Lust und Rausch Psychologische Aspekte - Schwulenberatung Berlin

 
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Lust und Rausch Psychologische Aspekte - Schwulenberatung Berlin
Lust und Rausch ‒
Psychologische Aspekte
Interessenkonflikte

Vortrag,
gehalten am 25. Oktober 2019

auf dem 1. Berliner Fachtag Chemsex:
Substanzkonsum und Sexualität

Schwulenberatung Berlin
Niebuhrstr. 59/60, 10629 Berlin

Es bestehen keine Interessenkonflikte. SN

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Überblick
1.  Lustprinzip
2.  Substanzen
3.  Evolutionsbiologische und psychologische Bedeutung
4.  ‚Lustzentrum‘ (Belohnungssystem)
5.  ‚wanting‘ und ‚liking‘
6.  Psychische Vorteile des Drogengebrauchs
7.  Allgemeine Gesellschaftliche Faktoren
    im Zusammenhang mit Drogengebrauch
8. Besondere Gesellschaftliche Faktoren bei MSM
9. Besonderheiten bei Gebrauchern von Party-Drogen
10. Vorgehen bei Patienten
11. Zusammenfassung

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„Doch alle Lust will Ewigkeit,
 will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

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Motto
                                      „ ...
                        Die Welt ist tief,
      Und tiefer als der Tag gedacht.
                      Tief ist ihr Weh –,
     Lust – tiefer noch als Herzeleid:
                 Weh spricht: Vergeh!
       Doch alle Lust will Ewigkeit –
          – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“*

                 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra:
       Ein Buch für Alle und Keinen, Vierter und letzter Teil,
                            Das trunkne Lied, 12. Aphorismus,
             in: Werke in drei Bänden, Hrsg.: Karl Schlechta,
    8. Aufl., Band 2, München: Hanser Verlag, 1977, S. 558
      Lou von Salomé, Paul Rée und Friedrich Nietzsche
auf einer von Nietzsche arrangierten Fotografie von 1882

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‚Lustprinzip‘

   Lust
dominiert
Überleben!

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Warum dominiert Lust Überleben?

Ø Evolutionsbiologisch begründbar
  Fortpflanzung dominiert Selbsterhalt

Ø Hirnphysiologisch begründbar
  (kurzfristige) Belohnung dominiert Frustration

Ø Psychologisch begründbar
  Herstellung eine Gefühls höchstmöglicher Annehmlichkeit

                                                            7
aber ...

‚Echte‘ (befriedigende) Lust
     ist Mangelware.

                               8
also muss Ersatz her ... *
                                                           *modifiziert nach S. Schwarze

Opiate                                                Psychedelika
    Heroin                                                 LSD
    Morphin                                                Mescalin
    Codein                                                 PCP (Phencyclidin, „Angel Dust“)
    Methadon                                               Psilocybin (Tryptamin-Alkaloid: „Pilze“)
    Buprenorphin
                                                      Atypische Substanzen
    Fentanyl / weitere synthetische Opioide
                                                           Ecstasy (MDMA)
Stimulanzien („Uppers“)                                    Ketamin („K“, „Special K“)
    Nikotin
                                                      „Hilfsmittel“
    Coffein
                                                           Erektiva (Viagra, Levitra, Cialis, Spedra)
    Kokain
                                                           SKAT / MUSE (Prostaglandin)
    Amphetamine („Speed“)
                                                           Amylnitrit („Poppers“, „PP“)
    Methamphetamin („Crystal“, „Crystal-Meth“)
                                                           Ethylchlorid („Eisspray“)
    Mephedron (Methylmethcathinon)
                                                           Anabolika
    Khat (Strauch-Blätter: Amphetamin)
                                                           Botox
Relaxanzien („Downers“)                               Streckmittel
    Alkohol
                                                           Strychnin (in Kokain)
    Benzodiazepine
                                                           Lidocain (in Kokain)
    GHB/GBL („G“, „Liquid Ecstasy“, „K.O.-Tropfen“)
                                                           Bleipulver (Gewichtserhöhung)
    THC (Haschisch, Marihuana)
                                                           Inerte Stoffe (Milchzucker, Kalkpulver)
    synthetische Cannabinoide
                                                           Fentanyl in Heroin (Wirkungssteigerung) 9
Kombinationen*

   Party        (geplanter)      ‚Runterkommen‘
(„Uppers“)          Sex            („Downers“)
Amphetamine    Methamphetamine        Benzodiazepine
  Kokain            Ketamin             (Ketamin)
  Ectasy            Poppers              (Heroin)
  Alkohol         Viagra, Skat             Alkohol
  Nikotin          Alkohol                 Nikotin
    THC            Nikotin                   THC
 GHB/GBL             THC                 (GHB/GBL)
                  GHB/GBL

                                 *modifiziert nach S. Schwarze

                                                                 10
Vorteile von Kombinationen

Ø Potenzierung von Wirkungen
  z. B. Wachheit und Hemmungslosigkeit
  bei gleichzeitiger muskulärer Entspannung
Ø Kontrollierte Regelung von Körper-Rhythmen
  z. B. durch Kombination von „Uppern“ und „Downern“
Ø Kompensation von Nebenwirkungen
  z. B. von Erektionsverlust bei „Uppern“

                                                       11
Definition Slamming

slam:
        Schlag, Stoß, Knall (auch: vernichtende Kritik)
to slam
       schlagen, stoßen, knallen (z. B. to slam a door)
Slamming
     sich einen Stoß (‚Kick‘) (ver-)setzen:
     i. v. Injektion von (Meth-)Amphetaminen, Ketamin etc.

   èKomplementärer Begriff zum ‚Drücken‘
    bei Heroin-Gebrauch

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Belohnung

Ø Wann lohnt Belohnung? IMMER!

Ø Überraschung ist besser als Gewohnheit.

Ø Rationalität und Moral haben keinen Einfluss.

Ø Sexualität und Drogengebrauch ergänzen sich in idealer Weise
  (übrigens nicht nur bei MSM),

Ø nämlich durch die Kombination von
  ‚wanting‘ (Dopamin) & ‚liking‘ (Endorphin und Oxytocin)!

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Psychische ‚Vorteile‘ des Drogengebrauchs

ØLusterwartung (‚wanting‘)
    Appetenzverhalten
ØSpannungsreduktion
    Reduktion der Stress-Sensibilität
ØAngstreduktion
    Erhöhung der Risikobereitschaft
ØSchamreduktion
    auf die eigene Person bezogene Enthemmung
ØSchuldreduktion
    normative Enthemmung („Das Gewissen ist in Alkohol löslich!“)
ØVerstärkung der körperlichen, seelischen und sozialen Modulierbarkeit
    Körperlerleben (Schmerzgrenze), Fremderleben
ØVerstärkung der Kommunikationsbereitschaft
    ohne tatsächlich besseren Kontakt zum anderen
ØSynchronisierung mit einer Gruppe (verstärkt durch Musik)
    ohne wirkliche Zugehörigkeit
ØWunscherfüllung (insbesondere ‚abnormer‘ Wünsche) [‚liking‘]
    ohne echte Befriedigung

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Gesellschaftliche Faktoren I

Werteverlust
      Wertewandel          è      G&G (Gesundheit und Geld)

      Ökonomisierung        è     Zentrierung auf Arbeitswelt

      ‚Fun‘                 è     Event (‚Karnevalisierung‘)

ê     Orientierungs-/Limitierungsverlust

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Gesellschaftliche Faktoren II

Normative Übersteuerung
      Gruppenorientierung   è    social media

      Statusorientierung    è    opinion leader

      Konsumorientierung    è    ‚Amazonisierung‘

ê     Selbst-/Autonomieverlust

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Gesellschaftliche Faktoren III

Digitalisierung
       Entindividualisierung   è   Datenpool

       Entemotionalisierung    è   ‚fake-feelings‘

       Entsinnlichung          è   sensation-seeking

ê      Beziehungsverlust

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Gesellschaftliche Faktoren IV

Praktisch unbegrenzte Bereitschaft
zur Selbst- und Fremdmanipulation:
        Ø Beeinflussung der Morphologie
        Ø Beeinflussung der Leistungsfähigkeit
        Ø Beeinflussung der Kognition
        Ø Beeinflussung der Befindlichkeit
        Ø Beeinflussung des Erlebens
        Ø Beeinflussung des Verhaltens
        Ø Beeinflussung der anderen

ê     bei fortschreitendem
      Orientierungs-, Selbst- und Beziehungsverlust
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MSM-Lebenswelten

1. Heterosexuelle Lebenswelt
   (Familie, Beruf, Sozialkontakte)

2. Heteronorme schwule Lebenswelt
   (Institutionalisierung und ‚Imitatio‘ von ‚Normalität‘)

3. ‚Homonorme‘ (heteroferne) schwule Lebenswelt
   (‚Subkultur‘, ‚Szene‘, ‚Internet‘)

  ê        Paradoxer Effekt
           nach Liberalisierung und Institutionalisierung (‚Ehe für alle‘):
           Erhöhter sozialer und normativer Druck!

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Psychische und soziale Differenz
        zum ‚Junkie‘ (Heroin-/Crack-Gebraucher)
Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Struktur
über einen längeren Zeitraum.
Gebraucher:
          Ø gehören eher dem (wohlhabenden) Mittelstand an
          Ø verfügen über Ressourcen (Geld, Zeit, Kontakte)
          Ø erleiden geringeren oder keinen Kontrollverlust
          Ø weisen anfangs oft geringere Toleranzentwicklung auf
            (in Abhängigkeit von der verwendeten Droge)
          Ø die soziale Teilhabe bleibt über längeren Zeitraum möglich
          Ø die psychische Genese ist weniger von
            Deprivations- oder Verwöhnungserleben abhängig
          Ø Gebrauch steht oft deutlich im Zusammenhand mit
            Gruppenerleben (Tanzen, Club-Besuche oder ähnliches: ‚Feiern‘, ‚Party-Machen‘)
            oder Sex (einschließlich privater Sex-Partys)

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Vorgehen bei Patienten

Ø   Neutralitätsgebot
    keine (moralische) Wertung
    sachliche Aufklärung

Ø   bei schwer einzuordnenden psychischen oder seelischen Phänomenen an
    Drogengebrauch denken!

Ø   (multiplen) Substanzgebrauch aktiv erfragen

Ø   Sexuelle Praktiken, Risiken und STI‘s erfragen!

Ø   Cave zusätzliche Psychopharmaka-Gabe!

Ø   falls möglich psychiatrisch/psychotherapeutische Mitbehandlung!

Ø   empathische Beziehungsgestaltung

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Zusammenfassung

       Drogen lösen in seiner
     subjektiven Wahrnehmung
       die Not des Einzelnen,
während sie sie objektiv reproduzieren.

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Vielen Dank!

 Dr. med. Dr. phil. Stefan Nagel
 Facharzt für Psychosomatische
  Medizin und Psychotherapie,
 Psychoanalyse ž Sozialmedizin
           Schloßstraße 1
18236 Kröpelin OT Wichmannsdorf
     Tel.: +49 171 9 34 44 53
   drdr.stefan_nagel@arcor.de

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