Marktstruktur im Lebensmitteleinzelhandel - Herausforderung für die Agrarpolitik - Tatiana Damm, Florian Amersdorffer - Deutsch ...

 
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Marktstruktur im Lebensmitteleinzelhandel - Herausforderung für die Agrarpolitik - Tatiana Damm, Florian Amersdorffer - Deutsch ...
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       Marktstruktur im Lebensmitteleinzelhandel –
               Herausforderung für die Agrarpolitik

                                                              Tatiana Damm,
                                                              Florian Amersdorffer

                                                              Moskau, 2014
Marktstruktur im Lebensmitteleinzelhandel –
                                     Herausforderung für die Agrarpolitik

Inhalt
Der Lebensmitteleinzelhandel in Russland ............................................................................................. 2
       Struktur der landwirtschaftlichen Produktion in Russland ............................................................. 2
       Definition, Struktur, Aufgaben und Besonderheiten der Funktionsweise des Agrar- und
       Lebensmittelmarktes ....................................................................................................................... 2
Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland und Russland ........................................... 5
Absatzwege für landwirtschaftliche Erzeuger in Russland ...................................................................... 5
Konzentrationsprozess des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland im Vergleich ........................... 7
Agrarpolitische Maßnahmen mit Auswirkung auf die Marktkonzentration ........................................... 8
       Einschränkungen für Handelsketten ............................................................................................... 8
       Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber der verarbeitenden Industrie ............... 10
       Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber Großhändlern ....................................... 11
       Alternative Möglichkeiten der Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger ................................ 12
Bewertung und weitere Herausforderungen in der Agrarpolitik Russlands ......................................... 15
Ausblick ................................................................................................................................................. 19
Fazit ....................................................................................................................................................... 23
Anhang: Gesetzliche Rahmenbedingungen des Lebensmitteleinzelhandels in Russland ..................... 24
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 26

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Der Lebensmitteleinzelhandel in Russland
Struktur der landwirtschaftlichen Produktion in Russland
Der staatlichen Agentur Rosstat zufolge werden die landwirtschaftlichen Produzenten in
folgende Gruppen unterteilt1:
a) Landwirtschaftliche Unternehmen: alle Rechtsformen außer Kleinstbetriebe
b) Bäuerliche Landwirtschaften und Einzelunternehmer
c) Private Landwirtschaften                (der     Mitarbeiter      von    ehemaligen           Staatsbetrieben),
Kleinstbetriebe
d) Gärtnereien, Gemüseanbau („Datschen“) und non-profit Organisationen von Bürgern
Landwirtschaftliche Unternehmen produzieren in Russland 73,8 % des Getreides, 70,1% der
Sonnenblumen, 88,9% der Zuckerrüben, 12,3% der Kartoffeln und 16,7% des Gemüses.
Bäuerliche Landwirtschaftsbetriebe und Einzelunternehmer produzieren 25,4% des Getreides,
29,5% der Sonnenblumen, 10,5% der Zuckerrüben, 7,6% der Kartoffeln und 14% des Gemüses.
Der Anteil der Kleinstunternehmen liegt bei Getreide, Zuckerrüben und Ölsaaten unter 1%,
bei Gemüse und Kartoffeln jedoch bei 69,3% bzw. 80,1%. In der Tierhaltung nehmen die
landwirtschaftlichen Unternehmen mit 69,3% bei Fleisch und Geflügel, 47% bei Milch und
78,4% bei Eiern eine führende Rolle ein. Während die bäuerlichen Landwirtschaften mit
jeweils nur 3,4%, 6,3% und 0,8% eine marginale Stellung haben, sind die Kleinstbetriebe mit
Anteilen von 27,3% bei Fleisch und Geflügel, 46,7% bei Milch und 20,8% bei Eiern von großer
Bedeutung für die inländische Produktion. Somit steht vor allem bei arbeitsintensiven
Produkten eine Vielzahl von Kleinstunternehmen einem Abnehmermarkt von Unternehmen
der Verarbeitung und Vermarktung gegenüber.

Definition, Struktur, Aufgaben und Besonderheiten der Funktionsweise des Agrar- und
Lebensmittelmarktes

Die Grundlage für die Entwicklung des Lebensmittelmarktes ist der Agrarsektor, der
landwirtschaftliche Rohstoffe und Lebensmittel liefert. Im Föderalen Gesetz „Über die
Entwicklung der Landwirtschaft“ wird der Agrarmarkt durch die gehandelten Produkte
definiert: landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel.
Die Definition des Lebensmittelmarktes (Agrarmarktes) als „System von
Wirtschaftsbeziehungen und institutionellen Formen der Versorgung des Endverbrauchers
mit Agrarprodukten und Lebensmitteln über den Börsen-, Groß- und Einzelhandel unter
Nutzung von logistischen und Informationsnetzen für den Handel mit landwirtschaftlichen

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    Diese Einteilung gilt seit etwa 10 Jahren, soll aber zum Zensus 2016 neu definiert werden.

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Rohstoffen, Halbfertig- und Fertigprodukten aus dem jeweiligen Land (der Region) oder aus
anderen Ländern (Regionen)“ (E. N. Krylatyh) umfasst die Begriffe Agrar- und
Lebensmittelmarkt und besteht in den Produktions- und Austauschbeziehungen zwischen
allen, die an Produktion, Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Rohstoffe und
Lebensmittel auf der Grundlage von Geschäftsbeziehungen und unter Berücksichtigung von
Angebot und Nachfrage beteiligt sind. In diesem Ablauf lässt sich der Einfluss des Staates, der
Gemeinschaft der Verbraucher, der internationalen Gemeinschaft, des Warenangebotes und
des Zustandes der Konkurrenzmärkte von Produkten nichtlandwirtschaftlichen Ursprungs
verfolgen (Černyšev P. G.).
Der Agrar- und Lebensmittelmarkt als ökonomische Kategorie ist die Gesamtheit von
Marktmechanismen, Infrastruktur und Marktteilnehmern (G. Ju. Jurov). Der
Marktmechanismus bestimmt die Zusammensetzung, die Anzahl und den Charakter der
Marktteilnehmer. Subjekte des Marktes sind Agrarproduzenten aller Wirtschaftsformen,
Lieferanten und Verbraucher, Erfassungsstellen und verarbeitende Betriebe,
Genossenschaften, Produktionsstätten, Verarbeitungsanlagen, das Großhandels-,
Distributions- und Logistiksystem (Auktionen, Großhandelsmärkte, Distributionszentren,
Warenbörsen), das Einzelhandelsnetz, die Gastronomie, die Endverbraucher (Černyšev P. G.).
Das Charakteristikum für Lebensmittel besteht in der Notwendigkeit ihres Verkaufs in kurzer
Zeit. Dafür müssen entsprechende Infrastrukturkomplexe mit der erforderlichen Ausrüstung
(u. a. Kühlanlagen) geschaffen werden sowie eine spezifische Infrastruktur des Agrar- und
Lebensmarktes, wie z. B. Einkaufs- und Absatz-, Konsum- und Lebensmittelgenossenschaften,
Agrarmärkte u. a. Das Entwicklungsniveau der Infrastruktur bestimmt, wie stabil, organisiert
und operativ die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, Rohstoffe und Lebensmittel vom Erzeuger
zum Verbraucher gelangen (physische Bewegung). Diese Bewegung wird gemäß GOST R
51303-99 „Handel. Begriffe und Begriffsbestimmungen“ als „Warenbewegung“ bezeichnet.
An diesen Prozessen sind Organisationen der Lagerhaltung, des Transports, der Verarbeitung,
des Groß- und Einzelhandels beteiligt.
Die Infrastruktur ist fester Bestandteil des Agrar- und Lebensmittelmarktes, der die Produkte
zum Endverbraucher bringt. Elemente der Infrastruktur des Lebensmittelmarktes sind
Betriebe und Organisationen für Handel, Zwischenhandel und Lagerhaltung [z. B.
Großhandelsmärkte, Warenbörsen, Ausstellungen und Messen; Anlagen zur Lagerung
landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Rohstoffe und Lebensmittel: Siloanlagen und
Getreideannahmestellen, Kühlhäuser für Kartoffeln, Gemüse und Obst, Gefrierhäuser, Lager
und Stellen für die Lagerung und den Umschlag (Erfassung, Vorratsspeicherung,
Konsignationslagerung, Zoll) u. a.]; Betriebe und Organisationen für den
Informationsaustausch (Erfassen von Daten und Aufbau von Datenbanken, analytische
Datenverarbeitung, Prognose für die Entwicklung der Marktkonjunktur, Herausgabe der
Informationen bis zum Verbraucher); Betriebe und Organisationen der Verpackungsindustrie,
des Warentransports, des Bank- und Kreditwesens, der Schaffung der rechtlichen und

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organisatorischen Voraussetzungen für das Funktionieren des Lebensmittelmarktes. Diese
Einrichtungen der Infrastruktur üben spezifische Tätigkeiten in Form von Dienstleistungen aus,
die kein neues Produkt schaffen, sondern lediglich dessen Qualität erhalten, die Bewegung
des landwirtschaftlichen Produktes vom Erzeuger zum Endverbraucher beschleunigen und
gleichzeitig seinen Wert steigern (Išmuratov M. M.).
Eine nicht ausreichend entwickelte Infrastruktur des Agrarsektors hemmt die weitere
Entwicklung der Industrie, was sich wiederum negativ auf die Preisbildung für sozial wichtige
Lebensmittelarten und die Lösung des Problems des physischen Zugangs zu Lebensmitteln für
die Bevölkerung auswirkt. („Entwicklung der Infrastruktur und Logistik des Agrar- und
Lebensmittelmarktes zum Ausbau der Kapazitäten in den Bereichen Lagerung und
Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse unter Ausnutzung des Potenzials der offenen
Aktiengesellschaft „Getreideverbundunternehmen“ 2010-2012“. Moskau).
Zu den Besonderheiten eines funktionierenden Agrar- und Lebensmittelmarktes gehören:
    eine stabile und ununterbrochene Nachfrage nach Nahrungsmitteln;
    weniger elastische Nachfrage nach Agrarprodukten entsprechend dem Einkommen
     und den Preisen als bei anderen Konsumgütern;
    Ersatz eines Teils der Nachfrage nach relativ teuren und hochwertigen
     Lebensmittelarten durch die Nachfrage nach weniger hochwertigen, dafür aber
     billigeren Produkten bei Einkommensrückgang und Preissteigerungen in den
     Bevölkerungsgruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen;
    Abhängigkeit der Nachfrage von Umfang und Sortiment der Arten landwirtschaftlicher
     Erzeugnisse, von den Absatzkanälen, den Verbrauchereigenschaften, der
     Gewinnmarge und dem Rentabilitätsniveau;
    Schwankungen in Angebot und Nachfrage auf dem Agrar- und Industriemarkt: nach
     Jahren und Saison, bei steigenden Lebensmittelpreisen;
    zeitliche Verschiebungen hinsichtlich der Steigerung bzw. Drosselung der Produktion
     im Zusammenhang mit Nachfrageschwankungen;
    verhältnismäßig gleichmäßiger Konsum von Lebensmitteln und Unmöglichkeit, den
     Verbrauch auf lange Frist aufzuschieben;
    wesentlicher Einfluss der Außenhandelstätigkeit auf den Markt über die Importströme
     von Lebensmittelerzeugnissen und landwirtschaftlichen Rohstoffen und über den
     Einfluss forschungsintensiver Erzeugnisse auf deren Produktion und Lieferung;
    günstige Bedingungen für eine stabile und prognostizierbare Tätigkeit der
     verarbeitenden Industrie und der Handelsorganisationen.
Die Beziehungen und Proportionen der Entwicklung des Agrar- und Lebensmittelmarktes
finden ihren Ausdruck in der Interdependenz seiner Parameter: Produktion und Konsum,
Export und Import, Vergünstigungen und Beschränkungen. Wie dynamisch sich der Agrar- und
Lebensmittelmarkt entwickelt, lässt sich an den Kernbereichen des Lebensmittelmarktes
ablesen (Getreide, Fleisch usw.).

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Die Parameter und die Effektivität des Agrar- und Lebensmittelmarktes werden von folgenden
Faktoren bestimmt: Vorhandensein einer entwickelten Infrastruktur; wirksame Mechanismen
der Marktregulierung; Entwicklungsgrad der Wirtschaftsintegration im Land (Yurov G. Yu., S.
18-20).
Die Hauptkennziffern für ein effizientes Funktionieren des Agrar- und Lebensmittelmarktes
sind: sichere Versorgung der Verbraucher mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und
Nahrungsmitteln; Stabilisierung des Marktes und Entwicklung des Wettbewerbs; Beseitigung
großer Preisschwankungen am Markt; gutes Funktionieren der Marktinfrastruktur.
Die wichtigsten Faktoren, die die Entwicklung des Agrar- und Lebensmittelmarktes
beeinflussen, sind: staatliche Regulierung und Kontrolle, Außenwirtschaftspolitik,
Wirtschaftspolitik im Inland, Möglichkeiten und Beschränkungen der WTO,
Wirtschaftsbeziehungen, schwache Investitionen, Importabhängigkeit, Energieversorgung,
Verschleißgrad der materiell-technischen Basis, Vorhandensein und Einsatz von organischem
und Mineraldünger und Klimabesonderheiten (Yurov G. Yu., S. 22).

Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland und Russland

Absatzwege für landwirtschaftliche Erzeuger in Russland
Der Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse besteht in einem Beziehungssystem, das
Warenströme und Dienstleistungen organisiert und dirigiert, damit die Ware vom Erzeuger
zum Verbraucher gelangt. Die Entwicklung des Agrarmarktes steht im Zusammenhang mit der
Verbesserung der Organisation der Beziehungen zwischen den Marktteilnehmern, aber auch
mit einer effizienten Planung der Warenbewegung, der Einführung innovativer
Verarbeitungstechnologien landwirtschaftlicher Ausgangsstoffe sowie der Steigerung der
Effektivität des Transports und der Lagerung der Erzeugnisse.
Der landwirtschaftliche Produzent kann sein Erzeugnis direkt an den Verbraucher verkaufen
und dabei einen guten Verkaufserlös erzielen, muss dafür aber Zeit aufbringen, den Absatz
organisieren und zugleich auch noch die Produktion im Betrieb leiten. Ob ein Direktverkauf
sinnvoll ist, hängt davon ab, ob in der Nähe des Betriebes größere Städte liegen, deren
Bevölkerung Auto fährt oder öffentliche Verkehrsmittel verfügbar sind. Diese Verkaufsformen
können neue Arbeitsplätze schaffen und den Familienangehörigen des bäuerlichen
Unternehmens zusätzliche Einkommensquellen erschließen, besonders, wenn in diesem
Betrieb die Erzeugnisse teilweise bearbeitet und verpackt werden.
Die Direktverkäufe stellen insgesamt nur einen kleinen Teil aller Verkäufe landwirtschaftlicher
Erzeugnisse dar. Ein anderer Weg der Produkte - „ab Hoftor“: Die Produkte werden vom
Zwischenhändler aufgekauft, bei ihm gelagert, transportiert, aufbereitet und verarbeitet
sowie verpackt. Der Handel und die Verarbeitung gewinnen den Wettkampf mit
Agrarproduzenten um den direkten Absatz. Die Verarbeitung der Agrarprodukte in der

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Lebensmittelindustrie ist mit weniger Kosten verbunden als die Verarbeitung direkt in den
Betrieben. Der Einsatz neuer Technik, z. B. bei der Getreideverarbeitung oder Kühlhaltung von
Erzeugnissen entsprechend den Standards erfordert große Produktionskapazitäten, die von
kleinen Agrarproduzenten nicht gewinnbringend genutzt werden können. (Methodische
Empfehlungen zur Entwicklung des Absatzmarktes für Fertigprodukte. Panov A.
A./Serebryakova M. F.)
Die wichtigsten Subjekte des landwirtschaftlichen Warenverkehrs sind: landwirtschaftliche
Betriebe, die die Erzeugnisse produzieren; landwirtschaftliche Betriebe, die die Erzeugnisse
verarbeiten; landwirtschaftliche Unternehmen, die die Erzeugnisse befördern, erfassen und
lagern; Einrichtungen des Einzelhandels. Diesen Subjekten des landwirtschaftlichen
Warenverkehrs entsprechen vier Hauptkanäle des Absatzes: Einzelhandelsketten,
Bauernmärkte sowie verarbeitende Betriebe und Großhändler verschiedener
Größenordnungen. Die russische Statistik weist demnach 2014 folgende Marktanteile aus:
               Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen – 27%
               alle anderen (größeren) Unternehmen – 40%
               Bauernmärkte, Wochenmärkte etc. – 8,5%
               Handel von individuellen Akteuren ausserhalb des Marktes – 24,7%

Die Angaben von Rosstat zum Einzelhandel im Jahr 2013 bis 2015 bestätigen die Tendenz, dass
die Bauern- und Wochenmärkte aus dem Einzelhandel herausgedrängt werden. Der Anteil
kleiner und mittlerer Betriebe ist im Vergleich zu großen Handelseinrichtungen ebenfalls
abnehmend.
Handelsketten
Unter einer Handelskette wird (laut Artikel 12 Punkt 8 des Föderalen Gesetzes Nr. 381 FS
„Über die Grundlagen der staatlichen Regulierung der Handelstätigkeit in der Russischen
Föderation“ vom 28.12.2009) die Gesamtheit von zwei oder mehr Filialbetrieben verstanden,
die unter einer Leitung stehen, oder die Gesamtheit von zwei oder mehr Filialbetrieben, die
unter einer einheitlichen Bezeichnung oder unter einer anderen Art der Individualisierung
betrieben werden.
Laut Rosstat entfielen im November 2014 auf Einzelhandelsketten im Landesdurchschnitt
22,1 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes (21,0 % im Nov. 2013). Der Anteil der
Einzelhandelsketten am Umsatz des Lebensmitteleinzelhandels, inkl. Getränke und
Tabakwaren, belief sich auf 26,2 % (24,5 % im Nov. 2013). Die Lebensmittelketten bauen ihren
Anteil am Einzelhandelsumsatz nach und nach aus. Das zeigen die Statistiken der vergangenen
vier Jahre:

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Umsatzanteile in %

                              2009         2010         2011        2012         2013

 Ketten des                15,1            17,5         18,4        20,5         21,5
 Lebensmitteleinzelhandels

 Inkl. Getränke und           k.A          k.A.         21,8        24           25,9
 Tabakwaren

Quelle: Rosstat

Wie die Praxis zeigt, sind die meisten Agrarproduzenten, darunter bäuerliche Betriebe und
Privatwirtschaften, bisweilen nicht in der Lage, alle Bedingungen der Handelsketten an sie zu
erfüllen, z. B. hinsichtlich Umfang und Verpackung der Erzeugnisse. Die Ketten sind an großen
und regelmäßigen Lieferungen billiger, standardisierter und gut transportierbarer und
lagerfähiger Produkte interessiert (was automatisch eine chemische Behandlung und andere
moderne Technologien, einschließlich gentechnische Verfahren, bei der Produktion
voraussetzt) und verlangen von den Lieferanten hohe Regalgebüren. Die Landwirte erzeugen
hochwertige Produkte zu recht hohen Preisen, der Produktionsumfang ist relativ klein und
entspricht nicht den Anforderungen des Einzelhandels. Infolge dessen ist auch das
Verkaufsvolumen nicht groß, so dass die Regalgebühr nicht akkumuliert werden kann
(Kotlyarov I. D.).

Konzentrationsprozess des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland im Vergleich
Der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland wird immer mehr von einer kleinen Gruppe von
Anbietern geprägt, allen voran die bundesweit tätigen Lebensmitteleinzelhändler Edeka,
Rewe, die Schwarz Gruppe und Aldi. In den letzten dreißig Jahren wurden viele der ehemals
bekannten Lebensmitteleinzelhändler von Wettbewerbern übernommen; Händler wie
beispielsweise Allkauf, Deutscher Supermarkt, Leibbrand, Massa, Scharper, Stüssgen und
Wertkauf verließen den Markt. Während es im Jahr 1999 mit den Unternehmen Edeka, Rewe,
Schwarz Gruppe, Aldi, Metro, Tengelmann, Wal Mart und Spar noch acht große Handelsketten
gab, die gemeinsam mehr als 70 % der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland
auf sich vereinten, hat sich diese Gruppe nach der Übernahme von Spar durch die Edeka, dem
Ausscheiden von Wal Mart aus dem deutschen Markt und der Übernahme eines wesentlichen
Teils der Plus Märkte durch die Edeka sowie des Erwerbs eines Teilnetzes von Kaisers
Tengelmann durch tegut und Rewe deutlich verkleinert, während sich ihr gemeinsamer Anteil
an den Gesamtumsätzen auf dem deutschen Markt auf mehr als 85 % vergrößert hat. Der
anhaltende Konzentrationsprozess lässt sich deutlich auch anhand der Anzahl und
Prüfintensität der beim Bundeskartellamt geführten Fusionskontrollverfahren ablesen: In den
letzten 15 Jahren wurden kontinuierlich Übernahmen von Wettwerbern angemeldet; dabei

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gab es von den mehr als 180 vom Bundeskartellamt geprüften Zusammenschlussvorhaben im
Bereich des Lebensmitteleinzelhandels seit dem Jahr 1999 insgesamt mehr als 120 Verfahren,
an denen mindestens eines der drei Unternehmen Edeka, Schwarz Gruppe und Rewe beteiligt
waren.

Agrarpolitische Maßnahmen mit Auswirkung auf die Marktkonzentration

Einschränkungen für Handelsketten

Vorab sein angemerkt, dass die Markkonzentration in Russland mit einem Anteil der
Handelsketten von 25% deutlich niedriger ist als in Deutschland (85%). Dennoch nehmen vor
allem in den Ballungsgebieten in Russland die Handelsketten eine zunehmend bedeutendere
Rolle ein. Mit Beginn der wirtschaftlichen Krise ab 2009 gerieten die Handelsketten in die
agrarpolitische Diskussion, vor allem wegen der gleichbleibend hohen oder sogar steigenden
Marge bei sinkenden Erzeuger- und steigenden Verbraucherpreisen.
Am 1. Februar 2010 trat das Föderale Gesetz Nr. 381 „Über die staatliche Regulierung der
Handelstätigkeit in der Russischen Föderation“ in Kraft. In der Praxis zeigte sich bei der
Anwendung des Gesetzes, dass es notwendig ist, strittige Fragen bei der Umsetzung der
verabschiedeten Rechtsvorschriften zu diskutieren, damit die gemeinsamen Interessen der
Handelsketten und Erzeuger, aber auch die der Verbraucher gewahrt bleiben. N. V. Pankov,
Vorsitzender des Agrarausschusses der Staatsduma der RF dazu: „Geht es insgesamt um die
Probleme, mit denen die Lebensmittellieferanten und die Agrarproduzenten bei der
Ausführung des Gesetzes konfrontiert wurden, so beunruhigt sie der Wunsch der Ketten, nach
wie vor auf dem einen oder anderen Wege zusätzliche Boni (Margen) zu erhalten und zu den
früheren Regeln zurückzukehren. Deshalb muss der Begriff „Marge“ konkretisiert werden, da
die Handelsketten mitunter auf der Zahlung einer Prämie und auf Preisnachlass bestehen, was
zusammengenommen in einigen Fällen mehr als 10 % des Warenwertes ausmacht und im
Grunde genommen eine Art verbotener Aufschlag ist.“
Im Zusammenhang damit wurde von den Abgeordneten der Duma der RF ein Entwurf des
Föderalen Gesetzes „Über Änderungen im Föderalen Gesetz ,Über die Grundlagen der
staatlichen Regulierung der Handelstätigkeit in der Russischen Föderation‘“ erarbeitet und zur
Diskussion vorgelegt, demzufolge es verboten ist, vom Produzenten Listungsgebühren zu
verlangen. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Grundlagen für die nationale
Ernährungssicherung zu stärken und die inländischen Produzenten durch zusätzliche
Maßnahmen zu unterstützen. So soll zwecks Beseitigung dieser Norm das Gesetz verbieten,
dass die Handelsketten Zahlungen auf das Recht zur Lieferung von Erzeugnissen und auf die
Änderung des Sortiments durch den Erzeuger verlangen.
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, dass den Handelsketten und den Lieferanten
verboten wird, benachteiligende Bedingungen und Hemmnisse für den Zugang zum
Warenmarkt oder zum Ausstieg aus diesem zu schaffen, gegen die Regeln für die Preisbildung

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zu verstoßen und dem Handelspartner z. B. ein Verbot über den Abschluss von Lieferverträgen
und Vertragsänderungen zu ungünstigeren Bedingungen aufzuzwingen.
Der Gesetzentwurf sieht außerdem Änderungen im Kodex der Russischen Föderation über
administrative Rechtsverstöße (KoAP RF) hinsichtlich der Haftung für derartige Verstöße vor.
Es wird vorgeschlagen, dass Amtsträger für die Benachteiligung von Produzenten, für deren
Behinderung oder für Verstöße gegen die Preisbildung durch die Handelsketten oder die
Lieferanten eine Strafe in Höhe von 20.000 bis 40.000 Rubel zahlen müssen oder dass sie für
bis zu drei Jahren vom Dienst suspendiert werden. Juristischen Personen soll eine Strafe in
Höhe von 2 Mio. bis 5 Mio. Rubel auferlegt werden, oder ihr Betrieb wird für bis zu 30 Tagen
stillgelegt. Hinsichtlich der gesetzlich verbotenen Schaffung ungünstiger Bedingungen sieht
der Gesetzentwurf eine Bestrafung der Amtsinhaber in Höhe von 30.000 bis 40.000 Rubel oder
eine Suspendierung für 3 bis 5 Jahre vor, für juristische Personen in Höhe von 2,5 Mio. bis
5 Mio. Rubel oder eine Stilllegung bis zu 90 Tagen.
Rosstat zufolge gab es per 1. April 2014 in der Russischen Föderation 1520
Einzelhandelsmärkte. Seit dem 1. Januar 2014 wurden 69 Märkte geschlossen oder in
Wochenmärkte, Handelszentren oder nicht stationäre Handelsobjekte überführt, im Vergleich
zum 1. Januar 2013 waren es 305 Märkte. Die Zahl der Handelsplätze auf den Märkten betrug
per 1. April 2014 - 405.500. Gegenüber dem 1. Januar 2014 ging die Zahl um 18.300 bzw.
4,3 % zurück und im Vergleich zum 1. Januar 2013 – um 83.100 bzw. 17,0 %. Der Bestand der
Einzelhandelsmärkte änderte sich im 1. Quartal 2014 zugunsten der Agrarmärkte,
landwirtschaftlicher Genossenschaftsmärkte und spezialisierter Lebensmittelmärkte,
während der Anteil von gemischten Märkten, Baufachmärkten und Bekleidungsmärkten
zurückging.
Per Stand vom 1. April 2014 waren auf Einzelhandelsmärkten 180.400 Einzelunternehmen
tätig (1. Januar 2014 – 194.700). Die wichtigsten Wirtschaftssubjekte sind auf den Märkten
nach wie vor die Einzelunternehmer, während der Anteil der Handelsplätze für sie allmählich
zurückgeht.
Auf den Einzelhandels- und Wochenmärkten kauft die Bevölkerung 7 % der Lebensmittel
(alkoholfreie    Getränke)     und    Tabakwaren     vom     gesamten       Umsatz      des
Lebensmitteleinzelhandels und über 11 % der Nicht-Lebensmittel (Rosstat, 2013). Nach wie
vor spielen die Märkte bei der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch, Kartoffeln, Obst und
Gemüse eine große Rolle. Mit dem Rückgang der Zahl der Einzelhandelsmärkte und der auf
ihnen Handel treibenden Unternehmer verringerte sich auch die Zahl der Kontrollen. Es
erhöhte sich aber deren Effektivität. So wurden im Januar – September 2013 von der
Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor 4.000 Handelsplätze auf Einzelhandelsmärkten
kontrolliert gegenüber 7.000 Kontrollen im Vorjahreszeitraum 2012. In der Hälfte der
Kontrollen wurden Verstöße festgestellt. Es wurden 2.000 Ordnungsstrafen verhängt (Jan.-
Sept. 2012 – 4.000), davon 35,6 % (in neun Monaten 2012 -33,8 %) wegen des „Verstoßes
gegen die Verkaufsregeln einzelner Warenarten“, 20,2 % (16 % entsprechend) wegen des

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„Verstoßes sonstiger Verbraucherrechte“ und 17 % (32,6 %) wegen des „Verstoßes gegen die
sanitär- und epidemiologischen Rechtsvorschriften“. Insgesamt wurden Strafen in Höhe von
13 Mio. Rubel verhängt. Das sind umgerechnet auf einen Handelsplatz mit festgestellten
Verstößen – 5.000 Rubel gegenüber 10 Mio. Rubel, 3.000 Rubel entsprechend, im
Vergleichszeitraum 2012.
Die Kolchosmärkte sind nicht in der Lage, den Landwirten einen angemessenen Service und
den Käufern Garantien für die Produktqualität zu bieten (auf diesen Märkten ist die
Zuverlässigkeit der Sanitär- und Veterinärgutachten niedrig). Außerdem hängt der Zugang der
Landwirte zu diesen Märkten mitunter von der Dominanz bestimmter Ethnien auf ihnen ab
(Kotlyarov I. D.).
In der Staatsduma wurde eine Gesetzesnovelle des Föderalen Gesetzes „Über die
Einzelhandelsmärkte und über Änderungen im Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation“
erarbeitet und zur Diskussion vorgelegt, die eine Wiederbelebung der
Einzelhandelsagrarmärkte in Russland vorsieht, auf denen die Landwirte ihre Erzeugnisse zum
Verkauf anbieten können. Laut geltendem Recht dürfen die Agrarmärkte seit Januar 2015 ihre
Tätigkeit nur noch in massiven Gebäuden verrichten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass
Flächen ausschließlich für die Bauern bereitgestellt werden, wo sie in leicht montier- und
demontierbaren Ständen ihre Erzeugnisse verkaufen können. Die Bauern sollen auch die
Möglichkeit erhalten, unverarbeitete Produkte direkt vom Fahrzeug aus verkaufen zu dürfen.

Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber der verarbeitenden Industrie

Ein Großteil der Erzeugnisse (Obst, Gemüse, Ölsaaten, Zuckerrüben, Kartoffeln, Milch, Vieh
und Geflügel) realisieren die Agrarproduzenten über Direktverträge mit verarbeitenden
Betrieben (Konserven- und Zuckerfabriken, Molkereien und andere Betriebe,
Fleischkombinate usw.). In den vergangenen Jahren haben die verarbeitenden Betriebe die
Produzenten landwirtschaftlicher Rohstoffe auf vertraglicher Grundlage mit Krediten, Saatgut,
Dünger und Schutzmitteln, durch einige mechanisierte Arbeiten aus eigenen Kräften, die
Beförderung der Rohstoffe mit den eigenen Transportmitteln usw. unterstützt (Nechaev V. I.,
Paramonov P. F.).
Die Aufkaufpreise der verarbeitenden Betriebe sind recht niedrig und erlauben den Bauern
keine hohe Wirtschaftlichkeit. Zudem ist es wohl kaum vernünftig, an die verarbeitenden
Betriebe nicht Erzeugnisse der Massenproduktion, sondern der kleinen bäuerlichen Betriebe
zu verkaufen, denn auf Grund der Qualitätsmerkmale wäre es sinnvoller, diese Erzeugnisse
unverarbeitet zu verkaufen (Kotlyarov I. D.).
Am 29.12.2014 hat der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin das Föderale
Gesetz Nr. 607420-6 „Über Änderungen im Föderalen Gesetz ‚Über die Entwicklung der
Landwirtschaft‘ (im Teil Ausdehnung der staatlichen Förderung auf Organisationen und
Einzelunternehmer, die im Bereich der Primär- und/oder weiteren (industriellen)
Verarbeitung von landwirtschaftlichen Rohstoffen tätig sind)“ unterschrieben.

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Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger gegenüber Großhändlern

Die Hauptabnehmer auf dem Agrarmarkt sind große und kleine Großhandelsbetriebe, die als
Zwischenhändler zwischen Agrarproduzenten und Endverbrauchern tätig sind. Sie realisieren
ihre Tätigkeit mithilfe des eigenen Umlaufvermögens. Ein analoges Problem – die niedrigen
Aufkaufpreise – ist ebenfalls für die Großhändler kennzeichnend. Auch hier griff die
Agrarpolitik steuernd in den Markt ein.
Im Dezember 2014 hat das Landwirtschaftsministerium Russlands das Unterprogramm
„Entwicklung von Großhandels- und Distributionszentren und Ausbau der Infrastruktur von
Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung“ bestätigt, welches dazu beitragen soll, den
Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu sichern und deren Marktanteil durch die Schaffung
von Bedingungen für die saisonale Lagerung und Verarbeitung zu vergrößern. Zu den
Aufgaben des Unterprogramms gehören: der Bau, die Sanierung und Modernisierung des
Netzes von Großhandels- und Distributionszentren und Produktions- und Logistikzentren für
den Absatz der Agrarprodukte; Vergrößerung des Aufkaufs landwirtschaftlicher Erzeugnisse
für die Verarbeitung durch Betriebe der verarbeitenden Industrie; Entwicklung des Börsen-
und Online-Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Rohstoffen und Lebensmitteln;
Weiterentwicklung des Erfassungssystems landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Rohstoffe und
Lebensmittel für staatliche und kommunale Bedürfnisse, darunter für Lebensmittelhilfe für
die Bevölkerung im Inland; Forschungs- und methodische Entwicklungsarbeiten zur Schaffung
eines staatlichen automatisierten Informationssystems im Bereich der Lebensmittelsicherheit
der Russischen Föderation, unter anderem für ein Monitoring des Staatsankaufs. Das
Programm gilt für den Zeitraum 1. Januar2015 – 31. Dezember 2020. Für seine Umsetzung
sind im Staatshaushalt 29 Mrd. Rubel vorgesehen, die ersten 2,4 Mrd. werden für die
Entwicklung eines föderalen Netzes von Großhandels- und Distributionszentren (russ.: ORZ)
im Jahr 2015 verwendet. Die ORZ sollen den Absatz der Erzeugnisse von bäuerlichen Betrieben
jeder Größe organisieren helfen. Sie übernehmen die Verarbeitung und den Verkauf der
Agrarprodukte.
Zurzeit sind die Landwirte auf Grund fehlender Alternativen gezwungen, die vorhandenen
Vertriebskanäle zu nutzen. Dadurch erreichen die Produkte den Endverbraucher in
Großstädten nicht (denn sie gelangen meistens nur auf lokale Kolchosmärkte oder zur
Verarbeitung), was die Effektivität der Arbeit der Agrarproduzenten verringert und dem
Kunden die Möglichkeit nimmt, qualitative Produkte zu kaufen. Dabei ist dank der steigenden
Einkommen und der bewussten und gesunden Ernährung die Nachfrage nach bäuerlichen
Erzeugnissen durch die Endverbraucher gestiegen. So gewinnt die Verbindung zwischen
Erzeuger und Verbraucher (sowohl für die Rentabilität der bäuerlichen Betriebe als auch für
den Zugang zu hochwertigen Erzeugnissen für die Verbraucher) an Bedeutung. Es liegt auf der
Hand, dass dieses Problem durch Marktmechanismen oder aber durch staatliche Regulierung
gelöst werden kann (Kotlyarov I. D.).

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Alternative Möglichkeiten der Stärkung der landwirtschaftlichen Erzeuger

Das Genossenschaftswesen
Ein wichtiger Kanal für den Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse ist der
Kommissionshandel über die Konsumgenossenschaft. Die Konsumgenossenschaft kauft
Kartoffeln, Gemüse, Obst, Vieh, Milch, Eier und andere Erzeugnisse von den
landwirtschaftlichen Betrieben, Bauernhöfen und Kleinstunternehmen der Bevölkerung und
verwendet diese vorwiegend zur Versorgung der lokalen Bevölkerung. Gleichzeitig organisiert
sie in umgekehrter Richtung (in den Grenzen ihrer Möglichkeiten) den Verkauf von
Mischfutter, Dünger und anderer Waren für die Produktion sowie Haushalts- und Kulturwaren
an die Bauern und die Bevölkerung. Die wechselseitigen Beziehungen beider Seiten werden
durch einen Kommissionsvertrag geregelt (Nechaev V. I., Paramonov P. F.).
Attraktiv ist nicht die Direktvermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch die
Erzeuger selbst, sondern der Absatz durch Konsumgenossenschaften, deren Mitglied sie sind
(d. h. durch betriebsübergreifende Genossenschaften). Dabei ist wichtig, dass diese
Genossenschaften auch über eine gute materiell-technische Ausstattung verfügen
(Siloanlagen, Lager, Zufahrtswege, Spezialfahrzeuge usw.) (Nechaev V. I., Paramonov P. F.).
Der Bauernkongress hat in Moskau im April 2013 eine Form der Konsolidierung und
Partnerschaft der Landwirte, Vermarkter und Käufer auf der Grundlage der Erfahrungen der
Absatzgenossenschaft für bäuerliche Produkte englischer und amerikanischer Supermärkte
vorgeschlagen, in welcher sich Bauern und Käufer zusammengeschlossen haben.
Direktlieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse an den Einzelhandel
Das Modell der Direktlieferungen stammt von der Moskauer Einzelhandelskette ABK, die das
Gemüse für ihre Geschäfte unter Umgehung des Großhandels direkt bei den Bauern einkauft.
ABK arbeitet direkt mit einigen Betrieben im Zentralen Föderalen Bezirk zusammen, kauft bei
ihnen Gemüse (frische Gurken, Zucchini, Kohl) und übernimmt selbst deren Beförderung in
die Geschäfte. Der Vorzug dieses Modells: Die Kunden können frisches Gemüse zu
bezahlbaren Preisen kaufen, da der Großhandel mit seinem Aufpreis aus der
Distributionskette herausfällt. ABK konnte dadurch deutlich den Umsatz an Gemüse steigern,
denn die gesamte Ware wird an einem Tag verkauft. So hat die Kette einen
Wettbewerbsvorteil: Im Angebot ist immer frisches Gemüse zu vertretbaren Preisen, und die
Landwirte haben einen gesicherten Absatzmarkt und die Möglichkeit, ihre Produktion zu
erweitern. ABK kauft bei seinen Partnerbetrieben die gesamte Ernte entsprechend dem
Ernteplan, wodurch das Problem der ungleichmäßigen Nachfrage und der nicht verkauften
Reste gelöst wird. Da die Bauern in ABK einen zuverlässigen Partner sehen und die Nachfrage
der Kette nach ihren Erzeugnissen hoch ist, schafft das für sie Anreize, die Produktion weiter
zu steigern.
Das Modell der direkten Kooperation zwischen dem Einzelhandel und den
Lebensmittelproduzenten ist nicht grundsätzlich neu. Es ist bekannt, dass die meisten

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Einzelhändler Bestellungen für die Produktion von Waren unter ihrem Label (private label, PL
— Eigenmarke der Einzelhandelskette) unmittelbar im produzierenden Betrieb aufgeben und
damit den Großhandel umgehen. Wichtige Unterschiede zeugen jedoch von einem für den
russischen Markt innovativen Charakter des ABK-Modells: Die Einzelhandelskette arbeitet
nicht mit verarbeitenden Betrieben zusammen und auch nicht mit den großen Agrarbetrieben,
die selbst das Gemüse sortieren, abpacken und mit dem Logo der Kette versehen können usw.,
sondern unmittelbar mit den kleinen Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte, die das
Gemüse nur anbauen. Das aufgekaufte Erzeugnis wird nicht in standardisierten,
firmeneigenen, industriellen Abpackungen mit festgelegtem Gewicht (nach Menge oder
Masse) angeboten, wie es gewöhnlich mit Waren gemacht wird, die als Eigenmarke verkauft
werden, sondern es wird ohne Verpackung abgewogen, was beim Kunden den Eindruck der
Frische und Natürlichkeit der Ware erzeugt (in einzelnen Fällen kann das Gemüse, damit es
für den Kunden bequemer ist, unmittelbar im Geschäft abgepackt werden).
Das Ziel dieser direkten Kooperationsbeziehungen besteht in diesem Fall nicht darin, die
Standarderzeugnisse zu verbilligen oder der Marke zum Durchbruch zu verhelfen, wie im Fall
der Waren mit dem Label der Einzelhandelskette, sondern in der Schaffung eines einmaligen
Wettbewerbsvorteils durch das Angebot natürlicher Nicht-Markenware von kleinen
Agrarproduzenten. Hier geht es nicht um den direkten Kontakt zwischen Erzeuger und
Endverbraucher, sondern um die Nutzung der Tätigkeit eines Zwischenhändlers (das
unterscheidet diesen Distributionskanal von den oben genannten) unter Ausschaltung des
Großhandels, so dass sich die Lieferkette bis zum Endverbraucher verkürzt (Kotlyarov I. D.).
Ein wichtiger Erfolgsfaktor dieses Kooperationsmodells besteht darin, dass die
Einzelhandelskette über eine eigene Transportstruktur verfügt und die Logistik selbst in der
Hand hat.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Einzelhandelsketten, obgleich es schwer ist, sie per Gesetz zu
zwingen, in ihr Sortiment bäuerliche Erzeugnisse aufzunehmen, dennoch bereit sind, mit den
Bauern zusammenzuarbeiten, wenn das für sie wirtschaftliche und Marketingvorteile bringt.
So arbeitet Metro Cash & Carry, in Russland dem Umsatz nach auf Platz 4, an der Schaffung
eigener Gewächshäuser für eine stabile Belieferung seiner Geschäfte das ganze Jahr über mit
Obst und Gemüse in guter Qualität. Auf Platz 3 ist in Russland die französische Holding Auchan,
auch sie ist an einer Produktion vor Ort interessiert: Das Unternehmen sucht Partner für
Fleisch (Rind, Lamm). Auf Platz 5 ist der russische Einzelhändler Dixi, der nach der Einführung
des Lebensmittelembargos mit Gemüseproduzenten Verhandlungen über gemeinsame
Vorhaben aufgenommen hat. Bisher verfügte nur der Marktführer, der russische
Einzelhandelskonzern Magnit aus Krasnodar, über eine eigene Produktion (Quelle: Agentur
AgroFakt http://www.agronews.ru/news/detail/136452/).
Ökomärkte
Ökomärkte sind modern ausgestattete Fachmärkte, auf denen die Bauern und regionalen
Erzeuger ihre Produkte direkt an den Endverbraucher verkaufen. Die Erzeuger mieten

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Handelsflächen und bieten wie auf einem traditionellen Markt ihre Waren an. Die Idee an sich
ist für Russland natürlich nicht neu, es geht jedoch zum ersten Mal um deren Anwendung in
Bezug auf landwirtschaftliche Erzeugnisse. Zudem wird das positive Image des v.a. aus
Deutschland bekannten ökologischen Landbaus genutzt. In Russland ist darunter eher ein
Marketing möglichst naturbelassener Produkte, oftmals unter dem Label einer bestimmten
Region angeboten, zu verstehen.
Es wird damit aber nicht einfach ein weiteres Handelszentrum schlechthin ohne klare
Spezialisierung errichtet. Die geplanten Ökomärkte sind an die Bedürfnisse der Bauern und
sonstiger Agrarproduzenten angepasst, und der Eigentümer selbst sieht in den Zentren eine
eindeutige Ausrichtung auf den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Die Ökomärkte sind eine geordnete Alternative zu den Lebensmittel(Kolchos-)märkten, weil
sie einen besseren Service für die Pächter und mehr Komfort und Sicherheit für die Käufer
bieten. Sofort Geld für die verkaufte Ware. Keine zusätzlichen Zahlungen, die von der
Einzelhandelskette aufgezwungen werden. Kein Abschöpfen eines Teils des
Handelsaufschlags. Die Möglichkeit, die Ware selbst, je nach Notwendigkeit, dem Kunden
nahezubringen (Verkostung, Rabatt usw.). Höheres Niveau der technischen Wartung. Zugang
zu einer zahlungsfähigeren Kundschaft. Breites Sortiment qualitativer und natürlicher Nicht-
Markenerzeugnisse. Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme zum Erzeuger (dadurch kann
sich der Käufer von der Qualität der Ware überzeugen). Absenken der Preise. Höheres Niveau
von Komfort und Sicherheit (Kotlyarov I. D.).
Online-Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen
Hier geht es vor allem um die Technisierung des Agrarsektors insgesamt und um die Schaffung
eines einheitlichen elektronischen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Recht
erfolgreich funktionieren regionale Online-Portale, auf denen mittlere Agrarproduzenten
Unternehmern aus anderen Regionen ihre Waren anbieten. Die Einführung des Online-
Handels durch kleine und mittlere bäuerliche Betriebe stößt dagegen auf einige
Schwierigkeiten: Logistik, Unteilbarkeit einzelner Warenarten, Ablehnung des Online-Handels
durch die Bauern und geographische Beschränkungen. Auch die mit zusätzlichen Bezahl- und
Distributionssysteme stellen Hindernisse dar.
Verkaufsautomaten
Für den direkten Absatz bäuerlicher Erzeugnisse kommen auch Verkaufsautomaten in Frage.
Sie eigenen sich nicht für alle Erzeugnisse. Zurzeit läuft an den Automaten der Verkauf von
Milch zum Abfüllen gut. Milch entspricht allen erwähnten Bedingungen: selbst nicht
pasteurisierte Milch hält sich einen Tag, die Verbraucher älteren und mittleren Alters erinnern
sich noch gut an den Verkauf von Milch aus Zisternen, und den Automaten kann man leicht
auf die Abgabe bestimmter Milchmengen einstellen. Milchautomaten werden sowohl in
Handelszentren als auch direkt in Lebensmittelgeschäften aufgestellt (Kotlyarov I. D.).

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Bewertung und weitere Herausforderungen in der Agrarpolitik Russlands
Der begrenzte Zugang der Agrarproduzenten zum Absatzmarkt ist unter den Bedingungen der
Unvollkommenheit seiner Infrastruktur und der zunehmenden Monopolisierung der
Handelsketten eines der aktuellen Probleme des Agrarsektors in Russland (Staatliches
Förderprogramm). Dem Staat ist bewusst, wie akut dieses Problem ist, er sah jedoch bis vor
kurzem seine Hauptaufgabe darin, den Zugang der Bauern und kleinen Erzeuger zu den
Regalen in den Supermärkten zu erleichtern. Das war unter anderem eines der Ziele des
Handelsgesetzes, das eine Beschränkung der Listungsgebühren der Zulieferer an die Ketten
und der Stundungsdauer von Zahlungen vorsah. Außerdem wird in den Regionen versucht, die
Einzelhandelsketten per Gesetz zu zwingen, die bäuerlichen Erzeugnisse zu kaufen (Strigin A,
2012).
Die Initiatoren der Regulierung haben nicht berücksichtigt, dass weder die Qualitäts-, noch
Quantitäts- oder Preismerkmale der von den Bauern erzeugten Produkte den Business-
Modellen der Einzelhandelsketten entsprechen. Deshalb werden alle Bemühungen des
Staates, diese Produkte in das Sortiment der Ketten zu bringen, auf Widerstand stoßen. Genau
das ist auch mit dem Handelsgesetz passiert: V. V. Radaev zufolge hat dieses Gesetz nicht zur
Beseitigung der Listungsgebühren geführt, sondern lediglich zu deren Umwandlung in eine
andere Zahlungsform (Radaev V. V., S. 309-311). Der im Jahr 2014 in der Staatsduma
vorgelegte Entwurf des Föderalen Gesetzes „Über Änderungen im Föderalen Gesetz ‚Über die
staatliche Regulierung der Handelstätigkeit in der Russischen Föderation‘“ verbietet es, dass
von den Erzeugern eine Listungsgebühr verlangt wird.
Eine weitere Möglichkeit zur Lösung des Problems des Marktzugangs für die
landwirtschaftlichen Produzenten besteht in der Schaffung alternativer Absatzkanäle, welche
sowohl der Spezifik der bäuerlichen Erzeugnisse als auch den Bedürfnissen der Verbraucher
gerecht werden. Diese Spezifik besteht in Folgendem:
    Die in den bäuerlichen Betrieben erzeugten Produkte sind ökologischer und zeichnen
     sich durch eine höhere Qualität aus, aber auch durch einen verhältnismäßig hohen
     Preis. Deshalb ist es nicht sinnvoll, sie einzufrieren oder einzulagern (das würde die
     Qualität verschlechtern) und Zwischenhändler in Anspruch zu nehmen (das macht die
     Erzeugnisse für den Endverbraucher viel teurer, oder es macht die Arbeit des Bauern
     unrentabel, weil dieser den Zwischenhändlern bedeutende Rabatte einräumen muss).
    Die Kunden möchten die Ware direkt vom Erzeuger kaufen, damit sie sich selbst von
     der Qualität überzeugen können und dabei nicht zu viel bezahlen müssen. Nicht selten
     haben die Käufer Zweifel an der Qualität und Frische der teuren Produkte in den
     Regalen der Supermärkte wegen der langen Lagerung, die nur durch den Einsatz von
     Konservierungsstoffen möglich ist. Die Ware wird auch wegen des großen Abstandes
     zwischen Produktions- und Verkaufsdatum nicht als frisch empfunden. Außerdem
     wollen sie auch nicht für eine bekannte Marke des Zulieferers oder der
     Einzelhandelskette draufzahlen.

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So sollen die effektiven alternativen Vertriebskanäle den direkten Kontakt zwischen den
Kunden (vor allem aus großen Städten, da sie über eine gute Kaufkraft verfügen) und den
Bauern sichern. Daraus ergeben sich für die Verbraucher und die Zulieferer einige Vorteile:
    keine langen Transportwege und lange Lagerung der Produkte, was sich negativ auf
     den Gebrauchswert auswirken würde;
    die Käufer können unmittelbar die Qualität begutachten;
    der Erzeuger kann selbst unter dem Zielpublikum für seine Produkte werben;
    Zwischenhändler können nicht mehr einen bedeutenden Teil des Aufpreises
     einstecken, und die Einzelhandelspreise werden nicht überteuert. Dadurch steigt der
     Gewinn für den Erzeuger, und der Preis für den Verbraucher sinkt.
Solche Absatzkanäle entstehen bereits spontan, auf dem Wege der Marktwirtschaft, denn es
besteht zum einen von Seiten der Verbraucher eine stark ausgeprägte Nachfrage nach
qualitativen Lebensmitteln und zum anderen der Wunsch der Bauern, den Absatzmarkt zu
vergrößern. Für den Staat wäre es logischer, den Aufbau von Absatzkanälen zu fördern, die
die Spezifik der bäuerlichen Produkte berücksichtigen, als zu versuchen, diese Produkte mit
aller Macht in Vertriebskanäle zu zwängen, die eigentlich für Waren mit anderen
Vermarktungsmerkmalen gedacht sind (Kotlyarov I. D.).
Vom Industrie- und Handelsministerium der Russischen Föderation wurde eine Strategie für
die Entwicklung des Handels in der Russischen Föderation für den Zeitraum 2011–2015 und
bis 2020 erarbeitet (im Weiteren - Strategie). Diese Strategie zielt vor allem auf die Schaffung
eines effektiven Einzelhandelssystems ab, das den Anforderungen eines innovativen
Entwicklungsszenarios der russischen Wirtschaft entspricht. Das Hauptziel der Strategie
besteht in der möglichst vollständigen Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung an die
Dienstleistungen des Handels (physische Verfügbarkeit, erschwingliche Preise, hohe Qualität
der Waren und Dienstleistungen) durch eine effiziente Einzelhandelsinfrastruktur (breite
geografische Abdeckung, große Handelskapazität, anteilig niedrige Geschäftskosten), die den
Anforderungen des innovativen Entwicklungsszenarios der russischen Wirtschaft entspricht.
Für ein nachhaltiges Wachstum der Binnenproduktion müssen sowohl Anreize für die
Binnennachfrage geschaffen, als auch die unterschiedlichen Absatzkanäle des Einzelhandels
ausgebaut werden. Die zweite Aufgabe wird durch neue Einzelhandelsformate realisiert,
indem der Erzeuger gleich welchen Formats unterschiedliche Absatzmöglichkeiten der
Großhandelsketten nutzen kann, wodurch er sein eigenes Risiko streut und ungünstige
Bedingungen umgeht.
Das entspricht den Interessen der Konsumenten, die in den Industrieländern zwischen sechs
bis sieben Handelsformaten wählen können, während es in Russland laut
Experteneinschätzungen nur zwei bis drei sind, was von einem unzureichenden Komfort für
die Konsumenten zeugt.

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Es muss auch die Spezifik des Konsumentenverhaltens in Russland berücksichtigt werden,
besonders in Bezug auf den Kauf von Lebensmitteln. Entsprechend einer Studie des Industrie-
und Handelsministeriums Russlands und Einschätzungen von Experten kaufen etwa 60 % der
russischen Verbraucher jeden Tag Lebensmittel ein, oder aber diese Einkaufshäufigkeit ist für
sie komfortabler. Einerseits ist das eine einmalige Chance für die Entwicklung der lokalen
landwirtschaftlichen Produktion und für die Erzeugung frischer Lebensmittel, denn der
Konsument mit solch einer Einkaufsfrequenz möchte immer die frischeste Ware kaufen und
nicht etwa Produkte mit einer langen Haltbarkeitsdauer. Andererseits muss die
Einzelhandelsinfrastruktur an diesen Komfort des täglichen Einkaufs angepasst werden. Dabei
gilt es zu berücksichtigen, dass eine Handelseinrichtung in der Nähe des Wohnortes oder der
Arbeitsstelle den Verbrauch frischer, schnell verderblicher Lebensmittel, besonders
landwirtschaftlicher Produkte, steigert, was sowohl für eine ausgewogene Ernährung als auch
für den Anstieg der Nachfrage und somit für die Steigerung der Produktion außerordentlich
wichtig ist. Ein unzureichender wirtschaftlicher und physischer Zugang zu Lebensmitteln (wie
auch ein unterentwickelter Wettbewerb) führt zu bedeutenden Disproportionen in der
Struktur des Lebensmittelverbrauchs und wirken sich negativ auf die Gesundheit der
Bevölkerung aus. Laut Rosstat war im Jahr 2013 ein Defizit im Konsum von Gemüse und
Kürbisgewächsen
(30,7 %), Obst und Beeren (24,0 %), Milch und Milchprodukten (20,9 %) und Eiern (15,4 %) im
Vergleich zu den vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Mengen (Weisung Nr.
593n vom 02.08.2010) zu verzeichnen. Besonders gravierend ist der Mangel im Verzehr
frischer Nahrungsmittel bei einkommensschwachen Schichten. Laut Rosstat waren das (mit
einem Einkommen unter dem Existenzminimum) 15,9 Mio. Personen bzw. 11,1 % der
Bevölkerung Russlands. Diese Bevölkerungsgruppe konsumierte praktisch von allen
Lebensmitteln zu wenig. Das Defizit in der Ernährung betrug, so das
Landwirtschaftsministerium Russlands, 46,3 % bei Milch und Milchprodukten, 37,3 % bei
Eiern, 28,5 % bei Fisch, 61,1 % bei Obst und Beeren, 51,2 % bei Gemüse und 42,6 % bei
Kartoffeln.
Aus diesen Daten folgt, dass das Hauptdefizit im Konsum in der Kategorie fresh (frische,
leichtverderbliche Produkte) besteht. Die genannten Kategorien von Frischprodukten werden
in der Ration der Konsumenten durch Produkte mit einer längeren Haltbarkeitsdauer, durch
veredelte Produkte unter Verwendung von Zusatz-, Ersatz- und Konservierungsstoffen ersetzt,
was die Ernährungsstruktur verschlechtert und sich negativ auf die lokale Wirtschaft auswirkt,
da sich dadurch die Absatzmöglichkeiten für frische, leichtverderbliche Erzeugnisse aus lokaler
Produktion einschränken.
In diesem Zusammenhang muss der Hauptakzent auf der Entwicklung der Infrastruktur im
Sinne „in Laufweite“ in all jenen Einzelhandelssegmenten liegen, die frische Lebensmittel und
landwirtschaftliche Produkte aus lokaler Produktion vertreiben. Das sind vor allem kleine
Handelsformate (darunter kleine Läden, ambulanter und mobiler Handel, Handel lokaler und
regionaler Erzeuger, Wochenmärkte, Bauernmärkte). Für die Entwicklung der kleinen

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Handelsformate brauchen die Wirtschaftssubjekte zu Beginn der Geschäftstätigkeit im Handel
ein Minimum an Investitionen und Kapitalaufwand, was besonders in der gegenwärtigen
wirtschaftlichen Situation von großer Bedeutung ist. Es besteht die Möglichkeit, diese
Vertriebskanäle in kürzester Zeit zu mobilisieren und damit den lokalen kleinen und mittleren
Betrieben einen Anstoß für die Entwicklung der Erzeugung von Lebensmitteln und
landwirtschaftlichen Produkten zu geben. Dabei muss auch der Beitrag des Handels zur
allgemeinen Entwicklung des Unternehmertums in Russland hervorgehoben werden, da
mitunter der Handel für viele die erste („Start-“) Form der Geschäftstätigkeit ist. Im
Zusammenhang damit ist wichtig, dass die Infrastruktur, wie z. B. Bauern- und Wochenmärkte,
aus Sicht der Investitionen nicht so kostenintensiv ist. So kann die Geschäftstätigkeit mit
einem Minimum an Investitionen von Seiten des Wirtschaftssubjektes aufgenommen werden
(Strategie des Ministeriums für Industrie und Handel).
Die regionalen Agrarproduzenten werden es bald leichter haben, Zugang zu großen
Handelsketten zu bekommen, meint der russische Landwirtschaftsminister Nikolai Fjodorow.
Früher berichteten die Medien nicht selten unter Berufung auf lokale Erzeuger darüber, dass
diese für das Recht, ihre Erzeugnisse in großen Ketten verkaufen zu dürfen, vorab
Listungsgebühren zahlen mussten. „Ich hoffe, dass diese Praktiken der Vergangenheit
angehören werden. Solche Gebühren werden sich reduzieren angesichts der getroffenen
Beschlüsse und der Verringerung der Produktreihen landwirtschaftlicher Erzeugnisse“, sagte
der Minister. Die auf dem Markt entstandene Situation sehe er unter anderem im
Zusammenhang mit der über das Land ungleich verteilten Anlieferung der
Hauptnahrungsmittel, die in einzelnen Regionen produziert werden (z. B. Rentierfleisch und
Fisch). „Deshalb arbeiten wir intensiv an der Erfüllung des Auftrags des Präsidenten. (…) Wie
können z. B. Vorzugstarife für die Beförderung auf dem Schienenwege, über den Nördlichen
Seeweg       usw.     eingeführt      werden?“,      sagte     Fjodorow       (RIA    Novosti
http://ria.ru/economy/20141009/1027599006.html)
Die Vorsitzende der Agrarpartei Russlands Baschmatschnikowa O. V. ist der Meinung, dass es
um die Lösung ganzer Aufgabenblöcke mit Unterstützung des Staates geht: In erster Linie
muss die Infrastruktur des Binnenlebensmittelmarktes, einschließlich Logistikzentren und
Bauernmärkte, ausgebaut und die Handelsketten weiterentwickelt werden. Der Staat muss
beim Aufbau von Lieferketten zwischen Erzeugern, Unternehmen der Verarbeitung und
Handelsketten helfen. Auf Grund der Mängel der Vertriebskanäle, die für die großen
Unternehmen geschaffen wurden, können die kleinen Erzeuger ihre Ware nicht immer zu
guten Preisen verkaufen. Die Zusammenarbeit der kleinen Erzeuger landwirtschaftlicher
Produkte kann es den bäuerlichen Betrieben und privaten Nebenwirtschaften leichter
machen, ihre Produkte über eine organisierte Erfassung zu einem guten Preis auf den Markt
zu bringen. Auch muss der Anteil der Handelsketten am Preis des Produktes begrenzt werden,
während gleichzeitig der Anteil des Erzeugers vergrößert wird. Auf den Erzeuger entfallen
gegenwärtig lediglich 25 %. Die großen Agrarbetriebe und Mega-Komplexe verfügen über
Lagerkapazitäten und eine eigene Verarbeitung und sind in der Lage, große Mengen zu liefern,

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