Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich

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Medizinische Universität Wien
  Universitätsklinik für Psychiatrie & Psychotherapie
              Suchtforschung & -therapie

     Soziale Folgekosten
von Lust & Sucht in Österreich
       (Meta)Analyse zu den sozialen Folgekosten
             des (unkontrollierten) Konsums
  von Alkohol, Tabak, Drogen & Glücksspiel in Österreich

                                                     Wien | Oktober 2013
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Diese Studie wurde zwischen Juli und Sep-                      Sämtliche Urheberrechte dieser Studie lie-
tember 2013 von KREUTZER FISCHER &                             gen bei KREUTZER FISCHER & PARTNER
PARTNER Consulting GmbH in Zusammen-                           Consulting GmbH.
arbeit mit der Medizinischen Universität                       Vervielfältigung und Nachdruck - auch aus-
Wien, Universitätsklinik für Psychiatrie &                     zugsweise - bedürfen der Genehmigung von
Psychotherapie, Suchforschung & -therapie                      KREUTZER FISCHER & PARTNER Consulting
(Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer) mit aller                   GmbH.
gebotenen Sorgfalt - jedoch ohne Gewähr -
verfasst.

Autor:                 Andreas Kreutzer

Begutachtung:          Gabriele Fischer

Projektassistenz: Laura Brandt (MedUni                         Impressum:
Wien), Alexandra Wailzer, Thomas Wimmer,
Josef Schörghofer (alle KREUTZER FISCHER                       KREUTZER FISCHER & PARTNER Consulting
& PARTNER)                                                     GmbH
                                                               1070 Wien | Wimbergergasse 14-16 |
Datenbasis sind Auswertung einschlägiger                       www.kfp.at
Studien zum Thema im Rahmen einer um-
fassenden Metaanalyse, eigene empirische                       Alle Rechte vorbehalten
Erhebungen sowie zahlreiche Interviews
mit Experten aus den Bereichen Medizin,                        Collage Verlag
Medizin-Ökonomie und Sicherheit. Unser                         ISBN: 978-3-9500638-9-9
Dank gilt dabei im Besonderen:

l Univ. Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller
  (Ärztlicher Leiter des Vorarlberger Be-
  handlungszentrums für Suchtkranke
  und Drogenbeauftragter der Vorarlber-
  ger Landesregierung)
l General Franz Lang (Direktor des Bun-
  deskriminalamts)
l Dr. Ernest G. Pichlbauer (Gesundheits-
  ökonom, Wien)
l Dr. Alfred Uhl (Leiter der Suchtpräventi-
  onsforschung und Suchtpräventions-
  dokumentation am Anton-Proksch-
  Institut, Wien)
l Dr. Anna Vavrowski (HealthCare Con-
  sulting, Wien)
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KREUTZER FISCHER & PARTNER                                     SUCHTFORSCHUNG & -THERAPIE

KREUTZER FISCHER & PARTNER Consulting                          Die Suchtforschung und -therapie und de-
GmbH in Wien ist Spezialist für Markt- und                     ren evidenzbasierte, klinische Behand-
Wettbewerbsanalysen. Das Unternehmen                           lungsanwendung an der Medizinischen U-
unterstützt bei der Evaluierung von Strate-                    niversität Wien im Allgemeinen Kranken-
gieoptionen und im Erschließen von neuen                       haus (AKH), Universitätsklinik für Psychiat-
Märkten und Geschäftsfeldern. Der Schwer-                      rie und Psychotherapie, stellen einen integ-
punkt liegt in der Marktanalyse, der Erstel-                   ralen Bestandteil in der Versorgung sucht-
lung von Market Due Diligence und in der                       kranker Patienten im Raum Wien, wie auch
Entwicklung von Marktsimulations- und                          den angrenzenden Bundesländern dar. Ein
Kaufentscheidungsmodellen.                                     zusätzlicher Schwerpunkt der Arbeit ist die
          Nur Zahlen zu erheben ist dabei                      Vernetzung mit den betreuenden Teams der
jedoch zu wenig. Vielmehr geht es immer                        behandelnden Kliniken und weiteren pati-
darum, Märkte zu verstehen, zu begreifen                       entenrelevanten Institutionen.
wie sie funktionieren. Denn KREUTZER FI-                                 Neben dem Behandlungsauftrag
SCHER & PARTNER interessiert primär, was                       ist für das ärztliche und psychologische
Märkte prägt und treibt.                                       Personal ein entsprechender Forschungs-
          Das Unternehmen arbeitet inter-                      und Lehrauftrag verbunden. Jährlich wer-
national, schwerpunktmäßig in Mittel-, Ost-                    den hunderte PatientInnen mit substanz-
und Südosteuropa.                                              gebundenen und auch substanzungebun-
                                                               denen Suchterkrankungen betreut.
Andreas Kreutzer studierte Betriebswirt-
schaft an der Wirtschaftsuniversität in                        Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer leitet die
Wien. Sechs Jahre als Marketingmanager in                      Einrichtung seit 1994. Sie ist Fachärztin für
der österreichischen und deutschen Mar-                        Psychiatrie und Neurologie und darüber
kenartikelindustrie. Seit 1992 geschäfts-                      hinaus Mitglied des Obersten Sanitätsrates
führender Gesellschafter der KREUTZER FI-                      der Republik Österreich und war Leiterin
SCHER & PARTNER Consulting GmbH in                             der Kommission zur Qualitätssicherung in
Wien. Andreas Kreutzer ist Autor zahlrei-                      der Suchterkrankung des BMG. Sie berät
cher Wirtschaftsartikel in nationalen und                      das Europaparlament, WHO und UNODC.
internationalen Printmedien.                                   Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen
                                                               neben dem breiten Spektrum der Suchter-
                                                               krankungen, im speziellen die Erhaltungs-
                                                               therapie der Opioidabhängigkeit, ge-
                                                               schlechtsspezifische Unterschiede mit
                                                               Etablierung des Programmes für gravide
                                                               Substanzabhängige,        sozioökonomische
                                                               incl. forensischer Fragestellungen wie auch
                                                               das Glücksspiel. Fischer verfasste mehr als
                                                               150 wissenschaftliche Publikationen und
                                                               hielt mehr als 400 wissenschaftliche Vor-
                                                               träge.
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Inhalt

1       MANAGEMENT SUMMARY .............................................................. Seite 8

2       LUST & SUCHT IM ÖFFENTLICHEN DISKURS .................... Seite 10

3       GELÄUFIGE WISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN ........................ Seite 20

4       SOZIALE FOLGEKOSTEN IN ÖSTERREICH

        I Volkswirtschaftliche Kosten ...................................................................... Seite 40

        II Verlorene Lebensjahre ............................................................................. Seite 56

5       ANHANG

        Literatur- & Quellenverzeichnis ................................................................... Seite 60
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Management Summary

Der Konsum von Alkohol, Tabak, Drogen                          Volkswirtschaftlichen Kosten des Alkohol-
und Glücksspiel ist beinahe so alt wie die                     missbrauchs in Österreich auf 103 Euro pro
menschliche Zivilisation. Die Attraktivität                    Einwohner taxiert, in Deutschland auf 328
liegt zweifelsohne im individuellen Lustge-                    Euro und in der Schweiz auf 665 Euro. Bei
winn, der seine Wurzeln möglicherweise im                      Tabak liegen die Werte bei € 261,- (A)
Bedürfnis nach Transzendenz hat.                               € 415,- (D) und € 1.006,- (CH). Der Grund
          In den letzten zwanzig Jahren sind                   für die Misere liegt nicht alleine in der oft-
jedoch in zunehmendem Maß die negativen                        mals deplorablen Qualität der Basisdaten
Folgen eines (unkontrollierten) Konsums                        (Prävalenz, Gesundheitskosten etc.), son-
von legalen und illegalen Drogen fixer Be-                     dern auch im Versuch, die Auswirkungen
stand des öffentlichen Diskurses. Verant-                      von Alkohol, Tabak etc. breitmöglichst zu
wortlich dafür sind nicht alleine z. T. neue                   erfassen und monetär zu bewerten. Ge-
Restriktionen, sondern auch die Tatsache,                      paart mit untauglichen methodischen An-
dass sich die Wissenschaft vermehrt dem                        sätzen (z.B. Humankapital-Ansatz), ermög-
Thema annimmt. Im letzten Jahrzehnt er-                        licht erst dieses Ansinnen das Auftürmen
schienen zahlreiche Studien, die die medi-                     gewaltiger Geldbeträge, die dann unreflek-
zinischen Risiken aufzeigen und den öko-                       tiert als „Große Zahl“ im Raum stehen. Die
nomischen Schaden beziffern. Die For-                          Studienautoren verfangen sich vielfach im
schungsergebnisse bleiben aber nicht nur                       eigenen Anspruch, eine allumfassende
Gegenstand des fachlichen Diskurses, son-                      Analyse zu liefern und werden dabei von
dern werden bewusst einer breiten Öffent-                      der prekären Datenlage derart ausge-
lichkeit zugänglich gemacht, nicht zuletzt                     bremst, dass sie an zahlreichen Stellen ih-
auch um politisch gewünschten Gesetzes-                        rer Berechnungen mit groben Schätzungen
änderungen den Boden aufzubereiten und/                        arbeiten müssen und das durch die Ver-
oder diese zu legitimieren. Neben reinen                       wendung von komplexen Modellen zu
medizinischen Analysen werden Studien,                         kompensieren glauben. Ein weiterer
die sich den sozialen Folgekosten widmen,                      Schwachpunkt ist der, dass Komorbiditäten
immer wichtiger. Es hat den Anschein, dass                     in den Modellen nicht berücksichtigt wer-
menschliches Leid, die Folgen von Lust und                     den, wodurch es etwa aktuell unmöglich
Sucht in Geldbeträge konvertiert werden                        ist, ein Gesamtbild über die volkswirt-
müssen, um Aufmerksamkeit zu erreichen.                        schaftlichen Kosten eines (unkontrollierten)
Offenbar bedarf es der „Großen monetären                       Konsums von Alkohol, Tabak, Drogen und
Zahl“, um Dinge in Bewegung zu bringen.                        Glücksspiel zu erhalten.
Dass man zum Verbildlichen auf Geldbeträ-                      In der gegenständlichen Studie wird des-
ge zurück greift, ist in einer ökonomisierten                  halb der Versuch unternommen, entweder
Gesellschaft keineswegs moralisch verwerf-                     aus prinzipiell soliden Sekundärstudien
lich, sondern bloß naheliegend. Allerdings                     nach-vollziehbare Werte für Österreich zu
gibt es berechtigte Zweifel an der Aussage-                    extrahieren oder aber mit eigenen Model-
kraft so mancher geläufigen Studie. Und                        len solche zu berechnen, wobei erstmals
durch die enormen Unterschiede in den Er-                      die Komorbidität von Suchterkrankungen
gebnissen, ist auch das Vertrauen in mögli-                    berücksichtigt wird.
cherweise schlüssige Resultate berechtig-                                 In dieser ganzheitlichen Betrach-
terweise erschüttert. So werden etwa die                       tung liegen die volkswirtschaftlichen Kos-
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ten des Alkoholmissbrauchs bei jährlich              Das sollte aber nicht davon ablenken, dass
€ 255 Millionen und jene des Rauchens bei            in der österreichischen Suchtpolitik drin-
€ 234 Millionen. Die höchsten sozialen Fol-          gender Handlungsbedarf besteht. So ist
gekosten entstehen durch illegale Drogen             Österreich eines von zwei EU-Mitglieds-
mit € 278 Millionen pro Jahr. Die Spiel-             ländern, das keinen Nationalen Suchtplan
sucht wird in der öffentlichen Meinung im            hat und keine Bundesländerübergreifend
Vergleich zu ihrer tatsächlichen Verbreitung         koordinierte Präventionspolitik. Vielmehr
und dem gesamtgesellschaftlichen Scha-               ist die Politik Spielball zwischen ver-
den überschätzt. Das Einsparungspotential            schiedenen Interessengruppen, Wirtschaft,
liegt nur bei rund zehn Millionen pro Jahr.          Exekutive/Justiz und Medizin und innerhalb
Insgesamt betragen die volkswirtschaftli-            der Medizin der einzelnen Fachrichtungen
chen Kosten aus dem (unkontrollierten)               und Disziplinen. Die einen ringen um wirt-
Konsum von Alkohol, Tabak, Drogen und                schaftlichen oder politischen Einfluss, die
Glücksspiel € 777 Millionen pro Jahr. Dem            anderen um Budgetmittel, manche um die
stehen aber staatliche Einnahmen aus den             Deutungshoheit „Was ist Sucht und wie ist
einschlägigen Konsumsteuern im Ausmaß                ihr zu begegnen?“. Als suboptimal erweist
von mehr als € 2,2 Milliarden gegenüber.             sich auch der Umstand, dass Prävention
Die volkswirtschaftliche Bilanz ist daher mit        und Therapie von Suchterkrankungen nicht
knapp € 1,5 Milliarden positiv. Aus Sicht            zwingend im medizinischen Sektor verortet
der Gesundheitsökonomie ist das eine gute            ist, sondern länderspezifisch in Vereins-
Nachricht. Für den Einzelnen gibt es aber            strukturen organisiert.
keine Entwarnung. Denn was unbestritten                        Durch die positive volkswirt-
bleibt, ist der mit Alkoholmissbrauch, mit           schaftliche Bilanz sollte es aber für die öf-
Rauchen und Drogenkonsum verbundene                  fentliche Hand möglich sein, zumindest
gesundheitliche Schaden und die daraus               mehr Mittel als bisher für Sucht-Forschung,
resultierende kürzere Lebensdauer. Diese             Prävention und Therapie zur Verfügung zu
lässt sich eindrucksvoll in „disability-             stellen. Speziell der Bedarf an belastba-
adjusted life years”, kurz DALY genannt              rem, aussagekräftigem Datenmaterial ist
darstellen. DALY sind ein Maß für die                enorm. Datenmaterial um die Sucht-
Krankheitslast ausgedrückt in der Anzahl             Forschung ein gutes Stück weiter zu brin-
an „verlorener Lebensjahren durch krank-             gen, etwa um exakter zu verorten, wo die
heitsbedingte Behinderung und vorzeitigen            Hebel in der Prävention, in der Therapie
Tod“.                                                angesetzt werden sollten, um effektivere
           In Summe verliert die österreichi-        Therapien entwickeln zu können.
sche Bevölkerung pro Jahr 1,6 Millionen
Lebensjahre, aufgrund verschiedenster ge-
sundheitlicher Risiken. Auf Alkohol fallen
117.000 DALY, auf Rauchen 239.000 DALY
und auf illegale Drogen 41.000 DALY. Über-
raschenderweise sind die größten „Lebens-
zeit-Killer“ aber falsche Ernährung und Be-
wegungsmangel, mit mehr als der Hälfte al-
ler DALY.
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Lust & Sucht
im öffentlichen Diskurs
Der Konsum von Alkohol, Tabak, Drogen                      3000 v. Chr. Aus dieser Zeit stammen die
und Glücksspiel ist beinahe so alt wie die                 ältesten Funde sechsseitiger Würfel aus
menschliche Zivilisation. Der Gebrauch                     Knochen oder Elfenbein. In der römischen
psychoaktiver Substanzen lässt sich be-                    Antike waren Würfelspiele in allen Schich-
reits für die Jungsteinzeit nachweisen.                    ten verbreitet. Später war das Glücksspiel
Schon vor 8.000 Jahren wurde Weinbau im                    nur noch den oberen Gesellschaftsschich-
westlichen Zentralasien betrieben, und                     ten vorbehalten. So stammt etwa aus dem
spätestens 3000 v. Chr. wurde im alten Ä-                  12. Jahrhundert ein Erlass des englischen
gypten und in Mesopotamien Bier gebraut.                   Königs Richard Löwenherz, dass „niemand,
Der deutsche Evolutionsbiologe Josef                       der von geringerem Stand als ein Ritter war,
Reichhold ist sogar der Auffassung, dass                   um Geld würfeln durfte“. Die weite Verbrei-
der Grund, warum die Menschen ihr unge-                    tung des Glücksspiels im 17. Jahrhundert
bundenes Dasein als Jäger und Sammler                      gab allerdings Anlass zur vertieften wissen-
aufgegeben haben, das Trinken war, nicht                   schaftlichen Untersuchung: Die Behand-
das Essen (Stichwort Ackerbau). Die Ver-                   lung des Problems des Chevaliers de Méré
wendung von Hanf als Faserpflanze ist für                  durch Blaise Pascal und Pierre de Fermat
das 3. Jahrtausend v. Chr. belegt; von den                 (1654) gilt als Geburtsstunde der Wahr-
Assyrern wurde Cannabis bereits in vor-                    scheinlichkeitsrechnung.
christlicher Zeit als Räucherwerk verwendet

                                                           D
und die berauschende Wirkung wird auch                             ie Attraktivität von Alkohol, Nikotin
in den indischen Veden erwähnt. Im 4. Jahr-                        und anderen Rauschmitteln liegt
tausend v. Chr. begann in Vorderasien die                          zweifelsohne am individuellen
Kultivierung des Schlafmohns, von wo aus                   Lustgewinn, der seine Wurzel möglicher-
er sich im Mittelmeerraum sowie in Asien                   weise im Bedürfnis nach Transzendenz hat.
bis hin nach China verbreitete. Die Verwen-                Im Aus-sich-Herausgehen. Dem „Ich bin
dung als schmerzstillendes und schlafför-                  dann mal weg“ sein. Und ein schon wegen
derndes Mittel ist für 1300 v. Chr. nachge-                seiner Dialektik besonders gerne gewählter
wiesen. Auf der Grundlage linguistischer                   Weg, aus sich herauszugehen und an-
Analysen existieren Hinweise darauf, dass                  schließend eine Weile weg zu sein, war
die Wirkung des Fliegenpilzes in Sibirien                  immer schon der, gewisse Dinge zu sich zu
bereits vor mehr als 5.000 Jahren bekannt                  nehmen, sich unter ihren Einfluss zu stel-
war. Hinweise auf den Gebrauch von psilo-                  len. Auch beim Glücksspiel geht es im We-
cybinhaltigen Pilzen datieren auf ca. 5000                 sentlichen um Lustgewinn, wenngleich hier
v. Chr. Um 300 v. Chr. beschrieb Theoph-                   die Komponente der Unterhaltung domi-
rastos von Eresos die psychoaktiven Eigen-                 niert. Das hat nicht zuletzt mit dem fixen
schaften des Stechapfels, ungefähr für die-                Ablauf zu tun, der auch jedem guten Thea-
selbe Zeit ist der Tabakgebrauch auf dem                   terstück innewohnt: Der Reiz des Gewinns
amerikanischen Kontinent belegt. Die Ge-                   (die Vorfreude auf einen Kunstgenuss), der
schichte des Tabakkonsums in Europa                        Spannungsaufbau während der Ziehung
reicht bis ins Jahr 1492 zurück, als Chris-                (der Plot) und die Freude oder Enttäu-
toph Kolumbus Amerika entdeckte.                           schung, wenn das Ergebnis fest steht (der
          Glücksspiele gibt es nach heuti-                 Ausgang des Stücks und die Erkenntnis
gem Stand der Wissenschaft schon seit ca.                  daraus).
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 11

D
         ie Geschichte der Prohibition, der       völlig unter Prohibition gestellt. Der Kampf
         Regulierung und Kanalisierung von        gegen das Rauchen ist überhaupt erst ein
         Alkohol, Tabak, Drogen und               Thema des 20. Jahrhunderts, wenngleich
Glücksspiel ist dahingehend vergleichswei-        zwischenzeitlich, im 16./17. Jahrhundert,
se jung. Zwar änderte sich die Wahrneh-           Zar Michail Romanow den Tabakkonsum
mung des Alkoholkonsums bereits seit dem          mit Strafen wie Verbannung, Exkommuni-
16. Jahrhundert, angetrieben von reforma-         kation und Hinrichtung zu bekämpfen ver-
torischen Einflüssen, ein institutionalisier-     suchte. Zuletzt waren es abermals zuerst
tes Vorgehen gegen Drogen, konkret Opi-           protestantische Kreise in den USA, die ge-
um, gibt es indessen erst seit Ende des 19.       stützt auf eine wachsende Anzahl medizini-
Jahrhunderts. In der „Alkoholfrage“ beweg-        scher Studien, den weltweiten Kampf gegen
te sich die christliche Religion insgesamt        Nikotin anführten. Der eindeutige Zusam-
seit jeher zwischen einer gemäßigten, ka-         menhang zwischen dem Tabakrauchen und
tholischen Einstellung, in der das Alkohol-       dem Risiko der Entwicklung eines Bronchi-
trinken akzeptiert war, der Rausch aber als       alkarzinoms (Lungenkrebs) und einer koro-
unmäßiges Verhalten abgelehnt wurde und           naren Herzkrankheit wurde in einer bahn-
einer radikaleren, protestantischen Hal-          brechenden epidemiologischen Studie des
tung, die zwischen Luthers Ablehnung des          britischen Royal College of Physicians
„Saufens“ und der totalen Forderung einer         erstmals 1962 wissenschaftlich eindeutig
asketischen Lebensweise bei Calvin lag.           belegt. Zuvor war dieser Zusammenhang
Der Kampf gegen Opium hat seinen Ur-              zwar schon mehrfach vermutet, aber nicht
sprung indessen in gesellschafts- und wirt-       streng wissenschaftlich bewiesen worden.
schaftspolitischen Turbulenzen in den USA,                  Die Einstellung zum Glücksspiel
als Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Fertig-      entwickelte sich zu Beginn des 19. Jahr-
stellung der transatlantischen Bahnlinien,        hunderts in den europäischen Staaten un-
zehntausende chinesische Arbeiter in die          terschiedlich. Während in einigen Staaten
Städte strömten und dort das Lohnniveau           diese Spiele erlaubt waren und auch zum
unter Druck setzten. Flankiert von protes-        Vorteil des Staates veranstaltet wurden
tantischen Eiferern wurde daraufhin der           (weil man öffentliches Glücksspiel für we-
Konsum von Opium (der unten den chinesi-          niger verderblich hielt als das geheim be-
schen Arbeitern verbreitet war) instrumen-        triebene), waren in anderen Staaten alle
talisiert, um der „Chinesenfrage“ den ge-         „Hazardspiele“ verboten. Auch heute gibt
wünschten Spin zu geben. Bei der auf Initi-       es noch keine einheitlichen Regeln, selbst
ative der USA organisierten Internationalen       in der Europäischen Union nicht. So werden
Opiumkonferenz 1909 scheiterte jedoch             etwa Sportwetten in einigen Ländern als
noch der Versuch eines internationalen            Glücksspiel betrachtet, in anderen dagegen
Verbots. Die verabschiedeten Resolutionen         als Geschicklichkeitsspiel (darunter auch
hatten nur Empfehlungscharakter. Erst bei         Österreich), was bei letzterem zur Folge
den Konferenzen 1912 und 1925 wurde               hat, dass sie nicht von einem eventuellen
zunächst eine strenge Kontrolle der Pro-          Glücksspielmonopol erfasst werden. Die
duktion und des Handels von Morphin so-           USA sind aber auch in Sachen Glücksspiel-
wie Kokain beschlossen, später wurden             verbot Europa wieder um eine Nasenlänge
diese Drogen, darüber hinaus auch Heroin,         voraus. Seit Oktober 2006 ist fürs erste
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 12

einmal das Glücksspiel im Internet verbo-                  von Sucht und Rauchverbot in der öffentli-
ten, indem Kreditinstituten die Unterhal-                  chen Berichterstattung wird durch einen
tung eines Kapitalflusses an die Anbieter                  Vergleich der Hits mit einem der profilier-
untersagt wird.                                            testen österreichischen Politiker sichtbar.
                                                           Der Klubobmann der SPÖ - Josef Cap -

D
        ie negativen Folgen eines (unkon-                  kommt bei APA-Online auf nur vergleichs-
        trollierten) Konsums von Alkohol,                  weise magere 409 Treffer.
        Rauchtabak, illegaler Drogen und
Glücksspiel sind nicht nur seit jeher ein                  Das Wort „Sucht“ wird im öffentlichen Dis-
Thema zwischenmenschlicher Kommunika-                      kurs gewöhnlich als Begriff für medizinisch-
tion, sondern auch in zunehmendem Maße                     psychologische Krankheitsbilder verwen-
fixer Bestandteil des öffentlichen Diskurses               det. In der Fachwelt spricht man eher von
in Österreich. Eine Abfrage auf APA-Online                 „Substanzgebrauchsstörung“ bei sub-
macht sicher. So gibt es etwa in den ersten                stanzgebundenen Abhängigkeiten und von
acht Monaten des Jahres 2013 in österrei-                  „Impulskontrollstörung“ oder „Verhaltens-
chischen Tageszeitungen (Printausgaben)                    sucht“ bei nicht-substanzgebundenen Ab-
170 Meldungen, die sich speziell mit „Al-                  hängigkeiten. Obgleich, auch in Experten-
koholsucht“ bzw. „Alkoholkrankheit“ aus-                   kreisen ist „Sucht“ nach wie vor ein ge-
einander setzen und 270 Artikel über „Al-                  bräuchlicher Terminus.
koholisierung“ im Generellen. Das Thema                              Der Zugang der Gesellschaft zur
„Rauchverbot“ wird in 276 Berichten erör-                  Sucht hat sich in den letzten zwanzig Jah-
tert, der Begriff „Spielsucht“ bringt es auf               ren in Österreich signifikant gewandet. War
234 Eintragungen. Die breiteste Berichter-                 Sucht früher Ausdruck von blanker Lieder-
stattung gibt es aber offenbar in Zusam-                   lichkeit, ein Zeichen persönlicher Charak-
menhang mit Drogen, wobei sich Begriffe                    ter- und Willensschwäche, der nur mit
zu Delikten und Abhängigkeiten in etwa die                 staatlicher Repression und radikalen Ent-
Waage halten. Das Wort „Drogenhandel“                      zugsmaßnahmen zu begegnen ist, so setzt

Tab.1: Häufigkeit von Begriffen in Österreichischen Tageszeitungen

Häufigkeit von Begriffen in Österreichischen Tageszeitungen | 01-08 2013

                           160 180 200 220 240 260 280 300                 Hits

          Drogenhandel                                                     302
           Rauchverbot                                                     276
        Alkoholisierung                                                    270
             Spielsucht                                                    234
           Drogensucht                                                     227
           Alkoholsucht                                                    170
                          Quelle: APA-defacto

erscheint 302 Mal, allerdings inkl. Berichte               sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass
über mexikanische Drogenkartelle. „Dro-                    es sich sowohl bei substanzbezogenen Ab-
gensucht“ bzw. „Suchtkranke“ bringt es                     hängigkeiten, wie auch bei Verhaltenssüch-
auf 227 Eintragungen. Die hohe Präsenz                     ten um Krankheiten handelt. So ist etwa
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 13

unter Medizinern mittlerweile unbestritten,       dern die Grundlage einer politischen Argu-
dass Suchterkrankungen zwischen 40 und            mentation, die auf eine Veränderung ge-
60% genetisch determiniert sind1. Auch der        sellschaftlicher Gewohnheiten und Traditi-
Gesetzgeber passt die Rechtssprechung an          onen abzielt. Neben reinen medizinischen
die medizinischen Erkenntnisse an, bei-           Analysen werden Studien, die sich den So-
spielsweise mit dem Programm-Programm             zialen Folgekosten widmen, immer wichti-
„Therapie statt Strafe“. Insgesamt gewinnt        ger. Es hat den Anschein, dass menschli-
die medizinischen Konnotierung an Boden.          ches Leid, die Folgen von Lust und Sucht in
          Wenngleich also in einigen              Geldbeträge konvertiert werden muss, um
„Suchtfeldern“ eine gesellschaftlich und          Aufmerksamkeit zu erreichen. Offenbar be-
medial offenere und zum Teil auch toleran-        darf es - und das ist keinesfalls als Kritik zu
tere Einstellung zu beobachten ist, verengt       verstehen, sondern als nüchterne Feststel-
sich das Meinungsbild anderswo. Speziell          lung - der „Großen monetären Zahl“, um
Rauchen und Glücksspiel stehen zuneh-             Dinge in Bewegung zu bringen.
mend in der gesellschaftlichen Kritik.
          Wie immer aber auch die Einstel-        Die Bewertung der sozialen Folgekosten ei-
lung zum Thema ist, (unkontrollierter) Kon-       nes (unkontrollierten) Konsums von Alko-
sum von Alkohol, Rauchtabak, illegaler Dro-       hol, Rauchtabak, illegalen Drogen und
gen und Glücksspiel sind zusammen in ei-          Glücksspiel erfolgt dabei aber nicht nach
nem Ausmaß Thema eines öffentlichen Dis-          einem einheitlichen Muster, abgesehen
kurses wie womöglich niemals zuvor.               davon, dass psychiatrische Grund- und Be-
                                                  gleiterkrankungen methodenbedingt prin-

V
       erantwortlich für die steigende Sen-       zipiell nicht berücksichtigt werden. Viel-
       sibilität der Öffentlichkeit ist nicht     mehr sind zwei sich im Untersuchungsum-
       alleine die Verschärfung gesetzlicher      fang prinzipiell unterscheidende Ansätze
Restriktionen in einigen der angesproche-         zu erkennen. Bei Alkohol und Glücksspiel
nen Felder (Tabak, Glücksspiel), sondern          zielen die Studien im Wesentlichen auf die
auch die Tatsache, dass sich die Wissen-          Auswirkungen von Abhängigkeit - wenn-
schaft vermehrt dem Thema annimmt. So-            gleich diese unscharf definiert wird - nicht
wohl auf internationaler wie auch auf nati-       aber den Konsum als solchen. Bei Tabak
onaler Ebene sind im letzten Jahrzehnt            und illegalen Drogen geht’s es praktisch
zahlreiche Studien erschienen, welche für         immer um den Konsum per se, losgelöst
die o.a. Bereiche die medizinischen Risiken       von der Suchtfrage. Bei Studien zu den ne-
aufzeigen und den ökonomischen Schaden            gativen Folgen des Alkoholkonsums ste-
beziffern. Die Forschungsergebnisse blei-         hen daher gewöhnlich nur die Kosten von
ben aber nicht nur Gegenstand des fachli-         Alkoholabhängigkeit bzw. des regelmäßi-
chen Diskurses, sondern werden bewusst            gen Alkohol-missbrauchs im Zentrum. Erst
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ge-       wenn Personen in ein Abhängigkeitsver-
macht, nicht zuletzt auch, um politisch ge-       hältnis zu Alkohol kommen, sind sie für die
wünschten Gesetzesänderungen den Bo-              Studienautoren am Radar. Und das aus gu-
den aufzubereiten und diese schlussend-           tem Grund gilt doch Alkohol im westlichen
lich zu legitimieren. Vielfach sind diese         Kulturkreis als Teil der Identität, als traditi-
Studien nicht bloß eine Unterstützung, son-       onelles, legales Rauschmittel.
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 14

Der Rauchtabakkonsum gilt aus medizini-                    quasi als kulturelles Erbe der Zivilisation
scher Sicht prinzipiell als schädlich, wobei               nicht in Frage gestellt.
sich die negativen Folgen nicht nur in höhe-

                                                           A
rer Morbidität und Mortalität bei den Rau-                         bgesehen von den möglicherweise
chern selbst, sondern auch indirekt bei                            begründbaren Unterschieden im Un-
den, dem Tabakrauch unfreiwillig ausge-                            tersuchungsdesign müssen die
setzten Personen (Passivrauchern), nieder-                 meisten dieser Studien mit systemimma-
schlagen. Insofern geht es bei Untersu-                    nenten Unschärfen zurechtkommen. Denn
chungen über die negativen Folgen des                      wenngleich am Ende praktisch jeder Studie
Rauchens weniger um die sozialen Folge-                    zu sozialen Folgekosten die „Große Zahl“
kosten aus der Nikotinabhängigkeit, son-                   steht, basieren die Berechnungen doch in
dern um die ökonomischen Effekte des                       vielen Fällen auf vergleichsweise „Kleinen
Rauchens insgesamt. Als Messlatte dient in                 Zahlen“. Gemeint ist mit „Kleinen Zahlen“
der Regel die rauchfreie Gesellschaft.                     der Umfang der Stichproben, die für Reprä-
                                                           sentanzbefragungen gezogen werden und
Cannabis, Heroin, Kokain, Ecstasy, Amphe-                  auf deren Basis die Konsum-Häufigkeit und
tamine und Psychotrope Stoffe gelten in                    die Konsummengen ermittelt und in weite-
den meisten Ländern als illegale Drogen.                   rer Folge die stoff- oder verhaltensbezoge-
Auch in Österreich. In einschlägigen Stu-                  nen Abhängigkeiten abgeleitet werden.
dien werden daher die volkswirtschaftli-                   Diese Prävalenzwerte sind das Fundament
chen Folgekosten immer auf Basis des Ge-                   jeder ökonomischen Analyse zu den in die-
samtkonsums errechnet, obgleich etwa der                   ser Studie besprochenen Folgekosten.
kontrollierte Konsum von Cannabis von ei-                  Sämtliche geldwertigen Berechnungen
nigen Medizinern als nicht gefährlicher be-                bauen auf der Exaktheit dieser Prävalenzen
trachtet wird, als jener von Alkohol und Ma-               auf. Man sollte also annehmen, dass des-
rihuana etwa in den Niederlanden und im-                   halb mit hoch belastbarem Datenmaterial
mer mehr US-Bundesstaaten auf legalem                      gearbeitet wird, nicht zuletzt, da es sich
Wege gekauft werden kann. Die Drogenab-                    zweifelsohne durchwegs um sensible ge-
hängigkeit ist jedenfalls in den evaluierten               sellschaftspolitische Themen handelt.
Studien nur eine untergeordnete Messgrö-
ße. Neben der rechtlichen Disposition ist                  Die Studienautoren finden diesbezüglich
dafür auch der Umstand verantwortlich,                     jedoch in den allermeisten Fällen nur eine
dass ein erheblicher Teil des staatlichen                  in der Tat prekäre Datenlage vor. So basie-
Gesamtaufwandes aus der Bekämpfung der                     ren etwa - mangels Alternativen - die Be-
Suchtmittelkriminalität resultiert und diese               rechnungen der erst kürzlich veröffentlich-
Kosten unabhängig von der Anzahl der Dro-                  ten Studie des IHS über die „Volkswirt-
genkranken anfallen.                                       schaftlichen Effekte der Alkoholkrank-
                                                           heit2“, hinsichtlich der Prävalenz von Alko-
Wie bei Alkohol fließt auch beim Glücks-                   holabhängigkeit in der österreichischen
spiel in Berechnungen zu den sozialen Fol-                 Bevölkerung auf einer Expertenschätzung.
gekosten nur der gemeinwirtschaftliche                     Diese muss natürlich nicht zwangsläufig
Aufwand für die vom Glücksspiel Abhängi-                   falsch sein, unter einer soliden epidemio-
gen ein. Das Glücksspiel als solches wird                  logischen Basis stellt man sich aber im All-
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 15

gemeinen wohl doch etwas anders vor.               den ersten Blick eine ganze Menge sein,
Zwar gibt es eine einschlägige Bevölke-            eine 30-Tage-Prävalenz für den Haschisch-
rungsbefragung aus dem Jahr 2008, doch             Konsum lässt sich damit seriös aber nicht
sind diese Werte nach Aussage des Projekt-         darstellen. Man tut es trotzdem. Und selbst
leiters Dr. Alfred Uhl wenig aussagekräftig.       für die seit einiger Zeit heftig diskutierte
Das verwundert nicht, wurde doch für diese         Spielsucht sind die relevanten Zahlen we-
„Repräsentativerhebung zum Substanzge-             nig belastbar. In der bislang einzigen Stu-
brauch“3 insgesamt nur knapp 4.200 Inter-          die zum Spielverhalten bei Glücksspiel in
views durchgeführt. Darüber hinaus wurde           Österreich4 erfolgt die Quantifizierung des
die Stichprobe disproportional zu Gunsten          pathologischen Spielverhaltens (Spielsucht
der Altersgruppe 14-29 Jahre (n=2.100) ge-         nach DSM IV) auf einer Fallzahl von nur 41
zogen, mit dem Ziel, den illegalen Drogen-         Nennungen.
konsum in dieser Altersgruppe halbwegs                        Natürlich lässt sich die Ungenau-
exakt erfassen zu können. Dadurch waren            igkeit von Erhebungsergebnissen statis-
aber alle anderen Alterskohorten mit ver-          tisch leicht festmachen und wird auch ge-
gleichsweise weniger Interviews belegt. In         wöhnlich in jeder epidemiologischen Erhe-
der Altersgruppe 30 bis 65 Jahre wurden            bung ordnungsgemäß in Form des Konfi-
insgesamt nur rund 1.400 Personen be-              denzintervalls dargestellt. Dieser be-
fragt. Und das wirkt sich negativ auf die          schreibt die Bandbreite eines Ergebnisses
Identifizierung von möglichen Alkoholab-           bei einer z.B. 95-prozentigen Genauigkeit.
hängigkeiten aus. Denn diese treten be-            In der Regel gilt, je kleiner die Fallzahl, des-
kanntlich mehrheitlich in der Altersgruppe         to größer die Bandbreite. In der besagten
30 bis 65 Jahre auf. Folglich ist auch in die-     Repräsentativerhebung für das Glücksspiel
ser Studie die Anzahl der Personen mit di-         schwankt der Konfidenzintervall für patho-
agnostizierter Alkoholabhängigkeit mit we-         logisches Glücksspiel (nach DSM IV) zwi-
niger als 50 Fällen eher dürftig abgesichert.      schen 16.871 und 50.166 Personen. Also
Da die Rohdaten nur eine Alkoholismus-             zwischen 0,46 und 0,86 Prozent der in Ös-
Quote von drei Prozent ausweisen und das           terreich lebenden Bevölkerung zwischen 14
nach Einschätzung von Suchtexperten ein-           und 65 Jahre. Jede Einführung einer Ge-
deutig zu wenig ist, wird der Wert mittels         schmacksrichtung bei einem neuen Frucht-
„Vergessens-, Undersampling- und Under-            joghurt ist - falls eine Konsumentenbefra-
reporting-Korrektur“ auf fünf Prozent „Be-         gung durchgeführt wird - statistisch besser
handlungsbedürftige“ hochgeschätzt. Im             abgesichert. Die Studienautoren begegnen
Laufe ihres Lebens werden nach Uhl rund            dieser systemimmanenten Schwachstelle
zehn Prozent der Österreicher alkoholab-           ihrer Berechnungen mit der in wissen-
hängig.                                            schaftlichen Kreisen üblichen Praxis, ein-
                                                   fach den Mittelwert zu nehmen. In diesem
Ebenfalls bescheiden ist die Aussagekraft          Fall also 38.519 Personen oder 0,66 Pro-
von Prävalenz-Studien zum Konsum „Wei-             zent der Bevölkerung zwischen 15 und 65
cher Drogen“. So arbeitet etwa die Öster-          Jahre. Statistisch betrachtet ist das auch
reichische Gesundheitsbefragung der Sta-           richtig. Etwas problematisch wird die Sache
tistik Austria aus dem Jahr 2006/2007 nur          jedoch dann, wenn auch ökonomische Kos-
mit knapp 7.000 Interviews. Das mag auf            ten ausschließlich auf Prävalenz-Mittel-
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 16

werten aufbauen. Denn die Hebelwirkung                                      gehalten, dass auch vergleichbare Studien
der Kosten pro Prävalenzpunkt ist enorm                                     in anderen Ländern mit ähnlich geringen
und damit auch die Bandbreite der mögli-                                    Fallgrößen arbeiten. Deutsche Repräsen-
chen Ergebnisse. Seriöser wäre es zwei-                                     tanzbefragungen zum Spielverhalten bei
felsohne, sämtliche Berechnungen für die                                    Glücksspiel bauen zum Teil nur auf unwe-
gesamte Spannweite anzustellen. Doch ab-                                    sentlich größeren Stichproben auf, etwa die
gesehen vom Mehraufwand haben Band-                                         BZgA-Studie aus 2012 mit rund 10.000 In-
breiten einen entscheidenden Nachteil. Sie                                  terviews (Österreich, n=6.100). Die regel-
liefern nicht die eine „Große Zahl“. Und das                                mäßig durchgeführten Suchtsurveys von
erschwert die Kommunikation enorm. Ins-                                     Kraus und L. Pabst sind selten mit mehr als

Tab.2: Jahres-Prävalenz und Abhängigkeit in Österreich

Prävalenz | Abhängigkeit                   Alkohol1            Tabak             Drogen         Glücksspiel

Jahres-Prävalenz total                       5.901              2.358              356              2.998
in tausend Personen | Österreichische Bevölkerung 15-90 Jahre (7.164)

Männer                                       3.022              1.251              208              1.633
Frauen                                       2.878              1.107              148              1.365

DSM IV-Abhängigkeit                           356                466                69                47

Jahres-Prävalenz total                         82                 33                 5                42
in % der Bevölkerung 15-90 Jahre

Männer                                         87                 36                 6                47
Frauen                                         78                 30                 4                37

Abhängigkeit (DSM-IV)                         4,97              6,50               0,97              0,66
    :1
Anm Abhängigkeit: Expertenschätzung nach Behandlungsbedürftigkeit, nicht DSM-IV
Quelle: Uhl et al, 2009 | EMCDDA 2011 | Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich, 2011| KREUTZER FISCHER &
PARTNER

besondere dann, wenn mit der Veröffentli-                                   3.000 Interviews unterlegt. Eine akzeptable
chung dieser Zahl auch eine politische                                      Stichprobe wird praktisch nur für den re-
Botschaft transportiert werden soll.                                        gelmäßig erscheinenden „Gesundheitsbe-
Das Grundproblem vieler epidemiologi-                                       richtes des Bundes5“ gezogen. Im Jahr
scher Studien ist die vergleichsweise gerin-                                2010 waren es 22.000 Interviews, 2012
ge Häufigkeit von diagnostizierter Abhän-                                   sind es über 26.000 Befragungen. Dennoch
gigkeit. Selbst bei einer Stichprobe von                                    werden - frei nach dem Motto „besser als
5.000 Interviews ergibt eine Prävalenz von                                  gar nichts“ - die Ergebnisse von epidemio-
beispielsweise einem Prozent (wie etwa bei                                  logischen Studien und darauf basierende
DSM IV-Abhängigkeit von illegalen Drogen)                                   Arbeiten nicht nur im wissenschaftlichen
nur 50 Befragte. Eine valide, aussagekräfti-                                Kontext gerne zitiert, sondern auch im öf-
ge Analyse ist da nicht möglich, schon gar                                  fentlichen Diskurs unreflektiert verwendet.
nicht nach soziodemografischen oder so-                                     Für eine Diskussion unter Experten sind ein
zioökonomischen Merkmalen.                                                  hoher Konfidenzintervall und die daraus re-
          Zur Beruhigung des österreichi-                                   sultierenden Folgen für alle anderen Be-
schen Gewissens sei an dieser Stelle fest-                                  rechnungen auch kein allzu großes Prob-
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 17

lem. Sie können die Daten richtig interpre-      kann sich deshalb nicht ganz des Eindrucks
tieren. Sie können mit Unschärfen umge-          erwehren, dass die Politik an exakteren Da-
hen und lassen sich beispielsweise nicht         ten eher wenig Interesse hat. Dass ein kla-
auf Segmente- oder Ländervergleiche ein,         res, valides Bild über die Gesundheitslage
wo auf der zweiten Kommastelle verglichen        der Österreicher, über Problemgruppen und
wird, obgleich die Schwankungsbreite die         Abhängigkeiten (auch in Subgruppen) nicht
erste Kommastelle signifikant tangiert. Ein      erwünscht ist. Indizien für diese Ansicht
Problem wird die Sache aber dann, wenn           liefern auch einschlägige Aussagen von
solche Studien zu politischen Argumentati-       Vertretern der Hochbürokratie und von
on oder der Durchsetzung wirtschaftlicher        ausgelagerten Dienstellen. Unverständnis
Interessen verwendet werden und dabei            herrscht hier vor allem bezüglich der in vie-
bewusst in eine Richtung interpretiert und       len Bereichen dünnen und nicht vernetzten
nicht der gesamte statistische Raum ausge-       Datenlage medizinischer Kennziffern. Ob-
leuchtet wird. Es wird zum Problem, wenn         wohl bei behandelnden Ärzten, Sozialversi-
Unkundige zu Interpretationen eingeladen         cherungen und in eigenen Abteilungen des
werden, wenn sich Dinge zum Selbstläufer         Gesundheitsministeriums vieles Relevante
entwickeln. Dass bei den jeweiligen Stu-         erfasst wird, sind Auswertungen - wenn
dienautoren und anderen Datennutzern für         überhaupt - nur grob strukturiert verfügbar.
die erwähnten Missstände kein Problem-           Eine detaillierte Krankheitskostenrechnung
bewusstsein vorhanden ist, kann wahrlich         existiert in Österreich genauso wenig wie
nicht behauptet werden. Allerorts wird über      eine zentrale und strukturierte Auswertung
die prekäre Datenlage geklagt. Jedermann         der schulärztlichen Befunde. Diese werden
wünscht sich bessere und aktuellere Daten.       aktuell nur dezentral von den einzelnen
Insofern kann man den Betroffenen keinen         Schulärzten administriert. Neuzugänge zur
wirklichen Vorwurf machen. Am ehesten            Invaliditätspension werden zwar nach
noch könnte man urgieren, dass sie die           Krankheitsgruppen ausgewiesen, die größ-
miesen Rahmenbedingungen nicht laut-             te Gruppe der psychiatrischen Krankheiten
stärker und energischer publik machen.           aber nicht weiter unterteilt. Infolge lässt
                                                 sich beispielsweise auch nicht der Anteil
Doch warum fehlen brauchbare Erhebun-            von suchtabhängigen Personen in dieser
gen? Zu aller erst mangelt es an den dafür       Krankheitsgruppe feststellen, obgleich das
notwendigen finanziellen Mitteln. Denn der       für Ursache-Wirkungsanalysen auf aggre-
Staat tritt als Auftraggeber für epidemiolo-     gierter Ebene notwendig wäre. Und wie so
gische Studien zum einen nur sporadisch          oft, wenn es um medizinische Belange
auf. Zum anderen stellt er nur Budgets für       geht, wird die fehlende Transparenz gerne
ungenügend große Stichproben zur Verfü-          mit „Datenschutz“ als Totschlagargument
gung (siehe Repräsentativerhebung zum            begründet.
Substanzgebrauch, 2008). Und da und dort
verweigert sich die Bürokratie bis heute,        Von der Erstellung oder Beauftragung von
eigenständige Untersuchungen in Auftrag          Studien zu den sozialen Folgekosten oder
zu geben. Die bereits zitierte Studie zum        volkswirtschaftlichen Effekten eines (un-
Glücksspiel wurde bekanntlich von den Ös-        kontrollierten) Konsums von Alkohol, Ta-
terreichischen Lotterien finanziert. Man         bak, illegaler Drogen oder Glücksspiel lässt
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 18

die öffentliche Hand überhaupt die Finger.                 weniger eine Frage wer die „Geschichte“
Die Finanzierung derartiger ökonomischer                   zahlt, sondern wer sie erzählt. Reinste Ob-
Ansätze überlässt man zur Gänze Unter-                     jektivität ist Illusion. Alfred Uhl vom Anton-
nehmen oder Interessenvertretungen. So                     Proksch-Institut (API) in Wien schreibt zu
sind etwa die beiden bekanntesten IHS-                     diesem Thema in einem Kommentar für das
Studien zu den volkswirtschaftlichen Effek-                Magazin „laut & leise“, der Stelle für
ten des Rauchens und der Alkoholabhän-                     Suchtprävention für den Kanton Zürich u.a.:
gigkeit privat finanziert. Die Tabakstudie                 „Diese Unart machen sich Lobbyisten in der
wurde mit Unterstützung von Pfizer Corpo-                  alkoholpolitischen Forschung zunutze; ein
ration Austria verfasst, für die Alkohol-                  Feld, das von diametral entgegen gesetzten
Studie ist Lundbeck Austria aufgekommen.                   Grundhaltungen geprägt ist – eine an
Offenbar weniger Sinn sehen private Inves-                 Nordeuropa angelehnte, restriktive Alko-
toren indessen in der Beaufragung taugli-                  holkontrollpolitik prallt auf eine mitteleu-
cher Prävalenzerhebungen (wir beziehen                     ropäische Kultur, die, ohne den moderaten
diese Aussage aber ausschließlich auf die                  Alkoholkonsum zu tangieren, auf die Ver-
in dieser Studie behandelten Bereiche).                    meidung von problematischem Konsum fo-
Und dafür könnte es mehrere Gründe ge-                     kussiert ist. Hier wünscht und finanziert
ben. Möglicherweise greifen ihnen diese zu                 sich jede Seite die für ihre Positionen je-
kurz, d.h. die Erkenntnisse über Prävalen-                 weils passenden Argumente. Wer von sei-
zen alleine sind zu wenig um daraus die für                nen Zielen völlig überzeugt ist, für den sind
Unternehmen oder Interessenvertretungen                    methodologische und inhaltliche Unsicher-
relevanten Schlüsse zu ziehen oder Argu-                   heiten bei der wissenschaftlichen Begrün-
mentationen abzuleiten. Unter Umständen                    dung kein Anstoß zur kritischen Reflexion,
scheuen aber auch sie die hohen Kosten                     sondern lästige Störungen bei der Zielver-
solcher Erhebungen. Und so lange es all-                   folgung“.
gemein akzeptierte Ausgangsdaten gibt
(die auch eine „Große Zahl“ liefern), baut                 Völlig unerklärlicher ist jedenfalls die mi-
man eben auf diesen auf.                                   nisterielle Zuordnung der in dieser Studie
          Wie auch immer, alleine aus der                  behandelten Materien. Die Themen Alkohol
privaten Finanzierung von Studien gleich                   und Nikotin sind auf Bundesebene in der
eine Interessensgebundenheit des Stu-                      "Gesundheitssektion“ des Gesundheitsmi-
dienautors abzuleiten, geht natürlich zu                   nisteriums angesiedelt, sämtliche Program-
weit. Zweifelsohne wäre es formal gesehen                  me im Zusammenhang mit illegalen Drogen
eleganter, wenn der Staat selbst das Infor-                indessen in der "Rechtssektion". Offenbar
mationsbedürfnis der Gesellschaft nach                     ist die Abhängigkeit von illegalen Drogen
Zahlen, Daten und Fakten stillt. Dass es in                aus Behördensicht keine chronische Er-
einem solchen Fall aber mehr „Objektivi-                   krankung, sondern bloß ein Rechtsdelikt.
tät“ gäbe, ist nicht zwingend. Denn im All-                Die Präventionsstelle „Spielsucht“ ressor-
gemeinen wird der Einfluss des Auftragge-                  tiert überhaupt dem Finanzministerium.
bers auf das Ergebnis einer Studie über-                   Auf Länderebene wird die Sucht- & Drogen-
schätzt, die zumeist vorgeformte Einstel-                  koordination durchwegs parallel zu Psychi-
lung des Autors zum Thema, also dessen                     atrie und Psychosozialem Dienst (PSD) ge-
Prägung, aber unterschätzt. Kurzum, es ist                 führt, wodurch extrem aufgeblasene Paral-
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 19

lelstrukturen entstehen. Dabei wäre eine
Verortung in der Psychiatrie/PSD sinnvoll.
Wittchen/Rehm betrachten „Sucht“ als die
fünfthäufigste und fünftteuerste psychische
Erkrankung, haben doch zwischen 60 und
80 Prozent der Patienten eine psychiatri-
sche Begleiterkrankung. Insofern verwun-
dert es nicht wirklich, dass Österreich als
einer von zwei Mitgliedsstaaten der Europä-
ischen Union nach wie vor keinen Nationa-
len Suchtplan vorlegen kann. Offenbar ist
für die Politik „Sucht“ nach wie vor nur be-
dingt eine Krankheit, und eher eine Frage
von Opportunität, möglicherweise auch des
Föderalismus. Ob unter diesen Rahmenbe-
dingungen freilich ein ganzheitlicher Ansatz
hinsichtlich Suchtforschung, Suchtpräven-
tion und Suchttherapie gefunden werden
kann, mag jeder für sich selbst beurteilen.

U
         ns erscheint es jedenfalls relevant,
         in einem Umfeld, in dem Studien
         vermehrt als Grundlage politischer
Argumentation verwendet werden die auf
eine Veränderung gesellschaftlichen Ver-
haltens abzielt, die einschlägigen Analy-
sen, Erkenntnisse, Interpretationen und Ar-
gumentationen einer kritischen Würdigung,
einer Evaluierung auf Plausibilität, Aussa-
gekraft und Interessensungebundenheit zu
unterziehen. Mit dieser Studie wollen wir
dazu nicht nur einen bescheidenen Beitrag
leisten, sondern durch eigene Berechnun-
gen und Denkansätze das Bild neu akzen-
tuieren.
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 20

Geläufige
Wissenschaftliche Arbeiten
Die Berechnung sozialer Folgekosten, also                  zug bringen. Die geläufigen Studien der
der volkswirtschaftlichen Kosten eines (un-                deutschsprachigen Literatur arbeiten zu-
kontrollierten) Konsums von Alkohol, Ta-                   meist mit dem einperiodigen Modell. Die
bak, illegalen Drogen und Glücksspiel er-                  beiden Studien des IHS verwenden indes-
folgt in den einschlägigen Studien nicht                   sen das Lebenszyklus-Modell, berechnen
nach einem einheitlichen methodischen                      zu Vergleichszwecken aber auch Zahlen
Ansatz. Vielmehr werden zwei unterschied-                  aus einer einperiodigen Betrachtung.
liche Modelle angewendet. Entweder man
berechnet die gesundheitspolitischen Kos-                  Im Gegensatz zur klassischen Krankheits-
ten (direkte und indirekte Kosten) für ein                 rechnung, wo lediglich der direkte medizi-
reales Kalenderjahr oder man evaluiert die-                nische Aufwand für Behandlung und etwai-
se über den gesamten Lebenszyklus der                      ger Therapie (inkl. Medikation) quantifiziert
einzelnen Alterskohorten. Im zweiten Fall                  wird, berechnen einschlägige Arbeiten zu-
lässt man jede Altersgruppe der derzeitigen                sätzlich auch indirekte Kosten. Dazu zählen
Bevölkerung hypothetisch mit der derzeiti-                 zum einen gesundheitsnahe, patientenbe-
gen Sterblichkeit bis zu deren Lebensende                  zogene Aufwendungen für Kranken- oder
weiterleben und berechnet dafür Aufwand                    Pflegegeld, aber auch Pensionszahlungen
und Einnahmen. Dadurch erhält man eine                     (Invaliditäts- und Witwenpensionen). Dazu
Längsschnittbetrachtung (auf Basis von                     werden - vereinfacht dargestellt - für die auf
Querschnittsdaten), die in einem Erwar-                    Basis der Prävalenz als gefährdet identifi-
tungsbarwert quantifiziert wird. Da es sich                zierte Zielgruppe, die relativen Gesund-
bei Barwerten aber um summierende Effek-                   heitsrisiken berechnet und mit fiktiven
te über den Lebenszyklus handelt, werden                   oder modellierten Kenngrößen (Kranken-,
zur leichteren Veranschaulichung von den                   Pflege-, Pensionskosten usw.) multipliziert.
altersabhängigen Barwerten Annuitäten be-                  Für die Bewertung der relativen Gesund-
rechnet, die sich auf ein durchschnittliches               heitsrisiken werden gewöhnlich die Daten
Kalenderjahr beziehen. Der Zinssatz für die                des - der Amerikanischen Regierung - un-
Annuitäten liegt gewöhnlich zwischen drei                  terstehenden „Center for Disease Control
und sechs Prozent. Infolge des für die Zu-                 and Prevention, kurz CDC, verwendet. Zum
kunft angenommenen geringeren Wirt-                        anderen wird aber auch der aus der Sucht,
schaftswachstums und der niedrigen lang-                   oder wie bei Tabak und Drogen, dem Kon-
fristigen Zinsen tendiert man zunehmend                    sum an und für sich, resultierende volks-
zu geringeren Diskontierungsfaktoren, wo-                  wirtschaftliche Schaden vermessen, bei-
durch sich die jährlichen Beträge erhöhen.                 spielsweise aus frühzeitigem Tod (Mortali-
          Das Lebenszyklus-Modell wird                     tätsverluste), Arbeitslosigkeit, Produktivi-
bevorzugt in der demographischen und                       tätsverlust durch Arbeitspausen oder Kran-
ökonomischen Literatur verwendet, da es                    kenstände (Morbiditätsverluste) oder Kos-
geeigneter ist als das einperiodige Modell,                ten der Folgen von suchtassoziierten krimi-
Kumulation bzw. Latenz von gesundheits-                    nellen Handlungen. Auch diesbezüglich
politischen Effekten abzubilden. Hingegen                  spielen die CDC-Angaben eine entschei-
lassen sich die Ergebnisse aus der Betrach-                dende Rolle. In manchen Studien werden
tung nur eines Kalenderjahres besser auf                   dafür nicht nur die patientenbezogenen
relevante Größen, wie etwa das BIP, in Be-                 Aufwände angesetzt, sondern etwa auch
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 21

Mortalitäts- und Morbiditätsverluste von         Im Rahmen der in dieser Studie durchge-
Dritten (bspw. Passivraucher). Diese zu-         führten Metaanalyse von geläufigen Arbei-
meist unter dem Begriff „Produktivitätsver-      ten zu den sozialen Folgekosten eines (un-
lust“ summierten Beträge machen in der           kontrollierten) Konsums von Alkohol, Ta-
Regel den Großteil des volkswirtschaftli-        bak, illegalen Drogen und Glücksspiel wer-
chen Schadens aus.                               den insgesamt 18 einschlägige Studien
                                                 evaluiert. Im Folgenden werden die, aus
Der Umfang der in den indirekten Kosten          unserer Sicht interessantesten, themenbe-
berücksichtigten Variablen schwankt zwi-         zogen erläutert. Da infolge der zum Teil gra-
schen den einzelnen Studien enorm und            vierend divergierenden Modelle und Unter-
erklärt in vielen Fällen auch die gravieren-     suchungsansätze, der Versuch, die einzel-
den Unterschiede in den Ergebnissen. Wel-        nen Studien nach einer standardisierten
che „Kostenstellen“ berücksichtigt werden,       Gliederung darzustellen, scheitert, halten
ist aber nicht nur eine Frage der zur Verfü-     wir uns bei der Darstellung der Kostenarten
gung stehenden Input-Daten, sondern auch         an die von den Autoren gewählte Gliede-
des konzeptionellen Hintergrunds. Je grö-        rung. Obgleich das die Vergleichbarkeit der
ßer die Zahl werden soll, die den Schaden        einzelnen Studien erschwert. Einzig die Po-
benennt, desto mehr Kostenfaktoren wer-          sition „Medizinische Kosten“ beinhaltet
den in die Studie gepackt.                       durchgängig ausschließlich stationäre und
          Insgesamt haben wir den Ein-           ambulante Behandlungs- und Therapiekos-
druck gewonnen, dass es bei vielen der Ar-       ten inkl. der notwendigen Medikation. Bei
beiten zu sozialen Folgekosten weniger um        ausländischen Studien werden dafür die
die Belastbarkeit der für Berechnungen           einzelnen Beträge auf Basis des Bevölke-
verwendeten und in den Studien publizier-        rungsverhältnisses auf Österreich umge-
ten Daten geht, sondern primär um die            rechnet.
möglichst „Große Zahl“. Möglicherweise
werden deshalb fallweise auch sogenannte         Themenbereich: Alkohol
Intangible Kosten angesetzt. Darunter ver-

                                                 D
steht man die in Geldwerte umgerechnete                  ie aktuellste und für Österreich bis-
Einschränkung der Lebensqualität, das                    lang einzige Studie in diesem Seg-
Leid und die Schmerzen der Betroffenen                   ment ist die bereits eingangs zitier-
(Konsument und Dritte). Wenngleich es sich       te Arbeit des IHS „Volkswirtschaftliche Ef-
dabei zweifelsohne um, speziell in der Ein-      fekte der Alkoholkrankheit“. Veröffentlicht
zelfallbetrachtung, relevante Auswirkungen       wird die Arbeit im Rahmen einer Pressekon-
eines (unkontrollierten) Konsums handelt,        ferenz im Juli 2013, obgleich die Studie
ist deren Monetarisierung für viele Experten     noch nicht endgültig fertig gestellt ist. Nach
ethisch doch zweifelhaft. Darüber hinaus         Auskunft des Projektverantwortlichen Dr. T.
sind die für derartige Berechnungen ge-          Czypionka, war die vorzeitige Veröffentli-
wöhnlich verwendeten Ansätze aus unserer         chung ein Wunsch des Auftraggebers. Inso-
Sicht wenig überzeugend und bieten Spiel-        fern stehen zum derzeitigen Zeitpunkt zur
raum für praktisch jeden gewünschten Be-         Evaluierung auch nur die Eckdaten zur Ver-
trag.                                            fügung. Gegenstand der Arbeit ist die Be-
                                                 rechnung der aus Alkoholabhängigkeit ent-
Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich | Seite 22

stehenden direkten und indirekten Kosten.                   absolut in Millionen Euro. Der errechnete
Bemessungsgröße sind - wie bei einschlä-                    volkswirtschaftliche Aufwand gliedert sich
gigen „Alkohol-Studien“ üblich - aus-                       dabei wie folgt:
schließlich Personen, die in einem definiti-                          Direkte medizinische Kosten: Da-
ven Abhängigkeitsverhältnis zu Alkohol                      runter fallen - wie bereits ausgeführt - sta-
stehen (Alkoholismus). Mögliche finanzielle                 tionäre und ambulante Behandlungskosten
Folgen von (sporadisch) übermäßigem Al-                     für alkoholbedingte Krankheiten sowie die
koholkonsum werden nicht berücksichtigt,                    Therapiekosten für Alkoholkrankheit. Die
wie etwa mutwillige oder durch Unfälle ent-                 Annuität beträgt lt. IHS € 54 Millionen. Im
standene Personen- oder Sachschäden.                        einperiodigen Modell schnellt dieser Wert
          Die ökonomischen Berechnungen                     allerdings auf € 374 Millionen. Der Grund
erfolgen mittels Lebenszyklus-Modell auf                    für die erhebliche Differenz liegt in der un-
97 Jahre. Der Diskontierungsfaktor für die                  terschiedlichen Methodik. Im einperiodigen
Annuität beträgt 1,03. Darüber hinaus wer-                  Modell wird gewöhnlich die niedrigere
den auch die Werte aus einem einperiodi-                    Sterblichkeit der Abstinenten ignoriert und
gen Modell errechnet. Quelle für die Be-                    damit auch die daraus resultierenden hö-
messungsgröße der Alkoholabhängigen                         here alkoholunabhängigen medizinischen

Tab.3: Soziale Folgekosten der Alkoholkrankheit in Österreich | Mio. Euro

                                    Annuität        2011          ∆ abs.

Saldo                                 -659           -738           79
Werte in Mio. €

Kosten total                           773           857            84
Direkte Kosten                         102           415           313
  Medizinische Kosten                  54            374           320
  Nicht-medizinische Kosten            48             42            7
Indirekte Kosten                       671           442           229
  Produktivitätsverlust                671           442           229
Einnahmen total                        114           119            5
  Alkoholsteuer                        114           119            5
Quelle: IHS, 2013

sind die Berechnungen von Uhl aus 2009,                     Kosten. Die Autoren kommentieren die Re-
auf die im vorherigen Kapitel bereits einge-                sultate in der Studie über die „Volkswirt-
gangen wurde. Demnach liegt die 12-                         schaftlichen Effekte des Rauchens“6, wo
Monats-Prävalenz in der Altersgruppe 15                     dieselbe Spreizung zu beobachten ist wie
bis 65 Jahre bei rund fünf Prozent (350.000                 folgt:„ Diese Vorgangsweise gängiger Stu-
Personen). In Tab. 3 werden die vom IHS er-                 die führt somit zu einer Überschätzung der
rechneten Annuitäten (Spalte 1) aus dem                     Einsparungspotentiale bei den direkten Ko-
Lebenszyklus-Modell, als auch der Wert                      sten (Andererseits führt dies ebenso zu ei-
aus dem einperiodigen Modell für das Jahr                   ner Unterschätzung der indirekten Kos-
2011 (Spalte 2) dargestellt. Die dritte Spal-               ten)“.
te zeigt die Differenz der beiden Ansätze
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