MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE

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MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
Eine Publikationsreihe der Wissenschaftsscheune (WiS) : : : Heft 2, JuLi 2011

      Mais
Pflanze der Götter
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
Mais
    Pflanze der Götter

2   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
Inhalt

   1                                      3                                                                          5

                             2                                    4
Popol Vuh        Mais-Domestikation   Olmeken, Maya und   Vom Anfang und Ende Neues aus der
und die Folgen   E Seite 6            Milpa               der Hochkultur      „Maiswelt“
E Seite 4                             E Seite 10          E Seite 16                     E Seite 20

                                                          Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   3
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
Popol Vuh
und die Folgen
                                                                                                             1
H
              i, da bin ich wieder,                 Höhle stehen (1), die in die Unterwelt   Geburtstag des Morgensterns ist,
              Budo, der Erzähler, du                nach Xibalba führt , und ich erinnere    sangen die Azteken:
              kennst mich ja schon.                 mich an die Vielschichtigkeit des           „Die Blume meines Herzens bricht
              Ich überlege mir, ob ich              Maya Universums: Tamoanchan, der         auf, der Gott der Nacht, sie ist gekom-
              nach Mexico reisen soll               Weltenbaum verdeutlicht uns dies         men, sie ist gekommen, unsere
oder ob ich mich lieber in die Uni-                 (2). Tamoanchan wird im Zusammen-        Mutter Tlatzolteotl. Cinteotl ist
Bibliothek begebe, um möglichst viel                hang mit der Kultur der Olmeken, den     geboren in Tamoanchan, dem Blu-
über die Maya Amerindians und Mais                  Vorläufern der Maya am Golf von          menplatz, am Tage Ce Xochitl
zu lernen. Ich entscheide mich fürs                 Mexiko erwähnt. Der Mythologie zu-       (1 AHAU der Maya). Cinteotl ist
Lesen. Also auf nach Lindenthal zur                 folge dient der Weltenbaum Tamoan-       geboren am Ort des Regens und des
Uni-Bibliothek. Die Erschaffung des                 chan als Stütze im Zentrum des           Nebels, wo die Kinder der Menschen
Menschen, die Domestikation des                     Universums, um den Himmel von der        gemacht, wo die juwelenglänzenden
Mais, die Entstehung und der Nieder-                Unterwelt zu trennen und zum             Embryos zu finden sind.“
gang einer Hochkultur und viel                      anderen versenkt dieser Weltenbaum
Mythologie stehen auf dem Pro-                      gleichzeitig seine Wurzeln in der
gramm.                                              Unterwelt und dehnt das Laub seiner         Tlatzolteotl, wie die Erdgöttin und
                                                    Krone im Himmel aus. Tamoanchan          Göttin des Unrats, aber auch der
   Aber schon beim Lesen der ersten                 war der Geburtsplatz der Götter und      verbotenen Liebe in Nahuatl, der
Veröffentlichung zum Thema Götter-                  der Menschen, ein wahres Paradies.       Sprache der Azteken, genannt wird,
welt scheine ich zu halluzinieren:                  In Erinnerung an den Geburtstag des      gebiert Cinteotl (Nahuatl), der in der
Ich sehe mich am Eingang zu einer                   Maisgottes Cinteotl, der auch der        Sprache der Maya Yum Kaax gerufen
                                                                                             wird. Cinteotl wandert aus dem 13.
                                                                                             Himmel in den Kopf seiner Mutter ein
                                                                                             bevor er geboren wird (3). In Nahuatl
                                                                                             bedeutet centli »der Mais« und teotl
                                                                                             »der Gott«.
                                                                                                Einen Maisgott (Cinteotl) will ich
                                                                                             sehen. Kurz entschlossen fahre ich
                                                                                             nach London und besuche das British
                                                                                             Museum, um dort die Skulptur des
                                                                                             Cinteotl mit einer Maispflanze als
                                                                                             Kopfschmuck zu bewundern (4).
                                                                                             Diese herrliche Skulptur stammt aus
                                                                                             einem Tempel in Copan, Honduras.
                                                                                             Dieser Besuch regt meine Phantasie
                                                                                             an und ich will mehr über die amerin-
                                                                                             dische Mythologie erfahren.

(1) Eingang zur Höhle von Lol Tun

4   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
sich nicht des Schöpfers und des
                                                                                  Formers. Ziellos gingen sie herum
                                                                                  und auf allen vieren liefen sie. Darauf-
                                                                                  hin wurden sie zerstört und vernich-
                                                                                  tet, diese Gebilde aus Holz und
                                                                                  empfingen den Tod.
                                                                                      Und so überlegten Tzakol und
                                                                                  Bitol mit den anderen Göttern
                                                                                  weiterhin die Schöpfung des Men-
                                                                                  schen und sprachen:
                                                                                      Schon will es Morgen werden.
                                                                                  Lasset uns das Werk der Schöpfung
                                                                                  vollenden. Erscheinen sollen, die uns
                                                                                  erhalten und ernähren, die leuchten-
                                                                                  den Söhne des Lichts. Es erscheine
                                                                                  der Mensch! Belebt sei der Erde
                                                                                  Antlitz.
(2) Tamoanchan der Weltenbaum
                                                                                      Aus gelbem und weißem Mais
   Vier weitere Götter werden im        mich in die Lektüre. Dieses Buch          machten sie sein Fleisch.
Folgenden noch eine wichtige Rolle      entspricht unserer Bibel und enthält          Aus Maisbrei machten sie die
spielen:                                die Aufzeichnung der Schöpfungsge-        Arme und Beine des Menschen.
   Chaac, der Regengott, Xipe Totec,    schichte der Quiché Maya (Ref.1).         Einzig Maismasse trat in das Fleisch
der Frühlingsgott und Erneuerer                                                   unserer Ahnen (5). Es waren gute und
sowie die Himmelsgötter Tzakol und      Legende:                                  schöne Menschen.“
Bitol, die an der Schöpfung des             „ Lasst uns ein Wesen schaffen,
Menschen beteiligt waren.               das gehorsam sei und ergeben und               So ging der Mais in die Schöp-
                                        uns nährt und erhält, so sprachen         fung des Menschen ein.
                                        Tzakol, der Schöpfer und Bitol, der
                                        Former. Aus Erde, aus Lehm machten
                                        sie des Menschen Fleisch. Aber sie
                                        sahen, dass es nicht gut war. Denn es
                                        schwand dahin, es war zu weich, es
                                        war ohne Bewegung und ohne Kraft.
                                        Wohl sprach es, aber es hatte keine
                                        Vernunft. Bald weichten es die
                                        Wasser auf und es sank dahin. Darauf
                                        zerstörten und zerschlugen Tzakol
                                        und Bitol das Werk ihrer Schöpfung.
                                            Mit den anderen Göttern beratend
                                        schlugen sie daher vor:
                                            Werfet das Los mit Maiskörnern
                                        und Tsité-Bohnen! Tut das, um zu
                                        sehen, ob wir Mund und Augen aus
                                        Holz schnitzen sollen. Da sprachen
                                        die Lose und wahrsagten: ¸Eure
                                        Gebilde aus Holz werden glücken.
                                        Sie werden reden und sich
(3) Geburt des Cinteotl                 verstehen auf dem Antlitz der
    aus Codex Borbonicus
                                        Erde.
   Eine Vielzahl an Göttern benötigt    Sogleich wurden die Wesen
natürlich auch die entsprechenden       aus Holz geschaffen. Sie
Verehrer, Wesen, die sie anbeten und    glichen dem Menschen und
ernähren. Zurück in der Kölner          sie bevölkerten die Erde.
Bibliothek fällt mir das Buch des       Söhne und Töchter hatten die
Rates der Götter, das Popol Vuh, in     Wesen aus Holz. Aber sie hatten keine
die Hände und begeistert vertiefe ich   Seele, keinen Verstand. Sie erinnerten            (4) Cinteotl

                                                                        Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   5
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
... und Wahrheit:
                                                                                                   Ich frage mich jetzt, haben nicht
                                                                                               die Menschen den Mais geschaffen?

                                                                                                  Die Schöpfungsgeschichte erzählt
                                                                                               das schiere Gegenteil:

                                                                                               der Mensch war aus Mais geschaffen
                                                                                               worden.

                                                                                               Mehr hierzu im nächsten Kapitel.
    (5) Popol Vuh: Schöpfung des Menschen aus Mais

                  2                                    Mais - Domestikation

I
      ch reise in das Land meiner                      durstig. Die äußerst freundlichen           Am nächsten Tag begleite ich die
      Träume, nach Mexico, genauer                     Menschen laden mich, wie ich es er-     Gruppe auf den täglichen Sammlun-
      an den Rio Balsas (6) in eine                    hoffte, zu einem Mahl ein. Allerdings   gen, denn ich muss wissen, wie die
      Zeit, die mehrere Jahrtausende                   besteht dieses Mahl lediglich aus       Pflanze, die ich gestern Abend
      zurückliegt. In dem Flusstal                     dem Stück eines riesigen Gras-Stän-     bekommen habe, wirklich aussieht.
begegne ich nur wenigen, merkwür-                      gels, auf dem man herumkaut und
dig gekleideten Menschen, die an                       der ausgelutscht wird. Er schmeckt         Groß ist sie und stark verzweigt.
den Hängen riesige Gräser sammeln.                     süß und richtig gut, aber wenn man      Am Ende der Stängel befinden sich
In Bündeln tragen sie diese zu ihren                   hungrig ist schmeckt einem ohnehin      Büschel von Fahnen und aus den
Unterkünften. Vorsichtig nähere                        einfach alles.                          Blattachseln ragen zarte Fäden
ich mich einer Gruppe, denn durch                                                              heraus. In manchen Pflanzen sind hier
die lange Reise bin ich hungrig und                                                            bereits Samen angelegt, die wie

6      WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
In der nächsten Zeit hegen und
                                                                                          pflegen sie die aufkeimenden Pflan-
                                                                                          zen, die später ebenfalls veränderte
                                                                                          Körner tragen. Das nackte Korn ist
                                                                                          lediglich von zwei zarten Hüllblätt-
                                                                                          chen umschlossen und alle Körner
                                                                                          bleiben an der Spindel haften. Eine
                                                                                          neue Nahrungsquelle ist erschlossen:
                                                                                          Mais ist geboren, aus dem Gras
                                                                                          Teosinte (8).

                                                                                                        Mir wurde klar:
                                                                                                die Amerindians (Indianer)
                                                                                                hatten den Mais geschaffen.

                                                                                             Zwei Merkmale sind verändert: die
                                                                                          Spindel ist bruchfest und die Spelzen
(6) Am Rio Balsas in Mexico                                                               sind weichschalig.

Perlen auf einer Schnur aufgereiht        Aua, das ist ja steinhart. Die Indianer,           Ich träume weiter und mache
sind. Ausgereift fallen die Körner aus    so nennen wir die Menschen später,              kurze Zeit später den Umzug vom Rio
und verteilen sich auf dem Boden.         lächeln und schütteln die Köpfe. Das            Balsas an die Küste des Golfs noch
                                          ist offensichtlich nicht essbar.                mit und erlebe so die Hochkultur der
    Jahrtausende später wird diese            Wir durchstreifen die Hänge des             Olmeken.
Pflanze »Teosinte« genannt (7).           Rio Balsas und nach einiger Zeit
    Den Maisgott Cinteotl kennen wir      finden wir einen Stängel, an dem,                  Doch zuvor lege ich einen Zwi-
ja bereits. Teosinte, die andere Kombi-   obwohl er ausgereift ist, immer noch            schenstopp in Köln und im 21. Jahr-
nation der Worte, entspräche dann         Körner haften. Mir fällt auf, dass diese        hundert ein. Ich frage mich nämlich,
Gott des Mais.                            Körner auch verändert und keines-               welche Merkmale während der
                                          wegs mehr so hart, so hölzern sind.             Domestikation von Teosinte noch
  Ich nehme eines der Körner in den       Man kann sie kauen, sie scheinen                verändert wurden und was moleku-
Mund und versuche es zu zerbeißen.        essbar.                                         larbiologisch eigentlich passiert war.
                                                                                          Antworten gibt die Literatur und du
                                             Die Amerindians ernten diese                 weißt ja bereits, dass die in der
                                          ungewöhnlichen Körner und säen sie              Bibliothek zu finden ist.
                                          an einem geeigneten Platz wieder aus.

                                          (8) Teosinte:                                   Mais:
(7) Teosinte                                  Spindel brüchig, Spelze hölzern             Spindel bruchfest, Spelze weichschalig

                                                                                Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   7
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
Zwischenhalt Molekularbiologie:

   Schnell finde ich heraus, dass
Teosinte (Zea mays ssp. parviglumis)
mehrere Veränderungen durchlaufen
musste, bevor Mais (Zea mays ssp.
mays) geboren war.

a. Brüchigkeit der Spindel,
b. Hartschaligkeit der Spelzen
(Ref. 2),
c. Verzweigungsmuster (Ref. 3),
d. Mehrzeilige Samenanordnung
(Ref. 4),
e. Einzelne versus gepaarte Ährchen.

   Molekularbiologisch gut erforscht
sind die letzten drei Merkmale, da sie
jeweils auf der Veränderung nur eines               (9) Hartschaligkeit der Spelzen
Gens zu beruhen scheinen.

a. Obwohl die Brüchigkeit der Spin-
del von Gräsern in der Domestikati-
on generell eine wichtige Rolle spielt,
ist bei Mais hierüber wenig bekannt.

b. Für die Nutzung von Teosinte ist
allerdings die Hartschaligkeit, die
durch die Verholzung der äußeren
Spelzen bedingt ist, von hervorra-
gender Bedeutung (9, Ref. 2).
Lediglich ein Basen-Austausch (rot
umrandet) am N-Terminus des Gens
Teosinte-glume-architecture (Tga1),
das einen Transkriptionsfaktor
kodiert, bewirkt diese fundamentale
Veränderung. In der Mutante sind die
Körner nun nackt und werden von
„weichen“ Spelzen (glumes) umge-
                                                    (10) Verzweigungsmuster
ben.

c. So eine stark verbuschte, wie
die verzweigte Teosinte-Pflanze ist
natürlich für einen Anbau nicht vor-
teilhaft. Daher wird gegen die Ausbil-
dung von Seitenzweigen selektioniert
(ausgewählt) (10, Ref. 3). Teosinte-
branched 1 (Tb1) heißt das Gen, das
nunmehr verändert ist. Bereits die
2-fache Menge an Transkript (mRNA)
macht den Unterschied im Erschei-
nungsbild (Phänotyp) der beiden
Pflanzen aus.

d. Mehrzeilige Samenanordnung ist
sicherlich ein Merkmal, das die Er-
träge verbessert und damit natürlich
von den Menschen ausgelesen wird
(11, Ref. 4). Das Merkmal beruht                    (11) Vielzeiligkeit der Samenanordnung

8   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
MAIS PFLANZE DER GÖTTER - EINE PUBLIKATIONSREIHE DER WISSENSCHAFTSSCHEUNE
wiederum auf einem Transkripti-          Durch das von Menschenhand ge-            rung gehabt haben muss. Hat das ihre
onsfaktor (Zfl2), der zur Floricaula/    schaffene „Monster“ Mais, bei dem         Gesellschaft verändert?
Leafy Familie gehört. Allerdings sind    die nackten Körner fest am Kolben
an diesem Merkmal noch weitere           haften, ist zwar für die Menschheit          Die Antwort ist: ja, wie wir im
Gene beteiligt, u.a. auch ein Gen, das   eine phantastische Nahrungsquelle         Folgenden sehen werden.
einzelne versus gepaarte Ährchen         erschlossen worden, die Pflanze selber
festlegt (e).                            hat allerdings jegliches Potenzial zur
Ständige Selektion auf Ertragserhö-      Ausbreitung verloren. Ein Schicksal,
hung führt schlussendlich zu dem         das sie mit vielen domestizierten
mächtigen Maiskolben, wie wir ihn        Pflanzen teilt.
heute kennen.
   Der Prozess der Domestikation            Ich frage mich, welche Konsequen-
von Teosinte ist in der untenstehen-     zen der leichte Zugang zu Nahrungs-
den Abbildung (12) zusammengefasst.      mitteln auf die amerindische Bevölke-

(12) Veränderungen des Maiskolbens

                                                                         Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   9
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Olmeken,                                                                                  3
            Maya und Milpa

E
           in Flug nach Villahermo-                  Olmeken:                                  Vor sehr langer Zeit hatten die
           sa, der Hauptstadt des                        Ich habe diesen Ort mit Bedacht    Olmeken damit begonnen ein Kalen-
           Bundesstaates Tabasco                     gewählt. Hier sind die Funde aus La    dersystem zu entwickeln, das von den
           am Golf von Mexico, ist                   Venta, einer Stadt der Olmeken (13),   Maya, ihren Nachfolgern, die Zentral-
           schnell gebucht. Da die                   in einem Park ausgestellt. Dabei       Amerika seit ca. 4000 Jahren besie-
Reise über Mexico City verläuft,                     handelt es sich um riesige tonnen-     deln, perfektioniert wurde.
nutze ich die Gelegenheit für eine                   schwere Köpfe (14). Die Olmeken        Am Abend im Hotel beschäftige ich
ausführliche Besichtigung der Stadt,                 (Nahuatl: Leute aus dem Kautschuk-     mich mit ihrem Zahlensystem. Das
einschließlich Tenochtitlans, der                    land) siedelten bereits vor etlichen   war kein Dezimalsystem, wie ich
ehemaligen Hauptstadt der Azteken.                   tausend Jahren hier am Golf. Sie       erkannte, sondern ein 20er-System
   Am übernächsten Tag geht es                       waren, wie ich mich dunkel erinnere,   (15), wobei unsere 1 durch einen
dann weiter nach Villahermosa am                     wahrscheinlich vom Rio Balsas          Punkt dargestellt wird und fünf
Golf von Mexico.                                     hierher umgezogen.                     horizontale Punkte zu einem Balken

(13) Reich der Olmeken an der Golfküste von Mexico

10   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
(14) Kolossalkopf im Parque-museo La Venta Villahermosa

verbunden werden. Die 6 ist ein             ist schwierig und die Division habe      Tagen, also insgesamt 365 Tagen. Er
Balken mit einem darüber liegenden          ich noch nicht herausgefunden.           wird zur Festlegung landwirtschaft-
Punkt. Vier übereinander liegende                                                    lich relevanter Termine genutzt.
Balken (4x5 = 20) ergeben einen             Maya:
Punkt in der nächst höheren Rubrik.            Für ein funktionierendes Kalender-    Die Mayas führten
Bemerkenswerterweise kannten die            system brauchte man jedoch mehr.         die „Lange Zählung“ ein,
Maya bereits die Null, die sie durch        Schon die Olmeken nutzten                in der die Tage seit dem mythologi-
eine Muschel darstellten.                   den Tzolkin                              schen Beginn am 13. August 3114 v.
   Ich verliebe mich sofort in das          mit 260 Tagen (13 mal 20 Tage) für       Chr. gezählt werden. Er dient der
System und beginne große Zahlen             Zeremonialzwecke.                        Festlegung von Kalenderdaten. Sie
aufzuschreiben und auch zu rech-            und den Haab-Kalender                    zeigt Anfang und Ende der jetzigen
nen: Addition und Subtraktion sind          mit seinen 18 Monaten zu je 20 Tagen     Zivilisation an.
sehr leicht, Multiplikation dagegen         plus einen extra Monat Uayeb zu 5
                                                                                        Abends, in lauen tropischen
                                                                                     Sommernächten beschäftigen mich
                                                                                     viele Fragen: wie haben die Maya den
                                                                                     Mais angebaut, gab es festgelegte
                                                                                     Daten für Aussaat und Ernte, gab es
                                                                                     den Beistand der Götter, wurden
                                                                                     Feste gefeiert, was waren die Konse-
                                                                                     quenzen von Nahrung im Überfluss?

                                                                                        Das Gescheiteste ist wohl, ich
                                                                                     schaue es mir einfach an.
(15) Zahlensystem der Olmeken

                                                                           Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   11
(16) Im Bergland von Chiapas: vor mir Indianerkinder...

    Zunächst fahre ich daher mit dem                    Seit „ewigen“ Zeiten wardas           Die erste Stufe:
                                                                                              Die Wahl des Feldes war dabei ein
Mietwagen von Villahermosa an                        Anlegen und der Betrieb einer Milpa
                                                                                              wichtiger Schritt, denn es gilt den
Palenque vorbei in das Innere von                    streng geregelt und in 9 Stufen
                                                                                              richtigen Boden in der Nähe von
Chiapas (16), wo es deutlich hügeliger               unterteilt.                              Wasserstellen auszumachen.
ist und ich an den Berghängen meine                     Und der Dorfschamane versichert       Die zweite Stufe:
erste Milpa bewundern kann (17).                     mir, dass jede dieser Stufen mit einem   Anschließend wurde die Milpa von
                                                     Ritual bzw. einem Fest begleitet         Busch und Wald durch Rodung mit
Milpa:                                               wurde. Doch davon später mehr.           Steinäxten befreit; diesem Prozess
    Das Wort Milpa stammt aus dem                                                             folgte dann ein paar Monate später
Nahuatl, der Sprache der Azteken,                                                             im März/April
und setzt sich aus den Worten mil-li                                                          Die dritte Stufe:
(Feld) und pa (hin), also „hin zum                                                            das Abbrennen des Holzes (18). Die-
Feld“ zusammen. In einer Milpa                                                                ser Tag musste von einem Priester
                                                                                              genau bestimmt werden. Allerdings
werden Mais, Bohnen, Lima-Bohnen
                                                                                              handelte es sich oft um den 12. April,
und Kürbisse im Mischanbau angezo-
                                                                                              und hier sieht man wie wichtig ein
gen, oft sind noch andere Pflanzen                                                            Kalender war. Für die Festlegung die-
eingestreut. Eine Milpa wird in der                                                           ses Termins wurden astronomische
Regel zwei Jahre genutzt, da nicht                                                            Geräte gebaut.
gedüngt wird, und liegt dann für acht                                                         Die vierte Stufe:
Jahre brach. Zwischenzeitlich muss                                                            In klassischer Zeit war eine Umzäu-
neues Land gerodet werden. Da keine                                                           nung der Milpa nicht notwendig,
Pestizide verwendet werden, ist die                                                           da die Amerindians keine Haustiere
Biodiversität in diesen Feldern hoch                                                          kannten. Das Feld wurde jedoch mit
und die Produktivität ist ausreichend                                                         einer lebenden Hecke aus Teosinte
für den Eigenbedarf und die Versor-                                                           versehen. Bei guter Abstimmung der
                                                                                              Pflanzzeit konnte hierdurch Hybrid-
gung des Dorfes, reicht aber nicht für
                                                                                              saat entwickelt werden.
die Städte. Der Landverbrauch war
                                                                                              Die fünfte Stufe:
enorm hoch und daher hat Mexico                                                               Für die Aussaat wurden Pflanzstö-
diese Anbauweise in den 1970er                                                                cke verwendet (19). Hiermit wurden
Jahren untersagt.                                    (17) ... und hinter mir eine Milpa       5-10 cm tiefe Löcher gegraben, in die

12   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
dann 5-6 Maiskörner zusammen mit
einer Bohne eingebracht wurden. Die
Bohnen fixieren den Luftstickstoff
und machen ihn somit auch nutzbar
für die Maispflanze (natürliche Dün-
gung). Da die Amerindians Tamales
mit Bohnen aßen und die Mexikaner
dies immer noch tun, wird so der
Lysinmangel des Maiskorns kompen-
siert.
Der Beginn der Pflanzzeit sollte
natürlich mit dem ersten Regen
zusammenfallen, und gemäß der           (18) Brandrodung in Guatemala
Mythologie der Maya sollte das am 3.
Mai sein. Wiederum ist ein präziser
Kalender unentbehrlich. Der lang-
nasige Regengott Chaac oder Tlaloc,
wie ihn die Azteken nannten, garan-
tiert den Regen, falls man ihn nett
darum bittet (20).
Die Aussaat dauerte etwa zwölf Tage.
Der gesamte Prozess sollte bis Ende
Mai beendet sein.
Die Lebensdauer einer Milpa hängt
jedoch im Wesentlichen vom Jäten
ab.
Die sechste Stufe:                      (19) Aussaat Maya Klassik und heute
In alter Zeit wurde natürlich von
Hand gejätet und auf diese Weise
konnte die Milpa - wie Rekonstrukti-
onsexperimente gezeigt haben - bis
zu acht Jahren genutzt werden, da
die Wurzeln der „Unkräuter“ eben-
falls entfernt wurden.
Die siebte Stufe:
Nach der Reife des Mais wurden die
Stängel der Pflanzen herabgebogen
und in dieser Stellung angebunden.
Der Regen konnte so nur schwer in
die Kolben eindringen, was der Ver-     (20) Regengott Chaac in Labná, Yucatan
pilzung des Kolbens vorbeugt.
Angebaut wurden unterschiedli-
che Maissorten, die entweder nach
zweieinhalb Monaten, nach vier
oder nach sechs Monaten ausgereift
waren. In Yucatan konnten derarti-
ge Sorten vier bis fünf Meter hoch
werden.
Die achte Stufe:
Die Ernte erfolgte in der Regel einen
Monat später, etwa im November.
Der Höhepunkt der Ernte war jedoch
im Januar/Februar und je nach Sorte
zog sich das bis in den März und        (21) Aufbewahrung von Mais
April hin. Frischer Mais war so ein     die Körner vom Kolben getrennt und
halbes Jahr lang erhältlich.            in die Dörfer zur Aufbewahrung in               fen der Körner und der Transport in
Die neunte Stufe:                       zirkuläre Bunker gebracht, aber auch            die Dörfer getrennte Prozesse.
Die Aufbewahrung des Mais war           andere Behälter waren möglich (21).             Natürlich wurde der Milpa-Anbau
recht unterschiedlich. In jedem Fall       In anderen Landesteilen wurden               in all seinen Stufen mit geeigneten
werden zunächst die Hüllblätter
                                        die Kolben neben der Milpa aufbe-               Ritualen begleitet, die zum Teil heute
entfernt.
                                        wahrt. Daher waren hier das Abstrei-            noch zelebriert werden.
Im nördlichen Yucatan wurden dann

                                                                              Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   13
Ein anderes sehr wichtiges Fest ist      Die Schirmherrin dieses Festes ist
                                                     Ochpanitzli, „Fegen der Straße“, das      Tlatzolteotl, die wir ja bereits als
                                                     für eine gute, reiche Ernte sorgen soll   Mutter von Yum Kaax (Cinteotl)
                                                     und im 11. Monat des Jahres gefeiert      kennen gelernt haben.
                                                     wurde (23).

(22) Xipe Totec,
Frühlingsgott und Erneuerer

Feste:
    Da ist z. B. die Verjüngung des
Korns zur Aussaat der Samen: der
zuständige Gott ist Xipe Totec,
Frühlingsgott und Erneuerer (22).
    Die Maya verstehen eine Geburt
als Kampf im Uterus der Gebärenden,
ein Teil ihrer selbst stirbt, sodass
neues Leben beginnt.
    Natürlich mussten alle Götter
derartige Bedingungen durchlaufen.
Xipe Totec, Gott der Aussaat, musste
sich jedes Frühjahr vor der Neuan-
pflanzung verjüngen. Einem Gefange-
nen wurde buchstäblich das Fell über
die Ohren gezogen und während
zwanzig Tagen (ein Monat im Tzolkin-
Kalender) trug ein Priester das Fell
über der Schulter. Während der zur
Opferung gehörenden Zeremonie
tanzten die Frauen mit aufgelösten
Haaren, auf dass der Mais so hoch
wachse wie die Haare lang waren.
Die Maya dachten, dass ohne Inter-
vention und magischen Einfluss der
Götter kein Maiskorn keimen und
wachsen und die Pflanze keine Früch-
te tragen würde. Es genügt keines-
wegs ein Korn zu säen, die Pflanze
muss auch gedüngt werden.

                                                     (23) Ochpanitzli

14   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
(24) Palenque

Palenque im Wandel der Zeit:
   Durch die gute Fürsorge der Götter        Während ich mich noch so in die
fuhren die Maya reiche Ernte ein und      Zeit vor etwa anderthalb tausend Jah-
konnten ihre Familien in relativ kurzer   ren zurück versetzt sehe, frage ich
Zeit ernähren. Dies ließ viel Raum für    mich: hat die Domestikation einer
Fronarbeit, oder sollte ich sagen für     einzelnen Pflanze dies alles bewirkt?
die Begehrlichkeiten der Mächtigen?
Die Maya mussten in ihrer „Freizeit“         Na ja, wenn ich ehrlich bin, dann
die Zeremonial-Zentren aufbauen, die      waren das schon mehrere Pflanzen.
zum Teil heute noch als touristische      Die Maya hatten neben Mais noch
Attraktionen erhalten sind. Ich denke     Bohnen und Kürbisse und natürlich
etwa an Copan in Honduras, Tikal in       Kakao. Aber davon mehr an anderer
Guatemala oder Palenque (24) im           Stelle.
Bundesstaat Chiapas, Mexico, in              Die Domestikation von Mais als
dessen Nähe ich mich ja gerade            Haupternährer ermöglichte erst die
befinde. Am Rande des Berglands von       Expansion der Bevölkerung und die
Chiapas gelegen überschaue ich die        Entwicklung der einmaligen Hochkul-
Ebene zum Golf von Mexico hin.            tur der Maya. Fragen über Fragen
                                          türmen sich in meinem Kopf auf,
    Obwohl bereits ca. 1000 v. Chr.       unter anderen: wann hat diese
hier gesiedelt worden sein soll,          Entwicklung begonnen und wie
begann mit der Inthronisation des         wurde sie beendet. Beides sind
wohl berühmtesten Herrschers von          Fragen nach Datierungen vom Anfang
Palenque, Pakal, um 612 n. Chr. eine      und vom Ende.
                                                                                   (25) Kìnich Janaab Pakal (603-683 n.Chr.)
rege Bautätigkeit, welche die Hochblü-
te dieser Stadt einläutete (25).

                                                                         Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   15
Vom Anfang und Ende
     der Hochkultur                                                                                           4

W
                ieder in der Uni-
                                                        Die kleinen Kölbchen konnten          toxtla (zentrales Tal des Rio Balsas,
                Bibliothek finde ich
                                                     mittels der Radiokarbon-Methode auf      28) isoliert. Reibschalen für die
                in der Literatur, dass
                drei recht unter-                    ein Alter von ca. 4200 v. Chr. datiert   Mehlproduktion sind eine gute Quelle.
                schiedliche Metho-                   werden (27).                             Die Proben werden dann im Mikros-
den für die Klärung der Frage nach                      Das bedeutet, dass die Domestizie-    kop identifiziert. Auf Grund der
dem Beginn der Domestikation und                     rung von Teosinte noch weiter            Stratigraphie (Abfolge der Schichten),
damit der Hochkulturen eingesetzt                    zurückliegen muss (Ref.5).               aus der die Mais Proben stammten,
wurden:                                                                                       wurde dieser Mais auf etwa 6700 v.
                                                                                              Chr. datiert (Ref.6).
a. C14-Datierung,                                    b. Stärkekörner und Phytolith               Das Ereignis der Domestizierung
b. Stärkekörner und Phytolith                           Datierung:                            muss demnach noch früher erfolgt
   Datierung,                                           Dies ist ein kompliziertes Verfah-    sein.
c. Microsatelliten Messungen.
                                                     ren. Es basiert einmal auf der Unter-
                                                     scheidung von Stärke- und Phytolith-     c. Datierung durch Microsatelliten:
a. Radiokarbon-Datierung                             körnern aus Mais und Teosinte.              Microsatelliten sind DNA-Sequenz-
   (C14-Datierung):                                  Phytolithe bestehen aus SiO2(Quarz)      wiederholungen z. B. des Typs (TA) n,
   Erste Funde eines Maiskolbens                     und sind sehr hart. Die harte Samen-     (GTC) n oder ähnliche, wobei n
stammen aus der Höhle Guila Naquitz                  schale des Teosinte besteht u.a.         zwischen 10 und 100 liegen kann. Die
unweit von Monte Alban, einem                        daraus. Zum anderen werden die zu        angegebene Analyse zeigt klar, dass
Zeremonial-Zentrum der Zapoteken                     analysierenden Proben aus archäolo-      Mais aus Teosinte (Z.m. ssp. parviglu-
im Bundesstaat Oxaca (26).                           gischen Fundstellen, wie etwa Xihua-     mis) nur einmal domestiziert wurde

(26) Höhle Guila Naquitz

(27) verkohltes Maiskölbchen ca. 4 cm                (28) Unterstand in Xihuatoxtla

16   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
(29) Phylogenie von Mais und Teosinte

(s. Pfeil). Ferner konnten die Autoren                  Kollaps:                       Für den Kollaps der klassischen
aus der Mutationsrate den Zeitpunkt,                                                Maya Zivilisation wurden einige
an dem Mais und Teosinte begannen                                                   Spekulationen bemüht, wie etwa
sich auseinander zu entwickeln, auf                                                 kriegerische Auseinandersetzungen
ca. 7200 v. Chr. abschätzen (29).                                                   unter den Stadtstaaten und Übernut-
                                                                                    zung der Böden, aber auch Dürreperi-
 Endlich: Teosinte wurde demnach                                                    oden.
 vor ca. 9000 Jahren domestiziert.
                                                                                        In den letzten Jahren wurden im
   Das ist lange vor der Zeit der                                                   See Chichancanab in Zentral Yucatan
Maya, ja sogar vor den Olmeken, die                                                 Sedimentbohrungen niedergebracht.
zwar ursprünglich aus dem Hochland                                                  Die Analyse der Bohrkerne in Bezug
des Bundesstaates Guerrero, aus der                                                 auf CaSO4. 2 H2O (Gips), ein Maß für
Region des Rio Balsas kamen, aber                                                   den Austrocknungsgrad, ergab eine
deren Existenz bei weitem nicht so                                                  Dürreperiode in der Zeit zwischen
lange zurückverfolgt werden kann.                                                   700 und 900 n. Chr. (30, rot markiert).
Wir erinnern uns, ihre Hochkultur                                                   Die graue Linie spiegelt den etwa
begann etwa 1500 v. Chr. in der Golf                                                208-jährigen Zyklus der Sonnenaktivi-
Region, sie mag aber durchaus noch                                                  tät wider. TC (rot eingekreist) ist der
                                         (30) Sedimentbohrungen im Chichancanab     Terminal Classic Collaps (Ref.8).
weiter zurückreichen.

Soviel zum Anfang der amerikani-
schen Hochkulturen.

                                                                          Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   17
(31) Aufgabe der Maya Städte

   Gill postulierte einen Kollaps in                    Von diesen Schlägen allerdings     dischen Kulturen, war schlussendlich
3 Phasen (31):                                       erholten sich einige Städte, sie      eine Folge der Entdeckung Amerikas.
   Um 810 sollen die ersten Städte                   gelangten aber in der Postklassik
verlassen worden sein (Phase 1), 50                  nicht mehr zu ihrer ursprünglichen       Zum Zeitpunkt der Ankunft der
Jahre später in Phase 2 und um 910                   überragenden Bedeutung.               Spanier waren 300 Maissorten auf den
(Phase 3) wurden dann weitere Städte                    Das Aus für die Hochkultur der     Märkten der Amerindians zu finden.
aufgegeben.                                          Maya, aber auch der anderen amerin-

18   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
(32) Mais Vielfalt

   Diese Vielfalt (32) beruhte auf der   die durch die Aktivität von Transpo-        Um das näher zu erläutern,
Dynamik des Maisgenoms (Gesamt-          sons (springende Gene) bedingt ist.      recherchiere ich molekularbiologi-
heit der genetischen Information),                                                sche Literatur und erfahre:

                                                                        Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   19
5
              Neues aus der
              „Maiswelt“

D
             as Maisgenom ist fast so                    riert werden. Der Genetiker sagt: die        Die Veränderungen können noch
             groß wie das menschli-                      Mutation revertiert, sie ist instabil.   bizarrer werden. Das in das Farb-Gen
             che Genom. Transposons                      Für diese Entdeckung erhielt Barbara     hineingesprungene Transposon kann
             sind integrale Bestandtei-                  McClintock 1983 den Nobelpreis.          selbst natürlich auch Veränderungen
             le von Genomen. In Mais
                                                             Ist ein Transposon in ein „Farb-     durchlaufen, sodass man seine
machen sie etwa 85% des Erbmate-
                                                         Gen“ hineingesprungen (Integration)      Gegenwart zunächst gar nicht be-
rials aus, wie die Entschlüsselung
seiner Erbinformation ergibt.                            (33), dann ist das Maiskorn nicht        merkt, denn das Korn ist rot gefärbt
                                                         mehr rot gefärbt, sondern ist nun-       (33,3), es sei denn, das Element ist
    Eine wesentliche Eigenschaft von                     mehr gelblich (33,1), wegen des          aktiv, dann wird das Farb-Gen abge-
Transposons ist ihre Beweglichkeit.                      ß-Carotins, das im Korn auch gebildet    schaltet (33,4).
Sie können von einer Stelle im Chro-                     wird. Aber, wie gesagt, bedingt durch
mosom in eine andere springen und                        die weitere „Wanderlust“ der Transpo-       Im Klartext: die Ausprägung des
falls ihr neuer Zielort ein Gen ist,                     sons, ist die Samenschale des Korns      Farb-Gens steht nicht länger unter
können sie dieses z. B. zerstören, also                  jetzt rot gesprenkelt, da in diesen      seiner natürlichen Kontrolle, son-
eine Mutation (Veränderung) bewir-                       Zellen das Farb-Gen in seiner Funkti-    dern wird durch die Aktivität bzw.
ken. Durch die „Wanderlust“ der                          on wiederhergestellt ist (33,2).         Inaktivität eines Transposons
Transposons bedingt, können derarti-                                                              fremdgesteuert. Hierdurch können
ge Mutationen während der Entwick-                                                                auch morphologische Neuerungen
lung des Organismus wieder restau-                                                                entstehen.

     1                                                    3                                           Ich frage mich: Was zeichnet
                                                                                                  Transposon-DNA gegenüber der DNA
                                                                                                  von „normalen“ Genen aus? Die
                                                                                                  Antwort ist einfach: meist sind Anfang
                                                                                                  und Ende eines Transposons direkte
                                                                                                  oder inverse Sequenzwiederholungen
                                                                                                  voneinander. Wie soll ich das verste-
                                                                                                  hen? Am besten bildlich. Eine DNA-
                                                                                                  Heteroduplex-Analyse im Elektronen-
     2                                                    4                                       mikroskop hilft hier. Wir wissen
                                                                                                  bereits, dass DNA aus zwei gegenläufi-
                                                                                                  gen Strängen besteht, die sich wie ein
                                                                                                  Positiv und ein Negativ zueinander
                                                                                                  verhalten. Wenn also ein DNA-Strang
                                                                                                  eines Gens (Positiv), sagen wir von
                                                                                                  Mais, mit seinem komplementären
                                                                                                  Strang (Negativ) von Teosinte gepaart
                                                                                                  wird, dann kann man dieses artifiziel-
(33) Spm Transposon am A2-Locus von Zea mays                                                      le Molekül im Elektronenmikroskop

20       WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
entstehen und deren Größe für ein
                                                                                                 Transposon charakteristisch ist.
                                                                                                 Verlässt das Transposon seinen Platz
                                                                                                 (Exzision), werden diese Duplikatio-
                                                                                                 nen entweder rückgängig gemacht
                                                                                                 oder aber, und das geschieht relativ
                                                                                                 häufig, entstehen an dieser Stelle
                                                                                                 Veränderungen unterschiedlichster
                                                                                                 Art. Die Wanderung von Transposons
                                                                                                 durch das Genom hinterlässt Mutatio-
                                                                                                 nen, so genannte „footprints“, die zur
                                                                                                 Dynamik des Genoms wesentlich
                                                                                                 beitragen. Doch davon später mehr.

                                                                                                 Fazit:
                                                                                                    Rund 80% aller spontan auftre-
                                                                                                 tenden Mutationen werden durch
                                                                                                 springende Gene (Transposons)
                                                                                                 ausgelöst und kreieren derart die
(34) Transposons in Mais und in Teosinte                                                         Vielfalt der Maissorten.

anschauen und sehen, ob es Unter-              die kleine inverse Sequenzwiederho-                   Meine Recherche hat außerdem
schiede zwischen diesen beiden                 lung am Anfang und Ende von Cin1                  ergeben: Vieles, was wir heute
Strängen gibt. Denn wenn es größere            und die große inverse Sequenzwie-                 molekular über Transposons von
Unterschiede gibt, finden sich keine           derholung von Cin3, das in das                    Bakterien und Pflanzen wissen,
Paarungspartner und das erkennt                Transposon Cin2 hineingesprungen                  wurde in Köln am Institut für Genetik
man als herausragende Schleife. Im             ist. Anfang und Ende von Cin2 als                 und am Max-Planck-Institut für
Bild (34) sehen wir neben dem dicken           lange direkte Sequenzwiederholun-                 Pflanzenzüchtungsforschung heraus-
Doppelstrang, dünnere Einzelstrang-            gen sind nur aus der DNA-Sequenz-                 gefunden.
bereiche. Wichtig sind die mit Cin1,           analyse zu erkennen.
Cin2 und Cin3 (Ref 11) gekennzeichne-
ten Transposons, die zu Ehren des                 Interessanterweise sind Transpo-
Mais-Gottes Cinteotl so benannt                sons von kleinen Sequenzduplikatio-
wurden (Ref.12). Klar zu erkennen ist          nen flankiert, die bei der Integration

Referenzen                                                                                       Bildnachweise:
Textnachweise:                                 Andere:                                           Eigene Bilder:
                                               Ref.1: „Popol Vuh: das Buch des Rates, Mythos     1, 6, 7, 9, 10, 11, 12 , 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20, 21, 22,
Arbeiten aus dem MPIPZ:
                                                      und Geschichte der Maya“, Diedrichs                  23, 24, 33 (Ref.10), 34 (Ref.12)
Ref.10: Menssen et al. (1990), EMBO J. 9,
                                                      Verlag München 1995, Hrsg. Cordan
        3051-3057
                                                      Wolfgang.                                  Andere:
Ref.11: Blumberg vel Spalve et al. (1990),
                                               Ref.2: Wang et al. (2005), Nature 436, 714-719    (2):  Zeichnung von Maudslay, 1889-1902,
        Maydica, 35, 151-156
                                               Ref.3: Doebley et al. (1995), Genetics 141,             Palenque, Mexico
Ref.12: Shepherd et al. (1984), Nature, 307,
                                                      333-346                                    (3):  Codex Borbonicus
        185-187
                                               Ref.4: Bomblies, and Doebley (2006), Genetics     (4):  British Museum, London
                                                      172, 519-531                               (5):  http://span3b-spring11.blogspot.
                                               Ref.5: Piperno and Flannery (2001), PNAS 98,            com/2011/05/el-popol-vuh.html
                                                                                                 (8):  www.agron.missouri.edu/
                                                      2101–2103
                                                                                                       mnl/68/139dorweiler.html
                                               Ref.6: Ranere et al. (2009), PNAS 106 (13)
                                                                                                 (18): Markussen, Dissertation 2003,Uni
                                                      5014-5018
                                                                                                       Göttingen
                                               Ref.7: Matsuoka et al. (2002), PNAS 99,
                                                                                                 (25): Nationalmuseum für Anthropologie,
                                                      6080-6084
                                                                                                       Mexico-Stadt
                                               Ref.8: Hodell et al.(2001), Science 292,
                                                                                                 (26): http://cdn.wn.com/pd/f8/46/afd552f-
                                                      1367-1370
                                                                                                       b6acfed1a4304591bed23_grande.jpg
                                               Ref.9: Peterson und Haug (2007), Spektrum
                                                                                                 (27): (Ref. 5)
                                                      der Wissenschaften Dossier 4:
                                                                                                 (28): (Ref. 6)
                                                      Archäologie II
                                                                                                 (29): (Ref. 7)
                                                                                                 (30): (Ref. 8 )
                                                                                                 (31): (Ref. 9)
                                                                                                 (32): www.gmushrooms.com/Posters/
                                                                                                       IndianCornBlk.jpg

                                                                                       Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig           21
Am Ein- und Ausgang der Maishöhle

22   WiS Begierig ::: Juli 2011 ::: Mais - Pflanze der Götter
Besuch in der WiS
Solltest du die Thematik an lebenden Pflanzen vertiefen wollen, dann empfehlen wir die Aus-
wahl der Station auf unserer Homepage (www.wissenschaftsscheune.de) für die Zielgruppe
und die entsprechende Anmeldung.

Kindergarten und Grundschule:       Station „Mais eine Pflanze der Götter“
Sekundarstufe I/II : 			            Station „Mais: Vom Wildgras zur Kulturpflanze“,
Erwachsene: 				                    Station „Von der Wildform zur Kulturpflanze“,

Lass uns deine Meinung wissen, denn auch wir sind Lernende und wollen die WiS weiter ver-
bessern.

Wie für alle Stationen sind ca. 45 Minuten einzuplanen.

                                                           Mais - Pflanze der Götter ::: Juli 2011 ::: WiS Begierig   23
WissenschaftsScheune

Über die WissenschaftsScheune
Die WissenschaftsScheune (WiS) ist eine Ein-                                                                                Anwendung können Besucher in Erlebniswelten
richtung des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüch-                                                                         sowohl in der Scheune des Gutshofs als auch
tungsforschung (MPIPZ), in der Besucher Wissen-                                                                             im Schaugarten spielerisch entdecken.
schaft hautnah erleben können.
                                                                                                                            Weitere Details finden Sie auf unserer
Die Bandbreite der Forschung reicht vom DNA                                                                                 Homepage:
Molekül bis zum Anbau neuer Kultursorten. Themen
der Grundlagenforschung und ihre                                                                                            www. wissenschaftsscheune.de

Der „Verein der Freunde und Förderer des                                                                                    Impressum
Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungs-
                                                                                                                            Text:
forschung e.V.“ betreut die WiS und ist
                                                                                                                            Heinz Saedler
Heraus-geber der Broschüre „WiS Begierig“.
                                                                                                                            Redaktion:
Alle Personen, die das Projekt
                                                                                                                            Christiane Wojtera, Wolfgang Schuchert, Gerd
WissenschaftsScheune unterstützen wollen, sind
                                                                                                                            Hombrecher, Hiltrud Kupczyk, Nicoletta Wojtera,
herzlich eingeladen, Mitglied im „Verein der
                                                                                                                            Marika Michels, Marion Gremse
Freunde und Förderer des MPIPZ e.V.“ zu werden.
                                                                                                                            Bilder und Zeichnungen:
Kontakt:
                                                                                                                            Heinz Saedler, Britta Grosardt, Anna Johann
info@wissenschaftsscheune.de
Tel. 0221 5062-672 (Vormittag)
                                                                                                                            Layout:
                                                                                                                            Britta Grosardt , Anna Johann, CGN Corporate

               Anfahrt	
  zum	
  Max-­‐Planck-­‐Ins?tut	
  für	
  Pflanzenzüchtungsforschung	
  
                                          WissenschaBsScheune	
  
                     	
                                                                                                                                                                                          	
  
                                             Autobahn	
  A1	
                                                                                                                     Autobahn	
  A1	
  
                                                                                                                                                   Carl-­‐von-­‐Linné-­‐Weg	
  

                                                                                                                                       MPIPZ	
  
                                                                                                                                                                                                       Venloer	
  
                            Aachener	
  

                                                                                                                     Belvedere	
  
                                                                                                                                                      WiS	
  

                                                                  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
  	
     Militärring	
  
                                           Navi:	
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