Medien für eine erneuerbare Energieversorgung - ISBN 978-3-00-055800-9
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Medien für eine erneuerbare 2 3 Energieversorgung Medien für eine erneuerbare Energieversorgung e-transform ISBN 978-3-00-055800-9
Impressum Inhalt Herausgeber Vorwort ……………………………………………………………………………………………………………………………………… 4 Christiane Hipp, Claus Kaelber, Jens Müller Februar 2017. Die Rechte der Beiträge liegen bei den jeweiligen Autoren Die regionale Energiewende gestalten ……………………………………………………………………………………………… 6 Michael Voll VIP Hochschule Augsburg und Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg Zukunft herstellen ………………………………………………………………………………………………………………………… 8 Kati Hannken-Illjes Gestaltung/Satz Jens Müller nach einem Konzept von Lisa Borgenheimer Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen …………………………………………………………………………………………16 Tillmann Damrau, Claus Kaelber Grafik Florian Pömmerl Die Energiewende vorleben ……………………………………………………………………………………………………………26 Matthias Kunert ISBN 978-3-00-055800-9 Die Energiewende verständlich vermitteln …………………………………………………………………………………………30 Sebastian Kreuz Herstellung Longo, Augsburg Perspektiven der Energiewende ………………………………………………………………………………………………………42 Jens Müller, Florian Pömmerl, Faruq Suriaganda, Mike Zauner, Danijel Zambo Bonjour Energiewende ……………………………………………………………………………………………………………………48 Volker Lüdecke Mephisto und die weise Frau …………………………………………………………………………………………………………62 Volker Lüdecke Hochschule Augsburg Kommunikationsbaukasten Energiewende …………………………………………………………………………………………78 University of e-transform Applied Sciences Autorinnen und Autoren …………………………………………………………………………………………………………………90
Vorwort 4 5 Weil Begründungen und Argumentationen der Energie- Designdienstleistungen zum Transport vorgegebener Inhal- Das Spiel ist als Serie von interaktiven Erzählsträngen in ei- Unser Dank gilt an der Brandenburgischen wende nicht nur fachliche, sondern auch lebensweltliche te, sondern vielmehr um ein gestalterisch-experimentelles nem ökologischen Stadtquartier konzipiert, realisiert wur- Technischen Universität allen Kolleginnen Aspekte berühren, ist die Kommunikation symbolisch auf- Arbeiten an medialen Formaten. In Anlehnung an die leit- de ein Vormittag im Leben einer Quartiersbewohnerin und Kollegen, die uns inhaltlich und orga- geladen und auf unterschiedliche Sinnzusammenhänge fadengeführten Interviews, die Claus Kaelber im Rahmen (Jens Müller et al: Perspektiven der Energiewende, S. 42; nisatorisch unterstützen. Vor allem Frau ausgerichtet. Sie erreichte einerseits eine Befriedung in von e-transform mit Persönlichkeiten führte, die die Ener- Volker Lüdecke: Bonjour Energiewende. S. 48). Mattauch ist uns eine sehr große Hilfe bei einem lang schwelenden gesellschaftlichen Streit um die giewende aus unterschiedlichen Motiven heraus als eine Für den Regionalverband FrankfurtRheinMain schrieb der allen Fragen und Vorgängen rund um die Risiken und Folgen von Energieerzeugung, eröffnet aber Erfolgsgeschichte betrachten, entstanden unter Leitung Berliner Autor Volker Lüdecke ein Theaterstück, das am En- finanzielle Abrechnung des Projektes. auch neue Konfliktfelder, deren Fronten manchmal sehr des Filmemachers Matthias Kunert zusammen mit Studi- gagement für Energiewende, Umweltschutz und Klima mit unübersichtlich verlaufen und unser Selbstverständnis von engruppen an der Hochschule Augsburg mehrere Kurzfil- der zynischen Position eines Mephisto zweifelt. Doch die Unser Dank gilt an der Hochschule Augsburg entwickelter Industriekultur, das Versprechen von wach- me über die Energiewende flankierende Lebensstile und „weise Frau“ widersteht der Versuchung und bleibt ihren der tatkräftigen Unterstützung durch Präsi- sendem Wohlstand, das soziale Gerechtigkeitsempfinden zur Attraktivität der mit dem Wandel einhergehenden Opti- humanen Idealen treu und erkennt die Zuneigung ihres M dent Prof. Dr. Gordon Rohrmair, Gabriele it der Energiewende wurde ein ambitionier- und den Anspruch auf eine lebenswerte Umwelt bis hin onen (Matthias Kunert: Die Energiewende vorleben. S. 26). Freundeskreises (Volker Lüdecke: Mephisto und die weise Schwarz als Leiterin des Institutes für Tech- tes gesellschaftliches Modernisierungsvorha- zu einer als schön empfundener Landschaft berühren. Im Neben dem Vorbildcharakter unternehmerischer und per- Frau, S. 62). nologietransfer und Weiterbildung, Anette ben begonnen, dessen Details in ständiger Ver- Diskurs der Transformation entspinnen sich kontingente sönlicher Initiativen bleibt die anschauliche Darstellung Der vorliegende dritte Band des Projektes e-transform ver- Holzmann von der Abteilung für Personal handlung begriffen sind. Sie ist in Herausforderungen wie Erzählfäden, es verdichten sich Überzeugungen und verfes- komplexer Sachverhalte eine klassische Aufgabe pädago- sammelt zum Schluss verschiedene Teilprojekte des Kom- und Recht, Alexander Hofmann von der Klimawandel, Digitalisierung und Sharingökonomie einge- tigen sich Interpretationen des Wahrgenommen (vgl. Kati gisch motivierter aufklärender Information. Schautafeln munikationsbaukastens, die auch auf einer eigens konzi- Haushaltsabteilung sowie an der Fakultät bunden und beschränkt sich daher nicht nur auf energie- Hannken-Illjes: Zukunft herstellen. S. 8ff). und Informationsgrafiken sind ein etabliertes Medium, pierten Ausstellung in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin im für Gestaltung dem Dekan Professor Andreas wirtschaftliche Umbaumassnahmen, vielmehr reicht sie Vor diesem Hintergrund wird die kulturelle Dimension der um abstrakte Zusammenhänge in einer merk- und lesba- Juli 2016 gezeigt wurden (Projekte des Kommunikations- Kunert sowie Herrn Uli Amann. bis in die alltäglichen Gewohnheiten hinein. Bestehende Energiewende immer deutlicher. Die ethischen Imperati- ren Form als Fundierung eines sachorientierten Diskurses baukastens. S. 78). und scheinbar bewährte Funktionsweisen werden in Fra- ve der Energiewende verschmelzen mit deren ästhetischer bereitzustellen. Der von Sebastian Kreuz konzipierte und Unser aller Dank gilt dem BMBF für die finan- ge gestellt, neue technische Verfahren, Erlösmodelle und Inszenierung und Wahrnehmung. Der Transformations- in infografischem und filmischem Format umgesetzte Zeit- zielle Unterstützung und dem DLR für die stets Lebensstile sind erst noch zu erproben. prozess berührt die individuellen Gestaltungsräume und strahl zur Energiewende sensibilisiert für die historische Di- kompetente und freundliche Begleitung in Die Energiewende gelingt, obwohl sie gut begründet ist kann als einengend oder aber als Einladung zum kreati- mension des Vorhabens (Sebastian Kreuz: Die Energiewen- allen Fragen der Koordination, der Mittelver- und technisch wie ökonomisch machbar ist, nicht selbst- ven, selbstbestimmten Handeln verstanden werden. Die de verständlich vermitteln. S. 30). wendung und der Vernetzung. verständlich. Sie ist auf einen gesellschaftlichen Konsens mit der Energiewende verbundenen Ängste, Herausforde- Zentraler Bestandteil des e-transform-Kommunikations- angewiesen und nicht allein auf der Fachebene durch- rungen und Potentiale treffen auf Weltkonstitutionen und baukastens ist ein Serious Game, das die unterschiedli- setzbar. Vor allem ist sie kein monolithisches Einzelprojekt Milieus mit je eigenen medial vermittelten narrativen Ge- chen Zugänge zur Energiewende in acht Figuren personi- sondern geschieht im Zusammenwirken von Steuerungs- wohnheiten, Aufmerksamkeiten und Artikulierungsmög- fiziert. Das von Jens Müller geleitete Game-Team an der massnahmen und regionalen Initiativen. Für das Projekt lichkeiten (vgl. Tillmann Damrau und Claus Kaelber: Den Hochschule Augsburg macht in seinem Adventure alltägli- e-transform war es deshalb konsequent, als Praxispartner Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. S. 16ff). che Widersprüche erlebbar. Innerhalb der Bedingungen zwei Metropolregionen zu gewinnen, die vielfältige Zugän- Im Verbundprojekt Projekt e-transform haben wir die me- eines beruflichen und privaten Alltags treffen rationale ge zu lokalen Projekten eröffneten (vgl. Michael Voll: Die diale Vermittlung der Energiewende als faszinierendes Argumente und das Vorhaben einer energiebewussten Le- regionale Energiewende gestalten, S. 6f). Aufgabenfeld betrachtet. Dabei ging es vorrangig nicht um bensweise auf Ansprüche an Lebensqualität und Komfort.
Die regionale Energie- 6 7 wende gestalten D er Regionalverband FrankfurtRheinMain und die gibt zudem einen Ausblick, wie der Prozess der regionalen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vor große technolo- damit Gefahr, als belehrend und oft wenig ansprechend Stadt Frankfurt am Main gestalten gemeinsam Energiewende weitergeführt und organisiert werden soll. gische, ökonomische sowie soziale und kulturelle Heraus- empfunden zu werden. Emotionale Ansprachen, anschau- die regionale Energiewende: Sie übernehmen das Ein entscheidender Punkt für die Umsetzung ist die Pro- forderungen stellt. Sie darf daher nicht isoliert betrachtet liche Bilder und Erzählungen, die zielgruppenspezifisch 2011 formulierte Ziel des Landes Hessen – den Verbrauch jektierung der verschiedenen Maßnahmen durch den werden, sondern muss – zusammen mit den übrigen Fel- und auf eine kreative und fantasievolle Weise Gestaltungs- bei Strom und Wärme bis zum Jahr 2050 zu 100 Prozent Regionalverband, die Stadt Frankfurt am Main und regi- dern des Klimaschutzes (z. B. die Erhaltung und Förderung optionen („Geschichten“) für ein nachhaltiges, schönes Michael Voll aus erneuerbaren Energien zu decken – und erarbeiten onale Akteure. Für den Regionalverband gehören dazu von Kohlenstoffsenken, insbesondere Wälder und Moore) und „gutes Leben“ aufzeigen und motivieren, werden da- einen auf die örtlichen Bedingungen abgestimmten regi- beispielsweise die Etablierung und Fortentwicklung eines – in die umfassende Diskussion zur Nachhaltigkeit unseres her dringend benötigt. onalen Beitrag zu diesem Ziel. Monitorings und Berichtswesens, um die Fortschritte bei Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eingebettet werden. Die gemeinsame Arbeit in einem außergewöhnlich inter- Dabei wurde ganz bewusst ein modularer, fortlaufender der regionalen Energiewende fortlaufend bilanzieren und Dies ist im Übrigen einer der Leitsätze, den die regionalen disziplinär zusammengesetzten Projektteam aus Kommuni- Prozess gewählt: Während andere Konzepte erst nach ei- bewerten zu können. Wichtig ist zudem, das Netzwerk zur Akteure während des Beteiligungsprozesses als überge- kationsprofis, Ökonomen, Unternehmensvertretern, ner vollständigen Erarbeitung und dem entsprechenden Umsetzung der Klimaschutzziele weiter auszubauen, zu för- ordnetes Prinzip festgehalten haben. Planern und Wissenschaftlern hat sich dabei als gewinn- Beschluss in die Umsetzungsphase gehen, setzen die Ver- dern und regionale Akteure umfassend an der Realisierung Bisher kann sich diese gewaltige Transformationsaufgabe bringend herausgestellt. Gerade weil die Energiewende antwortlichen beim Regionalen Energiekonzept Frankfurt- von Projekten zu beteiligen. Ein neu entwickeltes Portal auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung stützen. Das alle Bereiche der Gesellschaft betrifft, können erfolgreiche RheinMain auf Parallelität. Schon seit dem Beginn der for- vermittelt dazu aktuelle Informationen: http://klimaener- ist jedoch – wie uns viele aktuelle gesellschaftliche Diskus- Lösungskonzepte nicht nur sektoral entwickelt werden. In mellen Zusammenarbeit von Stadt und Region im Jahr 2013 gie-frm.de sionen zeigen – bei weitem keine Gewissheit, auf der man der engen Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen wurden verschiedene Einzelbausteine fertiggestellt – etwa Ob rechtliche oder technische, soziale oder wirtschaftliche sich ausruhen kann. Es geht also um die Art und Weise, weiten sich die Blickwinkel und man lernt voneinander. die Energiesteckbriefe oder Praxisleitfäden für Kommunen Rahmenbedingungen: Die Grundlagen für eine Energie- wie der beabsichtigte Wandel gestaltet, begleitet und er- Der schließlich gemeinsam entwickelte, breit gefächerte zum Klimaschutz in der Stadtplanung und zum Aufbau von wende ändern sich ständig. Insofern ist der Prozess des klärt werden kann, um zumindest die notwendige mehr- Kommunikationsbaukasten zeigt die Breite der möglichen Wärmenetzen – mit denen direkt gearbeitet werden kann. Regionalen Energiekonzepts mit einer ersten Konzeptfor- heitliche Akzeptanz, besser aber aktive Mitwirkung und Lösungsansätze auf. Ein ganz konkretes und bereits in der Der Prozess für die Erarbeitung des Regionalen Energie- mulierung keineswegs abgeschlossen – er wird sich dyna- Mitgestaltung aller Beteiligten zu gewinnen und zu erhal- Umsetzung befindliches Projekt ist das für die Stadt Frank- konzepts FrankfurtRheinMain gliedert sich in drei Phasen: misch fortentwickeln und muss flexibel angepasst werden. ten. Eine bildhafte Sprache und schlüssige, nachvollzieh- furt entwickelte Ausstellungskonzept „e-Transformers“. Zunächst ging es ab 2013 darum, eine regionale Daten- Diese Parallelität von Umsetzung und Nachsteuerung erfor- bare Erzählungen (Narrationen) und Visionen spielen hier Hier wurde, angelehnt an den erfolgreichen Actionfilm basis zu schaffen. Ende 2014 startete dann eine intensive dert auch eine dauerhafte Einbindung regionaler Akteure. eine wichtige Rolle. „Transformers“, ein Kommunikationskonzept und eine einjährige Beteiligungsphase. 150 Experten aus 100 Insti- Denn die Gestaltung der Region FrankfurtRheinMain zu ei- Figur aus der Kampagne e-Transformers Das Projekt e-transform – bei dem der Regionalverband Kofferausstellung entwickelt, die Kinder und Jugendliche tutionen erarbeiteten in fünf Strategiegruppen zahlreiche ner klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 kann nur durch als einer der Praxispartner mitwirkte – hatte genau das mithilfe von Superhelden für Klimaschutz begeistern sol- Vorschläge. Die Öffentlichkeit wurde regelmäßig über Ver- ein intensives Zusammenwirken untereinander und mit zum Ziel: Formate und Leitbilder entwickeln, die nicht len: eine gelungene und moderne Adaption des Bilder-, anstaltungen und Publikationen informiert und eingebun- den verschiedenen Ebenen gelingen. Dafür braucht es nur auf herkömmliche Weise Informationen transportie- Sprach- und Medieneinsatzes für die Energiewende. den. Die nun laufende Phase der ersten Konzeptformulie- eine gute und zielführende Kommunikation zwischen den ren, sondern bei ganz unterschiedlichen Zielgruppen auch rung fasst die erzielten Ergebnisse zusammen und bildet Beteiligten. Begeisterung und Lust auf gelebten Klimaschutz wecken. so eine Klammer um die bisherigen Vorhaben. Bereits Die angestrebte Energiewende – als ein zentraler Bau- Denn bei der Bestandsaufnahme des Projektes konnte erstellte Einzelbausteine werden ebenso präsentiert wie stein für den Umgang mit dem Klimawandel – ist bei wei- festgestellt werden, dass die bisherige Kommunikation der die regionale Ausgangssituation sowie die energie- und tem keine rein technische Aufgabe. Sie ist vielmehr ein Wortbildmarke Regionales Energiekonzept Energiewende überwiegend auf eine sehr rationale und oft klimapolitischen Rahmenbedingungen. Das Dokument langfristiger, gesellschaftlicher Transformationsprozess, FrankfurtRheinMain technische Argumentation und Vermittlung setzt. Sie läuft
8 Zukunft herstellen Kati Hannken-Illjes Es reicht nicht aus, Gründe für oder gegen ein Handeln zu kennen, um das eigene Handeln daran auszurichten. Die Gründe müssen in ein System von „Für-wahr- Gehaltenem“ eingepasst werden können. Dieses „Für-wahr-Gehaltene“ lässt sich nicht nur über rationale Überzeugung fassen, sondern unterliegt verschiedenen Mechanismen. Drei dieser Mechanismen will ich in diesem kleinen Aufsatz ge- nauer betrachten: die Zeitlichkeit und damit die Karriere von Gründen, die Bedeu- tung von Narration im Zusammenhang mit Überzeugung und die Bedeutung von Materialität im Diskurs. // It is not sufficient to know the reasons in favor of a cer- tain action in order to engage in this action. Rather, reasons need to fit into a sys- tem of already held good reasons. The establishment and implementation of these good reasons underlie different mechanisms. Three of these mechanisms shall be at the focus of this essay: the temporal development and career of reasons, the status of narration in persuasion and the relevance of materiality in discourse.
10 11 Zukunft herstellen destabilisiert? Mit Latour (1987) interessiert mich der Pro- Aussagen und ihre Karrieren wurde eingeführt von Thomas Bäume im Protest1 zess des black boxing und der Fokus auf die „becomings“. Scheffer unter der Überschrift „Transsequentielle Analyse“ Der Weg ist mit Latour „ from final products to production, (vgl. u.a. Scheffer 2008). Dieses analytische Verfahren hat Im Januar 2012 wurden für den Umbau des Stuttgarter from ‚cold’ stable objects to ‚warmer’ and unstable ones“ Scheffer an Asylverfahren und Strafverfahren entwickelt, Hauptbahnhofs 250 Bäume im Stuttgarter Schlossgar- (Latour 1987, S. 21). Damit ist der argumentationsanalyti- also rechtlichen Verfahren, die über explizite Regeln zum ten gefällt. Was davor geschah: 1995 beschlossen die sche Blick nicht auf das Produkt, das Argument gerichtet. Scheffer Thomas (2008): Zug um Zug und Status von Aussagen verfügen und in denen es sehr klar Deutsche Bahn, die Bundesregierung, das Land Baden- “Instead, it [argumentative activity] must be seen as the Schritt für Schritt. Annäherungen an eine definierte Positionen von Anklage und Verteidigung gibt. Württemberg und die Stadt Stuttgart den Hauptbahnhof ongoing construction and management of contexts within transsequentielle Analytik. In: Herbert Kalt- Nicht umsonst ist das Rechtsverfahren oft als Blaupause umzubauen von einem Kopfbahnhof zu einem Durch- which such texts are produced, distributed, and received” hoff, Stefan Hirschauer und Gesa Lindemann für die rhetorische Theoriebildung genutzt worden, ins- gangsbahnhof, der dann unterirdisch liegen soll. Von Be- (Prior 2005, S. 137). Prior schreibt mit Bezug auf Latour: (Hg.): Theoretische Empirie. Zur Relevanz besondere für die Argumentationstheorie. Dadurch sind ginn an haben verschiedene Gruppen, in erster Linie aus “These multiple translations produced a chain of objects qualitativer Forschung. Frankfurt am Main: die Karrieren von Aussagen im (Straf-)recht sicher nicht der Umweltschutzbewegung, das Projekt in Frage gestellt. and inscriptions that together constitute the data that au- einfach vergleichbar mit Karrieren von Aussagen im öffent- Und das aus verschiedenen Gründen: Kosten, Gefahr E Suhrkamp, S. 368-398 s reicht nicht aus, Gründe für oder gegen ein Han- thorized the eventual scientific argument. This chain could lichen Diskurs (vgl. auch Scheffer, Hannken-Illjes, Kozin für das Grundwasser und damit die Mineralquellen, die deln zu kennen, um das eigene Handeln daran aus- also become a site for critique, challenge, qualification, Scheffer Thomas, Kati Hannken-Illjes, Ale- 2010), doch der grundlegende Zugriff ist ähnlich. In seiner Gefahr für den Schlossgarten als städtischem Erholungs- zurichten. Wie Welzer (2013) feststellt, scheint das and rebuttal” (Prior 2005, S. 134). Möglicherweise sagt die xander Kozin (2010): Criminal Defence and Analyse parlamentarischer Arbeit benennt Scheffer (2014, raum, die Qualitätseinbußen mit einem neuen Bahnhof. Akzeptieren von Gründen für ein bestimmtes Handeln Art der Karrieren etwas darüber aus, welche Formen der Welzer Harald (2013): Selbst denken: Eine Procedure. Comparative Ethnographies in the S. 339) die Konstellation von Situationen im Verhältnis zu Dieser Protest verblieb in den kleineren Zirkeln. Er war da, nicht auszureichen, um auch das Handeln zu bestimmen. Mobilisierung gewählt werden müssen, um die Karriere ei- Anleitung zum Widerstand. Frankfurt am United Kingdom, Germany and the United Objekten als zentral. „Der TSA (transsequentielle Analyse, aber wurde öffentlich wenig wahrgenommen. Diese Gründe müssen in ein System von „Für-wahr-Ge- ner Aussage zu ermöglichen. Main: Fischer States. Palgrave-MacMillan KHI) geht es um Situationen […] als Hort von Episoden ei- 2007 unterstützen mehr als 60.000 Stuttgarter/innen den haltenem“ eingepasst werden können. Dieses „Für-wahr- Der Begriff der Karriere beinhaltet die Frage nach verschie- nes komplexen Fertigungsprozesses […] am derart sukzes- Antrag auf einen Bürgerentscheid zu Stuttgart 21. Dieser Gehaltene“, diese endoxa, lässt sich nicht nur über ratio- denen Zeitlichkeiten. Was im Hier und Jetzt geschieht, was Latour Bruno (1987): Science in Action. Scheffer, Thomas (2014). Das Bohren der sive ausgeformten, formativen Objekt“ (Scheffer 2014, S. Antrag wurde durch die Mehrheit des Stadtrats abgelehnt. nale Überzeugung fassen. Das heißt nicht, dass rationale im Hier und Jetzt geäußert wird, kann als situativ geschöpft How to Follow Scientists and Engineers Bretter. Zur trans-sequentiellen Analyse des 340). Das Objekt kann ein Bericht, eine Pressemitteilung, Dies war der Moment, in dem der Protest nachdrücklicher Überzeugung durch gute Gründe nicht wichtig ist, sie un- und zumindest in Teilen emergent verstanden werden. Al- through Society. Cambridge Mass.: Havard Politikbetriebs. In: Jens Adam und Asta Von- ein Programm sein. Es kann aber auch eine Aussage sein, wurde und die Demonstrationen begannen. 2010 kam terliegt aber verschiedenen Mechanismen. Drei dieser lerdings unterliegt eine solche Sicht einem success bias, University Press 24, pp. 95-117 deraus (Hg.): Formationen des Politischen. die immer wieder aufs Neue von den Diskursteilnehmer/ der Beginn sichtbarer Bauarbeiten immer näher, ein- Mechanismen will ich in diesem kleinen Aufsatz genau- je nach Feld und Situation einem stärkeren oder schwä- Anthropologie politischer Felder. Bielefeld: innen bearbeitet wird und dadurch eine Vergangenheit schließlich des Abrisses von Teilen des Hauptbahnhofes. er betrachten: die Zeitlichkeit und damit die Karriere von cheren (für das Strafrecht vgl. Hannken-Illjes et al. 2007). Prior Paul (2005): Toward the Ethnography transcript, S. 335-361 hat, aber auch bestimmte Möglichkeiten für die Zukunft Nun begann eine Protestwelle, wie Stuttgart sie noch nie Gründen, die Bedeutung von Narration im Zusammen- Aussagen, die im Hier und Jetzt produziert werden können, of Argumentation. A Response to Richard eröffnet und andere unwahrscheinlicher macht oder ver- erlebt hatte. Mit „Montagsdemonstrationen“ zogen bis zu hang mit Überzeugung und die Bedeutung von Materia- haben immer schon eine Geschichte im Diskurs (es kann Andrews. Text 25 (1), pp. 129-144 1 Teile dieses Aufsatzes sind erschienen schließt. Es kann auch ein Baum sein. 50000 Teilnehmerinnen durch die Stadt. Diese Demons- lität im Diskurs. nicht mehr alles gesagt werden, der Spielraum wird klei- in Hannken-Illjes Kati (2014): On Im Folgenden werde ich an Hand eines Beispiels aus dem trationen finden immer noch statt. Im Juli 2010 kommt Wie ist es möglich, dass etwas als Argument genutzt wird? ner), und müssen dann im Hier und Jetzt den Erforder- Hannken-Illjes Kati, Livia Holden, Alex- Trees: Between the Symbolic and the Feld der Rhetorik des Protests einen Blick auf die verschie- auch die Einrichtung der Rund-um-die-Uhr Mahnwache, Welche Karriere machen Argumente? Wie wandert ein ei- nissen der aktuellen (Kommunikations-) Situation gerecht ander Kozin, Thomas Scheffer (2007): Trial Material. In Christian Kock und Lisa denen Zeitlichkeiten und ihren Einfluss auf die Mobilisie- die bis zum heutigen Tag besteht. Am 30. September 2010 gentlich gleiches Argument durch verschiedene Textsorten, werden, die aber auch die möglichen Zukünfte im Blick ha- and Error – Failing and Learning in Criminal Villadsen (Hg.): Contemporary Rheto- rung eines Arguments werfen: die Vergangenheit und ihre protestierten Bürger/innen, in erster Linie Schüler/innen, durch verschiedene Materialitäten, durch verschiedene Lo- ben muss, da das Hier und Jetzt wiederum bindende Kraft Trials. International Journal for the Semi- rical Citizenship. Leiden UP, bindenden Effekte und ihr Einfluss auf das Hier und Jetzt gegen die Fällung der Bäume im Schlossgarten. Die Polizei giken und wie wird es in diesem Prozess stabilisiert oder für diese Zukünfte produziert. Dieser analytischer Blick auf otics of Law 20 (2), pp. 159-190 S. 117-130 und die möglichen Zukünfte. setzte Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Um diese Mittel
12 13 zu rechtfertigen, verwies sie später darauf, angegriffen Gebunden an die Vergangenheit gebunden werden können und so aktualisiert werden. mit den Protestpraktiken, in die sie eingebunden wur- worden zu sein, nur um etwas später einzugestehen, dass Auffällig ist auch, dass hier narrativ argumentiert wird, den. So wird der Topos der Nützlichkeit in Gesprächen es sich bei den Angriffswaffen um Kastanien gehandelt Die Bäume im Schlossgarten haben für den Protest in persönliche Geschichten als Evidenz vorgebracht werden. häufig damit unterfüttert, dass nicht einfach abstrak- hatte. Am 1. Oktober demonstrierten zwischen 50.000 und Stuttgart eine zentrale Rolle gespielt, und das in zweier- Neben der Beständigkeit ist der Baum aber auch verbun- te Bäume abstrakt der Luftreinhaltung dienen, sondern 100.000 Menschen gegen Stuttgart 21. Der 30. Septem- lei Hinsicht: zum einen diskursiv, über Metanarrative und den mit dem Topos der Nützlichkeit, z.B. in Argumenten, dass die konkreten Teilnehmer/innen des Protests unter ber brachte einige Veränderungen für den Protest: eini- Topoi, zum anderen materiell, über die direkte Erfahrung die darauf abzielen, dass Bäume die Luft säubern. diesen konkreten Bäumen immer nach Schutz in heißen ge Gegner besetzten die verbliebenen Bäume im Schloss- der Bäume durch die Protestierenden. Der Baum ist ein Zeichen für Leben, das im Protest gegen Sommern im Stuttgarter Kessel gesucht haben. Hier wird garten und bauten Baumhäuser und Zeltunterkünfte. Die Topoi, als Fundorte von Argumenten, sind an sich neut- Stuttgart 21 häufig vermenschlicht wurde. Einige Aussage das Wissen akkumuliert über Zeit im Topos: Topoi als ge- Regierung versuchte einen Weg aus der Kontroverse zu ral, können also in einem Diskurs für verschiedene und der Stuttgarter Baumpaten zeigen dies: „Ein Baum ist ein ronnenes, verdichtetes Wissen; durch die konkreten Bäu- finden, in dem sie eine Vermittlung unter Leitung des Po- auch konträre Richtungen eingesetzt werden (vgl. u.a. Lebewesen wie Du und ich“, „das Tier, der Mensch, der me zurückgebunden, und nicht nur zurückgebunden an litikers Heiner Geißler zwischen den verschiedenen Par- Hannken-Illjes et al 2007). Topoi können Argumente ge- Baum, sie alle teilen denselben Atem“, Wer einen Baum aktuelle diskursive Praxis, sondern an Protestpraktiken, teien in Gang setzte. Die brachte jedoch kaum neue Er- nerieren, da sie als akzeptiert angenommen werden. Sie fällt – tötet – ist ein Frevler“ (www.baumpaten-schloss- die diesen Topos als Materialität, als Ding aufnehmen. gebnisse. In 2012, bereits unter der neuen grün-roten bleiben in der Regel implizit und werden eher aufgerufen garten.de). Der Baum als Motiv bringt also schon starke Das übergreifende Metanarrativ des Baumes, der wächst Landesregierung stimmte in einem Volksentscheid die denn ausformuliert. D.h. auch, nicht der Baum ist in die- Sinnzusammenhänge mit, erlaubt eine bestimmte argu- und die Luft Tag für Tag reinigt, wird aufgerufen durch Mehrheit der Bürger/innen in Baden-Württemberg und sem Fall der Topos, er ist eher das Motiv, das Thema, das mentative Nutzung und widersetzt sich anderer. eine Mikrogeschichte, die von persönlicher Erfahrung ge- auch in Stuttgart für die Weiterführung von Stuttgart 21. verschiedene Topoi aufruft. Blickt man auf den Baum im Diese Topoi lassen sich auch als Metanarrative verstehen, tragen wird. So stehen Mikro- und Makrogeschichte in Kurz darauf wurden im Mittleren Schlossgarten weitere Protest, so werden hier verschiedene Topoi aufgerufen. die unterfüttert werden durch persönliche Erzählungen, einem Verhältnis der gegenseitigen Ermöglichung und 250 Bäume gefällt. Der Baum fungiert als Bild für Schutz. Häufig finden sich kleine Geschichten, Fragmente von Erfahrungen mit dem Stärkung2. Was mich faszinierte, war ein Film, den ich von den in Kindheitsbeschreibungen der Literatur Bäume, die Park und mit den Bäumen. Erzählen ist ein grundlegen- Die bindende Wirkung entsteht in dem Protest gegen gefällten Bäumen sah (https://www.youtube.com/ bestiegen und bewohnt werden. Eines der bekanntes- des Verfahren, um Kontingenz zu bewältigen, Kohärenz zu Stuttgart 21 aber nicht nur diskursiv sondern auch ma- watch?v=yAcFoOtELTs): Zu sehen sind die gefällten Bäu- ten amerikanische Kinderbücher handelt von der Liebe erreichen und Sinn herzustellen (vgl. u.a. Fisher 1987). teriell. Die Protestpraktiken der Protestierenden bein- me, oder einige von ihnen, die am Rande Stuttgarts im zwischen einem Jungen und einem Baum: The giving tree Für das rhetorische Erzählen stellt Fisher (1987) zwei zen- halteten das Schmücken der Bäume mit Kuscheltieren, Feuerbacher Forst lagern. Man sieht Menschen, die um (Silverstein 1964). Der Baum ruft auch den Topos der Be- trale Aspekte heraus: die innere Kohärenz der Geschich- Bändern und Protestplakaten, das Bewohnen in Baum- diese Bäume langsam, bedächtig herumgehen. Zu se- ständigkeit und Weisheit auf. Dies findet sich auch wie- Fisher Walter (1987): Human Communi- te, aber auch ihre Wirkmächtigkeit und Anschlussfähig- häusern, durch das ein Schutz der Bäume besteht, da hen ist Trauer, die sich auch im Schmücken der Bäume der in dem Topos vom Baum als Habitat, Grundlage für cation as Narration. Toward a Philosophy of keit: passt eine Geschichte zu den Geschichten, die ich besetze Bäume nicht so leicht zu fällen sind, das Umtan- ausdrückt. Im Dezember 2012 waren diese Bäume weih- Argumente wie: der Baum darf nicht gefällt werden, er Reason, Value, and Action. Columbia: Univer- schon für wahr halte? Im Fall der Bäume im Schlosspark zen der Bäume, das Meditieren vor ihnen, Gebete un- nachtlich geschmückt, es gab Kerzen, Strohsterne, kleine bietet Lebensraum für Tiere, Insekten. Dieser Topos der sity of South Carolina Press wird deutlich, dass die Lebensgeschichte vieler Bürger/ ter ihnen und anderes. Es werden auch Bäume neu ge- Plakate. Beständigkeit wird von den Teilnehmer/innen im Protest Schäfer Alexander (2012): Feuerba- innen und insbesondere vieler Protestierender mit den pflanzt und diese Bäume dann wieder von Befürwortern Wie ist es möglich, dass die Teilnehmer/innen des Pro- durch das Argument an die erfahrbaren Bäume zurück- cher Wald. Https://www.youtube.com/ 2 Zum Verhältnis von Mikro- und Ma- Bäumen verwoben ist. von Stuttgart 21 durch Salzlauge kaputt gemacht. Diese testes um die Bäume trauern wie um einen Angehörigen? gebunden, dass diese Bäume den Stuttgartern von König watch?v=yAcFoOtELTs krogeschichten siehe auch: Bogen Diese allgemeinen Topoi, die an sich gemeinsam genutzt Protestpraktiken bewirkten hier eine Anthropomorphi- Welche Karriere haben die Bäume innerhalb des Protes- Wilhelm I. „geschenkt wurden“ und auch in den Hunger- David, Michael Lynch (1996): The schon das Potenzial bieten, viele gesellschaftliche Grup- sierung der Bäume, die in folgendem Zitat deutlich wird: tes gemacht? Warum konnten sie so starke bindende Kräf- wintern 1946/47 nicht zu Brennholz wurden. Dies zeigt, Silverstein Shel (1964): The Giving Tree. Spectacle of History. Durham/Lon- pen einzubinden, waren aber nun eng verwoben mit den „Ja, weil man die Bäume als Freunde betrachtet hat. Also te entwickeln? dass allgemeine Topoi an Erfahrung und Erinnerungen New York: Harper & Row don: Duke University Press konkreten, erfahrbaren Bäumen im Schlossgarten und man hat ihnen ja auch Geschenke gegeben, man hat sie
14 15 umwickelt, man hat Schleifen drum gebunden, man hat Zukunft herstellen Kerzen davor gestellt, hat um die getanzt, […] man hat‘s als Ort genommen, wo jetzt was stattfinden kann“ (Zitat Das Narrativ der beschützenden, nährenden Bäume er- einer der Protestierenden gegen Stuttgart 21). zeugt Zugzwänge für die Protestierenden. Insbesondere Nimmt man die konkreten Bäume mit in den Blick, ent- durch die Anthropomorphisierung werden die Bäume zu steht im Protest gegen Stuttgart 21 auch eine eigenartige Mitgeschöpfen und werden von einigen Protestierenden argumentative Spannung. Ein zentrales Argument ist das auch als solche behandelt. Mit der Fällung der Bäume des Baumes als Schutz (Literatur, Habitat, „Nützlichkeit“ im Schlosspark waren sie ebenso wie der gesamte Pro- finden sich dort ein). Nun waren diese Bäume nicht wie testraum „Park“ als Argument nicht mehr verfügbar. Es ein Schutz, sie fungierten im Protest als Schutz. Sie haben wird aber nicht aufgegeben, sondern weiter geführt. Eine nicht über Schutz gesprochen, sie haben ihn gezeigt und Erklärung dafür wäre, dass die Bäume schon zu sehr Teil sie haben ihn erfahren und erfahrbar gemacht. Hier geht des Protestes geworden sind. Allerdings sind diese Trau- es nicht darum, dass der Baum etwas bedeutet, sondern errituale eher an ein Innen der Protestbewegung gerichtet für Erfahrung offen steht. Die Protestgruppen besetzten als an ein Außen. Sie finden abseitig, in einem Stuttgar- die Bäume, lebten in den Bäumen und machten damit ter Wald statt, werden nicht weiter öffentlich gemacht. So die Erfahrung, was es bedeutet, beschützt zu werden. sind die konkreten Bäume für den nach außen gerichteten In dieser Besetzung wurde der Baum auf eigentlich wi- Protest nicht mehr verfügbar, wohl aber für die rhetorische dersprüchliche Weise thematisiert: der, der Schutz spen- Arbeit nach innen. Die Karriere der Bäume bindet die Pro- det, muss geschützt werden, er wird geschützt, indem er testierenden auch noch nach der Fällung der Bäume an sie schützt. und erfordert auch eine Vermenschlichung in den Trauer- Von Diskursteilnehmer/innen müssen in einer Situation ritualen. verschiedene Zeitlichkeiten bearbeitet werden: eben- Der Baum wird diskursiv als Topos (Ökologie, Esoterik, so wie sie durch Vorhergehendes gebunden sind, in Politik, biblisch) aufgerufen. Damit ist er zurückgebunden dem Aussagen möglich sind oder nicht, produzieren sie an „Schon-für-wahr-Gehaltenes“ und bestimmt so auch, durch das, was sie im Hier und Jetzt äußern, nicht nur wie der Baum behandelt werden kann. Die Topoi werden eine Verstehensgrundlage für die Situation, sondern er- auch durch die einzelnen Erzählungen von Protestieren- öffnen auch Manövrierraum (oder verringern ihn) für den aktualisiert, die sich häufig auf persönliche Erfahrung das, was kommt. Die grundlegende Ausgangsfrage in beziehen. Zugleich werden die Bäume nicht nur diskursiv der Untersuchung des Protests gegen Stuttgart 21 war sondern auch materiell in den Protest einbezogen. Diese für mich, wie es möglich ist, dass sich Protestpraktiken diskursiven und materiellen Entscheidungen der Protestie- entwickeln, die das Trauern um Bäume möglich, viel- renden bestimmen, wovon sie werden sprechen können. leicht sogar folgerichtig und zwingend machen für die Dies entfaltet bindende Wirkung und macht bestimmte Zu- Protestierenden. künfte möglich.
Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen Über systemische Herausforderungen der Energiewende und die besondere Schwierigkeit ihrer medialen Vermittelbarkeit Tillmann Damrau Claus Kaelber Eine kritische Auseinandersetzung mit den Erwartungen und Zielen der Energie- wende führt immer tiefer in einen Katalog systemischer Fragen und politischer Unschärfen. Denn bei genauerer Betrachtung bleibt offen, ob die Fokussierung auf technische Aspekte nicht lediglich nur Teilbereiche des Gesamtvorhabens zu bewältigen verspricht. So wäre vor allem auch zu klären, ob die Energiewende, ohne eine breite Akzeptanz und tiefer gehende gesellschaftliche Veränderungen, jenseits gängiger Wachstumsparadigmen überhaupt darstellbar ist. Zielführend wäre es, so unsere Ansicht, die Energiewende als zentralen Baustein für den Um- gang mit den Herausforderungen des Klimawandels zu begreifen. Damit wären neben Lösungen für technisch-wirtschaftliche Hürden auch Antworten auf die Frage verbunden, wie wir zukünftig leben wollen. Die Energiewende ist insofern auch der Einstieg in ein kulturelles Großprojekt über die Definition des „guten Lebens“. // A critical debate on expectations and objectives regarding the energy transition leads to systemic questions and political issues. It has to be questioned if the transition actually is operable without a broad acceptance and the aban- donment of the growth paradigm. We strongly recommend to value the energy transition as a key for dealing with climate change. Hence besides technical and economical challenges the debate will cover prospects of how we want to live. The energy transition could be considered as a starting point into a large-scale cultural project for defining „good life“.
18 19 Den Wald vor lauter Wachstumsparadigmen, überhaupt darstellbar ist. Das Der Soziologe Hartmut Rosa (2005, S. 124ff) unterscheidet quantitativ bedeutender Sektor der Gesamtwirtschaft auf heißt auch, danach zu fragen, welches Akzeptanzpotenzial drei Ebenen der Beschleunigung, die sich allesamt als Teil die Produktion von Inszenierungswerten ausrichtet bzw. Bäumen nicht sehen entsprechende Handlungsmodelle auf politischer, gesell- unmittelbar erfahrbarer sozialer Realität seit der Industria- dass ein wesentlicher Teil der Warenproduktion darin be- schaftlicher und individueller Ebene grundsätzlich haben. lisierung in entwickelten Gesellschaften verankert haben. steht, die Ware mit Inszenierungswert zu versehen“ (Böh- Damit verbunden sind auch Fragen nach den gegenwärti- Rosa nennt die technische Beschleunigung, die zu ver- me 2016, S. 27). „Die postfordistische Produktion ist im gen und zukünftigen Verantwortlichkeiten, die nicht immer kürzter räumlicher Distanz geführt habe und Prozesse des Kern kulturelle Produktion, eine Verfertigung von Zeichen, D ie Energiewende darf mit Sicherheit als ein ge- nur auf industriell-wirtschaftlicher Seite, sondern ebenso Austausches von Kommunikaten und Produkten immer von sinnlichen Wahrnehmungen und Emotionen für den waltiges gesellschaftliches, sehr lange fortdauern- auch auf Seiten des Verbraucherverhaltens und der Konsu- schneller hat werden lassen. Damit verknüpft, verweist er Nutzer, und die sogenannte Kreativökonomie bildet das des Transformationsvorhaben bezeichnet werden. mentenerwartungen zu suchen wären. auf einen sich immer schneller vollziehenden Wandel so- Zentrum eines solchen affektiven und ästhetischen Ka- Denn mit dem Identifizieren umweltverträglicher Ressour- Im Fokus steht hier die Konstruktion des medialen Alltags, zialer Strukturen, der sich auf individueller Ebene in ver- pitalismus“ (Reckwitz 2015, S. 38). Für diese ästhetische cenpotentiale, der Analyse technischer Machbarkeiten, die Frage nach den Bedingungen medialer Produktion änderten Werte- und Handlungsmustern artikuliere. Und Ökonomie wird Innovation ein Imperativ, sie setzt auf eine dem Implementieren adäquater Strukturen und damit ebenso wie den unterschiedlichen Formen der Nutzung schließlich hält er ein subjektiv neues Zeitgefühl für ver- erlebnisorientierte Produktion von stets »Neuem«. Vor- einer, allem Bekunden zufolge, nachhaltigen Energiever- medialer Inhalte und den damit verknüpften Rollen und ankert, das dazu führe, den Eindruck eines permanenten bild sind kreative Branchen wie Kunst, Mode, Werbung sorgung wird es nicht getan sein. Das ist ein klares Bild, Erwartungen. Innerhalb dieser Bereiche sind fundamenta- Zuwachses besonders auf Ebene der Informationsmenge und Design. Auch Arbeit soll jetzt interessant und heraus- das wir aus zahlreichen Gesprächen, Beobachtungen und le Veränderungen innerhalb weniger Jahre festzumachen und damit der kommunikativen Erwartungen als erzwun- fordernd sein, kreativ eben. Das kreative Moment von Ar- Auswertungen im Rahmen des dreijährigen Forschungs- (vgl. ARD-Werbung 2015a), die Auswirkungen nicht nur gen und unumgänglich zu empfinden. Aus einer Sicht beit wird als intrinsische Motivation erlebt. Arbeit soll nicht projekts e-transform, das im Herbst 2016 zu Ende ging, auf energie- oder umweltrelevante Politikbereiche haben, Rosa Hartmut (2005): Beschleunigung. Die der Nutzungsoptimierung heraus interpretiert würde das mehr nur den Lebensunterhalt sichern, sie ist jetzt Be- gewinnen konnten. sondern die Verständigung einer Gesellschaft über ihre Veränderung der Zeitstrukturen in der Mo- in Anlehnung an gängige Wettbewerbsmodelle heißen, standteil einer allgemeinen Selbstoptimierung. „Lebens- Wo liegen die Probleme, wo scheinen sich Widersprüche gesamte eigene Strukturbeschaffenheit neu bestimmen. derne. Frankfurt am Main: Suhrkamp möglichst „mehr“ im Rahmen einer nach wie vor begrenz- langes Lernen, Flexibilität, Mobilitätsbereitschaft und die festzusetzen? In der Gesamtbewertung des Vorhabens be- Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Rahmen des ten Gesamtzeit (des Lebens) bewältigen zu müssen. Das Herrschaft des Kurzfristigen verlangen die Auflösung stabi- steht die große Gefahr, sich in technischen Details oder Projekts e-transform mit den Bedingungen transformati- Böhme Gernot (2016): Ästhetischer Kapita- Selbstverständnis wirtschaftlichen Wettbewerbs ist diesen ler Identitäten und reservieren die Zukunft für ein wolkiges, in Aspekten peripherer Fragestellungen zu verfangen. Die ver Erzählungen und den Potentialen ihrer medialen Ver- Bundesregierung (o.J.): Energiewen- lismus. Berlin: Suhrkamp Überlegungen zufolge auch bereits zum unumgänglichen wandelbares Ich. Kurzfristige Verträge ersetzen dauerhaf- wirklichen Herausforderungen liegen nach unserem Da- mittelbarkeit beschäftigt und dabei intensive Diskussionen de. Fragen und Antworten. Https://www. Momentum sozialen Handelns auf individueller Ebene ge- te Institutionen in professionellen und familiären, kultu- fürhalten auf einer maßstäblich anderen Ebene. Denn mit unterschiedlichsten Akteuren und Bezugsgruppen über bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/The- Reckwitz Andreas (2015): Ästhetik und worden. Ein Infragestellen dieser Mechanismen, etwa mit rellen und sozialen Dimensionen [...], der ältere Auftrag, eine kritische und vor allem interdisziplinäre Auseinan- Vorbehalte, Hürden, Hoffnungen und Erwartungen im men/Energiewende/Fragen-Antworten/1_All- Gesellschaft – ein analytischer Bezugsrah- Blick auf einen intendiert geringeren Ressourcenverbrauch Lebensläufe als Selbstwerdungsprozesse zu verwirklichen, dersetzung mit den Erwartungen und intendierten Zielen Kontext der Energiewende geführt. Angesichts allgemein gemeines/1_warum/_node.html (aufgerufen men. In: Andreas Reckwitz, Sophia Prinz und oder kleinräumigerer Bezugsgrößen im Warenverkehr, weicht der Aufgabe, sich mit einer Kunst des Anderswer- der Energiewende (vgl. Bundesregierung 0.J.) führt immer beschleunigter Kommunikationsprozesse stellt dieses The- am 27.12.2016) Hilmar Schäfer (Hg.): Ästhetik und Gesell- müsste konsequenterweise früher oder später in systemi- dens zu arrangieren“ (Vogl 2010, S. 137f). Das ist sowohl tiefer in einen Katalog systemischer Fragen und Unklarhei- ma im Grunde aber seinerseits schon den Teil einer par- schaft: Grundlagentexte aus Soziologie und schen Betrachtungen münden. dauerhaft anstrengend als auch zeitintensiv, vollzieht sich ten. Nach wie vor herauszuarbeiten ist, ob die Energiewen- allelen Transformationsagenda dar, die als Motor globa- ARD-Werbung (2015a): ARD/ZDF-Studie Kulturwissenschaften. Berlin: Suhrkamp, Hinzu kommt der von Sozialwissenschaften ab den neun- jedoch weitgehend im Konsens mit der gesellschaftlichen de (auch als zentraler Baustein für den Umgang mit den ler, wirtschaftlicher Kompetitivität gelten darf und mit dem Massenkommunikation 2015. Http://www. S. 13–52. zehnhundertachtziger Jahren beobachtete Aufstieg der Mehrheit. Wesentlichen Anteil an der Entwicklung dieser Herausforderungen des Klimawandels) mittelfristig ohne Begriff „Digitalisierung“ nur unscharf einzufangen ist und ard-werbung.de/media-perspektiven/media- »creative industries« und einer »creative economy«. Es ästhetische Ökonomie haben die durch die Digitalisierung eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und Veränderun- auch hinsichtlich der Ziele der Energiewende kritisch zu be- perspektiven/ardzdf-studie-massenkommu- Vogl Joseph (2010): Das Gespenst des Kapi- entsteht eine »ästhetischen Ökonomie«, ein »ästhetischer initiierten, immensen Innovationen in allen Lebensberei- gen hin zu anderen Lebensstilkontexten, jenseits gängiger leuchten sein wird. nikation (aufgerufen am 27.12.2016) tals. Zürich: Diaphanes Kapitalismus«, dessen Kennzeichen es ist, „dass sich ein chen, speziell aber in den Bereichen Technik und Medien.
20 21 Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann (2005) verwies öf- im Wesentlichen aber wenig systemischen Transformati- Weltgesellschaft unter der Hegemonie der Markensymbole Peergroups meist als wenig attraktiv, ästhetisch alles ande- ter auf den Zusammenhang zwischen marktwirtschaftlicher onsbedarf erkennen mag? Dazu kommt, dass unter dem verkehrt“. Noch nicht erschöpfend geklärt ist dabei, wie es re als seduktiv und nicht selten als belehrend empfunden Logik, deren Implikationen und den Druck auf individuelle zunehmenden Druck der individuellen Leistungsanpassung mit der Alltagsdurchdringung digitaler Medien in den ver- wird, soll hier nicht weiter ausgebreitet werden. Dennoch Freiheitserwartungen. Luhmann weitergedacht, ergibt sich immer weniger Ressourcen zur Auseinandersetzung und gangenen vier bis fünf Jahren gelingen konnte, die Konsu- wird eine lebensweltliche Verankerung von Nachhaltigkeit für den Publizisten Christoph Fleischmann daraus, dass Bewertung möglicher Transformationsanschlüsse „ande- menten zu medialen Selbstinszenierungen und zur Verfüg- und Umweltschutz vor allem auch einer entsprechenden „Menschen ihre Güter, aber auch ihre (Arbeits-)Zeit, mithin rer“ Erzählungen als jene des Fortschreibens von Perfor- barmachung individueller, wenn nicht gar intimer Daten, Kultur bedürfen, die Prävention bezüglich des Klimawan- sich selbst analog zum Kapital als Investitionen verstehen manz und Wachstum vorhanden sind. zu motivieren, die im Wesentlichen primär die ökonomi- dels mit der Wahl eines entsprechenden Lebensstiles ver- müssen. [...] Um Wohlstand aufzubauen, müssen bestimm- Die jüngeren Veränderungen im Mediennutzungsverhal- schen Interessen Dritter bedienen (vgl. Hardt/Negri 2001, bindet. Die Entscheidung für einen nachhaltigen Lebens- te Ereignisse und Möglichkeiten eingeschränkt werden. Die ten, besonders die Phänomene der Selbstreferentialität im S. 280ff). Nennenswerter Widerspruch ist bislang nicht stil hieße demnach – so die These – im Kontext von Kultur Zukunft wird ihrer prinzipiellen Offenheit beraubt, weil die Bereich mobiler digitaler Information und Kommunikation, festzustellen, ganz im Gegenteil scheinen diese Leistungen eine ästhetisch motivierte Wahl zu treffen und zu kommu- Möglichkeiten, die nicht an die Steuerungsgröße Kapital an- verstärken diesen Prozess zusätzlich. Der Sozialpsychologe des Bespiegelns und Darstellens ein Akt des Suchens nach nizieren, die individuell auf die Frage antwortet, was »das schlussfähig sind, unter extremen Druck geraten und kaum Harald Welzer wundert sich mit Recht über die nur ansatz- Anschluss und Verbindung zu jenen Narrativen von Glück gute Leben« angesichts des Klimawandels denn sei. Hier noch Realisierungschancen haben, zumindest nicht im Sys- weise artikulierte Kritik, die vermeintlich „personalisierten und Zufriedenheit zu sein, die als mediale Produktionen berührten sich dann Ethik und Ästhetik. In diesem Sinne tem der Wirtschaft. [...] Was kein Geld einbringt, wird zur Angeboten“ entgegengebracht wird, die letztlich ja nur das von der Industrie permanent in Form von Werbung, Un- etwa spricht Ulrich Beck hinsichtlich des Klimawandels bloßen Möglichkeit, die wenig Chancen auf Verwirklichung eigene Verhalten messen, extrapolieren und im Sinne ei- terhaltung und leitbildenden Zukunftsversprechen bereit- von einer „emanzipatorischen Katastrophe“ (Beck 2016, S. hat“ (Fleischmann 2014, S. 103ff). „Genetische Ausstattung, ner ökonomischen Optimierung des Individualkonsums gestellt und immer präziser an die unterschiedlichsten Ad- 55ff u. S. 153ff ): „Der Klimawandel verkörpert die Fehler Erziehung, Bildung, Wissen, Gesundheit und Familienpla- Daten und Informationen detaillieren. Welzer hält den Be- Luhmann Niklas (2005): Die Soziologie ressaten vermittelt werden. einer ganzen Epoche fortschreitender Industrialisierung nung werden gleichermaßen dem »ökonomischen Ansatz« griff der Manipulation, weil in der öffentlichen Wahrneh- und der Mensch. Soziologische Aufklärung [...]. Sie repräsentieren gleichsam eine Rückkehr des kol- unterworfen, und als Wissenschaft von menschlichen Ver- mung als verstaubt und antiquiert belegt, für nicht mehr Bd. 6, Wiesbaden: VS Verlag Die Debatten um »die Energiewende« und »Nachhaltig- lektiven Unbewussten, durch die den Selbstgewissheiten haltensweisen und Entscheidungen überhaupt bezieht sich angemessen, vielmehr müsse von „Verführung und Steue- keit« werden gewöhnlich von technischen und ökonomi- des nationalstaatlich organisierten Industriekapitalismus die ökonomische Analyse nun auf Totalitäten eines sozia- rung“ (Welzer 2016), von der „Konstruktion eines anderen Fleischmann Christoph (2014): Wem schen Gesichtspunkten einerseits und sozialen Wunsch- seine Fehler in Form einer objektiven Bedrohung seiner len Feldes, dessen Dynamik und dessen Mikrostrukturen sozialen Raumes“ die Rede sein, in dem es vorrangig um gehört die Zeit? BfduiP 1/2014 projektionen und gesellschaftlichen Utopieelementen eigenen Existenz gegenübertreten“ (Beck 2016, S. 56). sich nach den Kriterien von Knappheit, Wahlzwang und das Verkaufen von Images und Produktwelten gehe. Der andererseits bestimmt. Eine Verknüpfung, wenn auch Die allermeisten von uns haben irgendeine – zumindest Opportunitätskosten erschließen“ (Vogl 2010, S. 138). Die Journalist Thomas Steinfeld (2016) bezeichnete in einem Welzer Harald (2016): Die höchste Stufe meist in völlig unterschiedlichen Diktionen, finden die Po- vage – Vorstellung von dem, was »das gute Leben« sei. mittel- und langfristigen Transformationsperspektiven der Aufsatz über die im Vergleich zu Deutschland noch deutlich der Zensur: Das Leben in der Ich-Blase. Blät- sitionen in der Unsicherheit, ob und in welcher Form Kon- Auf Nachfrage können wir diese Vorstellung – zumindest Energiewende gelten bislang jedoch kaum als anschluss- weiter entwickelte Kommerzialisierung der italienischen ter für deutsche und internationale Politik sens oder zumindest mehrheitsfähige Unterstützung für andeutungsweise – auch beschreiben. Das gute Leben fähig, weder im Sinn der systemischen noch der individu- Medien, „Werbung“ als „systemische Bewirtschaftung von 7/2016, auch online verfügbar unter https:// das Etablieren der Energiewende im Alltag erreichbar ist. scheint im Allgemeinen bestimmt von der Sorge ums Wohl- ellen Wohlstandserweiterung. Wie damit umgehen, wenn Aufmerksamkeit“, die das Mediensystem überhaupt noch www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/ Auf der einen Seite werden die bekannten Glückserzäh- befinden einerseits und dem Bedürfnis nach Wertorien- das, gleichwohl unter Einschränkungen, freie Subjekt in ein zusammenhalte. Werbung, so Steinfeld, trete „nicht nur juli/die-hoechste-stufe-der-zensur-das-leben- Hardt Michael, Antonio Negri (2003): Em- lungen technisch-wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ent- tierung andererseits. Wir wollen zugleich gut sein und es ökonomisch bewertendes Objekt übergeht und an diesem als kulturell sinnstiftende Instanz auf, sondern als poten- in-der-ich-blase (aufgerufen am 22.12.2016) pire. Harvard University Press: Cambridge faltet, auf der anderen Seite immer wieder das Verspre- schön haben. Im Kontext einer zunehmend diversifizierten (mit der Digitalisierung sich beschleunigenden) Prozess we- tiell die gesamte Wirklichkeit umfassende, unausweich- chen vorgetragen, globale Probleme aus dem Biotop des Gesellschaft und Kultur sucht sich jeder ein gutes Leben nig Einspruch artikuliert, der Umwelt- und Klimaproblema- liche Form kommunikativen Handelns.“ Das habe einen Steinfeld Thomas (2.8.2016): Italien ist ein Beck Ulrich (2016): Die Metamorphose der Verzichts und der Bescheidenheit steuern zu können. Dass nach seiner Fasson – irgendwo zwischen genussorientier- tik temporär zwar kritische Aufmerksamkeit entgegenbringt, „semantisierten Themenpark“ zu Folge, „zu dem sich die Kaufhaus. Süddeutsche Zeitung, S. 9 Welt. Berlin: Suhrkamp letztere Perspektive außerhalb der ökologisch motivierten ten und eher »idealistisch« wertbetonten Positionen.
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