mentorinnen und Mentoren für Lehrkräfte so-
relativ geringem Umfang eingesetzt.                       wie Hospitationen im Unterricht anderer Lehrkräfte
                                                          förderlich für die Implementierung von Differenzie-
2. Eingeschätzte Nützlichkeit von Differenzierungs-
                                                          rungsmaßnahmen sein.
   maßnahmen
Sowohl die in den Einzelstudien befragten Lehrkräfte      4. Wirksamkeit von Differenzierungsmaßnahmen
als auch die befragten Schülerinnen und Schüler schät-    Die analysierten Studien weisen überwiegend darauf hin,
zen Differenzierungsmaßnahmen für die Förderung           dass Differenzierungsmaßnahmen sowohl für leistungs-
leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regel-       starke als auch für durchschnittlich leistungsfähige und
unterricht als überwiegend geeignet ein.                  leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler förder-
                                                          lich sein können. Kontext und Zielgruppe der Differen-
                                                          zierungsmaßnahme spielen dabei eine zen­trale Rolle.

                                                                                                                5
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
1 Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler –
  Leitziel Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit

Schülerinnen und Schülern bestmögliche Lernbedin-           sem Rahmen wurde auch die Forschungssynthese in
gungen und Bildungschancen zu bieten und damit in           Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in der vorliegen-
den Klassenzimmern für mehr Bildungsgerechtigkeit           den Broschüre dargestellt werden. Parallel dazu wur-
zu sorgen, ist in Deutschland ein zentrales bildungs-       de die bis Ende 2027 laufende bundesweite Initiative
politisches Ziel. Je individueller die schulische Bildung   Leistung macht Schule angestoßen, in der es mit Un-
für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schü-       terstützung des Bundes und der Länder um die Förde-
ler gestaltet werden kann, desto besser können diese        rung von leistungsstarken und potenziell besonders
ihre Stärken und Talente entwickeln – und dies unab-        leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern geht. Im
hängig von Herkunft, Geschlecht oder Leistungsfähig-        Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und
keit (Bundesministerium für Bildung und Forschung &         Forschung finanzierten gleichnamigen Forschungs-
Kultusministerkonferenz, o. J.).                            verbunds, abgekürzt LemaS, werden dabei in enger
                                                            Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schulen pra-
Bereits im Jahr 2009 wurde von der Kultusministerkon-
                                                            xistaugliche Materialien, Konzepte und Maßnahmen
ferenz (KMK) ein Beschluss zur begabungsgerechten
                                                            erprobt und evaluiert, die nach Abschluss der ersten
Förderung veröffentlicht. Dabei wurde betont, dass
                                                            Förderphase (2018–2022) in die gesamte Schulland-
die Förderung der Schülerinnen und Schüler entspre-
                                                            schaft getragen werden sollen (Weigand et al., 2020).
chend der individuellen Leistungsfähigkeit eine zen­
trale Aufgabe des Bildungssystems ist (KMK, 2009).

Dementsprechend ist der Diskurs um die individuelle
Förderung von Schülerinnen und Schülern in Abhän-
gigkeit ihrer Leistungsfähigkeit nicht neu. Um im Sinne
der individuellen Förderung allen Schülerinnen und             Warum die Förderung leistungsstarker
Schülern gerecht zu werden, ist ein Eingehen auf ihre          Schülerinnen und Schüler wichtig ist
jeweils unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Mo-            Gründe für das in den letzten Jahren auch in der
tivation sowie auf ihre persönlichen Interessen und            breiteren Öffentlichkeit zunehmende Interesse an
Bedürfnisse erforderlich. Es ist also nicht ausreichend,       der Förderung leistungsstarker Schülerinnen und
den Durchschnitt einer Klasse zu unterrichten, son-            Schüler im Regelunterricht sind u. a. (KMK, 2015b):
dern es müssen geeignete Formen des Lehrens und
Lernens gefunden werden, die eine differenzierte För-
                                                               •   Vergleichsweise kleiner Anteil leistungsstarker
                                                                   Kinder und Jugendlicher im (inter-)nationalen
derung ermöglichen.
                                                                   Vergleich, z. B. PISA und Ländervergleiche
Im Jahr 2010 wurde entsprechend dieses Grundgedan-
kens die Initiative der KMK zur Förderung leistungs-
                                                               •   Zunehmende Heterogenität zwischen Schüle-
                                                                   rinnen und Schülern sowie innerhalb der Schul-
schwächerer Schülerinnen und Schüler ins Leben geru-
                                                                   klassen u. a. in Bezug auf das Leistungsniveau
fen (KMK, 2010). Die leistungsstarken Schülerinnen und
                                                                   und die damit einhergehenden Anforderungen
Schüler rückten dann 2015 und 2016 mit der von der
                                                                   an die Lehrkräfte
KMK beschlossenen Förderstrategie für leistungsstarke
Schülerinnen und Schüler (2015b) und der Gemeinsamen           •   Beschulung der meisten leistungsstarken Schü-
Initiative von Bund und Ländern zur Förderung leistungs-           lerinnen und Schüler findet im Regelunterricht
starker und potenziell besonders leistungsfähiger Schü-            und nicht in gesonderten Spezialklassen statt
lerinnen und Schüler (2016) in den Vordergrund. In die-

6
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Insgesamt sind Fördermaßnahmen für leistungsstarke
Schülerinnen und Schüler „sowohl integrativ als auch
in speziellen Gruppen möglich“ (KMK, 2009, S. 2). Im
Fokus der vorliegenden Broschüre steht die integrier-
te Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schü-
ler im Regelunterricht. Fördermaßnahmen außerhalb
des Regelunterrichts werden separat betrachtet, sind
jedoch nicht Bestandteil der systematischen Zusam-
menfassung der Forschungsbefunde im Rahmen der
Forschungssynthese (Kap. 4).

Wichtig ist, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, bei
denen bereits sehr gute Leistungen beobachtet wur-
den, in den Genuss von besonderer Förderung kommen
sollten. Die zu entwickelnden Angebote sollten auch
diejenigen leistungsstarken Schülerinnen und Schüler
erreichen, deren Potenzial erst entdeckt werden muss
und sich erst durch gezielte Anregung und Förderung
entfalten kann. Insbesondere der Regelunterricht, in
dem Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen
Fähigkeitsniveaus unterrichtet werden, bietet eine
gute Möglichkeit, um mit Hilfe von Differenzierungs-
maßnahmen für alle Schülerinnen und Schüler eine
möglichst breite Gruppe zu fördern und den Aspekt
der Chancengerechtigkeit zu berücksichtigen.

                                                            7
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
2 Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und
  Schüler: Ein Überblick
Im Folgenden werden unterschiedliche Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler kurz dar-
gestellt, um das jeweilige Potenzial der Ansätze herauszustellen. Dabei weisen die Fördermaßnahmen zwar einen
unterschiedlichen Fokus auf, sind aber in der Umsetzung nicht immer vollständig voneinander abzugrenzen.

Häufig werden in der Literatur folgende Fördermaß-       2.1 Enrichment
nahmen unterschieden (vgl. KMK, 2009, 2015b):
                                                         Bei der Fördermaßnahme Enrichment geht es insbe-
•   Enrichment: Erweiterung des Lernangebots             sondere um die Erweiterung und Vertiefung der Lern­
                                                         inhalte. Dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb
• Akzeleration: Beschleunigung der Schullaufbahn
    bzw. der Lerninhalte                                 des Regelunterrichts stattfinden. Zu den Fördermaß-
                                                         nahmen innerhalb des Regelunterrichts gehören bei-
• Gruppierung: Bildung von leistungshomogenen            spielsweise differenzierte Aufgabenformate, Indivi-
    Gruppen                                              dualisierung und offene Unterrichtsformen. Außerhalb
Darüber hinaus kann zwischen Maßnahmen, die au-          des Unterrichts zählen zu diesem Bereich Angebote
ßerhalb des Regelunterrichts und Maßnahmen, die in-      wie die Teilnahme an Schülerwettbewerben, Pullout-
tegriert im Regelunterricht stattfinden, unterschieden   Programmen, Arbeitsgemeinschaften, Schüleraustausch-
werden. Eine Übersicht über Fördermaßnahmen gibt         programmen, Wochenendveranstaltungen, Ferienaka-
Abbildung 1. Der Fokus der vorliegenden Broschüre        demien sowie Schnupperkursen an weiterführenden
liegt auf den in den Regelunterricht integrierten Maß-   Einrichtungen wie Universitäten. Diese Angebote kön-
nahmen (blau umrandet), welche im Rahmen der For-        nen dazu beitragen, dass das Interesse an spezifischen
schungssynthese untersucht wurden.                       Wissensgebieten gefördert, interkulturelle Kompeten-
                                                         zen gestärkt und wissenschaftliches Arbeiten erlernt
                                                         und angewandt werden (KMK, 2009, 2015b).

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Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
Abbildung 1:
                                                                                              Auswahl an Förder-
                                                                                              maßnahmen für
                                                                                              leistungsstarke Schü-
                                                                                              lerinnen und Schüler
                                                                                              (Inhalte angelehnt an
                                                                                              KMK, 2009, 2015b)

2.2 Akzeleration                                            2.4 Integrierte Fördermaßnahmen
Akzeleration beschreibt „ein schnelleres Bearbeiten
                                                                im Regelunterricht
des Lehrplans bzw. ein schnelleres Durchlaufen der          Da leistungsstarke Schülerinnen und Schüler meist
Schullaufbahn“ (KMK, 2015b, S. 7). Hierbei sind ver-        innerhalb leistungsheterogener und nicht innerhalb
schiedene Fördermaßnahmen wie eine vorzeitige               leistungshomogener Klassen unterrichtet werden, ist
Einschulung, ein Frühstudium, das individuelle Über-        eine Förderung im leistungsheterogenen Kontext von
springen einer Jahrgangsstufe, flexible Schuleingangs-      hoher Relevanz (KMK, 2015b). Aus diesem Grund liegt
stufen oder altersgemischte Klassen möglich. Des Wei-       der Fokus dieser Broschüre auf Maßnahmen, welche
teren kann die zeitweilige Teilnahme am Unterricht          integriert im leistungsheterogenen Regelunterricht
höherer Jahrgangsstufen eingesetzt werden. Eine wei-        stattfinden. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, können
tere Form ist das Überspringen im Klassenverband,           integrierte Fördermaßnahmen sowohl aus den Berei-
welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die gesamte        chen Enrichment, Akzeleration als auch Gruppierung
Klasse die Sekundarstufe I ein Jahr schneller durchläuft,   stammen.
indem die Übungs- und Wiederholungszeiten für die
                                                            Kernmerkmal dieser integrierten Fördermaßnahmen
einzelnen Inhalte reduziert werden (KMK, 2009, 2015b).
                                                            ist die individuelle Anpassung des Unterrichts ent-
                                                            sprechend der Bedürfnisse einzelner Schülerinnen
2.3 Gruppierung                                             und Schüler (innere Differenzierung). Dieses Förder-
                                                            prinzip ist über alle Schulstufen hinweg anwendbar
Neben den beiden bereits genannten Fördermaßnah-            und kann beispielsweise durch offene Unterrichts-
men Enrichment und Akzeleration gibt es die Möglich-        methoden wie etwa Wochenplanarbeit und Statio-
keit der Gruppierung von Schülerinnen und Schülern in       nenlernen umgesetzt werden. Hierbei ist es wich-
möglichst leistungshomogene Gruppen. Hierzu zäh-            tig, die Art und den Umfang der Aufgabenstellungen
len Angebote wie Spezialklassen (z. B. Hochbegabten-        und Materialien zu differenzieren, wodurch ein indi-
klassen) oder Spezialschulen, welche häufig die Prin-       viduelles Voranschreiten je nach Leistungsfähigkeit
zipien des Enrichments und der Akzeleration vereinen.       der Schülerin oder des Schülers möglich ist (KMK,
Dadurch soll eine ganzheitliche Förderung der leis-         2015b). Dies macht deutlich, dass für die Umset-
tungsstarken Schülerinnen und Schüler in verschiede-        zung „eine hohe planerische, pädagogische und
nen Bereichen (z. B. kognitiv und emotional) ermög-         methodische Professionalität der Lehrkraft im Um-
licht werden (KMK, 2015b). Eine weitere Möglichkeit         gang mit offenen Unterrichtsformen“ erforderlich ist
besteht in der zeitweisen (leistungshomogenen) Grup-        (KMK, 2015b, S. 9).
pierung innerhalb von leistungsheterogenen Klassen-
zimmern.

                                                                                                                9
Die amerikanische Forscherin Carol Tomlinson be-                So könnte es sein, dass eine Schülerin oder ein Schü-
schäftigt sich seit vielen Jahren mit Differenzierung im        ler eine abstrakte (II), komplexe (III) Aufgabe mit ver-
heterogenen Klassenzimmer. Dabei hat sie das Werk-              schiedenen Facetten (IV) lösen kann, wenn sie oder er
zeug des Equalizers (siehe Abbildung 2), ein mög-               dafür noch verstärkt Rückmeldungen der Lehrkraft be-
liches Planungsinstrument für Differenzierungsmaß-              kommt und beispielsweise stärker mit Hilfe von vor-
nahmen entsprechend der Leistungsniveaus von Schü-              gegebenen Zwischenschritten angeleitet wird (VII).
lerinnen und Schülern entwickelt. Es besteht aus acht           Mit Hilfe dieses Hintergrundwissens hat eine Lehrkraft
stufenlosen Schiebereglern, wobei jeder Regler eine             die Möglichkeit, eine Aufgabenstellung zu entwickeln,
Dimension mit zwei entgegengesetzten Polen, z. B.               die diese Rahmenbedingungen berücksichtigt.
konkret vs. abstrakt, darstellt. Das Instrument kann
                                                                Diese Einteilung von Aufgaben erinnert auch an die
dazu dienen, sich darüber bewusst zu werden, an wel-
                                                                von der KMK in den Bildungsstandards im Fach Mathe-
chen Stellschrauben des Unterrichts gedreht werden
                                                                matik festgeschriebenen Anforderungsbereiche. Hier
kann. Darüber hinaus lassen sich Aufgaben angepasst
                                                                können Aufgaben in Anforderungsbereich I: Reprodu-
an die Lernvoraussetzungen einzelner Schülerinnen
                                                                zieren, Anforderungsbereich II: Zusammenhänge her-
und Schüler entwerfen, um diese möglichst optimal
                                                                stellen und Anforderungsbereich III: Verallgemeinern
zu fördern. Eine solche Förderung kann durch Aufga-
                                                                und Reflektieren untergliedert werden (KMK, 2005,
ben erreicht werden, die für Schülerinnen und Schüler
                                                                2015a).
anspruchsvoll sind und bereits ein wenig außerhalb
der aktuellen Komfortzone liegen. Zur Lösung der Auf-           Praxisbeispiele zu Differenzierungsmaßnahmen im
gaben müssen dann geeignete Hilfen bereitgestellt               Regelunterricht
werden, sodass die Schülerin oder der Schüler die Brü-          Um den Einsatz des Equalizers konkret anhand von
cke zwischen Bekanntem und Unbekanntem schlagen                 Aufgabenstellungen zu veranschaulichen, werden im
kann (Tomlinson, 2001).                                         Folgenden Beispiele aus dem Mathematik­    unterricht
                                                                dargestellt, welche hinsichtlich der Dimensionen des
                                                                Equalizers variieren.

                                       I Grundlegend                                                         Anwendungsbezogen
                                                                    z. B. Informationen, Materialien

                                       II Konkret                                                                      Abstrakt
                                                                  z. B. Repräsentationen, Materialien

                                       III Einfach                                                                     Komplex
                                                                z. B. Themen, Fähigkeiten, Zielsetzungen

                                       IV Einzelne Facette                                                     Mehrere Facetten
                                                                       z. B. Problemstellungen,
                                                                  Verbindungen zwischen Disziplinen

                                       V Kleinschrittig                                                            Großschrittig
                                                                         z. B. Einblick, Transfer

                                       VI Strukturiert                                                                    Offen
                                                                       z. B. Lösungen, Konzepte

                                       VII Angeleitet                                                              Eigenständig
                       Abbildung 2:                             z. B. Planung, Gestaltung, Überwachung
   Der Equalizer nach Tomlinson
(2001, S. 47) für die differenzierte   VIII Langsam                                                                     Schnell
       Gestaltung des Unterrichts                            z. B. Geschwindigkeit des Lernens und Denkens

10
Mathematik, Unterstufe:

Für das Bruchrechnen kann es für manche Kinder            A) Vor dir liegen zwei Pizzas, die jeweils in acht
hilfreich sein, dies zunächst auf einer sehr konkre-      gleichgroße Teile zerlegt wurden. Nimm dir von der
ten Ebene zu veranschaulichen, wohingegen an-             einen Pizza drei und von der anderen Pizza zwei Stü-
dere Kinder schon mit abstrakteren Darstellungen          cke. Ermittle den Anteil an einer Pizza, den du nun
zurechtkommen (II). Dies kann bei der Erstellung von      hast.
Aufgaben durch die Lehrkraft berücksichtigt werden.
Im Folgenden werden exemplarisch drei Aufgaben-
stellungen dargestellt, welche den gleichen Lernin-
halt haben, diesen jedoch unterschiedlich konkret
bzw. abstrakt (II) darstellen. Die Aufgabenstellungen
orientieren sich dabei auch an den drei Darstellungs-
ebenen nach Bruner, welcher die Handlungsebene,
die bildliche Ebene und die symbolische Ebene unter-
scheidet (Bruner, Olver & Greenfield, 1988).              B) Skizziere im letzten Kreis das Ergebnis der Rech-
                                                          nung, indem du die korrekte Anzahl an Stücken aus-
Bestimmt wird dieses Beispiel von den meisten Ma-
                                                          malst. Benenne außerdem die auftretenden Brüche.
thematiklehrkräften so oder in ähnlicher Form bereits
eingesetzt, ohne sich aber vielleicht darüber explizit
klar zu sein, dass dies schon ein geeignetes Mittel zur
Differenzierung im Regelunterricht sein kann.

Wichtig dabei ist, dass nicht alle Kinder alle Aufgaben
erhalten, sondern leistungsstarke Schülerinnen und
Schüler beispielsweise gleich Aufgabenstellung C)         C) Berechne:     +
und nach korrekter Lösung vertiefende Aufgaben er-
halten.

Mathematik, Mittelstufe:

Als nächstes wird ein deutlich schwierigeres Bei-         Wissenselemente (z. B. Satz von Pythagoras und Mit-
spiel aus dem Mathematikunterricht der Mittelstufe        ternachtsformel) notwendig. Um die Aufgabe ent-
dargestellt, welches unterschiedliche Leitideen und       sprechend der Dimensionen (VI und VII) des Equa-
Kompetenzen adressiert. Auch hier wird die Aufga-         lizers zu vereinfachen, könnte man im Vergleich zur
benstellung entsprechend des Equalizers (in diesem        vorherigen Aufgabenstellung noch folgende Infor-
Beispiel bezüglich der Dimensionen VI und VII) in         mationen in der Aufgabenstellung ergänzen:
zwei verschiedenen Varianten dargestellt:
                                                          B) Wie lang sind die Seiten eines rechtwinkligen
A) Wie lang sind die Seiten eines rechtwinkligen          Dreiecks (Katheten a und b, Hypotenuse c), dessen
Dreiecks, dessen längere Kathete um 1 cm kürzer ist       längere Kathete um 1 cm kürzer ist als die Hypote-
als die Hypotenuse und um 7 cm länger ist als die         nuse (a = c – 1) und um 7 cm länger ist als die kürzere
kürzere Kathete?                                          Kathete (a = b + 7)?
Hinweis: Zeichne eine beschriftete Skizze und stelle      Hinweis: Zeichne eine beschriftete Skizze und stelle
anhand der Skizze die Gleichung auf.                      anhand der Skizze die Gleichung auf. Für die Lösung
                                                          der Aufgabe kannst du den Satz des Pythagoras so-
Für das Lösen der Aufgabe sind verschiedene Zwi-
                                                          wie die Mitternachtsformel verwenden. Prüfe die
schenschritte sowie die Verknüpfung verschiedener
                                                          erhaltene Lösung auf Plausibilität.

                                                                                                                    11
Mathematik, Unterstufe –
     Personenbezogenes Beispiel:

     In diesem Beispiel wird anhand von zwei Kindern ei-       Brüche den gleichen Wert besitzen und erhält so
     ner sechsten Klasse dargestellt, wie Aufgaben zum         eine Vorstellung von wertgleichen Brüchen. Durch
     Thema Bruchrechnen mit Hilfe des Equalizers variiert      die Aufgabe soll Felix also Fortschritte u. a. in Di-
     werden können.                                            mension II machen.

     Nach ein paar Stunden zum Thema Bruchrechnen be-          Sophia hingegen versteht Brüche bereits auf der abs-
     finden sich die Kinder in einer Klasse auf verschie-      ­trakten Ebene (II), löst Aufgaben, die nur wenige Schrit-
     denen Leistungsniveaus. Betrachten wir hierzu Felix        te benötigen (IV), problemlos und arbeitet in diesem
     und Sophia.                                                Kontext sehr eigenständig (VII). Um sie geeignet zu
                                                                fördern, legt die folgende Aufgabenstellung den Fo-
     Felix hat Brüche bis jetzt nur auf konkret-anschauli-
                                                                kus auf eine Entwicklung der Dimension V: „Erkläre,
     cher Ebene (II) verstanden, kommt dabei schon mit
                                                                warum nicht der einzige Bruch ist, der die Zahl 0,5
     etwas komplexeren Aufgaben (III) zurecht, die er
                                                                darstellt.“
     sehr schnell (VIII) lösen kann. Eine geeignete Aufga-
     be für ihn wäre: „Skizziere die Brüche , und mit          Diese Aufgabe fördert Dimension V, da hier von So-
     Hilfe eines Kreises in dein Heft. Beschreibe, was dir     phia ein eigenständiger, großer Sprung von der Dar-
     dabei auffällt“.                                          stellung eines Bruches zum Verständnis wertglei-
                                                               cher Brüche gefordert wird. Anders als bei Felix steht
     Das Zeichnen wird Felix aufgrund seines guten kon-
                                                               es ihr frei, ob dies über die Verbildlichung des Bru-
     kret-anschaulichen Verständnisses keine Probleme
                                                               ches geschieht.
     bereiten. Allerdings erkennt er hierbei, dass alle drei

                                                                Die beschriebenen Beispiele verdeutlichen, dass mit
                                                                Hilfe des Equalizers zahlreiche Ideen für die Anpas-
                                                                sung von Aufgabenstellungen generiert werden kön-
                                                                nen. Dies führt dazu, dass im Unterricht entsprechend
                                                                der Leistungsniveaus von Schülerinnen und Schülern
                                                                differenziert wird und trotzdem die gleichen Lernin-
                                                                halte entsprechend des Lehrplans im Fokus stehen.

12
3 Die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis
Bevor auf die Befunde der Forschungssynthese zu den integrierten Fördermaßnahmen eingegangen wird, wird im
Folgenden die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis diskutiert. Dadurch soll die Bedeutsamkeit der Forschungs-
befunde hervorgehoben und die Integration der Befunde in die Bildungspraxis erleichtert werden.

3.1 Warum Evidenzorientierung?                              3.2 Welchen Beitrag können Forschungs-
Wenn es darum geht, Handlungsempfehlungen für das
                                                                synthesen zur Evidenzorientierung leisten?
Schulsystem zu entwickeln, stellt sich die Frage, in-       Den umfassenden Forschungsstand zu einem be-
wiefern sich diese an Erkenntnissen aus der For-            stimmten Themenbereich zu überblicken, ist oftmals
schung orientieren sollten. Damit Bildungspolitik und       eine Herausforderung. Eine Möglichkeit, einen Über-
Bildungspraxis hinsichtlich verschiedener Aspekte           blick zu gewinnen, stellt die Methode der Forschungs-
ratio­nal entscheiden können, sind sie auf Evidenz an-      synthese dar. „Als Forschungssynthese wird die syste-
gewiesen. Unter Evidenzorientierung versteht man            matische, d. h. auf wissenschaftlichen Vorgehenswei-
Handeln auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.          sen basierende Zusammenfassung bereits vorhande-
Neben beispielsweise der Medizin zeichnet sich auch         ner Erkenntnisse aus Einzelstudien [zu einer bestimm-
im Bildungsbereich immer mehr eine Entwicklung in           ten Fragestellung] bezeichnet“ (Holzberger & Ziern-
Richtung einer daten- und evidenzgestützten Vorge-          wald, 2020, S. 25; Zimmer et al., 2020). Mit ihr soll eine
hensweise ab (Bromme, Prenzel & Jäger, 2014; Zimmer         möglichst umfassende Darstellung und Bewertung
et al., 2020).                                              der bestehenden Forschungsanstrengungen erfolgen.

Eine zentrale Erkenntnis aus dem medizinischen Be-          Dabei werden aus einer großen Bandbreite an Einzel-
reich ist, dass für gute evidenzorientierte Praxis so-      studien Erkenntnisse zur Effektivität von bestimmten
wohl die praktische Expertise als auch die wissen-          (Förder-)Maßnahmen gewonnen sowie die unter-
schaftliche Evidenz zentral sind. Keine der beiden          schiedlichen Bedingungen für deren Wirksamkeit er-
Facetten allein ist ausreichend. Verlässt man sich al-      fasst und ausgewertet. Zusammenfassend liefern For-
lein auf die Evidenz, so besteht die Gefahr, dass man       schungssynthesen sowohl einen Überblick als auch
von dieser einseitig beeinflusst wird. Auch die beste       Reflexionsansätze über die aktuell bestehende For-
Evidenz kann für eine individuelle Situation unbrauch-      schung in einem bestimmten Themenfeld.
bar oder unpassend sein. Ohne aktuelle wissenschaft-
liche Evidenz besteht allerdings die Gefahr, dass die
angewendete praktische Expertise veraltet und damit           Arten von Forschungssynthesen
zu nachteiligen Effekten führt (Sackett, Rosenberg,
Gray, Haynes & Richardson, 1996).
                                                              • Metaanalysen fassen die Ergebnisse von
                                                                Primärstudien mit Hilfe statistischer Methoden
Übertragen auf den Bildungskontext liefert die empi-            zusammen.
rische Bildungsforschung daher einen zentralen Bei-
trag für wissenschaftliche Evidenz. Diese Evidenz kann
                                                              • Systematische Reviews fassen die Ergebnisse von
                                                                Primärstudien beschreibend zusammen.
das Problembewusstsein von Lehrkräften fördern, als
Orientierung und/oder Erweiterung dienen, was wie-            • Second-Order Metaanalysen / Second-Order
derum „einen Qualitätsgewinn im professionellen Han-            Reviews fassen die Ergebnisse von Metaanalysen
deln verspricht“ (Bauer, Prenzel & Renkl, 2015, S. 190).        oder Systematischen Reviews zusammen.

                                                                                                                   13
Potenziale und Grenzen von                                sichtigt, weshalb der Ort der Untersuchung zusätzlich
Forschungssynthesen                                       als Einflussquelle auf die Wirksamkeit einer Maßnah-
                                                          me untersucht werden kann.
Einen guten Überblick über die Möglichkeiten und
Grenzen von Forschungssynthesen in der Bildungsfor-
schung liefert Beelmann (2014). Eine Auswahl wird im
Folgenden dargestellt.                                               Publikationsverzerrung

                                                          Neben den zahlreichen Potenzialen von Forschungs-
          Überblick behalten                              synthesen sollten auch die Grenzen betrachtet wer-
                                                          den. Eine Schwierigkeit stellen etwa die Publikations-
                                                          verzerrungen dar. Damit ist gemeint, dass bestimmte
In vielen Bereichen der Bildungsforschung ist die An-
                                                          Studienergebnisse (z. B. positive Effekte) eine höhere
zahl an Publikationen zu einem bestimmten Thema
                                                          Publikationswahrscheinlichkeit haben als andere Stu-
nahezu unüberschaubar geworden, sodass es selbst
                                                          dienergebnisse (z. B. keine Effekte) und somit das Ge-
Expertinnen und Experten vielfach schwerfällt, den
                                                          samtergebnis der Forschungssynthese ebenfalls (z. B.
Überblick zu behalten. Daher werden Forschungssyn-
                                                          positiv) verzerrt ist.
thesen dazu eingesetzt, die bereits vorhandenen em-
pirischen Befunde unter Nutzung eines systemati-
schen Verfahrens zusammenzufassen und zugleich
Forschungslücken und -defizite aufzuzeigen.                          Primärstudienlage

                                                          Die Ergebnisse einer Forschungssynthese sind immer
          Unterschiede diskutieren                        von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Primär-
                                                          studien und deren Qualität abhängig. Die Beurteilung
                                                          der Qualität ist dabei aber nicht immer einfach, da sie
Ein weiterer Vorteil einer Forschungssynthese besteht
                                                          durch zahlreiche Merkmale einer Studie beeinflusst
darin, dass (sich widersprechende) Ergebnisse von Ein-
                                                          werden kann. Liegen zu einem bestimmten Themen-
zelstudien gegenübergestellt und in einem breiteren
                                                          bereich nur wenige Studien oder Studien mit geringer
Kontext diskutiert werden können. Durch die umfas-
                                                          Qualität vor, so weisen die Ergebnisse der Forschungs-
sende Betrachtung einer Vielzahl an Studien können
                                                          synthese ebenfalls eine eingeschränkte Belastbarkeit
mögliche Einflussfaktoren (z. B. unterschiedliche Kul-
                                                          auf.
turräume der Untersuchungen, unterschiedliche Stich-
proben) für die unterschiedlichen Befunde aufgedeckt
werden.
                                                                    Fazit

          Generalisierbarkeit von
          Ergebnissen                                     Forschungssynthesen stellen insgesamt ein geeigne-
                                                          tes Mittel dar, um einen Überblick über den aktuellen
Forschungssynthesen bieten die Möglichkeit, Ergeb-        Forschungsstand zu liefern. Zudem können For-
nisse über die spezifischen Rahmenbedingungen von         schungssynthesen zur Beurteilung der Generalisier-
Einzelstudien hinaus zu generalisieren. So kann eine      barkeit gefundener Effekte über verschiedene Kontex-
Einzelstudie lediglich Aussagen über den spezifischen     te hinweg beitragen. Forschungssynthesen ermögli-
Kontext ihrer Untersuchung (z. B. Schulform, Schulfach,   chen es relevante Forschungslagen und die aus ihnen
Land) liefern. Bestimmte Merkmale wie zum Beispiel        gewonnenen Erkenntnisse zu überblicken und diese
der Ort der Untersuchung könnte in einer Einzelstudie     als Reflexionsanstoß zu verwenden. Dabei sollten je-
nur mit sehr hohem Aufwand großflächig variiert wer-      doch auch die Grenzen von Forschungssynthesen (z. B.
den. In einer Forschungssynthese hingegen werden in       Publikationsverzerrung, mangelnde Qualität der Pri-
der Regel Studien aus verschiedenen Ländern berück-       märstudien) stets berücksichtigt werden.

14
3.3 Welche Bedeutung hat internationale                  • Verschiedene  Schulsysteme analysieren: Interna-
    Forschung?                                            tionale Schulleistungsstudien wie z. B. PISA können
Schulsysteme unterscheiden sich zwischen einzelnen        Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den
Ländern beträchtlich. Aus diesem Grund stellt sich zu-    Bildungssystemen verschiedener Länder beschrei-
nächst die Frage, welchen Nutzen oder Stellenwert         ben und Erklärungsansätze liefern.
internationale Forschung für länderspezifische Schul-    • Übergreifende  Phänomene: Länderübergreifende
systeme haben kann. Folgende Potenziale internatio-       Phänomene des Erlebens und Verhaltens von Men-
naler Forschung sind dabei denkbar:                       schen (wozu auch Lernen zählt) können über die be-
                                                          stehenden Unterschiede zwischen den Bildungssys-
• Über den Tellerrand hinausblicken: Methoden und
 Fördermaßnahmen, welche sich international als           temen hinweg betrachtet werden und ermöglichen
 wirksam erwiesen haben, können als Anregung für          somit Rückschlüsse unabhängig von länderspezifi-
 die (eigene) nationale Unterrichtspraxis dienen. Dies    schen Faktoren.
 gilt auch für Methoden, deren Überprüfung Mängel
 und geringe Wirksamkeit ergeben haben. Hier kön-        Es gibt verschiedene nützliche Anwendungsaspekte
 nen Anregungen gesammelt werden, welche Aspek-          von internationaler Forschung für das nationale Bil-
 te angepasst werden müssen, um die Effektivität einer   dungssystem. Die Befunde müssen jedoch immer im
 Methode zu steigern.                                    länderspezifischen Kontext beurteilt werden. Je nach
                                                         Fragestellung und Kontext können Befunde aus inter-
                                                         nationaler Forschung mehr oder weniger direkt auf
                                                         das jeweilige Bildungssystem übertragbar sein.

                                                                                                           15
4 Forschungssynthese zur Förderung leistungsstarker
  Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht
Auf dem Gebiet von Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht
fehlt es bislang an einer Forschungssynthese, welche den aktuellen internationalen Forschungsstand darstellt.
Diese Darstellung kann hilfreich sein, um eine Sensibilisierung für die Förderung leistungsstarker Schülerinnen
und Schüler im Regelunterricht zu erreichen und die Ergebnisse für ein evidenzorientiertes Unterrichten nutzen zu
können. Daher nimmt die am Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) erstellte Forschungssyn-
these diesen Bereich in den Blick. Die Hintergründe, das methodische Vorgehen sowie die Ergebnisse der For-
schungssynthese werden im Folgenden beschrieben.

     Kurzporträt: Das Zentrum für internatio­nale Bildungsvergleichsstudien (ZIB)

     • Drei Standorte: München (TUM School of Edu­          • Forschungssynthesen fokussieren auf verschie-
      cation), Frankfurt am Main (Leibniz-Institut für       dene bildungsrelevante Themen und legen ein
      Bildungsforschung und Bildungsinformation),            Hauptaugenmerk auf die Anwendungsorientie-
      Kiel (Leibniz-Institut für die Pädagogik der Natur-    rung und den Austausch mit der Praxis
      wissenschaften und Mathematik)
                                                            • Förderung durch das Bundesministerium für
     • Zentrale Aufgaben: PISA-Studie in Deutschland         Bildung und Forschung sowie durch das Sekreta-
      (Bildungsmonitoring), Forschungssynthesen,             riat der Ständigen Konferenz der Kultusminister
      Schul- und Unterrichtsforschung sowie                  der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
      Methoden­forschung                                     (Förderkennzeichen ZIB2022)

     • Vereint bundesweite Expertise zu zahlreichen         • Weitere Informationen zu den einzelnen For-
      Themenbereichen der empirischen Bildungs-              schungsprojekten finden Sie auf folgender
      forschung                                              Homepage: https://zib.education/forschung
                                                             und auf Twitter (@edusyn_tum).

                                                              4.1 Hintergrund und Ziele der Forschungs­
                                                                 synthese
                                                             Das an die Technische Universität München angeglie­
                                                             derte Zentrum für internationale Bildungsvergleichs-
                                                             studien wurde vom Bundesministerium für Bil­     dung
                                                             und Forschung und von der Kultusministerkonferenz
                                                             damit beauftragt, den Forschungsstand zum Thema
                                                             Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler zu-
                                                             sammenzufassen und aufzubereiten.

                                                             Der Fokus der Arbeit wurde auf Differenzierungsmaß-
                                                             nahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler
                                                             gelegt, welche im Regelunterricht eingesetzt werden
                                                             können. Die Ausrichtung auf den Regelunterricht ist
                                                             insbesondere vor dem Hintergrund sinnvoll, dass der
                                                             größte Teil leistungsstarker Schülerinnen und Schüler
                                                             in regulären Schulen mit heterogenen Lerngruppen
                                                             unterrichtet wird (KMK, 2015b).

16
4.2 Methodisches Vorgehen
Konkret wurden die Befunde der Einzelstudien
                                                                   Im Folgenden wird das methodische Vorgehen bei
hinsichtlich der folgenden Fragestellungen
zusammengefasst:                                                   der Erstellung der Forschungssynthese beschrieben.
                                                                   Zentrale Schritte einer Forschungssynthese und die zu
• Wie häufig verwenden Lehrkräfte Differen-                        beantwortenden Fragen pro Schritt sind auch in Abbil-
  zierungsmaßnahmen für leistungsstarke                            dung 3 dargestellt.
  Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht?
                                                                   Literaturrecherche
• Wie schätzen Lehrkräfte sowie Schülerinnen und
  Schüler die Nützlichkeit von Differenzierungs-                   Mit Hilfe von systematisch generierten Suchbegriffen
  maßnahmen im Regelunterricht für leistungs-                      (z. B. gifted und differentiated instruction) wurde in drei
  starke Schülerinnen und Schüler ein?                             internationalen Datenbanken (Datenbanksuche) nach
                                                                   empirischen Studien aus dem Zeitraum 1990 bis 2019
• Welche Hindernisse treten bei der Implementie-                   gesucht, welche sich mit den genannten Fragestellun-
  rung von Differenzierungsmaßnahmen auf und
                                                                   gen beschäftigen. Außerdem wurden einschlägige
  welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt
                                                                   Fachzeitschriften dieses Themengebiets (Handsuche)
  es?
                                                                   sowie die Literaturverzeichnisse geeigneter Studien
• Wie wirksam ist die Implementierung von                          (Schneeballsuche) aus der Datenbanksuche nach wei-
  Differenzierungsmaßnahmen für die Förderung                      teren passenden Studien durchsucht.
  leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im
  Regelunterricht?                                                 Ein- und Ausschlusskodierung
                                                                   Im zweiten Schritt wurden die durch die Literaturre-
                                                                   cherche gefundenen Studien jeweils von zwei wissen-
In den Einzelstudien wurden jeweils unterschiedliche
                                                                   schaftlichen Mitarbeiterinnen gesichtet (Doppelkodie-
Begriffe (z. B. gifted, high-achieving) für die Beschrei-
                                                                   rung) und anhand von im Vorfeld definierten Ein- und
bung der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler
                                                                   Ausschlusskriterien als relevant oder irrelevant katego-
verwendet. Zur sprachlichen Vereinfachung wird diese
                                                                   risiert. Beispiele für Ein- und Ausschlusskriterien kön-
Gruppe im Folgenden als leistungsstarke Schülerinnen
                                                                   nen inhaltlicher Natur sein, das heißt, dass beispiels-
und Schüler bezeichnet.
                                                                   weise nur Studien eingeschlossen wurden, welche sich
Unter dem Begriff Differenzierungsmaßnahmen wur-                   mit integrierten Differenzierungsmaßnahmen beschäf-
den alle integrierten Maßnahmen, welche für die För-               tigen. Darüber hinaus können es methodische Krite-
derung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im                rien sein, wie beispielsweise, dass theoretische Aus-
Regelunterricht eingesetzt werden können, zusam-                   arbeitungen und Literatursammlungen nicht berück-
mengefasst (vgl. auch Kapitel 2, Abbildung 1).                     sichtigt wurden. Die Doppelkodierung fand statt, um
                                                                   eine höchstmögliche Objektivität bei der Auswahl der
                                                                   Studien zu gewährleisten.

                          Wie finde ich           Wie selektiere ich           Wie gewinne ich die     Wie bewerte ich die ge-
                       potenziell relevante      relevante Literatur?       relevanten Informationen   wonnenen Informationen
                           Literatur?                                           aus der Literatur?        aus der Literatur?

                            LITERATUR-             EIN- & AUSSCHLUSS-                FEIN-                     ERGEBNIS-
                            RECHERCHE                  KODIERUNG                   KODIERUNG                  GEWINNUNG

                                                              Abbildung 3: Zentrale Arbeitsschritte einer Forschungssynthese

                                                                                                                           17
Feinkodierung                                                      4.3 Ergebnisse - Anwendung und Beur­teilung
Die im vorherigen Schritt als relevant eingestuften Stu-               von Differenzierungsmaßnahmen im Regel-
dien wurden dann im dritten Schritt gesichtet und ihre                 unterricht
Inhalte systematisch aufbereitet. So wurde unter an-               Im Folgenden werden die Ergebnisse der Forschungs-
derem für jede Studie die Stichprobe (z. B. Lehrkräfte,            synthese basierend auf internationalen Studien zu-
Schülerinnen und Schüler), das Fach, die Art der Dif-              sammenfassend dargestellt. In den Studien zu den
ferenzierungsmaßnahme (z. B. Gruppierung, Material                 ersten drei Fragestellungen der Forschungssynthese
mit gestufter Schwierigkeit) und die Jahrgangsstufe                zur Häufigkeit, Nützlichkeit sowie Hindernissen und
kodiert.                                                           Unterstützungsmöglichkeiten wurden überwiegend
                                                                   Fragebögen, Unterrichtsbeobachtungen, Dokumente
Ergebnisgewinnung
                                                                   und Interviews zur Datenerhebung eingesetzt. In die
Im letzten Schritt wurden die gewonnenen Informa-
                                                                   Stichproben der Studien fließen dabei sowohl Schü-
tionen zusammengefasst. Insgesamt basieren die
                                                                   lerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte ein. Einen
Ergebnisse auf 26 Studien, in denen über 4.500 Lehr-
                                                                   Überblick über die Studien für die vierte Fragestellung
kräfte und über 30.000 Schülerinnen und Schüler (leis-
                                                                   bezüglich der Wirksamkeit von Differenzierungsmaß-
tungsstarke, durchschnittlich leistungsfähige und
                                                                   nahmen für die Förderung leistungsstarker Schülerin-
leistungsschwächere) im Primar- und Sekundarschul-
                                                                   nen und Schüler gibt Tabelle 1.
bereich untersucht wurden. Einzelne Studien liefern
dabei teilweise Erkenntnisse zu mehreren der unter-
suchten Fragestellungen.

Nähere Informationen zum methodischen Vorgehen
sind online im Zusatzmaterial zu finden: http://go.tum.
de/849130.

                                                                       Identifikation           Training für Differen-
       Fachbereiche                  Jahrgangsstufen
                                                                       Leistungsstark           zierungsmaßnahmen

  Sprache und Lesen:              Primarbereich                   Standardisierte              mit Lehrkräftetraining:
  n=4                             (Jahrgangsstufen                Leistungstests:              n=6
                                  1 bis 4):                       n=8
  Mathematik:                                                                                  nicht berichtet:
                                  n=7
  n=3                                                             Multiple Kriterien:          n=4
                                  Sekundarbereich (Jahr-          n=2
  Naturwissenschaften:
                                  gangsstufen 5 bis 13):
  n=2
                                  n=1
  fachübergreifend:
                                  Primar- und
  n=1
                                  Sekundarbereich:
                                  n=2

Tabelle 1: Überblick über die analysierten Wirksamkeitsstudien; n = Anzahl der Studien

18
Um den Einblick in die bestehende Forschung durch
Einblicke in die Praxis zu ergänzen, werden im Folgen-
den Zitate aus den Interviews, welche mit Praxisex-
pertinnen und -experten (Lehrkräften) im Bereich der
Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler
geführt wurden, ergänzt.

Wie häufig verwenden Lehrkräfte Differenzierungs-
maßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und
Schüler im Regelunterricht?
Als Ergebnis der sieben Studien, welche sich mit der
Häufigkeit der Verwendung von Differenzierungs-
maßnah­men beschäftigt haben, lässt sich festhalten,
dass Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke
Schü­lerinnen und Schüler in der internationalen Schul-
praxis noch relativ selten und wenn, dann nur in gerin-
gem Ausmaß eingesetzt werden.

Um herauszufinden, ob die relativ seltene Verwen-
dung von Differenzierungsmaßnahmen damit zusam-
menhängt, dass diese als nicht gewinnbringend für
die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schü-
ler angesehen werden, wurde als nächstes der Frage
nachgegangen, wie nützlich Lehrkräfte und Schülerin-
nen und Schüler selbst Differenzierungsmaßnahmen
für Leistungsstarke im Regelunterricht einschätzen.

Wie schätzen Lehrkräfte sowie Schülerinnen und
Schüler die Nützlichkeit von Differenzierungsmaß-
nahmen im Regelunterricht für leistungsstarke
Schülerinnen und Schüler ein?
Als Ergebnis der vier Studien, welche sich mit der          „Differenzierung spielt eine große Rolle, weil
Nützlichkeit von Differenzierungsmaßnahmen beschäf-         meines Erachtens die Bandbreite innerhalb einer
tigt haben, lässt sich festhalten, dass Differenzierungs-   Klasse immer größer wird […]. Um letztendlich
                                                            allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu wer-
maßnahmen von Lehrkräften sowie von Schülerinnen
                                                            den und sich nicht nur an der Mitte zu orientieren,
und Schülern überwiegend als geeignete Fördermaß-           ist es schon wichtig, unterrichtsdifferenzierende
nahme für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler          Maßnahmen einzusetzen.“
im Regelunterricht angesehen werden. Die Bedeut-
samkeit von Differenzierung wird auch durch folgende
Aussage einer befragten Lehrkraft deutlich:

                                                                                                                  19
Um die Diskrepanz zwischen der hoch eingeschätzten
             Nützlichkeit von Differenzierungs-         Nützlichkeit und der trotzdem zurückhaltenden Ver-
             maßnahmen aus Sicht von                    wendung von Differenzierungsmaßnahmen näher zu
             Schülerinnen und Schülern                  betrachten, wird im Folgenden der Frage nachgegan-
Bei der Befragung von Schülerinnen und Schülern         gen, welche Hindernisse und Unterstützungsmöglich-
zeigte sich in einer Studie von Kanevsky (2011), dass   keiten bei der Implementierung von Differenzierungs-
sowohl leistungsstarke als auch nicht leistungs-        maßnahmen erschwerend bzw. hilfreich sein können.
starke Schülerinnen und Schüler Differenzierungs-
maßnahmen überwiegend als positiv beurteilten.
So stimmten etwa 90 % der leistungsstarken Schü-
lerinnen und Schüler und 87 % der nicht leistungs-
starken Schülerinnen und Schüler der Aussage Ich
lerne gerne in meinem eigenen Tempo zu. Des Wei-        Welche Hindernisse treten bei der Implementierung
teren beurteilten jeweils über zwei Drittel der Schü-   von Differenzierungsmaßnahmen auf und welche
                                                        Möglichkeiten der Unterstützung gibt es?
lerinnen und Schüler offene Aufgaben als positiv,
welche mehr als eine richtige Lösung und mehr als       Als Ergebnis der zehn Studien, welche sich mit Hin-
einen Lösungsweg zulassen.                              dernissen und Unterstützungsmöglichkeiten bei der
                                                        Implementierung von Differenzierungsmaßnahmen
                                                        beschäftigt haben, lässt sich festhalten, dass Lehr-
                                                        kräfte die Umsetzung von Differenzierungsmaßnah-
                                                        men als insgesamt herausfordernd empfinden. Trotz
             Häufigkeit und Nützlichkeit der            der erwarteten Nützlichkeit von Fördermaßnahmen
             Implementierung von Differen-
                                                        für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler werden
             zierungsmaßnahmen aus Sicht von
             Lehrkräften                                auf Seiten der Lehrkraft vielfältige Herausforderungen
                                                        und Schwierigkeiten berichtet. Diese können in die
Eine Studie von Endepohls-Ulpe und Thömmes
                                                        folgenden Kategorien eingeteilt werden:
(2014) untersuchte an einer Stichprobe von insge-
samt 137 deutschen Primarschullehrkräften, Refe-        a) Administrative Schwierigkeiten, z. B. Organisation
rendarinnen und Referendaren die Einstellung ge-           der Maßnahmen, widersprüchliche Vorgaben durch
genüber verschiedenen Differenzierungsmaßnah-              verschiedene Beteiligte, fehlende flexible Zeitein-
men sowie die Häufigkeit der Verwendung. Dabei             teilung
wurden u. a.                                            b) Fehlendes Wissen, z. B. Annahme, Leistungsstarke
• innere Differenzierung hinsichtlich des                  bräuchten keine spezifische Förderung, fehlende Be-
    Anspruchsniveaus,                                      deutung in der Aus- und Weiterbildung
•   (individuelle) Wochenpläne,                         c) Mangelnde Ressourcen, z. B. Zeit für die Planung der
•   offene Aufgabenformate und                             Maßnahmen, fehlende Unterstützung
•   forschendes Lernen
                                                        d) Korrekte Identifikation von leistungsstarken Schüle-
als sehr nützlich für die Förderung leistungsstar-         rinnen und Schülern
ker Schülerinnen und Schüler eingeschätzt. Bei der
Einschätzung der Häufigkeit zeigte sich hingegen,       Dieses Ergebnis der Forschungssynthese wird auch
dass die als am nützlichsten eingestuften Differen-     durch die befragten Lehrkräfte bestätigt, die angaben,
zierungsmaßnahmen zum Großteil nur manchmal             dass im Rahmen der Lehramtsausbildung das Thema
eingesetzt wurden und keine der Maßnahmen im            Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in
Mittel sehr oft verwendet wurde.                        Deutschland bisher noch wenig Berücksichtigung fin-
                                                        det:
                                                          „Das wäre für die Lehrerausbildung schon sehr
                                                          wichtig, dass man da auf alle möglichen Schüler-
                                                          persönlichkeiten auch vorbereitet wird.“

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