EINGEKNICKT UND DURCHGEMOGELT - Den Schweigemarsch stoppen!

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EINGEKNICKT UND
DURCHGEMOGELT
    ERNEUTER VERRAT AN DEN
  INTERESSEN DER BETROFFENEN

STELLUNGNAHME VON PRO CHOICE
  SACHSEN ZUM SOGENANNTEN
CDU/CSU/SPD-„KOMPROMISSPAPIER“

     (Vorschlag der Bundesregierung zur
„Verbesserung der Information und Versorgung
      in Schwangerschaftskonfliktlagen“)
Worum geht‘s?                                         für Beteiligte ein, sondern auch das Recht,
                                                      sich eine Ärztin frei zu wählen. Konkret
Im November 2017 wurde die Gießener
                                                      bedeutet das z.B., dass die Möglichkeit
Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel zu
                                                      verwehrt wird, sich einen Arzt auszusu-
einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt.
                                                      chen, von dem man über seine Website
Die knappe Bemerkung auf ihrer Web-
                                                      erfahren hat, dass sie diesen Eingriff nicht
seite, dass sie Informationen zu Schwan-
                                                      zum ersten Mal vornimmt, sondern Rou-
gerschaftsabbrüchen per Email zugänglich
                                                      tine im Prozedere hat. § 219a StGB stellt
macht, wurde als Werbung nach § 219a
                                                      also nicht nur „Werbung“ für Schwan-
StGB gewertet.
                                                      gerschaftsabbrüche unter Strafe, er er-
Bis heute ist der Schwangerschaftsab-                 schwert im erheblichen Maße Schwan-
bruch nicht wie alle anderen gesundheit-              geren den freien Zugang zu sachlichen
lichen Angebote im Recht der medizini-                Informationen über die konkreten Mög-
schen Dienstleistungen geregelt, sondern              lichkeiten eines Abbruchs. Der Gesetzes-
im Strafgesetzbuch im Abschnitt “Strafta-             text stellt nicht nur das Recht am eigenen
ten gegen das Leben”. Es ist derselbe Ab-             Körper, sondern auch das Recht auf freie
schnitt, in dem Mord und Totschlag sank-              Ärzt*innenwahl in Frage.
tioniert sind.
Zusätzlich zum eigentlichen Abtreibungs-
verbot des § 218 entstand §219a zur Zeit              Breite Proteste für                          die
der Weimarer Republik und wurde nach                  Entkriminalisierung
der Machtübernahme der Nationalsozia-                 In einer Online-Petition2 erklärten sich
listen 1933 in das Reichsstrafgesetzbuch              150.000 Menschen solidarisch mit Hänel
aufgenommen. In der aktuellen Fassung                 Auchv or dem Bundestag, dem Landgericht
verbietet er unter anderem, „seines Ver-              in Gießen und in anderen Städten gab
mögensvorteils wegen oder in grob anstößi-            es feministische Solidaritätsaktionen.
ger Weise eigene oder fremde Dienste zur              Sie kritisierten die Prozesse gegen
Vornahme oder Förderung eines Schwanger-              Hänel und andere Ärzt*innen, forderten
schaftsabbruchs […] zu bewerben.“                     die Streichung des § 219a StGB und
Absurderweise dürfen Ärzt*innen zwar                  ein explizites Informationsrecht zum
Beratungsstellen     darüber     informie-            Schwangerschaftsabbruch. Auch            die
ren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche                „Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und
durchführen, nicht aber die betroffenen               Familienmedizin“ forderte die politischen
Personen.                                             Entscheidungsträger auf, „dafür zu sorgen,
In Hinblick auf die Straflosigkeit des le-            dass die sachliche Information über die
galen Schwangerschaftsabbruchs1 ist der               Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche
§ 219a StGB umso überholter, schränkt                 durchgeführt werden, nicht mehr strafbewehrt
er doch nicht nur das Informationsrecht               ist“.

1           Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach § 218StGB grundsätzlich rechtswidrig. Er bleibt aber auf
Grundlage der sogenannten Beratungsregelung unter bestimmten Bedingungen straffrei. Außerdem ist ein
Schwangerschaftsabbruch auf Grundlage einer medizinischen oder einer kriminologischen Indikation mög-
lich. Dann ist er nicht rechtswidrig
2           https://www.change.org/p/kristinah%C3%A4nel-informationsrecht-f%C3%BCr-frauen-zum-
schwangerschaftsabbruch-219a-behindert-das
Das Verfahren gegen Hänel ist beispielhaft         rung zu unterstützen und die vorhandene
für die Situation von ungewollt Schwan-            parlamentarische Mehrheit für die längst
geren sowie Ärzt*innen in Deutschland.             überfällige Umsetzung der Forderungen
Diese droht sich vor dem Hintergrund               von Mediziner*innen, Betroffenen und Be-
rechtspopulistischer und reaktionärer              ratungsstellen zu nutzen. Dies wäre auch
Dammbrüche weiter zu verschlechtern,               ohne Gefährdung der Koalition möglich
obwohl eine gesellschaftliche Mehrheit             gewesen, wie andere Kontroversen in der
für die Entkriminalisierung3 besteht. Die          Vergangenheit belegen.
Beteiligten sind dabei stets konfrontiert          Stattdessen versprach die SPD, bis zum
mit stigmatisierender Tabuisierung, vor            Herbst 2018 mit CDU und CSU einen
allem aber mit Strafandrohung. Die „LIN-           „tragfähigen Kompromiss“ vorzustellen
KE“ konnte im Gesetzesentwurf zur                  und ließ die Abstimmung vertagen. Schon
Streichung des § 219a StGB beispielswei-           im Februar wurde an diesem Kuhhandel
se den Anstieg der Verfahrenszahlen zum            breite Kritik geübt. Inwiefern ein Kom-
Werbungsverbot in den Jahren 2015/2016             promiss mit den gerade in dieser Frage
nachweisen. Angetrieben vom rechten                stark von von christlich-fundamentalisti-
Mob scheint die Schwelle zur denunzie-             schen Lobbygruppen beeinflussten Frak-
renden Anzeige immer weiter abzuneh-               tionen der rechtskonservativen Parteien
men.                                               einfacher zu finden und gesellschaftlich
                                                   tragfähiger sein soll, als eine von LINKE
Der Weg zum „Kompromiss-                           über Grüne und FDP bis SPD getragene
                                                   Gesetzesänderung – eine Antwort auf
papier“                                            diese Frage bleibt die SPD-Führung bis
Am 22. Februar wurde der § 219a StGB               heute schuldig.
schließlich im Bundestag4 debattiert. Grü-         Die Befürchtungen wurden leider vollum-
ne, Linke und FDP legten ihre eigenen Ge-          fänglich bestätigt. Statt im Herbst 2018
setzesentwürfe zur Änderung bzw. Strei-            eine Lösung für den Missbrauch des §219a
chung des Strafrechtsparagraphen vor. Ein          zur Einschüchterung von Ärzt*innen vor-
Gesetzesentwurf der SPD, der eigentlich            zulegen, wurde erst in der Vorweihnachts-
die Streichung des Paragraphen zur For-            zeit das sogenannte „Kompromisspapier“
derung hatte, wurde – entgegen eindeu-             vorgelegt.
tigen Beschlüssen der Partei – wieder              Als verhöhnendes Ergebnis der fast einjähri-
zurückgezogen.                                     gen Beratungspause wurde am 12.12.2018
Die SPD-Führung verriet damit nicht nur            ein Fünf-Punkte-Vorschlag zur „Verbes-
erneut ihre politischen Standpunkte um             serung der Information und Versorgung
ihre rechten Koalitionspartnerinnen nicht          in Schwangerschaftskonfliktlagen“5 der
zu verärgern, sondern fiel damit auch lang-        Bundesregierung (Katarina Barley (SPD),
jährigen Kämpfen einer breiten feministi-          Franziska Giffey (SPD), Jens Spahn (CDU)
schen Bewegung in den Rücken, statt die            Helge Braun (CDU) und Horst Seehofer
greifbar nahe, progressive Gesetzesände-           (CSU)) vorgelegt. Dieser trägt deutlich
3         https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/gesellschaft/2018/12/08/nur-16-prozent-der-
deutschen-gegen-abtreibung/
4         http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19014.pdf
5         http://docs.dpaq.de/14284-219a_erkla_rungend.pdf
die Handschrift von Verlogenheit und dem                    ausgeblendet. Stattdessen werden Prä-
Druck christlicher Fundamentalist*innen                     ventionsmaßnahmen gegen ungewollte
und rechter Hardliner. Der Vorschlag än-                    Schwangerschaften im selben Atemzug
dert nichts zum Besseren, aber in ihm                       genannt wie der „Schutz des ungebore-
manifestieren sich viele Probleme. Anfang                   nen Lebens“.
2019 soll der zugehörige Gesetzesent-                       Schon in der Begriffsverwendung zeigt
wurf beschlossen werden.                                    sich exemplarisch der Einfluss der oben
                                                            erwähnten Lobbygruppen: das Label „Le-
Die Kritikpunkte am                                         bensschutz“ wird als Pflaster für grundle-
                                                            gende ethische Fragestellungen verkauft.
“Kompromiss”                                                Leider hat sich erneut bestätigt, dass damit
Wir können der als „Kompromiss“ ver-                        nicht der Zugang zu Verhütung, eine kin-
kauften Mogelpackung nichts                                 derfreundliche Gesellschaft, die Gleichbe-
abgewinnen und verurteilen diese eindeu-                    rechtigung der Geschlechter, der Kampf
tig und umfassend. In Bezugnahme auf die                    gegen sexualisierte Gewalt oder der
von der Bundesregierung dargelegten fünf                    Zugang zu sicheren Schwangerschaftsab-
Eckpunkte wollen wir unsere Kritik nach-                    brüchen gemeint ist. Auch der Verweis auf
folgend näher ausführen.                                    hohe Abbruchraten wird ohne Kontext in
                                                            den Raum gestellt, eine Betrachtung der
                                                            zeitlichen Entwicklung oder Vergleichs-
1. „Lebensschutz“ ohne Kontext                              werte mit anderen Ländern fehlt. Im euro-
„Frauen, die ungewollt schwanger werden, brauchen Hil-      päischen Vergleich ordnet sich Deutsch-
fe und Unterstützung. Die Vermeidung und Bewältigung
von Schwangerschaftskonflikten sowie der Schutz des
                                                            land eher im Mittelfeld ein, die Zahlen der
ungeborenen Lebens sind unsere gemeinsamen Anliegen.        Schwangerschaftsabbrüche sind rückläu-
Deshalb haben wir in Deutschland ein Verfahren etab-        fig. In den meisten Ländern ist das Infor-
liert, das auf Prävention, Aufklärung, Beratung und Hilfe   mationsrecht von Ärzt*innen außerdem
setzt. Damit haben wir bereits viel erreicht. Dennoch ist
die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor
                                                            selbstverständlicher Standard. Ein Blick
hoch. Deshalb wollen wir die konkreten Maßnahmen            über den nationalen Tellerrand wäre nicht
zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften und zur        nur an dieser Stelle durchaus gewinnbrin-
Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten sowie zum        gend gewesen. Unserer Einschätzung nach
Schutz des ungeborenen Lebens auf der Grundlage des
bestehenden Rechts weiter ausbauen.“
                                                            wurde dieser bewusst vermieden, wo-
                                                            möglich um der Auseinandersetzung mit
Schon fast beschämend erweist sich die
                                                            Fakten zu entgehen.
Entkontextualisierung, die dem ersten
Punkt des Vorschlag innewohnt.
Dass der ausschlaggebende Punkt zur                         2. Altbekannte Aufklärungsfürsorge
Diskussion über einen Paragraphen, der                      „Neben der Beratung in den Beratungsstellen nach dem
                                                            Schwangerschaftskonfliktgesetz sind heute Informa-
schon fast in Vergessenheit geriet, die in                  tionen und Bewertungen unterschiedlichster Qualität
die breite Öffentlichkeit getragene Verur-                  auch über das Internet breit verfügbar. Angesichts der
teilung von Kristina Hänel ist, wird nicht                  Sensibilität des Themas ist es nach unserer Auffassung
einmal erwähnt. Das Recht auf reproduk-                     geboten, dass neutrale, medizinisch und rechtlich quali-
                                                            tätsgesicherte Informationen auch von Seiten staatlicher
tive Selbstbestimmung, das durch § 219a                     oder staatlich beauftragter Stellen zur Verfügung stehen.
StGB eingeschränkt wird, wird komplett                      Diesen Informationsauftrag wollen wir gesetzlich veran-
                                                            kern.“
Die Verbesserung der generellen Informa-                  gebraucht, das hätten Ulla Schmidt (SPD,
tionslage anzustreben ist ein ehrenhaftes                 Gesundheitsministerin 2005-2009) oder
Ziel. Allerdings ist diese Aufgabe bereits                die ihr nachfolgenden FDP-Minister Rös-
im Schwangerschaftskonfliktgesetz gere-                   ler und Bahr längst in die Wege leiten kön-
gelt und in die Hände von staatlich beauf-                nen. Nun unter Jens Spahn (CDU) wird
tragten Akteur*innen wie der BzgA und                     diese längst überfällige Maßnahme als hart
Beratungsstellen wie Pro Familia gelegt.                  erkämpftes Zugeständnis verkauft – was
Wir fordern, dass Informationen, die bei                  erneut die Farce entlarvt, das Papier der
der persönlichen Entscheidung eine Rol-                   Bundesregierung zum „Kompromiss“ zu
le spielen können – sowohl für als auch                   verklären.
gegen einen Schwangerschaftsabbruch –                     Das ersetzt aber nicht, dass auch
an allen relevanten Stellen zur Verfügung                 Ärzt*innen von sich aus Auskunft über die
stehen. Und dazu gehören eben auch                        von ihnen durchgeführten medizinischen
Gynäkolog*innen. Andernfalls werden                       Leistungen erteilen können sollten.
Schwangere bereits bei der Entschei-                      Salut rechtes, antifeministisches Denunzi-
dungsfindung behindert und bestraft. Man-                 ationsklima, das Ärzt*innen an den Pran-
che fühlt sich in dieser Entscheidungssitu-               ger stellt. Werden diese Ärzt*innen unter
ation elend und unsicher. Dass Betroffene                 diesen Bedingungen zur Bekanntgabe ih-
dann immer noch nicht auf Aufklärungs-                    rer Leistungen einwilligen? Wir müssen
fürsorge durch ihre Ärzt*innen hoffen
                                                          das leider bezweifeln.
können, weil diese Gefahr laufen, dafür in
den Fokus der Strafverfolgung zu geraten,                 Adieu modernes Zeitalter. Entsprechende
ist ein unhaltbarer Zustand.                              Informationen flächendeckend, lückenlos
                                                          und aktuell zu vermitteln, sollte in Zeiten
                                                          von Telefon, Internet und Datenbanken ei-
3. Kontaktanzeigen statt moderner                         gentlich kein Hexenwerk sein.
Informationsquellen
                                                          Die geplante Liste des BzgA wird außer
„Frauen, die sich letztlich für einen Schwangerschafts-
abbruch entschieden haben, sollen einen Arzt oder eine
                                                          Kontaktadressen keine aussagekräftigen
medizinische Einrichtung finden können, in der sie den    Informationen bieten. Keine Methoden,
Eingriff vornehmen lassen können. Deshalb wollen wir      keine Haltung – nichts, was das Recht auf
die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für ge-      gute Information und freie Ärzt*innenwahl
sundheitliche Aufklärung mit der Aufgabe betrauen, für
Betroffene entsprechende Kontaktinformationen zur Ver-
                                                          gewährleisten würde. Der einfachste Weg,
fügung zu stellen, soweit die Ärztinnen und Ärzte sowie   nämlich die Aktualität durch die Selbst-
Krankenhäuser eingewilligt haben. Diesen Informations-    auskunft der Ärzt*innen zu gewährleisten,
auftrag wollen wir gesetzlich verankern.“                 bleibt mit der vorgelegten Mogelpackung
Soweit Ärztinnen und Ärzte sowie Kran-                    versperrt.
kenhäuser eingewilligt haben, sollen
BZgA und Bundesärztekammer konkre-
te Kontaktinformationen für (ungewollt)
Schwangere sammeln und zur Verfügung
stellen. Diese Liste ist unbedingt sinn-
voll, und angst überfällig. Dafür hätte es
aber nicht erst ein Kompromisspapier
4. Werbung und Schwangerschafts-                         wären unfähig, eine verantwortungsbe-
abbruch?                                                 wusste Entscheidung für oder gegen ein
„Wir wollen mehr Rechtssicherheit für Ärztinnen und      Kind zu treffen ist es erst recht. Dennoch
Ärzte sowie Krankenhäuser schaffen, die Schwanger-       soll diese Unterstellung in Gesetzesform
schaftsabbrüche durchführen. Deshalb werden wir recht-
                                                         weiter fröhliche Urständ feiern.
lich ausformulieren, dass und wie Ärztinnen und Ärzte
sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren kön-   An dieser Stelle wollen wir vergleichs-
nen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen       weise an den Versuch von Heiko Maas er-
und auf Informationen der unter 2 genannten Stellen
hinweisen dürfen. Werbung für einen Schwangerschafts-
                                                         innern, 2016 ein Verbot von sexistischer
abbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht geben.      Werbung zu initiieren. In diesem Fall von
Deshalb werden wir das Verbot der Werbung für den        Reklamekritik wurde jedoch ganz anders
Schwangerschaftsabbruch beibehalten.“                    reagiert. Besonders aus CDU/CSU, aber
Fallen „Schwangerschaftsabbruch“ und                     auch der FDP wurde laut der Vorwurf
„Werbung“ im gleichen Satz, schaudert                    von Spießigkeit und Bevormundung ge-
es die meisten Menschen wohl zunächst,                   äußert. Was muss man daraus schließen?
zumindest führt diese Kombination zu Ir-                 Für Konservative scheint sich Werbung
ritationen. Die Bundesregierung verbleibt                in einer moralisch einwandfreien und
beim kalkulierten Schauer, ohne die Irrita-              einer verwerflichen Form zu manifestie-
tionen aufzuklären. Denn prinzipiell ver-                ren. Werbung darf offenbar problemlos
bleibt in diesem Punkt alles beim Alten,                 sexistisch sein und Frauen zum Objekt
dennoch wird der Stillstand als Verbesse-                herabstufen – doch gnade uns Gott, falls
rung angepriesen.                                        irgendwo für reproduktive Rechte gewor-
Wie auch bislang im § 219a Abs. 2 StGB                   ben wird!
formuliert, können Beratungsstellen von                  Die so gegensätzlichen Reaktionen sind
Ärzt*innen über ihre Verfahren informiert                letzten Endes zwei Seiten der gleichen
werden. Ärzt*innen wiederum können                       Medaille: Die Objektivierung des Frauen-
weiterhin sanktioniert werden. “Werben”                  körpers samt dem dazugehörigen patriar-
sie also für Abbrüche, droht eine zweijäh-               chalen Frauenbild.
rige Gefängnisstrafe.                                    Gleichermaßen muss hier die Frage auf-
Auch wenn längst überfällig, distanziert                 geworfen werden, welches Ärzt*innenbild
sich die Bundesregierung hier immer                      vermittelt werden soll. Der Staatsanwalt
noch nicht vom Begriff „Werbung“. Die-                   sprach im Prozess gegen Hänel von ei-
ser suggeriert schlussendlich, Schwangere                nem Wettbewerbsvorteil, sei sie doch die
würden sich gegen ihre „eigentlichen In-                 einzige Ärzt*in der Region, die auf Abbrü-
teressen“, wie die Ratten vom Hamelner                   che verwies und damit Einkommensvor-
Rattenfänger, durch Werbung zum Ab-                      teile hätte. That wasn‘t her choice und
bruch verführen lassen.                                  entbehrt auch jedweder Logik: Welcher
Unverhüllt tritt hier das dahinter stehen-               „Konkurrenz“ gegenüber soll sie einen
de paternalistische Weltbild zu Tage. Der                Vorteil haben, wenn es sowieso keine
Glaube, Menschen würden sich leichtfertig                Alternativen für den Eingriff in der Nähe
für oder gegen medizinische körperliche                  gibt?
Eingriffe entscheiden, ist nicht nur zynisch             Im „Kompromisspapier“ wird übrigens
und absurd, sondern vor allem respektlos                 sorgfältig verschwiegen, dass der Schutz
und weltfremd. Der Glaube, Schwangere                    vor anpreisender oder irreführender
Werbung im Hinblick auf Schwanger-                         Der letzte Punkt zeigt einmal mehr die
schaftsabbrüche bereits wettbewerbs-                       Armut an Argumentationen des vorherr-
rechtlich und in der ärztlichen Berufs-                    schenden gesetzgebenden Klimas. Die
ordnungen ausreichend begründet ist.6                      Idee einer Studie über die seelischen Fol-
Warum? Weil es schlussendlich gar nicht                    gen eines Schwangerschaftsabbruchs zu
ums „Werben“ geht, sondern um den                          implementieren ist ein Zugeständnis an
staatlichen bzw. patriarchalen Zugriff auf                 Gegner*innen von reproduktiver Selbst-
schwangere Körper und die Behinderung                      bestimmung und hat mit dem Ursprungs-
der reproduktiven Selbstbestimmungs-                       kontext der Debatte – der Verurteilung
rechte von Menschen. Von Menschen, die                     von Hänel – und dem Informationsrecht
auf „praktizierende“ Ärzt*innen, wie Kris-                 zum Schwangerschaftsabbruch absolut
tina Hänel mit all ihrer Courage, Durch-                   gar nichts zu tun. Hier wird auf das so-
setzungswillen und „Prozessausdauer“ an-                   genannte „Post-Abortion-Syndrom“ an-
gewiesen sind. Abtreibungsgegner*innen                     gespielt. Dieses postuliert ein erhöhtes
nutzen dann den Paragrafen 219a, um                        Risiko einer psychischen Störung als Fol-
diese Mediziner*innen, die sich an das ge-                 ge eines Schwangerschaftsabbruchs, was
setzlich geregelte Prozedere des Schwan-                   allerdings längst als Mythos widerlegt
gerschaftsabbruches auf Wunsch einer                       wurde. Dieser Mythos spielt radikalen
Schwangeren halten, vor Gericht zu zer-                    Abtreibungsgegner*innen in die Hände,
ren und handlungsunfähig zu machen. In                     die damit wissentlich Ängste schüren.
Interviews7 geben sie selbst zu, dass es                   Eine Auflistung internationaler Studien8,
ihnen nur um eines geht: den sogenannten                   die u.A. psychologische Folgen eines Ab-
Kompromiss des § 218 StGB zu unterlau-                     bruches untersuchen (und widerlegen)
fen und den legalen und sicheren Zugang                    gibt es zu Genüge.
zu Schwangerschaftsabbrüchen zu behin-                     Vereinzelten zögerlichen Beifall erhält der
dern. Da sie dafür keine gesellschaftliche                 Vorschlag dann doch, weil die Bundesre-
Mehrheit finden, greifen sie zu Denunzia-                  gierung die Versorgungssituation und Aus-
tion, Desinformation und Delegitimation.                   und Weiterbildung für Kliniken, Ärzt*innen
                                                           und Beratungsstellen verbessern will. Das
5. Der Mythos vom Post-Abortion-                           Ende der Papaya-Lernmethoden9 bleibt zu
Syndrom                                                    hoffen, und doch bleibt bislang unklar, wie
„Die Qualität der medizinischen Versorgung von Frauen      diese Absichtserklärung umgesetzt wer-
muss auch im Falle von Schwangerschaftsabbrüchen ge-       den soll. Fest steht: aufwiegen kann dieser
währleistet sein. Deshalb wollen wir Maßnahmen ergrei-     kleine Schritt vorwärts die ganzen ande-
fen, die zu einer Fortentwicklung der Qualifizierung in    ren Rückschritte allerdings nicht.
diesem Bereich beitragen. Zudem wollen wir in einer wis-
senschaftlichen Studie Informationen zur Häufigkeit und
Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsab-
brüchen gewinnen.„

6          In § 3 Abs. 1 UWG heißt es: „Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.“ § 27 MBO-Ä
untersagt Ärzten berufswidrige Werbung
7          http://www.taz.de/!5494752/
8          http://abtreibung.at/fur-allgemein-interessierte/infos-und-erfahrungen/wie-geht-es-frauen-nach-
einem-abbruch/
9          http://www.taz.de/!5502618/
Fakt ist...
Uns ist egal, ob die SPD sich auf unsere Seite schlägt oder weiter verzögert, taktiert
und hinhält – doch sie sollte sich bald entscheiden, ob sie auf der Seite der Freiheit
und der Zukunft stehen, oder wieder einmal als Verräterpartei in die Geschichtsbücher
eingehen will.
Dass ungewollte Schwangerschaften und der Umgang damit seit jeher zu weiblichen*
Biografien gehören, wird sich auch unter einer von Kramp-Karrenbauer10 geführten
Koalition nicht ändern.

•     Fakt ist, Schwangerschaften werden unterbrochen. Die Gründe dafür sind vielfältig
      und lassen sich auch nicht durch Kriminalisierung abschaffen.
•     Fakt ist, man kann kann diese Unterbrechungen erschweren oder erleichtern. Man
      kann Schwangere in ihren Entscheidungen unterstützen, oder sie unterdrücken.
•     Fakt ist, der §219a widerspricht allen Grundsätzen von Informationsfreiheit, Selbst-
      bestimmung und freier Mediziner*innenwahl. Sachliche Informationen werden wei-
      terhin nicht in medizinisch ausreichender Form auf den Websites von Ärzt*innen
      erscheinen dürfen.
•     Fakt ist, Ärzt*innen können weiter kriminalisiert und sanktioniert werden, wenn
      sie ihrer Aufklärungspflicht nachkommen wollen.
•     Fakt ist, die vorgeschlagenen Maßnahmen werden weder die Situation von
      Ärzt*innen oder Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen noch die der ungewollt
      Schwangeren verbessern.
•     Fakt ist, die gesetzliche Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und unge-
      wollten Schwangerschaften bleibt bestehen.

Reproduktive Rechte dem staatlichen Diktat zu unterwerfen soll offenbar weiterhin
deutsche Tradition bleiben.

          Wir werden weiter mit aller Kraft dafür kämpfen,
                   dass sich das endlich ändert!
          Gegen staatliche Bevormundung, religiösen
    Fundamentalismus und rechte Desinformationskampagnen –
             für Aufklärung und Selbstbestimmung.
        Feministisch, inklusiv – radikal und fest entschlossen!

10        https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarland/kramp-karrenbauer-gegen-werbung-fuer-
abtreibung_aid-6975894
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