BEDARFSANALYSE BILDUNGSLANDSCHAFT IN RUSSLAND MIT FOKUS AUF DIE DUALE BERUFSAUSBILDUNG - BIBB

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BEDARFSANALYSE BILDUNGSLANDSCHAFT IN RUSSLAND MIT FOKUS AUF DIE DUALE BERUFSAUSBILDUNG - BIBB
BEDARFSANALYSE

Bildungslandschaft in Russland
mit Fokus auf die duale Berufsausbildung

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis................................................................................................................. 3

Tabellenverzeichnis ..................................................................................................................... 4

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................... 4

Einleitung .................................................................................................................................... 6

1. Wirtschaftliche Eckdaten Russlands ........................................................................................ 7

2. Das Bildungssystem und die mittlere berufliche Bildung in Russland .................................... 10

       2.1. Mittlere berufliche Bildung in der Bildungsstruktur........................................................ 10
       2.2. Modernisierung der mittleren beruflichen Bildung .......................................................... 13
       2.3. Finanzierung ......................................................................................................................... 15
3. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die mittlere berufliche Bildung in Russland........ 17

       3.1. Demographische Entwicklung ............................................................................................ 17
       3.2. Image der mittleren beruflichen Bildung und die gefragtesten Berufe ........................... 20
4. Duale Berufsbildung in Russland........................................................................................... 24

       4.1. Definition und wichtigste Prinzipien .................................................................................. 24
       4.2. Rechtliche Grundlagen ........................................................................................................ 28
       4.3. Wichtigste Stakeholder ........................................................................................................ 33
5. Bedarfsanalyse duale Berufsbildung anhand einer Umfrage deutscher und russischer
Unternehmen in Russland ......................................................................................................... 45

       5.1. Methodologie......................................................................................................................... 45
       5.2. Ergebnisse der Umfrage ...................................................................................................... 47
Tendenzen und Prognosen......................................................................................................... 66

Quellenverzeichnis .................................................................................................................... 69

Anhang ...................................................................................................................................... 73

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. BIP der Russischen Föderation (in %), 2010 - 2017 ......................................................... 7
Abbildung 2. BIP der Russischen Föderation nach sektoraler Entstehung (in %), 2017 ........................ 8
Abbildung 3. Bildungsstufen in Russland ............................................................................................. 11
Abbildung 4. Statistik der mittleren Berufsbildung in Russland, 2017................................................. 13
Abbildung 5. Ausgaben des konsolidierten Haushalts der Russischen Föderation zur Position
„Bildung“ im Jahr 2016, in Mrd. Rub. .................................................................................................. 16
Abbildung 6. Dynamik der Einschreibung von Studenten und Auszubildenden nach Stufen
(Programmen) der Bildung (in Tsd.), 2005 -2015................................................................................. 18
Abbildung 7. Einschreibungen in Ausbildungsprogramme der Hochschul- und mittleren beruflichen
Bildung (in %), 2005 - 2015.................................................................................................................. 18
Abbildung 8. Veränderung der Anzahl der Auszubildenden der mittleren Berufsschulen im Jahr 2015
gegenüber 2005 nach Föderalbezirken .................................................................................................. 19
Abbildung 9. Prognose zur Änderung der Anzahl der Jugendlichen im Alter von 15 – 19 Jahren für die
Jahre 2016 – 2030 nach Föderalbezirken, in % zu 2005 ....................................................................... 20
Abbildung 10. Duale Ausbildung als regionales Infrastrukturmodel und seine Bausteine ................... 25
Abbildung 11. Traditionelles Modell vs. Zielmodel ............................................................................. 25
Abbildung 12. Normativ-rechtliche Formen der Kooperation zwischen mittleren Berufsschulen und
Unternehmen ......................................................................................................................................... 29
Abbildung 13. Pilotregionen des ASI-Projekten „Regionaler Standard zur personellen Sicherstellung
des Industriewachstums“ und Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, die den Anforderungen der
Hochtechnologie-Industriebranchen gerecht werden auf Grundlage der dualen Ausbildung“ ............. 35
Abbildung 14. Regionaler Standard zur personellen Sicherstellung des Industriewachstums .............. 36
Abbildung 15. Teilnehmende Regionen am Projekt VETnet der AHK ................................................ 37
Abbildung 16. Verteilung der befragten Unternehmen nach Regionen (nach Anzahl der Unternehmen)
............................................................................................................................................................... 46
Abbildung 17. Bekanntschaft russischer Unternehmen mit dem Konzept des dualen
Ausbildungssystems .............................................................................................................................. 47
Abbildung 18. Bedarf deutscher und russischer Unternehmen an Fachkräfte ...................................... 48
Abbildung 19. Langfristige Prognostizierung des Bedarfs an Personal bei den Unternehmen ............ 49
Abbildung 20. Teilnahme deutscher und russischer Unternehmen an ASI-Projekten .......................... 50
Abbildung 21. Anzahl der deutschen und russischen Unternehmen, die bereits dual ausbilden oder
Elemente des dualen Ausbildungssystems nutzen ................................................................................ 51
Abbildung 22. Motivation für die Einführung der dualen Ausbildung oder deren Elemente im eigenen
Unternehmen ......................................................................................................................................... 53
Abbildung 23. Form der Zusammenarbeit der Unternehmen mit Colleges .......................................... 55
Abbildung 24. Zusammenarbeit von Unternehmen mit regionalen staatlichen Verwaltungsorganen zur
Entwicklung der dualen Berufsbildung ................................................................................................. 56
Abbildung 25. Finanzierung der dualen Ausbildung durch Unternehmen ............................................ 58
Abbildung 26. Bereitschaft zur Finanzierung durch Unternehmen, die nicht dual Ausbilden ............. 58
Abbildung 27. Art und Weise der Finanzierung der dualen Ausbildung durch die Unternehmen ....... 59
Abbildung 28. Erwünschte Maßnahmen der staatlichen Unterstützung (für Unternehmen, die dual
ausbilden) .............................................................................................................................................. 60
Abbildung 29. Erwünschte Maßnahmen der staatlichen Unterstützung (für Unternehmen, nicht dual
ausbilden) .............................................................................................................................................. 60
Abbildung 30. Anzahl von Auszubildenden pro Jahr bei russischen und deutschen Unternehmen mit
und ohne duale Berufsbildungsprogramme ........................................................................................... 61
Abbildung 31. Anteil der Einstellung von Absolventen der Ausbildungsprogramme (in % pro Jahr) . 62

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Abbildung 32. Meinung deutscher Unternehmen über die Möglichkeit der Realisierung der dualen
Ausbildung in Russland ........................................................................................................................ 63

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1. SWOT - Analyse Russlands ................................................................................................... 9
Tabelle 2. Berufe, in denen Unternehmen dual ausbilden und in denen die Ausbildung von folgenden
Fachkräften in der Zukunft geplant ist .................................................................................................. 54
Tabelle 3. TOP-50 der gefragtesten und perspektivvollsten Berufe in Russland erstellt durch
Arbeitsministerium der Russischen Föderation, 2015-2020 ................................................................. 73
Tabelle 4. Liste der gefragtesten Berufe und Spezialisierungen in Russland 2015 .............................. 75
Tabelle 5. Liste der befragten deutschen Unternehmen und Ihre Branchenzugehörigkeit ................... 76
Tabelle 6. Liste der befragten russischen Unternehmen und Ihre Branchenzugehörigkeit ................... 79
Tabelle 7. Fragebogen für die Umfrage der deutschen und russischen Unternehmen .......................... 81

Abkürzungsverzeichnis

 AHK                                 Deutsch-Russische Industrie- und Handelskammer
 ASI                                 Agentur für strategische Initiative
 BIBB                                Bundesinstitut für Berufsbildung
 BIP                                 Bruttoinlandsprodukt
 ca.                                 ungefähr (circa)
 CNC-                                Computer Numerical Control (computergestützte numerische
 Werkzeugmaschine                    Steuerung von Werkzeugmaschinen)
 DIHK                                Deutscher Industrie- und Handelskammertag
 EAWU                                Eurasische Wirtschaftsunion
                                     Föderale staatliche Bildungsstandards (Федеральные
 FGOS
                                     государственные образовательные стандарты)
                                     Föderales Institut für die Entwicklung der Bildung (Федеральный
 FIRO
                                     институт развития образования)
 FZ                                  Föderalgesetz (Федеральный закон)
                                     Staatliches Komitee für Statistik (Государственный комитет
 Goskomstat
                                     статистики)
 Gosuslugi                           Web-Portal für staatliche Dienstleistungen (Госуслуги)
 GTAI                                Germany Trade and Invest
 IHK                                 (Deutsche) Industrie- und Handelskammer
 Inkl.                               inklusive
 KMU                                 kleine und mittelständische Unternehmen
 Mio.                                Millionen
 Mrd.                                Milliarden

                                                                                                                                                4
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NARK      Nationale Agentur für die Entwicklung von Qualifikationen
          Berufliche Grundausbildung (Начальное профессиональное
NPO
          образование)
Nr.       Nummer
PKW       Personenkraftwagen
          Technische Berufsschule (Профессиональное техническое
PTU
          училище)
RF        Russische Föderation
          Russische Datenbank zu Geburten und Sterbefällen (Российская
RosBRiS
          база данных по рождаемости и смертности)
          Föderaler Statistikdienst Russlands (Федеральная служба
Rosstat
          государственной статистики)
Rub.      Rubel
          Rat für berufliche Qualifikationen (Совет по профессиональным
SPK
          квалификациям)
SPO       Mittlere Berufsbildung (Среднее профессиональное образование)
TPP       (Russische) Industrie- und Handelskammer
Tsd.      Tausend
u.a.      und andere
URL       Uniform Resource Locator (Resourcenwebseite)
VETnet    Vocational Education & Training Network
vgl.      vergleiche
          Gesamtrussisches Zentrum für öffentliche Meinungsforschung
WZIOM
          (Всероссийский центр изучения общественного мнения)
z.B.      zum Beispiel

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Einleitung

Gegenwärtig ist in Russland die Frage der Modernisierung der Fertigung in verschiedenen
Industriezweigen eine aktuelle Aufgabenstellung. Dieses Problem ist untrennbar mit der
Ausbildung hochqualifizierter Fachkräfte verbunden, die in der Lage sind, mit den neuesten
Technologien und Ausrüstungen zu arbeiten. Die russische Regierung widmet der Entwicklung
der mittleren beruflichen Bildung in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. In
den letzten Jahren orientieren sich die Programme der Berufsbildung zunehmend an den
Erfordernissen des Arbeitsmarktes und die mittleren Berufsschulen werden modernisiert. Die
Colleges bemühen sich, zusätzliche Bildungsprogramme anzubieten, die für verschiedene
Bevölkerungsgruppen vorgesehen sind – von der beruflichen Orientierung und Vermittlung
beruflicher Grundfertigkeiten junger Menschen bis zu Meisterkursen, Umschulungen und
Weiterbildungen für Erwachsene. Jährlich erhalten tausende junger Menschen in Russland ein
Diplom über die mittlere berufliche Ausbildung in verschiedenen Berufen. Für die
Vorbereitung der hochqualifizierten Fachkräfte, die den hohen Anforderungen einer modernen
Produktion entsprechen, ist es notwendig eine ganze Reihe von Fragen zu lösen, u.a. auf der
staatlicher Ebene.

In dieser Studie werden Aspekte der Modernisierung der mittleren beruflichen Bildung
dargestellt, nach der Russland zurzeit aktiv strebt und es wird gleichzeitig auf die duale
Ausbildung eingegangen, die im System der mittleren beruflichen Bildung eine wichtige Rolle
spielt. Ebenso wird hier der Bedarf von deutschen und russischen Unternehmen in Bezug auf
die duale Ausbildung analysiert und in der Form der Umfrage dargestellt. An der Befragung
beteiligten sich 57 deutsche und russische Unternehmen.

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1. Wirtschaftliche Eckdaten Russlands
Nach den Krisenjahren 2014–2016 wächst die russische Wirtschaft wieder. Der Schock, der
durch die westlich verhängten Sanktionen und den Verfall des Öl- und Gaspreises ausgelöst
wurde, scheint überwunden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Russischen Föderation hat
2017 um 1,5% zugelegt (vgl. Abbildung 1.) und belief sich 2017 nach Marktpreisen auf 92,081
Billionen Rubel (1,39 Billionen Euro). Laut Internationalem Währungsfonds wird die russische
Wirtschaft 2018 um etwa 1,6% wachsen. Die russische Zentralbank rechnet im 1. Halbjahr
2018 auch mit einem Wachstum von 1 – 1,5% (GTAI (2018), Rosstat (2018)).

Abbildung 1. BIP der Russischen Föderation (in %), 2010 - 2017

        4,5        4,3

                              3,4

                                                                                 1,5
                                       1,3
                                                  0,6

        2010      2011        2012    2013       2014      2015      2016       2017
                                                                      -0,2

                                                            -2,8

Quelle: Rosstat, AHK (2017)

Das Rückgrat der russischen Wirtschaft bilden mit 24,1% der Handel und der
Dienstleistungssektor. Ebenso bedeutend sind die verarbeitende Industrie und die Förderung
von Bodenschätzen (vgl. Abbildung 2). Zu den wachstumsstärksten Sektoren 2017 zählen
Kultur und Sport, Transport oder Lagerung. Einen Rückgang zeigten hingegen der Bildungs-
Gesundheits- und Bausektor.

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Abbildung 2. BIP der Russischen Föderation nach sektoraler Entstehung (in %), 2017

            Land- und Forstwirtschaft, Fischerei        3

                             Strom, Gas, Wasser         3,6

                                    Baugewerbe              4,9

                 Förderung von Bodenschätzen                        10,9

                         Verarbeitende Industrie                      13,1

                     Finanzierung, Vermietung                                17,3

            Öffentliche und private Dienstleister                                   22,1

              Handel, Gastgewerbe und Verkehr                                         24,1

Quelle: Rosstat, AHK (2017)
Zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums setzt die russische Regierung in der Zukunft auf
die Digitalisierung und auf die Förderung des Exports von nicht-Rohstoffen. Diese Politik
wird jedoch erst mittel- oder langfristig Früchte tragen. In den ersten 3. Quartalen 2017
dominierte der Rohstoffexport mit 141,8 Mrd. Euro. Maschinen und Geräte wurden für knapp
15,7 Mrd. exportiert aber für über 70 Mrd. importiert (AHK (2017).

Außerdem sollen Investitionen gefördert werden. So senkte die Zentralbank den Leitzins weiter
auf 7,75% und schaffte damit Voraussetzungen für eine günstigere Kreditvergabe. Die Leiterin
der russischen Zentralbank, Elvira Nabiullina, hat angekündigt, den Leitzins 2018 erneut zu
senken. Anreize für Investitionen in Schlüsselsektoren der verarbeitenden Industrie werden
auch durch die Errichtung von Industrieparks und Steuervergünstigungen in regionalen und
föderalen    Sonderwirtschaftszonen       geschaffen.       Laut   Schätzungen      des    russischen
Direktinvestitionsfonds überschritt 2017 das Volumen ausländischer Direktinvestitionen im
nicht-Finanzsektor 30 Mrd. US Dollar (GTAI (2018).

Weiterhin ist zu erwarten, dass Russland nicht von dem seit 2014 eingeschlagenen Kurs der
Importsubstitution abweicht. Im Zuge der Importsubstitutionspolitik sollen Erzeugnisse aus den
22 wichtigsten Branchen Russlands lokal produziert werden. Um Investoren zu gewinnen,
werden Instrumente wie der Sonderinvestitionsvertrag herangezogen. Dieser garantiert
Investoren für 10 Jahre gleichbleibende rechtliche Bedingungen, Steuervergünstigungen und
gewährt Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. Im Gegenzug müssen die Unternehmen

                                                                                                   8
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mindestens 750 Millionen Rubel (11,5 Millionen Euro) investieren, einen bestimmten Anteil
ihrer Produktion lokalisieren und die Übergabe von Technologien gewährleisten (GTAI
(2018a).

Laut einer Studie der GTAI investierten deutsche Unternehmen in den ersten neun Monaten
2017 etwa 2,2 Milliarden Euro in neue Produktionsstätten in Russland. Dabei eröffnet
Russlands Mitgliedschaft in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) den Unternehmen
einen Absatzmarkt mit etwa 180 Millionen Konsumenten (GTAI).

Vielversprechend für (deutsche) Unternehmen ist neben dem Zugang zu Rohstoffen das große
Marktvolumen Russlands. Gleichzeitig bleiben Restriktionen, wie die SWOT-Analyse der
GTAI zeigt, wie ein chronischer Mangel an qualifizierten Zulieferbetrieben oder Engpässe bei
qualifizierten Fachkräften bestehen (vgl. Tabelle 1.).

Tabelle 1. SWOT - Analyse Russlands

               Positiver Einfluss                             Negativer Einfluss
                    Stärken                                       Schwächen

     •     Marktvolumen                             •    Verkehrsinfrastruktur, vor allem im
     •     Zahlungs- und Liefertreue                     Fernen Osten
     •     Reichtum an Rohstoffen und               •    Weite Transportwege
           Energieträgern                           •    Unzureichende Zulieferindustrien
     •     Angebot an Hochschulabsolventen          •    Unzureichende
     •     Geografische Nähe zu EU, VR                   Facharbeiterausbildung
           China und Zentralasien                   •    Hohe Kreditzinsen

                 Möglichkeiten                                   Bedrohungen

                                                    •    Gesunkene Kaufkraft der Bevölkerung
     •     Hoher Bedarf an Investitions- und
                                                    •    Gesunkene Investitionskraft von Staat
           Konsumgütern
                                                         und Wirtschaft
     •     Investitionsförderprogramme
                                                    •    Wirtschaftssanktionen und Gegen-
     •     Industrie- und Technologieparks
                                                         sanktionen
     •     Gesunkene Personalkosten
                                                    •    Gestiegener Protektionismus
     •     Affinität zu deutscher Produktion
                                                    •    Bürokratie

Quelle: GTAI (2018a)

Das Problem des Mangels an qualifizierten Fachkräften ist heute für die Industrieunternehmen
eines der aktuellsten. Seine Lösung liegt im Bereich des Zusammenwirkens von staatlichen
Stellen, Arbeitgebern und beruflichen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen (Colleges).

                                                                                                 9
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In den letzten Jahren hat sich die Notwendigkeit zu einer Änderung der Herangehensweise an
die Aus- und Weiterbildung der Arbeitsressourcen herausgebildet. Auf höchstem
Regierungsniveau existiert das Verständnis der unzureichenden Qualifikation der Absolventen
der mittleren beruflichen Bildungseinrichtungen. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften ist
besonders in den Hochtechnologiebranchen bemerkbar, darunter sind auch viele deutsche
Unternehmen, die ihre Produktionsaktivitäten in Russland aufgenommen haben.

Viele Unternehmen sind gezwungen ihre Fachkräfte selbstständig und auf eigene Rechnung
auszubilden. Um das System der (dualen Berufsbildung) zu unterstützen, gewährt die russische
Regierung seit dem 1. Januar 2018 Steuervergünstigungen. In diesem Rahmen können die
Ausbildungskosten,     darunter      für   Lehrmittel   und   Räumlichkeiten    sowie     die
Ausbildungsvergütung, von Unternehmen als Betriebsausgaben steuerlich abgesetzt werden
(GTAI (2018a) (vgl. Kapitel 2.3.).

2. Das Bildungssystem und die mittlere berufliche Bildung in
Russland

2.1. Mittlere berufliche Bildung in der Bildungsstruktur

In Russland bilden die Verfassung der RF und das föderale Gesetz Nr. 273-FZ vom 29.12.2012
„Über Bildung in der Russischen Föderation“ (weiter als FZ Nr. 273-FZ) die gesetzliche
Grundlage für die Regulierung der gesellschaftlichen Beziehungen im Bildungsbereich.

Vor der Beschreibung der mittleren Berufsbildung in der Bildungsstruktur in Russland muss
eine gewisse terminologische Klarheit eingefügt werden. Das Föderalgesetz 273-FZ benutzt für
die Berufsbildung in Colleges den Begriff „mittlere Berufsausbildung“ (Sredneje
professionalnoje obrasovanie - SPO), wobei der Begriff „Berufsausbildung“ sowohl die
mittlere Berufs-, wie auch die Hochschulbildung beinhaltet (Teil 5, § 10, Pkt. 8 des
Föderalgesetzes FZ-273-FZ) beinhaltet.

In Russland wird die „Schulbildung“ durch vier Stufen der Allgemeinbildung repräsentiert.
Dies sind Vorschul-, Grundschul-, Hauptschul- und die mittlere Allgemeinbildung (Teil 4, § 10
des FZ-273-FZ). Die vorgesehene Dauer für die Vermittlung der Programme der
Grundschulbildung beträgt 4 Jahre, für die der Hauptschulbildung 5 Jahre und für die mittlere
Allgemeinbildung – 2 Jahre

                                                                                          10
Die Bildungsprogramme der Vorschul-, Grundschul-, Hauptschulbildung und der mittleren
Allgemeinbildung sind aufeinander aufbauend (Teil 1, § 63 FZ Nr. 273-FZ). Dabei ist
anzumerken, dass die mittlere Allgemeinbildung obligatorisch ist und nicht erworben werden
kann ohne Absolvierung der davorliegenden Stufen der Allgemeinbildung. Ausnahme ist die
Vorschulbildung, die nicht obligatorisch ist (Teil 5, § 6 Föderalgesetz Nr. 273-FZ).

Vor dem föderalen Änderungsgesetz Nr. 194-FZ „Über Bildung“ vom 21.07.2007 war nur die
allgemeine Hauptschulbildung obligatorisch. Diese historische Besonderheit erklärt in hohem
Maße die Existenz von „zweierlei Anforderungen“ gegenüber Personen, die eine mittlere
Berufsbildung erwerben möchten. So werden zur Aneignung dieser Programme Personen
zugelassen, welche die Hauptschulallgemeinbildung (ab 9. Klasse) erworben haben oder die
mittlere Allgemeinbildung (ab 11. Klasse). Im ersten Fall verlängert sich die Ausbildungsdauer
und das Ausbildungsprogramm der mittleren Berufsausbildung, durch die obligatorisch zu
erhaltende mittlere Allgemeinbildung (vgl. Abbildung 3.). Konkret heißt das, dass die
Auszubildenden, welche die berufliche Ausbildung nach der 9. Klasse beginnen, das
Schulprogramm der 10.-11. Klasse erlernen.

Abbildung 3. Bildungsstufen in Russland

Quelle: In Anlehnung an: Gosuslugi (2018)

Die mittlere Berufsausbildung besteht aus zwei Programmen: den Programmen zur Ausbildung
qualifizierter Arbeiter und Angestellten und den Programmen zur Ausbildung von Fachkräften
der mittleren Ebene (Föderalgesetz Nr. 273-FZ, Teil 3, Pkt. 2, Unterpunkt „a“). Diese

                                                                                           11
Programme sind keine unterschiedlichen Stufen der mittleren Berufsausbildung. Im ersten Fall
erwerben die Auszubildenden einen Beruf, im zweiten einen Beruf mit Spezialisierung.
Innerhalb einer Bildungseinrichtung gibt es flexible Bildungswege und Auszubildende können
während der Ausbildung das Programm wechseln. (in der Tabelle 4 im Anhang sind Beispiele
aufgeführt).

Eine solche Teilung der Ausbildungsprogramme der mittleren Berufsausbildung entstand erst
im Jahr 2012 nach Inkrafttreten des Föderalgesetzes Nr. 273-FZ. Während früher eine weitere
Stufe der Berufsausbildung existierte – die berufliche Grundausbildung (NPO, Natschalnoje
professionalnoje obrasowanije), die als einzelne Stufe gegenwärtig fehlt, so ist diese
gegenwärtig faktisch in die mittlere Berufsausbildung (SPO) integriert. Dem Wesen nach sind
die Programme zur Ausbildung qualifizierter Arbeiter (Angestellte), die früher nicht typisch für
die mittlere Berufsausbildung waren, ein vollständiges Analog der früher existierenden
Programme der beruflichen Grundausbildung.

Außerdem erfolgten auch wesentliche Änderungen bei der Klassifizierung von Einrichtungen
der mittleren Berufsausbildung. Früher teilten sich die Einrichtungen der beruflichen
Grundausbildung ausgehend von den erworbenen Qualifikationen der Absolventen in
Berufsschulen (alter Begriff PTU – professionalnoje technitscheskoje utschilischtsche) und
Berufslyzeen.   Die Einrichtungen der mittleren Berufsausbildung (alter Begriff „mittlere
technische Berufsausbildung“) wurden Technikums genannt. Eine solche Trennung war mit
Finanzierungsfragen verbunden. Die meisten mittleren Bildungseinrichtungen heißen
heutzutage Colleges (dieser Begriff wurde in den 90ern Jahren eingeführt). Jedoch haben viele
Einrichtungen in ihrer Bezeichnung das Wort „Technikum“ usw. als Tribut an die historische
Tradition beibehalten.

Im Rahmen der beruflichen Bildung gibt es Fortbildungsmöglichkeiten wie z. B.
Ressourcenzentren der Unternehmen, die Zertifikate über den Erhalt der zusätzlichen
Ausbildung ausstellen. Nach der beruflichen Ausbildung haben die Absolventen verschiedene
Weiterbildungsmöglichkeiten.        Zu   diesen   gehören    zusätzliche    Ausbildungen      in
Schulungszentren der Unternehmen, Weiterbildungskurse, Teilnahme an professionellen
Wettbewerben (z. B. Worldskills) oder ein weiterführendes Studium.

Personen, die eine mittlere Berufsausbildung abgeschlossen haben, haben die Möglichkeit zum
Erwerb eines Hochschulabschlusses. Ebenso wie die Absolventen von Schulen werden die
Absolventen     von   beruflichen    Ausbildungseinrichtungen    in   das   erste   Studienjahr

                                                                                             12
eingeschrieben. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass für Schulabgänger
das Ablegen des einheitlichen Staatsexamens in den entsprechenden Fächern die einzige
Variante   des   Eintritts     in   eine   Hochschuleinrichtung   ist   und   Absolventen   von
Bildungsorganisationen der mittleren Berufsausbildung sowohl das genannte Examen ablegen,
wie auch die in Teil 6, § 70 des Föderalgesetzes Nr. 273-FZ vorgesehene Variante nutzen
können. Entsprechend dieser Vorschrift erfolgt die Immatrikulation zum Studium für
Bachelorstudiengänge und Vertiefungsprogramme von Personen mit mittlerer Berufsbildung
nach den Ergebnissen von Aufnahmetests, deren Form und Umfang durch die
Hochschulbildungseinrichtung eigenverantwortlich festgelegt werden.

2.2. Modernisierung der mittleren beruflichen Bildung

Laut aktuellen Schätzungen gibt es in Russland fast 4000 Berufsschulen mit beinahe 3 Mio.
Auszubildenden. 2017 gab es landesweit etwa 900 Tsd. Neueinschreibungen in Programme der
mittleren Berufsbildung. Die Mehrzahl der Einschreibungen (744 Tsd.) erfolgte in Programme
für Spezialisten der mittleren Ebene (Beispiele sind in Tabelle 4 im Anhang aufgeführt).
Gleichzeitig haben 2017 etwa 700 Tsd. Auszubildende ihre Berufsbildung erfolgreich
abgeschlossen. Die Mehrzahl der Absolventen (mit etwa 500 Tsd.) haben Programme für
Spezialisten der mittleren Ebene absolviert. Laut einer Umfrage von über 500.000 Personen im
Durchschnittsalter von 23,8 Jahren werden etwa 65% der Absolventen der mittleren
Berufsbildung angestellt und haben einen monatlichen Durchschnittslohn von etwa 22.557
Rubel (etwa 300 Euro) (vgl. Abbildung 4.) (Goskomstat (2017), Ministerium für Bildung und
Wissenschaft der Russischen Föderation (2017).

Abbildung 4. Statistik der mittleren Berufsbildung in Russland, 2017

Quelle: In Anlehnung an: Goskomstat (2017), Ministerium für Bildung und Wissenschaft der
Russischen Föderation (2017)
                                                                                             13
Die großangelegte Unterstützung des Systems der Berufsbildung auf staatlicher Ebene begann
mit dem nationalen Prioritätsprojekt „Bildung“ im Jahr 2005, als den Regionen Mittel für die
Modernisierung des Bildungssystems zugeteilt wurden.

Einige Jahre später (2013) wurde durch das Bildungsministerium die „Strategie zur
Entwicklung des Systems der Ausbildung von Fachkräften und zur Herausbildung von
angewandten Qualifikationen in der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020“ gebilligt.
Dieses Dokument bestimmt die Politik des Staates im Bereich Berufsbildung. Neben der
Vervollkommnung der materiell-technischen und technologischen Basis der mittleren
beruflichen Bildung nennt die Strategie als eine ihrer wichtigen Richtungen die Entwicklung
eines Organisations- und Wirtschaftsmechanismus zur Modernisierung des beruflichen
Ausbildungssystems. Grundlage der Strategie ist dabei die staatlich-private Partnerschaft
zwischen staatlichen Stellen, Betrieben und Bildungseinrichtungen (Ministerium für Bildung
und Wissenschaft der Russischen Föderation (2013).

Im Jahr 2014 wurden die föderalen Bildungsstandards für das System der mittleren beruflichen
Bildung angenommenen. Diese setzen die Modernisierung der Infrastruktur und eine
Qualifizierung des Lehrpersonals voraus. Die neuen Bildungsstandards vereinbaren sich mit
Standards des internationalen Wettbewerbs der beruflichen Meisterschaft WorldSkills
International (ausführliche Informationen zum Wettbewerb siehe Kapitel 3.2).

Am 3. März 2015 wurde im Auftrag des Präsidenten der Russischen Föderation die Verordnung
vom 4. Dezember 2014 der Regierung der Russischen Föderation festgelegt, die eine weitere
Reihe von Maßnahmen voraussieht, die auf die Modernisierung des Systems der mittleren
beruflichen Bildung für die Jahre 2015-2020 gerichtet sind. Die Maßnahmen setzten die
konsequente Einführung eines praxisorientierten (dualen) Ausbildungsmodells ins System der
mittleren Berufsausbildung voraus (Komplex der Maßnahmen, die auf Modernisierung des
Systems der mittleren beruflichen Bildung für die Jahre 2015-2020 gerichtet sind, genehmigt
durch den Erlass der Regierung der Russischen Föderation am 3. März 2015 Nr. 349-р).

Durch den Rat beim Präsidenten der Russischen Föderation für strategische Entwicklung und
vorrangige Projekte wurde 2017 das Projekt „Fachkräften für fortschrittliche Technologien“
(„Ausbildung von hochqualifizierten Fachkräften unter Berücksichtigung moderner Standards
und fortschrittlicher Technologien“) gebilligt. Die Realisierung dieses Projekts sieht eine
Erhöhung der Absolventenzahl in Bildungsorganisationen vor, welche Programme der
mittleren beruflichen Bildung realisieren. Das Ziel der Absolventenzahl beläuft sich auf bis zu

                                                                                            14
50.000 Personen bis zum Jahr 2020 mit einem Ausbildungsniveau, das den Anforderungen des
WorldSkills-Standards entspricht (Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Russischen
Föderation (2017a)).

Im Zusammenhang der Modernisierung der mittleren Berufsbildung ist Deutsch-Russische
Kooperation im Bereich der dualen Berufsbildung zu betonen. Der Schwerpunkt der
Zusammenarbeit liegt in den letzten Jahren auf zwei Projekten, die unmittelbar auf die
Implementierung der dualen Ausbildung in Russland unter Berücksichtigung der deutschen
Erfahrung gerichtet sind. Diese Projekte sind: „Regionaler Standard zur personellen
Sicherstellung des Industriewachstums“ der Agentur für Strategische Initiativen (ASI) und
VETnet der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Unterstützt werden die
Projekte durch das Bundesinstitut für Bildung und Forschung (FIRO) und das Bundesinstitut
für Berufsbildung (BIBB) (Diese Projekte werden im Kapitel 4.3. genauer betrachtet).

2.3. Finanzierung

Die Ausgaben des Gesamthaushalts der Russischen Föderation im Jahr 2016 in den
Bildungssektor betrugen 3.058,98 Milliarden Rubel. Dabei betrugen die Ausgaben des
föderalen Haushalts für Bildung 564,31 Milliarden Rubel (9,18 %).

Der größte Teil des Gesamthaushalts entfiel auf die „Schulbildung“, die hauptsächlich aus den
Mitteln des regionalen Haushalts finanziert wird (1.442,88 Mrd. Rubel (47,17%)). Die
Ausgaben aus dem Gesamthaushalt für mittlere Berufsbildung betrugen 199,16 Milliarden
Rubel, was 6,5 % des für die Bildung zugeteilten Gesamtbetrags im Jahr 2016 entspricht (vgl.
Abbildung 5.).

Die mittlere Berufsbildung wird größtenteils aus Mitteln des regionalen Haushaltes finanziert,
wobei die Ausgaben für Hochausbildung und postgraduale Weiterbildung hauptsächlich mit
den Mitteln des Föderalhaushalts abgedeckt werden. (Ministerium für Bildung und
Wissenschaft der Russischen Föderation (2016)).

Der größte Teil der Ausgaben für mittlere berufliche Bildung kommt auf den laufenden Kosten
der Bildungseinrichtungen (Stipendien, Löhne für die Lehrer, kommunale Ausgaben usw.) Die
Ausgaben    für   die   Entwicklung     der   materiellen   und     technischen   Basis   der
Berufsbildungseinrichtungen (inkl. Umbauarbeiten und Ausstattung mit modernen Anlagen)
betrugen beispielsweise im Jahr 2015 nur 5% der Gesamtausgaben (Ministerium für Bildung
und Wissenschaft der Russischen Föderation (2016)).

                                                                                           15
In Russland besteht ein Anrecht auf Bildung. Die Einschreibung zur Ausbildung von
Ausbildungsprogrammen der mittleren Berufsausbildung erfolgt auf allgemein zugänglicher
Basis (im Unterschied zur Hochausbildung, wo die Immatrikulation auf Wettbewerbsbasis
erfolgt). Das impliziert, dass eine ausreichende Anzahl an haushaltsfinanzierten Plätze für die
Programme der mittleren Berufsausbildung für alle Auszubildenden vorhanden sein muss (und
dass    keinerlei   Anforderungen    gestellt   werden,   außer   des   Vorhandenseins     der
Hauptschulbildung). Jedoch gibt es Programme, die auf wettbewerblicher Basis zugänglich
sind.

Abbildung 5. Ausgaben des konsolidierten Haushalts der Russischen Föderation zur
Position „Bildung“ im Jahr 2016, in Mrd. Rub.

Quelle: Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation (2016a)

Die Organisation der Bereitstellung einer allgemein zugänglichen und kostenfreien mittleren
Berufsausbildung gehört sowohl zu den Kompetenzen der RF, wie auch zu den Kompetenzen
der Föderalsubjekte. Entsprechend liegen die Verpflichtungen zur finanziellen Sicherstellung
der Bereitstellung einer kostenfreien mittleren Berufsausbildung entweder bei der RF oder beim
Föderalsubjekt. (Außerdem ist für Auszubildende, die auf Kosten von Haushaltsmitteln
ausgebildet werden, die Zahlung eines staatlichen Stipendiums vorgesehen. Den
Auszubildenden werden Plätze im Wohnheim zur Verfügung gestellt. Ebenso kann es andere
Maßnahmen der sozialen Unterstützung und Stimulierung geben).

                                                                                            16
Im Jahr 2018 werden circa 1,3 Mrd. Rubel zur Förderung regionaler Programme für die
Entwicklung der Berufsbildung zugeteilt, darunter mehr als 1 Mrd. Rubel aus dem föderalen
Haushalt. Finanziert werden die folgenden Bereiche/Projekte: „Fachkräfte für fortschrittliche
Technologien“ (44 Regionen), Schaffung von Bedingungen für mittlere berufliche Bildung von
Behinderten (24 Regionen; Zuschüsse aus dem föderalen Haushalt für die Regionalhaushalte),
Schaffung von Einrichtungen der mittleren beruflichen Bildung zur Unterstützung inklusiver
beruflicher Bildung von Behinderten (52 Regionen; Ministerium für Bildung und Wissenschaft
der Russischen Föderation (2017b).

3. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die mittlere
berufliche Bildung in Russland

3.1. Demographische Entwicklung

Demographische Veränderungen haben einen wesentlichen Langzeiteffekt auf das
Bildungssystem. Nachfolgend ist der Zusammenhang zwischen der „demographischen Delle“
und der Nachfrage nach Bildung in Russland aufgezeigt (auf Grundlage einer Prognose von
Rosstat bis 2035) (Rosstat (2017a)). In diesem Kapitel wird die Gruppe der 15 bis 19-jährigen
genauer betrachtet, weil diese Altersgruppe potentielle Ausbildungsanfänger von Colleges sind.
Wie oben erwähnt wurde, kann man in Russland ins College nach der 9. Klasse (15-16 Jahre)
oder nach der 11. Klasse (16-19 Jahre) eintreten.

Zwischen 2005 und 2015 verringerte sich landesweit die Anzahl der Jugendlichen im Alter von
15 bis 19 Jahren. Die Folgen der „demographischen Delle“ Ende der 80er Anfang der 90er
Jahre, als die Geburtenzahlen in Russland ein Minimum erreichten, verspüren alle
Föderalbezirke. Im Zeitraum zwischen 2005 und 2015 hat sich die Gesamtzahl der
Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren landesweit um 55,4% verringert – von 12.032.000
auf 6.668.500 (Zentrum für demographische Forschung der Russischen Wirtschaftsschule
(2017)).

Die Verringerung der Anzahl der Jugendlichen war der Hauptgrund für die niedrigen
Einschreibungsquoten von Studierenden und Auszubildenden auf allen Bildungsebenen. Von
2005 bis 2015 haben sich die Immatrikulationszahlen in die Programme der Hochschulbildung
um 38,2 % verringert. Einschreibungen in Programme zur Ausbildung von Fachkräften der
mittleren Ebene haben sich um 18,2 % verringert, Einschreibungen in Programme der
Ausbildung von qualifizierten Arbeitern um 42,5 % (vgl. Abbildung 6.), Beispiele der
Programme der Berufsbildung siehe im Anhang in der Tabelle 4.

                                                                                           17
Abbildung 6. Dynamik der Einschreibung von Studenten und Auszubildenden nach
Stufen (Programmen) der Bildung (in Tsd.), 2005 -2015

                                                                     Hochschulbildung
                                                                     Mittlere Berufsbildung - Programm "Fachkräfte der mittleren Ebene"
 ANZAHL DER PERSONEN, IN TSD.

                                                                     Mittlere Berufsbildung - Programm "Qualifizierte Arbeiter (Angestellte)"

                                 1800         1640,5     1657,6        1681,6        1641,7
                                 1600                                                             1498,2
                                                                                                            1340,6
                                 1400                                                                                                  1205,4
                                                                                                                          1131                   1142,4
                                 1200                                                                                                                           1072,9
                                                                                                                                                                           1014,3
                                 1000         854,1
                                                         798,1             770,7
                                   800                                               703,1        694,3         705,3     659,6         656,2                    673        699
                                                                                                                                                   637
                                   600         688
                                                             630           586
                                   400                                                541          543          509       533            499      451           415,6      395,3
                                   200
                                        0
                                              2005       2006          2007          2008         2009          2010     2011           2012     2013           2014       2015

Quelle: Forschungseinrichtung für Bildung der Hochschule für Ökonomie (2017)

Abbildung 7 veranschaulicht die prozentuale Entwicklung der Einschreibungen zwischen 2005
und 2015 in Hochschulprogramme und Ausbildungsprogramme für mittlere Berufsbildung.

Abbildung 7. Einschreibungen in Ausbildungsprogramme der Hochschul- und mittleren
beruflichen Bildung (in %), 2005 - 2015

                                                      35,4                   34,2                 33,9                  33,7
                                32,3                                                                                                         31,1 30,2            31,6 32,6
                                                                                                         29,2                  28,5
                                                             25,8                   27,3
                                       21,9 22,1                    22,5                   21,4                 20,5                  19,4               19,6                   18

                                       2005                  2010                   2011                 2012                  2013              2014                    2015

                                                                     Programme der Hochschulbildung
                                                                     Mittlere Berufsbildung - Programm "Fachkräfte der mittleren Ebene"
                                                                     Mittlere Berufsbildung - Programm"qualifizierte Arbeiter (Angestellte)"

Quelle: Forschungseinrichtung für Bildung der Hochschule für Ökonomie (2017)

Die Veränderung der Studentenanzahlen in Programmen der mittleren beruflichen Ausbildung
von 2005 bis 2015 zeigte sich in den Subjekten der Russischen Föderation unterschiedlich.

                                                                                                                                                                                     18
Darauf hatten sowohl die Besonderheiten der demographischen Entwicklungen in einzelnen
Regionen als auch Unterschiede in den regionalen SPO-Systemen Einfluss.

Die Verringerung der Anzahl der Auszubildenden der Berufsschulen zwischen 2005 und 2015
(vgl. Abbildung 8.) betrug im Föderalbezirk Nordwest 33,5% (von 379.000 auf 252.000), im
Zentralen Föderalbezirk 34,3 % (von 913.600 auf 600.000 Studenten), im Föderalbezirk Süd
22,8 % (von 390.300 auf 301.000), im Föderalbezirk Nordkaukasus 5,9% (von 174.800 auf
164.000), im Föderalbezirk Wolga 34,4 % (von 997.200 auf 655.000), im Föderalbezirk Ural
32,8% (von 414.300 auf 278.000), in den Föderalbezirk Sibirien 30,4 % (von 628.300 auf
438.000), im Föderalbezirk Ferner Osten 28% (von 202.500 auf 146.000).

Abbildung 8. Veränderung der Anzahl der Auszubildenden der mittleren Berufsschulen
im Jahr 2015 gegenüber 2005 nach Föderalbezirken

                    1200000

                    1000000

                      800000

                      600000

                      400000

                      200000

                            0
                                                                                              Föderalbe               Föderalbe
                                  Zentraler   Föderalbe   Föderalbe               Föderalbe
                                                                      Föderalbe                  zirk     Föderalbe     zirk
                                  Föderalbe     zirk        zirk                     zirk
                                                                      zirk Ural                Ferner      zirk Süd   Nordkauk
                                    zirk       Wolga      Nordwest                 Sibirien
                                                                                                Osten                   asus
   2005                            913600      997200      379000      414000      628300      202500      390300      174800
   2015                            600000      655000      252000      278000      438000      146000      301000      164000
   Veränderung (2005-2015 in %)     34,3        34,3        33,5        32,9        30,3        27,9        22,9         6,2

Quelle: Forschungseinrichtung für Bildung der Hochschule für Ökonomie (2017)

Es wird eine Änderung des demographischen Trends erwartet. Diese Prognose begründet sich
auf Basis der Daten der Russischen Föderation zu Geburten und Sterbefällen (RosBRiS)
(Zentrum für demographische Forschung der Russischen Wirtschaftsschule (2017). Wie aus
den Prognosedaten folgt, erwarten alle Regionen bis zum Jahr 2030 ein demographisches
Wachstum für die Gruppe der 15 bis 19-jährigen (vgl. Abbildung 9.). Demnach wird die
Gesamtzahl der Jugendlichen in diesem Alter in der Russischen Föderation bis zum Jahr 2030
auf 8.951.600 ansteigen.

                                                                                                                                  19
Gemäß der Studie können die Folgen der „Demografischen Delle“ jedoch nicht endgültig
überwunden werden. 2030 wird die Zahl der Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren nur
74,4 % des Niveaus von 2005 betragen.

Abbildung 9. Prognose zur Änderung der Anzahl der Jugendlichen im Alter von 15 – 19
Jahren für die Jahre 2016 – 2030 nach Föderalbezirken, in % zu 2005

Quelle: Zentrum für demographische Forschung der Russischen Wirtschaftsschule.
Russländische Geburten- und Sterbe-Datenbank (RosBRiS) (2017)

Gemäß der Prognose wird sich die Anzahl der Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren
am meisten in den folgenden Regionen bis 2030 gegenüber dem Niveau von 2005 zuwachsen:
Republik Tschetschenien (124,2%), Republik Tuwa (110,7%), Republik Altai (108,4%),
Republik Inguschetien (97,9%), Autonomer Kreis der Chanten und Mansen (96,3%), Gebiet
Tjumen (91,9%), Verwaltungsbezirk der Jamal-Nenzen (88,8 %), Republik Dagestan (88,0%)
Autonomer Kreis der Nenzen (87,5%), Republik Sacha (83,6%), Republik Chakassien (83,4%),
Republik Burjatien (81,2%), Stadt Sankt-Peterburg (81,0%), Moskauer Gebiet (80,6%), Region
Krasnodar (80,6%), Region Nowosibirsk (80,5%), Region Swerdlowsk (80,4%), Region
Astrachan (80,2%), Republik Nord Osetia (79,3%), Stadt Moskau (79,1%) (vgl. Abbildung 9.).

3.2. Image der mittleren beruflichen Bildung und die gefragtesten Berufe

In den 90-er Jahren gab es in Russland einen starken Imageverlust der mittleren Berufsbildung
und der Arbeitsberufe. Die Gründe dafür sind: (i) schlechter Ruf der mittleren
Bildungseinrichtungen, (ii) relativ niedrige Arbeitslöhne1, (iii) Schwierigkeiten mit dem

1
 aktuell beträgt der Durchschnittslohn der Arbeiter ca. 12-37 Tsd. Rub. (ca. 180-555 Euro) (Rosstat 2016,
2017b)
                                                                                                            20
Berufseinstieg nach Beendigung der Ausbildung, (iv) fehlende Perspektive für berufliche
Weiterentwicklung, (v) schwierige und oft gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, (vi)
unsicherer Arbeitsplatz aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Gegebenheiten.

Heutzutage verbessert sich die Situation allmählig aber sie ist noch weit vom Wunschbild
entfernt. Laut der Umfrage von WZIOM (Gesamtrussisches Zentrum für öffentliche
Meinungsforschung), an der 1800 Befragte teilgenommen haben, bevorzugen lediglich 10 %
der Befragten Arbeiterberufe für ihre Kinder. Als attraktivste Berufe wurden Arzt,
Militärangehöriger und Jurist genannt. (WZIOM 2017). Eine weitere Umfrage zum Thema
zeigte, dass nur 1% der Befragten Arbeiterberufe als perspektivreiche Berufe einschätzen
(WZIOM 2017a).

Die Russische Staatliche Soziologische Universität hat 2015 eine Analyse zum Thema Image
der mittleren beruflichen Bildung durchgeführt, die auf der Befragung von 430
Schulabsolventen der 9. bzw.11. Klasse und ihren Eltern basiert. Die Analyse zeigte, dass das
Image der Berufsbildung in Russland insgesamt als „negativ-neutral“ bewertet wird. Die
Umfrage hat auch gezeigt, dass mehr Schulabgänger nach der Hauptschulbildung (50% der
Befragten) den Weg der mittleren Berufsbildung gehen verglichen mit Schulabgängern der 11.
Klasse (19% der Befragten) (Eronin 2015).

Es werden in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen durchgeführt, die auf eine
Imageverbesserung ausgerichtet sind. Zu den wichtigsten gehören der internationale
Wettbewerb World Skills, die Förderung der TOP-50 gefragtesten Arbeiterberufe oder die
duale Ausbildung (Liste der TOP-50 gefragtesten Arbeiterberufe siehe in Tabelle 3 im
Anhang).

Ein wichtiger Schritt in Richtung Imageverbesserung der Arbeiterberufe wurde 2012 gemacht,
als Russland zum Teilnehmer des internationalen Wettbewerbs WorldSkills wurde. Damals
wurde festgestellt, dass die Produktivität der russischen Arbeitnehmer niedrig verglichen mit
dem Weltniveau ist. Fünf Jahre später gab es einen großer Vorschritt - Russland hat in der
Mannschaftswertung der Weltmeisterschaft zur beruflichen Exzellenz WorldSkills 2017 in Abu
Dhabi gewonnen. Im Jahr 2019 findet das internationale Turnier WorldSkills zum ersten Mal
in Russland statt. Als Durchführungsort wurde die Stadt Kasan gewählt. Für Russland ist es ein
erneuter Anlass, das System der mittleren beruflichen Bildung zu optimieren.

Neben der Organisation und Durchführung von Wettbewerben zur beruflichen Exzellenz
beinhalten die Tätigkeiten der Organisation WorldSkills in Russland die Formierung eines
Expertenrates zu Fragen der beruflichen Ausbildung, die Erforschung neuester Tendenzen in
                                                                                           21
den wichtigsten Branchen der Industrie und die Ermittlung von gefragten Fertigkeiten und
Kompetenzen (Projekt Future Skills), die Durchführung von Demonstrationsexamina nach
WorldSkills-Stands (seit 2016) und die Beratung und Weiterbildung von Lehrkräften
(Akademie WorldSkills; WorldSkills Russia 2018).

Eine weitere Maßnahme zu Imageverbesserung der mittleren Berufsbildung ist die duale
Berufsbildung – eine moderne praxisorientierte Ausbildungsmethode, die den Auszubildenden
schon am Anfang der Ausbildung eine Möglichkeit gibt, sich mit dem Produktionsprozess und
einem bestimmten Arbeitsplatz im Unternehmen bekannt zu machen. Die Prinzipien der dualen
Ausbildung werden in Russland heute hocheingeschätzt und bekommen immer mehr
Anerkennung von der Regierung, Bildungseinrichtungen und modernen Betrieben.

Die Attraktivität von einzelnen Arbeiterberufen für Jugendliche steigern vor allem solche
Faktoren wie relativ hohes Einkommen bei Beginn der Berufstätigkeit und die Möglichkeiten
für berufliche Entwicklung. Unter den Berufen, die diese Faktoren aktuell erfüllen und die
dementsprechend gefragt sind, können die folgenden genannt werden: Koch/ Konditor,
Automechaniker,     Schweißer,   Meister    für   Bauarbeiten,   Traktorist/   Maschinist   für
Landwirtschaft, Meister Innenausbau, Elektromonteur für die Reparatur und Wartung von
elektrischen Anlagen, PKW-Schlosser, Friseur, Verkäufer/ Controller /Kassierer (vgl. Tabelle
4 im Anhang). Oft haben die Absolventen, die diese Berufe erworben haben, sogar ein höheres
Einkommen als einige Hochschulabsolventen.

Laut Angaben des Ministeriums für Bildung und Forschung gibt es in Russland ca. 600 Berufe
und Spezialisierungen (seit Ende 2017 wird die Liste der Berufe und Spezialisierungen
aktualisiert), die man in mittleren beruflichen Schulen erwerben kann (Ministerium für Bildung
und Wissenschaft der Russischen Föderation (2016).

Im Jahr 2016 hat das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik eine Liste der gefragtesten
Berufe und von neuen und perspektivvollen Berufen für den Zeitraum bis 2020 (TOP-50)
erstellt, welche mittlere berufliche Bildung erfordern (vgl. Tabelle 3 im Anhang).

Diese Liste ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Maßnahmen-Katalogs, der auf die
Modernisierung des Systems der mittleren beruflichen Bildung gerichtet ist und durch eine
Regierungsverordnung im März 2015 im Rahmen der Umsetzung der „Mai-Dekrete“ nach der
Botschaft des Präsidenten Russlands an die Föderalversammlung gebilligt wurde (Weisung
des Arbeitsministeriums Russlands Nr. 831 vom 2. November 2015).

                                                                                            22
Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik führt jährlich Umfragen und Studien zu den
gefragtesten und am besten bezahlten Branchen und Berufen durch. Laut den letzten
Ergebnissen dieser Umfragen benötigten Arbeitgeber im Jahr 2017 hochqualifizierte Fachkräfte
in den Bereichen Fertigung (metallverarbeitende und Maschinenbaufertigung), Bauwesen und
Transport, Gesundheitswesen, Wissenschaft, Technik, Bildung, humanitärer Bereich,
Fachleute in den Bereichen Recht und Kultur. Die gefragtesten Arbeiterberufen sind
Verfahrenstechniker, Techniker für Betriebsdienst und Wartung von Ausrüstungen,
Servicetechniker für CNC-Werkzeugmaschinen und Maschinen- und Anlagentechniker.

Die Prognose zur Entwicklung des Arbeitsmarktes bis 2030 ist auch im „Atlas der neuen
Berufe“ dargestellt (Atlas von neuen Berufen 2014). Mit der Ausarbeitung dieses Projekts
haben sich die Agentur für strategische Initiativen (ASI) und die Moskauer Managementschule
Skolkowo beschäftigt. Die Forscher haben 136 neue Berufe genannt, die bis zum Jahr 2030
entstehen können. Darunter sind die folgenden Arbeiterberufe erwähnt, die mittlere berufliche
Bildung erfordern:

   •   Fachkraft für lokale Energieversorgungssysteme
   •   Energieprüfer
   •   Einrichter/ Controller Stromnetze für dezentrale Energetik
   •   Bediener für automatisierte Transportsysteme
   •   Techniker für intermodulare Transportlösungen
   •   Technologe für Recycling von Fluggeräten
   •   Verfahrenstechniker
   •   Planer für 3-D Druck im Bauwesen

Neben den Forschern von Skolkowo haben Experten der Organisation WorldSkills Russland
ihre Prognose vorgestellt. Sie richten Ihr Hauptaugenmerk auf Fertigkeiten und Kompetenzen,
die für die Berufe der Zukunft erforderlich sein werden. Ihrer Meinung nach wird sich das
Wesen der Ausübung vieler Berufe im Zusammenhang mit dem Entstehen neuer Ausrüstungen,
neuer Werkstoffe und mit der Digitalisierung ändern, was die Ausführung von physischen
Arbeitsgängen durch die Fachkräfte spürbar verkürzt und das schöpferische Element aller
Berufe erhöht (WorldSkills (2017).

                                                                                          23
4. Duale Berufsbildung in Russland

4.1. Definition und wichtigste Prinzipien

Die duale Berufsbildung versteht sich in Russland, wie auch in Deutschland, in der Regel als
eine Art der beruflichen Bildung, bei welcher der praktische Teil der Ausbildung in einem
Betrieb erfolgt und ein Teil der Ausbildung in einer (partnerschaftlichen) Bildungsorganisation.
Die duale Berufsbildung als System existiert in Russland nicht, da der Begriff nicht in der
föderalen Gesetzgebung definiert ist (ausführlicher siehe Kapitel 4.2.).

Man unterscheidet zwei Definitionen des Begriffs duale Berufsbildung in Russland:

1.   Im engeren Sinne ist die duale Berufsbildung eine Organisations- und Umsetzungsform
     des Bildungsprozesses, bei welcher der theoretische Teil der Ausbildung in einer
     Bildungsorganisation erfolgt und der praktische Teil in einem Betrieb. In diesem Sinne
     wird in Russland der Begriff der dualen Berufsbildung auch als eine Form des Praktikums
     verstanden, die zu keinen Veränderungen im System der mittleren Berufsbildung auf
     regionaler Ebene führt.

2.   Im weiteren Sinne ist die duale Berufsbildung ein regionales Infrastrukturmodel. Diese
     erfordert die Kooperation zwischen Staat, Unternehmen bzw. Branchencluster und
     Bildungseinrichtungen (durch einen Koordinator wie z.B. der IHK) und das
     Zusammenwirken der folgenden Systeme (vgl. Abbildung 1 und 2): mittlere
     Berufsbildung,     Prognostizierung      des     Personalbedarfs,      Berufsorientierung,
     Beurteilungssystem (unabhängige Qualifikationsbewertung), Ausbildung der Lehrer und
     Ausbilder.

     Das Zusammenwirken der Systeme wird durch ein kollegiales Verwaltungsorgan in einer
     Region reguliert. Ein System beeinflusst das andere und alle zusammen bilden sie das
     Model der dualen Ausbildung (ASI 2016, Esenina 2015).

                                                                                             24
Abbildung 10. Duale Ausbildung als regionales Infrastrukturmodel und seine Bausteine

Quelle: in Anlehnung an: ASI (2015)

Abbildung 11. Traditionelles Modell vs. Zielmodel

Quelle: ASI (2016)

                                                                                  25
Prognostizierung des Personalbedarfs

Das System der Prognostizierung des Personalbedarfs (auf regionaler Ebene, branchenbezogen)
setzt voraus, dass die Regierung, Bildungseinrichtungen und Unternehmen den Personalbedarf
für 3 bis 7 Jahre prognostizieren. Die langfristige Planung des Personalbedarfs ermöglicht die
Ausbildungsrichtung zu bestimmen und die Ausbildungsprogramme dementsprechend zu
gestalten.

Berufsorientierung

Die Berufsorientierung dient dazu, die Interessen der Auszubildenden mit den Interessen der
Wirtschaft zusammenzubringen. Die Berufsorientierung soll möglichst früh anfangen (in
Deutschland fängt man schon ab der 5. Klasse an). Das System der Berufsorientierung kann zur
Entwicklung der dualen Berufsbildung beitragen, indem die Auszubildenden eine für sich
ideale Berufswahl treffen (und somit langfristig bei einem Unternehmen verbleiben).

Beurteilungssystem

Es wurde festgestellt, dass die Prozedur der Bewertung der Qualifikation (Fähigkeiten und
Fertigkeiten der Auszubildenden, Struktur und Qualität der Ausbildungsprogramme) eine der
wichtigsten Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung der dualen Berufsbildung ist.

Um die Bewertung der Qualifikation auf föderalen Ebene festzulegen ist das Föderalgesetz
"Über die unabhängige Qualitätsbewertung" erarbeitet, das am 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist
(FZ Nr. 238-FZ vom 03.07.2016).         Das Gesetz sieht die Schaffung eines Systems der
unabhängigen Qualifikationsbewertung gemäß professionellen Standards durch die folgenden
Organisationen vor: Nationalrat, Nationale Agentur für die Entwicklung von Qualifikationen
(NARK), Rat für berufliche Qualifikationen (SPK), Zentren für die Bewertung von
Qualifikationen,   Arbeitgeber/   Arbeitgeberverbände/     Gewerkschaften      und    föderales
Exekutivorgan. (FZ Nr. 238-FZ vom 03.07.2016, Artikel 3). Für die Koordinierung des
Systems      der   unabhängigen     Qualifikationsbewertung     ist   der    Nationalrat    für
Berufsqualifikationen bei dem Präsidenten Russlands zuständig. Für die Organisation der
Qualifikationsbewertung für einzelne Branchen sind die entsprechenden Räte für berufliche
Qualifikationen (SPK) verantwortlich.

                                                                                            26
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