Wie medienfähig ist die Kirche?

Die Seite wird erstellt Stephan Kretschmer
 
WEITER LESEN
Wie medienfähig ist die Kirche?
  Überarbeitete Fassung eines Vortrags in der Vorlesungsreihe "Medienethik: Faszination und Verblendung" des Instituts für
  Praktische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät in München am 16. Mai 2002.

  Von Dr. Hermann Barth, Vize-Präsident im Kirchenamt der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

                                                               I. Die Mediengesellschaft ist nur ein
Wie medienfähig ist die Kirche? Über diese                     Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der
Frage muss aus unterschiedlichen Perspektiven                  Menschen.
nachgedacht und Auskunft gegeben werden: von
Journalisten, von Medienfachleuten, aus dem                    "Mediengesellschaft" ist ein neuerer Begriff. In
Blickwinkel derer, die die Medien nutzen, von                  ihm kommt zum Ausdruck, dass die Medien -
denen, die die Kirchen in den Medien                           zunächst die Printmedien, in einem noch weiter
repräsentieren, aber auch von den                              zunehmendem Umfang aber vor allem die
Kirchenmitgliedern, die - ob sie es wollen oder                elektronischen Medien - die Gesellschaft der
nicht - von ihrer Kirchenleitung in der                        Gegenwart und der voraussehbaren Zukunft in
Öffentlichkeit repräsentiert werden. Ich kann das              erheblichem Maße prägen und bestimmen: Sie
nicht alles gleichzeitig leisten. Ich kann und will            beherrschen die öffentliche Kommunikation, sie
nur über das sprechen, was ich aus eigener                     - und nicht die Parlamente - sind die
Anschauung und beruflicher Erfahrung kenne.                    entscheidende Bühne für das politische
Seit gut 15 Jahren arbeite ich denen zu, die für               Geschehen, und sie sind auch in der privaten
die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)                   Sphäre nahezu allgegenwärtig. Das SZ-Magazin
in den Medien vorkommen und agieren, also                      hat in seiner Ausgabe vom 23. Februar 2001 (S.
insbesondere der Synode, dem Rat, dem                          26-29) einige Zahlen darüber mitgeteilt, wie viel
Vorsitzenden des Rates und den Kammern und                     von seiner täglichen Zeit der
Kommissionen, die der Rat zu seiner Beratung                   Durchschnittsdeutsche für welche Tätigkeiten
einrichtet. Gelegentlich verlasse ich auch diese               aufwendet: 40 Minuten liest jeder Deutsche über
Zuarbeiter- und Beraterrolle und werde selbst                  14 Jahren täglich in einem Buch, 209 Minuten
zum Akteur auf der medialen Bühne.                             hört jeder Deutsche täglich Radio, 190 Minuten
Es ist dieser - begrenzte - Blickwinkel, aus dem               verbringt er täglich vor dem Fernseher, 92
heraus ich Antworten auf die gestellte Frage zu                Sekunden wendet er sich täglich dem Videotext
geben versuche. Die Frage nach der                             zu, 91 Minuten ist jeder deutsche Internet-
Medienfähigkeit der Kirche lässt sich auch so                  Nutzer täglich online.
formulieren und zuspitzen: Was sind es für                     Zwischen den verschiedenen Medien und ihren
Kompetenzen, die die Kirchen in der                            Wirkungen auf das persönliche und das
Mediengesellschaft brauchen?                                   öffentliche Leben bestehen gravierende
Ich habe den Stoff in vier Abschnitte gegliedert.              Unterschiede. Sie können hier nur angedeutet
Der erste Abschnitt warnt davor, die Bedeutung                 und nicht ausgeführt werden. Besonders
der Medien für die Menschen und auch für die                   folgenreich ist die Verschiebung von den
kirchliche Arbeit zu überschätzen: Die                         Printmedien hin zu den elektronischen Medien.
Mediengesellschaft ist nur ein Ausschnitt aus der              Der Protestantismus ist von seinen Ursprüngen
Lebenswirklichkeit der Menschen. Der zweite                    her eng mit der Buchkultur verbunden.
Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, in                   Zwischen der geistigen Haltung, mit der ein
welchem Maße es beim Auftritt in den Medien                    Buch rezipiert und anverwandelt wird, und der
auf Sachkompetenz ankommt: Ohne                                geistigen Haltung, die der Konsum von Fernseh-
Sachkompetenz ist alles nichts, aber                           Vorabendserien, Zeichentrickfilmen und
Sachkompetenz ist nicht alles. Der dritte                      Videoclips voraussetzt und hervorbringt, liegen
Abschnitt führt diesen Gedanken fort und                       Welten. Dies festzustellen heißt nicht
beschreibt den inszenatorischen Anteil jeder                   automatisch, in einen sterilen Kulturpessimismus
medialen Präsenz: Sachkompetenz muss in den                    zu verfallen. Für den Umgang des
Medien in Szene gesetzt werden. Der vierte                     Protestantismus mit kulturellen Entwicklungen
Abschnitt schließlich rückt zwei besondere                     ist immer beides in Anschlag zu bringen:
Aspekte dieser Inszenierung in den Blickpunkt:                 Gestaltung und Kritik. Das Element der
Zur gelungenen Inszenierung von                                Gestaltung zielt darauf ab, sich für die Erfüllung
Sachkompetenz gehört die Wahl des richtigen                    des kirchlichen Auftrags auch der zeitgemäßen
Zeitpunkts und des geeigneten Mediums.                         Medien zu bedienen; es geht darum, nicht den
                                                               Verlust oder die zurückgegangene Bedeutung

  Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002                              1
vertrauter Medien zu betrauern, sondern die               Menschen und darum auch nur einem Ausschnitt
spezifischen Möglichkeiten der gegenwärtigen              aus der Lebenswirklichkeit und den Aufgaben
Medienlandschaft entschlossen zu nutzen. Das              der Kirchen. Die Kirchen haben den Menschen
Element der Kritik verpflichtet allerdings dazu,          mit einem angefochtenen Gewissen den Trost
faktische Entwicklungen nicht einfach                     des Evangeliums auszurichten, sie haben die
hinzunehmen, sondern ihre Auswirkungen auf                Menschen zu lehren, was Gottes Gebot ist, sie
die persönliche und öffentliche Kommunikation             haben für Gerechtigkeit, Frieden und die
sorgfältig zu prüfen und nötigenfalls auch zu             Bewahrung der Schöpfung einzutreten, sie
versuchen, schädliche Entwicklungen zu                    sollen in ihren Gottesdiensten die Gegenwart des
beeinflussen und zu verändern.                            kommenden Reiches Gottes feiern. All das
Auch die im Frühjahr und Sommer 2002                      kommt auf die eine oder andere Weise auch in
laufende Öffentlichkeitskampagne der EKD ist              der medialen Präsenz des Wortes Gottes und der
ein Versuch, bei der Erfüllung des kirchlichen            Kirchen vor. Aber es geht darin nicht auf.
Auftrags mit zeitgemäßen Medien zu arbeiten.              Ebenso wie hier nach den Kompetenzen der
Seit März dient - vor allem mit Hilfe von                 Kirchen in der Mediengesellschaft gefragt wird,
Großplakaten und Anzeigen - Monat für Monat               ist an anderer Stelle und mit entsprechender
eine neue Frage als Anknüpfungspunkt für das              Intensität über die Kompetenzen nachzudenken,
Gespräch mit denen, die sich der Kirche und den           die die Kirchen auf anderen Feldern benötigen.
Glaubensthemen entfremdet haben: Woran
denken Sie bei Ostern? Ist der Mensch nur
soviel wert, wie er verdient? Was ist Glück? Die          II. Ohne Sachkompetenz ist alles nichts, aber
bisher gemachten Erfahrungen sind durchaus                Sachkompetenz ist nicht alles.
ermutigend. Aber - was nicht überraschend ist -
sie lassen schon jetzt erkennen, dass wir bei der         Diese Feststellung darf nicht so missverstanden
Nutzung solcher medialen Mittel noch üben und             werden, als werde die Sachkompetenz gering
dazulernen müssen.                                        geschätzt. Im Gegenteil - die Medien sind heute
Dass die Mediengesellschaft nur einen                     voll von Geschwätzigkeit und
Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der                 Schaumschlägerei, sie brauchen Beiträge mit
Menschen darstellt, ist eine Banalität. Die               inhaltlichem Gewicht. Die Vervielfachung des
Medien sind für das persönliche und für das               Angebots, vor allem in den elektronischen
öffentliche Leben zwar ein gewichtiger, aber              Medien, hat zu einem Mangelzustand geführt.
nicht der einzige und nicht einmal der                    Manchmal scheint es so, als fehlten genügend
beherrschende Faktor. Auch in der                         Fernsehkanäle, um alle Programmanbieter zum
Mediengesellschaft suchen die Menschen die                Zuge kommen zu lassen. In Wirklichkeit besteht
Begegnung mit der Natur. Ihr Wohl und Wehe                ein akuter Mangel an Inhalten, um die
ist viel mehr von ihren Beziehungen zu anderen            vorhandenen Kanäle mit ihrem Rund-um-die-
Menschen - in der Familie, am Arbeitsplatz, bei           Uhr-Angebot in einer akzeptablen Weise zu
den Freizeitaktivitäten oder im Wohnviertel - als         füllen. Insofern ist Sachkompetenz in starkem
von den Medien abhängig. Sie müssen sich mit              Maße gefragt.
Krankheit, Versagen, Schuld und Tod                       Aber worin besteht die Sachkompetenz der
auseinandersetzen. Alle genannten Dimensionen             Kirchen? Was haben sie zu bieten? Die Antwort
des Lebens kommen auch in den Medien vor.                 hat eine formale und eine materiale Seite:
Aber sie werden von ihnen nicht aufgesogen,               In formaler Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass
sondern das wirkliche Leben behält gegenüber              die Kirchen in den Medien weit überwiegend
dem medial vermittelten seine ursprüngliche               nicht als Institutionen, sondern über einzelne
Dichte und Wucht.                                         Personen, die - mit oder ohne ausdrückliches
Kirchen und kirchliche Vertreter, die sich diesen         Mandat - für die Kirchen stehen, vorkommen. Es
Sachverhalt nicht genügend klar machen, sich              ist darum nicht hilfreich, pauschal und
vielmehr beeindrucken und blenden lassen von              umfassend über die Sachkompetenz der Kirchen
der Allgegenwart der Medien, können in die                zu sprechen und die so beschriebene
Gefahr geraten, die Frage nach kirchlichen                Sachkompetenz dann den einzelnen Personen
Kompetenzen in der Mediengesellschaft zu                  abzuverlangen. Keine einzelne Person, die eine
verwechseln mit der Frage nach aktuellen                  Kirche repräsentiert, ist auf allen Gebieten
kirchlichen Kompetenzen überhaupt. Darum sei              gleichermaßen kompetent. Vielmehr hat jeder
an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten: Die           und jede spezifische Begabungen und
Frage, der dieser Vortrag nachgeht, gilt einem            Schwerpunkte. Es gibt zwar einige
Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der                 "Universalisten", die ihre Kirche auf nahezu

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002             2
jedem Gebiet in den Medien mit Geschick                   kann niemand in den Medien bestehen. Das
vertreten können. Aber im allgemeinen                     fängt schon damit an, dass Sachkompetenz allein
empfiehlt es sich, auf die je besonderen Profile          noch keinen Zugang zu den Medien
Rücksicht zu nehmen und sich nicht selbst zu              gewährleistet. Ein hervorragendes Beispiel für
überfordern oder sich überfordern zu lassen.              diesen Sachverhalt sind die Denkschriften oder
In materialer Hinsicht kommt es darauf an, die            denkschriftenähnlichen Texte der EKD. Ohne
kirchliche Identität erkennbar werden zu lassen,          ihnen pauschal hohe Qualität zuzubilligen - es
also die kirchliche Kernkompetenz zur Geltung             sind durchaus auch Texte darunter, die schon
zu bringen. Dies ist der Faktor, der den                  zum Zeitpunkt ihrer Entstehung suboptimal
vielstimmigen Chor kirchlicher Einzelstimmen              waren oder über die die Zeit hinweggegangen ist
zusammenhält oder jedenfalls zusammenhalten               -, kann doch mit Fug und Recht behauptet
sollte. Das ist nicht schon damit abgegolten, dass        werden, dass sich unter ihnen viele gelungene,
die Bibel zitiert wird - auch wenn das nicht              bis zum heutigen Tag wegweisende
geringzuschätzen ist. Vielmehr muss erkennbar             Ausarbeitungen finden. Gern wird in diesem
werden, dass hier eine Sicht zu Wort kommt, die           Zusammenhang auf die Ostdenkschrift von 1965
den Menschen und die Welt coram Deo, also in              verwiesen, die ihre Wirkung allerdings weniger
ihrer Beziehung zu Gott betrachtet. Das lässt             radikalen Formulierungen als vielmehr dem
sich - was hier nicht im Detail geschehen kann -          Zusammenspiel von Inhalt und historischem
näher entfalten im Blick auf ihre                         Kontext verdankt: Sie war zu ihrer Zeit ein
Geschöpflichkeit, die Wegweisung zu einem                 Tabubruch, also ein Skandal; auf diesen Aspekt
guten Leben, die nicht durch eigene Taten zu              ist noch zurückzukommen. Unter den neueren
erwerbende oder durch Untaten zu verlierende,             Texten denke man nur an die
wohl aber in der Lebenspraxis zu bewährende               Friedensdenkschrift von 1981, die
Würde des Menschen oder, um ein letztes                   Demokratiedenkschrift von 1985, die Studie zur
Beispiel zu nennen, die Zukunft des                       Gentechnik "Einverständnis mit der Schöpfung"
menschlichen Lebens und der geschöpflichen                von 1991, die Wirtschaftsdenkschrift von 1991,
Welt durch Tod und Vergänglichkeit hindurch.              die Denkschrift über den Religionsunterricht
Wenn eine kirchliche Stimme in den Medien                 "Identität und Verständigung" von 1994 oder die
ihre kirchliche Identität vergisst, versteckt oder        gemeinsame kirchliche Erklärung zu den
verleugnet, trägt sie faktisch dazu bei, sich in          Aufgaben beim Schutz des Lebens "Gott ist ein
den Medien überflüssig zu machen. Denn es ist             Freund des Lebens" von 1989. Man kann all
auf die Dauer nicht einzusehen, warum eine                diesen Texten hohe Sachkompetenz
Stimme zu Wort kommen soll, die keinen                    bescheinigen, und man kommt dennoch nicht um
anderen Aspekt beizutragen hat als die Stimmen            die Feststellung herum, dass sie in den Medien
aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Man             nur sehr verhalten aufgenommen wurden und,
darf dieses Kriterium allerdings, insbesondere            wenn überhaupt, nur ein kurzes Strohfeuer der
bei der Diskussion ethischer Fragen, nicht zu             Aufmerksamkeit entfachten.
eng und zu streng anwenden - als müsste sich              Die unbefriedigende Resonanz der
die kirchliche Stimme durchgängig von den                 Denkschriften und denkschriftenähnlichen Texte
anderen Stimmen abheben und als dürfte sie                hat mit dazu beigetragen, dass im letzten
nichts von dem wiederholen oder                           Jahrzehnt in zwei Fällen eine methodische
vorwegnehmen, was genauso gut auch andere                 Innovation ausprobiert wurde. Die
Stimmen beitragen können. Das Reservoir                   Denkschriften und denkschriftenähnlichen Texte
ethischer Argumentation ist endlich. Bei der              entstehen, vor den Augen der Öffentlichkeit
Diskussion über das militärische Eingreifen im            verborgen, in plural zusammengesetzten
Kosovo oder in Afghanistan, die                           Kommissionen von Fachleuten und werden nach
Präimplantationsdiagnostik oder die BSE-Krise             in der Regel jahrelanger Vorbereitung dann von
muss eine kirchliche Stimme, so sehr sie sich             einem Tag auf den anderen der Öffentlichkeit
explizit von theologischen Grundentscheidungen            präsentiert. Die Möglichkeiten der Partizipation
leiten lässt und auf praktische Erfahrungen der           für die Mitglieder der Kirche, für einen weiteren
kirchlichen Arbeit bezieht, im Detail doch auf            Kreis von Fachleuten, für Verbände und für die
dieselben Beobachtungen, Evidenzen und                    Öffentlichkeit im ganzen sind äußerst gering.
Denkfiguren rekurrieren wie andere am Diskurs             Hier setzt das Verfahren eines gestuften
beteiligte Stimmen.                                       Konsultationsprozesses an. Eine von einer
Es ist offenkundig: Wer als Repräsentant der              Kommission vorbereitete Ausarbeitung fungiert
Kirchen in den Medien auftritt, braucht                   als Impulspapier. Er wird in einem ausführlichen
Sachkompetenz. Aber mit Sachkompetenz allein              Konsultationsprozess zur Diskussion gestellt.

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002            3
Erst am Ende des Konsultationsprozesses und               vielen Jahren angeboten wird.
unter Berücksichtigung der dabei gemachten                Spitzenjournalistinnen und -journalisten üben
Erfahrungen und dazu eingegangenen Voten                  mit einer kleinen Gruppe in der Form eines
entsteht ein (vorläufig) abschließender Text. Die         intensiven Workshop kürzere und längere
evangelische und katholische Kirche haben                 Statements und Interviews. Auch unter
zwischen 1994 und 1997 einen solchen                      Kirchenvertretern gibt es - selten - mediale
Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen und             Naturtalente. Im allgemeinen fangen sie als
sozialen Lage in Deutschland durchgeführt und             mediale Laienschauspieler an und sind auf
mit dem Wort "Für eine Zukunft in Solidarität             Professionalisierung angewiesen. Das lässt sich
und Gerechtigkeit " abgeschlossen. Die EKD                am Medientraining veranschaulichen:
und die evangelischen Freikirchen haben 1999              1. Die Professionalität fängt bei Äußerlichkeiten
einen Konsultationsprozess zum Verhältnis von             an: der Bekleidung, der Körperhaltung, der
Protestantismus und Kultur initiiert, der seinen          Sprechweise, dem
Abschluss in diesem Jahr finden wird.                     Fernsehaufnahmenhintergrund, der
Der Blick auf die beiden Konsultationsprozesse            Kameraperspektive. Es geht, kurz gesagt, um die
bestätigt die Diagnose: Für eine hohe                     Kompetenz des professionellen Auftritts.
Sachkompetenz kirchlicher Texte zu sorgen ist             2. Beim Medientraining werden die Übungen
zwar unerlässlich, aber dies allein gewährleistet         aufgezeichnet und der kleinen Gruppe zum
noch keineswegs, dass die kirchliche Stimme in            Zwecke der Manöverkritik vorgespielt. Dies ist
den Medien Beachtung findet und über ein                  eine schonungslose Konfrontation mit den
kurzes Strohfeuer hinaus Wirkungen entfaltet.             eigenen Unzulänglichkeiten. Eine für Theologen
Der Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen             und Kirchenleute besonders peinliche
und sozialen Lage hat im Sommer 1994                      Unzulänglichkeit ist ihre komplizierte,
Schlagzeilen gemacht, weil der durch eine                 umständliche, unverständliche Sprache. Sie
Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte               erleben im Medientraining bei sich und den
Entwurf des Impulspapiers im                              anderen, wie nötig die Kompetenz der
Bundestagswahlkampf instrumentalisiert wurde              Elementarisierung ist.
und Ärgernis erregte. Der Pegel der                       3. Eine der interessantesten Übungen beim
Aufmerksamkeit blieb auch nach der                        Medientraining ist es, sich zur selben Thematik
Veröffentlichung des Impulspapiers relativ hoch,          in einer Länge von 3, 1"30 und 0"30 Minuten zu
weil der Konsultationsprozess der Natur der               äußern. Gerade in kirchlichen und theologischen
Sache nach nicht im Verborgenen abläuft,                  Kreisen gibt es eine Neigung zur
sondern, auch für die Medien, eine gewisse                Weitschweifigkeit. Auch für die Länge von
Transparenz und Partizipation ermöglicht und              Äußerungen gilt: Alles zu seiner Zeit.
weil er keine innerkirchliche Angelegenheit               Unerlässlich ist in jedem Fall die Kompetenz der
blieb, sondern von den politischen Parteien, den          knappen und präzisen Äußerung.
Tarifpartnern, den Verbänden und auch der                 Professionalisierung ist eine Ausbildungs- und
Wirtschaftswissenschaft als Unterstützung oder            Fortbildungsaufgabe. Darum ist das
als Gefahr wahrgenommen und behandelt                     Medientraining auch nicht als einmaliger
wurde. Die genannten Aspekte beziehen sich                Schnupperkurs, sondern auf Wiederholung
allesamt nicht oder nur mittelbar auf den                 angelegt. Auch die weiteren Kompetenzen, die
Umstand, dass sich die Kirchen in diesem Fall             benötigt werden, um Sachkompetenz in
mit Sachkompetenz öffentlich engagiert hatten.            wirkungsvoller Weise in Szene zu setzen,
Um in der Mediengesellschaft eine Rolle zu                können gelernt werden. Sie gehen jedoch über
spielen, bedarf es über die Sachkompetenz                 Fertigkeiten, die in intensivem Training
hinaus offenkundig weiterer Kompetenzen. Um               angeeignet werden, hinaus und setzen
sie soll es in den beiden folgenden Abschnitten           langfristige, sowohl von einzelnen Personen als
gehen.                                                    auch von kirchlichen Leitungsgremien zu
                                                          leistende Mentalitätsveränderungen voraus. Im
                                                          Anschluss an die bereits genannten drei
III. Sachkompetenz muss in den Medien in                  Kompetenzen, die sich auf die Professionalität
Szene gesetzt werden.                                     medialer Präsenz beziehen, seien - ohne
                                                          Anspruch auf Vollständigkeit - noch die
Zu den vorzüglichen Einrichtungen der                     folgenden genannt:
evangelischen Publizistik gehört das                      4. Visualisierung: Die evangelische Kirche
Medientraining, das vor allem den auf der                 versteht sich gern als "Kirche des Wortes". Aber
kirchlichen Leitungsebene tätigen Personen seit           dabei ist mitnichten allein an den Hörsinn zu

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002             4
denken. So sehr das Alte und das Neue                     informierten Öffentlichkeit so gut wie gar nicht
Testament ein besonderes Gewicht, ja einen                wahrgenommen. Schon die Interviewäußerung
Vorrang des Hörens begründen können (vgl. 1.              eines Oberkirchenrats im Kirchenamt der EKD
Könige 19,11ff; Römer 10,17), so wenig dürfen             führt unter Umständen zu der Meldung: "EKD
die anderen menschlichen Sinne und gerade                 erklärt ...". Die Personalisierung ist ein in den
auch das Sehen unbeachtet bleiben. Das "Wort"             modernen Medien derart gewichtiges
ist schließlich "Fleisch geworden", "und wir              strukturierendes Prinzip, dass die evangelische
sahen (!) seine Herrlichkeit" (Johannes 1,14). In         Kirche gut beraten ist, wenn sie schon bei der
den Medien spielen heutzutage die Bilder eine             Auswahl ihres Führungspersonals die Fähigkeit
wachsende Rolle, übrigens nicht nur in den                mit (!) im Auge hat, ob und in welchem Maße
elektronischen Medien, sondern etwa wenn man              den in Betracht kommenden Personen
an die Entwicklung bei den Magazinen und                  zuzutrauen ist, ihre Kirche auch medial
selbst bei den Tageszeitungen denkt, zunehmend            wirkungsvoll zu vertreten.
auch in den Printmedien. Die Kirche braucht               6. Emotionen ansprechen: Argumentationskraft
darum eine höhere Kompetenz, ihre Botschaft zu            und intellektuelle Brillanz sind wunderbare
visualisieren. Ein gelungenes Beispiel war die            Gaben Gottes. Aber viele Menschen werden
Ökumenische Feier zur Jahrtausendwende am                 nicht - oder jedenfalls nicht allein - auf der
Samstag vor dem 1. Advent 1999 vor der                    intellektuellen Ebene erreicht, sondern sind am
Frauenkirche in Dresden, die in enger                     besten auf der Gefühlsebene ansprechbar. Es ist
Kooperation zwischen Vertretern der Kirchen               gar nicht selten der Fall, dass Menschen in einer
und Redakteuren des ZDF vorbereitet wurde. Im             Gesprächssituation ihrem Gegenüber
kleinen Maßstab steht aber jeder normale                  argumentativ nichts mehr entgegenzusetzen
Fernsehgottesdienst vor der Aufgabe, die mit              haben und doch nicht überzeugt worden sind.
diesem Medium gegebenen Chancen der                       Empfindungen und Gefühle sind stärker als
Visualisierung zu nutzen.                                 Argumente. Wer andere Menschen gewinnen
5. Personalisierung: In den Medien müssen eine            will, darf nicht allein auf die "kalte"
bestimmte Nachricht oder eine bestimmte                   Intellektualität setzen, sondern muss sie den
Aussage möglichst einen Namen und ein Gesicht             "Wärmestrom" der Gefühle spüren lassen. Damit
haben. Mit anderen Worten: Die Medien                     kann Schindluder getrieben werden - sei es, dass
drängen (objektiv wie subjektiv) auf                      Kitsch herauskommt, sei es, dass mit
Personalisierung. Die evangelische Kirche tut             psychologischer Raffinesse Manipulation
sich allerdings schwer mit der Personalisierung.          ausgeübt wird. Doch das ist keine zwingende
Von ihrem Kirchen- und Amtsverständnis her                Folge. Das menschliche Gemüt hat eine
hat jeder ihrer Repräsentanten oder                       emotionale Seite, und es ist darum von der Sache
Repräsentantinnen nur einen Auftrag auf Zeit.             geboten und auch in verantwortlicher Weise
Die Leitung der Kirche geschieht durch die                möglich, diese emotionale Seite anzusprechen.
Verkündigung des Wortes Gottes. Darum                     7. Mit dem Konflikt arbeiten: Konflikte sind
besteht eine deutliche Scheu, einzelne                    häufig anstrengend und manchmal zerstörerisch.
Führungsfiguren besonders herauszustellen. Im             Darum ist es verständlich, wenn kirchenleitende
einen oder anderen Fall mögen zusätzlich allzu            Personen über die für die Öffentlichkeit
bekannte menschliche Schwächen - wie                      sichtbare Austragung von Konflikten
Missgunst oder "Platzhirsch"-Verhalten -                  unglücklich sind und danach streben, solche
hinderlich im Wege stehen. Aber die                       Konflikte rechtzeitig zu entschärfen oder sie zu
evangelische Kirche hat in der                            verbergen. Das gilt sowohl für innerkirchliche
Mediengesellschaft gar keine Alternative zu               Konflikte als auch für Konflikte zwischen
einer bewussten Bejahung und vernünftigen                 Kirche und Politik. Die Frage ist berechtigt: Wie
Inanspruchnahme des Mittels der                           viele Konflikte kann sich die evangelische
Personalisierung. Unter dem Gesichtspunkt der             Kirche leisten?
Kirchenordnung ist es - und bleibt es -                   Auf der anderen Seite leidet es keinen Zweifel,
selbstverständlich ein Unterschied, ob eine               dass Konflikte bei den Medien ein hohes
bestimmte Aussage von der Synode oder vom                 Interesse finden und ein bevorzugter Gegenstand
Rat der EKD insgesamt autorisiert oder ob sie             der Berichterstattung sind. Das müssen sich die
allein vom Vorsitzenden des Rates verantwortet            Kirchen auch zunutze machen. In den Fällen, in
wird. Aber die innerkirchlichen                           denen eine Sache Ärgernis erregt und zu einem
Differenzierungen - die weiterhin unerlässlich            heftigen Streit eskaliert, hat es für die Kirchen
sind - werden von den Medien kaum                         sicherlich eine unangenehme Seite, wenn sich
transportiert und von der durch die Medien                die Medien dieses Themas annehmen. Aber

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002            5
darin steckt fast immer zugleich die Chance,              Die Kooperation mit den Medien muss lange vor
öffentliche Aufmerksamkeit zu finden und die              einer Situation mit aktuellem Handlungsbedarf
durch den Konflikt hervorgerufene                         etabliert worden sein. Man kann das als aktive
Aufmerksamkeit als Resonanzboden für die                  Vertrauensbildung beschreiben. Dazu gehört es,
Weitergabe der eigenen Botschaft zu nutzen.               dass intakte, vertrauensvolle Beziehungen
Wolfgang Trillhaas wird der Ausspruch                     aufgebaut und gepflegt werden. Auf diese Weise
zugeschrieben, die eigentliche                            wird wechselseitig ein Vertrauensvorschuss
Kirchenverfolgung bestehe nicht darin, dass die           eingeräumt: Die Kirchen brauchen verlässliche
Kirche bedrängt, sondern dass von ihr nicht               Gesprächspartner in den Medien, und die
mehr gesprochen wird.                                     Journalisten brauchen verlässliche
Es darf sicher nicht leichtfertig geschehen, aber         Gesprächspartner in den Kirchen.
unter bestimmten Umständen kann es klug und               Redaktionsbesuche und Presse-
verantwortbar sein, durch einen inszenierten              hintergrundgespräche sind zwei der Instrumente,
Konflikt Aufmerksamkeit für die kirchliche                die zu nutzen für die Kirchen unentbehrlich
Position zu schaffen. Die Veröffentlichung eines          geworden ist.
nicht-autorisierten Textes aus dem                        Kooperation muss sich auf der kirchlichen Seite
Konsultationsprozess der wirtschaftlichen und             heute aber auch darin zeigen, dass für die
sozialen Lage im Sommer 1994 war, wie im                  Journalisten manche Sachverhalte vorgearbeitet
Nachhinein erkennbar wurde, ein inszenierter              und aufbereitet werden. Viele kirchliche Themen
Konflikt, allerdings nicht in Szene gesetzt durch         und Zusammenhänge sind kompliziert und ohne
die Kirchen selbst, sondern durch eine große              spezielle Vorkenntnisse schwer zugänglich. Es
politische Partei, die den Text als Instrument der        kann auch einfach eine Frage des Zeitaufwands
Kritik an der damaligen Regierungskoalition               sein: Nicht sehr viele unter den Journalisten
nutzte. Den Kirchen war jener Streit zunächst             können sich die Zeit nehmen, etwa eine
sehr unangenehm und peinlich, aber er hat den             Denkschrift gründlich durchzuarbeiten und auf
Konsultationsprozess in eine überaus                      die wesentlichen Punkte zu komprimieren.
wirkungsvollen Weise angetrieben und                      Kirchliche Vor- und Zuarbeit muss in diesem
gefördert. Selbst da, wo am Anfang nur                    Zusammenhang einen strikt dienenden Charakter
Belastungen und Beschädigungen sichtbar sind,             haben. Kein Journalist lässt sich vorschreiben,
die der Kirche durch einen Konflikt oder                  was er oder sie zu berichten hat. Aber das
Skandal zugefügt werden (man denke nur an den             Angebot (!) einer kirchlichen Kooperation wird
Aufruhr um die Schwangerschafts-                          willkommen sein. In diese Richtung gehen
konfliktberatung in der römisch-katholischen              schon heute die Kurzfassungen und
Kirche oder, im kleineren Maßstab, um die                 Interpretationshilfen, die die kirchlichen
Entschädigung von Zwangsarbeitern), lässt sich            Pressestellen zu größeren kirchlichen
am Ende auch eine (teilweise) positive Bilanz             Erklärungen herausgeben. Aber in diese
ziehen: Durch den Konflikt ist die Kirche                 Richtung könnte noch mehr geschehen. So
sichtbarer und interessanter geworden.                    könnte man in der letzten Phase der Erarbeitung
8. Kooperation: Die Kirchen können sich in der            von größeren kirchlichen Erklärungen Personen
Mediengesellschaft nicht allein auf sich selbst           mit journalistischer Qualifikation beauftragen,
verlassen, wenn sie öffentlich wahrgenommen               das Dokument in "Halbfertigfabrikate"
werden wollen. Sie sind auf Kooperation                   umzusetzen, und von solchen
angewiesen: zum einen Kooperation mit                     "Halbfertigfabrikaten" Disketten verfügbar
weiteren gesellschaftlichen Gruppen, zum                  machen, die man direkt in Redaktionssysteme
anderen Kooperation mit den Medien selbst.                zur Weiterbearbeitung einspielen kann.
Bei der Kooperation mit gesellschaftlichen                In der Überschrift zu diesem Abschnitt war mit
Gruppen stellt sich zweifellos das Problem, ob            Bedacht die provozierende Formulierung
und in welchem Umfang das kirchliche Profil               gewählt worden, Sachkompetenz müsse in den
klar erkennbar bleibt. Aber es gibt durchaus              Medien "in Szene gesetzt" werden. Der
Themen, bei denen dieses Problem nur einen                Ausdruck mobilisiert alle Vorurteile, die
begrenzten Stellenwert hat und das                        heutzutage teils zu Recht, teils zu Unrecht
Zusammenwirken mit Bündnispartnern die                    gegenüber den Medien bestehen: Wird da nicht
Erfolgsaussichten des kirchlichen Anliegens               viel zu viel "in Szene gesetzt"? Hat die
erheblich erhöht. Ein positives Beispiel ist die          "Inszenierung" nicht schon längst die
Öffentlichkeitskampagne für die Erhaltung des             Wirklichkeit entstellt oder gar ganz verdrängt?
Sonntagsschutzes in den Jahren 1999/2000.                 Gibt es in den Medien nicht schon genug
                                                          Schaumschlägerei und Publicitygeilheit, als dass

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002            6
nun auch noch den Kirchen anempfohlen                     In anderen Fällen jedoch können Zeit und Ort
werden dürfte, sich und ihre Sache "in Szene zu           der kirchlichen Präsenz in den Medien sehr wohl
setzen"? Alle diese Fragen haben einen                    in Ruhe ausgewählt und eingerichtet werden.
rhetorischen Anteil. Es gibt Schaumschlägerei in          Im Blick auf den Zeitpunkt gibt es auch in der
den Medien, es gibt die Gefahr der                        säkularisierten Gesellschaft von heute Themen,
Überlagerung der Wirklichkeit durch                       bei denen sich die Medien nach dem kirchlichen
Inszenierung. Aber auch auf diesem Feld gilt:             Kalender richten. Bei den Festzeiten und
Abusus non tollit usum, der Missbrauch spricht            Festtagen - Advent, Weihnachten, Karfreitag,
nicht gegen den rechten Gebrauch. Das Risiko              Ostern, Pfingsten, Erntedankfest - bedarf es
des Absturzes ist hoch. Gerade die Kirchen                keiner großen Mühe, kirchliche Beiträge in den
können es sich nicht leisten, leichtfertig mit dem        Medien zu plazieren; sie sind willkommen und
Instrument der Inszenierung umzugehen. Aber               werden sogar gesucht. (Anders sieht es schon
dieses Instrument ist in der heutigen                     bei Festtagen wie dem Reformationsfest oder
Mediengesellschaft unentbehrlich, und es lässt            dem Buß- und Bettag aus. Kirchlicher
sich klug und verantwortungsbewusst einsetzen.            Defätismus ist allerdings der sicherste Weg, die
                                                          öffentliche Präsenz dieser protestantischen
                                                          Feiertage zu verlieren.) Einer großen medialen
IV. Zur gelungenen Inszenierung von                       Aufmerksamkeit erfreut sich auch der Deutsche
Sachkompetenz gehört auch die Wahl des                    Evangelische Kirchentag. In einer komfortablen,
richtigen Zeitpunkts und des geeigneten                   beneidenswerten Lage ist die römisch-
Mediums.                                                  katholische Kirche, die unter dem Gesichtspunkt
                                                          der Personalisierung oder der Visualisierung wie
Wenn von den Kompetenzen die Rede ist, die                geschaffen ist für die heutige Mediengesellschaft
die Kirchen in der Mediengesellschaft brauchen,           und keine Probleme hat, mediale
dann muss über die Sachkompetenz und die                  Aufmerksamkeit für Ereignisse wie die
Instrumente der Inszenierung der                          Papstreisen oder die Zeremonie zur
Sachkompetenz hinaus abschließend noch die                Kardinalserhebung auf dem Petersplatz in Rom
Wahl von Zeit und Ort eines kirchlichen                   zu finden. Im übrigen aber wäre es ein Irrtum,
Auftritts in den Medien bedacht werden.                   die Wahl des Zeitpunkts für einen medialen
In manchen Fällen gibt es nichts zu wählen.               Auftritt ohne weiteres am kirchlichen Kalender
Vieles geschieht ungeplant oder unplanbar. Hier           zu orientieren. Vielmehr muss sorgfältig eruiert
kommt es darauf an, dass die kirchliche                   und abgewogen werden, welche
Reaktion rasch, möglichst unter Zuhilfenahme              konkurrierenden Ereignisse stattfinden und zu
sachkundiger Beratung und in der der Situation            berücksichtigen sind. Das gilt in Berlin in noch
angemessenen Deutlichkeit erfolgt. Das lässt              erheblich stärkerem Maße als in Bonn.
sich oft nur mit Mühe gewährleisten, und                  Ein schwieriges Kapitel verbindet sich mit der
manchmal gelingt es nicht. Vorgänge wie die um            Frage, in welchem Maße es den Kirchen gelingt,
den Tod des kleinen Josef in Sebnitz haben                Themen zu setzen und zu besetzen. Generell ist
vorgeführt, was für eine verhängnisvolle                  festzustellen, dass die Kirchen bisher relativ
Dynamik in den Medien entstehen kann und wie              geringe Anstrengungen unternommen haben, in
leicht auch kirchliche Stimmen von dieser                 dieser Richtung aktiv zu werden. Der
Dynamik mitgerissen werden können: Was                    Konsultationsprozess zur wirtschaftlichen und
medienmäßig "läuft", das muss der nächste                 sozialen Lage war ein positives Beispiel. Der
Anbieter auch schnell im Angebot haben; es                nach diesem methodischen Vorbild initiierte
werden Interviews gesucht und gegeben; rasch              Konsultationsprozess zum Verhältnis von
entsteht eine Situation, in der ein Thema sich bis        Protestantismus und Kultur hingegen illustriert
zur Hysterie hochschaukelt, die eine Lesart               eher, wie schwer sich die Kirchen in dieser
immer mehr an Plausibilität zu gewinnen scheint           Hinsicht tun. Oder sollte der Umstand, dass es
und die andere fast vollständig ausgeblendet              im zuletzt genannten Fall nur in bescheidener
wird. Die Reaktionsmuster in solchen aktuellen            Weise gelungen ist, über den kirchlichen
Krisensituationen werden unter den                        Binnenraum hinaus ein Thema zu setzen, damit
Bedingungen wachsender Konkurrenz zwischen                zu tun haben, dass die römisch-katholische
den verschiedenen medialen Anbietern ein                  Kirche nicht beteiligt ist? Auch wenn das
dringender Gegenstand medienethischer                     gelegentlich bestritten und eine aussichtsreichere
Reflexion.                                                Perspektive darin gesehen wird, das je besondere
                                                          konfessionelle Profil sichtbar zu machen - je
                                                          länger desto mehr führt die gesellschaftliche und

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002             7
kulturelle Entwicklung dahin, dass die Kirchen            als Beilage zu vier großen Zeitungen monatlich
sich, wenn sie öffentlich eine nachhaltige                in einer Auflage von ca. 1,4 Millionen einen
Wirkung erzielen wollen, zusammentun müssen.              breiten Bevölkerungsquerschnitt erreicht.
Auf dem Medienmarkt hat es in den                         Besonders schwer ist die Einschätzung der Lage
vergangenen Jahrzehnten eine größere Dynamik              im Rundfunkbereich. Hier gab es schon in der
gegeben als in Jahrhunderten zuvor. Diese                 Vergangenheit erhebliche Differenzen
Dynamik wird sich in der Zukunft eher noch                hinsichtlich der Frage, ob die kirchliche Präsenz
verstärken und beschleunigen. Insofern ist es             vorrangig auf das öffentlich-rechtliche System
auch für die Kirchen eine schon jetzt drängende           oder auch auf die privaten Sender setzen sollte.
und in der Zukunft noch drängender werdende               Gegenwärtig hat sich diese Fragestellung
Frage, an welcher Stelle sie ihre mediale Präsenz         dahingehend verschärft, ob die Kirchen gut
vorzugsweise ansiedeln.                                   beraten sind, angesichts der Digitalisierung auf
Sehr stark entwickelt hat sich in den                     die Entwicklung eigener Kanäle zu setzen.
vergangenen Jahren die kirchliche Präsenz im              Radio Paradiso ist im Hörfunkbereich ein kleiner
Internet. Heute gibt es von den kirchlichen               Vorreiter in dieser Richtung. Derzeit entsteht mit
Zusammenschlüssen und den Landeskirchen bis               privatem Kapital im Fernsehbereich ein
hin zu einzelnen Kirchengemeinden eine fast               Bibelkanal. Prognosen sind außerordentlich
unüberschaubare Anzahl von Anbietern. Das                 unsicher. Aber Entscheidungen müssen
war nicht immer so. Es ist ein ausgesprochenes            getroffen werden. Sie können unter solchen
Ruhmesblatt des Kirchenamtes der EKD (oder                Umständen nur mit der Einstellung getroffen
genauer gesagt: einiger weniger Mitarbeiter des           werden, die weitere Entwicklung sorgfältig zu
Kirchenamtes), dass die wachsende Bedeutung               beobachten und mit Korrekturen nicht zu
dieses Mediums frühzeitig erkannt und die                 zögern, sobald sich die Rahmenbedingungen in
Präsenz der EKD in ihm unter großen                       einem relevanten Umfang ändern.
individuellen Anstrengungen aufgebaut wurde -             Zu diesen Rahmenbedingungen gehört es auch,
bis zu einem aktuellen Stand von knapp 4                  dass die gegenwärtige Gesellschaft mit Fug und
Millionen Hits.                                           Recht als Mediengesellschaft beschrieben wird.
Der Entscheidungsprozess, der zur Aufgabe des             Die Bedeutung der Medien ist in den
Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts und                  vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich
seiner Ablösung durch das Magazin                         gewachsen. Vieles spricht dafür, dass diese
"CHRISMON" führte, kann hingegen mit                      Entwicklung weitergeht. Aber Prognosen sind
weniger Stolz vermerkt werden - jedenfalls was            keine Sicherheiten. Um so mehr ist es gut,
die Länge und den Kraftaufwand des                        abschließend an den Gedanken zu erinnern, der
Entscheidungsprozesses selbst angeht. Im                  am Anfang der hier dargestellten Überlegungen
Ergebnis freilich ist eine Konstellation erreicht         stand: Die Mediengesellschaft ist nur ein
worden, die erstaunliche Potentiale aufweist und          Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit der
intensive Begleitung und Förderung verdient.              Menschen. Im Blick auf die Medienfähigkeit der
An die Stelle einer Wochenzeitung, die an                 Kirche bedeutet das: Wir müssen sie weiter
14.000 Abonnenten und in insgesamt 50.000                 verbessern. Aber wir dürfen in ihr nicht die
Exemplaren vornehmlich im kirchlichen Raum                Hoffnungsträgerin für die Zukunft der Kirche
verbreitet wurde, ist ein Magazin getreten, das           sehen.

Deutscher Fachjournalisten-Verband e. V. (www.dfjv.de) - Expertenforum-Artikelpool – Mai 2002             8
Sie können auch lesen