LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE

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LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
LY O N E L F E I N I N G E R
OTTO GLEICHMANN
     PAU L K L E E
    FR ANZ MARC
  OTTO MUELLER
   WERKE AUS DER SAMMLUNG
    ILSE UND HERMANN BODE

          18. Juni 202 1
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
FRANZ MARC
               LY O N E L F E I N I N G E R
               OTTO GLEICHMANN
                    OTTO MUELLER
                          PAUL KLEE
Auktionen Evening Sale / Klassische Moderne
                                 18. Juni 2021
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
LIEBE FREUNDE DER KUNST!
                     Die Geschichte des Zahnarztes und Kunstsammlers Hermann Bode ist zugleich eine Ge-
                     schichte der Moderne. Früh interessiert er sich für die bildenden Künste, widmet sich intensiv
                     der Musik, studiert Philosophien. Bode ist Mitglied der „Kestner-Gesellschaft“ und der „Gesell-
                     schaft für Freunde der jungen Kunst“, ist ein förderndes Mitglied der Künstlervereinigung
                     „die abstrakten hannover“. Hermann Bode ist weltläufig, ist auf der Höhe seiner Zeit und ge-
                     staltete diese mit einem offenen Haus für Gäste jeder Couleur. Sein Gästebuch gibt beredte
                     Auskunft neben dem allzu Privaten zu Personen des kulturellen Lebens: es wird musiziert,
                     diskutiert, Vorträgen gelauscht. In diesem engagierten Umfeld wächst die einzigartige
                     Sammlung zeitgenössischer Kunst Hermann Bodes.

                     Und heute haben wir die Freude, Werke von Lyonel Feininger, Otto Gleichmann, Paul Klee,
                     Franz Marc und Otto Mueller mit dieser bedeutenden Provenienz vorzustellen. Nahezu 100
                     Jahre werden sie nicht nur von Hermann Bode, sondern auch von seinen Erben geschätzt
                     und gepflegt, sind kaum in der Öffentlichkeit zu sehen, in Werkverzeichnissen bisweilen nur
                     schwarz/weiß abgebildet oder ihr Verbleib als nicht bekannt notiert. Somit sind die vier
                     Arbeiten auf Papier und das Gemälde auch für uns eine große Überraschung. Wir freuen uns,
                     wenn Sie diese großartige Entdeckung mit uns feiern.

                     Ihr Robert Ketterer

Hermann Bode, 1950

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LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
HERMANN BODE.
EIN SAMMLER DER MODERNE.
Mario von Lüttichau

Dr. Hermann Bode (1882–1973) wird bei Hannover geboren, wo er                      Mit Alexander Dorner, 1925 bis 1931 Präsident der Kestner Gesell-                         Verfemung der Moderne zerstört wird. Die Begeisterung für die Ab-
später auch als Zahnarzt praktiziert. Bereits in seiner Jugend be-                 schaft, engagiert sich Bode als dessen Stellvertreter im Vorstand. Im                     strakten teilt Bode und so finden nicht nur El Lissitzkys „Proun 30 T“
geistert er sich für die Kunst und Kultur. Mit der etwas jüngeren,                 Laufe seines Lebens erwirbt Bode über 100 Werke der Moderne und                           von 1920 (Abb. 1) und das großformatig Klebebild „Die Kugel“ Eingang
ebenfalls in Hannover geborenen Tänzerin Mary Wigman (eigentl.                     der abstrakten Kunst, ist mit den meisten Künstlern, deren Werke                          in seine Sammlung, sondern auch Kandinskys „Diagonale“ von 1923
Marie Wiegmann) verbindet Bode seit Schülerzeiten eine tiefe                       er sammelt, bekannt und besucht sie in ihren Ateliers wie El Lissitzky                    (Abb. 2) und drei weitere Papierarbeiten des Bauhauslehrers.
Freundschaft und er begleitet sie bei den Anfängen ihrer Tanzkarriere              und Kurt Schwitters in Hannover, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky,                     Schwitters ist mit sechs Arbeiten vertreten, davon drei aus der Col-
als Wegbereiterin des modernen Ausdruckstanzes. Er besucht sie in                  Paul Klee und László Moholy-Nagy in Weimar. Er empfängt Emil                              lage-Serie „MERZ“, etwa „Dame in Rot“ oder „Halberstadt“, beide 1921
Weimar und Dresden, auch tanzt sie immer wieder in Hannover,                       Nolde bei sich zu Hause, tauscht sich mit dem Bauhaus-Architekten                         entstanden. Von László Moholy-Nagy kann sich Bode das Gemälde
etwa mit Harald Kreutzberg. Während des Ersten Weltkriegs wird                     Walter Gropius persönlich aus. Von ihm inspiriert, baut er 1939 in                        „E-BILD“ aus dem Jahr 1921 sichern (Abb. 3). Lissitzkys „Proun 30 T“
Bode als Soldat eingezogen. Bereits in dieser Zeit beginnt er Kunst                Steinhude bei Hannover direkt am ‚Meer‘ ein transparentes Haus mit                        und Moholy-Nagys „E-BILD“ hingen schon in Lissitzkys „Kabinett der
zu kaufen, zum Beispiel von George Grosz und Otto Dix.                             großen Glasflächen, das an erste Entwürfe von Gropius erinnert,                           Abstrakten“ im Provinzialmuseum in Hannover, heute im Besitz des
                                                                                   aber auch Konstruktionen Frank Lloyd Wrights aus Glas und Eisen                           Sprengel Museums, Hannover.
Die Gründung der Kestner Gesellschaft 1916 in Hannover, die heute                  berücksichtigt. Als Architekt gewinnt Bode den mit ihm befreunde-
zu den erfolgreichsten deutschen Kunstvereinen zählt, wird für                     ten Künstler und Designer Hans Nitzschke, der schon für das Privat-                       Natürlich nimmt die Aufbruchsstimmung in Hannover auf den
Hermann Bodes feinsinniges Gespür für Kunst und Kultur und die                     büro von Günther Wagner Möbel entwirft und für Fritz Beindorff                            Sammler Einfluss, so auch das Engagement des Galeristen und
Ausrichtung seiner Sammlung von zentraler Bedeutung. Bode wen-                     jun. Umbauten im Pelikan-Werk plant. Hermann Bode behält die                              Sammlers Herbert von Garvens-Garvensburg. Ihm ist es zu verdanken,
det sich der Moderne zu. Ein Großteil seiner Sammlung generiert                    bisher bewohnte Villa in der Waldseerstraße in Hannover, wählt aber                       dass Anfang der 1920er Jahre in Hannover Künstler wie Edvard Munch,
sich aus Bildern, die er in Ausstellungen der Kestner Gesellschaft                 ab 1943 das neue Haus in Steinhude zum Wohnsitz der Familie und                           James Ensor und Marc Chagall in seiner Galerie gezeigt werden, aber
                                                                                                                                                                                                                                                      Wohnhaus Bode, Stühle von Hans Nitzschke; an der Wand das Klebebild
erwirbt. Er fühlt sich angezogen vom experimentellen Stil der jungen               entsprechend der modernen Bauweise erfährt die Sammlung neuen                             auch die jüngsten Kräfte wie Fernand Léger, Robert Delaunay, El
                                                                                                                                                                                                                                                      „Die Kugel“ von El Lissitzky (Foto aus: Alexander Dorner, S. 35)
Künstler, er glaubt an den großen Aufbruch einer neuen Zeit. Im                    Ausdruck und Stellenwert.                                                                 Lissitzky, László Moholy-Nagy, Kurt Schwitters (Abb. 4), Otto Dix,
Gründungskreis der Kestner Gesellschaft entwickelt sich Bode zu                                                                                                              George Grosz und Paul Klee. Neben seinem Engagement in der Kestner
einem renommierten Kunstkenner und Sammler.                                        Für die Erweiterung seiner Sammlung ist Bodes tiefgehende Verbin-                         Gesellschaft ist Hermann Bode auch förderndes Mitglied und Samm-
                                                                                   dung zu Alexander Dorner anregend. Dorner, ab 1919 Kustos, dann                           ler der Künstlervereinigung „die abstrakten hannover“, gegründet
Hermann Bode ist zweimal verheiratet. 1906 heiratet er Julia Peipers,              von 1925 bis 1937 Direktor der Gemäldegalerie des Provinzialmuseums                       im März 1927 von Carl Buchheister, Rudolf Jahns, Hans Nitzschke,
sie haben vier Töchter: Maria (*1907), Erkhild (*1908), Forgard (*1910)            (heute Landesmuseum Hannover), ordnet dessen Kunstsammlungen                              Kurt Schwitters, Friedrich Vordemberge-Gildewart.
und Friedegard (*1917); die Ehe wird 1923 geschieden. Noch im selben               neu und ergänzt sie vorwiegend mit abstrakter Kunst. 1926 beauf-
Jahr ehelicht Bode Ilse Robert, geborene Beindorff, die Tochter von                tragt Dorner El Lissitzky mit dem Entwurf und der Einrichtung eines                       1936 besucht das Ehepaar Bode die Welt-Ausstellung in Paris, ein
Fritz Beindorff sen. und dessen Frau Elisabeth „Elli“, Tochter des                 „Kabinetts der Abstrakten“, das 1937 im Zusammenhang mit der                              Jahr später die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Hermann
Gründers der Pelikan-Werke Günther Wagner. Ilse Bode bringt die                                                                                                              Bode ist verstört über die diffamierende Inszenierung; er entdeckt
Kinder Ilse und Kurt mit in die Ehe; 1926 kommt der gemeinsame                                                                                                               Werke vieler Künstler, die er persönlich kennt und sammelt. Mit dem
Sohn Sindbert zur Welt. Aus Anlass der Hochzeit mit Hermann Bode                                                                                                             Besuch der documenta 1955 in Kassel erlebt Bode wiederum die
schenkt Fritz Beindorff sen. seiner Tochter Ilse die Walmdach-Villa                                                                                                          Rehabilitierung der verfemten Künstler. Es ist das zentrale Thema
in der Waldseerstraße in Hannover.                                                                                                                                           der ersten umfassenden Kunst-Ausstellungen im westlichen Nach-
                                                                                                                                                                             kriegsdeutschland.                                                       Abstraktes Kabinett, Rekonstruktion Sprengel Museum, Hannover;
Hermann Bode gibt seine Zahnarztpraxis auf und widmet sich dem                                                                                                                                                                                        auf der Rückwand links: El Lissitzky, Proun 30 T, 1920, ehemals Sammlung
Schreiben und dem Musizieren. Er komponiert, beschäftigt sich mit                                                                                                            Anfang der 1960er Jahre beginnt Bode seine Sammlung von über             Hermann Bode

Philosophie, Anthropologie und Astronomie, liest Leibniz, Kant,                                                                                                              100 Bildern und Skulpturen unter dem Titel „Kunstsammlung Bode“
Nietzsche, Heidegger und erlernt chinesische Schriftzeichen, um den                                                                                                          zu dokumentieren; 38 Werke davon sind Leihgaben in der Ausstellung
Buddhismus zu ergründen.                                                           Gartenansicht Wohnhaus                                                                    „Die Pelikan-Kunstsammlung“ im Kunstverein Hannover 1963.

4    KETTERER KUNST                      Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                                                                       5
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EHEMALS SAMMLUNG BODE

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                                                                                                                                                                                   SPIEGEL EINES INTENSIVEN KULTURLEBENS.
    Abb. 1: El Lissitzky, Proun 30T, 1920; Öl auf Leinwand, 50 x 62 cm,                                   Abb. 2: Wassily Kandinsky, Diagonale, 1923; Öl auf Leinwand,
    Sprengel Museum Hanover                                                                               70,5 x 58 cm, Niedersächsisches Landesmuseum, Hannover
                                                                                                                                                                                   Das Gästebuch von Hermann Bode beginnt mit dem ersten Eintrag             Erneut zu Gast ist Mila Cirul, sie bedankt sich mit einem Bilderrätsel
                                                                                                                                                                                   am 26. Dezember 1912 und endet vier Jahrzehnte später am 4. August        bei Ilse (Bode) und Vati (Hermann Bode). (Gästeb., S.17) Am 7. Mai
                                                                                                                                                                                   1951. Das Gästebuch entspricht der typischen Tradition, eine Mischung     1928 sind Ada und Emil Nolde erfreut über die Hängung ihrer „kleinen
                                                                                                                                                                                   zu sein aus sehr dichten, persönlichen Eintragungen von Familien-         Bilder“ im Haus Bode und geben dies zum Ausdruck. Am 19. September
                                                                                                                                                                                   mitgliedern, etwa den Töchtern, die mit den Enkelkindern die Groß-        1928 unterbrechen El Lissitzky mit Sophie Lissitzky-Küppers, sie sind
                                                                                                                                                                                   eltern besuchen, und illustren Gästen, zumeist Freunden aus dem           seit 1927 verheiratet, ihre Reise von Paris nach Moskau in Hannover;
                                                                                                                                                                                   Bereich Kunst, Musik und Tanz. „Segeln Musik gutes Essen Alles kann       das Ehepaar Dorner ist ebenfalls zugegen. (Gästeb., S.19 und 20) Kurt
                                                                                                                                                                                   man bei Bode’s haben! Herzlich Jochen Burchard 18. X. 25“. Burchard       Schwitters trägt sich mehrfach in das Gästebuch ein, etwa als er am
                                                                                                                                                                                   engagiert sich in der Kestner Gesellschaft und steht mit Walter           23. Oktober 1928 einer Lesung mit Midia Pines beiwohnt; sie ist
                                                                                                                                                                                   Gropius in Briefkontakt. Und El Lissitzky trägt sich am 25. Juni 1926     Vortragskünstlerin und Schwitters mit ihr befreundet.
                                                                                                                                                                                   zusammen mit Sophie Küppers ein und schreibt: „Es ist leichter mir
                                                                                                                                                                                   zeichnen als schreiben“ (Gästeb., S.8), ebenso am 3. Oktober 1926.        Naum Gabo besucht Bode am 15. November 1930 und trifft auf den
                                                                                                                                                                                                                                                             ‚Abstrakten‘ Hans Nitzschke. Am 10. November 1931 trägt sich Amédée
                                                                                                                                                                                   Im Hause Bode wird viel musiziert und über Musik und Tanz diskutiert;     Ozenfant in das Gästebuch ein, im März 1933 Mary Wigman und zu
                                                                                                                                                                                   entsprechend euphorisch sind die Einträge nach Musikabenden, etwa         einem späteren Zeitpunkt, wohl 1941, ist es Harald Kreutzberg, ein
                                                                                                                                                                                   am 2. März 1927 mit dem Choreografen und Tanztheoretiker Rudolf           früher Schüler von Wigman und inzwischen Leiter der Staatlichen
                                                                                                                                                                                   von Laban, dem Tänzer Julian Algo, Tanzpartner unter anderem der          Akademie für Tanzkunst in Wien. Immer wieder erfährt man von
                                                                                                                                                                                   Tänzerin Mila Cirul, sie zeichnet ihren Gruß ebenfalls am selben Abend:   Musiknachmittagen und Musikabenden, etwa am 13. November
                                                                                                                                                                                   „Im Löwenkäfig haust Mila Cirul“, und Kapellmeister Johannes Schüler,     1946 mit „Gesänge und Lieder von Hermann Bode“, vorgetragen
                                                                                                                                                                                   seit 1924 in Hannover tätig. (Gästeb., S.12) Gut zwei Wochen später       von Waltraut Prange (Sopran), Ilse Bode am Klavier und Hermann
                                                                                                                                                                                   ist Theodor Däubler zu Gast bei Bodes: „Nach meinem Empfang,              Bode, Flöte. (Gästeb., S.47 und 48) Bodes Gästebuch ist Spiegel
            Abb. 3: László Moholy-Nagy, E-Bild, 1921; Öl auf                            Abb. 4: Kurt Schwitters, 7. Abstrakte Komposition, 1925,                                   mag ich schaffend fasten 23. III. 1927“, schreibt er. Und für den Abend   eines intensiven Kulturlebens. Es endet gut zwanzig Jahre vor dem
            Nessel, 66 x 51 cm, Sotheby’s November 2015, Lot 39                         Öl auf Holz 69,8 x 56,7 cm; Sammlung Sonanini, Schweiz                                     der Abstrakten am 4. Oktober 1927 bedankt sich Carl Buchheister.          Tod des Sammlers.

6   KETTERER KUNST                             Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                                                                  7
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
Gästebuch S. 8, El Lissitzky mit Sophie Küppers, 25. Juni 1926: „Es ist leichter mir zeichnen als schreiben“                                       Gästebuch S.17, Mila Cirul bedankt sich mit einem Bilderrätsel bei Ilse (Bode) und Vati (Hermann Bode)

                     Gästebuch S. 12, 2. März 1927: Rudolf von Laban, Choreograf und Tanztheoretiker;                                                                   Gästebuch S.19 und 20, 19. September 1928: El Lissitzky mit Sophie Lissitzky-Küppers,
                     Julian Algo, Tänzer; Kapellmeister Johannes Schüler, seit 1924 in Hannover tätig.                                                                  Alexander und Lydia Dorner

                     Gästebuch S.14, 2. März 1927: „Im Löwenkäfig haust Mila Cirul“, Mila Cirul, Tänzerin.                                                              Gästebuch S. 47 und 48, 13. November 1946: Liederabend mit Gästen, „Gesänge und Lieder von Hermann Bode“

8   KETTERER KUNST                  Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                              9
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
DIE KESTNER GESELLSCHAFT

                                                                                  Die Kestner Gesellschaft, im September 1916 von Kunstliebhabern
                                                                                                                                                                            DIE PELIKAN-
                                                                                  wie Leo Catzenstein, Fritz Beindorff sen., Hermann Bahlsen, Herbert
                                                                                                                                                                            KUNSTSAMMLUNG
                                                                                  von Gravens-Gravensburg und anderen ins Leben gerufen, ernennt
                                                                                  Paul Erich Küppers (1889–1922) zum ersten Direktor. Mit Max Lieber-
                                                                                  mann wird noch im Oktober die erste Ausstellung eröffnet, es folgen                       „In der Pelikan-Kunstsammlung der Günther-Wagner-Werke, Hanno-           der Firma arbeiten. In der Jury sitzen die Maler Hugo von Habermann,
                                                                                  ganz unterschiedliche Positionen und Überblicksausstellungen, etwa                        ver, haben wir eine Sammlung vor uns, in der sich das aristokratische    Max Liebermann und Leopold von Kalckreuth, der Hamburger
                                                                                  im Mai 1917 mit in Hannover ansässigen Künstlern, darunter Kurt                           Prinzip des privaten Kunstsammelns mit den sozialen Forderungen          Museumsdirektor Alfred Lichtwark, der Bremer Museumsdirektor
                                                                                  Schwitters und Otto Gleichmann. Im September 1917 zeigt die                               des modernen Lebens aufs glücklichste verbindet. Sie ist ein noch        Gustav Pauli sowie Hugo von Tschudi, Direktor der Staatlichen
                                                                                  Kestner Gesellschaft mit 133 Gemälden Paula Modersohn. Gleich zu                          seltener, aber zukunftsweisender Typ und kann den Anspruch für sich      Galerien in München, und andere. Die Pelikan-Sammlung wächst
                                                                                  Beginn 1918 folgt Emil Nolde mit 143 Arbeiten. César Klein und Lud-                       erheben – vielleicht überhaupt als die erste – diesen Typus geprägt      nicht nur mit dem Erwerb von Werken der Ausgezeichneten des
                                                                                  wig Meidner werden im Sommer 1918 vorgestellt, Anfang 1919 Erich                          zu haben“, schreibt der langjährige Direktor des Niedersächsischen       Wettbewerbs. Mit diesen Ankäufen legt Beindorff den Grundstock
                                                                                  Heckel mit 230 Arbeiten, im November Paul Klee mit Lyonel Feininger.                      Landesmuseums, Ferdinand Stuttmann, 1950 in der Einleitung zu            für die Pelikan-Sammlung, die er in den Räumen der Firma aufhängen
                                                                                  1920 sind Arbeiten von Alexej von Jawlensky und Wilhelm Lehmbruck                         einem vierbändigen Katalog der „Kunstwerke der Pelikan-Sammlung          lässt, „um den Arbeitern und Angestellten den lebendigen Zusam-
                                                                                  zu sehen und turnusmäßig Kollektionen der Hannoverschen Sezes-                            aus sechs Jahrhunderten“. Einem Großteil der Sammlung können die         menhang der hier zu leistenden Arbeit mit dem künstlerischen Schaf-
                                                                                  sion. Das Jahr 1923 beginnt die Kestner Gesellschaft mit El Lissitzky,                    Mitarbeiter täglich im Unternehmen begegnen, ein anderer Teil ist den    fen in aller Welt vor Augen zu halten.“ (Sinda Dimroth, S. 113) Im
                                                                                  es folgen Ausstellungen mit Wassily Kandinsky, Karl Schmidt-Rottluff                      Besuchern etwa des Provinzialmuseums Hannover (Landesmuseum)             Herbst 1918 übernimmt Beindorff sen. die in der Kestner-Gesellschaft
                                                                                  und László Moholy-Nagy. 1924 sind im Januar „Moderne Bilder aus                           überlassen. Später schmücken Leihgaben der Pelikan-Sammlung das          gezeigte Kollektion von Adolf Hölzel in Gänze und beauftragt den
                                                                                  Hannoverschem Privatbesitz“ zu sehen, Kurt Schwitters kann sich                           1969 auf den Weg gebrachte, erst Mitte der 1980er Jahre eröffnete        Künstler zudem, ein farbiges Glasfenster für den Konferenzraum der
                                                                                  mit neuesten Arbeiten präsentieren und 1926 im Februar sind Bilder                        Sprengel Museum Hannover. Anlass für das Museum ist eine Schen-          Fabrik zu entwerfen. Hölzel erfährt somit eine zentrale Herausstel-
                                                                                  und Grafik der Künstler vom Bauhaus Dessau zu Gast in Hannover:                           kung des Schokoladenfabrikanten Bernhard Sprengel, der mit seiner        lung in der Sammlung Pelikan. Es folgen Werke in erlesener Qualität
                                                                                  Feininger, Klee, Kandinsky, Schlemmer, Moholy-Nagy, Muche u. v. a.                        Frau im Jahr 1969 ihre umfangreiche Kunstsammlung der Moderne            von Lovis Corinth, Max Slevogt, Franz Marc, August Macke und an-
                                                                                  Mit der Kestner Gesellschaft avanciert Hannover in den 1920er Jahren                      der Stadt Hannover überlässt.                                            deren. Die Pelikan-Sammlung spiegelt die Künstler, die in Ausstellun-
                                                                                  zu einer Metropole der Moderne und inspiriert entsprechend ihre                                                                                                    gen im Hannoverischen Kunstverein und in der Kestner Gesellschaft
                                                                                  Mitglieder, zu sammeln, mit Ankäufen nicht nur die ausgestellten                          Das Unternehmen Pelikan geht zurück auf eine 1838 von dem Chemi-         vorgestellt werden. El Lissitzky entwickelt eine Werbung für Pelikan,
                                                                                  Künstler, sondern nachrangig auch die Aktivitäten der Kestner Gesell-                     ker Carl Hornemann (1811–1896) bei Hannover gegründete Farben-           die in die Designgeschichte eingeht, die liegende Tintenflasche von
                                                                                  schaft zu finanzieren; wie etwa die „Kestner-Bühne“: Schauspieler                         und Tintenfabrik. Nach Hornemanns Ausscheiden 1871 übernimmt             Wilhelm Wagenfeld wird zum Designklassiker, Kurt Schwitters benutzt
                                                                                  und Ensembles aus Hamburg und Berlin geben sich Anfang der 1920er                         der bisherige Werksleiter, der Chemiker Günther Wagner (1842–1930)       Pelikanol-Fehldrucke aus der Firmenwerbung für seine Collagen. 1929
                                                                                  Jahre die Türklinke in die Hand. Die Kestner Gesellschaft fungiert                        das Unternehmen und setzt den Pelikan, das Wappentier seiner             kommt der erste Füllfederhalter auf den Markt und wird eines der
                                                                                  inzwischen auch als Verleger von Mappenwerken. El Lissitzkys „Proun“                      Familie, 1878 als Markenzeichen ein. Ab den 1880er Jahren expandiert     Markenzeichen. Wenig später folgt der Deckfarbenkasten für die
                                                                                  aus dem Jahr 1923 ist die erste der sechs erscheinenden Mappen, die                       das Unternehmen, Fritz Beindorff (1860–1944) wird Prokurist, heiratet    Schule, der den Aquarellkasten fast vollständig verdrängt; nahezu
                                                                                  Reihe endet mit sechs „Konstruktionen“ von László Moholy-Nagy in                          1888 Elisabeth „Elli“, die Tochter Wagners, und wird 1895 durch Erwerb   jeder Schüler in Deutschland benutzt Produkte der Marke Pelikan.
                                                                                  zum Teil farbigen Lithografien. Und es werden Jahresgaben für die                         Alleininhaber der Firma Pelikan. Beide, Wagner und Beindorff, sind
                                                                                  Mitglieder aufgelegt, überwiegend druckgrafische Werke von Künst-                         den bildenden Künsten zugewandt, sie engagieren sich für den be-
                                                                                  lern, deren Arbeiten gerade in Ausstellungen zu sehen sind. Aus                           reits 1832 gegründeten Hannoverschen Kunstverein ebenso wie für
                                                                                  diesem Anlass erwirbt Hermann Bode 1925 eine Jahresgabe von Paul                          die 1916 aus der Taufe gehobene Kestner Gesellschaft. Deren erster
                                                                                  Klee, den „sechsbeinigen Hundsteufel“. Und es werden Feste in der                         Direktor ist Paul Erich Küppers (1889–1922), zu den Gründern gehört
                                                                                  Kestner Gesellschaft gefeiert wie zum Karneval 1927: Hermann Bode                         neben dem Fabrikanten Hermann Bahlsen auch der Inhaber der
                                                                                  als Ballon-Händler mit der Tänzerin Mila Cirul.                                           Pelikan-Werke Fritz Beindorff sen.

                                                                                  1931 erfolgt eine Erweiterung des Vereins-Zwecks durch die Gründung                       Nach der Jahrhundertwende beginnt das Interesse an der zeitgenös-
                                                                                  des „Museums für das vorbildliche Serienprodukt“, das als „Günther-                       sischen Kunst. Max Klinger und Arnold Böcklin, Max Liebermann und
                                                                                  Wagner-Stiftung der Pelikanwerke Hannover“ der Kestner Gesellschaft                       Fritz von Uhde, Franz von Lenbach, Lovis Corinth und anderen werden
                                                                                  angegliedert wird. Die Verbindung der Pelikan-Werke zur Kestner                           Ausstellungen in Hannover gewidmet, ebenso werden die Worps-
                                                                                  Gesellschaft ist damit nicht nur durch das immerwährende Engage-                          weder und Paula Modersohn-Becker gewürdigt.
                                                                                  ment der Familie Beindorff sichtbar, sondern nunmehr Teil der Satzung
Tänzerin Mila Cirul mit Herrmann Bode
                                                                                  des Vereins und dieser wird zukünftig im Auftrag Ausstellungen mit                        Werbewirksam treten die Pelikan-Werke in Erscheinung, als sie erst-                           Wilhelm Wagenfeld, „Pelikan-Tintenfaß“
als Ballonhändler, Karneval 1927                                                  angewandter Kunst durchführen.                                                            mals 1911 und 1913 Preise für Künstler ausschreiben, die mit Produkten                        © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021

10   KETTERER KUNST                     Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                                                               11
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
El Lissitzky, Werbung für Pelikan-Produkte

1923 ernennt der Vater, Fritz Beindorff sen., seinen ältesten Sohn                     Ausstellung „Museum Folkwang Essen zeigt in Villa Hügel Kunst-
                                                                                                                                                                                         FRANZ MARC
                                                                                                                                                                                 LY O N E L F E I N I N G E R
Günther zum Geschäftsführer der chemischen Betriebe, sein Sohn                         werke aus Kirchen-, Museums- und Privatbesitz“ die Gemälde von
Fritz übernimmt neben dem Vater die kaufmännische Leitung des                          Rembrandt, van Dyck, Rubens und Maes aus der Pelikan-Sammlung/
gesamten Unternehmens. Der jüngste Sohn Kurt führt das Blechwerk,                      Beindorff zeigen. Eine Ausstellung, die am Ende sagenhafte 480.000

                                                                                                                                                                                 OTTO GLEICHMANN
in dem Pinselkästen und Verpackungen hergestellt werden. „Am 2. Juni                   Besucher gesehen haben.
1944 ist der Senator Dr.-ing. e. h. Fritz Beindorff, vierundachtzigjährig
gestorben, nachdem ihm sein Sohn Fritz bereits vorangegangen war.                      Die Exponate der Pelikan-Ausstellung für das 19. und 20. Jahrhundert
Seine Söhne und Enkel, sein Schwiegersohn Dr. Hermann Bode und                         sind von unterschiedlichen Leihgebern beigesteuert, die aber mit
seine Schwiegertochter Ariane Beindorff haben auch die künstleri-
sche Seite seiner Lebensarbeit übernommen und sein Werk weiter-
geführt. Seine Söhne Fritz und Günther, sein Enkel Klaus sind in
                                                                                       dem Unternehmen in direktem, beziehungsweise in verwandtschaft-
                                                                                       lichem Bezug stehen. Als Leihgeber firmiert zunächst wieder die
                                                                                       Firmensammlung Pelikan, sodann Mitglieder der Familie Beindorff:
                                                                                                                                                                                      OTTO MUELLER
schwersten Zeiten im Vorstande der Kestner-Gesellschaft treu und
energisch für die Sache der Kunst und der Freiheit eingetreten. So
hat im Titel unserer Ausstellung die ‚Familie Beindorff‘ mit bestem
                                                                                       Klaus Beindorff, Enkel von Fritz Beindorff sen. und bis zu seinem Tod
                                                                                       1961 Vorstand der Günther Wagner / Pelikan-Werke, und seine Frau
                                                                                       lIse bringen sich mit dem Erwerb der zeitgenössischen Generation
                                                                                                                                                                                            PAU L KLEE
Recht ihren Platz“, soweit der Literatur- und Theaterkritiker Johann                   ein, erwerben Werke von Ernst Wilhelm Nay, Alexander Camaro,
Frerking im Katalog zur Ausstellung der Pelikan-Kunstsammlung.                         Hans Volkert sowie den Hannoveranen Kurt Lehmann und Sigrid
                                                                                       Kopfermann.
Von Ende April bis Mitte Juni 1963 zeigt der Kunstverein Hannover
„die Pelikan-Kunstsammlung aus dem Besitz des Hauses Günther                           Ariane Beindorff, geb. von Maltzahn (1901–1977), ist mit Fritz Bein-
Wagner, Hannover, Pelikan-Werke, und der Familie Beindorff“. Die                       dorff jun. (1891–1938) verheiratet und sammelt in memoriam ihres
Ausstellung ist nach Epochen geordnet: Auf die Alten Meister aus                       Mannes weiter. Weitere Leihgeber sind Helga (Tochter von Ariane
Deutschland und den Niederlanden folgt das 19. und 20. Jahrhundert                     und Fritz Beindorff jun.) und ihr Mann Adolf Thieme sowie Dr. Her-
sowie ein Kapitel, das Adolf Hölzel gewidmet ist. Die Pelikan-Samm-                    mann Bode; er ist seit 1923 in zweiter Ehe mit Ilse, Tochter von Elisa-
lung „Alte Meister“ ist spektakulär besetzt mit Werken von Lucas                       beth „Elli“ und Fritz Beindorff sen. verheiratet.
Cranach, Adriaen Brouwer, Jan Breughel d. Ä., Nicolaes Maes, Rem-
brandt, Rubens, Jacob van Ruisdael, Jan Steen, David Teniers, Tilman                   Die Pelikan-Kunstsammlung wächst in einem Familienunternehmen
Riemenschneider und geht zurück auf Ankäufe von Fritz Beindorff                        mit tiefgehender Tradition und spiegelt in ihrer historischen Breite
sen.; er wird Anfang der 1930er Jahre von Alexander Dorner, Direktor                   eine über Jahrzehnte sich entwickelnde Sprache in der bildenden
des Provinzialmuseums Hannover, beraten und die wertvollen Ge-                         Kunst. So entsteht im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
mälde hängen nicht zuletzt auch in dessen Museum als Leihgaben.                        eine der umfangreichsten Kunstsammlungen auch im Umfeld eines
In Museumskreisen spricht sich diese Qualität nach dem Zweiten                         Unternehmens, das nicht nur Tinte und Füllfederhalter herstellt,
Weltkrieg schnell herum und so fragt Heinz Köhn, Direktor des                          sondern auch modernste Produkte wie Künstlerfarben, wie die legen-
Museum Folkwang, in Hannover an und kann ab Mai 1953 mit der                           dären Pelikan-Deckfarben im rechteckigen Metallkasten.

12   KETTERER KUNST                          Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
LYONEL FEININGER OTTO GLEICHMANN PAUL KLEE FRANZ MARC OTTO MUELLER - WERKE AUS DER SAMMLUNG ILSE UND HERMANN BODE
Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni

 FR A NZ M A R C
 1880 München - 1916 Verdun

 Zwei gelbe Tiere (Zwei gelbe Rehe). 1912/13.                                                 • Aquarelle in diesem Format gelten als die poetischsten
                                                                                                Werke des Künstlers
 Aquarell und Bleistift.
 Hoberg/Jansen B III XXVI S. 233 (ohne Abb.), Lankheit 621 (ohne Abb.).                       • Aus dem Besitz der Familie des Künslers blieb es bis
 Auf gelblichem Maschinenpapier (am Falz perforiert).                                           heute in der Sammlung Hermann Bode
 17 x 10 cm (6.6 x 3.9 in), blattgroß.
                                                                                              • Als Dauerleihgabe im Sprengel Museum
 Aus dem Skizzenbuch XXVI von 1912/13
                                                                                              • Das Aquarell entsteht während der wichtigen Zeit des
 € 200.000 – 300.000                                                                            „Blauen Reiter“
 $ 230,000 – 345,000
                                                                                              • In diesem nahezu ursprünglichen Zustand aus der besten
                                                                                                Zeit kaum noch auf dem Markt zu finden
 PROVENIENZ
 · Maria Marc, Ried.
 · Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude (wohl seit 1936)
 · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

 AU SS T E L L U N G
 · Kunsthaus Zürich, 1934 (kein Kat.).
 · Galerie Klipstein, Bern, 1935 (kein Kat.).
 · Kunstmuseum Basel, 1935 (kein Kat.).
 · Kunsthaus Zürich, 13.1.-10.2.1935, Nr. 134.
 · Franz Marc. Gedächtnisaustellung, 150. Jahre Ausstellung Kestner-
  Gesellschaft, Hannover, 4.3.-19.4.1936, Nr. 78.
 · Zeitgenössische Kunst aus hannoverschem Privatbesitz, Kestner
  Gesellschaft, Hannover, 1954, wohl Nr. 93.
 · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933,
  Sprengel Museum Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 20 (mit Abb.).
 · Sprengel Museum, Hannover (Dauerleihgabe bis Anfang 2021).

„Gibt es für einen Künstler eine geheimnisvollere Idee als die,
 wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt?“
 Franz Marc um 1911/12

 16    KETTERER KUNST                               Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de   17
Bei der Betrachtung dieses Aquarells - im Format etwas größer als
eine Postkarte - gelingt es Franz Marc erneut, seine Ergriffenheit von
der geheimnisvollen Schöpfungsmacht der Natur auf uns zu über-
tragen. Wir sind ergriffen von der Anmut der Darstellung, angetan
von der erhabenen Formung der Tierkörper in fantasievoller Land-
schaft, angetan von der Wirkung der fein gesetzten Farben. Das Werk
des Künstlers ist beseelt von tiefgreifenden Gefühlen für das Tier,
welches sich instinktiv in der Natur bewegt, mit ihr verschmilzt, und
bei all dem erscheint die Beobachtung des Künstlers nicht von dieser
Welt: „Gibt es für einen Künstler eine geheimnisvollere Idee als die,
wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt? Wie sieht
ein Pferd die Welt oder ein Adler, ein Reh oder ein Hund? Wie arm-
selig, seelenlos ist unsere Konvention, Tiere in eine Landschaft zu        Franz Marc, Rehe im Schilf, 1909, Öl auf Leinwand, Bayerische Staatsgemälde-
setzen, die unserm Auge zugehört, statt uns in die Seele des Tieres        sammlung, Pinakothek der Moderne, München.

zu versenken, um dessen Bildkreis zu erraten. […] Was hat das Reh
mit dem Weltbild zu tun, das wir sehen? Hat es irgendwelchen ver-
nünftigen oder gar künstlerischen Sinn, das Reh zu malen, wie es
unserer Netzhaut erscheint, oder in kubistischer Form, weil wir die
Welt kubistisch fühlen? Wer sagt mir, daß das Reh die Welt kubistisch
fühlt; es fühlt sie als ‚Reh‘, die Landschaft muß also ‚Reh‘ sein. Das
ist ihr Prädikat“, formuliert Marc 1911/12, Gedanken, die Maria Marc
1920 veröffentlicht. (Zit. nach: Franz Marc. Briefe, Schriften und
Aufzeichnungen, hrsg. von Günter Meißner, Leipzig 1989, S. 233) Franz
Marc nimmt die Naturwissenschaft sehr ernst, vergräbt sich zudem
in den Geist der Tier-Symbolik und kann sich so auf romantische
Weise in ausgeprägter Poesie seinen mitunter träumerischen Vor-
stellungen nach einer ursprünglichen Welt hingeben. So bindet Marc
die gelben Rehe ein in kreisförmige, geometrische Linien, die er aus
der Haltung der Tiere heraus ableitet. Die hügelige Landschaft im
Vorder- und Hintergrund wird in diesen Rhythmus runder Formge-             Franz Marc, Tierschicksale, 1913, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum, Basel
bilde eingeschlossen und gerät in einen kreisenden Bewegungs-
impuls, entwickelt sich aus der Körperform der Tiere. Tier und Umwelt
vereint der Künstler zu einer alle Bildebenen durchdringenden
Synthese mit einer weich fließenden, organischen, dem Kubismus
entlehnten Formensprache. Franz Marc ist fasziniert von der kubisti-
schen Gestaltungsform, um die inhaltliche Aussage zu steigern, zu
konzentrieren und sie mit seinen sinnbildlich aufgeladenen Farben
zu besetzen. Nicht zuletzt spielt die Farbpalette in seinen Komposi-
tionswelten eine höchst symbolische Rolle, wie hier das Gelb: „Gelb
ist das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich“, schreibt Marc in
einer längeren Überlegung über Farbtheorien im 19. Jahrhundert am
12. Dezember 1910 an seinen kürzlich in München gewonnenen
Freund August Macke nach Bonn (August Macke, Franz Marc, Brief-
wechsel, Köln 1964, S. 28).

                                                                                                                                                          19
Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni

 LYO N E L F E I N I N G E R
 1871 New York - 1956 New York

 An der steilen Küste. 1921.                                                                  • Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten

 Aquarell und Tuschfederzeichnung.                                                            • Aus Feiningers wichtigem ersten Jahr am Staatlichen
 Links unten signiert, rechts unten datiert „März 1921“ und unten mittig betitelt.              Bauhaus in Weimar
 Auf chamoisfarbenem Velin. 24,8 x 32,2 cm (9.7 x 12.6 in), Blattgröße. [CH]                  • Besonders detailliert ausgearbeitetes Werk
 „Achim Moeller, Direktor des Lyonel Feininger Project LLC, New York – Berlin,
                                                                                              • „An der steilen Küste“ ist ein köstliches Bespiel für Feiningers
 hat die Echtheit dieses Werkes, das im Archiv des Lyonel Feininger Project
                                                                                                feinen Humor
 unter der Nummer 1687-04-26-21 registriert ist, bestätigt. Weiterführende
 Informationen für diesen Eintrag wurden von Moeller Fine Art Projects |                      • Segelschiff - Dampfschiff - Luftschiff: Außergewöhnliches
 The Lyonel Feininger Project, New York – Berlin zur Verfügung gestellt.                        Zeugnis von Feiningers Faszination für die Technik seiner Zeit

 € 40.000 – 60.000
 $ 46,000 – 69,000

 PROVENIENZ
 · Nachlass Julia (Julie) Feininger, New York (1970).
 · Marlborough Fine Art, London (1971 - mindestens 1973)
 · Nachlass Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude.
 · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

 AU SS T E L L U N G
 · Lyonel Feininger 1871-1956, Haus der Kunst, München, 24.3.-13.5.1973,
  Kunsthaus Zürich, 25.5.-22.7.1973, Kat.-Nr. 191 (mit Abb., S. 176).
 · Lyonel Feininger. Originale auf Papier und Druckgraphik aus dem Besitz des
  Sprengel Museum Hannover, 28.5.-1.9.1996, S. 5 (mit Farbabb.).
 · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum,
  Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 21 (mit Farbabb.).
 · Sprengel Museum, Hannover (als Dauerleihgabe seit 1986 bis Anfang 2021,
  Inv.-Nr. D 198)

„Ich fühle so unzählige Bilder auftauchen in meiner Fantasie, habe
 solche Sehnsucht nach Verwirklichung dieser Visionen, es ist wie
 ein Sichklammern an diesem Leben mit allen Erinnerungen (...)
 Seit dem Kriege, seit 1914, ist nicht diese sprudelnde Quelle von
 Sehnsuchtsvisionen über mich gekommen wie jetzt.“
 Lyonel Feininger an seine Frau Julia am 9.9.1922

 20    KETTERER KUNST                               Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de   21
Das vorliegende Aquarell mit dem Titel „An der steilen Küste“ ist ein
                                                                                                                                                                                  köstliches Beispiel für Feiningers feinen Humor. In der naiv-skurrilen
                                                                                                                                                                                  Darstellung der Schiffe und des Zeppelins zeigt dieses Blatt eine
                                                                                                                                                                                  heiter gelöste, fantasievolle Episode. Durch schwere See stampft ein
                                                                                                                                                                                  Dampfer mit hoher Takelage, schwarze Rußwolken werden vom Wind
                                                                                                                                                                                  verweht und umhüllen ein Segelboot mit quadratisch geformtem,
                                                                                                                                                                                  gelbem Stander, der einen stilisierten Reichsadler führt. Darüber
                                                                                                                                                                                  schwebt ein der Form eines U-Boots verwandter Zeppelin.
Lyonel Feininger, Ausfahrende Barke, 1921, Aquarell und Tuschfeder,                                                                                                               Wie so oft geht es Lyonel Feininger in seinen Zeichnungen und
Sprengel Museum, Hannover
                                                                                                                                                                                  Aquarellen um eine eher distanzierte Reflexion über die Realität. Sie
© VG-Bild-Kunst, Bonn 2021
                                                                                                                                                                                  gestatten ihm, sich nicht in dieser zu verlieren, sondern in ihr kosmi-
                                                                                                                                                                                  sche Zusammenhänge zu entdecken. So geht es hier um Schiffe: Segel-
                                                                                                                                                                                  schiff, Dampfschiff und Luftschiff. Und es geht um das Meer, für
                                                                                                                                                                                  Feininger ein Synonym für geheimnisvolle Weite und Unendlichkeit.
                                                                                                                                                                                  Feiningers Faszination für das Meer lässt sich bis in seine früheste
                                                                                                                                                                                  Jugend zurückverfolgen und ebenso seine Liebe zum Modellschiffs-
                                                                                                   Lyonel Feininger, Windstille, 1929, Aquarell und Tuschfeder,
                                                                                                                                                                                  bau, wie die detaillierte Zeichnung des Segelschiffs mit Klüverbaum       Brief von Lyonel Feininger an Dr. Hermann Bode vom 28.10.1954
                                                                                                   ehemals Sammlung Isle und Hermann Bode, Hannover
                                                                                                                                                                                                                                                            © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021
                                                                                                                                                                                  und entsprechenden Vorsegeln zeigt, respektive die im 19. Jahrhun-
                                                                                                   © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021
                                                                                                                                                                                  dert und auch Anfang des 20. Jahrhunderts noch übliche Bemastung
                                                                                                                                                                                  mit Takelage größerer Dampfschiffe dokumentiert. Nicht zuletzt
                                                                                                                                                                                  verbindet das Luftschiff Feiningers Vision von sich bewegender
                                                                                                                                                                                  Technik zwischen Meer und Himmel. Feininger erzählt diesen Zusam-
                                                                                                                                                                                  menklang besonders einfühlsam in diesem wunderbaren Aquarell
                                                                                                                                                                                  über feinem Bleistift. Er erzeugt mit dem oft dünnen, lasierenden
                                                                                                                                                                                  Farbauftrag hier eine spannungsvolle Verbindung, gewährleistet
                                                                                                                                                                                  Leichtigkeit und Transparenz, welche er in einen nahezu immate-
                                                                                                                                                                                  riellen Zustand fernab einer genauen Darstellung des Dinglichen
                                                                                                                                                                                  steigert. Gerade mit seinen Aquarellen gelingt es Feininger, das
Werke aus der Sammlung Bode im Treppenhaus der Villa                                                                                                                              Schwebende zwischen Realität und Vision, Nähe und Ferne, sowie
in der Waldseerstrasse, Hannover                                                                                                                                                  eine Abstraktion der Wirklichkeit zu vermitteln. Das Treffen dieser
© VG-Bild-Kunst, Bonn 2021
                                                                                                                                                                                  drei Schiffe erscheint somit als konstruiert im Fiktiven, es entsteht
                                                                                                                                                                                  im Zusammenspiel aus vielen Skizzen, die Feininger während seiner
                                                                                                                                                                                  Aufenthalte an den Küsten der Ostsee zeichnet.
                                                                                                                                                                                  Die Berufung Feiningers 1919 als Formmeister für Grafik ans Bauhaus
                                                                                                                                                                                  in Weimar bringt für ihn die lang erhoffte Anerkennung als Künstler.
                                                                                                                                                                                  Die Lehrtätigkeit öffnet dem Künstler jene räumliche Nähe zu seinen
                                                                                                                                                                                  über Jahre gepflegten und immer wieder aufgesuchten Motiven in
                                                                                                                                                                                  der Umgebung, wie die Kirchen von Gelmeroda, Vollersroda, Umpfer-
                                                                                                                                                                                  stedt oder Mellingen. In den Sommermonaten fährt Feininger an die
                                                                                                                                                                                  Ostsee, etwa nach Timmendorf, und 1921 auch nach Heiligenhafen
                                                                                                                                                                                  auf der östlichen Spitze der Halbinsel Wagrien und besucht die Insel
                                                                                                                                                                                  Fehmarn. Die Nähe zum Meer bedeutet für Feininger große Lebens-
                                                                                                                                                                                  qualität, dort findet er die Schiffe, Schiffe aller Art: kleine Kutter,

                                                                                                   Lyonel Feininger, Dessau, 1928
                                                                                                                                                                                  große Frachtdampfer oder elegante Segelyachten, bisweilen auch
                                                                                                   © VG-Bild-Kunst, Bonn 2021                                                     Luftschiffe.

22     KETTERER KUNST                         Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                                                             23
Aus der Auktion Klassische Moderne | 18. Juni

 O T T O G L E I CH M A N N
 1887 Mainz - 1963 Hannover

 Frauenbildnis. 1926.                                                                        • Aus einer renommierten Sammlung

 Öl auf Leinwand.                                                                            • Otto Gleichmann ist Hauptfigur der Hannoverschen
 Links unten signiert und datiert. Verso nochmals signiert und datiert.                        Sezession und stellt u.a. bei Flechtheim und Nierendorf
 76 x 40 cm (29.9 x 15.7 in).                                                                  aus, seit 1937 gelten seine Werke als entartet
 Die vorliegende Arbeit wird von Frau Petra Wenzel in das in Vorbereitung                    • Romantisch zarte und dennoch expressive Züge lassen
 befindliche Werkverzeichnis aufgenommen.                                                      sich wahrnehmen, etwas Mädchenhaftes, das an Bildnisse
                                                                                               von Marie Laurencin erinnert
 € 20.000 – 30.000
 $ 24,000 – 36,000

 PROVENIENZ
 · Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude.
 · Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

 AU SS T E L L U N G
 · Otto Gleichmann. Gemälde, Gouachen, Zeichnungen 1907 - 1932, Kestner-
  Gesellschaft, Hannover, 121. Ausstellung, 2. Juni - 26. Juni 1932, Kat.-Nr. 13.
 · Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle und Handzeichnungen 1908-1955,
  Kunstverein Braunschweig, 21. August - 18. September 1955, Kat.-Nr. 15.
 · Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Kunstverein Hannover,
  25. August - 22. September 1957, Kat.-Nr. 79.
 · Die Zwanziger Jahre in Hannover, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1962,
  Kat.-Nr. 14 mit Abb.
 · Die Pelikan Kunstsammlung, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1963,
  Kat.-Nr. 41 mit SW-Abb. S. 83.
 · Otto Gleichmann. Gemälde 1908-1963, Galerie im Rathaus Tempelhof,
  Berlin, 29. Januar - 26. März 1970), Berlin 1970, Kat.-Nr. 22.
 · revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel
  Museum Hannover, 23.9.2017 - 7.1.2018, Aust. Kat. S. 115
 · Sprengel Museum, Hannover (Dauerleihgabe bis Anfang 2021).

 L I T E R AT U R
 · Elger, Dietmar und Krempel, Ulrich (Hrsg.): Malerei und Plastik.
  Band 1: Text. Band 2: Bestandsverzeichnis (Sprengel Museum,
  Hannover), Hannover 2003.

„Als Künstler war er ein poetischer Träumer und
 wilder Phantast. Seine Phantasie war vielleicht
 nordisch, seine Farbe und sein Pinselstrich eher
 französisch, eine sehr persönliche, oft ganz
 raffinierte Handschrift.“
 Kate Steinitz

                                                                                                                                    Otto Gleichmann, Selbstbildnis, 1926,
                                                                                                                                    Sprengel Museum, Hannover

 24     KETTERER KUNST                             Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de   25
Musikzimmer in der Villa Bode in der Waldseerstraße, Hannover.                      Esszimmer im Neubau in Steinhude mit Ilse Bode, geb. Beindorff,
Hinten links das Portrait von Gleichmann, geradeaus El Lissitzky, Proun 30T, 1921   über der Anrichte Gleichmanns Portrait.

Die Begegnung mit diesem Frauenbildnis von Otto Gleichmann er-                      seine Tiere aus Angstträumen; seine Frauen und Männer waren
weckt Staunen. Ein Erstaunen über den besonderen Charakter der                      Geister aus einem erotischen, oft morbiden Zwischenland zwischen
Malerei Mitte der 1920er Jahre, der sich nicht an der Neuen Sachlich-               Himmel und Hölle“ (Kate Steinitz, in: 50 Jahre Kestner-Gesellschaft,
keit orientiert, sondern bei aller Klarheit romantisch zarte und den-               hrsg. von Wieland Schmied, Hannover 1966, S. 37f.). 1918 treten er
noch expressive Züge wahrnehmen lässt, etwas Mädchenhaftes, das                     und seine Frau der Hannoverschen Sezession bei. Und so wird Gleich-
an Bildnisse von Marie Laurencin erinnert, etwas Theatralisches, das                mann auch Zeuge der Konstruktivisten, die sich 1921/22 um Kurt
an frühe Düsseldorfer Malerei von Gerd Wollheim denken lässt.                       Schwitters, Hans Arp, Theo van Doesburg, Raoul Hausmann, El Lis-
Gleichmann malt das Bildnis einer in sich gekehrten, schüchtern                     sitzky, László Moholy-Nagy, Hans Richter, Tristan Tzara und andere
anmutenden Frau mit gesenktem Blick, gerahmt von offen getrage-                     bilden. Er wird Zeuge des wohl 1923 begonnenen „Merzbaus“, dem
nem, weich auf das schulterbreite Dekolletee fallendem Haar. Es ist                 vielleicht skurrilsten Werk Schwitters, ein fantastisch, verwirrend
ein besonderes Bildnis, das im bis dato in Ausstellungen veröffent-                 komponierter Raum mit vielfältig verbauten plastischen Formen,
lichten Werk nicht zu sehen ist, etwa 1916 im Kestner-Museum,                       Fundstücken, Spolien und Reliquien aus anderen Zusammenhängen,
Hannover, im darauffolgenden Jahr im Kunstverein Jena, im Museum                    ein Kunstraum, der eine geistige Entsprechung in den Proun-Räumen
der Stadt Erfurt oder 1919 in Gleichmanns erster umfangreicher                      von El Lissitzky erfährt mit dessen streng experimentell gehaltenen
Ausstellung in der Galerie von Alfred Flechtheim in Düsseldorf mit                  Konstrukten, eine Weiterführung des Suprematismus in die dritte
Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen seit 1911. Die Besucher und Be-                   Dimension. Und Otto Gleichmann? Er nimmt teil an dem Aufbruch,
sucherinnen entdecken einen an den Kunstakademien in Düsseldorf,                    ohne ihn selbst künstlerisch zu leben, lebt in einer Stadt, die mit der
Breslau und Weimar unterrichteten Künstler, der sich unter dem                      Kestner Gesellschaft seit 1916 am Puls der Zeit die Avantgarde aus-
Eindruck der Kriegserlebnisse zu einem ungezügelten, überexpressiv                  stellt und 1932 auch ihm eine umfangreiche Retrospektive ausrichtet.
malenden Einzelgänger wandelt. 1915 heiratet er die Malerin Lotte                   Unter den Nationalsozialisten wird seine Kunst geächtet, sodass er
Giese. Nach den Kriegsjahren, an der Front in Russland und Frankreich,              sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht. 1936 erhält er schließlich
lässt sich Gleichmann dauerhaft in Hannover nieder. „Er trägt den                   Ausstellungsverbot. Zudem sind einige seiner Bilder, die aus Museen
Titel Studienrat und gibt Zeichenunterricht im Georgs-Gymnasium“,                   beschlagnahmt werden, 1937 in der Münchner Ausstellung „Entartete
weiß die Künstlerin und Kunstkritikerin Kate Steinitz zu berichten.                 Kunst“ zu sehen. Während des Zweiten Weltkriegs wird sein Atelier
„Jedoch als Künstler war er ein poetischer Träumer und wilder Phan-                 in Hannover ausgebombt. Trotz des Verlustes unzähliger Werke
tast. Seine Phantasie war vielleicht nordisch, seine Farbe und sein                 beginnt er kurz nach dem Krieg wieder Ausstellungen im In- und Aus-
Pinselstrich eher französisch, eine sehr persönliche, oft ganz raffi-               land zu bedienen. 1987 würdigt ihn das Sprengel Museum in Hannover
nierte Handschrift. Seine Blumen kamen aus einer Traumlandschaft,                   posthum mit einer großen Retrospektive.

                                                                                                                                                         27
Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni

O T T O MU E L L E R
1874 Liebau/Riesengebirge - 1930 Obernigk bei Breslau

Sitzender weiblicher Akt. Um 1925.                                                         • Charakteristische Kreidezeichung in feiner Farbpalette

Farbige Kreidezeichnung.                                                                   • Durch die klare Rahmenzeichnung einem Gemälde gleich
Pirsig-Marshall / von Lüttichau 1925/39. Rechts unten signiert.                            • Seit fast 70 Jahren in Familienbesitz, seit 50 Jahren nicht
Auf festem Velin. 64 x 46 cm (25.1 x 18.1 in), Blattgröße.                                   mehr ausgestellt
€ 30.000 – 40.000                                                                          • Mueller ist stets damit beschäftigt, ausgewogene
$ 34,500 – 46,000                                                                            Erzählungen von ebenschönen Körpern in Szene zu setzen
                                                                                             und die Proportion als das Maß herauszustellen
PROVENIENZ                                                                                 • Mueller geht es also um das Sein und die Gestalt der Frau.
· Sammlung Max Fischer, Stuttgart (bis 1954, Stuttgarter                                     In ihr findet er Eros und Schönheit in idealisierter und
 Kunstkabinett, 20.5.1954).                                                                  reduzierter Form
· Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude.
· Privatsammlung (durch Erbfolge).

AU SS T E L L U N G
· Otto Mueller: Gemälde, Handzeichnungen und Aquarelle, Druckgraphik,
 Kunsthalle Bremen, 1956, Kat.-Nr. 66; Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen,
 9.12.1956-13.1.1957, Kat.-Nr. 45 (Maße hier 46 x 41 cm); Städtisches Kunst-
 museum, Duisburg, 26.1.-24.2.1957, Kat.-Nr. 54 (hier 47,5 x 41 cm).
· Die Pelikan-Kunstsammlung. Aus dem Besitz des Hauses Günther Wagner,
 Hannover, Pelikan-Werke und der Familie Beindorff, Kunstverein Hannover,
 28.4.-16.6.1963, Kat.-Nr. 103, Abb. S. 82 (Maße hier 65,5 x 47 cm); Städtische
 Galerie im Lenbachhaus, München, 8.1.-7.2.1965 (hier 65 x 47 cm);
 Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 12.3.-2.5.1965, Kat.-Nr. 105,
 Abb. S. 62 (hier 65,5 x 47 cm).
· Meister der Zeichnung in der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts,
 Kunstverein Hamburg, 2.9.-15.10.1967; Frankfurter Kunstverein, Frank-
 furt a. M., 27.10.-10.12.1967, Kat.-Nr. 173 m. Abb (Maße hier 65,5 x 47 cm).

L I T E R AT U R
· Wenzel Nachbaur, Otto Mueller Werklisten, Archiv Roman Norbert
 Ketterer, Kirchner Museum, Davos 1950er Jahre (m. Abb.).

28     KETTERER KUNST                            Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de   29
Otto Mueller, Halbakt, um 1925,
                                                                         Farbige Kreide auf Velin, Privatbesitz

Der weibliche Akt, der Akt im Raum, der Akt in der Landschaft sind       Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel in ihren Ateliers erleben und
charakteristisch und tief verankert im Werk Otto Muellers. Besonders     damit den berühmten expressiven „Brücke“-Stil kreieren. Mueller ist
das Thema „Akt in der Landschaft“ formuliert der Künstler auf viel-      vielmehr damit beschäftigt, ausgewogene Erzählungen von eben-
fältige Weise: So variiert er zwischen reiner Figurenstudie, umfangen    schönen Körpern in Szene zu setzen und die Proportion als das Maß
von angedeuteten Wiesen und Buschwerk, oder mit vereinzelten             herauszustellen. Mueller geht es also immer und immer wieder von
Figuren belebten weitläufigen Landschaften mit Dünen, an verwun-         Neuem um das Sein und die Gestalt der Frau. In ihr findet er Eros
schenen Teichen und unter Baumgruppen.                                   und Schönheit in idealisierter und reduzierter Form, um seine per-
Aktdarstellungen wie in dieser Zeichnung „Sitzender weiblicher Akt“      sönliche Vorstellung vom weiblichen Körper in vollendeter Bewegung
sind dagegen eher selten, in der feinen Ausführung direkt und sehr       oder wie hier in Anmut vor dem Künstler sitzend mit wenigen kon-
viel intimer. Dargestellt sind Muellers jeweilige Lebenspartnerinnen     zentrierten Strichen mit blauer Kreide zu zeichnen, den Raum mit
wie seine erste Frau Maschka Meyerhofer, mit der der Künstler auch       etwas lavierendem Gelb zu bestimmen. Die Beschäftigung mit dem
nach der Scheidung 1921 engen Kontakt behält, oder Irene Altmann,        weiblichen Körper ist für den Künstler belebend und er lässt uns, die
die unerfüllte Liebe zu Beginn der Professur 1919 in Breslau, ab 1921    Betrachter:innen, an diesem Gefühl teilhaben. In der Suche nach dem
Elisabeth Lübke, Muellers zweite Frau und Mutter des gemeinsamen         Selbst, in der Suche nach dem Menschlichen entwickelt Mueller
Sohnes Josef, und schließlich Elfriede Timm ab 1927.                     seine künstlerische Motivation. Und hier nährt sich der Gedanke,
Eine persönliche Beziehung zu dem Modell - hier also Elsbeth - ist dem   dass es Muellers Ziel sein könnte, wie in dieser Ausgewogenheit
Künstler für solch Nahsicht ausgesprochen wichtig. Zuweilen greift       „Urbilder“ zu schaffen. Auf diesem Weg begleiten ihn das Studium
Mueller auch auf Fotos zurück, auch dient ihm bisweilen eine Glieder-    künstlerischer Vorbilder, das Beobachten besonders weiblicher
puppe, um Bewegung und Grazie seiner Modelle imaginär nachzu-            Körper, die starke Einflussnahme der Frauen in seinem Leben sowie
stellen. Es sind dies keine spontan festgehaltenen Szenen, wie sie       seine ständige Selbstreflektion.

                                                                                                                                            31
Aus der Auktion Evening Sale | 18. Juni

PAU L K L E E
1879 Münchenbuchsee (Schweiz) - 1940 Muralto/Locarno

Grundverhexte Landschaft. 1924.                                                            • Seit Entstehung Teil der bedeutenden Sammlung
                                                                                             Hermann Bode
Federzeichnung und Aquarell.
Klee 3521. Rechts unten signiert und betitelt sowie unten mittig unterhalb der             • Motivisch singuläres Werk mit der für Klee so
Darstellung datiert und mit der Werknummer „149“ bezeichnet. Auf Bütten von                  charakteristischen Bildsprache und klaren Formulierung.
Ingres, original auf Karton montiert, auf Malpappe. 28,5 x 32,5 cm (11.2 x 12.7 in),
                                                                                           • Surreale Komposition aus seiner wichtigen,
Blattgröße. Unterlagekarton: 32,5 x 47,9 cm (12.8 x 18.9 in). [CH]
                                                                                             erfindungsreichen Bauhaus-Zeit
€ 100.000 – 150.000                                                                        • Bereits 1931 erstmals ausgestellt (Kestner-Gesellschaft)
$ 115,000 – 172,500
                                                                                           • Paul Klee überrascht mit erstaunlichen Bildideen,
                                                                                             beseelt von wundervollen Phantasien.
PROVENIENZ
· Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude (direkt vom Künstler
 erworben: In seinem Œuvrekatalog vermerkt Klee „Dr Bode Zahnarzt in
 Hannover 300 GM“).
· Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AU SS T E L L U N G
· Paul Klee. Gemälde, Aquarelle, Graphik 1903-1930, Kestner-Gesellschaft,
 Hannover, 7.3.-5.4.1931.
· Paul Klee, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 20.5.-22.6.1952, Kat.-Nr. 84.
· Zeitgenössische Kunst aus hannoverschem Privatbesitz, Kestner-
 Gesellschaft, Hannover, 1954, Kat.-Nr. 80 (auf der Malpappe verso mit
 dem Ausstellungsetikett).
· Die Pelikan-Kunstsammlung, Kunstverein Hannover, 28.4.-16.6.1963,
 Kat.-Nr. 65 (ohne Abb.).
· Die Pelikan-Kunstsammlung, Städtische Galerie im Lenbachhaus,
 München, 8.1.-7.2.1965, Kat.-Nr. 69 (ohne Abb.).
· Paul Klee. Das Werk der Jahre 1919-1933 (Gemälde, Handzeichnungen,
 Druckgraphik), Kunsthalle Köln, 11.4.-4.6.1979, Kat.-Nr. 137 (mit Abb.).
· Paul Klee. Sonderklasse, unverkäuflich, Zentrum Paul Klee, Bern, 21.10.2014-
 1.2.2015, Museum der bildenden Künste, Leipzig, 1.3.-25.5.2015, S. 594
· revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel
 Museum Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, S. 21 (mit Abb.).
· Sprengel Museum, Hannover (als Leihgabe bis Frühjahr 2021, auf
 der Malpappe verso mit dem teils handschriftlich, teils typografisch
 bezeichneten Etikett).

L I T E R AT U R
· Bernd Rau, Kunstmuseum Hannover und Sammlung Sprengel,
 Bestandskatalog Paul Klee. Gemälde, farbige Blätter, Zeichnungen,
 druckgraphische Werke, Hannover 1980, Kat.-Nr. A5 (mit Abb.).

32     KETTERER KUNST                            Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de   33
„Was dann aus diesem Treiben
                                                                                          erwächst, möge es heißen, wie
                                                                                          es mag, Traum, Idee, Phantasie
                                                                                          ist erst ganz ernst zu nehmen,
                                                                                          wenn es sich mit den passenden
                                                                                          bildnerischen Mitteln restlos
                                                                                          zur Gestaltung verbindet.“
                                                                                           Paul Klee, Über die moderne Kunst, Bern 1945, S. 53
                                                                                                                                                                                                                                         Paul Klee, Sechsbeiniger Hundsteufel, 1925, .Z ‚null‘, Federzeichnung, mit einer Widmung
                                                                                                                                                                                                                                         an Hermann Bode: „Für Herrn Dr. Bode als Jahresgabe 1925/26 mit besten Wünschen. Klee“
                                                                                                                                                                                                                                         (ehemals Sammlung Ilse & Hermann Bode, Hannover)

Paul Klee, Luftkampf (Höhenkampf), 1917, 126,
Feder und Aquarell, Privatsammlung (ehemals
Sammlung Ilse & Hermann Bode, Hannover)
                                                                                           Paul Klees Bildideen zu entschlüsseln ist ein zumeist spekulatives                        und führt dann aus: „Anmaßend wird der Künstler, der dabei bald                 und für sie auch immer wieder von neuem belebt. Und doch darf man
                                                                                           Unterfangen. Vielmehr gilt es, sich seinen wundervollen Fantasien                         irgendwo stecken bleibt. Berufen aber sind die Künstler, die heute              zur Dechiffrierung der „Grundverhexten Landschaft“ diese kurze Pas-
                                                                                           hinzugeben und sie auf sich wirken zu lassen. „Grundverhexte Land-                        bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes dringen, wo das Urgesetz              sage fast wörtlich zugrunde legen, um dieser „fantastischen“ Land-
                                                                                           schaft“ ist so ein Blatt, das sich zwar beschreiben lässt, Zusammen-                      die Entwicklungen speist. Da, wo das Zentralorgan aller zeitlich-               schaft die Sinnfälligkeit zu entlocken. Entschlüsselt ist sie damit nicht,
                                                                                           hänge und Vermutungen sich jedoch nicht unbedingt schlüssig                               räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung,               auch wenn Assoziationen reichlich hervortreten, je intensiver wir das
                                                                                           darlegen lassen. Oder vielleicht doch?                                                    alle Funktionen veranlaßt, wer möchte da als Künstler nicht wohnen?             im Raum schwebende Gebilde betrachten. Aus einer Ur-Blase irgend-
                                                                                           1924, das Jahr der Entstehung, dürfte einige Aufregung im Leben des                       Im Schoße der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime                   wo im gigantischen Kosmos schwimmend, gefüllt mit lebengebendem
                                                                                           Bauhauslehrers parat gehabt haben: Am 7. Januar eröffnet Katherine                        Schlüssel zu allem verwahrt liegt? Aber nicht alle sollen dahin! Jeder          Plasma, so könnte man beginnen, erwächst eine Entwicklungslinie,
                                                                                           Dreier, Malerin und Kunstsammlerin, für Klee die erste Einzelausstel-                     soll sich da bewegen, wohin ihn der Schlag seines Herzens verweist.             an der entlang Mikroben die Photosynthese entwickeln, um damit das
                                                                                           lung in der New Yorker Kunstvereinigung „Société Anonyme“. Etwas                          So hatten zu ihrer Zeit unsere gestrigen Antipoden, die Impressio-              Wachsen der Urahnen von Pflanzen und Tieren zu ermöglichen. Am
                                                                                           zeitversetzt hält Klee am 26. Januar den erst 1945 publizierten Vortrag                   nisten völlig recht, bei den Wurzelschößlingen, beim Bodengestrüpp              Ende überführt Klee die mit erotischen Bezügen angereicherte Linie,
                                                                                           „Über die moderne Kunst“ im Kunstverein in Jena anlässlich einer Aus-                     der täglichen Erscheinungen zu wohnen. Unser pochendes Herz aber                versehen mit stabilisierenden Gebilden, in eine zielgenaue Richtung:
                                                                                           stellung seiner jüngsten Arbeiten. Ende März gründen Klee, Lyonel                         treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund. Was dann aus diesem                Das Ziel noch im Nichts wäre der Evolutionstheorie zufolge die Geburt
                                                                                           Feininger, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky die Künstler-                       Treiben erwächst, möge es heißen, wie es mag, Traum, Idee, Phan-                der Primaten. Zeichnet Klee also den Beginn einer verkürzten Evolu-
                                                                                           gruppe „Die Blauen Vier“. Begleitet wird das vor allem für den ame-                       tasie ist erst ganz ernst zu nehmen, wenn es sich mit den passenden             tionslinie für die Entwicklung der Erde? Vielleicht.
                                                                                           rikanischen Markt gedachte Projekt von der Malerin Emmy (Galka)                           bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbindet. Dann werden             „Es wird niemand einfallen, vom Baum zu verlangen, daß er die
                                                                                           Scheyer, die seit 1919 für Jawlensky händlerisch tätig ist. Und im                        jene Kuriosa zu Realitäten, zu Realitäten der Kunst, welche das Leben           Krone genauso bilde, wie die Wurzel“, so Klee noch einmal in seinem
                                                                                           Dezember geben Walter Gropius und die Meister am Bauhaus wegen                            etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint. Weil sie nicht            Vortrag. „Jeder wird verstehen, daß kein exaktes Spiegelverhältnis
                                                                                           massiven Budgetkürzungen die Auflösung des Staatlichen Bauhauses                          nur Gesehenes mehr oder weniger temperamentvoll wiedergeben,                    zwischen unten und oben sein kann. Es ist klar, daß die verschiedenen
                                                                                           in Weimar bekannt. Für Klee wohl ein Jahr mit Höhen und Tiefen.                           sondern geheim Erschautes sichtbar machen.“ (Paul Klee, Über die                Funktionen in verschiedenen Elementarbereichen lebhafte Ab-
                                                                                           Betrachten wir die surreal wirkende „Grundverhexte Landschaft“                            moderne Kunst, Bern 1945, S. 47).                                               weichungen zeitigen müssen.“
Paul Klee, Blitzschlag, 1924, 125, Ölpause, Aquarell,
Gouache auf Papier und Gipsgrundierung auf Gaze.
                                                                                           eingehender, so ist für die Analyse ein Blick in den 1924 von Klee in                     Natürlich sind Klees Bemerkungen über die moderne Kunst auch von                „Grundverhexte Landschaft“ ist ein erstaunliches Gebilde, das irgend-
Privatbesitz (ehemals Sammlung Ilse und Hermann                                            Jena gehaltenen Vortrag aufschlussreich. In diesem überschreibt der                       seiner schier endlosen Poesie getragen. Sie mag in gewisser Weise               wo in den weiten Galaxien schwebt und uns mit Paul Klees neugierig
Bode, Hannover)                                                                            Künstler einen Abschnitt mit „Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen!“                        seine Lehre am Bauhaus spiegeln, die er für seine Schüler entwickelt            machender Findung eine traumhafte Begegnung beschert.

34    KETTERER KUNST                             Zusätzliche Abbildungen, Videos und Vergleichsinformationen sowie tagesaktuelle Ergänzungen finden Sie unter www.kettererkunst.de                                                                                                                                                           35
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