Leitlinien für Schüler mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung - www.tmbwk.de

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Leitlinien
für Schüler mit Förderbedarf
in der emotionalen und sozialen
Entwicklung
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die jeweils männliche Bezeichnung verwendet.
Die Bezeichnung gilt gleichermaßen für weibliche und männliche Personen.

Weiterführende Informationen finden sich im Internet
www.thueringen.de/th2/tmbwk/inklusive_bildung

Diese Publikation darf nicht als Parteienwerbung oder
für Wahlkampfzwecke verwendet werden.

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www.landesrecht.thueringen.de

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www.tmbwk.de/publikationen

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www.tmbwk.de/newsletter

Stand: Juli 2014
Inhalt

     1         Zielstellung........................................................................................................... 3

     2         Ausgangslage....................................................................................................... 3

     3         Begriffsklärung..................................................................................................... 3

     4         Allgemeine Hinweise............................................................................................. 4

     5         Struktur Leitlinien................................................................................................. 4

     Anlage 1
     Handlungsoptionen, die sich aus den sieben Dimensionen der
     Schuleingangsphase ergeben – Ergebnisse des Schulversuches
     „Veränderte Schuleingangsphase an Thüringer Grundschulen“......................................... 9

     Anlage 2
     Handlungsoptionen zur Gewährleistung von Prävention – Schulkultur............................. 12

     Anlage 3
     Gestaltung entwicklungsfördernder Strukturen............................................................... 15

     Anlage 4
     Periodisches bzw. zeitlich begrenztes Herausnehmen aus der Bezugsgruppe .................. 19

     Anlage 5
     Herausnehmen aus Krisensituationen ............................................................................ 22

     Anlage 6
     Temporäre Lerngruppe als vorübergehender Bezugsgruppenersatz................................. 25

     Literatur......................................................................................................................... 30

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                                                                 1
2   Leitlinien zur Beschulung von Schülern
1     Zielstellung                                 sowie der Thüringer Schulordnung Grundlage
                                                   und Orientierung für das Handeln der Lehr-
Verhaltensschwierigkeiten und Verhaltensauf-       kräfte im Gemeinsamen Unterricht.
fälligkeiten stellen seit jeher ein Kernthema im
Kontext institutionellen Lernens dar. Dies spie-   Schüler mit sonderpädagogischem Förderbe-
gelt sich auch im Prozess der pädagogischen        darf in der emotionalen und sozialen Entwick-
Ausgestaltung des Gemeinsamen Unterrichts          lung sowie die sie unterrichtenden Lehrkräfte
wider. Verhaltensauffälligkeiten und Verhal-       werden von Förderpädagogen unmittelbar vor
tensstörungen bilden auch hier aus den ver-        Ort unterstützt.
schiedenen Begründungszusammenhängen
heraus ein kontrovers diskutiertes Thema.          Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der
Diesem Umstand Rechnung tragend, sieht             zeitlich befristeten Unterrichtung der Schüler
der „Entwicklungsplan Inklusion“ (TMBWK,           an einem Förderzentrum.
2013, S. 49) die Erarbeitung eines gestuften
Förderkonzepts mit dem Ziel der Reduzierung
von Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltens-
störungen im Schulalltag vor. Das Thüringer        3     Begriffsklärung
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und
Kultur (TMBWK) legt mit diesen Leitlinien ein      Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö-
entsprechendes Konzept vor. Aufeinander auf-       rungen können als kurz-, mittel- oder länger-
bauende Unterstützungsmöglichkeiten sollen         fristige Nichtpassung von Person und Umwelt
es ermöglichen, für Schüler und Pädagogen          verstanden werden, wie die folgende Defini-
passende, kontext- und entwicklungsabhän-          tion von Verhaltensauffälligkeiten und Verhal-
gige Lösungen zu schaffen, die das Lernklima       tensstörungen zeigt:
sowie die Berufszufriedenheit fördern.
                                                   „Es lässt sich dann aber nicht von ‚Verhal-
Die Leitlinien richten sich an Schulleiter und     tensstörungen einer Person‘ sprechen, son-
Lehrerkollegien. Sie bieten Orientierung für       dern von einer Störung des Regelkreises der
die Gestaltung einer Schul- und Unterrichts-       Person-Umwelt-Beziehung, von Störung des
kultur, welche Verhaltensschwierigkeiten und       Funktionsgleichgewichts in der Interaktion der
Verhaltensauffälligkeiten im Gemeinsamen           Person mit ihrer Umwelt.“ (Seitz, 2001, S. 768)
Unterricht langfristig minimieren und erfolg-
reiches gemeinsames Lernen ermöglichen.            Dieses Verständnis von Verhaltensstörungen
Ausgehend von einem Inklusionsverständnis          ermöglicht Handlungsoptionen in drei Rich-
im Sinne von Zugehörigkeit werden schulische       tungen, um eine bessere Passung von Person
Handlungsmöglichkeiten zur Reduzierung von         und Umwelt zu erreichen.
Verhaltensauffälligkeiten aufgezeigt.
                                                   Es ergeben sich folgende übergreifende Prä-
                                                   ventions- und Interventionsmöglichkeiten:

2     Ausgangslage                                 ▸▸ der Kontext kann verändert werden;

Es existieren der „Thüringer Bildungsplan für      ▸▸ die Person kann sich verändern;
Kinder bis 10 Jahre“ (TMBWK, 2013), der „Ent-
wicklungsplan Inklusion“ (TMBWK, 2013), die        ▸▸ das Verhältnis zwischen Person und Umwelt
„Handreichung für den Gemeinsamen Unter-              kann sich durch Kommunikation verändern.
richt“ (TMBWK, 2013) sowie die „Impulse für
erfolgreiches pädagogisches Handeln zur
Entwicklung emotionaler und sozialer Kompe-
tenzen bei Kindern und Jugendlichen“ (ThILLM,
2013). Sie bilden neben dem Thüringer Schul-
gesetz, dem Thüringer Förderschulgesetz

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                     3
4     Allgemeine Hinweise                                Damit sie ihre volle Wirkung entfalten können,
                                                         sind jedoch Adaptionen vorzunehmen. Diese
Die Leitlinien sehen entsprechend der Defi-              erfolgen gemäß dem Entwicklungsstand des
nition drei sich hinsichtlich ihrer Zielstellung         Schülers, dem konkreten Kontext sowie den
unterscheidende Handlungsebenen – soge-                  Fähigkeiten und Fertigkeiten der an der Umset-
nannte „Stufen“ der Intervention – vor.                  zung der Maßnahmen beteiligten Pädagogen.

Für jede Stufe existiert ein konzeptionell unter-        Die Anerkennung und Wertschätzung des
legter Handlungsrahmen, für dessen Umset-                Schülers sowie die Schaffung klarer, entwick-
zung in Stufe 1 die Schulleiter der Grund- und           lungsfördernder Strukturen stellen grundle-
weiterführenden Schulen, in Stufe 2 in Koope-            gende Prinzipien des Stufenplans dar.
ration mit den Schulleitern der Förderzentren,
in Stufe 3 die Schulleiter der Förderzentren in          Alle Maßnahmen sind in Zusammenarbeit
Kooperation mit den Schulleitern der Grund-              der Pädagogen zu realisieren. Um die in den
und weiterführenden Schulen verantwortlich               einzelnen Stufen vorgesehenen Maßnahmen,
zeichnen. Innerhalb dieses Rahmens liegt                 insbesondere die Einrichtung temporärer Lern-
es in der professionellen Verantwortung der              gruppen, länger- oder langfristig zu etablieren
beteiligten Personen, eine konkrete, auf die             und die erforderlichen materiellen Ressourcen
Bedürfnisse und die Notlage des Schülers                 hierfür bereit zu stellen, sind sie im Schulkon-
sowie auf die Kompetenzen und Ressourcen                 zept zu verankern, mit den Schulträgern abzu-
der Lehrkräfte abgestimmte pädagogische                  stimmen und vom Schulamt zu bestätigen.
Lösung zu erarbeiten. Gemeinsam mit dem
Schüler sind die seine Entwicklung am besten
unterstützenden Lösungen zu finden. Die
Interessen und Bedürfnisse aller Schüler sind            5     Struktur Leitlinien
dabei im Blick zu behalten. Gegebenenfalls
sind professionell begründete Adaptionen von             Jede Stufe legt den Schwerpunkt des Handelns
pädagogischen oder didaktisch-methodischen               auf einen anderen Aspekt des Entstehens von
Konzepten vorzunehmen. Zusammenfassend                   Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö-
ist festzuhalten: Die die einzelnen Stufen               rungen. Die Schwerpunkte für die einzelnen
kennzeichnenden Konzepte und konzep-                     Stufen sind in Tabelle 1 dargestellt.
tionellen Überlegungen stellen notwendige
Rahmenbedingungen für eine strukturierte                 Für die Realisierung von Stufe 1 bedarf es nicht
und konstruktive professionelle Arbeit dar.              notwendig sonderpädagogischer Kompetenz
Sie bieten Orientierung für professionelles              für den Bereich emotional-soziale Entwick-
Handeln und ermöglichen theoriebasierte Ent-             lung. Die Verantwortung und Ausgestaltung
scheidungen. Sie stellen auf einer allgemeinen           der Maßnahmen verantworten der Schulleiter
Ebene Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung.                und die Schulkonferenz der Grund- oder wei-

Tabelle 1
            Schwerpunkt des pädagogischen                Nachgeordnet berücksichtigt
            Handelns
Stufe 1     (Um-)Gestaltung des Kontextes                Arbeit mit dem Schüler an der Änderung
                                                         seines Verhaltens
Stufe 2     (Wieder-)Herstellung der Passung             Veränderung des Kontextes sowie das
            zwischen dem als verhaltensauffällig         Verhalten des Schülers
            beschriebenen Schüler und seiner
            Bezugsgruppe
Stufe 3     Intensive Arbeit mit dem Schüler an der      (Um-)Gestaltung des Kontextes
            Änderung seines Verhaltens

4                                                     Leitlinien zur Beschulung von Schülern
terführenden Schule unter Einbeziehung der         baren Beziehungsarbeit mit den Schülern zu
an der Schule tätigen Förderpädagogen mit          gelangen.
ihren jeweiligen Spezialisierungen.
                                                   Pädagogen und Schüler entwickeln und ver-
Ab Stufe 2 wird sonderpädagogische Kompe-          vollkommnen Handlungsroutinen, welche
tenz für den Bereich emotional und soziale         Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö-
Entwicklung notwendig. Der Leiter des Förder-      rungen reduzieren.
zentrums ist aus diesem Grund in die Arbeit
einzubeziehen. Er verantwortet Ausgestaltung       Zusammenfassend ist festzuhalten: Stufe 1
und Umsetzung der Maßnahmen ab Stufe 2.            zielt auf eine zielorientierte pädagogische
Dabei gilt selbstredend, dass alle Handlungs-      Arbeit, wodurch Verhaltensauffälligkeiten
optionen aus Stufe 1 auch Handlungsoptionen        und Verhaltensstörungen dauerhaft reduziert
für Stufe 2 und 3 darstellen. Stufe 2 bzw. 3       werden und der Prozess der Inklusion in der
lösen die Handlungsoptionen aus Stufe 1 nicht      Schule unterstützt wird. Entsprechend bein-
ab, sondern stellen eine Anreicherung pädago-      haltet Stufe 1 des Stufenplanes Handlungs-
gischer Arbeit durch sonderpädagogische, auf       optionen und Maßnahmen, die wesentlich
den Förderschwerpunkt emotional und soziale        auf die Gestaltung des schulischen Kontextes
Entwicklung bezogene Intentionen dar. Die          ausgerichtet sind.
Umsetzung der Maßnahmen in Stufe 3 verant-
wortet der Leiter des Förderzentrums in Koope-     Grundlegende Orientierung bieten die sieben
ration mit dem Schulleiter und der Schulkonfe-     Dimensionen der Schuleingangsphase (s.
renz der Grund- oder weiterführenden Schule.       Anlage 1) sowie die Handreichung „Impulse
                                                   für erfolgreiches pädagogisches Handeln zur
Wichtig für alle Stufen ist die Schaffung trans-   Entwicklung emotionaler und sozialer Kompe-
parenter, klarer äußerer Strukturen, welche        tenzen bei Kindern und Jugendlichen“ (ThILLM,
zugleich „Lebendigkeit und Flexibilität im         2013).
Unterricht gewährleisten“ (Stein, 2006, S.
458). Solche Strukturen geben Halt und Orien-      Ergänzend zu den bereits in der Handreichung
tierung und unterstützen den Aufbau innerer        hinreichend erörterten Handlungsoptionen
Strukturen der Schüler. Sie können in Abhän-       ergeben sich in Stufe 1 Handlungsoptionen
gigkeit vom Entwicklungsstand der Schüler          hinsichtlich folgender Aspekte (s. Anlage 2):
enger oder weiter gesteckt werden.
                                                   a. Etablierung einer Schulkultur mit Pausenre-
                                                      gelungen, welche Schülern und Pädagogen
                                                      die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse nach
Stufe 1:                                              Nahrung,     Bewegung,      Körperhygiene,
Stufe der Präventionen                                offener Kommunikation ermöglicht;

Diese Stufe umfasst primäre, sekundäre und         b. Angebote an Spiel- und Handlungsmöglich-
tertiäre Präventionen zur langfristigen Redu-         keiten in der Pausenzeit;
zierung von Verhaltensauffälligkeiten und
Verhaltensstörungen (vgl. Hillenbrand, 1999,       c. Gewährleistung einer für die Etablierung von
S. 122).                                              Vertrauen und nachhaltige pädagogische
                                                      Arbeit notwendigen Stabilität von Bezie-
Ziel der Maßnahmen in dieser Stufe ist es,            hungen mit einer überschaubaren Anzahl
durch systematisches Beobachten, Reflek-              an Bezugspersonen sowohl für Schüler als
tieren der eigenen Arbeit, durch Gespräche mit        auch für Lehrkräfte;
Schülern, Eltern und Kollegen gegebenenfalls
zu Veränderungen im eigenen Handeln, in der        d. Etablierung einer intensiven Elternarbeit;
Schul- und Unterrichtsorganisation, in der
Unterrichtsgestaltung sowie in der unmittel-

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                       5
e. Gestaltung eines hochwertigen, schüler-           Kontextes hierfür geeignete Unterstützungs-
   zentrierten Unterrichts mit Leistungserwar-       maßnahmen aus.
   tungen;
                                                     Im Einzelnen ergeben sich in Stufe 2 folgende
f. Gestaltung eines regen Schul- und Klassen-        zusätzlichen Handlungsoptionen gegenüber
   lebens;                                           Stufe 1:

g. Anerkennung des anderen als grundle-              a. beratende und unterstützende Gespräche
   gende Haltung;                                       mit dem Klassenlehrer, dem Schüler, seinen
                                                        Eltern, allen Schülern der Klasse, anderen
h. Kenntnisse und Einsatz verhaltensmodifi-             Pädagogen;
   katorischen Wissens und Könnens;
                                                     b. Einsatz von Trainings- und Förderpro-
i. pädagogisch-professionelle Gesprächsfüh-             grammen, welche es dem Schüler ermög-
   rung mit Kindern und Jugendlichen (vgl. u.a.         lichen, eigene Kompetenzen auf sozialem
   Juul/Jensen, 2012; Delfos, 2004);                    und emotionalem Gebiet zu entwickeln.
                                                        Explizit verwiesen sei auf die Programme
j. Nutzen der Beratungslehrer als Ressource;            „Ich schaff’s“ (Furman, 2008), „SOKO
                                                        Autismus“ (Häußler, 2013), Marburger Kon-
k. Nutzen der bereits an zahlreichen Schulen            zentrationstraining (Krowatschek, 2002);
   etablierten Streitschlichter als Ressource;
                                                     c. systematische Arbeit mit stark struktu-
l. Aufbau von Netzwerken, beispielsweise                rierten Lernplänen und Verstärkerplänen
   Nutzen des schulpsychologischen Dien-                mit einem Einzelnen oder der gesamten
   stes, der Fachberater, Kontakte zu externen          Klasse als Gruppe;
   Partnern wie Jugendhilfe etc.
                                                     d. Intensivierung der Arbeit mit dem Förder-
                                                        plan, beispielsweise durch die Formu-
                                                        lierung kind- oder jugendgerechter Ziele
Stufe 2                                                 sowie durch die Arbeit an kurzfristigen,
Stufe der pädagogischen                                 gemeinsam mit dem Schüler vereinbarten
und sonderpädagogischen                                 (Zwischen-)Zielen.
Interventionen                                       Möglich ist es ferner, in der Grund- oder weiter-
In dieser Stufe erwirbt der Schüler mit Förder-      führenden Schule eine am Konzept „Trainings-
bedarf in der emotional-sozialen Entwicklung         raum“ (s. Anlage 5) oder am Projekt „Über-
ebenso wie in Stufe 1 seine Bildung in seiner        gang“ von Becker (Becker, 2008) orientierte
Bezugsgruppe an der Grund- oder weiterfüh-           längerfristige Maßnahme zu etablieren. Beide
renden Schule. Im Unterschied zu Stufe 1             Maßnahmen stellen situative Herausnahmen
werden von den Lehrkräften dieser Schulen            des Schülers aus seiner Bezugsgruppe dar.
sonderpädagogische Kompetenzen im Bereich            Diese erfolgt im Falle der Umsetzung eines
der emotional-sozialen Entwicklung ange-             am Konzept „Trainingsraum“ orientierten Kon-
fordert, um die Passung von als verhalten-           zeptes in Krisensituationen (s. Anlage 5), im
sauffällig erlebten Schülern und dem Kontext         Falle der Umsetzung eines am Projekt „Über-
wieder herzustellen.                                 gang“ orientierten Konzeptes (s. Anlage 4) zu
                                                     definierten Zeiten. Der Schüler bleibt jedoch
Der auf den Förderschwerpunkt emotionale             auch bei Realisierung dieser Maßnahmen Mit-
und soziale Entwicklung spezialisierte För-          glied seiner Bezugsgruppe und erwirbt seine
derpädagoge unterstützt die Arbeit der Lehr-         Bildung in dieser Bezugsgruppe (s.o.). Weitere
kraft und arbeitet mit dem Schüler verstärkt         Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus der
an dessen sozialer Integration. Er wählt in          Arbeit mit dem bereits in Thüringen etablierten
Kenntnis der Situation des Schülers und des          Programm „Faustlos“, dem ebenfalls in Thü-

6                                                 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
ringen bereits etablierten Programm ETEP (vgl.      rungen gibt es nicht. Die inhaltlich-didaktische
„Impulse für erfolgreiches pädagogisches Han-       Gestaltung der Lernzeit in der temporären
deln zur Entwicklung emotionaler und sozialer       Lerngruppe liegt entsprechend in der Verant-
Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen“),         wortung des Förderpädagogen sowie gegebe-
der Orientierung an der Gewaltfreien Kommuni-       nenfalls weiterer beteiligter Lehrkräfte. Es ist
kation von Marshall B. Rosenberg (Rosenberg,        ihre ureigenste Aufgabe, entsprechend ihren
2005) oder an der Themenzentrierten Interak-        pädagogischen und sonderpädagogischen
tion nach Ruth Cohn (Ruth– Cohn–Institut).          Kompetenzen die Lernzeit auf Entwicklung
                                                    fördernde Weise inhaltlich-didaktisch zu
Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Maß-          gestalten.
nahmen in Stufe 2 sind so angelegt, dass sich
durch das Erleben von Achtung gegenüber der         In der Verantwortung des Förderpädagogen
eigenen Person sowie das Erleben von Selbst-        liegt es darüber hinaus, die Lern- und gegebe-
wirksamkeit und Zugehörigkeit zur Bezugs-           nenfalls auch die Pausenzeiten mit komplexen
gruppe beim Schüler ein positives Selbstkon-        Interventionen, welche den Aufbau eines posi-
zept herausbildet.                                  tiven Selbstkonzeptes sowie den Erwerb sozial
                                                    angemessener Verhaltensweisen forcieren,
                                                    zu untersetzen. Diese komplexen Interven-
                                                    tionen bestehen aus einem wertschätzenden
Stufe 3                                             Umgangston, einer anerkennenden Haltung
Stufe der                                           von Seiten des Pädagogen gegenüber dem
sonderpädagogischen                                 Schüler, gruppenbezogenen systemischen
                                                    Interventionen,      Entwicklungsgesprächen,
Interventionen – Temporäre                          einer intensiven Arbeit mit Lern- und Förder-
Lerngruppen                                         plänen sowie Tokenprogrammen und klassi-
                                                    scher Verhaltensmodifikation.
Stufe 3 stellt eine zeitlich befristete vollstän-
dige Herausnahme des als verhaltensgestört          Unabhängig vom konkret gewählten didak-
beurteilten Schülers aus seinem unmittelbaren       tischen Konzept kommt der Gewährleistung
Bezugsgruppenkontext dar (s. Anlage 6). Der         transparenter, klarer Strukturen bei gleich-
Schüler lernt dann vorübergehend nicht mehr         zeitiger Flexibilität und Lern-Dynamik inner-
in seiner Bezugsgruppe in der Grund- oder wei-      halb der temporären Lerngruppen grundle-
terführenden Schule, sondern in einer tempo-        gende Bedeutung zu. Die Tagesstruktur muss
rären Lerngruppe. Diese vorübergehende Tren-        bekannt; Lern- und Pausenzeiten müssen klar
nung des Schülers von seiner Bezugsgruppe           geregelt sein. Das Maß für die Strukturierung
schafft Entlastung für alle Beteiligten. Sie        von Unterricht und Pausen hängt dabei von
ermöglicht sowohl dem betroffenen Schüler           den Rahmenbedingungen ab, zu denen der
als auch allen anderen (Weiter-)Entwicklung         Entwicklungsstand der Schüler, ihre konkreten
und (Verhaltens-)Veränderung.                       Problem- und Lernsituationen ebenso gehören
                                                    wie die professionellen Fertigkeiten und Fähig-
Temporäre Lerngruppen setzen sich aus vier          keiten und Haltungen der Pädagogen.
bis sieben Schülern zusammen. Da für die Zeit
des Lernens in der temporären Lerngruppe            Eine Möglichkeit zur Schaffung einer Tages-
diese zugleich die Bezugsgruppe des Schülers        struktur stellen Rituale und Rhythmisierung
darstellt, ist eine Mindestgruppengröße zu          dar (s. Anlage 3). Beide sind geeignet, einen
gewährleisten. Nur so können soziale Bezüge         verlässlichen Rahmen zu erzeugen, innerhalb
gesichert und soziale Kompetenzen erworben          dessen dem Schüler ein eigener Entschei-
werden.                                             dungsspielraum gegeben wird.

Temporäre Lerngruppen stellen eine beson-           Temporäre Lerngruppen können prinzipiell
dere Organisationsform von Unterricht dar.          an jeder Grund- oder weiterführenden Schule
Eine besondere Didaktik bei Verhaltensstö-          installiert werden.

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                      7
Temporäre Lerngruppen können in beson-
deren Fällen auch am Förderzentrum installiert
werden. Diese auch räumlich ausgelagerten
temporären Lerngruppen sollten der Arbeit mit
älteren Kindern und Jugendlichen vorbehalten
bleiben, welche sich längerfristig schulabsti-
nent zeigen oder durch ihr Verhalten andere
und sich selbst gefährden. Grundsätzlich ist
der Verbleib eines Schülers in der temporären
Lerngruppe in der Schule seiner Bezugsgruppe
dem Schulwechsel in eine temporäre Lern-
gruppe an ein Förderzentrum vorzuziehen.

Die vorübergehende Trennung von Schüler
und Bezugsgruppe muss auf beiden Seiten für
Veränderungsarbeit genutzt werden, sodass
mit der Rückkehr des Schülers in die ursprüng-
liche Bezugsgruppe ein veränderter Umgang
miteinander möglich wird. Um diese Rückkehr
zu erleichtern und langfristig vorzubereiten,
soll während des Lernens eines Schülers in der
temporären Lerngruppe der Kontakt zu seiner
Bezugsgruppe aufrechterhalten werden (s.
Anlage 6).

Zusammenfassend ist festzuhalten: Entschei-
dend für den Erfolg der Maßnahme „temporäre
Lerngruppe“ ist der Wille aller am Lern- und
Entwicklungsprozess Beteiligten, an kon-
struktiven Lösungen zu arbeiten. Ziele des
Lernens in der temporären Kleingruppe sind
die Stabilisierung des Selbstkonzeptes, der
Erwerb von Selbstvertrauen durch Selbstwirk-
samkeit sowie der Aufbau innerer Strukturen,
sodass nach Verlassen der temporären Lern-
gruppe ein Weiterlernen in der ursprünglichen
Bezugsgruppe gelingen kann. Die Planung
des Lehrens und Lernens in der temporären
Lerngruppe sowie die Planung aller komplexen
Interventionen müssen ausnahmslos unter
dem Fokus erfolgen, die Schüler dauerhaft
psychisch zu stabilisieren und damit ein dau-
erhaftes Weiterlernen in der Bezugsgruppe zu
sichern.

8                                                Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 1                                             unterschiedlichem Niveau gelöst werden
Handlungsoptionen,                                   können“ (Carle/Berthold, 2007, 42),
                                                     zuzüglich dem Bereitstellen niveauvoller
die sich aus den sieben                              Aufgaben, die eine „vertiefte Auseinan-
Dimensionen der                                      dersetzung“ (Carle/Berthold, 2007, 44)
Schuleingangsphase                                   mit dem Thema erfordern, ermöglichen es
                                                     jedem Schüler, eine für seinen Lern- und
ergeben – Ergebnisse                                 Entwicklungsstand passende Aufgabe zu
des Schulversuches                                   finden und zugleich mit anderen Schülern
„Veränderte                                          gemeinsam zu lernen bzw. ihnen zu helfen
                                                     oder sich helfen zu lassen.
Schuleingangsphase an
Thüringer Grundschulen“                           ▸▸ Eine „inhaltliche Klammer, beispielsweise
                                                     anhand von Rahmenthemen“ (Carle/
Die sieben Dimensionen der Schuleingangs-            Berthold, 2007, 38) um die Aufgaben soll
phase können als geeigneter Rahmen zur               verhindern, dass der Unterricht „zu indivi-
Reduzierung von Verhaltensschwierigkeiten            duellem Üben verkommt“ (Carle/Berthold,
angesehen werden, da im Ergebnis des                 2007, 38).
Schulversuches mehr Kooperation unter den
Schülern zu beobachten war und mehr soziale       ▸▸ Die Aufgaben sollen „unterschiedliche
Verhaltensweisen gezeigt wurden. (vgl. Carle/        Arbeitsformen“ (Carle/Berthold, 2007, 38),
Berthold, 2007, 49f; 130)                            insbesondere sowohl „selbstgesteuertes“
                                                     als auch „gelenktes binnendifferenziertes
Es ergeben sich beispielsweise Optionen für          Arbeiten“ (Carle/Berthold, 2007, 38),
folgende Handlungsfelder:                            ermöglichen, denn die Notwendigkeit von
                                                     Binnendifferenzierung bleibt trotz offener
                                                     Aufgabenstellungen erhalten (vgl. Carle/
1. Didaktik:                                         Berthold, 2007, 44).

▸▸ Eigenständiges Arbeiten der Schüler ermög-     ▸▸ Orientierung für die Gestaltung eines indivi-
   licht dem Pädagogen das Einnehmen der             dualisierten Unterrichts bieten reformpäd-
   Rolle des Lernbegleiters.                         agogische Ansätze, beispielsweise Mon-
                                                     tessori- oder Freinetpädagogik, Jena- oder
▸▸ Individuelle   Lernzugänge     ermöglichen        Daltonplan (vgl. Carle/Berthold, 2007, 54)
   Lernerfolge.                                      ebenso wie die der Ansatz des exemplari-
                                                     schen Lehrens nach Wagenschein. Darüber
▸▸ Die Lernangebote sollen die Zusammen-             hinaus erfolgten Werkstatt- und Stationsar-
   arbeit und den Austausch zwischen den             beit, Wochenplan- sowie Projektunterricht
   Schülern initiieren und forcieren (vgl.           (vgl. Carle/Berthold, 2007, 170).
   Carle/Berthold, 2007, 37). Eine absolute
   Individualisierung der Aufgaben für jedes      ▸▸ Im Ergebnis der veränderten didaktisch-
   einzelne Kind ist vor diesem Hintergrund          methodischen Gestaltung des Unterrichts
   pädagogisch nicht begründbar, behindert           zeichnete sich unter den Pädagogen fol-
   es doch die Kooperation der Kinder unter-         gender Konsens ab:
   einander. Aus demselben Grund, nämlich
   um dem ausschließlichen Allein-Lernen vor-        • Die Formulierung der Aufgabenstellung
   zubeugen, darf kein Wochenplan absolut              bestimmt die Qualität der Kooperation.
   individuell sein (vgl. Carle/Berthold, 2007,
   112).                                             • Helfen muss geübt werden! Ein soziales
                                                       Klima stützt dies: Hilfsbereitschaft, Tole-
▸▸ Das Bereitstellen „offene[r] Aufgaben,              ranz, Offenheit, Bewältigung von Kon-
   die von unterschiedlichen Kindern auf

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                    9
flikten, Kompromissbereitschaft, Regeln        ▸▸ „Stammgruppenunterricht, Kursunterricht,
        für Zusammenarbeit.                               spezifische Förderung“ (Carle/Berthold,
                                                          2007, 52);
     • Für Kinder müssen klar erkennbare
       Strukturen geschaffen werden.                   ▸▸ Jahrgangsmischung als Ressource;

     • Eine Vielzahl von Angeboten und Mate-           ▸▸ Wochen- oder Tagespläne, „aus denen
       rialien ist nötig.“ (Carle/Berthold, 2007,         auch hervor geht, wann die Arbeit geplant
       170)                                               ist, wann Arbeitsrückschau gehalten wird,
                                                          wann Ergebnisse der Kinder präsentiert
                                                          werden“ (Carle/Berthold, 2007, 52);
2. Angebot an Lernmaterialien:
                                                       ▸▸ Eingang der individuellen Lernpläne in den
Für die Gestaltung eines störungsfreien indi-             Wochenplan (vgl. Carle/Berthold, 2007,
viduellen Lernprozesses erwies sich der Ein-              41);
satz sogenannten „schulbuchersetzenden
Materials“ als hilfreich. Im Einzelnen sind gute       ▸▸ eine überlegte Raum- und Arbeitsplatzge-
Erfahrungen mit der Verwendung folgender                  staltung (vgl. Carle/Berthold, 2007, 52);
Materialien gemacht worden:
                                                       ▸▸ Lernmaterial für verschiedene Unterrichts-
▸▸ „speziell auf einzelne Kinder oder Kinder-             arten und Kontrollformen (vgl. Carle/
   gruppen abgestimmtes Material mit ver-                 Berthold, 2007, 52);
   schiedenem Schwierigkeitsgrad (z.B. unter-
   schiedlich schwierige Lesetexte/Bilderge-           ▸▸ „kleine Institutionen wie Werkstätten,
   schichten)“ (Carle/Berthold, 2007, 46);                Wochenplan, Arbeitsrückschau, Präsenta-
                                                          tionen, Verantwortlichkeiten etc.“ (Carle/
▸▸ „aufeinander aufbauendes Aufgabenan-                   Berthold, 2007, 38) zur Regelung der
   gebot, das nach individuellem Lernfort-                Abläufe.
   schritt bearbeitet werden konnte“ (Carle/
   Berthold, 2007, 46);                                Anmerkung: Didaktische Konzepte und Unter-
                                                       richtsorganisation gehen ineinander über.
▸▸ „Zusatzmaterial, z.B. zur inhaltlichen Ver-
   tiefung bestimmte Sachbücher“ (Carle/
   Berthold, 2007, 46);                                4. Rhythmisierung:
▸▸ ausgewählte, am Computer nutzbare                   Die Rhythmisierung des Tages stellt einen
   Übungsprogramme, die beispielsweise                 Aspekt des Schaffens transparenter, entwick-
   „auf unterschiedliche Geschwindigkeiten             lungsfördernder Strukturen dar. Folgende
   der Kinder mit verschiedenen Schwierig-             Strukturen haben sich im Schulversuch „Ver-
   keitsstufen reagieren“ (Carle/Berthold,             änderte Schuleingangsphase in Thüringen“
   2007, 46).                                          bewährt:

                                                       ▸▸ „einheitliche[n]r Takt für die ganze Schule“
3. Klassen- und                                           (Carle/Berthold, 2007, 55)
   Unterrichtsorganisation:
                                                       ▸▸ Übergang von äußerer Rhythmisierung, bei-
Folgende Formen der Klassen- und Unterrichts-             spielsweise durch Methodenwechsel zum
organisation erweisen sich als hilfreich für die          Finden eines inneren Rhythmus‘ (vgl. Carle/
Gestaltung eines störungsfreien individuellen             Berthold, 2007, 55)
Lernprozesses:

10                                                  Leitlinien zur Beschulung von Schülern
5. Elternarbeit:                                 ▸▸ „Am Nachmittag eingerichtete feste Team-
                                                    sitzungen erschlossen mehr Zeit für Koope-
Folgende Aspekte der Elternarbeit haben sich        ration.“ (Carle/Berthold, 2007, S. 71f ).
im Thüringer Schulversuch „Veränderte Schu-
leingangsphase“ bewährt:                         8. Ergänzende Gedanken zum Umgang mit
                                                 Verhaltensauffälligkeiten:
▸▸ Eltern in die Ausgestaltung der Schulkultur
   involvieren;                                  Eine der Versuchsschulen fasst zum Thema
                                                 „Verhaltensauffälligkeiten“ folgende Hand-
▸▸ Transparenz hinsichtlich unterrichtlicher     lungen als hilfreich zusammen:
   Ziele herstellen;
                                                 ▸▸ „Ruhe bewahren und die Situation nicht
▸▸ Bild, das Eltern von Schule haben, berück-       weiter verschärfen.
   sichtigen;
                                                 ▸▸ Keine Pauschalbewertung nach       einem
▸▸ Die Interessen der Eltern können an ver-         Schema der Situation vornehmen.
   schiedenen Schulen unterschiedlich sein.
                                                 ▸▸ Das Kind mit seinem Verhaltensproblem
▸▸ Eltern als Partner betrachten; (vgl. Carle/      nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit der
   Berthold, 2007, 81ff)                            Gruppe rücken.

▸▸ „niedrigschwellige    Angebote“    (Carle/    ▸▸ Ursachen ergründen, auch im Gespräch mit
   Berthold, 2007, 84), beispielsweise Eltern-      dem Kind.
   café, informelle Gespräche vor Unterrichts-
   beginn; Mitwirkung bei Klassenvorhaben,       ▸▸ Klärende Gespräche nicht während der Stö-
   Elternseminare etc.                              rung führen, sondern erst, wenn sich das
                                                    Kind beruhigt hat.

6. Leistungsdokumentation:                       Dieses Vorgehen bewährte sich.“ (Carle/
                                                 Berthold, 2007, S.132)
Folgende Formen der Leistungsdokumentation
haben sich im Thüringer Schulversuch „Verän-     Fasst man die Erkenntnisse aus dem Schul-
derte Schuleingangsphase“ bewährt:               versuch „Veränderte Schuleingangsphase in
                                                 Thüringen“ in Thüringen zusammen, so zeigt
▸▸ halbjährliche      Entwicklungsgespräche      sich der Nutzen von Transparenz im Handeln
   zwischen Eltern und Lehrkraft (vgl. Carle/    und im Aufbau von Strukturen.
   Berthold, 2007, 85);

▸▸ Führen eines Portfoliohefters (vgl. Carle/
   Berthold, 2007, 85; 153);

▸▸ „Gespräche mit dem Kind über seine Arbeit“
   (vgl. Carle/Berthold, 2007, 153)

7. Teamarbeit:
▸▸ Eine fächer- und professionsübergreifende
   Zusammenarbeit fördert Verständigung und
   Kooperation der Pädagogen unterschied-
   licher Professionen (vgl. Carle/Berthold,
   2007, 73).

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                               11
Anlage 2                                              sche Proben; Darts, Klassenbewegungskartei,
Handlungsoptionen zur                                 etc.

Gewährleistung von                                    Möglich sind ebenso ein monatliches,
Prävention – Schulkultur                              wöchentliches oder tägliches gemeinsames
                                                      Frühstück der Pädagogen und Schüler in der
                                                      Frühstückspause. Dabei muss jedoch sicher-
1. Großzügige                                         gestellt werden, dass kein Schüler beschämt
   Pausenregelungen:                                  wird, weil er möglicherweise nichts zu essen
                                                      dabei hat oder nichts zum gemeinsamen Früh-
Pausenzeiten sollten von der Schulkonferenz           stück beitragen kann.
im Interesse von Pädagogen und Schülern
großzügig bemessen sein. Empfehlenswert ist
eine Pausenzeit von mindestens zehn Minuten.          3. Elternarbeit:
Erst eine entsprechende Pausenzeit ermöglicht         Pädagogen sollten in den Eltern Partner und
es Pädagogen und Schülern, ihre Grundbe-              Verbündete im Interesse der Kinder und
dürfnisse nach Nahrung, Bewegung, Körperhy-           Jugendlichen sehen (vgl. Thüringer Bildungs-
giene, Kommunikation etc. zu befriedigen.             plan, 2010, S. 162). Entsprechend müssen
                                                      Möglichkeiten zur unkomplizierten Kontakt-
Anmerkung: Die Bereitschaft, zu lernen oder           aufnahme für die Eltern geschaffen werden,
einem anderen behilflich zu sein, steigert sich,      beispielsweise durch das Festlegen wöchent-
wenn die eigenen Bedürfnisse erfüllt sind.            licher (telefonischer) Sprechzeiten oder Zeiten
                                                      telefonischer Erreichbarkeit, das Durchführen
Eine großzügige Pausenregelung ermöglicht             von Elternsprechstunden.
darüber hinaus kommunikative Lernsitua-
tionen (Wocken, 1998). Kinder und Jugend-             Eine weitere Möglichkeit zur Kontaktaufnahme
liche erhalten Gelegenheit, soziale Kontakte          stellt die Einführung von Gleitzeit zu Beginn
zu pflegen, Freundschaften zu knüpfen. Kom-           und/oder am Ende des Schultages dar (s. auch
munikative Lernsituationen sind für das Rea-          Anlage 1: Rhythmisierung/Schuleingangs-
lisieren von sozialer Inklusion entsprechend          phase). Des Weiteren sollten Eltern in das
bedeutsam.                                            Schulleben einbezogen werden (s. Anlage 1).

Die Gliederung der Lernzeit in Blöcken eröffnet       Denkbar sind: Eltern-Schüler-Lehrer-Fest;
zusätzliche didaktisch-methodische Gestal-            Elternwandertage, gemeinsame Feiern von
tungsmöglichkeiten der Lernzeit (s. auch              Eltern, Schülern, Pädagogen; Kreativabende
Anlage 1: Rhythmisierung/Schuleingangs-               (Kochen, Basteln, Renovieren etc.); sportlicher
phase).                                               Wettstreit mit- und gegeneinander (Volley-
                                                      ball, Fußball, Felderball etc.); gemeinsame
                                                      Fortbildungen oder Gesprächsrunden z.B. zu
2. Angebote an Spiel- und                             Fragen zur Erziehung (Umgang mit Medien
   Handlungsmöglichkeiten in                          etc.); Vorstellen des didaktisch-methodischen
   der Pausenzeit:                                    Konzeptes; Vorstellen von Arbeitsergebnissen
                                                      der Schüler; Gesprächsrunden zu Themen
Hier ist Kreativität gefragt:                         und Vorhaben der Klasse etc. Hinzu kommen
                                                      Elternabende und Entwicklungsgespräche mit
Tischtennis; Badminton; Billard; Schach;              den Eltern.
Dame/Mühle (Felder auf dem Schulhof auf-
zeichnen); Basketballkorb; Volleyballnetz;            Entscheidend ist, den Kontakt zu den Eltern
Hüpfkästchen; Springseile/Bälle/Geräte, um            von Anfang an zu suchen – noch bevor etwas
die Balance zu halten; Pflasterkreide zum             weniger Angenehmes überhaupt passieren
Malen; Kletterwand; Möglichkeit für musikali-         konnte (vgl. Whitaker, 2009, 29).

12                                                 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Denkbar wäre auch eine Kontaktaufnahme vor        Krafteinsatz stellt den vermutlich am meisten
Übernahme einer Klasse. Der so von Anfang an      unterschätzten Aspekt des Berufes dar. Eine
hergestellte Kontakt ist so unkompliziert wie     überschaubare Teamgröße bietet diesbezüg-
möglich zu gestalten und dauerhaft aufrecht       lich für alle – Lehrkräfte, Schüler und Eltern –
zu erhalten. Die Einladung zu einem Elternge-     Entlastung.
spräch darf nicht automatisch Anlass zur Sorge
bei den Eltern sein. (vgl. auch Riegel, 2004)
                                                  5. Gestaltung eines
Da Eltern die Lehrkräfte in aller Regel rede-        jahrgangsgemischten,
gewandter als sich selbst und geübter im             schülerzentrierten
Darstellen ihrer Positionen erleben, erweisen        Unterrichts mit
sich gemeinsame Aktivitäten für die Kontakt-         Leistungserwartungen (s.
aufnahme als hilfreich. Beispielsweise eignen        Anlage 1):
sich gemeinsame Wandertage, gemeinsame
Feiern in der Schule, Renovierung des Klas-       Jahrgangsmischung nach dem Prinzip der
senraumes, das Anlegen eines Klassenbeetes,       Stammgruppen- und Kursbildung ist prinzipiell
Bitte um Unterstützung bei Aktivitäten der        auch in der weiterführenden Schule möglich.
Klasse etc.

Insbesondere Eltern, die selbst weniger gute      6. Gestaltung eines regen Schul-
Schulerfahrungen gemacht haben, nehmen               und Klassenlebens:
meist dankbar derartige Angebote an.
                                                  Hier sind Kreativität sowie Freude an der Arbeit
Eine präventive Elternarbeit fordert vom Päd-     mit Kindern, Jugendlichen und Eltern gefragt.
agogen, sich zugleich einlassen und abgrenzen     Hintergrund ist die Vorstellung, dass Schule
zu können.                                        ein Ort sein oder werden sollte, an dem sich
                                                  Lehrkräfte, Schüler und Eltern gern aufhalten.

4. Bildung von Pädagogen-Teams,                   Denkbar sind u. a.:
   die längerfristig mit einer
   Klasse arbeiten:                               Lese- oder Spielnachmittage oder -nächte;
                                                  Lagerfeuer und Nachtwanderung; lyrische oder
Auf die Bedeutung von zwischenmenschlichen        musikalische Abende (Schüler zeigen, was sie
Beziehungen für das Aufwachsen, für das Leben     können); Schulchor, Schulband; Arbeitsge-
im Allgemeinen, für die seelische Gesundheit      meinschaften; sportliche Aktivitäten mit und
wird in unterschiedlichen Zusammenhängen          ohne Elternbeteiligung nach Möglichkeiten
immer wieder verwiesen. Menschen benötigen        der Schule (Tischtennisturnier, Schachturnier
soziale Bezüge, um sich als Mensch entfalten      etc.); Ausstellungen von Schülerarbeiten im
zu können; das Wachsen von Vertrauen benö-        Foyer der Schule (Zeichnungen, Fotos etc.),
tigt miteinander verbrachte Zeit.                 Einrichten eines Klassenbriefkastens, Führen
                                                  eines Klassenportfolios; Führen eines Schü-
Aus diesem Grund sollten Pädagogen-Teams          lercafés; Theaterspielen und Theaterauffüh-
in überschaubaren Größenordnungen gebildet        rungen (s. auch Elternarbeit; vgl. auch Riegel,
werden, welche längerfristig mit einer Klasse     2004) etc.
oder mit einer Doppelklassenstufe arbeiten.
Erfolgt eine Klassenteilung oder der Wechsel
einiger Schüler der Klasse, sollte ein Pädagoge   7. Anerkennung des anderen als
mit der Klasse von Team zu Team wechseln.            grundlegende Haltung:
Eine solche Teambildung entlastet sowohl
die Pädagogen als auch die Schüler als auch       Anerkennung als Haltung meint, den anderen
die Eltern von kräftezehrender Beziehungsar-      als den Menschen anzuerkennen, der er ist und
beit. Der für Beziehungsarbeit erforderliche      der er werden könnte. Anerkennung als Hal-

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                   13
tung meint nicht, jede Handlung des anderen
gut zu heißen. Es meint jedoch, jede Kritik auf
eine Weise zu äußern, dass der andere als
Mensch nicht beschämt wird.

Kritik bezieht sich entsprechend immer und
ausschließlich auf ein konkretes Verhalten
oder eine konkrete Handlung eines anderen
und nicht auf den anderen als Person.

Ein Aspekt von Anerkennung stellen Aufrichtig-
keit bzw. Authentizität in der Kommunikation
dar.

8. Gesprächsführung mit
   Kindern und Jugendlichen:
Pädagogik hat die Aufgabe „Menschen zur
Sprache zu bringen“ (Rödler, 2000, S. 238).
Insofern besteht ein entscheidender Aspekt in
der Gesprächsführung mit Kindern und Jugend-
lichen in der Fähigkeit des Zuhörens.

Kinder und Jugendliche verfügen zudem nicht
zwangsläufig über denselben Wortschatz
wie Erwachsene. Ferner gehen insbesondere
kleine Kinder davon aus, dass der Erwachsene
über die Dinge bereits Bescheid weiß, dass er
also weiß, was das Kind auch weiß. Dies führt
mitunter zu Irritationen innerhalb des Gesprä-
ches. Nicht zuletzt verlassen sich Kinder, mit-
unter auch Jugendliche, im Gespräch darauf,
dass der Erwachsene ihnen weiterhilft. Sie
sehen im Erwachsenen den Gesprächsführer.

(vgl. Delfos, 2004, S. 68ff)

14                                                Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 3                                          feierliche Wirkung entfalten und für die Schaf-
Gestaltung                                        fung einer unmittelbaren Rahmenstruktur
                                                  weniger wirksam sind.
entwicklungsfördernder
Strukturen                                        Zu Bezugsgruppenritualen (Klasse oder
                                                  Stammgruppe) oder Ritualen in der tempo-
Das Schaffen von transparenten, nicht zu          rären Lerngruppe könnten werden:
engen zeitlichen, räumlichen und sozialen
Strukturen ist eine – möglicherweise „die“ –      ▸▸ wöchentliche/monatliche/tägliche Vorle-
entscheidende Primärprävention gegenüber             sestunde: das gemeinsame, wechselweise
dem Auftreten von Verhaltensstörungen. Die           (Vor-)Lesen eines Buch, wobei sich jeder
Beschaffenheit der Strukturen muss Halt              am Vorlesen beteiligen kann und sollte;
geben und Entwicklung ermöglichen (vgl.
Stein, 2006, S. 458).                             ▸▸ die wöchentliche Leerung eines Klas-
                                                     senbriefkastens voller freundlicher und
Diese Prävention kann durch vorübergehende           anerkennender Botschaften (Wer Lust hat,
Verengung der Strukturen für Einzelne, für           schreibt einem anderen etwas Nettes);
die gesamte Klasse oder die gesamte tempo-
räre Lerngruppe zur Intervention werden. Das      ▸▸ eine monatliche gemeinsame Unterneh-
bedeutet, dass dem Schaffen von Entwicklung          mung, beispielsweise Wandern, Sport
unterstützenden Strukturen auf jeder Stufe der       treiben, ins Kino oder ins Theater gehen,
Leitlinien eine große, nicht zu überschätzende       Grillen, gemeinsam Kochen, Gesellschafts-
Bedeutung zukommt.                                   spiele, Musiknachmittage; Tanznachmit-
                                                     tage; gemeinsames Bauen etc.;

1. Rituale:                                       ▸▸ tägliches gemeinsames Singen, Vortragen
                                                     einer kleinen Anekdote oder Geschichte
Eine geeignete Möglichkeit, Strukturen zu            durch den Pädagogen oder einen wech-
schaffen, ist die Etablierung von Klassen- und/      selnden Schüler;
oder persönlichen Ritualen. Hierbei ist zu
beachten, dass Rituale ihre Wirkung nur dann      ▸▸ täglicher oder wöchentlicher Stuhlkreis
entfalten können, wenn sie tatsächlich Ein-          (z.B. nach dem regulären Unterricht), bei-
gang in die Gestaltung des Schulalltags finden,      spielsweise, um wichtige Anliegen der
d.h. sie dürfen keinesfalls aktuellen Anlässen       Klasse zu besprechen (Sorgen, Wünsche,
oder Tagesaufgaben geopfert werden. Rituale          Planungsvorhaben, Konflikte);
können je nach Entwicklungsstand der Schüler
monatlich, wöchentlich, täglich, stündlich        ▸▸ wöchentliche oder tägliche Interaktions-
ausgeführt werden. Für die Etablierung einer         spiele, die auf kooperierendes Handeln
Halt gebenden Struktur ist es günstig, wenn          setzen und stets ein bisschen mehr Nähe
verschiedene Zeiträume bedient werden.               erfordern als gerade innerhalb der Klasse
                                                     üblich ist (Bei der Auswahl der Spiele ist
Jedes Ritual hat zudem seinen festen zeit-           Sensibilität gefordert, die Schüler sollten
lichen Umfang, der entweder unmittelbar              einbezogen werden. Interaktionsspiele sind
durch die Dauer des Rituals oder durch einen         kein Lückenfüller, sondern ein Privileg);
feststehenden zeitlichen Rahmen (z.B. Stuhl-
kreis oder Fragestunde) definiert wird. Dieser    ▸▸ Vorstellen von Schülerarbeiten, ohne dass
zeitliche Umfang wird nicht über- oder unter-        dies in einer Zensur mündet;
schritten.
                                                  ▸▸ monatliche Fragestunde an die Lehrkraft
Ergänzend ist anzumerken, dass ausschließ-           „Was die Schüler schon immer mal von der
lich jährlich stattfindende oder an besondere        Lehrkraft wissen wollten“;
Ereignisse gekoppelte Rituale meist eine sehr

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                  15
▸▸ wöchentliches/monatliches/tägliches                  die Regel einzuhalten – durch gegenseitiges
   gemeinsames Frühstück;                               Loben oder Anerkennen, durch Erinnern und
                                                        vereinbarte Zeichen als Erinnerungshilfen oder
▸▸ eine von einem Schüler gestaltete soge-              durch Vormachen und Üben erfolgen. Die auf
   nannte „tägliche Übung“;                             diese Weise eingeführten Regeln sind den
                                                        Grundregeln nachgeordnet und werden ent-
▸▸ monatliche oder halbjährliche Klassenzei-            sprechend nicht in die Liste der Grundregeln
   tung;                                                aufgenommen.

▸▸ Briefwechsel mit einer anderen Klassen;              Zusammenfassend gilt: Regeln dienen der
                                                        Orientierung und Strukturierung des Zusam-
▸▸ Pflege einer Pinwand „Aktuelles“, an wel-            menlebens. Aus diesem Grund sollten sie so
   cher Schüler und Pädagogen anbringen                 gefasst sein, dass alle ein Interesse an der
   können, was sie gerade beschäftigt;                  Einhaltung der Regeln haben. Regeln sind kein
                                                        Machtmittel in der Hand des Lehrers.
▸▸ Wöchentlich/monatlich/täglich stellen ein
   oder mehrere Schüler vor, womit sie sich             Grundregeln könnten sein:
   in ihrer Freizeit beschäftigen oder was sie
   besonders interessiert.                              ▸▸ Jeder Schüler hat das Recht, ungestört zu
                                                           lernen.

2. Regeln:                                              ▸▸ Jeder im Raum Anwesende hat die Pflicht,
                                                           dieses Recht des anderen zu akzeptieren.
Die Etablierung einer überschaubaren Anzahl
von Regeln, welche für Pädagogen und Schüler            ▸▸ Wir reden so mit dem anderen, wie wir uns
gleichermaßen gelten und von beiden Seiten                 wünschen, dass dieser mit uns redet.
einzuhalten sind, schafft Sicherheit im Umgang
miteinander. Regeln müssen klar und verbind-            Nachgeordnete Regeln könnten sein:
lich sein. Sie regulieren nicht den Alltag – nicht
für jede nur denkbare Situation braucht es eine         ▸▸ Wir beginnen und beenden das Lernen
Regel -, sondern sie strukturieren den Alltag              pünktlich.
und die sozialen Beziehungen. Sie geben den
Rahmen vor.                                             ▸▸ Wir halten unseren Klassenraum in Ord-
                                                           nung.
Drei Grundregeln genügen. Diese stellen Set-
zungen dar. Über sie kann nicht abgestimmt              ▸▸ Wir halten unsere Arbeitsmaterialien in
werden, da sie der Sicherung eines friedli-                Ordnung.
chen Zusammenlebens dienen. Sie sollten in
irgendeiner Form visualisiert werden (z.B. als          ▸▸ Wir achten einander. Ich achte mich selbst.
kleiner Merkzettel, der ins Hausaufgabenheft
oder den Portfoliohefter geklebt wird). Weitere         ▸▸ etc.
Regeln können – wenn dies tatsächlich nötig
sein sollte oder von den Schülern gewünscht             Regeln müssen von der Erwartung begleitet
wird – nacheinander eingeführt werden. Dies             werden, dass ihre Einhaltung gelingen wird
meint, dass am Einhalten der Regel gearbeitet           und im Interesse aller liegt (vgl. auch Whitaker,
wird. Schüler, Lehrkraft und gegebenenfalls             2009, S. 25ff).
Integrationshelfer etc. erhalten Gelegenheit,
sich jede neu eingeführte Regel zur Gewohn-
heit werden zu lassen, ehe sie sich mit der             3. Raumstruktur:
nächsten Regel befassen. In dieser Zeit des
Verinnerlichens einer Regel unterstützen sich           Um Verhaltensstörungen langfristig vorzu-
alle gegenseitig. Dies kann – so es gelingt,            beugen, sollte jeder Raum eine durchaus indi-

16                                                   Leitlinien zur Beschulung von Schülern
viduelle, jedoch über längere Zeiträume (z.B.     Zusätzlich kann zu jeder Aufgabe vermerkt
ein Schuljahr) konstante Grundstruktur auf-       werden, wie lange sie in etwa dauern wird.
weisen, die nur situativ und nur in wiederum
bekannter Weise verändert wird.                   Eine analoge Uhr im Klassenraum ermöglicht
                                                  den Schülern die Rückkopplung über die Zeit.
Menschen brauchen Verlässlichkeiten. Eine         Nützlich sind ebenso der Einsatz von Sand-
feste Raumstruktur kann eine solche verläs-       uhren, Schachuhren oder Time-Timern. Ent-
sliche Größe darstellen.                          scheidend ist, dass die Schüler die Zeit visuell
                                                  rückkoppeln können, d.h. eine digitale Uhr
Der Raum sollte außerdem so ein gerichtet         oder ein Wecker sind weniger nützlich.
sein, dass er didaktisch-methodische Spiel-
räume eröffnet.                                   Zeitvorgaben gelten für alle Beteiligten. Wenn
                                                  eine Lerneinheit eine Stunde dauert, so muss
Eine Veränderung im Raum muss etwas Beson-        der Schüler sicher sein können, dass diese
deres darstellen und einen besonderen Anlass      Zeiteinheit von der Lehrkraft nicht über-
haben (z.B. Herstellen eines Stuhlkreises).       schritten wird.

Der Klassenraum ist ein Arbeitsraum. Er sollte
zahlreiche Lernmaterialien enthalten (s. Anlage   5 Soziale Struktur:
1). Des Weiteren sollte er nur Dinge beher-
bergen, die dem Lernen dienen. Die Mischung       Es können Begrüßungs- und Verabschiedungs-
von Anregung und Reizreduktion ergibt sich        regeln etabliert werden. Das Aussprechen und
durch verlässliche Strukturen dahingehend,        Annehmen von Komplimenten, Dank und Ent-
dass der Schüler weiß, wo er ein bestimmtes       schuldigungen sollte geübt werden. Es kann
Arbeitsblatt, das Lexikon, den Abakus etc.        nicht davon ausgegangen werden, dass alle
findet.                                           Schüler dies können. Wenn der Schüler jedoch
                                                  gar nicht weiß, wie man sich normgerecht ent-
Denkbar wäre auch eine Ecke mit fertigen          schuldigt, kann er diese Verhaltensweise nicht
Schülerarbeiten zur Ansicht.                      zeigen (vgl. Whitaker, 2009, 72). Er zeigt sich
                                                  dann in Ermangelung von Wissen verhalten-
Gegenstände, die in der unmittelbaren Lern-       sauffällig. Aufgabe der Pädagogik ist es, derar-
zeit nicht benötigt werden – hierzu zählen        tige soziale Verhaltensweisen, beispielsweise
Poster von Lieblingsgruppen ebenso wie der        durch Vormachen, zu lehren.
Essensplan – finden sich nicht im Sichtfeld der
Schüler.                                          Das Üben von sozial angemessenen Verhal-
                                                  tensweisen sollte methodisch aufbereitet
                                                  erfolgen. Es eignen sich Rollenspiele, das
4. Zeitstruktur:                                  Pflegen eines Komplimente-Baumes, das Über-
                                                  schütten mit positiven Botschaften in Analogie
Die Zeitstruktur kann ähnlich dem Vorgehen        zum heißen Stuhl oder reflektierenden Team
bei TEACCH (Häußler, 2012) als visuali-           (vgl. Andersen, 1996). Möglich ist auch ein
sierte Reihenfolge von Aktivitäten vorge-         Komplimente-Glas, in welches jedes Mal ein
nommen werden. Dies kann sowohl für die           Stein hineingelegt wird, wenn ein Schüler oder
gesamte Klasse – z.B. durch Befestigen oder       die Lehrkraft einem anderen ein Kompliment
Anschreiben der Aktivitäten an der Tafel oder     macht. Ist das Glas voll, wird ein gemeinsames
einer Pinnwand – als auch für einen Einzelnen     kleines Event gestartet (z.B. Fest gefeiert, Klas-
– z.B. durch einen Plan mit Tages- oder Stun-     senhymne gesungen).
denaufgaben – erfolgen.
                                                  Zu beachten ist, dass es für viele Menschen
Ist eine Aufgabe erledigt, wird sie abge-         deutlich schwerer ist, Kompliment oder Dank
nommen, durchgestrichen, sichtbar abgehakt.       anzunehmen als auszusprechen. Hier ist wie-
                                                  derum die Sensibilität des Pädagogen gefragt,

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                     17
z.B. darf beim Komplimente-Stuhl derjenige
die Runde beenden, über den positiv geredet
wird.

Weitere Anregungen zum Üben von Elementen
zwischenmenschlicher Kommunikation finden
sich in „SOKO Autismus“ (Häußler et al, 2013).

Ziel der strukturierenden Maßnahmen ist es,
lernförderliche sowie das soziale Zusammen-
leben fördernde Gewohnheiten auszubilden.

Damit die Maßnahmen ihre Wirkung entfalten
können, müssen in allen benannten Aspekten
– Raum, Zeit, Kommunikation – Strukturie-
rungen vorgenommen werden.

Für alle Strukturierungen gilt, dass sie im opti-
malen Fall von Klasse zu Klasse oder von Lehr-
kraft zu Lehrkraft minimal differieren. Absolute
Gleichheit nimmt den Regeln, Ritualen das
Besondere, Persönliche, Klassenspezifische.
Zu große Differenzen wiederum sorgen für Ver-
wirrung, produzieren Störungen und verfehlen
aus diesem Grund ihren Zweck.

18                                                  Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 4                                             Abweichungen können bei Schülern mit päd-
Periodisches bzw.                                    agogischem oder sonderpädagogischem För-
                                                     derbedarf in der emotional-sozialen Entwick-
zeitlich begrenztes                                  lung zu Krisensituationen führen.
Herausnehmen aus der
Bezugsgruppe                                         2 Raumstruktur:
Im Falle der Etablierung einer solchen Maß-
nahme verlässt der Schüler an zwei oder drei         Der Raum der temporären Lerngruppe verfügt
festgelegten Tagen pro Woche für je eine Dop-        über einen Gruppenarbeitstisch. Zudem ver-
pelstunde seine Bezugsgruppe.                        fügt jeder Schüler über einen eigenen Arbeits-
                                                     platz. Dieser befindet sich in je einer Ecke oder
In diesen insgesamt vier oder sechs Unter-           an der Seite des Raumes und ist deutlich – z.B.
richtsstunden wöchentlich lernt er in einer          durch Linien (Klebekreppstreifen, halbhohe
altersgemischten temporären Lerngruppe,              Regale) auf dem Fußboden – von den anderen
bestehend aus vier Schülern mit festgestelltem       Arbeitsplätzen sowie dem Gemeinschaftsbe-
Förderbedarf in der emotional-sozialen Ent-          reich im Raum abgegrenzt.
wicklung. In dieser Zeit arbeitet er in der Klein-
gruppe an der Ausbildung sozialer Verhaltens-        Dieser durch die Fußbodenmarkierung abge-
weisen, am Umgang mit seinen Emotionen, an           grenzte Arbeitsplatz stellt für den Schüler eine
der Ausbildung eines Selbstkonzeptes sowie           Rückzugsmöglichkeit dar. Andere dürfen –
an der Entwicklung von eigenen Arbeits- und          nach miteinander vereinbarten Regeln – den
Zeitstrukturen.                                      Raum erst nach Aufforderung betreten. Dies
                                                     gilt auch für die Lehrkraft. So steht dem Schüler
Die Doppelstunden in der periodisch arbei-           mit diesem markierten Raum eine Möglichkeit
tenden temporären Lerngruppe sind durch              zur Verfügung, den Kontakt zu anderen non-
eine spezifische Struktur von Raum und Zeit          verbal zu steuern. Er erhält eine Lernmöglich-
charakterisiert (s. Zeitstruktur). Sowohl die        keit, Verantwortung für sein Verhalten in den
Nutzung des Raumes als auch die Reihenfolge          Begegnungen mit anderen zu übernehmen.
der Aktivitäten sind ritualisiert und verlaufen
jedes Mal auf dieselbe Weise. Ziele sind der         Anmerkung: Diese absolute Rückzugsmöglich-
Aufbau sowie die Festigung innerer Strukturen        keit eignet sich nur bedingt zur Überwindung
durch hilfreiche äußere Strukturen.                  internalisierender Verhaltensstörungen. Ins-
                                                     besondere bei Ängstlichkeit und depressiven
Empfehlenswert ist je nach Alter der Schüler         Verhaltensweisen ist Vorsicht dahingehend
und je nach Pausenregelung in der jeweiligen         geboten, dass die innerliche Rückzugsbe-
Schule die 3. und 4., die 4. und 5. oder die 5.      reitschaft durch den äußeren Rahmen nicht
und 6. Stunde. Entscheidend für die Gewähr-          noch verstärkt wird. Hier ist gegebenenfalls
leistung einer Struktur ist die verbindliche         Rücksprache mit dem Schulpsychologischen
Festlegung für die jeweilige Kleingruppe auf         Dienst bzw. dem multiprofessionellen Team
immer dieselben Doppelstunden.                       angezeigt.

1 Personelle Besetzung der                           3 Zeitstruktur:
  periodisch arbeitenden
  Kleingruppe:                                       Die jeweils 90 Minuten in der temporären Lern-
                                                     gruppe verlaufen stets auf dieselbe Weise.
Die Gruppe wird von einem Förderpädagogen
geleitet. Ein Wechsel von Personen ist aus ver-      Die gemeinsame Zeit beginnt nach der indi-
schiedenen Gründen zu vermeiden. So werden           viduellen Begrüßung jedes Schülers in der
von verschiedenen Pädagogen Regeln auf               Pause gemeinsam. Die Arbeitszeit beginnt und
unterschiedliche Weise umgesetzt. Kleinste           endet pünktlich.

mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung                                       19
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