Let's go Champions League

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Let’s go Champions League …

Carls Traum ist wahr geworden, ein
Traum, auf den er Jahrzehnte hinge-
arbeitet hat. Er hat die Position des
Königs in der angesehenen Schach-
mannschaft Hope angeboten bekom-
men und hat begeistert zugesagt. Die
Gespräche mit den Eigentümern und
Eigentümervertretern sind sehr inter-
essant, fast freundschaftlich verlaufen.
Natürlich wurde Carl, trotz lupenrei-
nem CV und hoher Anerkennung in
der Branche, durch diverse Assess-
mentcenter auf Herz und Nieren ge-
prüft, aber er hatte auch das Gefühl,
die ­berühmte Chemie zwischen ihm
und den Eigentümern stimmte. Dieses
Gefühl des Vertrauens war ihm wich-
tig, da ohne dieses keine gemeinsame
Arbeit möglich ist und der Versuch,
Veränderungen umzusetzen, chancen-
los wäre. Er braucht diesen Rückhalt,

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um in ­seinem Stil managen und führen zu ­können. Er hat      Carl ist begeistert von den Möglichkeiten und vom
auch den Eindruck, dass man ihm sehr offen die Situation    Ideenreichtum der Eigentümer. Die Eigentümer sind
der Mannschaft dargelegt hat. Im weiteren Verlauf der       bekannt als sehr vermögend und auch als sehr investiti-
Gespräche hatte er auch die Möglichkeit, die Mitglieder     onsfreudig. Besser kann Carls Situation gar nicht sein.
seiner Führungscrew kennenzulernen, die allesamt einen      Seine erste Funktion als König einer Mannschaft, mit
sehr positiven Eindruck bei ihm hinterlassen haben.         einer soliden Basis durch die Eigentümer und einer an-
   Die Eigentümer sehen die Situation von Hope für          erkannten Führungscrew. Er hat das Gefühl, dass mit
die Zukunft sehr positiv und man liebäugelt mit der         diesen Voraussetzungen die Teilnahme an der Champi-
Champions League, jenem Sonderturnier, das zusätz-          ons League außer Frage steht und sogar eine Platzierung
lich zur normalem Meisterschaft die wirklich großen         unter den besten vier in Reichweite liegt. Entsprechend
Summen in die Kassen spülen soll. Man ist zwar mit          motiviert startet er in seine neue Verantwortung.
der derzeitigen Tabellenplatzierung, etwa in der ­Mitte
des Feldes, nicht zufrieden, sieht aber aktuell nicht das
große Problem. Das Geschäftsmodell von Hope ist breit
differenziert. ­Einerseits hat man Einnahmen durch die
Eintrittsgelder und durch Siegprämien, andererseits
sind da noch die Geschäftsbereiche Merchandising und
Catering. Natürlich werden die größten Einnahmen bei
den Heimspielen erzielt, aber da die Merchandising-
produkte auch über Internet vertrieben wurden, ist das
Geschäft auch hier auf eine breitere Basis gestellt. Mit
dem Spezialwissen über Catering bei den Turnieren und
mit der vorhandenen Infrastruktur bestehen auch Chan-
cen, ins Cateringgeschäft einzusteigen. Ebenso haben
die Eigentümer die Idee, unmittelbar angrenzend an das
Schachstadion ein Hotel zu errichten. Darüber hinaus
gibt es Pläne für eine Schach-Erlebniswelt. Eine Erleb-
niswelt für die ganze Familie, mit vielen Möglichkeiten
der Interaktion.

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derzeitige Platzierung auf Erfolgen der Vergangenheit
                                                             beruht. Dies hat nicht nur negativen Einfluss auf das
                                                             Budget für die Siegprämien, sondern aufgrund der sin-
                                                             kenden Zuschaueranzahl auch auf das gesamte Geschäft
                                                             mit Catering und Merchandising. Die Mannschaft ist
Es ist zum Verzweifeln …                                     dem Abstieg in die untere Spielklasse näher als dem er-
                                                             hofften Aufstieg in die Champions League. Zusätzlich
                                                             erschüttert ihn der Umstand, dass anscheinend Umsät-
Carl ist verzweifelt. Er sitzt in seinem Büro und versucht   ze im Merchandising-Bereich vorgezogen wurden, um
zu begreifen und zu analysieren, in welche Situation er      den letztjährigen Jahresabschluss zu schönen. Man hatte
geraten ist. Dabei hatte noch vor einigen Monaten alles      bei einem Deal mit einer externen Merchandisingfirma,
so gut für ihn ausgesehen. Gleich nach der Übernahme         die Fanartikel von mehreren Mannschaften im Angebot
der neuen Verantwortung hatte er zahlreiche Einzelge-        führte, fast ein Viertel des Jahresumsatzes fakturiert.
spräche mit seiner Führungscrew wie auch mit den Bauern         Zusätzlich wurden Lieferantenrechnungen für den
geführt. Er ließ sich alle Geschäftsbereiche präsentieren    Cateringbereich in das heurige Jahr hineingeschoben,
und versuchte die Zusammenhänge und auch die Details         obwohl die Lieferungen schon im letzten Jahr erfolgten.
besser zu verstehen. Sein persönliches Resümee ist er-       Dieser Deal hatte einen hohen Preis, da deutlich schlech-
schreckend. Vor allem deshalb, weil die Eigentümer ihm       tere Einkaufskonditionen als gewöhnlich akzeptiert wur-
die Situation doch deutlich anders dargestellt hatten und    den. Raffaella hatte alles so hingedreht, dass für sie und
auch seine Analyse, noch als Außenstehender, bei Weitem      ihre Mannschaft 100 % der vereinbarten Prämie fällig
nicht so dramatisch ausgefallen war. Nun quält ihn die       wurden. Für Carl bedeutet das schlicht, dass das Budget
Frage, ob die Eigentümer eine verkläre Sicht der Sach-       für das laufende Jahr, für sein erstes Jahr in dieser Verant-
lage haben oder primär durch grenzenlosen Optimismus         wortung, vollkommen illusorisch ist. Die Umsätze und
geprägt sind. Daran, dass Raffaella, seine Vorgängerin als   Erträge sind ebenso wie die Spielergebnisse weit entfernt
König, und eventuell sogar seine Führungscrew die Fak-       von den erhofften Zielen.
ten beschönigt haben, wagt er nicht zu denken. Dennoch          Die Gespräche mit den Bauern waren ebenso ernüch-
mehren sich die Indizien, dass dies der Fall sein könnte.    ternd. Carl spürt überhaupt keinen Spirit in der Mann-
   Die Analyse der Spielresultate hat ergeben, dass ten-     schaft. Man hat das Gefühl, sie würden jederzeit für eine
denziell in letzter Zeit Partien verloren wurden und die     andere Mannschaft spielen, würde man ihnen dort ein

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bisschen mehr bezahlen. Da Wechseln derzeit nicht so
einfach ist, spielen sie eben für Hope. Carl hat auch her-
ausgefiltert, dass den Bauern die Spielstrategie überhaupt
nicht klar ist; es wird einfach bestmöglich gespielt. Sie
haben auch keinen Überblick über die Gesamtsituation
der Mannschaft. Carl hat in ­einer Studie gelesen, dass
sich, über alle Mannschaften gesehen, 88 % der Bauern
in ihren Mannschaften fremd fühlen, 70 % machen
Dienst nach Vorschrift und 18 % haben innerlich gekün-
digt. Für Carl waren diese Zahlen bis jetzt völlig absurd
und unglaubwürdig, aber nun hat er den Eindruck, dass
seine Mannschaft Hope den Durchschnitt gut repräsen-
tiert. Die Gespräche mit den Bauern haben Carl auch          Jahren die Umsätze und Erträge so hingedreht, dass die
klargemacht, dass er ein massives Problem mit seinen         Ziele erreicht wurden und die Boni damit gesichert wa-
Führungskräften hat. Denn aus einer anderen Studie           ren. Dimitrova sagte, dass man sich beim ersten Mal nicht
weiß er, dass Bauern bei guter Führung um bis zu 30 %        besonders gut fühlt, dieser Zustand aber nach ­einigen
mehr leisten können.                                         Malen zur neuen Normalität wird und man sich nichts
   Carl hatte einen Termin mit Dimitrova, der Dame,          mehr dabei denkt. Und noch eine Erkenntnis hat Carl aus
vereinbart, um die Situation zu besprechen. Sie ist nicht    dem Gespräch mitgenommen. Seine Vorgängerin hatte
nur im Spiel sein wichtigster Partner, sondern mit ihrer     einen patriarchalischen Führungsstil gepflegt und hatte
Verantwortung über die Finanzen auch sein wichtigster        viel von dem, was Carl so schockierte, angeordnet. Es war
Gesprächspartner außerhalb des Schachbretts. Als er die      ganz klar: Entweder man befolgt die Anweisungen oder
diversen Ungereimtheiten und die teilweise Intranspa-        man fliegt. Die verschiedenen persönlichen Abhängig-
renz von Daten ansprach, führte das eher zu aggressi-        keiten der Führungscrew vom Job hatte sie sich zunutze
ven Rechtfertigungen und arroganten Bemerkungen              gemacht und ein strenges Regime geführt. Dieser Stil,
als zu einer Klärung. Carl ist immer wieder überrascht,      Management by Fear, funktioniert doch einige Zeit recht
wie Schachfiguren mit steigender Frequenz von unrech-        gut. Mit Zwang, Druck und autoritärer Strenge mögen
ten Taten das Unrechtsempfinden offenbar verlieren.          sich kurzfristig Erfolge erzielen lassen. Irgendwann führt
­Raffaella und Dimitrova haben offensichtlich schon seit     die geforderte Unterordnung jedoch zu lähmender Angst

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oder zu Rebellion. Beides blockiert, und die Leistungs-      in den Sand gesetzt wurden, ohne wirklich substanziell
kurve flacht unweigerlich ab.                                etwas aufzubauen. Wäre man die Sache gleich mit realis-
   Die Mannschaft war anfangs spielerisch und kommer-        tischen Zielsetzungen und realistischer Einschätzung des
ziell durchaus erfolgreich, doch leider nie Spitzenklasse.   erforderlichen Zeitbedarfs angegangen, wären auf jeden
Und nun droht der totale Absturz. Carl ist punkto Füh-       Fall die Resultate besser.
rungsstil weder ein Freund des autokratischen noch des zu       Ein bekannter Trainer definierte Führung als Leistung
kooperativen Stils. Seine Auffassung von guter Führung       durch Zeit. Führungsstile lassen sich also danach beurtei-
ist zusammengefasst: Team mit Spitze und nicht Team als      len, welche Auswirkungen sie auf den Leistungswillen
Spitze. Vor allem ist es die Verantwortung von Führungs-     der Mitarbeiter haben. Eine unternehmerische Vision
kräften, die Kultur einer Firma mit ihren Kernwerten vor-    ist eine ambitionierte Zielvorstellung, die die Menschen
zuleben. Ein Chef sagt „Go“, eine gute Führungskraft sagt    fasziniert und anspornt. Wer sie glaubhaft verkörpert,
„Let’s go“. Mitarbeiter über faszinierende Ziele zu moti-    gewinnt das Charisma, das man außergewöhnlichen Per-
vieren mag anfänglich mühsamer sein, zahlt sich jedoch       sönlichkeiten nachsagt.
auf die ­Dauer aus. Der Erfolg stellt sich meist erst mit       Doch bei der Vielzahl seiner Probleme weiß Carl noch
der Zeit ein, ist dann aber auch nachhaltiger. Natürlich     gar nicht, wer sein Team sein soll. Wem kann er ver­
ist immer die Frage, wie viel Zeit die Eigentümer dem        trauen? Wer aus seinem Team verfügt über die Fähig­
Management geben, um die Ziele zu erreichen. Carls           keiten, Fertigkeiten und über die Grundwerte, die Carl
Überzeugung ist, dass man vollkommen überschätzt, was man    zur Umsetzung seiner Strategie benötigt? Wie passt, los-
in einem Jahr erreichen kann, und vollkommen unterschätzt,   gelöst von der fachlichen Kompetenz, seine Führungs-
was man auf einen längeren Zeitraum erreichen kann. Natür-   crew zusammen?
lich widerspricht dies einem Quartals- und kurzfristigen        Eines ist Carl klar: Er hat nicht viel Zeit. ­Weder in der
Erfolgsdenken, aber manche Situationen sind nicht durch      Vorbereitung seiner Strategie noch dann bei der Um-
Knopfdruck zu reparieren. Auch wenn es die Kapitalgeber      setzung. Einerseits muss er den Eigentümern möglichst
gerne so hätten. Carl hat viele Mannschaften beobachtet,     rasch einen fundierten Überblick aus seiner Sicht geben
deren Eigentümer, motiviert durch Erfolge in diversen        und andererseits gleichzeitig einen Plan präsentieren,
Branchen, glaubten, ihr persönliches Erfolgskonzept der      wie er ­Hope aus dieser bedrohlichen Situation herausma-
Führung auch einem Schachclub überstülpen zu können.         növrieren wird. Die individuellen Persönlichkeitseigen­
Erfolg? Leider Fehlanzeige. Und das ungeliebte Resultat      schaften und deren Zusammenspiel sind von zentraler
waren dann beträchtliche Investitionen, die über Jahre       Bedeutung für einen erfolgreichen Turn­around. Ist das

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Führungsteam in der Zusammensetzung eher von gleicher        ­ ypen eine Mischung in sich vereint. Aber dennoch gibt
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Persönlichkeitsstruktur geprägt, hat das zwar den Vorteil    es eindeutige Ausprägungen, und dies möchte er versu-
der Geschwindigkeit, gleichzeitig aber auch den Nachteil,    chen herauszufinden und für seine optimale Team-Zu-
dass man wenig andere Sichtweisen vom Team bekommt.          sammenstellung nutzen. Eine persönliche Analyse ­jedes
Im Gegensatz dazu liegt, wenn das Führungsteam aus pri-      Mitglieds des Führungsteams wäre natürlich viel besser,
mär konträren Typen besteht, das Problem darin, dass         aber im Moment hat Carl keine Alternative. Denn in die-
man zu viel Zeit und Energie für das Ausgleichen von         ser heiklen Phase, in der noch kein gegenseitiges Vertrau-
Konflikten benötigt.                                         en und keine Beziehungen zueinander aufgebaut sind,
   Carl beschließt, nach seiner persönlichen Einschätzung    würde eine von ihm vorgeschlagene Persönlichkeits­
Persönlichkeitsprofile für sein Führungsteam zu erstellen.   analyse bei jeder seiner Führungskräfte gewiss zu einer
Er hat schon früher mit einer sehr einfachen Struktur        groben Verunsicherung führen.
gearbeitet, die im Wesentlichen vier Persönlichkeitstypen
unterscheidet. Da gibt es den Typ des Enthu­siasten, der
vor Ideen und Initiativen sprudelt, meist vor Ego strotzt,     Spielsituation: Wurde Carl bewusst getäuscht oder
aber meist hochemotional handelt und schlecht zuhören          wussten es die Eigentümer auch nicht besser? Die

kann. Der Analytiker steht diesen Eigen­schaften mit den       ­Resultate der Mannschaft punkto Spielergebnisse und
                                                               die Umsätze im gesamten Geschäft mit Catering und
seinen konträr gegenüber. Er ist eher verschlossen und
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kühl, stellt viele Fragen und läuft Gefahr, sich in De-
                                                               men. Jahresergebnisse sind vermutlich „geschönt“.
tails zu verlieren. Der dritte Typ ist der Supporter, der      Ein Abstieg in die untere Spielklasse ist wahrscheinlicher
durch seine freundliche und tolerante Art auffällt. Dieser     als das Erreichen der ersehnten Champions League.
Typ legt Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre und ver-         Nächster Zug: Einzelgespräche mit den Führungs­
fügt über großes Einfühlungsvermögen. Dem diametral            figuren und weitere Analysen.
gegenüber ist der Charakter des Praktikers. Dieser Typ
ist eher dominant, versucht seine eigenen Vorstellungen
durchzubringen und legt großen Wert auf gute Vorberei-
tung und Pünktlichkeit.
   Es ist Carl zwar klar, dass seine persönliche Einschät-
zung, basierend auf dieser Methode, viele Unsicherheits-
faktoren birgt, zumal jeder Spieler natürlich von allen

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