Lernen im Kontext von Flucht und Ankommen - Grundbildung als Einstieg in die neue Lebenswelt
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b e i t r ag Grundbildung als Einstieg in die neue Lebenswelt Lernen im Kontext von Flucht und Ankommen silv est er p op escu -w i l l i g ma n n • b e rn d re m m e l e Was gilt es bei der Programmerstellung für Geflüchtete zu berück- sichtigen? Die Autoren nehmen Geflüchtete als Adressaten von Maß- nahmen der Erwachsenenbildung in den Blick und stellen aus einer Bildungsplanungssicht Spezifika der Lernvoraussetzungen und der Lernbedarfe der Adressatengruppe vor. Bildungsprogramme für Geflüchtete haben – wie jede Bil- Erstorientierungsmaßnahmen sind Kurse und Trainings- dungsmaßnahme – Charakteristika der Adressaten, ihre maßnahmen, die darauf zielen, dass Geflüchtete sich Wissen Lernvoraussetzungen und Lernbedarfe bei der Planung, zur unmittelbaren Orientierung im Lebensumfeld und in »ty- Durchführung und Evaluation zu berücksichtigen, wenn sie pischen« Alltagssituationen aneignen, in denen sie zudem ler- einen Nutzwert haben sollen. »Didaktische bzw. methodische nen sollen, sich in solchen Situationen auf Deutsch verständ- Überlegungen und Verfahrensweisen müssen (…) die Lernen- lich zu machen (stmas & bamf, 2016, S. 4). Gesetzlich geregelt den und ihre kollektiven und individuellen Erfahrungen und sind die Integrationskurse, die nach § 43 Aufenthaltsgesetz Lernbedingungen in den Mittelpunkt stellen und von ihrem der »Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet Blickwinkel aus beurteilt werden. (…) es muss bei der Planung lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und von Unterricht also von Problemen des Lernens, nicht von gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland« Problemen des Lehrens (Lehrkraftorientierung) ausgegangen dienen und die aus einem Basis- und einem Aufbausprachkurs werden« (Lutz & Popescu-Willigmann, 2015, S. 60, Hervorh. im sowie einem Orientierungskurs »zur Vermittlung von Kennt- Orig.). Lernvoraussetzungen und Lernbedarfe Geflüchteter nissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in sind besonders relevant im Zusammenhang mit Bereichen der Deutschland« bestehen. Erwachsenenbildung, die Geflüchtete ausdrücklich in ihrer Erstorientierungs- und Integrationskurse werden staat- »Eigenschaft« als Menschen mit Fluchthintergrund adressie- lich subventioniert und von privaten Trägern und Anbietern ren. Neben den allgemein- und berufsbildenden Bildungsan- durchgeführt. Unabhängig davon sind Maßnahmen gestaltbar, geboten, die Erwachsenen unabhängig von einer eventuellen die hinsichtlich der Intention, der Inhalte und Methoden sowie Fluchtgeschichte offenstehen, adressieren vor allem Erstori- organisatorischer Faktoren anders gestaltet sein können, als entierungsmaßnahmen und Integrationskurse spezifisch neu es staatlich subventionierte Programme erfordern. Beispiele angekommene Menschen mit Fluchtbiografie. für solche staatsunabhängigen autonomen Angebote finden ausgabe 3 — 2018 17 Online: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/32018/fluechtling-01.pdf
b e i t r ag »Ziele, Inhalte, Zielgruppen auf der Flucht zugezogen. Und Menschen mit einem Flucht- hintergrund haben einander ähnelnde Lebensumstände als oder Formate von Grundbil- Geflüchtete in der Aufnahmegesellschaft. Als Asylbegehrende haben sie viele unbekannte und von zahlreichen Restriktio- dung sind Gegenstand per- nen geprägte Lebensbedingungen in der fremden Ferne zu be- wältigen sowie Prüfungen zu absolvieren. manenter gesellschaftlicher Adressatenorientierte Lehre für Geflüchtete richtet sich also an Menschen, deren Lebenserfahrungen und Lebenslagen Aushandlungen.« sich ähneln. Darüber hinaus sind die Adressaten aber hetero- gen, da sie aus vielfältigen nationalen, ethnischen, Bildungs- und Berufs- sowie Gesellschafts- und Kulturräumen kommen, und sie sind – wie jeder und jede Lernende – heterogen als Persönlichkeit, als soziales Wesen und als Biografieträger, der oder die individuell und mehr oder minder stark begabungs- sich nicht erst seit der »Willkommensoffensive« der Jahre realisierend im Leben unterwegs ist. 2015 und 2016 zuhauf und werden vorwiegend – aufgrund der Den nicht fluchtspezifischen Besonderheiten geflüchteter nicht vorhandenen finanziellen Förderung durch staatliche Lernender in pädagogischer Weise zu begegnen, ist Kern je- Regelsysteme – von Ehrenamtlichen geleistet. Hier bestehen der interkulturell gekonnt ausgerichteten Lehre – und daher für Anbieter Chancen, professionelle Bildungsmaßnahmen zu nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen, in denen die gestalten, die grundlegend pädagogisch ausgerichtet sind, also Spezifika Geflüchteter als Adressatinnen und Adressaten von auch von der Zielrichtung her unabhängig Bildungsdesiderate Erwachsenenbildung überblicksweise vorgestellt werden. Da- bedienen. bei geht es zunächst um spezifische Lernvoraussetzungen und Solche Maßnahmen verfolgen häufig Grundbildungsinten- danach um spezifische Lernbedarfe, dargestellt als Grundbil- tionen. Grundbildung soll weiterreichende Veränderungen dungsbedarfe. Abschließend geben wir Hinweise zum metho- in den Lebensdispositionen Lernender bewirken, indem sie dischen Spektrum im Hinblick auf die Art der formellen Lern- »Kompetenzen in den Grunddimensionen kultureller und ge- organisation. sellschaftlicher Teilhabe« (bmbf & kmk, 2012, S. 1) herauszubil- den hilft. Dabei sind die konkreten Ziele, Inhalte, Zielgruppen oder Formate von Grundbildung Gegenstand permanenter ge- Lernvoraussetzungen Geflüchteter sellschaftlicher Aushandlungen (Euringer, 2016; Tröster, 2000). Aufgrund der sehr unterschiedlichen Lernerfahrungen Ge- Lernvoraussetzungen beschreiben die Eignung einer Person, flüchteter (Stoewe, 2017) und aufgrund ihrer häufig erforder- einen Lernprozess erfolgreich zu durchlaufen. Sie umfassen lichen Eingewöhnung in einen umfänglich neuen Lebens-, die individuellen Voraussetzungen, das Können und Wollen, Kultur- und Gesellschaftskontext begegnen Grundbildungs- sowie lernrelevante Umfeldbedingungen. maßnahmen bei vielen Menschen der Zielgruppe einem mani- Können: Die individuellen Lernvoraussetzungen sind bei festen Bildungsbedarf. Geflüchteten so vielfältig wie bei jeder anderen Personengrup- pe. Im Vordergrund stehen hier die Sprachkenntnisse, oftmals verstärkt durch einen vergleichsweise hohen Anteil an nicht Geflüchtete als Adressaten der Erwachsenenbildung oder nicht in lateinischer Schrift Alphabetisierten. Zum Er- reichen jeder Form von selbstbestimmter und von Hilfe unab- Wie jede andere Adressatengruppe in der Erwachsenenbil- hängiger Teilhabe in der Gesellschaft muss die Sprachbarriere dung sind auch Geflüchtete keine einheitliche Lerngruppe. überwunden werden. Zu beachten sind die mitunter unter- Das Merkmal »Flucht« steht in keinem zwangsläufigen Zusam- schiedlichen Bildungs- und Lernerfahrungen der Adressaten menhang mit lernrelevanten Faktoren wie dem Bildungsstand, gegenüber dem deutschen formalen Schulwesen, die Tatsache, den Lernerfahrungen, den Sprach- und anderen Kenntnissen dass viele der nicht hochqualifizierten unter den Geflüchteten oder Kompetenzen. Geflüchtete teilen dennoch ähnliche Er- gering ausgebildete Schreib-, Rechen- und Lernkompetenzen fahrungen, die mit dem Lebensereignis »Flucht« einhergehen, und kaum jemand berufliche Ausbildungserfahrungen in ei- sie haben Ähnliches erlebt bzw. durchlitten. Sie haben Famili- nem formalisierten und strukturierten System wie der dua- enanschluss, Familienmitglieder, oft Materielles und meistens len Ausbildung besitzt (Stoewe, 2017). Es besteht von daher bei den erreichten Status und die Position in der Gesellschaft ver- einer hohen Zahl von Geflüchteten die Notwendigkeit, grund- loren, sich Gebrechen und körperliche wie seelische Wunden legende Lernkompetenzen und Kulturtechniken zu erlernen, 18 weiter bilden Online: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/32018/fluechtling-01.pdf
lernen im kontext von flucht und ankommen um zur Teilnahme an weiterführenden Bildungsmaßnahmen und Anspruchsgrade für die Gestaltung von Bildungspro- qualifiziert zu sein. Gleichzeitig können weit entwickelte prak- grammen nach sich zieht und mitunter eine genauere Profilie- tische wie handwerkliche Fertigkeiten bei nonformal ausgebil- rung der Lernangebote erfordert. deten Personen vorhanden sein, gepaart mit Geschicklichkeit Unabhängig von den Lernzielkatalogen staatlich subven- und Lösungsfindigkeit, da in früheren beruflichen Kontexten tionierter Erstorientierungs- und Integrationskursmaßnah- oftmals ohne zeitgemäße und aufwändige Hilfs- und Arbeits- men können Eckpunkte aus dem Grundbildungsbereich eine mittel Lösungen für Arbeits- und Lebensanforderungen und Orientierung für die Bildungsprogrammplanung für Geflüch- letztlich auch für komplexe, mit der Flucht einhergehende Auf- tete bieten, da über sie Lernbedarfe systematisiert werden gaben gefunden werden mussten. können (Popescu-Willigmann & Remmele, 2018, Kap. 2,; Kattwin- Wollen: Was die Lernbereitschaft betrifft, so weisen Ge- kel & Petzi, 2018). Folgende Grundbildungsbedarfe lassen sich flüchtete grundsätzlich eine große Motivation auf, »sich in den identifizieren: Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und viele andere Bereiche der Gesellschaft zu integrieren« (Brücker, Rother & Schupp, 2016, Lernen lernen: Grundbildung ist nur sehr bedingt in der Lage, S. 37). Gleichwohl empfiehlt es sich, das zeigt die langjährige Be- einen Zustand der Teilhabebefähigung herzustellen. Zum ratungspraxis mit Geflüchteten, die Ziele und Inhalte von Lern- einen ist die Komplexität der Anforderungen der modernen vorhaben, deren Sinn sich ohne eine Kenntnis des deutschen Gesellschaft curricular im engen Rahmen von Grundbildungs- Bildungssystems und Arbeitsmarktes nicht ohne Weiteres er- maßnahmen nicht abzubilden, und zum anderen verändern schließt, plausibel zu begründen, um so die Notwendigkeit und sich ihre kommunikativen und medialen Hervorbringungen den Nutzen der Lernbeteiligung für die Teilnehmenden trans- und auch Institutionen und Prozesse permanent. Wissen und parent zu machen (Stichwort: Investition in niedrig entlohnte Können bedürfen mit anderen Worten einer permanenten Ausbildungszeit anstelle der sofortigen Aufnahme einer dem- Revision und Aktualisierung. Andererseits gibt es bestimmte, gegenüber höher entlohnten Aushilfstätigkeit). für die Gesellschaft typische Formen und Medien der Kommu- Umfeldbedingungen: Die das Lernen Geflüchteter bestim- nikation und Kulturtechniken zu deren Erschließung, welche menden Lebensbedingungen unterscheiden sich wesentlich von den Gewohnheiten und Wissensbeständen vieler Geflüch- von denen anderer Bildungsadressaten, auch solcher mit Mig- teter abweichen. Als Manifestation des Lebenslangen Lernens rationshintergrund. So ist das Leben Asylbegehrender von der ist daher eine entsprechende Lernkompetenz erforderlich, permanenten Ungewissheit über den Ausgang des Asylverfah- deren Aneignung Bestandteil der Grundbildung Geflüchteter rens geprägt. Da vom Aufenthaltsstatus so gut wie alle Rechte sein sollte. abhängen, verursacht die diesbezügliche Unsicherheit Stress. Sprache – Literalität: Der Themenbereich Sprache umfasst Gesteigert wird dieser durch die in der Regel nicht selbstbe- neben einer alltagsdienlichen Kompetenz der deutschen Spra- stimmte Unterbringung in Sammelunterkünften, durch die che auch die Beherrschung wesentlicher Kulturtechniken, die Ungewissheit ob des Verbleibs von Familienangehörigen im für gesellschaftliche Teilhabe unerlässlich sind, also Schrei- Kriegsgebiet oder im Transitland. Unerkannte und unbe- ben und Rechnen. Alphabetisierung oder Zweitschrifterwerb handelte Traumata können als weiterer Faktor das Lernen- sind für nicht oder nicht lateinisch alphabetisierte Geflüchte- Können und -Wollen beeinflussen: z. B. Schlafstörungen und te daher zwingende Lern-Desiderate. Konzentrationsschwierigkeiten (s. zu den Umfeldbedingungen Sozio-kulturelle Grundbildung: Die europäische Gesell- Popescu-Willigmann & Remmele, 2018, Kap. 2). schaft, die deutsche Gesellschaft und der lokale Sozialraum sind durch geteilte und ganz eigene Normen und Werte, Ver- haltensregeln und Konventionen, behördliche und andere In- Grundbildungsbedarfe Geflüchteter stitutionen wie die Medien und geschichtliche Entwicklungen charakterisiert, die das Leben in Europa, in Deutschland und Die Lernbedürfnisse und Lernbedarfe Geflüchteter hängen in der Stadt oder der Gemeinde regeln. Fragen des mitmensch- auf der einen Seite von den individuellen Zielen jeder und je- lichen Miteinanders und des Umgangs mit Institutionen, Or- des Einzelnen ab, also etwa davon, ob die Aufnahme einer Aus- ganisationen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen bildung, einer Arbeitsstelle oder eines Studiums angestrebt wie Supermärkten, öffentlichem Nahverkehr, Telekommuni- wird, ferner davon, welche lebenslagenbezogenen Herausfor- kations- und anderen Dienstleistern sind hier ebenso ange- derungen bestehen, und des Weiteren auch, welche Auflagen sprochen wie lebensweltliche Fragen der Freizeitgestaltung den Personen infolge des Aufenthaltsrechts in Bezug auf zu Er- privat oder im Verein, oder auch grundlegende Orientierun- lernendes auferlegt sind. Auf der anderen Seite ergeben sich gen an respektvollem Umgang und Toleranz. Orientierung in die Lernbedarfe aus den Lernvoraussetzungen der Personen, diesem Bereich ermöglicht das Teilnehmen und Teilhaben an was vor allem unterschiedliche Ansprüche an Lernniveaus sowie das Mitgestalten von Gesellschaft. ausgabe 3 — 2018 19 Online: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/32018/fluechtling-01.pdf
b e i t r ag Politisch-administrative Grundbildung: Demokratie und häufig ungewohnten Lernumgebungen und -formen Meinungsfreiheit, Menschen- und Grundrechte, persönliche herangeführt und dafür qualifiziert werden. Rechte und Pflichten, Institutionen und andere Akteure sowie politische Partizipation schaffen die Grundlage für politische 2. Ohne die Abhängigkeit von Curricula, die auf formale Mündigkeit und Demokratiefähigkeit in der neuen Lebenswelt. Abschlüsse ausgerichtet sind, können über Maßnah- Verbrauchergrundbildung: Verbraucherrechte und -pflich- men der nonformalen Bildung besonders wirksame ten, Chancen und Risiken des traditionellen und des Inter- absichtsgeleitete Lerngelegenheiten für Geflüchtete nethandels, Bank- und Versicherungsgeschäfte, Vorteile entwickelt werden, die adressatenorientiert, nachhal- und Nachteile von Verbraucherkrediten und unbarer Be- tig und umfassend die Entwicklung von Kompetenzen, zahlung oder auch die Prävention von Suchtverhalten und Einstellungen und Verhaltensweisen für eine frucht- maßlosem Konsum sind ebenso denkbare Aspekte einer Ver- bare gesellschaftliche Teilhabe zum Gegenstand haben. brauchergrundbildung wie umweltschonendes Verbraucher- verhalten. Sie befähigt zur aufgeklärten Teilhabe am Wirt- schaftskreislauf, bewahrt vor der Überforderung angesichts der Warenfülle und des leichten Zugangs und lädt zu einer nachhaltigen Wahrnehmung der Verbraucherrolle ein. Arbeitnehmergrundbildung: Die Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer sind in Deutschland spezifisch und in der Regel grundlegend anders als in den meisten Herkunftslän- »Eine variationsreiche dern. Fragen zum Arbeitsvertrag, zum Arbeitszeitrecht, zum Mutterschutz, zum Schutz vor Diskriminierung, zu Schutz- und praktisch rechten bei Kündigung, zu Zugangswegen in Arbeit sowie zur Unterscheidung zwischen ungelernter, angelernter oder orientierte Hinführung qualifizierter Arbeit, zum Sinn von Ausbildung und Studium, zur Altersvorsorge und zum Sozialversicherungsschutz, aber an die Lernziele.« auch zum Verständnis der eigenen Lohnabrechnung ergeben eine Fülle an Themen, die für mündige Arbeitnehmer beson- ders wichtig sind. Lernformen 3. Informelle Lernprozesse haben gerade auch in der Bildungsarbeit mit Geflüchteten ein großes Bildungs- Bei Bildungsprogrammen, die sich speziell an Geflüchtete rich- potenzial. Zum einen bietet die Förderung informel- ten, geht es um die Orientierung der Teilnehmenden im neuen ler Lernanlässe Möglichkeiten zu niedrigschwelligem Lebensraum. Sie zielen auf die Befähigung zur gesellschaftli- Lernen und einen relativ diskriminierungsfreien chen Teilhabe und Empowerment (Petzi, 2018). Zwar greifen Bildungszugang, auch und gerade für Menschen, die die Maßnahmen unterschiedlich weit in ihrem Befähigungs- aufgrund der Bildungssysteme in ihren Herkunftsstaa- ansatz, doch zielen sie insgesamt auf das Handeln-Können ten grundsätzlich viel durch die »Schule des Lebens« im Sozialraum. Dies und die Spezifika des Adressatenkreises gelernt haben. Bildungsanbieter können zum anderen legen eine variationsreiche und praktisch orientierte Hinfüh- durch eine gezielte Aktivierung und Einbindung des rung der Lernenden an die Lernziele nahe und damit einen Sozialraums Lerngelegenheiten fördern, die zugleich hohen Grad an Handlungsorientierung. Zur Binnendifferen- einen integrativen Effekt besitzen, da Lernende im zierung empfiehlt es sich, ein breites methodisches Spektrum Leben lernen und durch die Teilhabe zu Akteuren der anzuwenden (Popescu-Willigmann, 2018) und dieses an die for- Sozialräume und zu Mitgliedern für sie neuer sozialer melle Lernorganisation anzupassen: Netzwerke werden (Kattwinkel, Petzi & Wein, 2018; Petzi & Wein, 2018). Problematisch ist die Anerkennung in- 1. Geflüchtete haben Zugang zu formalen Bildungsset- formell erworbener Kompetenzen, um sie im weiteren tings, insofern sie die aufenthaltsrechtlichen Voraus- Bildungsverlauf und im Beruf verwerten zu können, setzungen erfüllen. Ohne Vorbereitung werden Ler- weswegen die Entwicklung geeigneter Diagnostikme- nerfolge vermutlich ausbleiben, und ein vorzeitiger thoden ein europaweit hoch bewertetes Desiderat ist. Abbruch droht, sofern Geflüchtete nicht an die für sie Es empfiehlt sich, Beziehungen und Netzwerkpartner- 20 weiter bilden Online: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/32018/fluechtling-01.pdf
lernen im kontext von flucht und ankommen schaften zu sozialräumlichen Akteuren, aber auch zu Beratungsstellen und anderen Dienstleistern für Ge- flüchtete zu unterhalten, um über die Herstellung von Förderketten möglichst nachhaltige, handlungswirksa- bamf – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2018). Speziel- le Kursarten. www.bamf.de/de/Willkommen/DeutschLernen/ me Lernergebnisse mit den Geflüchteten zu erzielen. Integrationskurse/SpezielleKursarten/speziellekursarten-node.html bmbf – Bundesministerium für Bildung und Forschung & kmk – Kultusministerkonferenz (2012). Vereinbarung über eine gemein- same nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland 2012–2016. https://www.bmbf.de/ files/neu_strategiepapier_nationale_alphabetisierung.pdf Brücker, H., Rother, N. & Schupp, J. (Hrsg.). (2016). iab-bamf- soep-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergeb- nisse. Forschungsbericht 29. https://www.bamf.de/SharedDocs/ Anlagen/de/Publikationen/Forschungsberichte/fb29-iab-bamf- soep-befragung-gefluechtete.pdf?__blob=publicationFile Euringer, C. (2016). Grundbildung im Spannungsfeld bildungs- politischer Ein- und Abgrenzungsinteressen. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung – Report, 39 (2), 241–254. Kattwinkel, S. &, Petzi, M. (2018, i. E.): Ziele, Rahmen und Konzep- te der Erstorientierung aus pädagogischer Sicht. In S. Popescu- Willigmann, S. Ebbeler & B. Remmele (Hrsg.), Erstorientierung für Geflüchtete. Eine Handreichung für die Praxis. Opladen: Budrich. Kattwinkel, S., Petzi, M. & Wein, C. (2018, i. E.). Adaption des Sozi- alraumes für die Soziale Arbeit mit Geflüchteten. In S. Popescu- Willigmann, S. Ebbeler & B. Remmele (Hrsg.), Erstorientierung für Geflüchtete. Eine Handreichung für die Praxis. Opladen: Budrich. Lutz, L. & Popescu-Willigmann, S. (2015). Instrumente und Metho- den der Unterrichtsplanung. In M. Klebl & S. Popescu-Willigmann (Hrsg.), Handbuch Bildungsplanung. Ziele und Inhalte beruflicher Bildung auf unterrichtlicher, organisationaler und politischer Ebe- ne (S. 47–74). Bielefeld: W. Bertelsmann. Petzi, M. (2018, i. E.). Empowerment-Potenzial von Erstorientie- rung. In S. Popescu-Willigmann, S. Ebbeler & B. Remmele (Hrsg.), Erstorientierung für Geflüchtete. Eine Handreichung für die Praxis s i lv e s t e r p o p e s c u -w i l l i g m a n n Opladen: Budrich. ist Produktmanager beim Verlag skv ag in Zürich Petzi, M. & Wein, C. (2018, i. E.). Nutzbarmachung und Aktivie- und Publizist; bis Frühjahr 2018 war er Geschäfts- rung des Sozialraumes für die Erstorientierung. In S. Popescu- führer des Flüchtlingszentrums Hamburg. Willigmann, S. Ebbeler & B. Remmele (Hrsg.), Erstorientierung für Geflüchtete. Eine Handreichung für die Praxis Opladen: Budrich. pub@sp-edu.net Popescu-Willigmann, S. (2018, i. E.). Didaktische und metho- dische Grundlagen. In S. Popescu-Willigmann, S. Ebbeler & B. Remmele (Hrsg.), Erstorientierung für Geflüchtete. Eine Hand- reichung für die Praxis Opladen: Budrich. Popescu-Willigmann, S. & Remmele, B. (2018, i. E.). »Refugees Welcome« in der Erwachsenenbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann. stmas – Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration & bamf – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.) (2016). Erstorientierung und Deutsch Lernen für Asylbewerber in Bayern. www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/ de/Downloads/Infothek/Integration/Sonstiges/konzept-kurse- asylbewerber.pdf?__blob=publicationFile Stoewe, K. (2017). Bildungsstand von Geflüchteten: Bildung und Ausbildung in den Hauptherkunftsländern. iw-Report, 37. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/ pdf/2017/iw-Report_2017_37_Bildungssysteme_in_den_ bernd remmele Herkunftslaendern_Gefluechteter.pdf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Tröster, M. (2000). Grundbildung – Begriffe, Fakten, Abteilung Wirtschaftslehre an der Pädagogischen Orientierungen. In M. Tröster (Hrsg.), Spannungsfeld Grundbildung Hochschule Freiburg. (S. 12–27). Bielefeld: W. Bertelsmann. bernd.remmele@ph-freiburg.de ausgabe 3 — 2018 21 Online: http://www.die-bonn.de/zeitschrift/32018/fluechtling-01.pdf
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