(lovestory) SUPERMAN Numero 23 Prod.

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(lovestory) SUPERMAN Numero 23 Prod.
(lovestory) SUPERMAN                              Numero 23 Prod.

Zum zwölften Mal pilgerten auch im Oktober 2005 wieder Schauspielgruppen aus ganz Europa
nach Potsdam, um beim UNIDRAM-Festival einen Teil ihres Repertoires zum Besten zu geben.
Nachdem die italienische Inszenierung Donne in Tempo di Guerra (nach Die Troerinnen von
Euripides) das Eröffnungsstück des diesjährigen Theaterfestivals darstellte und eher mahnende
Anti-Kriegst-Intentionen enthielt, lud das
Schweizer Ensemble Numero 23 Prod. unter
der Leitung des Italieners Massimo Furlan zu
einem sehr humoristisch    heiteren Bildtheater
ein.
In (lovestory) SUPERMAN werden
Videoanimationen, musikalische, performative
und theatralische Elemente so eingesetzt und
miteinander verknüpft, dass der Rezipient für
fünfundsiebzig Minuten die Realität verlässt
und in einen Kosmos der Imagination und
Fiktion eintaucht, wo er von comichaft
anmutenden Bildern und komisch-grotesken
Ereignissen unterhalten wird.
Auf ironische Weise werden hier vermeintliche Supermänner zu Antihelden und das
Imponiergehabe einer immer-jung-bleiben-wollenden Generation wird auf die Schippe genommen
und belächelt.

Superman trifft Superweib

Gespannt starrt das Publikum auf die dunkle Bühne, ohne zu wissen, was es erwartet. Schließlich
wird von einem Donner begleitet eine blonde Frau im weißen Feenkostüm beleuchtet, die zwischen
ihren beiden Gehilfinnen schwebend ein Weltkugel in ihren Händen hält. Der Rest der Bühne bleibt
schwarz und so beginnt der Rezipient, sich auf eine intergalaktische Weltallkulisse einzustellen, die
fernab von jeglicher profaner Realität liegt. Die völlig in weiß gekleidete Blondine und ihre beiden
brünetten Gehilfinnen in nixenähnlichen Gewändern vermitteln ein aktualisiertes Bild einer
begehrten Adligen, die stets von ihren Zofen umsorgt und bedient wird, was schon oft in Dramen
der Klassik ein beliebtes Motiv war, erinnert man sich dazu beispielsweise an die schöne Lady
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Milford aus Schillers Kabale und Liebe.
                                                  Während die beiden Zofen nun strickend im
                                                  Dunkel sitzen, haben sechs Supermänner in zu
                                                  großen blauen Liebestöter-Overalls mit roten
                                                  Umhängen eine Panne mit ihrem tollen
                                                  schwarzen Combi, mit dem sie sich sicherlich
                                                  Erfolg bei den Frauen versprochen hatten. Nun
                                                  qualmt der Motor und die Angeber-Rundfahrt
                                                  muss wohl verschoben werden.
                                                  Nach und nach verlassen die cool-sein-
wollenden aber lächerlich aussehenden Möchtegern-Helden die Bühne. Bis auf einen, der lässig an
das Auto gelehnt ein Sandwich isst und plötzlich die schöne Blondine erblickt, die mit der Erdkugel
in den Händen in der Mitte der Bühne auftaucht.

Beide starren sich lange an und bereits jetzt wird dem Zuschauer bewusst, was da vor sich geht.
Der Antiheld in Strumpfhosen verliebt sich in die kosmische Schönheit und man kann sich
vorstellen, dass die Werbung um diese weder einfach, noch elegant sein wird und der Spaß ist
vorprogrammiert.
Das Desaster beginnt direkt, als der Superman, immernoch lasziv an das Auto gelehnt, sich der
Schönen gerne nähern will, was jedoch durch seinen Umhang, der in der Autotür eingeklemmt ist,
verhindert wird. Die hübsche Blondine will ihn befreien und öffnet die Tür doch der Enthusiasmus,
den das Testosteron dem Jüngling in die Adern getrieben haben muss, treibt ihn nicht zu seinem
Objekt der Begierde, sondern in großen Stolperschritten von der Bühne, womit er sich seine erste
Chance bei der Fee vermasselt. Der Konflikt ist gesetzt und wie die Supermänner nun versuchen
werden, die schöne Blonde zu erobern, wird eine Aneinanderreihung von Missgeschicken und
Peinlichkeiten, mit der sich der Zuschauer trotz der Verfremdung in der Darstellung sicherlich das
ein oder andere Mal identifizieren kann.

                                                  Und die sollen die Welt retten?
                                                  Das nächste Bild erinnert an eine Mischung aus
                                                  biblischer Schaffensgeschichte alias Adam und
                                                  Eva, Frankensteins Erfindung eines neuen
                                                  Menschen und The Rocky Horror Picture Show.
                                                  Die sechs Supermänner präsentieren sich im
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Standbild mit verschränkten Armen in einer Reihe, während ein Filmdialog eingespielt wird, in
welchem der Schöpfer dieser neuen Spezies seine neuste Erfindung zu beschreiben scheint.

  Er wird anders, schnell, unverwundbar, isoliert, allein (...)

Er schickt seinen Sprössling und dessen Klone in die weite Welt und
erteilt ihm die Aufgabe, das Leben der Menschen zu verändern.
Das Licht geht aus und einer der Supermänner wird wieder sichtbar.
Er steht steif mit ausgebreiteten Armen und auf jeder Hand steht ein
kleiner Mann und für einen Moment Glaubt der Zuschauer an
Zauberei. Die kosmische Atmosphäre des Stückes wird nun noch
authentischer. Man begreift, dass diese neue Spezies tatsächlich etwas
Sonderbares und Neues ist und man versucht herauszufinden, wie die
Umsetzung dieser optischen Täuschung möglich ist.

                                           Im folgenden Bild sind wieder die drei weiblichen
                                           Figuren präsent, die auf einem roten Polster sitzen und
                                           der Zuschauer beobachtet sie dabei, wie die beiden
                                           Zofen ihrer Herrin Schlittschuhe anziehen. Diese Szene
                                           stellt auch den Anfang des superman'schen Handelns und
                                           dessen Werbung um die Schöne dar, als alle sechs in
                                           einer Reihe ins Bild marschiert kommen und sich mit
den Armen in die Hüften gestützt vor ihrem Objekt der Begierde drapieren. Wieder bleibt das Bild
für einige Sekunden stehen, bis die Männer sich plötzlich gegenseitig an den Umhängen halten
und sich zu einer Polonäse formieren, in der sie zu heiterer Musik über die Bühne tanzen.
Die Polonäse endet in einem Ringelreihen und löst sich auf, als alle Männer mit ausgebreiteten
Armen wie Flugzeuge durch den Raum laufen.
Abschluss dieses sehr infantilen Tanzes bildet eine
Pyramide, mit der sich die Kinder im Manne Eindruck
bei den drei Frauen zu verschaffen hoffen, welche
jedoch völlig unbeeindruckt bleiben und diese ganze
Choreografie wohl alles andere als aufreizent und
anziehend, viel mehr aber lächerlich und kindisch
finden.
Nachdem die Jungs reflektieren, dass sie mit dieser Tanzeinlage nichts erreichen konnten,
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versuchen sie es als Rockstars und formieren sich mit Gitarren und Schlagzeug zu einer Band, mit
der sie einen qualitativ nicht zu verachtenden Rock-Song zum Besten geben, was der Blondine aber
leider auch nicht zuzusagen scheint. Sie verlässt mit ihren Gehilfinnen die Bühne und die Band
spielt einfach weiter. Nach Ende des Liedes wird das Equipment nach und nach abgebaut und dem
Drummer, der einfach nicht aufhören will, zu spielen, wird das Schlagzeug im wahrsten Sinne des
Wortes unter den Händen weggetragen.
Die musikalische Leistung der sonst so untalentiert wirkenden Antihelden wird vom Publikum mit
tobendem Applaus belohnt.

Nichts als heiße Luft

Was nun folgt, könnte man schon beinahe als romantischen Kitsch deklarieren, wäre da nicht die
Gewissheit darüber, dass der Regisseur Massimo Furlan und seine Gruppe Numero 23 Prod. in
dieser Inszenierung mehr mit Ironie als mit Ernsthaftigkeit spielen und damit die heutige
Generation karikieren.
Währen der schwarzlockige Superheld mit einer Rose in der Hand im Vordergrund steht und
womöglich auf seine Verabredung wartet, schleicht sich von hinten die schöne Blonde auf
Schlittschuhen an und man hat nun auch das Gefühl, dass sie doch große Sympathien für den
Macho hegt. Nicht zuletzt wird das dadurch annehmbar, dass eine eingespielte Frauenstimme,
begleitet von sanften Harfenklängen, ein Liebesgeständnis formuliert.
                             Weißt du, wie du mich verwandelt hast?
                                                                   Die feenartige Frau spricht dabei
                                                                   nicht selbst und deswegen weiß
                                                                   der Zuschauer in dem Moment
                                                                   nicht genau, ob sie diese
                                                                   romantischen Worte nur denkt
                                                                   oder ob das Einspielen der
                                                                   Stimme nur eine moderne und
                                                                   abstrakte Alternative zum
                                                                   wirklichen Sprechen im Theater
                                                                   darstellt. Erstere Variante scheint
                                                                   dabei noch am schlüssigsten,
wenn man die Reaktion des Antihelden zu Rate zieht. Während die Schöne also von der Aura dieser
sanften Klänge und zarten Worte umsponnen ist und der Zuschauer hofft, gleich Zeuge eines
filmreifen Kusses zu werden, bleibt diese romantische Atmosphäre vom Superman gänzlich
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unbemerkt. Er glaubt sich allein und rechnet nicht damit, dass er gleich wieder die Situation
vermiesen wird. Denn alles, was er außer rumzustehen und zu warten noch tut, ist laut zu furzen,
was die Fee dazu bringt, die Bühne zu verlassen und ein Happy End bleibt vorerst wieder im
Verborgenen.
Durch Aus- und-wieder-Einschalten des Lichtes wird ein neues Bild eingeleitet, in welchem alle
sechs Supermänner im Kreis stehend die schöne Blonde umrahmen. Diese wird von den Jungs aus
ihrem wallenden Gewand geschält, welches nun als riesige Leinwand fungiert. Bisher waren die
Jungs in rot-blau nur Akteure, doch jetzt agieren die Originale als Zuschauer, die sich selbst in
Form von verkleinerten videoanimierten Männlein, die auf der Leinwand sichtbar werden,
beobachten. Das Publikum und auch die Original-Supermänner werden nun Zeugen eines
verblüffend echt wirkenden Lichspieles, das zeigt, wie die intergalaktischen Antihelden kreuz und
quer über die Leinwand fliegen. Dabei bleibt natürlich die ein oder andere Panne nicht aus und es
gibt wieder reichlich zu staunen und zu schmunzeln.

Eine Art Einschub kündigt den Inhalt des nächsten Bildes an. Dabei werden die beiden brünetten
Zofen sichtbar, wie sie ein Buch lesen und es plötzlich zuschlagen. Mit diesem Schlag erlischt das
Licht und die Musik verstummt. Im entferntesten Sinne ist diese kurze Szene mit einem Chor zu
vergleichen, der im aristotelischen und besonders im antiken Drama oftmals eine Vorankündigung
der folgenden Handlung preisgibt und das Publikum auf den Handlungsverlauf vorbereitet.
In diesem Falle kann man das Buch als Symbol für die Bildergeschichte deuten, die hier gezeigt
wird und das Zuschlagen des Buches deutet auf ein Ende hin, das womöglich kein glückliches sein
wird.
Nach einer Dunkelphase wird plötzlich ein dicker Mann im gelben Superman-Dress sichtbar,
welcher sich weder bewegt, noch Laute von sich gibt. Es werden nun Standbilder
aneinandergereiht, die jeweils durch Dunkelphasen voneinander getrennt werden, keinerlei
                                             Geräusche hervorbringen, ohne jegliche Bewegung
                                             sind, sondern nur durch Körperhaltungen der Figuren
                                             und Kompositionen ihrer selbst Aussagen treffen. Diese
                                             Abfolge von Bildern erinnert stark an einen Comic und
                                             wird vom Zuschauer wieder für in diesem Rahmen und
                                             Zeitraum nahezu unmöglich realisierbar gehalten und er
                                             glaubt wieder kurz an Zauberei.
                                             In diesem Comic wird erzählt, wie der dicke gelbe
                                             Fiesling nach und nach alle sechs Möchtegern-
                                             Superhelden zu Boden kämpft und ihnen einfach
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körperlich überlegen ist. Im Anschluss an dieses Comic-Szenario folgt nun eine etwas mehr
bewegte Szene, in der erneut das schwer zu vereinende Liebespaar agiert.
Die blonde Fee hängt wie eine Marionette an Seilen von der Decke herab und will zu ihrem
Liebsten. Von einer Liebesballade begleitet breitet auch er seine Arme nach ihr aus und will sie
befreien. Doch sie wird scheinbar von einer fremden Macht nach oben von ihm weggezogen und
schwebt ins Unsichtbare. Sie ist für ihn unerreichbar und der Verliebte lässt traurig den Kopf
hängen.
Nun schließt sich wieder ein Comicbild an. Der
Superman liegt reglos am Boden und neben ihm
stehen die beiden Zofen. In einem weiteren Bild
sitzt der gelbe Bösewicht auf der am Boden
liegenden Blondine und der Zuschauer beginnt nun
zu überlegen, in wie weit der böse Gelbe am
Scheitern der Liebesgeschichte beteiligt ist und ob
die beiden Brünetten noch eine weitere Rolle
spielen, als nur die Zofen der Blondine.

Kurz vor Ende beweisen die Akteure noch einmal ihr musikalisches Talent. Während die beiden
Zofen tröstend um den Superman stehen, bauen dessen Klone im Hintergrund einen Hocker, ein
Mikrofon und ein Klavier auf. Begleitet von letzterem singt ein auf dem Hocker sitzender Schmuse-
Macho ein italienisches Liebeslied, was vielleicht das Ende der eigentlichen lovestory formuliert
aber sicherlich für den Großteil des Publikums unverständlich bleibt.
Im allerletzten Bild des Stückes stehen die sechs Halbscharken in halber Größe auf der Bühne und
präsentieren sich ein letztes Mal in ihren zu großen Anzügen. Die beiden Brünetten kommen auf sie
zu und berühren nach und nach jeden der verkleinerten Männer mit ihren Zauberstäben. Daraufhin
beginnen die Kleinen, sich blitzschnell um die eigene Achse zu drehen und ihr Kostüm zu
wechseln. Aus den unattraktiven Antihelden in schlabberigen Overalls werden zunächst Kerle in
Unterhosen und letztendlich Machos in bunten Hawaii-Outfits, die stark an Urlaub erinnern.
Nachdem alle Antihelden in mehr oder weniger profane Beachboys verwandelt sind, gehen Licht
und Musik aus und der Zuschauer rätselt wieder, wie diese Magie möglich war.
Die Antwort darauf folgt, wenn das Licht ein letztes Mal angeht und die Pappständer sichtbar
werden, die auf den Positionen der eben beobachteten Supermänner stehen und die Lichtprojektion
ermöglichten. Zögernd und verwirrt akzeptiert das Publikum nach und nach, dass das wohl das
Ende ist und spendet aufgrund dieser Verwirrung leider nur dürftigen Applaus, obwohl die Gruppe
eher schallendes Geklatsche und Gepfeife verdient hätte.
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(lovestory)SUPERMAN         innovative Konvention vs. Postdramatik

Mit dem sehr innovativen und modernen Stück (lovestory)SUPERMAN liefert Massimo Furlan
mit Numero 23 prod. ein Paradebeispiel postdramatischen Theaters, das dennoch unkonventionell
auf dramatische Traditionen zurückgreift, wenn man beispielsweise die beiden Brünetten
tatsächlich als Zofen mit chorähnlicher Funktion interpretiert und den Dramenverlauf an sich
analysiert. Dabei findet man Anhaltspunkte, die mit dem klassischen Dramenverlauf nach
Aristoteles übereinstimmen.
Die Exposition bilden hierbei die ersten beiden Bilder, in denen alle Figuren vorgestellt werden. Es
folgt das erregende Moment, wenn dem Zuschauer klar wird, dass sich der tollpatschige Superman
in die graziöse Blondine verliebt und der Handlungsaufbau erfolgt durch die zahlreichen Versuche
von Seiten der Männer, die Gunst der schönen Fee zu erlangen. Den Höhepunkt erreicht das Drama,
als sich Superman und seine Angebetete gegenüberstehen und das Happy End nicht mehr all zu fern
zu liegen scheint. Die Handling fällt jedoch ab indem der gelbe Bösewicht einen Superman nach
dem Anderen ausschaltet und die Chance auf ein glückliches Ende immer geringer wird. Das
retardierende Moment ist in der Szene zu erkennen, in der die Fee und der Superman die Arme
nacheinander ausstrecken und sich beinahe doch noch binden können. Doch die Katastrophe folgt
schon bald, als der Held regungslos am Boden liegt und der gelbe Fiesling auch noch die Fee
vernichtet hat, wodurch die glückliche Liebe verhindert und die Handlung an sich beendet wird.

Obwohl dieser klassische Handlungsablauf erkennbar wird, verwendet Massimo Furlan in der
Dramaturgie auch sehr innovative und postdramatisch anmutende Elemente. Ein sehr prägnantes
Merkmal in der heutigen Theaterlandschaft ist, dass Handlungsinhalte oftmals nicht mehr klar und
deutlich ausgesprochen und -gespielt, sondern häufig nur noch angedeutet oder stark abstrahiert
dargestellt werden. In dem hier beschriebenem Stück äußert sich das beispielsweise dadurch, dass
die heutige Generation von intergalaktischen Antihelden in Strumpfhosen dargestellt wird. Auch
die Art und Weise, wie der Regisseur den Handlungsverlauf drastellt und zum Teil auch nur
andeutet, gleicht dem postdramatischen Prinzip. Beispielsweise wird durch den bildtheatralischen
Charakter, der besonders gegen Ende des Stückes mit dem Auftreten des gelben Bösewichtes
immer prägnanter wird, die Handlung oftmals nicht voll ausgespielt, sondern durch fehlende
Bewegung und die Aneinanderreihung von Standbildern nur angedeutet. Dies hat den Effekt, dass
der Rezipient nachdenken und interpretieren muss, wenn er einen schlüssigen Handlungsverlauf
erkennen will. Während des gesamten Stückes stellt sich der Zuschauer Fragen wie:
   Wieso wird eine Person von sechs verschiedenen Darstellern und Figuren gespielt?
Welche genaue Rolle spielen die Brünetten?
   Wieso verliebt sich die blonde Fee plötzlich doch in den Helden in Strumpfhosen?
   Wieso muss diese Liebe scheitern?
   In welcher Beziehung stehen die blonde Fee und der Bösewicht?
   Wieso will der Bösewicht die Supermänner vernichten?
   Wie genau lässt sich das Ende deuten?

Ein weiterer Aspekt, der diesen Effekt hervorruft, ist das nahezu gänzliche Fehlen der Sprache.
Währen im klassischen Theater das Medium Sprache am stärksten zur Vermittlung von Handlung
und Inhalt dient, wird im postdramaitschen Theater und auch in der uns vorliegenden Inszenierung
jegliche Hierarchie von Sprache, Bewegung und Bildern missachtet, wodurch dieses Stück auch
einen sehr collageartigen Charakter annimmt.
Im Mittelpunkt steht hier die visuelle Dramaturgie und die Situation an sich, die fast ausschließlich
durch Körperlichkeit erzeugt wird. Stimmen und Texte werden nur in Form von Tonbändern
eingespielt und vorwiegend auch nur an solchen Stellen, wo sie kaum nötig sind, weil man die
Aussage der Bilder in dem Moment als deutlich genug empfindet, wie es beispielsweise bei der
Liebeserklärung der Fee an den Superman durch eine Tonbandstimme der Fall ist. Obwohl jedes
dramaturgische Mittel als gleichgewichtig zu sehen ist und die semantischen Gehalte nicht aus dem
Stück wegzudenken sind, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der performative Charakter des
Stückes eindeutig überwiegt. Die Geschichte wird hier vorwiegend durch aussagekräftige
Standbilder, stumme und bewegte Bilder und auch durch musikalische und tänzerische
Performances erzählt, die aufgrund ihrer straken Aussagefähigkeit auch kaum der Semantik
bedürfen.
Was die bloße Performance in (lovestory)SUPERMAN jedoch sehr unterstreicht und für die
Inszenierung unabdingbar ist, sind die akustischen Mittel, die nahezu das komplette Stück
untermalen und in jeder Situation eine angemessene Atmosphäre erzeugen. So ist beispielsweise
das kosmische Klirren zu Beginn des Stückes nicht wegzudenken, weil dieses stark dazu beiträgt,
dass sich das Publikum auf diese galaktische Kulisse, die übrigens relativ minimalistisch
ausgestattet ist, einlässt. Desweiteren nimmt die Musik in Form von Songs die Rolle von Dialogen
ein, auf die in der Inszenierung verzichtet wird. Oft werden Lieder in die sonst stummen Szenen
eingespielt, die das aussagen, was normalerweise durch gesprochene Worte ausgedrückt werden
würde. Erinnern wir uns dabei an den Rocksong der Superman-Band, die ein Liebesgeständnis
darstellt, an das Liebeslied, als sich die Fee an ihren Helden heranschleicht oder an den
italienischen Chanson am Ende des Stückes.
Stark verbunden werden die akkustischen Elemente auch mit dem Lichtspiel. Jedes einzelne Bild
wird durch völlige Dunkelheit vom nächsten abgetrennt, wodurch der montageartige Charakter der
Inszenierung entsteht. Durch die Tatsache, dass nahezu alle dieser Dunkelphasen durch
verschiedene Arten von Geräuschen (Grollen, Donner, Klirren, Knattern,...) überbrückt werden,
trägt dazu bei, dass eine Einheit der einzelnen Bilder entsteht und die Atmosphäre über die visuellen
Brüche hinweg bestehen bleibt.
Diese galaktische und weltfremde Atmosphäre kommt auch nicht zuletzt durch das fantastische
Spiel mit Videoanimationen zustande, wodurch der Zuschauer selbst magisch verzaubert wird.
Diese technische Illusionierung, die die gerade noch lebensgroßen Figuren plötzlich als fliegende
Miniaturen sichtbar macht, verleiht dem Schauspiel noch stärker ein surreales Flair und der
Rezipient verliert sich in Utopien, Fiktionen und Kindheitsträumen und vergisst für eine Weile die
Realität.
Auch das Gefühl für Zeit wird beim Rezipienten während dieser Inszenierung durch das Spiel mit
der Dichte der Zeichen leicht beeinträchtigt. Der Zuschauer beobachtet einen ständigen Wechsel
zwischen überladenen Sequenzen, in denen gleichzeitig Bewegung, Musik und eine
verhältnismäßig große Ansammlung von Requisiten und Personen enthalten sind und ruhigeren
Bildern, die teilweise völlig frei von all dem ist, wie es beispielsweise in der Bildabfolge mit dem
gelben Bösewicht der Fall ist. Oftmals betrachtet der Zuschauer sekundenlang ein Bild, das sich
nicht verändert und wird allmählich ungeduldig, während er im nächsten Moment von Reizen nur
so überhäuft wird und befürchtet, nicht alles wahrnehmen zu können, was im postdramatischen
Zeitalter häufig so gehandhabt wird.

Durch all diese mehr oder weniger neuartigen Stilmittel und das Ausschalten sämtlicher
traditioneller Gesetzmäßigkeiten wird der Denkprozess des Zuschauers auch in diesem sonst so
banal wirkenden und komischen Schauspiel eingebunden und die Bühne ist keineswegs nur als
Schaukasten zu verstehen.
Der Regisseur hat in dieser Inszenierung durch sein Spiel mit der Zeichendichte, der starken
Abstrahierung mancher Situationen und nicht zuletzt durch die rätselhaften Lichtanimationen
Verwirrung beim Rezipienten ausgelöst und den surrealen Flair der Kulisse noch verstärkt. Vor
allem durch genau diese kosmische und unwirkliche, rätselhafte Atmosphäre fiel es einem Großteil
des Publikums schwer, das plötzliche Ende, das durch die Aufklärung des Animationsrätsels
dargestellt wurde, als solches zu akzeptieren. Genau diese profane Erklärung für das Rätsel und
nicht ein klares Ende der Geschichte war es, was den Zuschauer ruckartig in die Wirklichkeit
zurück gerissen hat, ohne Klarheit darüber zu haben, ob das Stück auch wirklich zu Ende ist.
Mit Bildern, die an Kindheitsträume erinnern,
                                         belächelt Massimo Furlan eine Generation des
                                         Größenwahnsinns, des Imponiergehabes und des
                                         Glaubens daran, die Welt verbessern zu können.
                                         Superman und seine Klone sind die Männer der
                                         Neuzeit, die versuchen zu zeigen, was sie gern
                                         wären aber letztendlich nur das zeigen können,
                                         was sie sind. Das Kind im Manne, jemand, der an
                                         zu großen Aufgaben scheitert. Und jemand, der
                                         auch nichts anderes können muss, als das, was er
                                         kann, um das Herz einer Frau zu gewinnen. Und
                                         wahrscheinlich sind genau die menschlichen
Eigenschaften, die hier karikiert werden, auch die, die einen liebenswürdigen Menschen
ausmachen, ohne dass er ein Superman sein muss.

                                                                      Kathleen Schumann
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