Bilderwelten FORUM HISTORISCHE SCHÄTZE - Bibliotheksforum Bayern
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
FORUM HISTORISCHE SCHÄTZE Bilderwelten Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit – drei Ausstellungen der Bayerischen Staatsbibliothek Von Claudia Fabian Das Ausstellungsjahr 2016 steht ganz im Zeichen der Glaube“ in Neuburg an der Donau, passen ebenfalls in die- deutschen Buchmalerei des Spätmittelalters und der frü- ses zeitliche und thematische Umfeld, so dass die explo- hen Neuzeit, von 1400 bis etwa 1530. Damit betritt die dierende Fülle deutscher Buchmalerei vor mehr als 500 Bayerische Staatsbibliothek trotz ihrer langen und vielfäl- Jahren im Jahr 2016 wahrlich umfassend zur Geltung ge- tigen Ausstellungstradition einmal mehr und gleich in vie- bracht werden kann. Zwei einschlägige, hochrangige wis- lerlei Hinsicht Neuland. Diesen Aspekt, den Aufbruch zu senschaftliche Symposien, eins in Wien im Januar, ein Neuem, spiegelt wiederum die Ausstellung selbst in ihren zweites in München im September mit dem korrelierenden Themen und der Auswahl der Exponate. Titel „Bilderwelten erschließen“ anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Projekts „Katalog der deutschen illustrierten Handschriften des Mittelalters (KdiH)“ der Bayerischen Neue Wege im Ausstellungsgeschehen Akademie der Wissenschaften, versprechen eine Synthese und fachliche Zukunftsorientierung. Zum ersten Mal steht die deutsche Buchmalerei einer Epoche im Fokus einer Ausstellung und bleibt damit nicht, Die Ausstellung läutet auch eine neue Ära in der Ausstel- wie bislang, allein Gegenstand wissenschaftlicher Katalo- lungspräsentation der Bayerischen Staatsbibliothek ein: ge. Die bislang allein für objektadäquate Darbietung hochran- giger und sensibler Stücke ausgestattete „Schatzkammer“ Zum ersten Mal wurde eine Ausstellung von externen konnte durch Erschließung des benachbarten Raums ver- Kunsthistorikern, Prof. Dr. Jeffrey F. Hamburger und Prof. doppelt werden. Die erweiterte Ausstellungsfläche erlaubt Dr. Robert Suckale sowie Dr. Gude Suckale-Redlefsen, nun eine bessere, großzügigere Darbietung und zugleich nicht nur angeregt, son- die Begegnung mit mehr Ludwig von Eyb d. J. zum dern mitkonzipiert und be- Büchern aus dem so über- Hartenstein: Turnierbuch, gleitet, wie ihre Beiträge im reichen Bestand der Baye- Süddeutschland um 1525 Katalogband zeigen. Zum rischen Staatsbibliothek. (Cgm 961), Bl. 14r: Kolben- ersten Mal bestimmt ein Durch eine einladende, mu- turnier Thema nicht nur eine drei- seale Gestaltung richtet monatige Ausstellung, son- sich die Ausstellung dezi- dern ein ganzes Jahr mit diert an die breite Öffent- drei Ausstellungszeiten. lichkeit, die mit hineinge- Zum ersten Mal ist diese nommen werden soll in die zentrale Ausstellung der faszinierenden Bilderwel- Bayerischen Staatsbiblio- ten des 15. und frühen 16. thek so intensiv mit ande- Jahrhunderts. ren Ausstellungen zu dem gleichen Thema, zehn so Sind weitere Nova über- genannten Satelitenaus- haupt zu erwähnen? Viel- stellungen in Deutschland, leicht doch: Es ist sicher die Österreich und der Schweiz, Ausstellung der letzten und der ihr zeitlich voran- Jahrzehnte, die mit Ab- gehenden, ebenfalls zen- stand den längsten Vorlauf tralen Ausstellung in der hatte. Die Idee wurde im Österreichischen National- Jahr 2008 geboren, sie war bibliothek in Wien ver- so gut, dass sie über alle knüpft. Weitere Ausstellun- Wandlungen der Konzepte gen, vor allem „Kunst und und Räume hinweg bis 90 | 9 1
heute trägt. Dem langen Zeitraum verdanken wir die hochwertige Digitalisierung (fast) aller hun- dert Exponate durch das Münchener Digitalisie- rungszentrum. So können nahezu alle hier ge- zeigten Handschriften und Drucke im Internet betrachtet und vor allem durchblättert und eine virtuelle Ausstellung gestaltet werden. Das Insti- tut für Bestandserhaltung und Restaurierung konnte alle Handschriften auf etwaige Schäden in der Malschicht prüfen, und, wo nötig, festigen und restaurieren. Die intensive Beschäftigung mit den Originalen verschaffte einen besseren Überblick über die in unserem Bestand vorhan- denen, vielfältigen, hochrangigen, bedeutsa- men Bilderwelten, deren vollständige, systema- tische wissenschaftliche Aufbereitung immer wieder an der schieren Fülle zu scheitern droht. Die für die Präsentation entscheidenden Schritte konnten aber erst in den letzten zwei Jahren getan werden, als endlich feststand, wo die Ausstellung stattfindet und dass sie sich auf den Bestand Der erste Ausstellungszeitraum versammelt im ersten Albrecht: Jüngerer Titurel, der Bayerischen Staatsbibliothek konzentriert. Nun galt es, Raum als Einstimmung die bedeutendsten Highlights im Südtirol? um 1430 die Objekte und ihre Bilderwelten so auszuwählen, zu ord- Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek, gruppiert um (Cgm 8470), Bl. 3r: nen und zu organisieren, dass sie dem Betrachter eine Bot- eines der frühesten und prachtvollsten der hier gezeigten Der Kalif von Bagdad und schaft, einen Ein- und Überblick vermitteln und die Räume Stücke, den astrologischen Codex des Königs Wenzel. Im seine Frau empfangen den angenehm und sinnvoll füllen. Und natürlich war der reich zweiten Raum werden goldglänzende für die Liturgie ge- (knienden) Helden Tschiona- illustrierte, prachtvoll gestaltete Katalogband, der im Ver- schaffene Bücher gezeigt. Das Plakatmotiv – ein auf einem tulander lag Quaternio Luzern erscheint, mit seinen 257 Seiten zu Schimmel galoppierender Ritter und ein in seiner Studier- verfassen. stube versunkener Gelehrter, ein Schreiber – stammt aus der einzigen reich illustrierten deutschen Belial-Hand- schrift. Das Bild, das auch Flyer und Katalogband be- Was erwartet den Ausstellungsbesucher nun stimmt, wird einem der wichtigsten Künstler des deut- 2016: schen Spätmittelalters zugeschrieben, dem leider anonym gebliebenen Hausbuchmeister. Es stimmt ein in die Welt In drei Zeiträumen werden unter dem umfassenden Titel des Spätmittelalters, die Zeit der letzten Ritter und die Zeit „Bilderwelten – Buchmalerei zwischen Mittelalter und des Aufbruchs. Neuzeit“ drei Teilausstellungen gezeigt: Unter dem Vorzeichen „Ewiges und Irdisches“ werden im zweiten Ausstellungszeitraum die bilderreichsten, ganz Luxusbücher vom 13. April bis 15. Juli, charakteristischen Bücher dieser Zeit gezeigt: private Ge- Ewiges und Irdisches vom 25. Juli bis 6. November, bet- und Andachtsbücher, Chroniken, Rechtsbücher, vor Aufbruch zu neuen Ufern vom 14. November 2016 bis allem aber auch Fecht-, Kriegs- und Wappenbücher. Das 24. Februar 2017 Plakatmotiv erinnert mit der Darstellung des auf einem Drachen reitenden Neids mit Bienenkorb als Helmzier auch BIBLIOTHEKSFORUM BAYERN 10 | 2016
FORUM HISTORISCHE SCHÄTZE Jakob von Theramo: Belial, an die Alterität dieser Jahr- Anregungen und Im- Umgebung Speyer 1461 hunderte und macht gleich- pulse für die Besucher (Cgm 48), Bl. 36v: Der Teufel zeitig neugierig auf ihre Bil- Belial erhält von Salomo ein der. Die Ausstellung bietet Protokoll des bisherigen vielfältige Einblicke in die Prozessverlaufs Der letzte Ausstellungs- Kunst der Buchmalerei, und zeitraum rückt das Neue in das ist ihr zentrales, wissen- den Vordergrund: Neues in schaftliches Anliegen: Es der Wissenschaft und Para- geht um die Bilder, die Bil- wissenschaft mit medizini- derwelten. Diese sind je- schen, astrologischen, as- doch nicht loszulösen von tronomischen Werken, in dem kulturellen Kontext, der Wahrnehmung der Welt von Zeitgeschichte, Politik, mit der Entdeckung Ameri- Wissenschafts-, Literatur- kas, in der Kunst mit den und Mediengeschichte. Die großen Namen Dürer und Bilderwelten erschließen Holbein, im Medienwandel, dem Übergang von der Hand- eine Zeit und Kultur, die der unseren in vielerlei Hinsicht schrift zum Buchdruck, Neues sogar in dem Buch der Bü- nicht unähnlich ist. Sie erzählen von Gott und den Men- cher, das die Kultur Europas geprägt hat wie kein anderes: schen, von Tradition und Innovation, vom Wissen und Ex- der Bibel. perimentieren, von Identität, Individualität, Selbstbe- wusstsein, Reichtum, Aufstieg, Aufbrüchen, Neuentde- Ein Raum zum Thema Bibelillustration erweist dem Re- ckungen, Reformen, vom Medienwandel und der macht- formationsjubiläum im Jahr 2017 die Reverenz und reicht vollen, schon hier auch zu Werbe- und Propagandazwe- mit seinen Exponaten aus der Zeit Karls des Großen bis zur cken dienenden Präsenz der Bilder. Lutherbibel. Die Fülle der Bilder spiegelt die Fülle des Lebens. Sie zei- Das Ende der Ausstellungstrilogie prägt ein Höhepunkt gen unterschiedliche Themen, unterschiedliche Qualität, wie ein Paukenschlag: Das Gebetbuch Maximilians I. – ei- unterschiedliche Technik. Die Individualität der Künstler nes jener identitätsstiftenden Kernstücke der Bayerischen bildet sich in dieser Zeit heraus, jene berühmten Namen, Staatsbibliothek – wird erstmals wieder mit seinem Ge- die uns allen bekannt sind, beenden die Zeit der Notnamen schwisterband, der in der Bibliothèque municipale in Be- und Anonymi. Große – uns wohl vertraute – bayerische sançon aufbewahrt wird, gemeinsam gezeigt: eine Zusam- Städte werden als Zentren der Buchmalerei bedeutsam: menführung der seit Jahrhunderten getrennten, ehemals Augsburg, Regensburg, Nürnberg. Die politische Entwick- zusammengehörigen Originale, die aufgrund der Fragilität lung wird deutlich: Herrscher sind Auftraggeber und Mä- und des Wertes der beiden Stücke wohl unwiederbringlich, zene von König Wenzel zu Kaiser Maximilian I. Wie immer, auf jeden Fall aber als „Jahrhundertereignis“ zu werten ist. wenn es um das Mittelalter geht, sind religiöse Bilder zu Albrecht Dürer, Lucas Cranach d. Ä., Hans Baldung, Al- sehen: mitunter Zeugnisse einer heute nicht mehr be- brecht Altdorfer, Hans Burgkmair: Alle zusammen versa- kannten und kaum noch nachvollziehbaren Frömmigkeit, hen das persönliche Gebetbuch des letzten Ritters mit ih- aber auch sehr gelehrter Theologie, Bilder fabulöser Welt- ren zarten Randzeichnungen und schufen so die „Ikone“ deutung und zeitloser, christlicher Heilsgeschichte. der deutschen Zeichenkunst der Renaissance, die fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Einfangen lassen sollte sich der Besucher auch von der materiellen Vielfalt der Exponate. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf Handschriften auf Pergament, aber auch auf Papier, das seit dem 14. Jahrhundert immer häufiger ver- 92 | 9 3
wendet wird. Der Be- tung förderte diese auf- Jakob von Theramo: Belial, schreibstoff steht mit Wer- wendige Restaurierung ge- Umgebung Speyer 1461 tigkeit, Ausführung der nauso wie den Ausstel- (Cgm 48), Bl. 1v: Herzog Lud- Buchmalerei, und der lungskatalog – für beides wig I. von Pfalz-Zweibrü- Schrift in enger Beziehung. ist herzlich zu danken. cken, Auftraggeber der Neben der Buchmalerei ist Handschrift) und ein Gelehr- auf die Texte und die Der Bilderreichtum ver- ter, der Autor des Belial, in Schrift zu achten, die nicht bindet unsere Zeiten. Die einer spätmittelalterlichen nur von der Herstellung, Digitalisierung und Präsen- Studierstube sondern auch von den in- tation im Internet erschlie- tendierten Adressaten ßen die Bilderwelten über Zeugnis ablegen. Neben die Ausstellungszeiten hi- Handschriften finden wir naus für jeden. Sie bieten früheste Zeugnisse der neben der reinen Wieder- Druckkunst, Inkunabeln, gabe hervorragende Mög- aber auch Blockbücher, und lichkeiten, Details, Einzel- natürlich gedruckte Einzelblätter, Holzschnitte und Kup- heiten, bislang Verborgenes, dem bloßen Auge sich nicht ferstiche. Gerade die Interaktion von verschiedenen Erschließendes hervorzuholen. Gerade der fokussierte Drucktechniken mit Handschrift und Buchmalerei ist Blick auf Details lässt uns erahnen, wie viel die Bilder uns spannend. Wichtig sind auch die den Exponaten beigege- noch verraten können, lehrt uns aber auch das genaue benen Beschreibungen, die die Gestaltung des gesamten Hinsehen, Betrachten und Annähern. Werks erkennen lässt: Es ist ein Unterschied, ob ein oder zwei Bilder ein Werk schmücken oder ob es durchgängig Die Ausstellung bietet nun ein Jahr lang die Gelegenheit, reich bebildert ist, ob es sich um ganzseitige Abbildungen den besonderen Wert der Begegnung mit dem Original oder textbegleitenden Buchschmuck handelt, ob die Illus- neu zu erkennen, zu schätzen und zu genießen. Kommen tration zum sorgfältig definierten Programm des Werks Sie oft und zahlreich! gehört oder später hinzugefügt wurde. Und natürlich ist es aufschlussreich, die verschiedenen Illustrationstechni- Information ken zu betrachten: Gold, Wasserfarben, Federzeichnungen, Tusche, Kolorierung von Drucken, Vorzeichnungen, Maler- Öffnungszeiten: 13.04. – 15.07.2016, anweisungen etc. 25.07. – 06.11.2016, 14.11.2016 – 24.02.2017 Montag – Freitag 10-17 Uhr, Donnerstag 10-20 Uhr Schließlich stellt jede Ausstellung zum Mittelalter auch Jeder erste Sonntag im Monat 13-17 Uhr eine Verbindung zur Gegenwart her. Zu betrachten ist, wie An Feiertagen geschlossen, Öffentliche Führungen sich diese Dokumente erhalten haben, manche prachtvoll, donnerstags um 16:30 Uhr, Jeden ersten Sonntag im wie neu strahlend, manche benutzt, manche meist durch Monat um 14 Uhr, Katalog zur Ausstellung: 29,80 Euro Bildrechte: Bayerische Staatsbibliothek intensiven Gebrauch sehr geschädigt. Im Vorfeld der Aus- (Ausstellungsausgabe) stellung wurde das Goldene Büchlein, aus dem infolge ei- nes Tintenschadens Buchstaben, Worte, ja Teile von Zeilen DIE AUTORIN: herauspurzelten, gefestigt, ja zum Dr. Claudia Fabian ist Leiterin der Abteilung Teil mit kriminalistischem Spür- Handschriften und Alte Drucke der Bayerischen sinn neu zusammengesetzt. Es ist Staatsbibliothek. ein Privileg, es in dieser Ausstel- lung im Original sehen zu können. Die Ernst von Siemens Kunststif- BIBLIOTHEKSFORUM BAYERN 10 | 2016
Sie können auch lesen