Leitlinien für Schüler mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung - www.tmbwk.de
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Inhalt 1 Zielstellung........................................................................................................... 3 2 Ausgangslage....................................................................................................... 3 3 Begriffsklärung..................................................................................................... 3 4 Allgemeine Hinweise............................................................................................. 4 5 Struktur Leitlinien................................................................................................. 4 Anlage 1 Handlungsoptionen, die sich aus den sieben Dimensionen der Schuleingangsphase ergeben – Ergebnisse des Schulversuches „Veränderte Schuleingangsphase an Thüringer Grundschulen“......................................... 9 Anlage 2 Handlungsoptionen zur Gewährleistung von Prävention – Schulkultur............................. 12 Anlage 3 Gestaltung entwicklungsfördernder Strukturen............................................................... 15 Anlage 4 Periodisches bzw. zeitlich begrenztes Herausnehmen aus der Bezugsgruppe .................. 19 Anlage 5 Herausnehmen aus Krisensituationen ............................................................................ 22 Anlage 6 Temporäre Lerngruppe als vorübergehender Bezugsgruppenersatz................................. 25 Literatur......................................................................................................................... 30 mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 1
2 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
1 Zielstellung sowie der Thüringer Schulordnung Grundlage und Orientierung für das Handeln der Lehr- Verhaltensschwierigkeiten und Verhaltensauf- kräfte im Gemeinsamen Unterricht. fälligkeiten stellen seit jeher ein Kernthema im Kontext institutionellen Lernens dar. Dies spie- Schüler mit sonderpädagogischem Förderbe- gelt sich auch im Prozess der pädagogischen darf in der emotionalen und sozialen Entwick- Ausgestaltung des Gemeinsamen Unterrichts lung sowie die sie unterrichtenden Lehrkräfte wider. Verhaltensauffälligkeiten und Verhal- werden von Förderpädagogen unmittelbar vor tensstörungen bilden auch hier aus den ver- Ort unterstützt. schiedenen Begründungszusammenhängen heraus ein kontrovers diskutiertes Thema. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Diesem Umstand Rechnung tragend, sieht zeitlich befristeten Unterrichtung der Schüler der „Entwicklungsplan Inklusion“ (TMBWK, an einem Förderzentrum. 2013, S. 49) die Erarbeitung eines gestuften Förderkonzepts mit dem Ziel der Reduzierung von Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltens- störungen im Schulalltag vor. Das Thüringer 3 Begriffsklärung Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (TMBWK) legt mit diesen Leitlinien ein Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö- entsprechendes Konzept vor. Aufeinander auf- rungen können als kurz-, mittel- oder länger- bauende Unterstützungsmöglichkeiten sollen fristige Nichtpassung von Person und Umwelt es ermöglichen, für Schüler und Pädagogen verstanden werden, wie die folgende Defini- passende, kontext- und entwicklungsabhän- tion von Verhaltensauffälligkeiten und Verhal- gige Lösungen zu schaffen, die das Lernklima tensstörungen zeigt: sowie die Berufszufriedenheit fördern. „Es lässt sich dann aber nicht von ‚Verhal- Die Leitlinien richten sich an Schulleiter und tensstörungen einer Person‘ sprechen, son- Lehrerkollegien. Sie bieten Orientierung für dern von einer Störung des Regelkreises der die Gestaltung einer Schul- und Unterrichts- Person-Umwelt-Beziehung, von Störung des kultur, welche Verhaltensschwierigkeiten und Funktionsgleichgewichts in der Interaktion der Verhaltensauffälligkeiten im Gemeinsamen Person mit ihrer Umwelt.“ (Seitz, 2001, S. 768) Unterricht langfristig minimieren und erfolg- reiches gemeinsames Lernen ermöglichen. Dieses Verständnis von Verhaltensstörungen Ausgehend von einem Inklusionsverständnis ermöglicht Handlungsoptionen in drei Rich- im Sinne von Zugehörigkeit werden schulische tungen, um eine bessere Passung von Person Handlungsmöglichkeiten zur Reduzierung von und Umwelt zu erreichen. Verhaltensauffälligkeiten aufgezeigt. Es ergeben sich folgende übergreifende Prä- ventions- und Interventionsmöglichkeiten: 2 Ausgangslage ▸▸ der Kontext kann verändert werden; Es existieren der „Thüringer Bildungsplan für ▸▸ die Person kann sich verändern; Kinder bis 10 Jahre“ (TMBWK, 2013), der „Ent- wicklungsplan Inklusion“ (TMBWK, 2013), die ▸▸ das Verhältnis zwischen Person und Umwelt „Handreichung für den Gemeinsamen Unter- kann sich durch Kommunikation verändern. richt“ (TMBWK, 2013) sowie die „Impulse für erfolgreiches pädagogisches Handeln zur Entwicklung emotionaler und sozialer Kompe- tenzen bei Kindern und Jugendlichen“ (ThILLM, 2013). Sie bilden neben dem Thüringer Schul- gesetz, dem Thüringer Förderschulgesetz mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 3
4 Allgemeine Hinweise Damit sie ihre volle Wirkung entfalten können, sind jedoch Adaptionen vorzunehmen. Diese Die Leitlinien sehen entsprechend der Defi- erfolgen gemäß dem Entwicklungsstand des nition drei sich hinsichtlich ihrer Zielstellung Schülers, dem konkreten Kontext sowie den unterscheidende Handlungsebenen – soge- Fähigkeiten und Fertigkeiten der an der Umset- nannte „Stufen“ der Intervention – vor. zung der Maßnahmen beteiligten Pädagogen. Für jede Stufe existiert ein konzeptionell unter- Die Anerkennung und Wertschätzung des legter Handlungsrahmen, für dessen Umset- Schülers sowie die Schaffung klarer, entwick- zung in Stufe 1 die Schulleiter der Grund- und lungsfördernder Strukturen stellen grundle- weiterführenden Schulen, in Stufe 2 in Koope- gende Prinzipien des Stufenplans dar. ration mit den Schulleitern der Förderzentren, in Stufe 3 die Schulleiter der Förderzentren in Alle Maßnahmen sind in Zusammenarbeit Kooperation mit den Schulleitern der Grund- der Pädagogen zu realisieren. Um die in den und weiterführenden Schulen verantwortlich einzelnen Stufen vorgesehenen Maßnahmen, zeichnen. Innerhalb dieses Rahmens liegt insbesondere die Einrichtung temporärer Lern- es in der professionellen Verantwortung der gruppen, länger- oder langfristig zu etablieren beteiligten Personen, eine konkrete, auf die und die erforderlichen materiellen Ressourcen Bedürfnisse und die Notlage des Schülers hierfür bereit zu stellen, sind sie im Schulkon- sowie auf die Kompetenzen und Ressourcen zept zu verankern, mit den Schulträgern abzu- der Lehrkräfte abgestimmte pädagogische stimmen und vom Schulamt zu bestätigen. Lösung zu erarbeiten. Gemeinsam mit dem Schüler sind die seine Entwicklung am besten unterstützenden Lösungen zu finden. Die Interessen und Bedürfnisse aller Schüler sind 5 Struktur Leitlinien dabei im Blick zu behalten. Gegebenenfalls sind professionell begründete Adaptionen von Jede Stufe legt den Schwerpunkt des Handelns pädagogischen oder didaktisch-methodischen auf einen anderen Aspekt des Entstehens von Konzepten vorzunehmen. Zusammenfassend Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö- ist festzuhalten: Die die einzelnen Stufen rungen. Die Schwerpunkte für die einzelnen kennzeichnenden Konzepte und konzep- Stufen sind in Tabelle 1 dargestellt. tionellen Überlegungen stellen notwendige Rahmenbedingungen für eine strukturierte Für die Realisierung von Stufe 1 bedarf es nicht und konstruktive professionelle Arbeit dar. notwendig sonderpädagogischer Kompetenz Sie bieten Orientierung für professionelles für den Bereich emotional-soziale Entwick- Handeln und ermöglichen theoriebasierte Ent- lung. Die Verantwortung und Ausgestaltung scheidungen. Sie stellen auf einer allgemeinen der Maßnahmen verantworten der Schulleiter Ebene Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung. und die Schulkonferenz der Grund- oder wei- Tabelle 1 Schwerpunkt des pädagogischen Nachgeordnet berücksichtigt Handelns Stufe 1 (Um-)Gestaltung des Kontextes Arbeit mit dem Schüler an der Änderung seines Verhaltens Stufe 2 (Wieder-)Herstellung der Passung Veränderung des Kontextes sowie das zwischen dem als verhaltensauffällig Verhalten des Schülers beschriebenen Schüler und seiner Bezugsgruppe Stufe 3 Intensive Arbeit mit dem Schüler an der (Um-)Gestaltung des Kontextes Änderung seines Verhaltens 4 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
terführenden Schule unter Einbeziehung der baren Beziehungsarbeit mit den Schülern zu an der Schule tätigen Förderpädagogen mit gelangen. ihren jeweiligen Spezialisierungen. Pädagogen und Schüler entwickeln und ver- Ab Stufe 2 wird sonderpädagogische Kompe- vollkommnen Handlungsroutinen, welche tenz für den Bereich emotional und soziale Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstö- Entwicklung notwendig. Der Leiter des Förder- rungen reduzieren. zentrums ist aus diesem Grund in die Arbeit einzubeziehen. Er verantwortet Ausgestaltung Zusammenfassend ist festzuhalten: Stufe 1 und Umsetzung der Maßnahmen ab Stufe 2. zielt auf eine zielorientierte pädagogische Dabei gilt selbstredend, dass alle Handlungs- Arbeit, wodurch Verhaltensauffälligkeiten optionen aus Stufe 1 auch Handlungsoptionen und Verhaltensstörungen dauerhaft reduziert für Stufe 2 und 3 darstellen. Stufe 2 bzw. 3 werden und der Prozess der Inklusion in der lösen die Handlungsoptionen aus Stufe 1 nicht Schule unterstützt wird. Entsprechend bein- ab, sondern stellen eine Anreicherung pädago- haltet Stufe 1 des Stufenplanes Handlungs- gischer Arbeit durch sonderpädagogische, auf optionen und Maßnahmen, die wesentlich den Förderschwerpunkt emotional und soziale auf die Gestaltung des schulischen Kontextes Entwicklung bezogene Intentionen dar. Die ausgerichtet sind. Umsetzung der Maßnahmen in Stufe 3 verant- wortet der Leiter des Förderzentrums in Koope- Grundlegende Orientierung bieten die sieben ration mit dem Schulleiter und der Schulkonfe- Dimensionen der Schuleingangsphase (s. renz der Grund- oder weiterführenden Schule. Anlage 1) sowie die Handreichung „Impulse für erfolgreiches pädagogisches Handeln zur Wichtig für alle Stufen ist die Schaffung trans- Entwicklung emotionaler und sozialer Kompe- parenter, klarer äußerer Strukturen, welche tenzen bei Kindern und Jugendlichen“ (ThILLM, zugleich „Lebendigkeit und Flexibilität im 2013). Unterricht gewährleisten“ (Stein, 2006, S. 458). Solche Strukturen geben Halt und Orien- Ergänzend zu den bereits in der Handreichung tierung und unterstützen den Aufbau innerer hinreichend erörterten Handlungsoptionen Strukturen der Schüler. Sie können in Abhän- ergeben sich in Stufe 1 Handlungsoptionen gigkeit vom Entwicklungsstand der Schüler hinsichtlich folgender Aspekte (s. Anlage 2): enger oder weiter gesteckt werden. a. Etablierung einer Schulkultur mit Pausenre- gelungen, welche Schülern und Pädagogen die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse nach Stufe 1: Nahrung, Bewegung, Körperhygiene, Stufe der Präventionen offener Kommunikation ermöglicht; Diese Stufe umfasst primäre, sekundäre und b. Angebote an Spiel- und Handlungsmöglich- tertiäre Präventionen zur langfristigen Redu- keiten in der Pausenzeit; zierung von Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensstörungen (vgl. Hillenbrand, 1999, c. Gewährleistung einer für die Etablierung von S. 122). Vertrauen und nachhaltige pädagogische Arbeit notwendigen Stabilität von Bezie- Ziel der Maßnahmen in dieser Stufe ist es, hungen mit einer überschaubaren Anzahl durch systematisches Beobachten, Reflek- an Bezugspersonen sowohl für Schüler als tieren der eigenen Arbeit, durch Gespräche mit auch für Lehrkräfte; Schülern, Eltern und Kollegen gegebenenfalls zu Veränderungen im eigenen Handeln, in der d. Etablierung einer intensiven Elternarbeit; Schul- und Unterrichtsorganisation, in der Unterrichtsgestaltung sowie in der unmittel- mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 5
e. Gestaltung eines hochwertigen, schüler- Kontextes hierfür geeignete Unterstützungs- zentrierten Unterrichts mit Leistungserwar- maßnahmen aus. tungen; Im Einzelnen ergeben sich in Stufe 2 folgende f. Gestaltung eines regen Schul- und Klassen- zusätzlichen Handlungsoptionen gegenüber lebens; Stufe 1: g. Anerkennung des anderen als grundle- a. beratende und unterstützende Gespräche gende Haltung; mit dem Klassenlehrer, dem Schüler, seinen Eltern, allen Schülern der Klasse, anderen h. Kenntnisse und Einsatz verhaltensmodifi- Pädagogen; katorischen Wissens und Könnens; b. Einsatz von Trainings- und Förderpro- i. pädagogisch-professionelle Gesprächsfüh- grammen, welche es dem Schüler ermög- rung mit Kindern und Jugendlichen (vgl. u.a. lichen, eigene Kompetenzen auf sozialem Juul/Jensen, 2012; Delfos, 2004); und emotionalem Gebiet zu entwickeln. Explizit verwiesen sei auf die Programme j. Nutzen der Beratungslehrer als Ressource; „Ich schaff’s“ (Furman, 2008), „SOKO Autismus“ (Häußler, 2013), Marburger Kon- k. Nutzen der bereits an zahlreichen Schulen zentrationstraining (Krowatschek, 2002); etablierten Streitschlichter als Ressource; c. systematische Arbeit mit stark struktu- l. Aufbau von Netzwerken, beispielsweise rierten Lernplänen und Verstärkerplänen Nutzen des schulpsychologischen Dien- mit einem Einzelnen oder der gesamten stes, der Fachberater, Kontakte zu externen Klasse als Gruppe; Partnern wie Jugendhilfe etc. d. Intensivierung der Arbeit mit dem Förder- plan, beispielsweise durch die Formu- lierung kind- oder jugendgerechter Ziele Stufe 2 sowie durch die Arbeit an kurzfristigen, Stufe der pädagogischen gemeinsam mit dem Schüler vereinbarten und sonderpädagogischen (Zwischen-)Zielen. Interventionen Möglich ist es ferner, in der Grund- oder weiter- In dieser Stufe erwirbt der Schüler mit Förder- führenden Schule eine am Konzept „Trainings- bedarf in der emotional-sozialen Entwicklung raum“ (s. Anlage 5) oder am Projekt „Über- ebenso wie in Stufe 1 seine Bildung in seiner gang“ von Becker (Becker, 2008) orientierte Bezugsgruppe an der Grund- oder weiterfüh- längerfristige Maßnahme zu etablieren. Beide renden Schule. Im Unterschied zu Stufe 1 Maßnahmen stellen situative Herausnahmen werden von den Lehrkräften dieser Schulen des Schülers aus seiner Bezugsgruppe dar. sonderpädagogische Kompetenzen im Bereich Diese erfolgt im Falle der Umsetzung eines der emotional-sozialen Entwicklung ange- am Konzept „Trainingsraum“ orientierten Kon- fordert, um die Passung von als verhalten- zeptes in Krisensituationen (s. Anlage 5), im sauffällig erlebten Schülern und dem Kontext Falle der Umsetzung eines am Projekt „Über- wieder herzustellen. gang“ orientierten Konzeptes (s. Anlage 4) zu definierten Zeiten. Der Schüler bleibt jedoch Der auf den Förderschwerpunkt emotionale auch bei Realisierung dieser Maßnahmen Mit- und soziale Entwicklung spezialisierte För- glied seiner Bezugsgruppe und erwirbt seine derpädagoge unterstützt die Arbeit der Lehr- Bildung in dieser Bezugsgruppe (s.o.). Weitere kraft und arbeitet mit dem Schüler verstärkt Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus der an dessen sozialer Integration. Er wählt in Arbeit mit dem bereits in Thüringen etablierten Kenntnis der Situation des Schülers und des Programm „Faustlos“, dem ebenfalls in Thü- 6 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
ringen bereits etablierten Programm ETEP (vgl. rungen gibt es nicht. Die inhaltlich-didaktische „Impulse für erfolgreiches pädagogisches Han- Gestaltung der Lernzeit in der temporären deln zur Entwicklung emotionaler und sozialer Lerngruppe liegt entsprechend in der Verant- Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen“), wortung des Förderpädagogen sowie gegebe- der Orientierung an der Gewaltfreien Kommuni- nenfalls weiterer beteiligter Lehrkräfte. Es ist kation von Marshall B. Rosenberg (Rosenberg, ihre ureigenste Aufgabe, entsprechend ihren 2005) oder an der Themenzentrierten Interak- pädagogischen und sonderpädagogischen tion nach Ruth Cohn (Ruth– Cohn–Institut). Kompetenzen die Lernzeit auf Entwicklung fördernde Weise inhaltlich-didaktisch zu Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Maß- gestalten. nahmen in Stufe 2 sind so angelegt, dass sich durch das Erleben von Achtung gegenüber der In der Verantwortung des Förderpädagogen eigenen Person sowie das Erleben von Selbst- liegt es darüber hinaus, die Lern- und gegebe- wirksamkeit und Zugehörigkeit zur Bezugs- nenfalls auch die Pausenzeiten mit komplexen gruppe beim Schüler ein positives Selbstkon- Interventionen, welche den Aufbau eines posi- zept herausbildet. tiven Selbstkonzeptes sowie den Erwerb sozial angemessener Verhaltensweisen forcieren, zu untersetzen. Diese komplexen Interven- tionen bestehen aus einem wertschätzenden Stufe 3 Umgangston, einer anerkennenden Haltung Stufe der von Seiten des Pädagogen gegenüber dem sonderpädagogischen Schüler, gruppenbezogenen systemischen Interventionen, Entwicklungsgesprächen, Interventionen – Temporäre einer intensiven Arbeit mit Lern- und Förder- Lerngruppen plänen sowie Tokenprogrammen und klassi- scher Verhaltensmodifikation. Stufe 3 stellt eine zeitlich befristete vollstän- dige Herausnahme des als verhaltensgestört Unabhängig vom konkret gewählten didak- beurteilten Schülers aus seinem unmittelbaren tischen Konzept kommt der Gewährleistung Bezugsgruppenkontext dar (s. Anlage 6). Der transparenter, klarer Strukturen bei gleich- Schüler lernt dann vorübergehend nicht mehr zeitiger Flexibilität und Lern-Dynamik inner- in seiner Bezugsgruppe in der Grund- oder wei- halb der temporären Lerngruppen grundle- terführenden Schule, sondern in einer tempo- gende Bedeutung zu. Die Tagesstruktur muss rären Lerngruppe. Diese vorübergehende Tren- bekannt; Lern- und Pausenzeiten müssen klar nung des Schülers von seiner Bezugsgruppe geregelt sein. Das Maß für die Strukturierung schafft Entlastung für alle Beteiligten. Sie von Unterricht und Pausen hängt dabei von ermöglicht sowohl dem betroffenen Schüler den Rahmenbedingungen ab, zu denen der als auch allen anderen (Weiter-)Entwicklung Entwicklungsstand der Schüler, ihre konkreten und (Verhaltens-)Veränderung. Problem- und Lernsituationen ebenso gehören wie die professionellen Fertigkeiten und Fähig- Temporäre Lerngruppen setzen sich aus vier keiten und Haltungen der Pädagogen. bis sieben Schülern zusammen. Da für die Zeit des Lernens in der temporären Lerngruppe Eine Möglichkeit zur Schaffung einer Tages- diese zugleich die Bezugsgruppe des Schülers struktur stellen Rituale und Rhythmisierung darstellt, ist eine Mindestgruppengröße zu dar (s. Anlage 3). Beide sind geeignet, einen gewährleisten. Nur so können soziale Bezüge verlässlichen Rahmen zu erzeugen, innerhalb gesichert und soziale Kompetenzen erworben dessen dem Schüler ein eigener Entschei- werden. dungsspielraum gegeben wird. Temporäre Lerngruppen stellen eine beson- Temporäre Lerngruppen können prinzipiell dere Organisationsform von Unterricht dar. an jeder Grund- oder weiterführenden Schule Eine besondere Didaktik bei Verhaltensstö- installiert werden. mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 7
Temporäre Lerngruppen können in beson- deren Fällen auch am Förderzentrum installiert werden. Diese auch räumlich ausgelagerten temporären Lerngruppen sollten der Arbeit mit älteren Kindern und Jugendlichen vorbehalten bleiben, welche sich längerfristig schulabsti- nent zeigen oder durch ihr Verhalten andere und sich selbst gefährden. Grundsätzlich ist der Verbleib eines Schülers in der temporären Lerngruppe in der Schule seiner Bezugsgruppe dem Schulwechsel in eine temporäre Lern- gruppe an ein Förderzentrum vorzuziehen. Die vorübergehende Trennung von Schüler und Bezugsgruppe muss auf beiden Seiten für Veränderungsarbeit genutzt werden, sodass mit der Rückkehr des Schülers in die ursprüng- liche Bezugsgruppe ein veränderter Umgang miteinander möglich wird. Um diese Rückkehr zu erleichtern und langfristig vorzubereiten, soll während des Lernens eines Schülers in der temporären Lerngruppe der Kontakt zu seiner Bezugsgruppe aufrechterhalten werden (s. Anlage 6). Zusammenfassend ist festzuhalten: Entschei- dend für den Erfolg der Maßnahme „temporäre Lerngruppe“ ist der Wille aller am Lern- und Entwicklungsprozess Beteiligten, an kon- struktiven Lösungen zu arbeiten. Ziele des Lernens in der temporären Kleingruppe sind die Stabilisierung des Selbstkonzeptes, der Erwerb von Selbstvertrauen durch Selbstwirk- samkeit sowie der Aufbau innerer Strukturen, sodass nach Verlassen der temporären Lern- gruppe ein Weiterlernen in der ursprünglichen Bezugsgruppe gelingen kann. Die Planung des Lehrens und Lernens in der temporären Lerngruppe sowie die Planung aller komplexen Interventionen müssen ausnahmslos unter dem Fokus erfolgen, die Schüler dauerhaft psychisch zu stabilisieren und damit ein dau- erhaftes Weiterlernen in der Bezugsgruppe zu sichern. 8 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 1 unterschiedlichem Niveau gelöst werden Handlungsoptionen, können“ (Carle/Berthold, 2007, 42), zuzüglich dem Bereitstellen niveauvoller die sich aus den sieben Aufgaben, die eine „vertiefte Auseinan- Dimensionen der dersetzung“ (Carle/Berthold, 2007, 44) Schuleingangsphase mit dem Thema erfordern, ermöglichen es jedem Schüler, eine für seinen Lern- und ergeben – Ergebnisse Entwicklungsstand passende Aufgabe zu des Schulversuches finden und zugleich mit anderen Schülern „Veränderte gemeinsam zu lernen bzw. ihnen zu helfen oder sich helfen zu lassen. Schuleingangsphase an Thüringer Grundschulen“ ▸▸ Eine „inhaltliche Klammer, beispielsweise anhand von Rahmenthemen“ (Carle/ Die sieben Dimensionen der Schuleingangs- Berthold, 2007, 38) um die Aufgaben soll phase können als geeigneter Rahmen zur verhindern, dass der Unterricht „zu indivi- Reduzierung von Verhaltensschwierigkeiten duellem Üben verkommt“ (Carle/Berthold, angesehen werden, da im Ergebnis des 2007, 38). Schulversuches mehr Kooperation unter den Schülern zu beobachten war und mehr soziale ▸▸ Die Aufgaben sollen „unterschiedliche Verhaltensweisen gezeigt wurden. (vgl. Carle/ Arbeitsformen“ (Carle/Berthold, 2007, 38), Berthold, 2007, 49f; 130) insbesondere sowohl „selbstgesteuertes“ als auch „gelenktes binnendifferenziertes Es ergeben sich beispielsweise Optionen für Arbeiten“ (Carle/Berthold, 2007, 38), folgende Handlungsfelder: ermöglichen, denn die Notwendigkeit von Binnendifferenzierung bleibt trotz offener Aufgabenstellungen erhalten (vgl. Carle/ 1. Didaktik: Berthold, 2007, 44). ▸▸ Eigenständiges Arbeiten der Schüler ermög- ▸▸ Orientierung für die Gestaltung eines indivi- licht dem Pädagogen das Einnehmen der dualisierten Unterrichts bieten reformpäd- Rolle des Lernbegleiters. agogische Ansätze, beispielsweise Mon- tessori- oder Freinetpädagogik, Jena- oder ▸▸ Individuelle Lernzugänge ermöglichen Daltonplan (vgl. Carle/Berthold, 2007, 54) Lernerfolge. ebenso wie die der Ansatz des exemplari- schen Lehrens nach Wagenschein. Darüber ▸▸ Die Lernangebote sollen die Zusammen- hinaus erfolgten Werkstatt- und Stationsar- arbeit und den Austausch zwischen den beit, Wochenplan- sowie Projektunterricht Schülern initiieren und forcieren (vgl. (vgl. Carle/Berthold, 2007, 170). Carle/Berthold, 2007, 37). Eine absolute Individualisierung der Aufgaben für jedes ▸▸ Im Ergebnis der veränderten didaktisch- einzelne Kind ist vor diesem Hintergrund methodischen Gestaltung des Unterrichts pädagogisch nicht begründbar, behindert zeichnete sich unter den Pädagogen fol- es doch die Kooperation der Kinder unter- gender Konsens ab: einander. Aus demselben Grund, nämlich um dem ausschließlichen Allein-Lernen vor- • Die Formulierung der Aufgabenstellung zubeugen, darf kein Wochenplan absolut bestimmt die Qualität der Kooperation. individuell sein (vgl. Carle/Berthold, 2007, 112). • Helfen muss geübt werden! Ein soziales Klima stützt dies: Hilfsbereitschaft, Tole- ▸▸ Das Bereitstellen „offene[r] Aufgaben, ranz, Offenheit, Bewältigung von Kon- die von unterschiedlichen Kindern auf mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 9
flikten, Kompromissbereitschaft, Regeln ▸▸ „Stammgruppenunterricht, Kursunterricht, für Zusammenarbeit. spezifische Förderung“ (Carle/Berthold, 2007, 52); • Für Kinder müssen klar erkennbare Strukturen geschaffen werden. ▸▸ Jahrgangsmischung als Ressource; • Eine Vielzahl von Angeboten und Mate- ▸▸ Wochen- oder Tagespläne, „aus denen rialien ist nötig.“ (Carle/Berthold, 2007, auch hervor geht, wann die Arbeit geplant 170) ist, wann Arbeitsrückschau gehalten wird, wann Ergebnisse der Kinder präsentiert werden“ (Carle/Berthold, 2007, 52); 2. Angebot an Lernmaterialien: ▸▸ Eingang der individuellen Lernpläne in den Für die Gestaltung eines störungsfreien indi- Wochenplan (vgl. Carle/Berthold, 2007, viduellen Lernprozesses erwies sich der Ein- 41); satz sogenannten „schulbuchersetzenden Materials“ als hilfreich. Im Einzelnen sind gute ▸▸ eine überlegte Raum- und Arbeitsplatzge- Erfahrungen mit der Verwendung folgender staltung (vgl. Carle/Berthold, 2007, 52); Materialien gemacht worden: ▸▸ Lernmaterial für verschiedene Unterrichts- ▸▸ „speziell auf einzelne Kinder oder Kinder- arten und Kontrollformen (vgl. Carle/ gruppen abgestimmtes Material mit ver- Berthold, 2007, 52); schiedenem Schwierigkeitsgrad (z.B. unter- schiedlich schwierige Lesetexte/Bilderge- ▸▸ „kleine Institutionen wie Werkstätten, schichten)“ (Carle/Berthold, 2007, 46); Wochenplan, Arbeitsrückschau, Präsenta- tionen, Verantwortlichkeiten etc.“ (Carle/ ▸▸ „aufeinander aufbauendes Aufgabenan- Berthold, 2007, 38) zur Regelung der gebot, das nach individuellem Lernfort- Abläufe. schritt bearbeitet werden konnte“ (Carle/ Berthold, 2007, 46); Anmerkung: Didaktische Konzepte und Unter- richtsorganisation gehen ineinander über. ▸▸ „Zusatzmaterial, z.B. zur inhaltlichen Ver- tiefung bestimmte Sachbücher“ (Carle/ Berthold, 2007, 46); 4. Rhythmisierung: ▸▸ ausgewählte, am Computer nutzbare Die Rhythmisierung des Tages stellt einen Übungsprogramme, die beispielsweise Aspekt des Schaffens transparenter, entwick- „auf unterschiedliche Geschwindigkeiten lungsfördernder Strukturen dar. Folgende der Kinder mit verschiedenen Schwierig- Strukturen haben sich im Schulversuch „Ver- keitsstufen reagieren“ (Carle/Berthold, änderte Schuleingangsphase in Thüringen“ 2007, 46). bewährt: ▸▸ „einheitliche[n]r Takt für die ganze Schule“ 3. Klassen- und (Carle/Berthold, 2007, 55) Unterrichtsorganisation: ▸▸ Übergang von äußerer Rhythmisierung, bei- Folgende Formen der Klassen- und Unterrichts- spielsweise durch Methodenwechsel zum organisation erweisen sich als hilfreich für die Finden eines inneren Rhythmus‘ (vgl. Carle/ Gestaltung eines störungsfreien individuellen Berthold, 2007, 55) Lernprozesses: 10 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
5. Elternarbeit: ▸▸ „Am Nachmittag eingerichtete feste Team- sitzungen erschlossen mehr Zeit für Koope- Folgende Aspekte der Elternarbeit haben sich ration.“ (Carle/Berthold, 2007, S. 71f ). im Thüringer Schulversuch „Veränderte Schu- leingangsphase“ bewährt: 8. Ergänzende Gedanken zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten: ▸▸ Eltern in die Ausgestaltung der Schulkultur involvieren; Eine der Versuchsschulen fasst zum Thema „Verhaltensauffälligkeiten“ folgende Hand- ▸▸ Transparenz hinsichtlich unterrichtlicher lungen als hilfreich zusammen: Ziele herstellen; ▸▸ „Ruhe bewahren und die Situation nicht ▸▸ Bild, das Eltern von Schule haben, berück- weiter verschärfen. sichtigen; ▸▸ Keine Pauschalbewertung nach einem ▸▸ Die Interessen der Eltern können an ver- Schema der Situation vornehmen. schiedenen Schulen unterschiedlich sein. ▸▸ Das Kind mit seinem Verhaltensproblem ▸▸ Eltern als Partner betrachten; (vgl. Carle/ nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Berthold, 2007, 81ff) Gruppe rücken. ▸▸ „niedrigschwellige Angebote“ (Carle/ ▸▸ Ursachen ergründen, auch im Gespräch mit Berthold, 2007, 84), beispielsweise Eltern- dem Kind. café, informelle Gespräche vor Unterrichts- beginn; Mitwirkung bei Klassenvorhaben, ▸▸ Klärende Gespräche nicht während der Stö- Elternseminare etc. rung führen, sondern erst, wenn sich das Kind beruhigt hat. 6. Leistungsdokumentation: Dieses Vorgehen bewährte sich.“ (Carle/ Berthold, 2007, S.132) Folgende Formen der Leistungsdokumentation haben sich im Thüringer Schulversuch „Verän- Fasst man die Erkenntnisse aus dem Schul- derte Schuleingangsphase“ bewährt: versuch „Veränderte Schuleingangsphase in Thüringen“ in Thüringen zusammen, so zeigt ▸▸ halbjährliche Entwicklungsgespräche sich der Nutzen von Transparenz im Handeln zwischen Eltern und Lehrkraft (vgl. Carle/ und im Aufbau von Strukturen. Berthold, 2007, 85); ▸▸ Führen eines Portfoliohefters (vgl. Carle/ Berthold, 2007, 85; 153); ▸▸ „Gespräche mit dem Kind über seine Arbeit“ (vgl. Carle/Berthold, 2007, 153) 7. Teamarbeit: ▸▸ Eine fächer- und professionsübergreifende Zusammenarbeit fördert Verständigung und Kooperation der Pädagogen unterschied- licher Professionen (vgl. Carle/Berthold, 2007, 73). mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 11
Anlage 2 sche Proben; Darts, Klassenbewegungskartei, Handlungsoptionen zur etc. Gewährleistung von Möglich sind ebenso ein monatliches, Prävention – Schulkultur wöchentliches oder tägliches gemeinsames Frühstück der Pädagogen und Schüler in der Frühstückspause. Dabei muss jedoch sicher- 1. Großzügige gestellt werden, dass kein Schüler beschämt Pausenregelungen: wird, weil er möglicherweise nichts zu essen dabei hat oder nichts zum gemeinsamen Früh- Pausenzeiten sollten von der Schulkonferenz stück beitragen kann. im Interesse von Pädagogen und Schülern großzügig bemessen sein. Empfehlenswert ist eine Pausenzeit von mindestens zehn Minuten. 3. Elternarbeit: Erst eine entsprechende Pausenzeit ermöglicht Pädagogen sollten in den Eltern Partner und es Pädagogen und Schülern, ihre Grundbe- Verbündete im Interesse der Kinder und dürfnisse nach Nahrung, Bewegung, Körperhy- Jugendlichen sehen (vgl. Thüringer Bildungs- giene, Kommunikation etc. zu befriedigen. plan, 2010, S. 162). Entsprechend müssen Möglichkeiten zur unkomplizierten Kontakt- Anmerkung: Die Bereitschaft, zu lernen oder aufnahme für die Eltern geschaffen werden, einem anderen behilflich zu sein, steigert sich, beispielsweise durch das Festlegen wöchent- wenn die eigenen Bedürfnisse erfüllt sind. licher (telefonischer) Sprechzeiten oder Zeiten telefonischer Erreichbarkeit, das Durchführen Eine großzügige Pausenregelung ermöglicht von Elternsprechstunden. darüber hinaus kommunikative Lernsitua- tionen (Wocken, 1998). Kinder und Jugend- Eine weitere Möglichkeit zur Kontaktaufnahme liche erhalten Gelegenheit, soziale Kontakte stellt die Einführung von Gleitzeit zu Beginn zu pflegen, Freundschaften zu knüpfen. Kom- und/oder am Ende des Schultages dar (s. auch munikative Lernsituationen sind für das Rea- Anlage 1: Rhythmisierung/Schuleingangs- lisieren von sozialer Inklusion entsprechend phase). Des Weiteren sollten Eltern in das bedeutsam. Schulleben einbezogen werden (s. Anlage 1). Die Gliederung der Lernzeit in Blöcken eröffnet Denkbar sind: Eltern-Schüler-Lehrer-Fest; zusätzliche didaktisch-methodische Gestal- Elternwandertage, gemeinsame Feiern von tungsmöglichkeiten der Lernzeit (s. auch Eltern, Schülern, Pädagogen; Kreativabende Anlage 1: Rhythmisierung/Schuleingangs- (Kochen, Basteln, Renovieren etc.); sportlicher phase). Wettstreit mit- und gegeneinander (Volley- ball, Fußball, Felderball etc.); gemeinsame Fortbildungen oder Gesprächsrunden z.B. zu 2. Angebote an Spiel- und Fragen zur Erziehung (Umgang mit Medien Handlungsmöglichkeiten in etc.); Vorstellen des didaktisch-methodischen der Pausenzeit: Konzeptes; Vorstellen von Arbeitsergebnissen der Schüler; Gesprächsrunden zu Themen Hier ist Kreativität gefragt: und Vorhaben der Klasse etc. Hinzu kommen Elternabende und Entwicklungsgespräche mit Tischtennis; Badminton; Billard; Schach; den Eltern. Dame/Mühle (Felder auf dem Schulhof auf- zeichnen); Basketballkorb; Volleyballnetz; Entscheidend ist, den Kontakt zu den Eltern Hüpfkästchen; Springseile/Bälle/Geräte, um von Anfang an zu suchen – noch bevor etwas die Balance zu halten; Pflasterkreide zum weniger Angenehmes überhaupt passieren Malen; Kletterwand; Möglichkeit für musikali- konnte (vgl. Whitaker, 2009, 29). 12 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Denkbar wäre auch eine Kontaktaufnahme vor Krafteinsatz stellt den vermutlich am meisten Übernahme einer Klasse. Der so von Anfang an unterschätzten Aspekt des Berufes dar. Eine hergestellte Kontakt ist so unkompliziert wie überschaubare Teamgröße bietet diesbezüg- möglich zu gestalten und dauerhaft aufrecht lich für alle – Lehrkräfte, Schüler und Eltern – zu erhalten. Die Einladung zu einem Elternge- Entlastung. spräch darf nicht automatisch Anlass zur Sorge bei den Eltern sein. (vgl. auch Riegel, 2004) 5. Gestaltung eines Da Eltern die Lehrkräfte in aller Regel rede- jahrgangsgemischten, gewandter als sich selbst und geübter im schülerzentrierten Darstellen ihrer Positionen erleben, erweisen Unterrichts mit sich gemeinsame Aktivitäten für die Kontakt- Leistungserwartungen (s. aufnahme als hilfreich. Beispielsweise eignen Anlage 1): sich gemeinsame Wandertage, gemeinsame Feiern in der Schule, Renovierung des Klas- Jahrgangsmischung nach dem Prinzip der senraumes, das Anlegen eines Klassenbeetes, Stammgruppen- und Kursbildung ist prinzipiell Bitte um Unterstützung bei Aktivitäten der auch in der weiterführenden Schule möglich. Klasse etc. Insbesondere Eltern, die selbst weniger gute 6. Gestaltung eines regen Schul- Schulerfahrungen gemacht haben, nehmen und Klassenlebens: meist dankbar derartige Angebote an. Hier sind Kreativität sowie Freude an der Arbeit Eine präventive Elternarbeit fordert vom Päd- mit Kindern, Jugendlichen und Eltern gefragt. agogen, sich zugleich einlassen und abgrenzen Hintergrund ist die Vorstellung, dass Schule zu können. ein Ort sein oder werden sollte, an dem sich Lehrkräfte, Schüler und Eltern gern aufhalten. 4. Bildung von Pädagogen-Teams, Denkbar sind u. a.: die längerfristig mit einer Klasse arbeiten: Lese- oder Spielnachmittage oder -nächte; Lagerfeuer und Nachtwanderung; lyrische oder Auf die Bedeutung von zwischenmenschlichen musikalische Abende (Schüler zeigen, was sie Beziehungen für das Aufwachsen, für das Leben können); Schulchor, Schulband; Arbeitsge- im Allgemeinen, für die seelische Gesundheit meinschaften; sportliche Aktivitäten mit und wird in unterschiedlichen Zusammenhängen ohne Elternbeteiligung nach Möglichkeiten immer wieder verwiesen. Menschen benötigen der Schule (Tischtennisturnier, Schachturnier soziale Bezüge, um sich als Mensch entfalten etc.); Ausstellungen von Schülerarbeiten im zu können; das Wachsen von Vertrauen benö- Foyer der Schule (Zeichnungen, Fotos etc.), tigt miteinander verbrachte Zeit. Einrichten eines Klassenbriefkastens, Führen eines Klassenportfolios; Führen eines Schü- Aus diesem Grund sollten Pädagogen-Teams lercafés; Theaterspielen und Theaterauffüh- in überschaubaren Größenordnungen gebildet rungen (s. auch Elternarbeit; vgl. auch Riegel, werden, welche längerfristig mit einer Klasse 2004) etc. oder mit einer Doppelklassenstufe arbeiten. Erfolgt eine Klassenteilung oder der Wechsel einiger Schüler der Klasse, sollte ein Pädagoge 7. Anerkennung des anderen als mit der Klasse von Team zu Team wechseln. grundlegende Haltung: Eine solche Teambildung entlastet sowohl die Pädagogen als auch die Schüler als auch Anerkennung als Haltung meint, den anderen die Eltern von kräftezehrender Beziehungsar- als den Menschen anzuerkennen, der er ist und beit. Der für Beziehungsarbeit erforderliche der er werden könnte. Anerkennung als Hal- mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 13
tung meint nicht, jede Handlung des anderen gut zu heißen. Es meint jedoch, jede Kritik auf eine Weise zu äußern, dass der andere als Mensch nicht beschämt wird. Kritik bezieht sich entsprechend immer und ausschließlich auf ein konkretes Verhalten oder eine konkrete Handlung eines anderen und nicht auf den anderen als Person. Ein Aspekt von Anerkennung stellen Aufrichtig- keit bzw. Authentizität in der Kommunikation dar. 8. Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen: Pädagogik hat die Aufgabe „Menschen zur Sprache zu bringen“ (Rödler, 2000, S. 238). Insofern besteht ein entscheidender Aspekt in der Gesprächsführung mit Kindern und Jugend- lichen in der Fähigkeit des Zuhörens. Kinder und Jugendliche verfügen zudem nicht zwangsläufig über denselben Wortschatz wie Erwachsene. Ferner gehen insbesondere kleine Kinder davon aus, dass der Erwachsene über die Dinge bereits Bescheid weiß, dass er also weiß, was das Kind auch weiß. Dies führt mitunter zu Irritationen innerhalb des Gesprä- ches. Nicht zuletzt verlassen sich Kinder, mit- unter auch Jugendliche, im Gespräch darauf, dass der Erwachsene ihnen weiterhilft. Sie sehen im Erwachsenen den Gesprächsführer. (vgl. Delfos, 2004, S. 68ff) 14 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 3 feierliche Wirkung entfalten und für die Schaf- Gestaltung fung einer unmittelbaren Rahmenstruktur weniger wirksam sind. entwicklungsfördernder Strukturen Zu Bezugsgruppenritualen (Klasse oder Stammgruppe) oder Ritualen in der tempo- Das Schaffen von transparenten, nicht zu rären Lerngruppe könnten werden: engen zeitlichen, räumlichen und sozialen Strukturen ist eine – möglicherweise „die“ – ▸▸ wöchentliche/monatliche/tägliche Vorle- entscheidende Primärprävention gegenüber sestunde: das gemeinsame, wechselweise dem Auftreten von Verhaltensstörungen. Die (Vor-)Lesen eines Buch, wobei sich jeder Beschaffenheit der Strukturen muss Halt am Vorlesen beteiligen kann und sollte; geben und Entwicklung ermöglichen (vgl. Stein, 2006, S. 458). ▸▸ die wöchentliche Leerung eines Klas- senbriefkastens voller freundlicher und Diese Prävention kann durch vorübergehende anerkennender Botschaften (Wer Lust hat, Verengung der Strukturen für Einzelne, für schreibt einem anderen etwas Nettes); die gesamte Klasse oder die gesamte tempo- räre Lerngruppe zur Intervention werden. Das ▸▸ eine monatliche gemeinsame Unterneh- bedeutet, dass dem Schaffen von Entwicklung mung, beispielsweise Wandern, Sport unterstützenden Strukturen auf jeder Stufe der treiben, ins Kino oder ins Theater gehen, Leitlinien eine große, nicht zu überschätzende Grillen, gemeinsam Kochen, Gesellschafts- Bedeutung zukommt. spiele, Musiknachmittage; Tanznachmit- tage; gemeinsames Bauen etc.; 1. Rituale: ▸▸ tägliches gemeinsames Singen, Vortragen einer kleinen Anekdote oder Geschichte Eine geeignete Möglichkeit, Strukturen zu durch den Pädagogen oder einen wech- schaffen, ist die Etablierung von Klassen- und/ selnden Schüler; oder persönlichen Ritualen. Hierbei ist zu beachten, dass Rituale ihre Wirkung nur dann ▸▸ täglicher oder wöchentlicher Stuhlkreis entfalten können, wenn sie tatsächlich Ein- (z.B. nach dem regulären Unterricht), bei- gang in die Gestaltung des Schulalltags finden, spielsweise, um wichtige Anliegen der d.h. sie dürfen keinesfalls aktuellen Anlässen Klasse zu besprechen (Sorgen, Wünsche, oder Tagesaufgaben geopfert werden. Rituale Planungsvorhaben, Konflikte); können je nach Entwicklungsstand der Schüler monatlich, wöchentlich, täglich, stündlich ▸▸ wöchentliche oder tägliche Interaktions- ausgeführt werden. Für die Etablierung einer spiele, die auf kooperierendes Handeln Halt gebenden Struktur ist es günstig, wenn setzen und stets ein bisschen mehr Nähe verschiedene Zeiträume bedient werden. erfordern als gerade innerhalb der Klasse üblich ist (Bei der Auswahl der Spiele ist Jedes Ritual hat zudem seinen festen zeit- Sensibilität gefordert, die Schüler sollten lichen Umfang, der entweder unmittelbar einbezogen werden. Interaktionsspiele sind durch die Dauer des Rituals oder durch einen kein Lückenfüller, sondern ein Privileg); feststehenden zeitlichen Rahmen (z.B. Stuhl- kreis oder Fragestunde) definiert wird. Dieser ▸▸ Vorstellen von Schülerarbeiten, ohne dass zeitliche Umfang wird nicht über- oder unter- dies in einer Zensur mündet; schritten. ▸▸ monatliche Fragestunde an die Lehrkraft Ergänzend ist anzumerken, dass ausschließ- „Was die Schüler schon immer mal von der lich jährlich stattfindende oder an besondere Lehrkraft wissen wollten“; Ereignisse gekoppelte Rituale meist eine sehr mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 15
▸▸ wöchentliches/monatliches/tägliches die Regel einzuhalten – durch gegenseitiges gemeinsames Frühstück; Loben oder Anerkennen, durch Erinnern und vereinbarte Zeichen als Erinnerungshilfen oder ▸▸ eine von einem Schüler gestaltete soge- durch Vormachen und Üben erfolgen. Die auf nannte „tägliche Übung“; diese Weise eingeführten Regeln sind den Grundregeln nachgeordnet und werden ent- ▸▸ monatliche oder halbjährliche Klassenzei- sprechend nicht in die Liste der Grundregeln tung; aufgenommen. ▸▸ Briefwechsel mit einer anderen Klassen; Zusammenfassend gilt: Regeln dienen der Orientierung und Strukturierung des Zusam- ▸▸ Pflege einer Pinwand „Aktuelles“, an wel- menlebens. Aus diesem Grund sollten sie so cher Schüler und Pädagogen anbringen gefasst sein, dass alle ein Interesse an der können, was sie gerade beschäftigt; Einhaltung der Regeln haben. Regeln sind kein Machtmittel in der Hand des Lehrers. ▸▸ Wöchentlich/monatlich/täglich stellen ein oder mehrere Schüler vor, womit sie sich Grundregeln könnten sein: in ihrer Freizeit beschäftigen oder was sie besonders interessiert. ▸▸ Jeder Schüler hat das Recht, ungestört zu lernen. 2. Regeln: ▸▸ Jeder im Raum Anwesende hat die Pflicht, dieses Recht des anderen zu akzeptieren. Die Etablierung einer überschaubaren Anzahl von Regeln, welche für Pädagogen und Schüler ▸▸ Wir reden so mit dem anderen, wie wir uns gleichermaßen gelten und von beiden Seiten wünschen, dass dieser mit uns redet. einzuhalten sind, schafft Sicherheit im Umgang miteinander. Regeln müssen klar und verbind- Nachgeordnete Regeln könnten sein: lich sein. Sie regulieren nicht den Alltag – nicht für jede nur denkbare Situation braucht es eine ▸▸ Wir beginnen und beenden das Lernen Regel -, sondern sie strukturieren den Alltag pünktlich. und die sozialen Beziehungen. Sie geben den Rahmen vor. ▸▸ Wir halten unseren Klassenraum in Ord- nung. Drei Grundregeln genügen. Diese stellen Set- zungen dar. Über sie kann nicht abgestimmt ▸▸ Wir halten unsere Arbeitsmaterialien in werden, da sie der Sicherung eines friedli- Ordnung. chen Zusammenlebens dienen. Sie sollten in irgendeiner Form visualisiert werden (z.B. als ▸▸ Wir achten einander. Ich achte mich selbst. kleiner Merkzettel, der ins Hausaufgabenheft oder den Portfoliohefter geklebt wird). Weitere ▸▸ etc. Regeln können – wenn dies tatsächlich nötig sein sollte oder von den Schülern gewünscht Regeln müssen von der Erwartung begleitet wird – nacheinander eingeführt werden. Dies werden, dass ihre Einhaltung gelingen wird meint, dass am Einhalten der Regel gearbeitet und im Interesse aller liegt (vgl. auch Whitaker, wird. Schüler, Lehrkraft und gegebenenfalls 2009, S. 25ff). Integrationshelfer etc. erhalten Gelegenheit, sich jede neu eingeführte Regel zur Gewohn- heit werden zu lassen, ehe sie sich mit der 3. Raumstruktur: nächsten Regel befassen. In dieser Zeit des Verinnerlichens einer Regel unterstützen sich Um Verhaltensstörungen langfristig vorzu- alle gegenseitig. Dies kann – so es gelingt, beugen, sollte jeder Raum eine durchaus indi- 16 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
viduelle, jedoch über längere Zeiträume (z.B. Zusätzlich kann zu jeder Aufgabe vermerkt ein Schuljahr) konstante Grundstruktur auf- werden, wie lange sie in etwa dauern wird. weisen, die nur situativ und nur in wiederum bekannter Weise verändert wird. Eine analoge Uhr im Klassenraum ermöglicht den Schülern die Rückkopplung über die Zeit. Menschen brauchen Verlässlichkeiten. Eine Nützlich sind ebenso der Einsatz von Sand- feste Raumstruktur kann eine solche verläs- uhren, Schachuhren oder Time-Timern. Ent- sliche Größe darstellen. scheidend ist, dass die Schüler die Zeit visuell rückkoppeln können, d.h. eine digitale Uhr Der Raum sollte außerdem so ein gerichtet oder ein Wecker sind weniger nützlich. sein, dass er didaktisch-methodische Spiel- räume eröffnet. Zeitvorgaben gelten für alle Beteiligten. Wenn eine Lerneinheit eine Stunde dauert, so muss Eine Veränderung im Raum muss etwas Beson- der Schüler sicher sein können, dass diese deres darstellen und einen besonderen Anlass Zeiteinheit von der Lehrkraft nicht über- haben (z.B. Herstellen eines Stuhlkreises). schritten wird. Der Klassenraum ist ein Arbeitsraum. Er sollte zahlreiche Lernmaterialien enthalten (s. Anlage 5 Soziale Struktur: 1). Des Weiteren sollte er nur Dinge beher- bergen, die dem Lernen dienen. Die Mischung Es können Begrüßungs- und Verabschiedungs- von Anregung und Reizreduktion ergibt sich regeln etabliert werden. Das Aussprechen und durch verlässliche Strukturen dahingehend, Annehmen von Komplimenten, Dank und Ent- dass der Schüler weiß, wo er ein bestimmtes schuldigungen sollte geübt werden. Es kann Arbeitsblatt, das Lexikon, den Abakus etc. nicht davon ausgegangen werden, dass alle findet. Schüler dies können. Wenn der Schüler jedoch gar nicht weiß, wie man sich normgerecht ent- Denkbar wäre auch eine Ecke mit fertigen schuldigt, kann er diese Verhaltensweise nicht Schülerarbeiten zur Ansicht. zeigen (vgl. Whitaker, 2009, 72). Er zeigt sich dann in Ermangelung von Wissen verhalten- Gegenstände, die in der unmittelbaren Lern- sauffällig. Aufgabe der Pädagogik ist es, derar- zeit nicht benötigt werden – hierzu zählen tige soziale Verhaltensweisen, beispielsweise Poster von Lieblingsgruppen ebenso wie der durch Vormachen, zu lehren. Essensplan – finden sich nicht im Sichtfeld der Schüler. Das Üben von sozial angemessenen Verhal- tensweisen sollte methodisch aufbereitet erfolgen. Es eignen sich Rollenspiele, das 4. Zeitstruktur: Pflegen eines Komplimente-Baumes, das Über- schütten mit positiven Botschaften in Analogie Die Zeitstruktur kann ähnlich dem Vorgehen zum heißen Stuhl oder reflektierenden Team bei TEACCH (Häußler, 2012) als visuali- (vgl. Andersen, 1996). Möglich ist auch ein sierte Reihenfolge von Aktivitäten vorge- Komplimente-Glas, in welches jedes Mal ein nommen werden. Dies kann sowohl für die Stein hineingelegt wird, wenn ein Schüler oder gesamte Klasse – z.B. durch Befestigen oder die Lehrkraft einem anderen ein Kompliment Anschreiben der Aktivitäten an der Tafel oder macht. Ist das Glas voll, wird ein gemeinsames einer Pinnwand – als auch für einen Einzelnen kleines Event gestartet (z.B. Fest gefeiert, Klas- – z.B. durch einen Plan mit Tages- oder Stun- senhymne gesungen). denaufgaben – erfolgen. Zu beachten ist, dass es für viele Menschen Ist eine Aufgabe erledigt, wird sie abge- deutlich schwerer ist, Kompliment oder Dank nommen, durchgestrichen, sichtbar abgehakt. anzunehmen als auszusprechen. Hier ist wie- derum die Sensibilität des Pädagogen gefragt, mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 17
z.B. darf beim Komplimente-Stuhl derjenige die Runde beenden, über den positiv geredet wird. Weitere Anregungen zum Üben von Elementen zwischenmenschlicher Kommunikation finden sich in „SOKO Autismus“ (Häußler et al, 2013). Ziel der strukturierenden Maßnahmen ist es, lernförderliche sowie das soziale Zusammen- leben fördernde Gewohnheiten auszubilden. Damit die Maßnahmen ihre Wirkung entfalten können, müssen in allen benannten Aspekten – Raum, Zeit, Kommunikation – Strukturie- rungen vorgenommen werden. Für alle Strukturierungen gilt, dass sie im opti- malen Fall von Klasse zu Klasse oder von Lehr- kraft zu Lehrkraft minimal differieren. Absolute Gleichheit nimmt den Regeln, Ritualen das Besondere, Persönliche, Klassenspezifische. Zu große Differenzen wiederum sorgen für Ver- wirrung, produzieren Störungen und verfehlen aus diesem Grund ihren Zweck. 18 Leitlinien zur Beschulung von Schülern
Anlage 4 Abweichungen können bei Schülern mit päd- Periodisches bzw. agogischem oder sonderpädagogischem För- derbedarf in der emotional-sozialen Entwick- zeitlich begrenztes lung zu Krisensituationen führen. Herausnehmen aus der Bezugsgruppe 2 Raumstruktur: Im Falle der Etablierung einer solchen Maß- nahme verlässt der Schüler an zwei oder drei Der Raum der temporären Lerngruppe verfügt festgelegten Tagen pro Woche für je eine Dop- über einen Gruppenarbeitstisch. Zudem ver- pelstunde seine Bezugsgruppe. fügt jeder Schüler über einen eigenen Arbeits- platz. Dieser befindet sich in je einer Ecke oder In diesen insgesamt vier oder sechs Unter- an der Seite des Raumes und ist deutlich – z.B. richtsstunden wöchentlich lernt er in einer durch Linien (Klebekreppstreifen, halbhohe altersgemischten temporären Lerngruppe, Regale) auf dem Fußboden – von den anderen bestehend aus vier Schülern mit festgestelltem Arbeitsplätzen sowie dem Gemeinschaftsbe- Förderbedarf in der emotional-sozialen Ent- reich im Raum abgegrenzt. wicklung. In dieser Zeit arbeitet er in der Klein- gruppe an der Ausbildung sozialer Verhaltens- Dieser durch die Fußbodenmarkierung abge- weisen, am Umgang mit seinen Emotionen, an grenzte Arbeitsplatz stellt für den Schüler eine der Ausbildung eines Selbstkonzeptes sowie Rückzugsmöglichkeit dar. Andere dürfen – an der Entwicklung von eigenen Arbeits- und nach miteinander vereinbarten Regeln – den Zeitstrukturen. Raum erst nach Aufforderung betreten. Dies gilt auch für die Lehrkraft. So steht dem Schüler Die Doppelstunden in der periodisch arbei- mit diesem markierten Raum eine Möglichkeit tenden temporären Lerngruppe sind durch zur Verfügung, den Kontakt zu anderen non- eine spezifische Struktur von Raum und Zeit verbal zu steuern. Er erhält eine Lernmöglich- charakterisiert (s. Zeitstruktur). Sowohl die keit, Verantwortung für sein Verhalten in den Nutzung des Raumes als auch die Reihenfolge Begegnungen mit anderen zu übernehmen. der Aktivitäten sind ritualisiert und verlaufen jedes Mal auf dieselbe Weise. Ziele sind der Anmerkung: Diese absolute Rückzugsmöglich- Aufbau sowie die Festigung innerer Strukturen keit eignet sich nur bedingt zur Überwindung durch hilfreiche äußere Strukturen. internalisierender Verhaltensstörungen. Ins- besondere bei Ängstlichkeit und depressiven Empfehlenswert ist je nach Alter der Schüler Verhaltensweisen ist Vorsicht dahingehend und je nach Pausenregelung in der jeweiligen geboten, dass die innerliche Rückzugsbe- Schule die 3. und 4., die 4. und 5. oder die 5. reitschaft durch den äußeren Rahmen nicht und 6. Stunde. Entscheidend für die Gewähr- noch verstärkt wird. Hier ist gegebenenfalls leistung einer Struktur ist die verbindliche Rücksprache mit dem Schulpsychologischen Festlegung für die jeweilige Kleingruppe auf Dienst bzw. dem multiprofessionellen Team immer dieselben Doppelstunden. angezeigt. 1 Personelle Besetzung der 3 Zeitstruktur: periodisch arbeitenden Kleingruppe: Die jeweils 90 Minuten in der temporären Lern- gruppe verlaufen stets auf dieselbe Weise. Die Gruppe wird von einem Förderpädagogen geleitet. Ein Wechsel von Personen ist aus ver- Die gemeinsame Zeit beginnt nach der indi- schiedenen Gründen zu vermeiden. So werden viduellen Begrüßung jedes Schülers in der von verschiedenen Pädagogen Regeln auf Pause gemeinsam. Die Arbeitszeit beginnt und unterschiedliche Weise umgesetzt. Kleinste endet pünktlich. mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung 19
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