Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern - Einblicke in Forschung und Praxis
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
1 Wissenschaft macht Schule Lisa Ziernwald, Doris Holzberger, Delia Hillmayr, Kristina Reiss Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler fördern Einblicke in Forschung und Praxis
Das dieser Broschüre zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Förderkennzeichen ZIB2022 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Wissenschaft macht Schule, Band 1 herausgegeben von Doris Holzberger und Kristina Reiss ISSN 2701-6056 Print-ISBN 978-3-8309-4257-3 E-Book-ISBN 978-3-8309-9257-8 doi: https://doi.org/10.31244/9783830992578 © Waxmann Verlag GmbH, 2020 Steinfurter Straße 555, 48159 Münster www.waxmann.com info@waxmann.com Lektorat: UNGER-KUNZ. Lektorat und Redaktionsbüro – www.unger-kunz.de Umschlagfoto: © SpeedKingz – shutterstock.com Satz, Umschlaggestaltung: Waxmann Verlag Grafiken: grafikbüro Petra Hinterberger – www.das-grafikbuero.de Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Nicht-kommerziell Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0)
Inhalt Über diese Broschüre............................................................................................................................................................ 4 Kurzzusammenfassung – Ergebnisse der Forschungssynthese..................................................................................... 5 1 Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler – Leitziel Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit.................................................................................... 6 2 Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler: Ein Überblick..................................... 8 2.1 Enrichment........................................................................................................................................................... 8 2.2 Akzeleration......................................................................................................................................................... 9 2.3 Gruppierung......................................................................................................................................................... 9 2.4 Integrierte Fördermaßnahmen im Regelunterricht....................................................................................... 9 3 Die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis................................................................................................. 13 3.1 Warum Evidenzorientierung?.......................................................................................................................... 13 3.2 Welchen Beitrag können Forschungssynthesen zur Evidenzorientierung leisten?................................ 13 3.3 Welche Bedeutung hat internationale Forschung?...................................................................................... 15 4 Forschungssynthese zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht..................................................................................................................................................16 4.1 Hintergrund und Ziele der Forschungssynthese..........................................................................................16 4.2 Methodisches Vorgehen................................................................................................................................... 17 4.3 Ergebnisse – Anwendung und Beurteilung von Differenzierungsmaßnahmen im Regelunterricht.............................................................................................................................................18 4.4 Zusammenfassung und Ausblick................................................................................................................... 24 4.5 Zum Weiterdenken – Reflexionsfragen für die Praxis................................................................................. 24 5 Ergänzende Forschungsbefunde, Informationsportale und Fortbildungsmöglichkeiten...................... 26 5.1 Ergänzende aktuelle Forschungssynthesen zu Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler................................................................................................................................ 26 5.2 Informationsportale zur Evidenzorientierung............................................................................................. 28 5.3 Informationsportale zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler................................... 29 5.4 Fortbildungen und Informationsportale der einzelnen Bundesländer zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler.................................................................................................. 29 Literatur ................................................................................................................................................................................ 34 Bildnachweis........................................................................................................................................................................ 36 Das digitale Zusatzmaterial zu dieser Broschüre finden Sie auf go.tum.de/849130. Dank Wir möchten Dr. Frank Reinhold, wissenschaftlicher Zudem danken wir den wissenschaftlichen Hilfskräf- Mitarbeiter und Lehrkraft für Mathematik und Physik, ten, die bei der Erstellung der Broschüre mitgewirkt für die Unterstützung bei der Erstellung der Unter- haben. richtsbeispiele danken. Abschließend bedanken wir uns für die gelungene Ko- Unser Dank gilt auch allen Lehrkräften, die ihre jahre- operation mit den Landesinstituten, welche uns Infor- langen Erfahrungen mit leistungsstarken Schülerin- mationen zu vorhandenen Fortbildungsangeboten in nen und Schülern mit uns geteilt und für die Veröffent- den einzelnen Bundesländern zur Verfügung gestellt lichung dieser Broschüre zur Verfügung gestellt haben. haben.
Über diese Broschüre Die vorliegende Broschüre richtet sich an Schulleitungen ne Forschungserkenntnisse aus Einzelstudien zusam- und Lehrkräfte, an politische Entscheidungsträgerinnen mengefasst. Um den Einblick in die Forschung durch und Entscheidungsträger sowie an alle Personen, die Einblicke in die Praxis zu ergänzen, wurden Interviews sich für den Themenbereich der Förderung leistungs- mit Lehrkräften geführt, welche Praxisexpertinnen starker Schülerinnen und Schüler interessieren. Ziel der und -experten im Bereich der Förderung leistungs- Broschüre ist es, die Bedeutung einer angemessenen starker Schülerinnen und Schüler sind. Zitate aus den Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler geführten Interviews werden ergänzend zu den For- herauszustellen sowie relevante Informationen zu schungsergebnissen dargestellt. diesem Themenbereich zur Verfügung zu stellen. Da Differenzierungsmaßnahmen das effektive Lernen In der Bildungspraxis werden bereits vielfältige Maß- aller Schülerinnen und Schüler zum Ziel haben, werden nahmen zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen in dieser Broschüre neben den leistungsstarken auch und Schüler eingesetzt. Um das bestehende Wissen potenziell leistungsfähige, durchschnittlich leistungs- aus der Praxis zu ergänzen, wird in der vorliegenden fähige sowie leistungsschwächere Schülerinnen und Broschüre der aktuelle internationale Forschungsstand Schüler mitgedacht. zu diesem Themenbereich mit Fokus auf die integrierte Um einen umfassenden Einblick in Forschung und Pra- Förderung im Regelunterricht dargestellt. xis zum Thema Leistungsstarke Schülerinnen und Schü- Im Folgenden werden alle Maßnahmen, welche sich ler fördern zu bieten, umfasst die Broschüre die folgen- mit der integrierten Förderung von leistungsstarken den Inhalte: Schülerinnen und Schülern im Regelunterricht beschäf- tigen, unter dem Oberbegriff Differenzierungsmaßnah- • Bedeutung der Förderung leistungsstarker Schüle- rinnen und Schüler im schulischen Kontext (Kap. 1) men zusammengefasst. Der übergeordnete Begriff der Fördermaßnahmen umfasst neben diesen Differenzie- • Überblick über Fördermaßnahmen für leistungs- rungsmaßnahmen auch Maßnahmen wie zum Beispiel starke Schülerinnen und Schüler (Kap. 2) Talentwettbewerbe, welche außerhalb des Regelun- • Rolle von Forschung in der Bildungspraxis (Kap. 3) terrichts stattfinden. Als Regelunterricht wird dabei der • Forschungssynthese mit den Ergebnissen interna- Unterricht in leistungsheterogenen Klassen mit so- tionaler Forschung zu Häufigkeit, Nützlichkeit, Hin- wohl leistungsstarken, durchschnittlich leistungsfähi- dernissen und Unterstützungsmöglichkeiten sowie gen als auch leistungsschwächeren Schülerinnen und Wirksamkeit von Differenzierungsmaßnahmen für Schülern verstanden. leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Regel- Die Zusammenfassung des aktuellen Forschungs- unterricht (Kap. 4) stands zum Thema Differenzierungsmaßnahmen zur • Ergänzende aktuelle Forschungssynthesen zu För- Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler dermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen im Regelunterricht soll – im Kontext des Transfers von und Schüler (Kap. 5.1) Forschungswissen – eine zum bereits vorhandenen Praxiswissen ergänzende und keinesfalls ersetzende • Informationsportale zum Transfer von Forschungs- wissen und zur Evidenzorientierung (Kap. 5.2) Perspektive auf das Thema liefern. Aus Sicht der For- schung wird dabei a) auf die Häufigkeit der Verwen- • Informationsportale zum Thema Förderung leistungs- dung, b) auf die von Lehrkräften sowie von Schülerin- starker Schülerinnen und Schüler (Kap. 5.3) nen und Schülern eingeschätzte Nützlichkeit, c) auf • Bundeslandspezifische Fortbildungsmöglichkeiten Hindernisse und Unterstützungsmöglichkeiten bei der und Informationsangebote für Schulleitungen und Implementierung sowie d) auf die Wirksamkeit von Lehrkräfte zum Themenbereich (Kap. 5.4) Differenzierungsmaßnahmen im Regelunterricht ein- gegangen. Für die Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands wird die Methode der Forschungs- synthese verwendet. Dabei werden bereits vorhande- 4
Kurzzusammenfassung – Ergebnisse der Forschungssynthese Die am Zentrum für internationale Bildungsvergleichs- 3. Hindernisse und Unterstützungsmöglichkeiten studien (ZIB) erstellte Forschungssynthese zum Thema bei der Implementierung von Differenzierungs- Differenzierungsmaßnahmen zur Förderung leistungs- maßnahmen starker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht be- Einerseits sehen Lehrkräfte vielfältige Herausforde- trachtet insgesamt vier Fragestellungen. Im Folgenden rungen bei der Implementierung von Differenzie- werden die Ergebnisse der Forschungssynthese in Kurz- rungsmaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und form zusammengefasst. Schüler im Regelunterricht. Diese können in die Berei- che administrative Schwierigkeiten, fehlendes Wissen, 1. Häufigkeit der Verwendung von Differenzierungs- mangelnde Ressourcen und Schwierigkeiten bei der maßnahmen Identifikation leistungsstarker Schülerinnen und Schü- Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke Schü- ler eingeteilt werden. Andererseits können Unterstüt- lerinnen und Schüler werden gemäß der aktuellen Stu- zungsmöglichkeiten wie beispielsweise Lehrkräftetrai- dienlage im Regelunterricht relativ selten und nur in nings, Mentorinnen und Mentoren für Lehrkräfte so- relativ geringem Umfang eingesetzt. wie Hospitationen im Unterricht anderer Lehrkräfte förderlich für die Implementierung von Differenzie- 2. Eingeschätzte Nützlichkeit von Differenzierungs- rungsmaßnahmen sein. maßnahmen Sowohl die in den Einzelstudien befragten Lehrkräfte 4. Wirksamkeit von Differenzierungsmaßnahmen als auch die befragten Schülerinnen und Schüler schät- Die analysierten Studien weisen überwiegend darauf hin, zen Differenzierungsmaßnahmen für die Förderung dass Differenzierungsmaßnahmen sowohl für leistungs- leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regel- starke als auch für durchschnittlich leistungsfähige und unterricht als überwiegend geeignet ein. leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler förder- lich sein können. Kontext und Zielgruppe der Differen- zierungsmaßnahme spielen dabei eine zentrale Rolle. 5
1 Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler – Leitziel Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit Schülerinnen und Schülern bestmögliche Lernbedin- sem Rahmen wurde auch die Forschungssynthese in gungen und Bildungschancen zu bieten und damit in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in der vorliegen- den Klassenzimmern für mehr Bildungsgerechtigkeit den Broschüre dargestellt werden. Parallel dazu wur- zu sorgen, ist in Deutschland ein zentrales bildungs- de die bis Ende 2027 laufende bundesweite Initiative politisches Ziel. Je individueller die schulische Bildung Leistung macht Schule angestoßen, in der es mit Un- für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schü- terstützung des Bundes und der Länder um die Förde- ler gestaltet werden kann, desto besser können diese rung von leistungsstarken und potenziell besonders ihre Stärken und Talente entwickeln – und dies unab- leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern geht. Im hängig von Herkunft, Geschlecht oder Leistungsfähig- Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und keit (Bundesministerium für Bildung und Forschung & Forschung finanzierten gleichnamigen Forschungs- Kultusministerkonferenz, o. J.). verbunds, abgekürzt LemaS, werden dabei in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schulen pra- Bereits im Jahr 2009 wurde von der Kultusministerkon- xistaugliche Materialien, Konzepte und Maßnahmen ferenz (KMK) ein Beschluss zur begabungsgerechten erprobt und evaluiert, die nach Abschluss der ersten Förderung veröffentlicht. Dabei wurde betont, dass Förderphase (2018–2022) in die gesamte Schulland- die Förderung der Schülerinnen und Schüler entspre- schaft getragen werden sollen (Weigand et al., 2020). chend der individuellen Leistungsfähigkeit eine zen trale Aufgabe des Bildungssystems ist (KMK, 2009). Dementsprechend ist der Diskurs um die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern in Abhän- gigkeit ihrer Leistungsfähigkeit nicht neu. Um im Sinne der individuellen Förderung allen Schülerinnen und Warum die Förderung leistungsstarker Schülern gerecht zu werden, ist ein Eingehen auf ihre Schülerinnen und Schüler wichtig ist jeweils unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Mo- Gründe für das in den letzten Jahren auch in der tivation sowie auf ihre persönlichen Interessen und breiteren Öffentlichkeit zunehmende Interesse an Bedürfnisse erforderlich. Es ist also nicht ausreichend, der Förderung leistungsstarker Schülerinnen und den Durchschnitt einer Klasse zu unterrichten, son- Schüler im Regelunterricht sind u. a. (KMK, 2015b): dern es müssen geeignete Formen des Lehrens und Lernens gefunden werden, die eine differenzierte För- • Vergleichsweise kleiner Anteil leistungsstarker Kinder und Jugendlicher im (inter-)nationalen derung ermöglichen. Vergleich, z. B. PISA und Ländervergleiche Im Jahr 2010 wurde entsprechend dieses Grundgedan- kens die Initiative der KMK zur Förderung leistungs- • Zunehmende Heterogenität zwischen Schüle- rinnen und Schülern sowie innerhalb der Schul- schwächerer Schülerinnen und Schüler ins Leben geru- klassen u. a. in Bezug auf das Leistungsniveau fen (KMK, 2010). Die leistungsstarken Schülerinnen und und die damit einhergehenden Anforderungen Schüler rückten dann 2015 und 2016 mit der von der an die Lehrkräfte KMK beschlossenen Förderstrategie für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler (2015b) und der Gemeinsamen • Beschulung der meisten leistungsstarken Schü- Initiative von Bund und Ländern zur Förderung leistungs- lerinnen und Schüler findet im Regelunterricht starker und potenziell besonders leistungsfähiger Schü- und nicht in gesonderten Spezialklassen statt lerinnen und Schüler (2016) in den Vordergrund. In die- 6
Insgesamt sind Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler „sowohl integrativ als auch in speziellen Gruppen möglich“ (KMK, 2009, S. 2). Im Fokus der vorliegenden Broschüre steht die integrier- te Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schü- ler im Regelunterricht. Fördermaßnahmen außerhalb des Regelunterrichts werden separat betrachtet, sind jedoch nicht Bestandteil der systematischen Zusam- menfassung der Forschungsbefunde im Rahmen der Forschungssynthese (Kap. 4). Wichtig ist, dass nicht nur Schülerinnen und Schüler, bei denen bereits sehr gute Leistungen beobachtet wur- den, in den Genuss von besonderer Förderung kommen sollten. Die zu entwickelnden Angebote sollten auch diejenigen leistungsstarken Schülerinnen und Schüler erreichen, deren Potenzial erst entdeckt werden muss und sich erst durch gezielte Anregung und Förderung entfalten kann. Insbesondere der Regelunterricht, in dem Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Fähigkeitsniveaus unterrichtet werden, bietet eine gute Möglichkeit, um mit Hilfe von Differenzierungs- maßnahmen für alle Schülerinnen und Schüler eine möglichst breite Gruppe zu fördern und den Aspekt der Chancengerechtigkeit zu berücksichtigen. 7
2 Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler: Ein Überblick Im Folgenden werden unterschiedliche Fördermaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler kurz dar- gestellt, um das jeweilige Potenzial der Ansätze herauszustellen. Dabei weisen die Fördermaßnahmen zwar einen unterschiedlichen Fokus auf, sind aber in der Umsetzung nicht immer vollständig voneinander abzugrenzen. Häufig werden in der Literatur folgende Fördermaß- 2.1 Enrichment nahmen unterschieden (vgl. KMK, 2009, 2015b): Bei der Fördermaßnahme Enrichment geht es insbe- • Enrichment: Erweiterung des Lernangebots sondere um die Erweiterung und Vertiefung der Lern inhalte. Dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb • Akzeleration: Beschleunigung der Schullaufbahn bzw. der Lerninhalte des Regelunterrichts stattfinden. Zu den Fördermaß- nahmen innerhalb des Regelunterrichts gehören bei- • Gruppierung: Bildung von leistungshomogenen spielsweise differenzierte Aufgabenformate, Indivi- Gruppen dualisierung und offene Unterrichtsformen. Außerhalb Darüber hinaus kann zwischen Maßnahmen, die au- des Unterrichts zählen zu diesem Bereich Angebote ßerhalb des Regelunterrichts und Maßnahmen, die in- wie die Teilnahme an Schülerwettbewerben, Pullout- tegriert im Regelunterricht stattfinden, unterschieden Programmen, Arbeitsgemeinschaften, Schüleraustausch- werden. Eine Übersicht über Fördermaßnahmen gibt programmen, Wochenendveranstaltungen, Ferienaka- Abbildung 1. Der Fokus der vorliegenden Broschüre demien sowie Schnupperkursen an weiterführenden liegt auf den in den Regelunterricht integrierten Maß- Einrichtungen wie Universitäten. Diese Angebote kön- nahmen (blau umrandet), welche im Rahmen der For- nen dazu beitragen, dass das Interesse an spezifischen schungssynthese untersucht wurden. Wissensgebieten gefördert, interkulturelle Kompeten- zen gestärkt und wissenschaftliches Arbeiten erlernt und angewandt werden (KMK, 2009, 2015b). 8
Abbildung 1: Auswahl an Förder- maßnahmen für leistungsstarke Schü- lerinnen und Schüler (Inhalte angelehnt an KMK, 2009, 2015b) 2.2 Akzeleration 2.4 Integrierte Fördermaßnahmen Akzeleration beschreibt „ein schnelleres Bearbeiten im Regelunterricht des Lehrplans bzw. ein schnelleres Durchlaufen der Da leistungsstarke Schülerinnen und Schüler meist Schullaufbahn“ (KMK, 2015b, S. 7). Hierbei sind ver- innerhalb leistungsheterogener und nicht innerhalb schiedene Fördermaßnahmen wie eine vorzeitige leistungshomogener Klassen unterrichtet werden, ist Einschulung, ein Frühstudium, das individuelle Über- eine Förderung im leistungsheterogenen Kontext von springen einer Jahrgangsstufe, flexible Schuleingangs- hoher Relevanz (KMK, 2015b). Aus diesem Grund liegt stufen oder altersgemischte Klassen möglich. Des Wei- der Fokus dieser Broschüre auf Maßnahmen, welche teren kann die zeitweilige Teilnahme am Unterricht integriert im leistungsheterogenen Regelunterricht höherer Jahrgangsstufen eingesetzt werden. Eine wei- stattfinden. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, können tere Form ist das Überspringen im Klassenverband, integrierte Fördermaßnahmen sowohl aus den Berei- welches dadurch gekennzeichnet ist, dass die gesamte chen Enrichment, Akzeleration als auch Gruppierung Klasse die Sekundarstufe I ein Jahr schneller durchläuft, stammen. indem die Übungs- und Wiederholungszeiten für die Kernmerkmal dieser integrierten Fördermaßnahmen einzelnen Inhalte reduziert werden (KMK, 2009, 2015b). ist die individuelle Anpassung des Unterrichts ent- sprechend der Bedürfnisse einzelner Schülerinnen 2.3 Gruppierung und Schüler (innere Differenzierung). Dieses Förder- prinzip ist über alle Schulstufen hinweg anwendbar Neben den beiden bereits genannten Fördermaßnah- und kann beispielsweise durch offene Unterrichts- men Enrichment und Akzeleration gibt es die Möglich- methoden wie etwa Wochenplanarbeit und Statio- keit der Gruppierung von Schülerinnen und Schülern in nenlernen umgesetzt werden. Hierbei ist es wich- möglichst leistungshomogene Gruppen. Hierzu zäh- tig, die Art und den Umfang der Aufgabenstellungen len Angebote wie Spezialklassen (z. B. Hochbegabten- und Materialien zu differenzieren, wodurch ein indi- klassen) oder Spezialschulen, welche häufig die Prin- viduelles Voranschreiten je nach Leistungsfähigkeit zipien des Enrichments und der Akzeleration vereinen. der Schülerin oder des Schülers möglich ist (KMK, Dadurch soll eine ganzheitliche Förderung der leis- 2015b). Dies macht deutlich, dass für die Umset- tungsstarken Schülerinnen und Schüler in verschiede- zung „eine hohe planerische, pädagogische und nen Bereichen (z. B. kognitiv und emotional) ermög- methodische Professionalität der Lehrkraft im Um- licht werden (KMK, 2015b). Eine weitere Möglichkeit gang mit offenen Unterrichtsformen“ erforderlich ist besteht in der zeitweisen (leistungshomogenen) Grup- (KMK, 2015b, S. 9). pierung innerhalb von leistungsheterogenen Klassen- zimmern. 9
Die amerikanische Forscherin Carol Tomlinson be- So könnte es sein, dass eine Schülerin oder ein Schü- schäftigt sich seit vielen Jahren mit Differenzierung im ler eine abstrakte (II), komplexe (III) Aufgabe mit ver- heterogenen Klassenzimmer. Dabei hat sie das Werk- schiedenen Facetten (IV) lösen kann, wenn sie oder er zeug des Equalizers (siehe Abbildung 2), ein mög- dafür noch verstärkt Rückmeldungen der Lehrkraft be- liches Planungsinstrument für Differenzierungsmaß- kommt und beispielsweise stärker mit Hilfe von vor- nahmen entsprechend der Leistungsniveaus von Schü- gegebenen Zwischenschritten angeleitet wird (VII). lerinnen und Schülern entwickelt. Es besteht aus acht Mit Hilfe dieses Hintergrundwissens hat eine Lehrkraft stufenlosen Schiebereglern, wobei jeder Regler eine die Möglichkeit, eine Aufgabenstellung zu entwickeln, Dimension mit zwei entgegengesetzten Polen, z. B. die diese Rahmenbedingungen berücksichtigt. konkret vs. abstrakt, darstellt. Das Instrument kann Diese Einteilung von Aufgaben erinnert auch an die dazu dienen, sich darüber bewusst zu werden, an wel- von der KMK in den Bildungsstandards im Fach Mathe- chen Stellschrauben des Unterrichts gedreht werden matik festgeschriebenen Anforderungsbereiche. Hier kann. Darüber hinaus lassen sich Aufgaben angepasst können Aufgaben in Anforderungsbereich I: Reprodu- an die Lernvoraussetzungen einzelner Schülerinnen zieren, Anforderungsbereich II: Zusammenhänge her- und Schüler entwerfen, um diese möglichst optimal stellen und Anforderungsbereich III: Verallgemeinern zu fördern. Eine solche Förderung kann durch Aufga- und Reflektieren untergliedert werden (KMK, 2005, ben erreicht werden, die für Schülerinnen und Schüler 2015a). anspruchsvoll sind und bereits ein wenig außerhalb der aktuellen Komfortzone liegen. Zur Lösung der Auf- Praxisbeispiele zu Differenzierungsmaßnahmen im gaben müssen dann geeignete Hilfen bereitgestellt Regelunterricht werden, sodass die Schülerin oder der Schüler die Brü- Um den Einsatz des Equalizers konkret anhand von cke zwischen Bekanntem und Unbekanntem schlagen Aufgabenstellungen zu veranschaulichen, werden im kann (Tomlinson, 2001). Folgenden Beispiele aus dem Mathematik unterricht dargestellt, welche hinsichtlich der Dimensionen des Equalizers variieren. I Grundlegend Anwendungsbezogen z. B. Informationen, Materialien II Konkret Abstrakt z. B. Repräsentationen, Materialien III Einfach Komplex z. B. Themen, Fähigkeiten, Zielsetzungen IV Einzelne Facette Mehrere Facetten z. B. Problemstellungen, Verbindungen zwischen Disziplinen V Kleinschrittig Großschrittig z. B. Einblick, Transfer VI Strukturiert Offen z. B. Lösungen, Konzepte VII Angeleitet Eigenständig Abbildung 2: z. B. Planung, Gestaltung, Überwachung Der Equalizer nach Tomlinson (2001, S. 47) für die differenzierte VIII Langsam Schnell Gestaltung des Unterrichts z. B. Geschwindigkeit des Lernens und Denkens 10
Mathematik, Unterstufe: Für das Bruchrechnen kann es für manche Kinder A) Vor dir liegen zwei Pizzas, die jeweils in acht hilfreich sein, dies zunächst auf einer sehr konkre- gleichgroße Teile zerlegt wurden. Nimm dir von der ten Ebene zu veranschaulichen, wohingegen an- einen Pizza drei und von der anderen Pizza zwei Stü- dere Kinder schon mit abstrakteren Darstellungen cke. Ermittle den Anteil an einer Pizza, den du nun zurechtkommen (II). Dies kann bei der Erstellung von hast. Aufgaben durch die Lehrkraft berücksichtigt werden. Im Folgenden werden exemplarisch drei Aufgaben- stellungen dargestellt, welche den gleichen Lernin- halt haben, diesen jedoch unterschiedlich konkret bzw. abstrakt (II) darstellen. Die Aufgabenstellungen orientieren sich dabei auch an den drei Darstellungs- ebenen nach Bruner, welcher die Handlungsebene, die bildliche Ebene und die symbolische Ebene unter- scheidet (Bruner, Olver & Greenfield, 1988). B) Skizziere im letzten Kreis das Ergebnis der Rech- nung, indem du die korrekte Anzahl an Stücken aus- Bestimmt wird dieses Beispiel von den meisten Ma- malst. Benenne außerdem die auftretenden Brüche. thematiklehrkräften so oder in ähnlicher Form bereits eingesetzt, ohne sich aber vielleicht darüber explizit klar zu sein, dass dies schon ein geeignetes Mittel zur Differenzierung im Regelunterricht sein kann. Wichtig dabei ist, dass nicht alle Kinder alle Aufgaben erhalten, sondern leistungsstarke Schülerinnen und Schüler beispielsweise gleich Aufgabenstellung C) C) Berechne: + und nach korrekter Lösung vertiefende Aufgaben er- halten. Mathematik, Mittelstufe: Als nächstes wird ein deutlich schwierigeres Bei- Wissenselemente (z. B. Satz von Pythagoras und Mit- spiel aus dem Mathematikunterricht der Mittelstufe ternachtsformel) notwendig. Um die Aufgabe ent- dargestellt, welches unterschiedliche Leitideen und sprechend der Dimensionen (VI und VII) des Equa- Kompetenzen adressiert. Auch hier wird die Aufga- lizers zu vereinfachen, könnte man im Vergleich zur benstellung entsprechend des Equalizers (in diesem vorherigen Aufgabenstellung noch folgende Infor- Beispiel bezüglich der Dimensionen VI und VII) in mationen in der Aufgabenstellung ergänzen: zwei verschiedenen Varianten dargestellt: B) Wie lang sind die Seiten eines rechtwinkligen A) Wie lang sind die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks (Katheten a und b, Hypotenuse c), dessen Dreiecks, dessen längere Kathete um 1 cm kürzer ist längere Kathete um 1 cm kürzer ist als die Hypote- als die Hypotenuse und um 7 cm länger ist als die nuse (a = c – 1) und um 7 cm länger ist als die kürzere kürzere Kathete? Kathete (a = b + 7)? Hinweis: Zeichne eine beschriftete Skizze und stelle Hinweis: Zeichne eine beschriftete Skizze und stelle anhand der Skizze die Gleichung auf. anhand der Skizze die Gleichung auf. Für die Lösung der Aufgabe kannst du den Satz des Pythagoras so- Für das Lösen der Aufgabe sind verschiedene Zwi- wie die Mitternachtsformel verwenden. Prüfe die schenschritte sowie die Verknüpfung verschiedener erhaltene Lösung auf Plausibilität. 11
Mathematik, Unterstufe – Personenbezogenes Beispiel: In diesem Beispiel wird anhand von zwei Kindern ei- Brüche den gleichen Wert besitzen und erhält so ner sechsten Klasse dargestellt, wie Aufgaben zum eine Vorstellung von wertgleichen Brüchen. Durch Thema Bruchrechnen mit Hilfe des Equalizers variiert die Aufgabe soll Felix also Fortschritte u. a. in Di- werden können. mension II machen. Nach ein paar Stunden zum Thema Bruchrechnen be- Sophia hingegen versteht Brüche bereits auf der abs- finden sich die Kinder in einer Klasse auf verschie- trakten Ebene (II), löst Aufgaben, die nur wenige Schrit- denen Leistungsniveaus. Betrachten wir hierzu Felix te benötigen (IV), problemlos und arbeitet in diesem und Sophia. Kontext sehr eigenständig (VII). Um sie geeignet zu fördern, legt die folgende Aufgabenstellung den Fo- Felix hat Brüche bis jetzt nur auf konkret-anschauli- kus auf eine Entwicklung der Dimension V: „Erkläre, cher Ebene (II) verstanden, kommt dabei schon mit warum nicht der einzige Bruch ist, der die Zahl 0,5 etwas komplexeren Aufgaben (III) zurecht, die er darstellt.“ sehr schnell (VIII) lösen kann. Eine geeignete Aufga- be für ihn wäre: „Skizziere die Brüche , und mit Diese Aufgabe fördert Dimension V, da hier von So- Hilfe eines Kreises in dein Heft. Beschreibe, was dir phia ein eigenständiger, großer Sprung von der Dar- dabei auffällt“. stellung eines Bruches zum Verständnis wertglei- cher Brüche gefordert wird. Anders als bei Felix steht Das Zeichnen wird Felix aufgrund seines guten kon- es ihr frei, ob dies über die Verbildlichung des Bru- kret-anschaulichen Verständnisses keine Probleme ches geschieht. bereiten. Allerdings erkennt er hierbei, dass alle drei Die beschriebenen Beispiele verdeutlichen, dass mit Hilfe des Equalizers zahlreiche Ideen für die Anpas- sung von Aufgabenstellungen generiert werden kön- nen. Dies führt dazu, dass im Unterricht entsprechend der Leistungsniveaus von Schülerinnen und Schülern differenziert wird und trotzdem die gleichen Lernin- halte entsprechend des Lehrplans im Fokus stehen. 12
3 Die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis Bevor auf die Befunde der Forschungssynthese zu den integrierten Fördermaßnahmen eingegangen wird, wird im Folgenden die Rolle von Forschung in der Bildungspraxis diskutiert. Dadurch soll die Bedeutsamkeit der Forschungs- befunde hervorgehoben und die Integration der Befunde in die Bildungspraxis erleichtert werden. 3.1 Warum Evidenzorientierung? 3.2 Welchen Beitrag können Forschungs- Wenn es darum geht, Handlungsempfehlungen für das synthesen zur Evidenzorientierung leisten? Schulsystem zu entwickeln, stellt sich die Frage, in- Den umfassenden Forschungsstand zu einem be- wiefern sich diese an Erkenntnissen aus der For- stimmten Themenbereich zu überblicken, ist oftmals schung orientieren sollten. Damit Bildungspolitik und eine Herausforderung. Eine Möglichkeit, einen Über- Bildungspraxis hinsichtlich verschiedener Aspekte blick zu gewinnen, stellt die Methode der Forschungs- rational entscheiden können, sind sie auf Evidenz an- synthese dar. „Als Forschungssynthese wird die syste- gewiesen. Unter Evidenzorientierung versteht man matische, d. h. auf wissenschaftlichen Vorgehenswei- Handeln auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. sen basierende Zusammenfassung bereits vorhande- Neben beispielsweise der Medizin zeichnet sich auch ner Erkenntnisse aus Einzelstudien [zu einer bestimm- im Bildungsbereich immer mehr eine Entwicklung in ten Fragestellung] bezeichnet“ (Holzberger & Ziern- Richtung einer daten- und evidenzgestützten Vorge- wald, 2020, S. 25; Zimmer et al., 2020). Mit ihr soll eine hensweise ab (Bromme, Prenzel & Jäger, 2014; Zimmer möglichst umfassende Darstellung und Bewertung et al., 2020). der bestehenden Forschungsanstrengungen erfolgen. Eine zentrale Erkenntnis aus dem medizinischen Be- Dabei werden aus einer großen Bandbreite an Einzel- reich ist, dass für gute evidenzorientierte Praxis so- studien Erkenntnisse zur Effektivität von bestimmten wohl die praktische Expertise als auch die wissen- (Förder-)Maßnahmen gewonnen sowie die unter- schaftliche Evidenz zentral sind. Keine der beiden schiedlichen Bedingungen für deren Wirksamkeit er- Facetten allein ist ausreichend. Verlässt man sich al- fasst und ausgewertet. Zusammenfassend liefern For- lein auf die Evidenz, so besteht die Gefahr, dass man schungssynthesen sowohl einen Überblick als auch von dieser einseitig beeinflusst wird. Auch die beste Reflexionsansätze über die aktuell bestehende For- Evidenz kann für eine individuelle Situation unbrauch- schung in einem bestimmten Themenfeld. bar oder unpassend sein. Ohne aktuelle wissenschaft- liche Evidenz besteht allerdings die Gefahr, dass die angewendete praktische Expertise veraltet und damit Arten von Forschungssynthesen zu nachteiligen Effekten führt (Sackett, Rosenberg, Gray, Haynes & Richardson, 1996). • Metaanalysen fassen die Ergebnisse von Primärstudien mit Hilfe statistischer Methoden Übertragen auf den Bildungskontext liefert die empi- zusammen. rische Bildungsforschung daher einen zentralen Bei- trag für wissenschaftliche Evidenz. Diese Evidenz kann • Systematische Reviews fassen die Ergebnisse von Primärstudien beschreibend zusammen. das Problembewusstsein von Lehrkräften fördern, als Orientierung und/oder Erweiterung dienen, was wie- • Second-Order Metaanalysen / Second-Order derum „einen Qualitätsgewinn im professionellen Han- Reviews fassen die Ergebnisse von Metaanalysen deln verspricht“ (Bauer, Prenzel & Renkl, 2015, S. 190). oder Systematischen Reviews zusammen. 13
Potenziale und Grenzen von sichtigt, weshalb der Ort der Untersuchung zusätzlich Forschungssynthesen als Einflussquelle auf die Wirksamkeit einer Maßnah- me untersucht werden kann. Einen guten Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen von Forschungssynthesen in der Bildungsfor- schung liefert Beelmann (2014). Eine Auswahl wird im Folgenden dargestellt. Publikationsverzerrung Neben den zahlreichen Potenzialen von Forschungs- Überblick behalten synthesen sollten auch die Grenzen betrachtet wer- den. Eine Schwierigkeit stellen etwa die Publikations- verzerrungen dar. Damit ist gemeint, dass bestimmte In vielen Bereichen der Bildungsforschung ist die An- Studienergebnisse (z. B. positive Effekte) eine höhere zahl an Publikationen zu einem bestimmten Thema Publikationswahrscheinlichkeit haben als andere Stu- nahezu unüberschaubar geworden, sodass es selbst dienergebnisse (z. B. keine Effekte) und somit das Ge- Expertinnen und Experten vielfach schwerfällt, den samtergebnis der Forschungssynthese ebenfalls (z. B. Überblick zu behalten. Daher werden Forschungssyn- positiv) verzerrt ist. thesen dazu eingesetzt, die bereits vorhandenen em- pirischen Befunde unter Nutzung eines systemati- schen Verfahrens zusammenzufassen und zugleich Forschungslücken und -defizite aufzuzeigen. Primärstudienlage Die Ergebnisse einer Forschungssynthese sind immer Unterschiede diskutieren von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Primär- studien und deren Qualität abhängig. Die Beurteilung der Qualität ist dabei aber nicht immer einfach, da sie Ein weiterer Vorteil einer Forschungssynthese besteht durch zahlreiche Merkmale einer Studie beeinflusst darin, dass (sich widersprechende) Ergebnisse von Ein- werden kann. Liegen zu einem bestimmten Themen- zelstudien gegenübergestellt und in einem breiteren bereich nur wenige Studien oder Studien mit geringer Kontext diskutiert werden können. Durch die umfas- Qualität vor, so weisen die Ergebnisse der Forschungs- sende Betrachtung einer Vielzahl an Studien können synthese ebenfalls eine eingeschränkte Belastbarkeit mögliche Einflussfaktoren (z. B. unterschiedliche Kul- auf. turräume der Untersuchungen, unterschiedliche Stich- proben) für die unterschiedlichen Befunde aufgedeckt werden. Fazit Generalisierbarkeit von Ergebnissen Forschungssynthesen stellen insgesamt ein geeigne- tes Mittel dar, um einen Überblick über den aktuellen Forschungssynthesen bieten die Möglichkeit, Ergeb- Forschungsstand zu liefern. Zudem können For- nisse über die spezifischen Rahmenbedingungen von schungssynthesen zur Beurteilung der Generalisier- Einzelstudien hinaus zu generalisieren. So kann eine barkeit gefundener Effekte über verschiedene Kontex- Einzelstudie lediglich Aussagen über den spezifischen te hinweg beitragen. Forschungssynthesen ermögli- Kontext ihrer Untersuchung (z. B. Schulform, Schulfach, chen es relevante Forschungslagen und die aus ihnen Land) liefern. Bestimmte Merkmale wie zum Beispiel gewonnenen Erkenntnisse zu überblicken und diese der Ort der Untersuchung könnte in einer Einzelstudie als Reflexionsanstoß zu verwenden. Dabei sollten je- nur mit sehr hohem Aufwand großflächig variiert wer- doch auch die Grenzen von Forschungssynthesen (z. B. den. In einer Forschungssynthese hingegen werden in Publikationsverzerrung, mangelnde Qualität der Pri- der Regel Studien aus verschiedenen Ländern berück- märstudien) stets berücksichtigt werden. 14
3.3 Welche Bedeutung hat internationale • Verschiedene Schulsysteme analysieren: Interna- Forschung? tionale Schulleistungsstudien wie z. B. PISA können Schulsysteme unterscheiden sich zwischen einzelnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ländern beträchtlich. Aus diesem Grund stellt sich zu- Bildungssystemen verschiedener Länder beschrei- nächst die Frage, welchen Nutzen oder Stellenwert ben und Erklärungsansätze liefern. internationale Forschung für länderspezifische Schul- • Übergreifende Phänomene: Länderübergreifende systeme haben kann. Folgende Potenziale internatio- Phänomene des Erlebens und Verhaltens von Men- naler Forschung sind dabei denkbar: schen (wozu auch Lernen zählt) können über die be- stehenden Unterschiede zwischen den Bildungssys- • Über den Tellerrand hinausblicken: Methoden und Fördermaßnahmen, welche sich international als temen hinweg betrachtet werden und ermöglichen wirksam erwiesen haben, können als Anregung für somit Rückschlüsse unabhängig von länderspezifi- die (eigene) nationale Unterrichtspraxis dienen. Dies schen Faktoren. gilt auch für Methoden, deren Überprüfung Mängel und geringe Wirksamkeit ergeben haben. Hier kön- Es gibt verschiedene nützliche Anwendungsaspekte nen Anregungen gesammelt werden, welche Aspek- von internationaler Forschung für das nationale Bil- te angepasst werden müssen, um die Effektivität einer dungssystem. Die Befunde müssen jedoch immer im Methode zu steigern. länderspezifischen Kontext beurteilt werden. Je nach Fragestellung und Kontext können Befunde aus inter- nationaler Forschung mehr oder weniger direkt auf das jeweilige Bildungssystem übertragbar sein. 15
4 Forschungssynthese zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht Auf dem Gebiet von Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht fehlt es bislang an einer Forschungssynthese, welche den aktuellen internationalen Forschungsstand darstellt. Diese Darstellung kann hilfreich sein, um eine Sensibilisierung für die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht zu erreichen und die Ergebnisse für ein evidenzorientiertes Unterrichten nutzen zu können. Daher nimmt die am Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) erstellte Forschungssyn- these diesen Bereich in den Blick. Die Hintergründe, das methodische Vorgehen sowie die Ergebnisse der For- schungssynthese werden im Folgenden beschrieben. Kurzporträt: Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) • Drei Standorte: München (TUM School of Edu • Forschungssynthesen fokussieren auf verschie- cation), Frankfurt am Main (Leibniz-Institut für dene bildungsrelevante Themen und legen ein Bildungsforschung und Bildungsinformation), Hauptaugenmerk auf die Anwendungsorientie- Kiel (Leibniz-Institut für die Pädagogik der Natur- rung und den Austausch mit der Praxis wissenschaften und Mathematik) • Förderung durch das Bundesministerium für • Zentrale Aufgaben: PISA-Studie in Deutschland Bildung und Forschung sowie durch das Sekreta- (Bildungsmonitoring), Forschungssynthesen, riat der Ständigen Konferenz der Kultusminister Schul- und Unterrichtsforschung sowie der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Methodenforschung (Förderkennzeichen ZIB2022) • Vereint bundesweite Expertise zu zahlreichen • Weitere Informationen zu den einzelnen For- Themenbereichen der empirischen Bildungs- schungsprojekten finden Sie auf folgender forschung Homepage: https://zib.education/forschung und auf Twitter (@edusyn_tum). 4.1 Hintergrund und Ziele der Forschungs synthese Das an die Technische Universität München angeglie derte Zentrum für internationale Bildungsvergleichs- studien wurde vom Bundesministerium für Bil dung und Forschung und von der Kultusministerkonferenz damit beauftragt, den Forschungsstand zum Thema Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler zu- sammenzufassen und aufzubereiten. Der Fokus der Arbeit wurde auf Differenzierungsmaß- nahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler gelegt, welche im Regelunterricht eingesetzt werden können. Die Ausrichtung auf den Regelunterricht ist insbesondere vor dem Hintergrund sinnvoll, dass der größte Teil leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in regulären Schulen mit heterogenen Lerngruppen unterrichtet wird (KMK, 2015b). 16
4.2 Methodisches Vorgehen Konkret wurden die Befunde der Einzelstudien Im Folgenden wird das methodische Vorgehen bei hinsichtlich der folgenden Fragestellungen zusammengefasst: der Erstellung der Forschungssynthese beschrieben. Zentrale Schritte einer Forschungssynthese und die zu • Wie häufig verwenden Lehrkräfte Differen- beantwortenden Fragen pro Schritt sind auch in Abbil- zierungsmaßnahmen für leistungsstarke dung 3 dargestellt. Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht? Literaturrecherche • Wie schätzen Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler die Nützlichkeit von Differenzierungs- Mit Hilfe von systematisch generierten Suchbegriffen maßnahmen im Regelunterricht für leistungs- (z. B. gifted und differentiated instruction) wurde in drei starke Schülerinnen und Schüler ein? internationalen Datenbanken (Datenbanksuche) nach empirischen Studien aus dem Zeitraum 1990 bis 2019 • Welche Hindernisse treten bei der Implementie- gesucht, welche sich mit den genannten Fragestellun- rung von Differenzierungsmaßnahmen auf und gen beschäftigen. Außerdem wurden einschlägige welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt Fachzeitschriften dieses Themengebiets (Handsuche) es? sowie die Literaturverzeichnisse geeigneter Studien • Wie wirksam ist die Implementierung von (Schneeballsuche) aus der Datenbanksuche nach wei- Differenzierungsmaßnahmen für die Förderung teren passenden Studien durchsucht. leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht? Ein- und Ausschlusskodierung Im zweiten Schritt wurden die durch die Literaturre- cherche gefundenen Studien jeweils von zwei wissen- In den Einzelstudien wurden jeweils unterschiedliche schaftlichen Mitarbeiterinnen gesichtet (Doppelkodie- Begriffe (z. B. gifted, high-achieving) für die Beschrei- rung) und anhand von im Vorfeld definierten Ein- und bung der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler Ausschlusskriterien als relevant oder irrelevant katego- verwendet. Zur sprachlichen Vereinfachung wird diese risiert. Beispiele für Ein- und Ausschlusskriterien kön- Gruppe im Folgenden als leistungsstarke Schülerinnen nen inhaltlicher Natur sein, das heißt, dass beispiels- und Schüler bezeichnet. weise nur Studien eingeschlossen wurden, welche sich Unter dem Begriff Differenzierungsmaßnahmen wur- mit integrierten Differenzierungsmaßnahmen beschäf- den alle integrierten Maßnahmen, welche für die För- tigen. Darüber hinaus können es methodische Krite- derung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im rien sein, wie beispielsweise, dass theoretische Aus- Regelunterricht eingesetzt werden können, zusam- arbeitungen und Literatursammlungen nicht berück- mengefasst (vgl. auch Kapitel 2, Abbildung 1). sichtigt wurden. Die Doppelkodierung fand statt, um eine höchstmögliche Objektivität bei der Auswahl der Studien zu gewährleisten. Wie finde ich Wie selektiere ich Wie gewinne ich die Wie bewerte ich die ge- potenziell relevante relevante Literatur? relevanten Informationen wonnenen Informationen Literatur? aus der Literatur? aus der Literatur? LITERATUR- EIN- & AUSSCHLUSS- FEIN- ERGEBNIS- RECHERCHE KODIERUNG KODIERUNG GEWINNUNG Abbildung 3: Zentrale Arbeitsschritte einer Forschungssynthese 17
Feinkodierung 4.3 Ergebnisse - Anwendung und Beurteilung Die im vorherigen Schritt als relevant eingestuften Stu- von Differenzierungsmaßnahmen im Regel- dien wurden dann im dritten Schritt gesichtet und ihre unterricht Inhalte systematisch aufbereitet. So wurde unter an- Im Folgenden werden die Ergebnisse der Forschungs- derem für jede Studie die Stichprobe (z. B. Lehrkräfte, synthese basierend auf internationalen Studien zu- Schülerinnen und Schüler), das Fach, die Art der Dif- sammenfassend dargestellt. In den Studien zu den ferenzierungsmaßnahme (z. B. Gruppierung, Material ersten drei Fragestellungen der Forschungssynthese mit gestufter Schwierigkeit) und die Jahrgangsstufe zur Häufigkeit, Nützlichkeit sowie Hindernissen und kodiert. Unterstützungsmöglichkeiten wurden überwiegend Fragebögen, Unterrichtsbeobachtungen, Dokumente Ergebnisgewinnung und Interviews zur Datenerhebung eingesetzt. In die Im letzten Schritt wurden die gewonnenen Informa- Stichproben der Studien fließen dabei sowohl Schü- tionen zusammengefasst. Insgesamt basieren die lerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte ein. Einen Ergebnisse auf 26 Studien, in denen über 4.500 Lehr- Überblick über die Studien für die vierte Fragestellung kräfte und über 30.000 Schülerinnen und Schüler (leis- bezüglich der Wirksamkeit von Differenzierungsmaß- tungsstarke, durchschnittlich leistungsfähige und nahmen für die Förderung leistungsstarker Schülerin- leistungsschwächere) im Primar- und Sekundarschul- nen und Schüler gibt Tabelle 1. bereich untersucht wurden. Einzelne Studien liefern dabei teilweise Erkenntnisse zu mehreren der unter- suchten Fragestellungen. Nähere Informationen zum methodischen Vorgehen sind online im Zusatzmaterial zu finden: http://go.tum. de/849130. Identifikation Training für Differen- Fachbereiche Jahrgangsstufen Leistungsstark zierungsmaßnahmen Sprache und Lesen: Primarbereich Standardisierte mit Lehrkräftetraining: n=4 (Jahrgangsstufen Leistungstests: n=6 1 bis 4): n=8 Mathematik: nicht berichtet: n=7 n=3 Multiple Kriterien: n=4 Sekundarbereich (Jahr- n=2 Naturwissenschaften: gangsstufen 5 bis 13): n=2 n=1 fachübergreifend: Primar- und n=1 Sekundarbereich: n=2 Tabelle 1: Überblick über die analysierten Wirksamkeitsstudien; n = Anzahl der Studien 18
Um den Einblick in die bestehende Forschung durch Einblicke in die Praxis zu ergänzen, werden im Folgen- den Zitate aus den Interviews, welche mit Praxisex- pertinnen und -experten (Lehrkräften) im Bereich der Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler geführt wurden, ergänzt. Wie häufig verwenden Lehrkräfte Differenzierungs- maßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler im Regelunterricht? Als Ergebnis der sieben Studien, welche sich mit der Häufigkeit der Verwendung von Differenzierungs- maßnahmen beschäftigt haben, lässt sich festhalten, dass Differenzierungsmaßnahmen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler in der internationalen Schul- praxis noch relativ selten und wenn, dann nur in gerin- gem Ausmaß eingesetzt werden. Um herauszufinden, ob die relativ seltene Verwen- dung von Differenzierungsmaßnahmen damit zusam- menhängt, dass diese als nicht gewinnbringend für die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schü- ler angesehen werden, wurde als nächstes der Frage nachgegangen, wie nützlich Lehrkräfte und Schülerin- nen und Schüler selbst Differenzierungsmaßnahmen für Leistungsstarke im Regelunterricht einschätzen. Wie schätzen Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler die Nützlichkeit von Differenzierungsmaß- nahmen im Regelunterricht für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler ein? Als Ergebnis der vier Studien, welche sich mit der „Differenzierung spielt eine große Rolle, weil Nützlichkeit von Differenzierungsmaßnahmen beschäf- meines Erachtens die Bandbreite innerhalb einer tigt haben, lässt sich festhalten, dass Differenzierungs- Klasse immer größer wird […]. Um letztendlich allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu wer- maßnahmen von Lehrkräften sowie von Schülerinnen den und sich nicht nur an der Mitte zu orientieren, und Schülern überwiegend als geeignete Fördermaß- ist es schon wichtig, unterrichtsdifferenzierende nahme für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler Maßnahmen einzusetzen.“ im Regelunterricht angesehen werden. Die Bedeut- samkeit von Differenzierung wird auch durch folgende Aussage einer befragten Lehrkraft deutlich: 19
Um die Diskrepanz zwischen der hoch eingeschätzten Nützlichkeit von Differenzierungs- Nützlichkeit und der trotzdem zurückhaltenden Ver- maßnahmen aus Sicht von wendung von Differenzierungsmaßnahmen näher zu Schülerinnen und Schülern betrachten, wird im Folgenden der Frage nachgegan- Bei der Befragung von Schülerinnen und Schülern gen, welche Hindernisse und Unterstützungsmöglich- zeigte sich in einer Studie von Kanevsky (2011), dass keiten bei der Implementierung von Differenzierungs- sowohl leistungsstarke als auch nicht leistungs- maßnahmen erschwerend bzw. hilfreich sein können. starke Schülerinnen und Schüler Differenzierungs- maßnahmen überwiegend als positiv beurteilten. So stimmten etwa 90 % der leistungsstarken Schü- lerinnen und Schüler und 87 % der nicht leistungs- starken Schülerinnen und Schüler der Aussage Ich lerne gerne in meinem eigenen Tempo zu. Des Wei- Welche Hindernisse treten bei der Implementierung teren beurteilten jeweils über zwei Drittel der Schü- von Differenzierungsmaßnahmen auf und welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es? lerinnen und Schüler offene Aufgaben als positiv, welche mehr als eine richtige Lösung und mehr als Als Ergebnis der zehn Studien, welche sich mit Hin- einen Lösungsweg zulassen. dernissen und Unterstützungsmöglichkeiten bei der Implementierung von Differenzierungsmaßnahmen beschäftigt haben, lässt sich festhalten, dass Lehr- kräfte die Umsetzung von Differenzierungsmaßnah- men als insgesamt herausfordernd empfinden. Trotz Häufigkeit und Nützlichkeit der der erwarteten Nützlichkeit von Fördermaßnahmen Implementierung von Differen- für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler werden zierungsmaßnahmen aus Sicht von Lehrkräften auf Seiten der Lehrkraft vielfältige Herausforderungen und Schwierigkeiten berichtet. Diese können in die Eine Studie von Endepohls-Ulpe und Thömmes folgenden Kategorien eingeteilt werden: (2014) untersuchte an einer Stichprobe von insge- samt 137 deutschen Primarschullehrkräften, Refe- a) Administrative Schwierigkeiten, z. B. Organisation rendarinnen und Referendaren die Einstellung ge- der Maßnahmen, widersprüchliche Vorgaben durch genüber verschiedenen Differenzierungsmaßnah- verschiedene Beteiligte, fehlende flexible Zeitein- men sowie die Häufigkeit der Verwendung. Dabei teilung wurden u. a. b) Fehlendes Wissen, z. B. Annahme, Leistungsstarke • innere Differenzierung hinsichtlich des bräuchten keine spezifische Förderung, fehlende Be- Anspruchsniveaus, deutung in der Aus- und Weiterbildung • (individuelle) Wochenpläne, c) Mangelnde Ressourcen, z. B. Zeit für die Planung der • offene Aufgabenformate und Maßnahmen, fehlende Unterstützung • forschendes Lernen d) Korrekte Identifikation von leistungsstarken Schüle- als sehr nützlich für die Förderung leistungsstar- rinnen und Schülern ker Schülerinnen und Schüler eingeschätzt. Bei der Einschätzung der Häufigkeit zeigte sich hingegen, Dieses Ergebnis der Forschungssynthese wird auch dass die als am nützlichsten eingestuften Differen- durch die befragten Lehrkräfte bestätigt, die angaben, zierungsmaßnahmen zum Großteil nur manchmal dass im Rahmen der Lehramtsausbildung das Thema eingesetzt wurden und keine der Maßnahmen im Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler in Mittel sehr oft verwendet wurde. Deutschland bisher noch wenig Berücksichtigung fin- det: „Das wäre für die Lehrerausbildung schon sehr wichtig, dass man da auf alle möglichen Schüler- persönlichkeiten auch vorbereitet wird.“ 20
Sie können auch lesen