Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken

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Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
Nr. 2 / 2014

   Magazin für Eltern, Angehörige
  und Betroffene von Suchtkranken

                     lier un g
         is: R e gu
Cann a b               r un g?
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                                             01
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
UMFELD SUCHT

NEWS                                     beratung@ada-zh.ch                     Inhaltsverzeichnis
4.2 Milliarden Franken kostet der        An: beratung@ada-zh.ch
                                                                                ada-intern
Alkoholkonsum.                           Betreff: Bitte um Auskunft und Hilfe
                                                                                34. Generalversammlung
Missbräuchlicher Alkoholkonsum
                                                                                der ada-zh                        04
belastet nicht nur Betroffene, sondern   Von der Co-Abhängigkeit habe
                                                                                Bussen Odyssee                    05
die ganze Gesellschaft: 4,2 Milliarden   ich das 1.mal letzten Donnerstag
Franken kostete der Alkoholkonsum        erfahren, als ich mit einem Arzt       Legalisierung oder Regulierung?
die Schweizer Öffentlichkeit im Jahr     in unserem Geschäft über meine         Chronologie des Cannabis-
2010. Zu diesem Schluss kommt die        Situation geredet habe. Leider         Konsums in der Schweiz            06
vom BAG in Auftrag gegebene Studie       hatte ich bis anhin noch nie davon     Auswirkung der Schweizer
«Alkoholbedingte Kosten in der           gehört, sonst hätte ich schon vor-     Drogenpolitik, aus Sicht
Schweiz», die seit März 2014 vorliegt.   her versucht, dies zu behandeln.       der Suchtforschung                08
Neben Ausgaben im Gesundheitswe-         Ich bin bei einer alkoholkranken       Manifest des VEVDAJ zur
sen oder bei der Polizei fallen die      Mutter aufgewachsen, welche            Grundmarktregulierung in
Ausfälle an Produktivität in der Wirt-   mehr psychisch als physisch auf        der Drogenpolitik                 11
schaft am meisten ins Gewicht. Die       uns losgegangen ist. Nun habe ich      Prominente Stimmen aus
Prävention von Alkoholmissbrauch         selbst 3 Kinder mit einem Partner,     aller Welt                        12
bringt auch einen wirtschaftlichen       der selbst eine Drogensucht hat,       Regulierung – in Colorado und
Nutzen und kommt der ganzen              die er seiner Meinung nach aber        der Schweiz?                      14
Gesellschaft zugute. Quelle: Bund        unter Kontrolle hat, aber trotz-       Drogen-Regulierung oder
                                         dem eine gewisse Regelmässigkeit       Legalisierung, Interview mit
Rauchverbote bewirken weniger            besitzt. Ich habe mit ihm über         Dr. Toni Berthel                  16
Frühgeburten                             die Co-Abhängigkeit gesprochen         Gespräch mit einem
In Ländern mit Gesetzen zum              und ihn gebeten, sich ebenfalls in     Polizeibeamten a.D.               20
Nichtraucherschutz sinkt einer Studie    irgendeiner Form in Therapie zu        Drogenkonsumräume in Europa       23
zufolge die Zahl von Frühgeburten,       begeben. Er hat mir zugesagt, die      Wie man sich nach fünf Tagen
weniger Kinder leiden an schwerem        Frage ist dennoch, inwiefern man       Extrem-Kiffen fühlt               24
Asthma. Die Analyse zeigt auch, wie      dies ernst nehmen kann, da auch
                                                                                Serie
schnell die positiven Effekte einset-    viel Unwahrheit seinerseits im
                                                                                Pablo Escobar: Mörder,
zen. Artikel auf Spiegel Online          Spiel ist. Ich möchte auf jedenfall
                                                                                Drogenhändler, Sadist             28
Genf – Seit Rauchverbot weniger          meine Kinder nicht unbewusst
Spitaleinweisungen wegen Lungen-         prägen und das Risiko in Kauf          Erlebnisbericht
krankheiten: Das seit 2009 geltende      nehmen, dass sie jetzt und später      D'Sunne geit im Weschte uf        31
Rauchverbot in öffentlichen Räumen       solche Erfahrung durchmachen
hat in Genf pro Jahr 47 Spitaleinwei-    müssen!                                VEVDAJ
sungen wegen chronischer Lungen-                                                Gesetzesentwurf zur
krankheiten verhindert. Dies ent-                                               Parlamentarischen
spricht 680 Spitaltagen und Kosten                                              Initiative Bortoluzzi             34
von 1,28 Millionen Franken. Zu
                                                                                Die Letzte
diesem Schluss kommt eine im
                                                                                Cartoon, Adressen, Impressum      35
Fachjournal «PLOS One» veröffent-
lichte Studie. Quelle: 20 Minuten

02
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
EDITORIAL

Alles ist Gift.

                                        Er trifft dabei des Pudels Kern: Das     seine Perspektiven ändern und Dinge
                                        Problem sind nicht die Drogen, son-      aus einer anderen Sicht betrachten
                                        dern wie der Mensch damit umgeht.        und beurteilen kann.
                                        Die Geschichte zeigt uns, dass der
                                        Mensch dazu (meistens) nicht in der
                                        Lage ist. Folgen: Armut, Unterer-
                                        nährung, Krankheiten. So ernähr-
                                        ten sich viele Bauern, vor allem im
                                        Kanton Zug, sehr einseitig und mit       Erwin Sommer
                                                                                 Redaktor
                                        viel Schnaps. Um Alkoholismus und
Liebe Leserinnen und Leser              Unterernährung zu bekämpfen,
                                        gründete ein Herr Dr. Roniger die
Es wird flächendeckend über die          Brauerei Feldschlösschen (Bier hat
regulierte Abgabe von Cannabis bzw.     weniger Vol.- Prozent als Schnaps)
dessen Legalisierung diskutiert.        und ein Herr Dr. Wander erfand die
Manche fordern die totale Freigabe,     Ovomaltine.
andere befürchten eine «Masseninva-
                                                                                   Titelfoto
sion» von Kiffern.                       Die Illegalität, in die der Drogenhan-     Barack Obama war in seiner Jugend offenbar auch
                                        del durch die Politik gedrängt wurde,      ein Geniesser – wenn auch nicht ganz legal.
                                                                                   © PerSpektiven, 2014
Nach Regulierungsversuchen in den       hat katastrophale Folgen. Banden
USA ist dort ein eigentlicher Boom,     bekämpfen sich. Unbeteiligte werden        Voranzeige Netzwerktagung VEVDAJ 2014
manche vergleichen es mit der Gold-     erschossen, Familien zerstört. Lesen       Thema: Zufriedenheit und Lebensfreude.
                                                                                   Mit Monika Ambauen und Andreas Spohn.
gräberstimmung, ausgebrochen. Die       Sie dazu den Artikel über Pablo Esco-      Samstag, 22. November 2014
Folgen: Niemand weiss, was dieser       bar (weitere folgen) in dieser Num-        Zentrum Karl der Grosse, Zürich
Boom auslöst.                           mer. Interessant dabei ist, dass die
                                        Lieblingswaffe dieses Verbrechers eine
Einige sagen, dass Cannabis etwa        Schweizer SIG-Pistole war.
gleich harmlos sei wie ein Glas Bier,                                             Jahresprogramm 2014 ada-zh
andere heben bereits den Mahnfinger     Es erwartet Sie ein interessantes und     August:          Besichtigung Berufsfeuerwehr Zürich
                                                                                  September        Besuch Kriminalmuseum Zürich
und warnen vor Schäden, wie Vergess-    vielseitiges PerSpektiven. Wer jetzt
                                                                                  Oktober:         Führung einziges Zivilschutzmuseum
lichkeit, Leberschädigungen usw.        aber meint, wir möchten den freien                         der Schweiz
                                        Cannabis-Konsum schönreden, irrt.         November:        Helm auf! Rundgänge Zürich Wärme
                                                                                                   oder Sauberes Wasser
Paracelsus (1493 – 1541), Schweizer     Wir möchten unseren Beitrag leisten,
                                                                                  22. Nov. 2014:   Netzwerktagung
Arzt, Alchimist, Mystiker und Philo-    dass dieses Thema objektiv diskutiert
soph, schrieb vor beinahe 500 Jahren:   werden kann.                              Dezember:        Führung Kunsthaus Zürich
«Alle Dinge sind Gift, und nichts ist                                             (sämtliche vorgeschlagenen Führungen/Rundgänge
ohne Gift; allein die Dosis macht‘s,    Schliesslich hat der Mensch einen         sind GRATIS)
dass ein Ding kein Gift sei».           runden Kopf. Rund deshalb, damit er

                                                                                                                              03
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
LEGALISIERUNG ODER REGULIERUNG

Manifest des VEVDAJ zur Grundmarkt-
regulierung in der Drogenpolitik
Der VEVDAJ, als Dachorganisation von über 15 Sektionen in der deutschen Schweiz
und mit 400 Mitgliedern, ist eine wichtige Selbsthilfevereinigung im Bereich Ange-
hörige im Umfeld Sucht. Denn es gibt 3mal mehr Angehörige als Süchtige.

Für uns sind die Säulen «Repression,    Wir sind bei der Marktregulierung für   2. Wir setzen uns ein für Beschäfti-
Marktregulierung und soziale Integ-     die Lösung «Reglementierung /              gungs- und Arbeitsprogramme.
ration» wichtig.                        Legalisierung»:                         3. Wir kämpfen dafür, dass Drogen-
                                        • Konsum: erlaubt (zeitliche und           abhängige als Suchtkranke medi-
Ausgangslage:                              örtliche Einschränkung möglich)         zinisch wie auch gesellschaftlich
Da der Vollzug kantonal ist, gibt es    • Besitz: erlaubt                          anerkannt und respektiert werden.
noch grosse Unterschiede im Um-         • Anbau: staatlich reguliert            4. Wir setzen uns dafür ein, dass
setzen des BetmG. Einzelne Kantone      • Handel: staatlich reguliert              Besitz und Konsum erlaubt und
haben immer noch keine Lösung                                                      nicht strafrechtlich verfolgt wer-
ausgearbeitet. In der Romandie          Ziele:                                     den.
hat es nur wenige heroingestützte       Unsere 4 Punkte für die Drogenpolitik
Behandlungs-Institutionen. In den       der Schweiz:                            Um diese Ziele in den Kantonen zu
Strafanstalten und Gefängnissen         1. Wir setzen uns ein für die Bei-      erreichen, brauchen wir regionale
gibt es unterschiedliche, menschen-        behaltung und den Ausbau von         Sektionen, welche uns mit Informati-
verachtende Behandlungen von Such-         Kontakt- und Anlaufstellen sowie     onen bestücken. HJM
mittelabhängigen. Der Besitz von           von Beratungsstellen.
Drogen wird bestraft.

                                       SYMPOSIUM
                                       4.–7. September 2014
                                                     Solothurn (CH)
                                       nachtschattenverlag.ch/symposium

                                                                                                                   11
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
LEGALISIERUNG ODER REGULIERUNG?

Regulierung von Cannabis im US-Bundes-
staat Colorado – und in der Schweiz?

Seit der Freigabe von Cannabis im Bundesstaat                     3a) Steigend. Erleichterter Zugang, grössere Zahl Konsumenten.
Colorado ist in den USA eine regelrechte Goldgräberstim-          Sogwirkung «Masseneinwanderung Kiffer».
mung aufgekommen. PerSpektiven hat dies zum Anlass ge-            3b) Kaum Veränderungen im Handel und in der Produktion,
nommen, um bei Fachleuten und Politikern nachzufragen, ob         Regulierung lässt Illegalität attraktiv bleiben. Unter 18-jährige
sich das US-Modell auch auf die Schweiz übertragen liesse.        sind weiterhin dem Verbot unterstellt, also ändert sich nicht
Hier unsere Fragen und die Antworten:                             allzuviel.
                                                                  4) –
«Die USA sind bekannt für ihre restriktive Drogenpolitik.         5) Alleingang der Schweiz ist Unsinn!
Nun hat ein Bundesstaat – Colorado – den Marihuana-
Verkauf an seine Bürger freigegeben und somit einen regulierten                           David Fehr
Markt geschaffen. Eine gute Idee? Kann dieses Konzept auf die                             Geschäftsführer Arud Zürich
Schweiz übertragen werden?»
                                                                                          1) Es ist eine gute Idee. In der Schweiz
1)   Wenn ja, weshalb:                                                                    kann das ebenso funktionieren. Es braucht
2)   Wenn nein, weshalb:                                          aber einen politischen Wandel. Es wird immer noch schneller nach
3)   Mit welchen Konsequenzen und Folgen hätte die Schweiz        Verboten geschrien, statt dass nach pragmatischen Lösungen
     bei einer Drogen-Legalisierung zu rechnen?                   gesucht wird. Auf jeden Fall scheint der Begriff Marktregulierung
3a) Bezüglich Gesundheitskosten?                                  politisch verträglicher zu sein als Legalisierung.
3b) Bezüglich Kriminalität?                                       2) Siehe oben
3c) Bezüglich Konsum?                                             3) –
4)   Werden die Verurteilungen wegen Drogenbesitzes zu- oder      3a) Verringerung der Gesundheitskosten, da sich Betroffene
     abnehmen?                                                    schneller und damit frühzeitig in die Behandlung begeben.
5)   Ich bin für eine Drogenregulierung in der Schweiz, weil…     3b) Verringerung der Kriminalität alleine schon dadurch, dass
                                                                  nicht mehr illegal gedealt werden muss. In kleinerem Mass wird
                      Toni Bortoluzzi                             es den illegalen Verkauf auch bei einem regulierten Markt auch
                      Nationalrat/Schreinermeister                geben, aber es wird nur noch ein Bruchteil von heute sein. Konsu-
                                                                  menten begeben sich durch den Konsum auch nicht mehr automa-
                      1) –                                        tisch in die Illegalität. Da in einem regulierten Markt die «Mafia»
                      2) Nein, weil das vom Volk klar und         nicht mehr mitverdient und für ihre Risiken hohe Versicherungs-
                      unmissverständlich bestätigte Verbot        prämien aufschlägt, wird der Preis für Drogen deutlich tiefer sein.
                      es rechtlich nicht zulässt. Das Gesetz      Als Folge davon wird es weniger Beschaffungskriminalität geben.
müsste geändert und dem Referendum unterstellt werden.            4) Aufgrund der obigen Erläuterungen wird es klar zu einer Ab-
Sollte trotzdem nach Volksabstimmung entsprochen werden,          nahme kommen müssen, weil man als Konsument und Besitzer
sind mit voraussichtlichen Auswirkungen zu leben.                 nicht automatisch kriminalisiert wird.
                                                                  5)     Ja

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Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
LEGALISIERUNG ODER REGULIERUNG?

                       Ruedi Stohler                                                         Albert Wettstein
                       Ehemaliger Leitender Arzt, Bereich Ab-                                Alt Zürcher Stadtarzt
                       hängigkeiten der PUK Zürich
                                                                                             1) Ja, es beendet einen heuchlerischen
                       1) Prinzipiell halte ich die Schaffung eines                          Zustand.
                       regulierten, legalen Marktes für sinnvoll.                            2) Kein Effekt.
                       Ein solcher Markt würde eine Quali-                                   3) Etwas weniger zu erwarten.
tätskontrolle erlauben, die Märkte für andere, gefährlichere                                 3a) Kaum Veränderungen.
Substanzen, wie z.B. Heroin, vom Cannabis-Markt trennen               4) Abnehmen. Illegale Dealer benützen Hasch als Einsteiger,
und vermehrt Möglichkeiten für präventive Bemühungen                  legale Verkaufsstellen nicht.
bieten. Die konkreten gesetzlichen Rahmenbedingungen in der           5) Ja.
Schweiz würden aber anders aussehen müssen als in Colora-
do. Ich würde beispielsweise ein Werbeverbot in der Schweiz           Anmerkung der Redaktion: Die Befragung fand im März/April
für sinnvoll halten.                                                  2014 statt. Verschiedene Persönlichkeiten wollten aufgrund
                                                                      der laufenden politischen Diskussion keine Stellung beziehen.
Welche Konsequenzen...? (Anmerkung: Ich denke, Sie erkundi-           Umfrage: sg.
gen sich nach den Folgen einer Cannabis-Legalisierung, nicht
nach denen einer «Drogen»-Legalisierung allgemein).

2) Die Regulierung des Cannabis-Marktes wird vermutlich nicht
zu einer Konsumzunahme führen (wie in Holland und Portugal
gezeigt werden konnte). Weil vermehrt qualitativ einwandfreier
Cannabis konsumiert werden würde, rechne ich eher mit einer
Abnahme.
3) Das Bestehen eines legalen Marktes wird den illegalen kon-
kurrenzieren und zurückdrängen. Ich rechne daher mit einem
Rückgang.
3c) Bisherige Erfahrungen mit der Entkriminalisierung sprechen
eher für eine Reduktion des Konsums.
4) Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Verurteilungen
wegen Drogenbesitz zunehmen könnten.
5) Ja.

                       Cédric Wermuth
                       Nationalrat

                       1) Ja, dies entkriminalisiert die Konsu-
                       mentInnen.
                       2) Der Effekt dürfte relativ gering sein.
                       3) Wenn spürbar, dann rückläufig.
                       3b) Stark rückläufig
3c) Schwierig zu sagen. Wohl in etwa gleich.
4) Abnehmen
5) Ja

                                                                                                                                      15
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
Politik

Drogen-Regulierung, Drogen-legalisierung:
wo liegt der Unterschied?
interview mit Dr. toni Berthel, Präsident EkFD

Es war viel los, diesen Dienstagvormitag, im Büro von       den Ausführungsbestimmungen zur Betäubungsmittel-
Herrn Dr. Toni Berthel, Präsident der EKFD in Winterthur.   gesetzgebung.Die EKFD ist ein eigentlicher «Think-Tank».
Tags zuvor hate nämlich das Winterthurer Stadtparla-        Wir beraten den Bundesrat, Aemter, Politiker usw., die
ment die teilweise Legalisierung von Cannabis beschlos-     sich nachher eine eigene Meinung bilden sollen.
sen. Trotz des Medienansturms blieb noch Zeit für ein
Interview mit PerSpektiven.                                 Was ist der Unterschied zwischen Drogen-Regulierung
                                                            und Drogen-Legalisierung?
Herr Berthel, worin besteht die Aufgabe der EKFD?           Die Regulierung von Drogen ist im Prinzip nichts Neues.
Die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen (EKFD)       Wir kennen in der Schweiz verschiedene Beispiele wie
ist aus der Subkommission «Drogenfragen» der Eidge-         Produktion, Verarbeitung und Verkauf von Substanzen
nössischen Betäubungsmittelkommission hervorgegangen        reguliert werden, z.B. beim Alkohol. Die Regulierung gilt
und besteht aus 14 Expertinnen und Experten. Geregelt       für alle Substanzen, von der Produktion bis hin zum Kon-
ist sie in Artikel 30 des Betäubungsmittelgesetzes. Der     sum. Substanzen, die illegal sind, können nicht reguliert
Bundesrat bestimmt Zusammensetzung und Arbeits-             angebaut, verarbeitet und verkauft werden. D.h. auch,
gebiet der Kommission und wählt die Mitglieder auf          dass die Qualität der Substanzen, die Zusammensetzung,
Vorschlag des Eidgenössischen Departements des Innern       die Konzentration etc. nicht kontrolliert werden können.
(EDI). Gesetzlicher Auftrag der Kommission ist die Bera-    Regulierung hilft, dass Abläufe sichergestellt und die
tung der Landesregierung und insbesondere des EDI bei       Qualität überprüft werden können und sie sorgt dafür,

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Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
Politik

dass nur «sichere» Produkte auf den Markt kommen und
auch von den Menschen gekauft werden können, die dafür                    Die Viersäulenpolitik der Schweiz ist pragmatisch und
berechtigt sind. Es braucht, analog zum Alkohol, Verbote                  wirkungsorientiert. Die Säule Prävention trägt zur Ver-
und Regulierungen vom Anbau über die Produktion bis                       ringerung des Drogenkonsums bei, indem der Einstieg
hin zum Verkauf (Werbeeinschränkungen, Nachtver-                          in den Drogenkonsum und die Suchtentwicklung verhin-
kaufsverbote, kein Verkauf an Minderjährige usw.). Bei                    dert werden.
Cannabis werden solche Modelle in verschiedenen Städten
diskutiert und die Planung von Versuchen an die Hand                      Die Säule Therapie trägt zur Verringerung des Drogen-
genommen (diese Versuchsmodelle beinden sich in der                       konsums bei, indem sie den nachhaltigen Ausstieg aus
Planungsphase).                                                           der Sucht ermöglicht bzw. auf die Erhaltung dieser Mög-
                                                                          lichkeit hinwirkt. Zudem fördert sie die soziale Integra-
                                                                          tion und die Gesundheit der behandelten Personen.

                                                                          Die Säule Schadensminderung trägt zur Verringerung
                                                                          der negativen Folgen des Drogenkonsums auf die Kon-
                                                                          sumierenden sowie indirekt auch auf die Gesellschat
                                                                          bei, indem sie einen individuell und sozial weniger prob-
                                                                          lematischen Drogenkonsum ermöglicht.

                                                                          Die Säule Repression und Marktregulierung trägt mit
                                                                          geeigneten, regulativen Massnahmen zur Durchset-
                                                                          zung des Verbots von illegalen Drogen dazu bei, die ne-
                                                                          gativen Folgen des Drogenkonsums für die Gesellschat
                                                                          zu vermindern.

Art und Ausmass der Regulierung soll sich dabei an der                   sondern vorab der Beschaffung von Finanzen. Auf der
Gefährlichkeit der jeweiligen Substanz orientieren. Eine                 Angebotsseite können Herstellung und Handel gewisser
besondere Bedeutung erhält dabei der Aspekt der Scha-                    Produkte grundsätzlich verboten werden; zur Durchset-
denminderung.                                                            zung dieses Verbotes können flankierende Massnahmen
(Der Einsatz des Regulierungsmodells erfolgt gemäss der Gefährlichkeit   getroffen werden, insbesondere Importverbote oder
der Substanz und deren Gewichtung. Dabei geht es auch um Schadens-       Importkontrollen von Vorläufersubstanzen…»
minderung.)                                                              (Eidg. Kommission für Drogenfragen, 2013)

Ich verweise dazu auch auf die Übersicht über Regu-                      Wie sieht es mit der Legalisierung von Cannabis aus?
lierungsmodelle für psychoanalytische Substanzen                         Es geht hier nicht um eine Legalisierung. Im Zentrum
(Auszug):                                                                steht wie gesagt die Regulierung. Cannabis darf und
«Regulierungsmodelle können einerseits auf der Ange-                     soll deshalb nicht überall verkauft werden können. In
bots-, andererseits auf der Nachfrageseite ansetzen. Im                  diesem Feld kann nicht der Markt die Steuerung über-
Bereich der psychoaktiven Substanzen dienen die Re-                      nehmen.
gulierungen auf der Angebotsseite letztlich auch meist
dem Zweck, den Konsum von Substanzen zu verhindern                       Zum Beispiel Tabak: Hier mussten Regeln, die den
oder zu beschränken. Fiskalpolitische Massnahmen                         Schutz der Bevölkerung im Visier haben, aufgestellt
dienen bisweilen nicht primär der Marktregulierung,                      werden. Es kann nicht sein, dass ein 8-jähriger Ziga-

                                                                                                                                  1
Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
RUBRIKTITEL

Art und Ausmass der Regulierung sollen sich an der Gefährlichkeit einer Substanz orientieren.

retten kaufen kann. Diese Produkte sollten auch nicht                       Beim Cannabis geht es v.a. um die Frage: wie regeln wir
überall angeboten werden können. Ich glaube kaum,                           den Umgang mit Cannabis als Genuss-, Rausch- und
dass der Markt Verkauf und Konsum von Cannabis                              Rekreationsmittel. Hier sind die Meinungen nach wie vor
regeln kann. Und: Regeln gelten für alle und alle vergleich-                gespalten. Die einen wollen Cannabis weiterhin verbieten,
baren Produkte.                                                             die anderen wollen, dass erwachsene Menschen selber
                                                                            entscheiden können wie und wann sie diese Substanz
Wir haben den Eindruck, dass sich die Politik mit Händen                    konsumieren wollen. In den Städten wächst nun wieder
und Füssen gegen eine Regulierung wehrt.                                    der Druck auf die Politik, hier einen Schritt weiter zu
Hier müssen wir unterscheiden: in den 80er Jahren, als                      kommen und Lösungen für den Konsum von Cannabis
wir von einer «Heroinwelle» überrollt wurden und eine                       zu inden. Ein landesweiter Konsens ist zur Zeit nicht
ganze Generation von jungen Menschen neu mit Heroin in                      vorhanden und nicht mehrheitsfähig.
Kontakt kam, wurden viele von ihnen rasch abhängig. Sie
verelendeten und wir hatten ein grosses Problem im öffent-                  In den Städten werden nun Wünsche laut, ähnliche
lichen Raum (Platzspitz, Letten etc.), die Bevölkerung fühlte               Modelle im Umgang mit Cannabis – wie sie in verschie-
sich bedroht und die Politik, wie teilweise die Fachleute, war              denen Regionen und Städten und Gemeinden im Aus-
überfordert. Die Belastung in den Städten war gross.                        land funktionieren – auch in der Schweiz zu prüfen. In
                                                                            diversen Städten sind Arbeitsgruppen daran, im Ausland
Die vernünftigen Kräfte im Land schlossen sich zu                           bewährte Ansätze auf ihre Anwendbarkeit in der Schweiz
einer grossen Koalition der Vernunft zusammen, das                          zu prüfen. Solche Modelle müssten in einer ersten Phase
4-Säulenmodell wurde entwickelt und alle waren sich                         wohl mit wissenschaftlicher Begleitforschung geprüft
einig: «Suchtkranke Menschen haben umfassende                               werden.
Hilfe zu gut». Man baute vernetzte und aufeinander
abgestimmte Hilfssysteme auf. Dazu gehörte auch die                         Seinerzeit war der Druck der Städte auf die Gemeinden
heroingestützte Behandlung. Hier war die Politik bereit,                    noch nicht gross, es musste erst ein Umdenken stattin-
das Betäubungsmittelgesetz anzupassen und in Volks-                         den, bis die Gemeinden geeignete Angebote für Sucht-
abstimmungen wurde Heroin als Behandlungsoption im                          kranke eingerichtet hatten. Es herrschte damals auch
Betäubungsmittelgesetz festgeschrieben.                                     grosse Angst, dass sich immer wieder neue Gruppen
                                                                            bilden würden.

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Oder Liberalisierung? - Magazin für Eltern, Angehörige und Betroffene von Suchtkranken
Politik

Im US-Staat Colorado ist seit anfangs Jahr der Verkauf        …Gesundheitskosten?
von Cannabis freigegeben – ein Vorbild für die Schweiz?       Es würde sich nicht viel ändern. Man könnte die Produkti-
Die eidgenössische Kommission für Drogenfragen infor-         on besteuern und den Ertrag in der Prävention einsetzen.
miert sich zur Zeit über die verschiedenen Modelle, die       Bei harten Drogen sehe ich keine Veränderungen.
andernorts auf der Welt zum Einsatz kommen. Ob allen-
falls das Modell Colorado oder dann die Social-Clubs aus      Öffnet eine Regulierung dem Drogenkonsum Tür und Tor?
Katalonien eine Möglichkeit darstellen, wird sich erst noch   Wir stellen heute fest, dass der Konsum von Alkohol und
zeigen. Die EKFD wird zu gegebener Zeit und bei Vorlie-       Cannabis gesamthaft abnimmt. Heroin wird von jungen
gen von Anfragen ihre Expertise abgeben.                      Menschen kaum noch konsumiert und Kokain ist eine
                                                              Droge, die in speziellen Szenen eine Bedeutung hat, wie
Wir verfolgen und studieren den Verlauf dieser Entwick-       auch die Amphetamine.
lung sehr genau, auch bezüglich der positiven wie negati-
ven Auswirkungen. Die Frage, wie weit die Freigabe Sinn       Es ist auch erfreulich wie eine grosse Zahl von jungen
macht, sollte auch gestellt werden.                           Menschen (aber auch älteren) heute doch sehr gesund-
                                                              heitsbewusst lebt. Sie machen viel Sport, ernähren sich
Wenn in der Schweiz                                                                                          gesund,
die Abgabe von
Drogen reguliert wird,  «Suchtkranke Menschen haben                                                          schauen auf
                                                                                                             ihre Gesund-
was sind die Folgen
z.B. für die Krimina-   umfassende Hilfe zu gut.»                                                            heit und sie
                                                                                                             versuchen,
lität?                                                                                                       psychoaktive
Beim Cannabis ist davon auszugehen, dass der Schwarz-         Substanzen kontrolliert und verantwortungsvoll zu konsu-
markt verschwinden würde. Wir könnten den Anbau und           mieren. Ich bin zuversichtlich, dass dieser Trend so weiter-
damit auch die Konzentration von THC kontrolliert steu-       gehen wird. Wir sind noch nie so alt geworden wie in der
ern. Die Qualität der Substanz wäre so sicher. Die Polizei    heutigen Zeit und keine Generation vorher ist so gesund
wäre von der aufwendigen Arbeit in diesem Feld entlastet      und vital so alt geworden wie wir es heute werden.
und die hier gebundenen Ressourcen könnten andernorts
eingesetzt werden.                                            Herr Dr. Berthel, herzlichen Dank für das Gespräch.

Der Konsum von Cannabis würde sich auf «rekreatives»          Interview: Erwin Sommer
Geniessen beschränken, ähnlich wie ein gutes Glas Wein.

Bei den harten Drogen könnten wir den «Sumpf» aus-
trocknen und weltweit zu besseren Lebensbedingungen                                               Neuthal
beitragen. Ich möchte hier nur auf den Zerfall des Staates                                        Wer sind wir?
und seines Machtmonopoles in südamerikanischen Län-                                                Wir sind eine familiäre, auf Suchtfreiheit spezia-
                                                                                                   lisierte Gemeinschaft für Frauen und Männer. In
dern (z.B. Mexico) hinweisen.                                                                      einer aussergewöhnlichen Umgebung bieten wir
                                                                                                   eine Langzeittherapie mit Fokus auf Arbeitsinte-
                                                                                                   gration und ein selbstbestimmtes Leben.
Es gäbe sicher auch weniger Verzeigungen und Verfahren                                            Was bietet das Neuthal?
                                                                                                   Familiäre Atmosphäre – erfolgreiche Arbeitsin-
seitens der Polizei. Sie könnte ihre Arbeit auf andere Be-                                         tegration – vielseitiges Jahresprogramm.
reiche konzentrieren und nicht nur als «Ordnungsbüsser»                                           Was ist unser Ziel?
                                                                Im Neuthal 4
funktionieren. Mit diesen Ordnungsbussen wird der Staat         8344 Bäretswil
                                                                                                   Selbständig – suchtfrei – integriert

auch nicht «reich». Das neue System brächte eine Entlas-        Telefon 052 386 26 22             Wer sind unsere Bewohner?
                                                                info@neuthal.ch, www.neuthal.ch    Frauen – Männer – ab ca. 18 Jahren
tung und Kosteneinsparungen im Justizwesen.

                                                                                                                                                        19
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