EINGEKNICKT UND DURCHGEMOGELT - Den Schweigemarsch stoppen!
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EINGEKNICKT UND DURCHGEMOGELT ERNEUTER VERRAT AN DEN INTERESSEN DER BETROFFENEN STELLUNGNAHME VON PRO CHOICE SACHSEN ZUM SOGENANNTEN CDU/CSU/SPD-„KOMPROMISSPAPIER“ (Vorschlag der Bundesregierung zur „Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen“)
Worum geht‘s? für Beteiligte ein, sondern auch das Recht, sich eine Ärztin frei zu wählen. Konkret Im November 2017 wurde die Gießener bedeutet das z.B., dass die Möglichkeit Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel zu verwehrt wird, sich einen Arzt auszusu- einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. chen, von dem man über seine Website Die knappe Bemerkung auf ihrer Web- erfahren hat, dass sie diesen Eingriff nicht seite, dass sie Informationen zu Schwan- zum ersten Mal vornimmt, sondern Rou- gerschaftsabbrüchen per Email zugänglich tine im Prozedere hat. § 219a StGB stellt macht, wurde als Werbung nach § 219a also nicht nur „Werbung“ für Schwan- StGB gewertet. gerschaftsabbrüche unter Strafe, er er- Bis heute ist der Schwangerschaftsab- schwert im erheblichen Maße Schwan- bruch nicht wie alle anderen gesundheit- geren den freien Zugang zu sachlichen lichen Angebote im Recht der medizini- Informationen über die konkreten Mög- schen Dienstleistungen geregelt, sondern lichkeiten eines Abbruchs. Der Gesetzes- im Strafgesetzbuch im Abschnitt “Strafta- text stellt nicht nur das Recht am eigenen ten gegen das Leben”. Es ist derselbe Ab- Körper, sondern auch das Recht auf freie schnitt, in dem Mord und Totschlag sank- Ärzt*innenwahl in Frage. tioniert sind. Zusätzlich zum eigentlichen Abtreibungs- verbot des § 218 entstand §219a zur Zeit Breite Proteste für die der Weimarer Republik und wurde nach Entkriminalisierung der Machtübernahme der Nationalsozia- In einer Online-Petition2 erklärten sich listen 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch 150.000 Menschen solidarisch mit Hänel aufgenommen. In der aktuellen Fassung Auchv or dem Bundestag, dem Landgericht verbietet er unter anderem, „seines Ver- in Gießen und in anderen Städten gab mögensvorteils wegen oder in grob anstößi- es feministische Solidaritätsaktionen. ger Weise eigene oder fremde Dienste zur Sie kritisierten die Prozesse gegen Vornahme oder Förderung eines Schwanger- Hänel und andere Ärzt*innen, forderten schaftsabbruchs […] zu bewerben.“ die Streichung des § 219a StGB und Absurderweise dürfen Ärzt*innen zwar ein explizites Informationsrecht zum Beratungsstellen darüber informie- Schwangerschaftsabbruch. Auch die ren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche „Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und durchführen, nicht aber die betroffenen Familienmedizin“ forderte die politischen Personen. Entscheidungsträger auf, „dafür zu sorgen, In Hinblick auf die Straflosigkeit des le- dass die sachliche Information über die galen Schwangerschaftsabbruchs1 ist der Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche § 219a StGB umso überholter, schränkt durchgeführt werden, nicht mehr strafbewehrt er doch nicht nur das Informationsrecht ist“. 1 Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218StGB grundsätzlich rechtswidrig. Er bleibt aber auf Grundlage der sogenannten Beratungsregelung unter bestimmten Bedingungen straffrei. Außerdem ist ein Schwangerschaftsabbruch auf Grundlage einer medizinischen oder einer kriminologischen Indikation mög- lich. Dann ist er nicht rechtswidrig 2 https://www.change.org/p/kristinah%C3%A4nel-informationsrecht-f%C3%BCr-frauen-zum- schwangerschaftsabbruch-219a-behindert-das
Das Verfahren gegen Hänel ist beispielhaft rung zu unterstützen und die vorhandene für die Situation von ungewollt Schwan- parlamentarische Mehrheit für die längst geren sowie Ärzt*innen in Deutschland. überfällige Umsetzung der Forderungen Diese droht sich vor dem Hintergrund von Mediziner*innen, Betroffenen und Be- rechtspopulistischer und reaktionärer ratungsstellen zu nutzen. Dies wäre auch Dammbrüche weiter zu verschlechtern, ohne Gefährdung der Koalition möglich obwohl eine gesellschaftliche Mehrheit gewesen, wie andere Kontroversen in der für die Entkriminalisierung3 besteht. Die Vergangenheit belegen. Beteiligten sind dabei stets konfrontiert Stattdessen versprach die SPD, bis zum mit stigmatisierender Tabuisierung, vor Herbst 2018 mit CDU und CSU einen allem aber mit Strafandrohung. Die „LIN- „tragfähigen Kompromiss“ vorzustellen KE“ konnte im Gesetzesentwurf zur und ließ die Abstimmung vertagen. Schon Streichung des § 219a StGB beispielswei- im Februar wurde an diesem Kuhhandel se den Anstieg der Verfahrenszahlen zum breite Kritik geübt. Inwiefern ein Kom- Werbungsverbot in den Jahren 2015/2016 promiss mit den gerade in dieser Frage nachweisen. Angetrieben vom rechten stark von von christlich-fundamentalisti- Mob scheint die Schwelle zur denunzie- schen Lobbygruppen beeinflussten Frak- renden Anzeige immer weiter abzuneh- tionen der rechtskonservativen Parteien men. einfacher zu finden und gesellschaftlich tragfähiger sein soll, als eine von LINKE Der Weg zum „Kompromiss- über Grüne und FDP bis SPD getragene Gesetzesänderung – eine Antwort auf papier“ diese Frage bleibt die SPD-Führung bis Am 22. Februar wurde der § 219a StGB heute schuldig. schließlich im Bundestag4 debattiert. Grü- Die Befürchtungen wurden leider vollum- ne, Linke und FDP legten ihre eigenen Ge- fänglich bestätigt. Statt im Herbst 2018 setzesentwürfe zur Änderung bzw. Strei- eine Lösung für den Missbrauch des §219a chung des Strafrechtsparagraphen vor. Ein zur Einschüchterung von Ärzt*innen vor- Gesetzesentwurf der SPD, der eigentlich zulegen, wurde erst in der Vorweihnachts- die Streichung des Paragraphen zur For- zeit das sogenannte „Kompromisspapier“ derung hatte, wurde – entgegen eindeu- vorgelegt. tigen Beschlüssen der Partei – wieder Als verhöhnendes Ergebnis der fast einjähri- zurückgezogen. gen Beratungspause wurde am 12.12.2018 Die SPD-Führung verriet damit nicht nur ein Fünf-Punkte-Vorschlag zur „Verbes- erneut ihre politischen Standpunkte um serung der Information und Versorgung ihre rechten Koalitionspartnerinnen nicht in Schwangerschaftskonfliktlagen“5 der zu verärgern, sondern fiel damit auch lang- Bundesregierung (Katarina Barley (SPD), jährigen Kämpfen einer breiten feministi- Franziska Giffey (SPD), Jens Spahn (CDU) schen Bewegung in den Rücken, statt die Helge Braun (CDU) und Horst Seehofer greifbar nahe, progressive Gesetzesände- (CSU)) vorgelegt. Dieser trägt deutlich 3 https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/gesellschaft/2018/12/08/nur-16-prozent-der- deutschen-gegen-abtreibung/ 4 http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19014.pdf 5 http://docs.dpaq.de/14284-219a_erkla_rungend.pdf
die Handschrift von Verlogenheit und dem ausgeblendet. Stattdessen werden Prä- Druck christlicher Fundamentalist*innen ventionsmaßnahmen gegen ungewollte und rechter Hardliner. Der Vorschlag än- Schwangerschaften im selben Atemzug dert nichts zum Besseren, aber in ihm genannt wie der „Schutz des ungebore- manifestieren sich viele Probleme. Anfang nen Lebens“. 2019 soll der zugehörige Gesetzesent- Schon in der Begriffsverwendung zeigt wurf beschlossen werden. sich exemplarisch der Einfluss der oben erwähnten Lobbygruppen: das Label „Le- Die Kritikpunkte am bensschutz“ wird als Pflaster für grundle- gende ethische Fragestellungen verkauft. “Kompromiss” Leider hat sich erneut bestätigt, dass damit Wir können der als „Kompromiss“ ver- nicht der Zugang zu Verhütung, eine kin- kauften Mogelpackung nichts derfreundliche Gesellschaft, die Gleichbe- abgewinnen und verurteilen diese eindeu- rechtigung der Geschlechter, der Kampf tig und umfassend. In Bezugnahme auf die gegen sexualisierte Gewalt oder der von der Bundesregierung dargelegten fünf Zugang zu sicheren Schwangerschaftsab- Eckpunkte wollen wir unsere Kritik nach- brüchen gemeint ist. Auch der Verweis auf folgend näher ausführen. hohe Abbruchraten wird ohne Kontext in den Raum gestellt, eine Betrachtung der zeitlichen Entwicklung oder Vergleichs- 1. „Lebensschutz“ ohne Kontext werte mit anderen Ländern fehlt. Im euro- „Frauen, die ungewollt schwanger werden, brauchen Hil- päischen Vergleich ordnet sich Deutsch- fe und Unterstützung. Die Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten sowie der Schutz des land eher im Mittelfeld ein, die Zahlen der ungeborenen Lebens sind unsere gemeinsamen Anliegen. Schwangerschaftsabbrüche sind rückläu- Deshalb haben wir in Deutschland ein Verfahren etab- fig. In den meisten Ländern ist das Infor- liert, das auf Prävention, Aufklärung, Beratung und Hilfe mationsrecht von Ärzt*innen außerdem setzt. Damit haben wir bereits viel erreicht. Dennoch ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor selbstverständlicher Standard. Ein Blick hoch. Deshalb wollen wir die konkreten Maßnahmen über den nationalen Tellerrand wäre nicht zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften und zur nur an dieser Stelle durchaus gewinnbrin- Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten sowie zum gend gewesen. Unserer Einschätzung nach Schutz des ungeborenen Lebens auf der Grundlage des bestehenden Rechts weiter ausbauen.“ wurde dieser bewusst vermieden, wo- möglich um der Auseinandersetzung mit Schon fast beschämend erweist sich die Fakten zu entgehen. Entkontextualisierung, die dem ersten Punkt des Vorschlag innewohnt. Dass der ausschlaggebende Punkt zur 2. Altbekannte Aufklärungsfürsorge Diskussion über einen Paragraphen, der „Neben der Beratung in den Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz sind heute Informa- schon fast in Vergessenheit geriet, die in tionen und Bewertungen unterschiedlichster Qualität die breite Öffentlichkeit getragene Verur- auch über das Internet breit verfügbar. Angesichts der teilung von Kristina Hänel ist, wird nicht Sensibilität des Themas ist es nach unserer Auffassung einmal erwähnt. Das Recht auf reproduk- geboten, dass neutrale, medizinisch und rechtlich quali- tätsgesicherte Informationen auch von Seiten staatlicher tive Selbstbestimmung, das durch § 219a oder staatlich beauftragter Stellen zur Verfügung stehen. StGB eingeschränkt wird, wird komplett Diesen Informationsauftrag wollen wir gesetzlich veran- kern.“
Die Verbesserung der generellen Informa- gebraucht, das hätten Ulla Schmidt (SPD, tionslage anzustreben ist ein ehrenhaftes Gesundheitsministerin 2005-2009) oder Ziel. Allerdings ist diese Aufgabe bereits die ihr nachfolgenden FDP-Minister Rös- im Schwangerschaftskonfliktgesetz gere- ler und Bahr längst in die Wege leiten kön- gelt und in die Hände von staatlich beauf- nen. Nun unter Jens Spahn (CDU) wird tragten Akteur*innen wie der BzgA und diese längst überfällige Maßnahme als hart Beratungsstellen wie Pro Familia gelegt. erkämpftes Zugeständnis verkauft – was Wir fordern, dass Informationen, die bei erneut die Farce entlarvt, das Papier der der persönlichen Entscheidung eine Rol- Bundesregierung zum „Kompromiss“ zu le spielen können – sowohl für als auch verklären. gegen einen Schwangerschaftsabbruch – Das ersetzt aber nicht, dass auch an allen relevanten Stellen zur Verfügung Ärzt*innen von sich aus Auskunft über die stehen. Und dazu gehören eben auch von ihnen durchgeführten medizinischen Gynäkolog*innen. Andernfalls werden Leistungen erteilen können sollten. Schwangere bereits bei der Entschei- Salut rechtes, antifeministisches Denunzi- dungsfindung behindert und bestraft. Man- ationsklima, das Ärzt*innen an den Pran- che fühlt sich in dieser Entscheidungssitu- ger stellt. Werden diese Ärzt*innen unter ation elend und unsicher. Dass Betroffene diesen Bedingungen zur Bekanntgabe ih- dann immer noch nicht auf Aufklärungs- rer Leistungen einwilligen? Wir müssen fürsorge durch ihre Ärzt*innen hoffen das leider bezweifeln. können, weil diese Gefahr laufen, dafür in den Fokus der Strafverfolgung zu geraten, Adieu modernes Zeitalter. Entsprechende ist ein unhaltbarer Zustand. Informationen flächendeckend, lückenlos und aktuell zu vermitteln, sollte in Zeiten von Telefon, Internet und Datenbanken ei- 3. Kontaktanzeigen statt moderner gentlich kein Hexenwerk sein. Informationsquellen Die geplante Liste des BzgA wird außer „Frauen, die sich letztlich für einen Schwangerschafts- abbruch entschieden haben, sollen einen Arzt oder eine Kontaktadressen keine aussagekräftigen medizinische Einrichtung finden können, in der sie den Informationen bieten. Keine Methoden, Eingriff vornehmen lassen können. Deshalb wollen wir keine Haltung – nichts, was das Recht auf die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für ge- gute Information und freie Ärzt*innenwahl sundheitliche Aufklärung mit der Aufgabe betrauen, für Betroffene entsprechende Kontaktinformationen zur Ver- gewährleisten würde. Der einfachste Weg, fügung zu stellen, soweit die Ärztinnen und Ärzte sowie nämlich die Aktualität durch die Selbst- Krankenhäuser eingewilligt haben. Diesen Informations- auskunft der Ärzt*innen zu gewährleisten, auftrag wollen wir gesetzlich verankern.“ bleibt mit der vorgelegten Mogelpackung Soweit Ärztinnen und Ärzte sowie Kran- versperrt. kenhäuser eingewilligt haben, sollen BZgA und Bundesärztekammer konkre- te Kontaktinformationen für (ungewollt) Schwangere sammeln und zur Verfügung stellen. Diese Liste ist unbedingt sinn- voll, und angst überfällig. Dafür hätte es aber nicht erst ein Kompromisspapier
4. Werbung und Schwangerschafts- wären unfähig, eine verantwortungsbe- abbruch? wusste Entscheidung für oder gegen ein „Wir wollen mehr Rechtssicherheit für Ärztinnen und Kind zu treffen ist es erst recht. Dennoch Ärzte sowie Krankenhäuser schaffen, die Schwanger- soll diese Unterstellung in Gesetzesform schaftsabbrüche durchführen. Deshalb werden wir recht- weiter fröhliche Urständ feiern. lich ausformulieren, dass und wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren kön- An dieser Stelle wollen wir vergleichs- nen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen weise an den Versuch von Heiko Maas er- und auf Informationen der unter 2 genannten Stellen hinweisen dürfen. Werbung für einen Schwangerschafts- innern, 2016 ein Verbot von sexistischer abbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht geben. Werbung zu initiieren. In diesem Fall von Deshalb werden wir das Verbot der Werbung für den Reklamekritik wurde jedoch ganz anders Schwangerschaftsabbruch beibehalten.“ reagiert. Besonders aus CDU/CSU, aber Fallen „Schwangerschaftsabbruch“ und auch der FDP wurde laut der Vorwurf „Werbung“ im gleichen Satz, schaudert von Spießigkeit und Bevormundung ge- es die meisten Menschen wohl zunächst, äußert. Was muss man daraus schließen? zumindest führt diese Kombination zu Ir- Für Konservative scheint sich Werbung ritationen. Die Bundesregierung verbleibt in einer moralisch einwandfreien und beim kalkulierten Schauer, ohne die Irrita- einer verwerflichen Form zu manifestie- tionen aufzuklären. Denn prinzipiell ver- ren. Werbung darf offenbar problemlos bleibt in diesem Punkt alles beim Alten, sexistisch sein und Frauen zum Objekt dennoch wird der Stillstand als Verbesse- herabstufen – doch gnade uns Gott, falls rung angepriesen. irgendwo für reproduktive Rechte gewor- Wie auch bislang im § 219a Abs. 2 StGB ben wird! formuliert, können Beratungsstellen von Die so gegensätzlichen Reaktionen sind Ärzt*innen über ihre Verfahren informiert letzten Endes zwei Seiten der gleichen werden. Ärzt*innen wiederum können Medaille: Die Objektivierung des Frauen- weiterhin sanktioniert werden. “Werben” körpers samt dem dazugehörigen patriar- sie also für Abbrüche, droht eine zweijäh- chalen Frauenbild. rige Gefängnisstrafe. Gleichermaßen muss hier die Frage auf- Auch wenn längst überfällig, distanziert geworfen werden, welches Ärzt*innenbild sich die Bundesregierung hier immer vermittelt werden soll. Der Staatsanwalt noch nicht vom Begriff „Werbung“. Die- sprach im Prozess gegen Hänel von ei- ser suggeriert schlussendlich, Schwangere nem Wettbewerbsvorteil, sei sie doch die würden sich gegen ihre „eigentlichen In- einzige Ärzt*in der Region, die auf Abbrü- teressen“, wie die Ratten vom Hamelner che verwies und damit Einkommensvor- Rattenfänger, durch Werbung zum Ab- teile hätte. That wasn‘t her choice und bruch verführen lassen. entbehrt auch jedweder Logik: Welcher Unverhüllt tritt hier das dahinter stehen- „Konkurrenz“ gegenüber soll sie einen de paternalistische Weltbild zu Tage. Der Vorteil haben, wenn es sowieso keine Glaube, Menschen würden sich leichtfertig Alternativen für den Eingriff in der Nähe für oder gegen medizinische körperliche gibt? Eingriffe entscheiden, ist nicht nur zynisch Im „Kompromisspapier“ wird übrigens und absurd, sondern vor allem respektlos sorgfältig verschwiegen, dass der Schutz und weltfremd. Der Glaube, Schwangere vor anpreisender oder irreführender
Werbung im Hinblick auf Schwanger- Der letzte Punkt zeigt einmal mehr die schaftsabbrüche bereits wettbewerbs- Armut an Argumentationen des vorherr- rechtlich und in der ärztlichen Berufs- schenden gesetzgebenden Klimas. Die ordnungen ausreichend begründet ist.6 Idee einer Studie über die seelischen Fol- Warum? Weil es schlussendlich gar nicht gen eines Schwangerschaftsabbruchs zu ums „Werben“ geht, sondern um den implementieren ist ein Zugeständnis an staatlichen bzw. patriarchalen Zugriff auf Gegner*innen von reproduktiver Selbst- schwangere Körper und die Behinderung bestimmung und hat mit dem Ursprungs- der reproduktiven Selbstbestimmungs- kontext der Debatte – der Verurteilung rechte von Menschen. Von Menschen, die von Hänel – und dem Informationsrecht auf „praktizierende“ Ärzt*innen, wie Kris- zum Schwangerschaftsabbruch absolut tina Hänel mit all ihrer Courage, Durch- gar nichts zu tun. Hier wird auf das so- setzungswillen und „Prozessausdauer“ an- genannte „Post-Abortion-Syndrom“ an- gewiesen sind. Abtreibungsgegner*innen gespielt. Dieses postuliert ein erhöhtes nutzen dann den Paragrafen 219a, um Risiko einer psychischen Störung als Fol- diese Mediziner*innen, die sich an das ge- ge eines Schwangerschaftsabbruchs, was setzlich geregelte Prozedere des Schwan- allerdings längst als Mythos widerlegt gerschaftsabbruches auf Wunsch einer wurde. Dieser Mythos spielt radikalen Schwangeren halten, vor Gericht zu zer- Abtreibungsgegner*innen in die Hände, ren und handlungsunfähig zu machen. In die damit wissentlich Ängste schüren. Interviews7 geben sie selbst zu, dass es Eine Auflistung internationaler Studien8, ihnen nur um eines geht: den sogenannten die u.A. psychologische Folgen eines Ab- Kompromiss des § 218 StGB zu unterlau- bruches untersuchen (und widerlegen) fen und den legalen und sicheren Zugang gibt es zu Genüge. zu Schwangerschaftsabbrüchen zu behin- Vereinzelten zögerlichen Beifall erhält der dern. Da sie dafür keine gesellschaftliche Vorschlag dann doch, weil die Bundesre- Mehrheit finden, greifen sie zu Denunzia- gierung die Versorgungssituation und Aus- tion, Desinformation und Delegitimation. und Weiterbildung für Kliniken, Ärzt*innen und Beratungsstellen verbessern will. Das 5. Der Mythos vom Post-Abortion- Ende der Papaya-Lernmethoden9 bleibt zu Syndrom hoffen, und doch bleibt bislang unklar, wie „Die Qualität der medizinischen Versorgung von Frauen diese Absichtserklärung umgesetzt wer- muss auch im Falle von Schwangerschaftsabbrüchen ge- den soll. Fest steht: aufwiegen kann dieser währleistet sein. Deshalb wollen wir Maßnahmen ergrei- kleine Schritt vorwärts die ganzen ande- fen, die zu einer Fortentwicklung der Qualifizierung in ren Rückschritte allerdings nicht. diesem Bereich beitragen. Zudem wollen wir in einer wis- senschaftlichen Studie Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsab- brüchen gewinnen.„ 6 In § 3 Abs. 1 UWG heißt es: „Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.“ § 27 MBO-Ä untersagt Ärzten berufswidrige Werbung 7 http://www.taz.de/!5494752/ 8 http://abtreibung.at/fur-allgemein-interessierte/infos-und-erfahrungen/wie-geht-es-frauen-nach- einem-abbruch/ 9 http://www.taz.de/!5502618/
Fakt ist... Uns ist egal, ob die SPD sich auf unsere Seite schlägt oder weiter verzögert, taktiert und hinhält – doch sie sollte sich bald entscheiden, ob sie auf der Seite der Freiheit und der Zukunft stehen, oder wieder einmal als Verräterpartei in die Geschichtsbücher eingehen will. Dass ungewollte Schwangerschaften und der Umgang damit seit jeher zu weiblichen* Biografien gehören, wird sich auch unter einer von Kramp-Karrenbauer10 geführten Koalition nicht ändern. • Fakt ist, Schwangerschaften werden unterbrochen. Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich auch nicht durch Kriminalisierung abschaffen. • Fakt ist, man kann kann diese Unterbrechungen erschweren oder erleichtern. Man kann Schwangere in ihren Entscheidungen unterstützen, oder sie unterdrücken. • Fakt ist, der §219a widerspricht allen Grundsätzen von Informationsfreiheit, Selbst- bestimmung und freier Mediziner*innenwahl. Sachliche Informationen werden wei- terhin nicht in medizinisch ausreichender Form auf den Websites von Ärzt*innen erscheinen dürfen. • Fakt ist, Ärzt*innen können weiter kriminalisiert und sanktioniert werden, wenn sie ihrer Aufklärungspflicht nachkommen wollen. • Fakt ist, die vorgeschlagenen Maßnahmen werden weder die Situation von Ärzt*innen oder Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen noch die der ungewollt Schwangeren verbessern. • Fakt ist, die gesetzliche Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und unge- wollten Schwangerschaften bleibt bestehen. Reproduktive Rechte dem staatlichen Diktat zu unterwerfen soll offenbar weiterhin deutsche Tradition bleiben. Wir werden weiter mit aller Kraft dafür kämpfen, dass sich das endlich ändert! Gegen staatliche Bevormundung, religiösen Fundamentalismus und rechte Desinformationskampagnen – für Aufklärung und Selbstbestimmung. Feministisch, inklusiv – radikal und fest entschlossen! 10 https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarland/kramp-karrenbauer-gegen-werbung-fuer- abtreibung_aid-6975894
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