Medien für eine erneuerbare Energieversorgung - ISBN 978-3-00-055800-9

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Medien für eine erneuerbare Energieversorgung - ISBN 978-3-00-055800-9
Medien für
                                                                               eine erneuerbare
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                                                                             Energieversorgung

                             Medien für eine erneuerbare Energieversorgung
                             e-transform
    ISBN 978-3-00-055800-9
Medien für eine erneuerbare Energieversorgung - ISBN 978-3-00-055800-9
Impressum                                                                                       Inhalt
Herausgeber                                                                                     Vorwort ……………………………………………………………………………………………………………………………………… 4
Christiane Hipp, Claus Kaelber, Jens Müller
Februar 2017. Die Rechte der Beiträge liegen bei den jeweiligen Autoren                         Die regionale Energiewende gestalten ……………………………………………………………………………………………… 6
                                                                                                Michael Voll
VIP
Hochschule Augsburg und Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg             Zukunft herstellen ………………………………………………………………………………………………………………………… 8
                                                                                                Kati Hannken-Illjes
Gestaltung/Satz
Jens Müller nach einem Konzept von Lisa Borgenheimer                                            Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen …………………………………………………………………………………………16
                                                                                                Tillmann Damrau, Claus Kaelber
Grafik
Florian Pömmerl                                                                                 Die Energiewende vorleben ……………………………………………………………………………………………………………26
                                                                                                Matthias Kunert
ISBN
978-3-00-055800-9                                                                               Die Energiewende verständlich vermitteln …………………………………………………………………………………………30
                                                                                                Sebastian Kreuz
Herstellung
Longo, Augsburg                                                                                 Perspektiven der Energiewende ………………………………………………………………………………………………………42
                                                                                                Jens Müller, Florian Pömmerl, Faruq Suriaganda, Mike Zauner, Danijel Zambo

                                                                                                Bonjour Energiewende ……………………………………………………………………………………………………………………48
                                                                                                Volker Lüdecke

                                                                                                Mephisto und die weise Frau …………………………………………………………………………………………………………62
                                                                                                Volker Lüdecke

                                                                          Hochschule Augsburg   Kommunikationsbaukasten Energiewende …………………………………………………………………………………………78
                                                                          University of         e-transform
                                                                          Applied Sciences

                                                                                                Autorinnen und Autoren …………………………………………………………………………………………………………………90
Medien für eine erneuerbare Energieversorgung - ISBN 978-3-00-055800-9
Vorwort
4                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 5

                                                                   Weil Begründungen und Argumentationen der Energie-          Designdienstleistungen zum Transport vorgegebener Inhal-         Das Spiel ist als Serie von interaktiven Erzählsträngen in ei-   Unser Dank gilt an der Brandenburgischen
                                                                   wende nicht nur fachliche, sondern auch lebensweltliche     te, sondern vielmehr um ein gestalterisch-experimentelles        nem ökologischen Stadtquartier konzipiert, realisiert wur-       Technischen Universität allen Kolleginnen
                                                                   Aspekte berühren, ist die Kommunikation symbolisch auf-     Arbeiten an medialen Formaten. In Anlehnung an die leit-         de ein Vormittag im Leben einer Quartiersbewohnerin              und Kollegen, die uns inhaltlich und orga-
                                                                   geladen und auf unterschiedliche Sinnzusammenhänge          fadengeführten Interviews, die Claus Kaelber im Rahmen           (Jens Müller et al: Perspektiven der Energiewende, S. 42;        nisatorisch unterstützen. Vor allem Frau
                                                                   ausgerichtet. Sie erreichte einerseits eine Befriedung in   von e-transform mit Persönlichkeiten führte, die die Ener-       Volker Lüdecke: Bonjour Energiewende. S. 48).                    Mattauch ist uns eine sehr große Hilfe bei
                                                                   einem lang schwelenden gesellschaftlichen Streit um die     giewende aus unterschiedlichen Motiven heraus als eine           Für den Regionalverband FrankfurtRheinMain schrieb der           allen Fragen und Vorgängen rund um die
                                                                   Risiken und Folgen von Energieerzeugung, eröffnet aber       Erfolgsgeschichte betrachten, entstanden unter Leitung           Berliner Autor Volker Lüdecke ein Theaterstück, das am En-       finanzielle Abrechnung des Projektes.
                                                                   auch neue Konfliktfelder, deren Fronten manchmal sehr       des Filmemachers Matthias Kunert zusammen mit Studi-             gagement für Energiewende, Umweltschutz und Klima mit
                                                                   unübersichtlich verlaufen und unser Selbstverständnis von   engruppen an der Hochschule Augsburg mehrere Kurzfil-            der zynischen Position eines Mephisto zweifelt. Doch die         Unser Dank gilt an der Hochschule Augsburg
                                                                   entwickelter Industriekultur, das Versprechen von wach-     me über die Energiewende flankierende Lebensstile und            „weise Frau“ widersteht der Versuchung und bleibt ihren          der tatkräftigen Unterstützung durch Präsi-
                                                                   sendem Wohlstand, das soziale Gerechtigkeitsempfinden       zur Attraktivität der mit dem Wandel einhergehenden Opti-        humanen Idealen treu und erkennt die Zuneigung ihres

    M
                                                                                                                                                                                                                                                                 dent Prof. Dr. Gordon Rohrmair, Gabriele
                it der Energiewende wurde ein ambitionier-         und den Anspruch auf eine lebenswerte Umwelt bis hin        onen (Matthias Kunert: Die Energiewende vorleben. S. 26).        Freundeskreises (Volker Lüdecke: Mephisto und die weise          Schwarz als Leiterin des Institutes für Tech-
                tes gesellschaftliches Modernisierungsvorha-       zu einer als schön empfundener Landschaft berühren. Im      Neben dem Vorbildcharakter unternehmerischer und per-            Frau, S. 62).                                                    nologietransfer und Weiterbildung, Anette
                ben begonnen, dessen Details in ständiger Ver-     Diskurs der Transformation entspinnen sich kontingente      sönlicher Initiativen bleibt die anschauliche Darstellung        Der vorliegende dritte Band des Projektes e-transform ver-       Holzmann von der Abteilung für Personal
    handlung begriffen sind. Sie ist in Herausforderungen wie       Erzählfäden, es verdichten sich Überzeugungen und verfes-   komplexer Sachverhalte eine klassische Aufgabe pädago-           sammelt zum Schluss verschiedene Teilprojekte des Kom-           und Recht, Alexander Hofmann von der
    Klimawandel, Digitalisierung und Sharingökonomie einge-        tigen sich Interpretationen des Wahrgenommen (vgl. Kati     gisch motivierter aufklärender Information. Schautafeln          munikationsbaukastens, die auch auf einer eigens konzi-          Haushaltsabteilung sowie an der Fakultät
    bunden und beschränkt sich daher nicht nur auf energie-        Hannken-Illjes: Zukunft herstellen. S. 8ff).                 und Informationsgrafiken sind ein etabliertes Medium,            pierten Ausstellung in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin im      für Gestaltung dem Dekan Professor Andreas
    wirtschaftliche Umbaumassnahmen, vielmehr reicht sie           Vor diesem Hintergrund wird die kulturelle Dimension der    um abstrakte Zusammenhänge in einer merk- und lesba-             Juli 2016 gezeigt wurden (Projekte des Kommunikations-           Kunert sowie Herrn Uli Amann.
    bis in die alltäglichen Gewohnheiten hinein. Bestehende        Energiewende immer deutlicher. Die ethischen Imperati-      ren Form als Fundierung eines sachorientierten Diskurses         baukastens. S. 78).
    und scheinbar bewährte Funktionsweisen werden in Fra-          ve der Energiewende verschmelzen mit deren ästhetischer     bereitzustellen. Der von Sebastian Kreuz konzipierte und                                                                          Unser aller Dank gilt dem BMBF für die finan-
    ge gestellt, neue technische Verfahren, Erlösmodelle und       Inszenierung und Wahrnehmung. Der Transformations-          in infografischem und filmischem Format umgesetzte Zeit-                                                                          zielle Unterstützung und dem DLR für die stets
    Lebensstile sind erst noch zu erproben.                        prozess berührt die individuellen Gestaltungsräume und      strahl zur Energiewende sensibilisiert für die historische Di-                                                                    kompetente und freundliche Begleitung in
    Die Energiewende gelingt, obwohl sie gut begründet ist         kann als einengend oder aber als Einladung zum kreati-      mension des Vorhabens (Sebastian Kreuz: Die Energiewen-                                                                           allen Fragen der Koordination, der Mittelver-
    und technisch wie ökonomisch machbar ist, nicht selbst-        ven, selbstbestimmten Handeln verstanden werden. Die        de verständlich vermitteln. S. 30).                                                                                               wendung und der Vernetzung.
    verständlich. Sie ist auf einen gesellschaftlichen Konsens     mit der Energiewende verbundenen Ängste, Herausforde-       Zentraler Bestandteil des e-transform-Kommunikations-
    angewiesen und nicht allein auf der Fachebene durch-           rungen und Potentiale treffen auf Weltkonstitutionen und     baukastens ist ein Serious Game, das die unterschiedli-
    setzbar. Vor allem ist sie kein monolithisches Einzelprojekt   Milieus mit je eigenen medial vermittelten narrativen Ge-   chen Zugänge zur Energiewende in acht Figuren personi-
    sondern geschieht im Zusammenwirken von Steuerungs-            wohnheiten, Aufmerksamkeiten und Artikulierungsmög-         fiziert. Das von Jens Müller geleitete Game-Team an der
    massnahmen und regionalen Initiativen. Für das Projekt         lichkeiten (vgl. Tillmann Damrau und Claus Kaelber: Den     Hochschule Augsburg macht in seinem Adventure alltägli-
    e-transform war es deshalb konsequent, als Praxispartner       Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. S. 16ff).                che Widersprüche erlebbar. Innerhalb der Bedingungen
    zwei Metropolregionen zu gewinnen, die vielfältige Zugän-      Im Verbundprojekt Projekt e-transform haben wir die me-     eines beruflichen und privaten Alltags treffen rationale
    ge zu lokalen Projekten eröffneten (vgl. Michael Voll: Die      diale Vermittlung der Energiewende als faszinierendes       Argumente und das Vorhaben einer energiebewussten Le-
    regionale Energiewende gestalten, S. 6f).                      Aufgabenfeld betrachtet. Dabei ging es vorrangig nicht um   bensweise auf Ansprüche an Lebensqualität und Komfort.
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Die regionale Energie-
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                   wende gestalten

                   D
                            er Regionalverband FrankfurtRheinMain und die       gibt zudem einen Ausblick, wie der Prozess der regionalen                                               der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vor große technolo-    damit Gefahr, als belehrend und oft wenig ansprechend
                            Stadt Frankfurt am Main gestalten gemeinsam         Energiewende weitergeführt und organisiert werden soll.                                                 gische, ökonomische sowie soziale und kulturelle Heraus-        empfunden zu werden. Emotionale Ansprachen, anschau-
                            die regionale Energiewende: Sie übernehmen das      Ein entscheidender Punkt für die Umsetzung ist die Pro-                                                 forderungen stellt. Sie darf daher nicht isoliert betrachtet    liche Bilder und Erzählungen, die zielgruppenspezifisch
                   2011 formulierte Ziel des Landes Hessen – den Verbrauch      jektierung der verschiedenen Maßnahmen durch den                                                        werden, sondern muss – zusammen mit den übrigen Fel-            und auf eine kreative und fantasievolle Weise Gestaltungs-
                   bei Strom und Wärme bis zum Jahr 2050 zu 100 Prozent         Regionalverband, die Stadt Frankfurt am Main und regi-                                                  dern des Klimaschutzes (z. B. die Erhaltung und Förderung       optionen („Geschichten“) für ein nachhaltiges, schönes
    Michael Voll   aus erneuerbaren Energien zu decken – und erarbeiten         onale Akteure. Für den Regionalverband gehören dazu                                                     von Kohlenstoffsenken, insbesondere Wälder und Moore)            und „gutes Leben“ aufzeigen und motivieren, werden da-
                   einen auf die örtlichen Bedingungen abgestimmten regi-       beispielsweise die Etablierung und Fortentwicklung eines                                                – in die umfassende Diskussion zur Nachhaltigkeit unseres       her dringend benötigt.
                   onalen Beitrag zu diesem Ziel.                               Monitorings und Berichtswesens, um die Fortschritte bei                                                 Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eingebettet werden.       Die gemeinsame Arbeit in einem außergewöhnlich inter-
                   Dabei wurde ganz bewusst ein modularer, fortlaufender        der regionalen Energiewende fortlaufend bilanzieren und                                                 Dies ist im Übrigen einer der Leitsätze, den die regionalen     disziplinär zusammengesetzten Projektteam aus Kommuni-
                   Prozess gewählt: Während andere Konzepte erst nach ei-       bewerten zu können. Wichtig ist zudem, das Netzwerk zur                                                 Akteure während des Beteiligungsprozesses als überge-           kationsprofis, Ökonomen, Unternehmensvertretern,
                   ner vollständigen Erarbeitung und dem entsprechenden         Umsetzung der Klimaschutzziele weiter auszubauen, zu för-                                               ordnetes Prinzip festgehalten haben.                            Planern und Wissenschaftlern hat sich dabei als gewinn-
                   Beschluss in die Umsetzungsphase gehen, setzen die Ver-      dern und regionale Akteure umfassend an der Realisierung                                                Bisher kann sich diese gewaltige Transformationsaufgabe         bringend herausgestellt. Gerade weil die Energiewende
                   antwortlichen beim Regionalen Energiekonzept Frankfurt-      von Projekten zu beteiligen. Ein neu entwickeltes Portal                                                auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung stützen. Das       alle Bereiche der Gesellschaft betrifft, können erfolgreiche
                   RheinMain auf Parallelität. Schon seit dem Beginn der for-   vermittelt dazu aktuelle Informationen: http://klimaener-                                               ist jedoch – wie uns viele aktuelle gesellschaftliche Diskus-   Lösungskonzepte nicht nur sektoral entwickelt werden. In
                   mellen Zusammenarbeit von Stadt und Region im Jahr 2013      gie-frm.de                                                                                              sionen zeigen – bei weitem keine Gewissheit, auf der man        der engen Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen
                   wurden verschiedene Einzelbausteine fertiggestellt – etwa    Ob rechtliche oder technische, soziale oder wirtschaftliche                                             sich ausruhen kann. Es geht also um die Art und Weise,          weiten sich die Blickwinkel und man lernt voneinander.
                   die Energiesteckbriefe oder Praxisleitfäden für Kommunen     Rahmenbedingungen: Die Grundlagen für eine Energie-                                                     wie der beabsichtigte Wandel gestaltet, begleitet und er-       Der schließlich gemeinsam entwickelte, breit gefächerte
                   zum Klimaschutz in der Stadtplanung und zum Aufbau von       wende ändern sich ständig. Insofern ist der Prozess des                                                 klärt werden kann, um zumindest die notwendige mehr-            Kommunikationsbaukasten zeigt die Breite der möglichen
                   Wärmenetzen – mit denen direkt gearbeitet werden kann.       Regionalen Energiekonzepts mit einer ersten Konzeptfor-                                                 heitliche Akzeptanz, besser aber aktive Mitwirkung und          Lösungsansätze auf. Ein ganz konkretes und bereits in der
                   Der Prozess für die Erarbeitung des Regionalen Energie-      mulierung keineswegs abgeschlossen – er wird sich dyna-                                                 Mitgestaltung aller Beteiligten zu gewinnen und zu erhal-       Umsetzung befindliches Projekt ist das für die Stadt Frank-
                   konzepts FrankfurtRheinMain gliedert sich in drei Phasen:    misch fortentwickeln und muss flexibel angepasst werden.                                                ten. Eine bildhafte Sprache und schlüssige, nachvollzieh-       furt entwickelte Ausstellungskonzept „e-Transformers“.
                   Zunächst ging es ab 2013 darum, eine regionale Daten-        Diese Parallelität von Umsetzung und Nachsteuerung erfor-                                               bare Erzählungen (Narrationen) und Visionen spielen hier        Hier wurde, angelehnt an den erfolgreichen Actionfilm
                   basis zu schaffen. Ende 2014 startete dann eine intensive     dert auch eine dauerhafte Einbindung regionaler Akteure.                                                eine wichtige Rolle.                                            „Transformers“, ein Kommunikationskonzept und eine
                   einjährige Beteiligungsphase. 150 Experten aus 100 Insti-    Denn die Gestaltung der Region FrankfurtRheinMain zu ei-      Figur aus der Kampagne e-Transformers     Das Projekt e-transform – bei dem der Regionalverband           Kofferausstellung entwickelt, die Kinder und Jugendliche
                   tutionen erarbeiteten in fünf Strategiegruppen zahlreiche    ner klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 kann nur durch                                                 als einer der Praxispartner mitwirkte – hatte genau das         mithilfe von Superhelden für Klimaschutz begeistern sol-
                   Vorschläge. Die Öffentlichkeit wurde regelmäßig über Ver-     ein intensives Zusammenwirken untereinander und mit                                                     zum Ziel: Formate und Leitbilder entwickeln, die nicht          len: eine gelungene und moderne Adaption des Bilder-,
                   anstaltungen und Publikationen informiert und eingebun-      den verschiedenen Ebenen gelingen. Dafür braucht es                                                     nur auf herkömmliche Weise Informationen transportie-           Sprach- und Medieneinsatzes für die Energiewende.
                   den. Die nun laufende Phase der ersten Konzeptformulie-      eine gute und zielführende Kommunikation zwischen den                                                   ren, sondern bei ganz unterschiedlichen Zielgruppen auch
                   rung fasst die erzielten Ergebnisse zusammen und bildet      Beteiligten.                                                                                            Begeisterung und Lust auf gelebten Klimaschutz wecken.
                   so eine Klammer um die bisherigen Vorhaben. Bereits          Die angestrebte Energiewende – als ein zentraler Bau-                                                   Denn bei der Bestandsaufnahme des Projektes konnte
                   erstellte Einzelbausteine werden ebenso präsentiert wie      stein für den Umgang mit dem Klimawandel – ist bei wei-                                                 festgestellt werden, dass die bisherige Kommunikation der
                   die regionale Ausgangssituation sowie die energie- und       tem keine rein technische Aufgabe. Sie ist vielmehr ein       Wortbildmarke Regionales Energiekonzept   Energiewende überwiegend auf eine sehr rationale und oft
                   klimapolitischen Rahmenbedingungen. Das Dokument             langfristiger, gesellschaftlicher Transformationsprozess,     FrankfurtRheinMain                        technische Argumentation und Vermittlung setzt. Sie läuft
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                                                       Zukunft herstellen

                                                                                    Kati
                                                                                Hannken-Illjes

     Es reicht nicht aus, Gründe für oder gegen ein Handeln zu kennen, um das eigene
        Handeln daran auszurichten. Die Gründe müssen in ein System von „Für-wahr-
     Gehaltenem“ eingepasst werden können. Dieses „Für-wahr-Gehaltene“ lässt sich
        nicht nur über rationale Überzeugung fassen, sondern unterliegt verschiedenen
         Mechanismen. Drei dieser Mechanismen will ich in diesem kleinen Aufsatz ge-
     nauer betrachten: die Zeitlichkeit und damit die Karriere von Gründen, die Bedeu-
       tung von Narration im Zusammenhang mit Überzeugung und die Bedeutung von
     Materialität im Diskurs. // It is not sufficient to know the reasons in favor of a cer-
      tain action in order to engage in this action. Rather, reasons need to fit into a sys-
    tem of already held good reasons. The establishment and implementation of these
         good reasons underlie different mechanisms. Three of these mechanisms shall
     be at the focus of this essay: the temporal development and career of reasons, the
          status of narration in persuasion and the relevance of materiality in discourse.
10                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             11

     Zukunft herstellen                                            destabilisiert? Mit Latour (1987) interessiert mich der Pro-                                                                                                  Aussagen und ihre Karrieren wurde eingeführt von Thomas        Bäume im Protest1
                                                                   zess des black boxing und der Fokus auf die „becomings“.                                                                                                      Scheffer unter der Überschrift „Transsequentielle Analyse“
                                                                   Der Weg ist mit Latour „ from final products to production,                                                                                                   (vgl. u.a. Scheffer 2008). Dieses analytische Verfahren hat     Im Januar 2012 wurden für den Umbau des Stuttgarter
                                                                   from ‚cold’ stable objects to ‚warmer’ and unstable ones“                                                                                                     Scheffer an Asylverfahren und Strafverfahren entwickelt,        Hauptbahnhofs 250 Bäume im Stuttgarter Schlossgar-
                                                                   (Latour 1987, S. 21). Damit ist der argumentationsanalyti-                                                                                                    also rechtlichen Verfahren, die über explizite Regeln zum      ten gefällt. Was davor geschah: 1995 beschlossen die
                                                                   sche Blick nicht auf das Produkt, das Argument gerichtet.                                                     Scheffer Thomas (2008): Zug um Zug und           Status von Aussagen verfügen und in denen es sehr klar         Deutsche Bahn, die Bundesregierung, das Land Baden-
                                                                   “Instead, it [argumentative activity] must be seen as the                                                     Schritt für Schritt. Annäherungen an eine       definierte Positionen von Anklage und Verteidigung gibt.       Württemberg und die Stadt Stuttgart den Hauptbahnhof
                                                                   ongoing construction and management of contexts within                                                        transsequentielle Analytik. In: Herbert Kalt-   Nicht umsonst ist das Rechtsverfahren oft als Blaupause        umzubauen von einem Kopfbahnhof zu einem Durch-
                                                                   which such texts are produced, distributed, and received”                                                     hoff, Stefan Hirschauer und Gesa Lindemann       für die rhetorische Theoriebildung genutzt worden, ins-        gangsbahnhof, der dann unterirdisch liegen soll. Von Be-
                                                                   (Prior 2005, S. 137). Prior schreibt mit Bezug auf Latour:                                                    (Hg.): Theoretische Empirie. Zur Relevanz       besondere für die Argumentationstheorie. Dadurch sind          ginn an haben verschiedene Gruppen, in erster Linie aus
                                                                   “These multiple translations produced a chain of objects                                                      qualitativer Forschung. Frankfurt am Main:      die Karrieren von Aussagen im (Straf-)recht sicher nicht       der Umweltschutzbewegung, das Projekt in Frage gestellt.
                                                                   and inscriptions that together constitute the data that au-                                                                                                   einfach vergleichbar mit Karrieren von Aussagen im öffent-      Und das aus verschiedenen Gründen: Kosten, Gefahr

     E
                                                                                                                                                                                 Suhrkamp, S. 368-398
            s reicht nicht aus, Gründe für oder gegen ein Han-     thorized the eventual scientific argument. This chain could                                                                                                   lichen Diskurs (vgl. auch Scheffer, Hannken-Illjes, Kozin       für das Grundwasser und damit die Mineralquellen, die
            deln zu kennen, um das eigene Handeln daran aus-       also become a site for critique, challenge, qualification,                                                    Scheffer Thomas, Kati Hannken-Illjes, Ale-       2010), doch der grundlegende Zugriff ist ähnlich. In seiner     Gefahr für den Schlossgarten als städtischem Erholungs-
            zurichten. Wie Welzer (2013) feststellt, scheint das   and rebuttal” (Prior 2005, S. 134). Möglicherweise sagt die                                                   xander Kozin (2010): Criminal Defence and       Analyse parlamentarischer Arbeit benennt Scheffer (2014,        raum, die Qualitätseinbußen mit einem neuen Bahnhof.
     Akzeptieren von Gründen für ein bestimmtes Handeln            Art der Karrieren etwas darüber aus, welche Formen der         Welzer Harald (2013): Selbst denken: Eine      Procedure. Comparative Ethnographies in the     S. 339) die Konstellation von Situationen im Verhältnis zu     Dieser Protest verblieb in den kleineren Zirkeln. Er war da,
     nicht auszureichen, um auch das Handeln zu bestimmen.         Mobilisierung gewählt werden müssen, um die Karriere ei-       Anleitung zum Widerstand. Frankfurt am         United Kingdom, Germany and the United          Objekten als zentral. „Der TSA (transsequentielle Analyse,     aber wurde öffentlich wenig wahrgenommen.
     Diese Gründe müssen in ein System von „Für-wahr-Ge-           ner Aussage zu ermöglichen.                                    Main: Fischer                                  States. Palgrave-MacMillan                      KHI) geht es um Situationen […] als Hort von Episoden ei-      2007 unterstützen mehr als 60.000 Stuttgarter/innen den
     haltenem“ eingepasst werden können. Dieses „Für-wahr-         Der Begriff der Karriere beinhaltet die Frage nach verschie-                                                                                                   nes komplexen Fertigungsprozesses […] am derart sukzes-        Antrag auf einen Bürgerentscheid zu Stuttgart 21. Dieser
     Gehaltene“, diese endoxa, lässt sich nicht nur über ratio-    denen Zeitlichkeiten. Was im Hier und Jetzt geschieht, was     Latour Bruno (1987): Science in Action.        Scheffer, Thomas (2014). Das Bohren der          sive ausgeformten, formativen Objekt“ (Scheffer 2014, S.        Antrag wurde durch die Mehrheit des Stadtrats abgelehnt.
     nale Überzeugung fassen. Das heißt nicht, dass rationale      im Hier und Jetzt geäußert wird, kann als situativ geschöpft   How to Follow Scientists and Engineers         Bretter. Zur trans-sequentiellen Analyse des    340). Das Objekt kann ein Bericht, eine Pressemitteilung,      Dies war der Moment, in dem der Protest nachdrücklicher
     Überzeugung durch gute Gründe nicht wichtig ist, sie un-      und zumindest in Teilen emergent verstanden werden. Al-        through Society. Cambridge Mass.: Havard       Politikbetriebs. In: Jens Adam und Asta Von-    ein Programm sein. Es kann aber auch eine Aussage sein,        wurde und die Demonstrationen begannen. 2010 kam
     terliegt aber verschiedenen Mechanismen. Drei dieser          lerdings unterliegt eine solche Sicht einem success bias,      University Press 24, pp. 95-117                deraus (Hg.): Formationen des Politischen.      die immer wieder aufs Neue von den Diskursteilnehmer/          der Beginn sichtbarer Bauarbeiten immer näher, ein-
     Mechanismen will ich in diesem kleinen Aufsatz genau-         je nach Feld und Situation einem stärkeren oder schwä-                                                        Anthropologie politischer Felder. Bielefeld:    innen bearbeitet wird und dadurch eine Vergangenheit           schließlich des Abrisses von Teilen des Hauptbahnhofes.
     er betrachten: die Zeitlichkeit und damit die Karriere von    cheren (für das Strafrecht vgl. Hannken-Illjes et al. 2007).   Prior Paul (2005): Toward the Ethnography      transcript, S. 335-361                          hat, aber auch bestimmte Möglichkeiten für die Zukunft         Nun begann eine Protestwelle, wie Stuttgart sie noch nie
     Gründen, die Bedeutung von Narration im Zusammen-             Aussagen, die im Hier und Jetzt produziert werden können,      of Argumentation. A Response to Richard                                                        eröffnet und andere unwahrscheinlicher macht oder ver-          erlebt hatte. Mit „Montagsdemonstrationen“ zogen bis zu
     hang mit Überzeugung und die Bedeutung von Materia-           haben immer schon eine Geschichte im Diskurs (es kann          Andrews. Text 25 (1), pp. 129-144                 1 Teile dieses Aufsatzes sind erschienen     schließt. Es kann auch ein Baum sein.                          50000 Teilnehmerinnen durch die Stadt. Diese Demons-
     lität im Diskurs.                                             nicht mehr alles gesagt werden, der Spielraum wird klei-                                                           in Hannken-Illjes Kati (2014): On          Im Folgenden werde ich an Hand eines Beispiels aus dem         trationen finden immer noch statt. Im Juli 2010 kommt
     Wie ist es möglich, dass etwas als Argument genutzt wird?     ner), und müssen dann im Hier und Jetzt den Erforder-          Hannken-Illjes Kati, Livia Holden, Alex-            Trees: Between the Symbolic and the        Feld der Rhetorik des Protests einen Blick auf die verschie-   auch die Einrichtung der Rund-um-die-Uhr Mahnwache,
     Welche Karriere machen Argumente? Wie wandert ein ei-         nissen der aktuellen (Kommunikations-) Situation gerecht       ander Kozin, Thomas Scheffer (2007): Trial           Material. In Christian Kock und Lisa       denen Zeitlichkeiten und ihren Einfluss auf die Mobilisie-     die bis zum heutigen Tag besteht. Am 30. September 2010
     gentlich gleiches Argument durch verschiedene Textsorten,     werden, die aber auch die möglichen Zukünfte im Blick ha-      and Error – Failing and Learning in Criminal        Villadsen (Hg.): Contemporary Rheto-       rung eines Arguments werfen: die Vergangenheit und ihre        protestierten Bürger/innen, in erster Linie Schüler/innen,
     durch verschiedene Materialitäten, durch verschiedene Lo-     ben muss, da das Hier und Jetzt wiederum bindende Kraft        Trials. International Journal for the Semi-         rical Citizenship. Leiden UP,              bindenden Effekte und ihr Einfluss auf das Hier und Jetzt       gegen die Fällung der Bäume im Schlossgarten. Die Polizei
     giken und wie wird es in diesem Prozess stabilisiert oder     für diese Zukünfte produziert. Dieser analytischer Blick auf   otics of Law 20 (2), pp. 159-190                    S. 117-130                                 und die möglichen Zukünfte.                                    setzte Wasserwerfer und Pfefferspray ein. Um diese Mittel
12                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                13

     zu rechtfertigen, verwies sie später darauf, angegriffen     Gebunden an die Vergangenheit                                                                                                                           gebunden werden können und so aktualisiert werden.            mit den Protestpraktiken, in die sie eingebunden wur-
     worden zu sein, nur um etwas später einzugestehen, dass                                                                                                                                                             Auffällig ist auch, dass hier narrativ argumentiert wird,      den. So wird der Topos der Nützlichkeit in Gesprächen
     es sich bei den Angriffswaffen um Kastanien gehandelt         Die Bäume im Schlossgarten haben für den Protest in                                                                                                     persönliche Geschichten als Evidenz vorgebracht werden.       häufig damit unterfüttert, dass nicht einfach abstrak-
     hatte. Am 1. Oktober demonstrierten zwischen 50.000 und     Stuttgart eine zentrale Rolle gespielt, und das in zweier-                                                                                              Neben der Beständigkeit ist der Baum aber auch verbun-        te Bäume abstrakt der Luftreinhaltung dienen, sondern
     100.000 Menschen gegen Stuttgart 21. Der 30. Septem-        lei Hinsicht: zum einen diskursiv, über Metanarrative und                                                                                               den mit dem Topos der Nützlichkeit, z.B. in Argumenten,       dass die konkreten Teilnehmer/innen des Protests unter
     ber brachte einige Veränderungen für den Protest: eini-     Topoi, zum anderen materiell, über die direkte Erfahrung                                                                                                die darauf abzielen, dass Bäume die Luft säubern.             diesen konkreten Bäumen immer nach Schutz in heißen
     ge Gegner besetzten die verbliebenen Bäume im Schloss-      der Bäume durch die Protestierenden.                                                                                                                    Der Baum ist ein Zeichen für Leben, das im Protest gegen      Sommern im Stuttgarter Kessel gesucht haben. Hier wird
     garten und bauten Baumhäuser und Zeltunterkünfte. Die       Topoi, als Fundorte von Argumenten, sind an sich neut-                                                                                                  Stuttgart 21 häufig vermenschlicht wurde. Einige Aussage      das Wissen akkumuliert über Zeit im Topos: Topoi als ge-
     Regierung versuchte einen Weg aus der Kontroverse zu        ral, können also in einem Diskurs für verschiedene und                                                                                                  der Stuttgarter Baumpaten zeigen dies: „Ein Baum ist ein      ronnenes, verdichtetes Wissen; durch die konkreten Bäu-
     finden, in dem sie eine Vermittlung unter Leitung des Po-   auch konträre Richtungen eingesetzt werden (vgl. u.a.                                                                                                   Lebewesen wie Du und ich“, „das Tier, der Mensch, der         me zurückgebunden, und nicht nur zurückgebunden an
     litikers Heiner Geißler zwischen den verschiedenen Par-     Hannken-Illjes et al 2007). Topoi können Argumente ge-                                                                                                  Baum, sie alle teilen denselben Atem“, Wer einen Baum         aktuelle diskursive Praxis, sondern an Protestpraktiken,
     teien in Gang setzte. Die brachte jedoch kaum neue Er-      nerieren, da sie als akzeptiert angenommen werden. Sie                                                                                                  fällt – tötet – ist ein Frevler“ (www.baumpaten-schloss-      die diesen Topos als Materialität, als Ding aufnehmen.
     gebnisse. In 2012, bereits unter der neuen grün-roten       bleiben in der Regel implizit und werden eher aufgerufen                                                                                                garten.de). Der Baum als Motiv bringt also schon starke       Das übergreifende Metanarrativ des Baumes, der wächst
     Landesregierung stimmte in einem Volksentscheid die         denn ausformuliert. D.h. auch, nicht der Baum ist in die-                                                                                               Sinnzusammenhänge mit, erlaubt eine bestimmte argu-           und die Luft Tag für Tag reinigt, wird aufgerufen durch
     Mehrheit der Bürger/innen in Baden-Württemberg und          sem Fall der Topos, er ist eher das Motiv, das Thema, das                                                                                               mentative Nutzung und widersetzt sich anderer.                eine Mikrogeschichte, die von persönlicher Erfahrung ge-
     auch in Stuttgart für die Weiterführung von Stuttgart 21.   verschiedene Topoi aufruft. Blickt man auf den Baum im                                                                                                  Diese Topoi lassen sich auch als Metanarrative verstehen,     tragen wird. So stehen Mikro- und Makrogeschichte in
     Kurz darauf wurden im Mittleren Schlossgarten weitere       Protest, so werden hier verschiedene Topoi aufgerufen.                                                                                                  die unterfüttert werden durch persönliche Erzählungen,        einem Verhältnis der gegenseitigen Ermöglichung und
     250 Bäume gefällt.                                          Der Baum fungiert als Bild für Schutz. Häufig finden sich                                                                                               kleine Geschichten, Fragmente von Erfahrungen mit dem         Stärkung2.
     Was mich faszinierte, war ein Film, den ich von den         in Kindheitsbeschreibungen der Literatur Bäume, die                                                                                                     Park und mit den Bäumen. Erzählen ist ein grundlegen-         Die bindende Wirkung entsteht in dem Protest gegen
     gefällten Bäumen sah (https://www.youtube.com/              bestiegen und bewohnt werden. Eines der bekanntes-                                                                                                      des Verfahren, um Kontingenz zu bewältigen, Kohärenz zu       Stuttgart 21 aber nicht nur diskursiv sondern auch ma-
     watch?v=yAcFoOtELTs): Zu sehen sind die gefällten Bäu-      ten amerikanische Kinderbücher handelt von der Liebe                                                                                                    erreichen und Sinn herzustellen (vgl. u.a. Fisher 1987).      teriell. Die Protestpraktiken der Protestierenden bein-
     me, oder einige von ihnen, die am Rande Stuttgarts im       zwischen einem Jungen und einem Baum: The giving tree                                                                                                   Für das rhetorische Erzählen stellt Fisher (1987) zwei zen-   halteten das Schmücken der Bäume mit Kuscheltieren,
     Feuerbacher Forst lagern. Man sieht Menschen, die um        (Silverstein 1964). Der Baum ruft auch den Topos der Be-                                                                                                trale Aspekte heraus: die innere Kohärenz der Geschich-       Bändern und Protestplakaten, das Bewohnen in Baum-
     diese Bäume langsam, bedächtig herumgehen. Zu se-           ständigkeit und Weisheit auf. Dies findet sich auch wie-                                                 Fisher Walter (1987): Human Communi-           te, aber auch ihre Wirkmächtigkeit und Anschlussfähig-        häusern, durch das ein Schutz der Bäume besteht, da
     hen ist Trauer, die sich auch im Schmücken der Bäume        der in dem Topos vom Baum als Habitat, Grundlage für                                                     cation as Narration. Toward a Philosophy of    keit: passt eine Geschichte zu den Geschichten, die ich       besetze Bäume nicht so leicht zu fällen sind, das Umtan-
     ausdrückt. Im Dezember 2012 waren diese Bäume weih-         Argumente wie: der Baum darf nicht gefällt werden, er                                                    Reason, Value, and Action. Columbia: Univer-   schon für wahr halte? Im Fall der Bäume im Schlosspark        zen der Bäume, das Meditieren vor ihnen, Gebete un-
     nachtlich geschmückt, es gab Kerzen, Strohsterne, kleine    bietet Lebensraum für Tiere, Insekten. Dieser Topos der                                                  sity of South Carolina Press                   wird deutlich, dass die Lebensgeschichte vieler Bürger/       ter ihnen und anderes. Es werden auch Bäume neu ge-
     Plakate.                                                    Beständigkeit wird von den Teilnehmer/innen im Protest       Schäfer Alexander (2012): Feuerba-                                                         innen und insbesondere vieler Protestierender mit den         pflanzt und diese Bäume dann wieder von Befürwortern
     Wie ist es möglich, dass die Teilnehmer/innen des Pro-      durch das Argument an die erfahrbaren Bäume zurück-          cher Wald. Https://www.youtube.com/            2 Zum Verhältnis von Mikro- und Ma-         Bäumen verwoben ist.                                          von Stuttgart 21 durch Salzlauge kaputt gemacht. Diese
     testes um die Bäume trauern wie um einen Angehörigen?       gebunden, dass diese Bäume den Stuttgartern von König        watch?v=yAcFoOtELTs                              krogeschichten siehe auch: Bogen          Diese allgemeinen Topoi, die an sich gemeinsam genutzt        Protestpraktiken bewirkten hier eine Anthropomorphi-
     Welche Karriere haben die Bäume innerhalb des Protes-       Wilhelm I. „geschenkt wurden“ und auch in den Hunger-                                                         David, Michael Lynch (1996): The          schon das Potenzial bieten, viele gesellschaftliche Grup-     sierung der Bäume, die in folgendem Zitat deutlich wird:
     tes gemacht? Warum konnten sie so starke bindende Kräf-     wintern 1946/47 nicht zu Brennholz wurden. Dies zeigt,       Silverstein Shel (1964): The Giving Tree.        Spectacle of History. Durham/Lon-         pen einzubinden, waren aber nun eng verwoben mit den          „Ja, weil man die Bäume als Freunde betrachtet hat. Also
     te entwickeln?                                              dass allgemeine Topoi an Erfahrung und Erinnerungen          New York: Harper & Row                           don: Duke University Press                konkreten, erfahrbaren Bäumen im Schlossgarten und            man hat ihnen ja auch Geschenke gegeben, man hat sie
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     umwickelt, man hat Schleifen drum gebunden, man hat           Zukunft herstellen
     Kerzen davor gestellt, hat um die getanzt, […] man hat‘s
     als Ort genommen, wo jetzt was stattfinden kann“ (Zitat       Das Narrativ der beschützenden, nährenden Bäume er-
     einer der Protestierenden gegen Stuttgart 21).                zeugt Zugzwänge für die Protestierenden. Insbesondere
     Nimmt man die konkreten Bäume mit in den Blick, ent-          durch die Anthropomorphisierung werden die Bäume zu
     steht im Protest gegen Stuttgart 21 auch eine eigenartige     Mitgeschöpfen und werden von einigen Protestierenden
     argumentative Spannung. Ein zentrales Argument ist das        auch als solche behandelt. Mit der Fällung der Bäume
     des Baumes als Schutz (Literatur, Habitat, „Nützlichkeit“     im Schlosspark waren sie ebenso wie der gesamte Pro-
     finden sich dort ein). Nun waren diese Bäume nicht wie        testraum „Park“ als Argument nicht mehr verfügbar. Es
     ein Schutz, sie fungierten im Protest als Schutz. Sie haben   wird aber nicht aufgegeben, sondern weiter geführt. Eine
     nicht über Schutz gesprochen, sie haben ihn gezeigt und       Erklärung dafür wäre, dass die Bäume schon zu sehr Teil
     sie haben ihn erfahren und erfahrbar gemacht. Hier geht       des Protestes geworden sind. Allerdings sind diese Trau-
     es nicht darum, dass der Baum etwas bedeutet, sondern         errituale eher an ein Innen der Protestbewegung gerichtet
     für Erfahrung offen steht. Die Protestgruppen besetzten        als an ein Außen. Sie finden abseitig, in einem Stuttgar-
     die Bäume, lebten in den Bäumen und machten damit             ter Wald statt, werden nicht weiter öffentlich gemacht. So
     die Erfahrung, was es bedeutet, beschützt zu werden.          sind die konkreten Bäume für den nach außen gerichteten
     In dieser Besetzung wurde der Baum auf eigentlich wi-         Protest nicht mehr verfügbar, wohl aber für die rhetorische
     dersprüchliche Weise thematisiert: der, der Schutz spen-      Arbeit nach innen. Die Karriere der Bäume bindet die Pro-
     det, muss geschützt werden, er wird geschützt, indem er       testierenden auch noch nach der Fällung der Bäume an sie
     schützt.                                                      und erfordert auch eine Vermenschlichung in den Trauer-
     Von Diskursteilnehmer/innen müssen in einer Situation         ritualen.
     verschiedene Zeitlichkeiten bearbeitet werden: eben-          Der Baum wird diskursiv als Topos (Ökologie, Esoterik,
     so wie sie durch Vorhergehendes gebunden sind, in             Politik, biblisch) aufgerufen. Damit ist er zurückgebunden
     dem Aussagen möglich sind oder nicht, produzieren sie         an „Schon-für-wahr-Gehaltenes“ und bestimmt so auch,
     durch das, was sie im Hier und Jetzt äußern, nicht nur        wie der Baum behandelt werden kann. Die Topoi werden
     eine Verstehensgrundlage für die Situation, sondern er-       auch durch die einzelnen Erzählungen von Protestieren-
     öffnen auch Manövrierraum (oder verringern ihn) für           den aktualisiert, die sich häufig auf persönliche Erfahrung
     das, was kommt. Die grundlegende Ausgangsfrage in             beziehen. Zugleich werden die Bäume nicht nur diskursiv
     der Untersuchung des Protests gegen Stuttgart 21 war          sondern auch materiell in den Protest einbezogen. Diese
     für mich, wie es möglich ist, dass sich Protestpraktiken      diskursiven und materiellen Entscheidungen der Protestie-
     entwickeln, die das Trauern um Bäume möglich, viel-           renden bestimmen, wovon sie werden sprechen können.
     leicht sogar folgerichtig und zwingend machen für die         Dies entfaltet bindende Wirkung und macht bestimmte Zu-
     Protestierenden.                                              künfte möglich.
Den Wald vor lauter
                                                   Bäumen nicht sehen
                            Über systemische Herausforderungen der Energiewende
                   und die besondere Schwierigkeit ihrer medialen Vermittelbarkeit

                                                             Tillmann Damrau   Claus Kaelber

 Eine kritische Auseinandersetzung mit den Erwartungen und Zielen der Energie-
     wende führt immer tiefer in einen Katalog systemischer Fragen und politischer
     Unschärfen. Denn bei genauerer Betrachtung bleibt offen, ob die Fokussierung
 auf technische Aspekte nicht lediglich nur Teilbereiche des Gesamtvorhabens zu
    bewältigen verspricht. So wäre vor allem auch zu klären, ob die Energiewende,
 ohne eine breite Akzeptanz und tiefer gehende gesellschaftliche Veränderungen,
   jenseits gängiger Wachstumsparadigmen überhaupt darstellbar ist. Zielführend
 wäre es, so unsere Ansicht, die Energiewende als zentralen Baustein für den Um-
    gang mit den Herausforderungen des Klimawandels zu begreifen. Damit wären
     neben Lösungen für technisch-wirtschaftliche Hürden auch Antworten auf die
   Frage verbunden, wie wir zukünftig leben wollen. Die Energiewende ist insofern
      auch der Einstieg in ein kulturelles Großprojekt über die Definition des „guten
Lebens“. // A critical debate on expectations and objectives regarding the energy
transition leads to systemic questions and political issues. It has to be questioned
     if the transition actually is operable without a broad acceptance and the aban-
      donment of the growth paradigm. We strongly recommend to value the energy
  transition as a key for dealing with climate change. Hence besides technical and
     economical challenges the debate will cover prospects of how we want to live.
    The energy transition could be considered as a starting point into a large-scale
                                               cultural project for defining „good life“.
18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            19

     Den Wald vor lauter                                            Wachstumsparadigmen, überhaupt darstellbar ist. Das                                                                                                     Der Soziologe Hartmut Rosa (2005, S. 124ff) unterscheidet        quantitativ bedeutender Sektor der Gesamtwirtschaft auf
                                                                    heißt auch, danach zu fragen, welches Akzeptanzpotenzial                                                                                                drei Ebenen der Beschleunigung, die sich allesamt als Teil      die Produktion von Inszenierungswerten ausrichtet bzw.
     Bäumen nicht sehen                                             entsprechende Handlungsmodelle auf politischer, gesell-                                                                                                 unmittelbar erfahrbarer sozialer Realität seit der Industria-   dass ein wesentlicher Teil der Warenproduktion darin be-
                                                                    schaftlicher und individueller Ebene grundsätzlich haben.                                                                                               lisierung in entwickelten Gesellschaften verankert haben.       steht, die Ware mit Inszenierungswert zu versehen“ (Böh-
                                                                    Damit verbunden sind auch Fragen nach den gegenwärti-                                                                                                   Rosa nennt die technische Beschleunigung, die zu ver-           me 2016, S. 27). „Die postfordistische Produktion ist im
                                                                    gen und zukünftigen Verantwortlichkeiten, die nicht immer                                                                                               kürzter räumlicher Distanz geführt habe und Prozesse des        Kern kulturelle Produktion, eine Verfertigung von Zeichen,

     D
              ie Energiewende darf mit Sicherheit als ein ge-       nur auf industriell-wirtschaftlicher Seite, sondern ebenso                                                                                              Austausches von Kommunikaten und Produkten immer                von sinnlichen Wahrnehmungen und Emotionen für den
              waltiges gesellschaftliches, sehr lange fortdauern-   auch auf Seiten des Verbraucherverhaltens und der Konsu-                                                                                                schneller hat werden lassen. Damit verknüpft, verweist er       Nutzer, und die sogenannte Kreativökonomie bildet das
              des Transformationsvorhaben bezeichnet werden.        mentenerwartungen zu suchen wären.                                                                                                                      auf einen sich immer schneller vollziehenden Wandel so-         Zentrum eines solchen affektiven und ästhetischen Ka-
     Denn mit dem Identifizieren umweltverträglicher Ressour-       Im Fokus steht hier die Konstruktion des medialen Alltags,                                                                                              zialer Strukturen, der sich auf individueller Ebene in ver-     pitalismus“ (Reckwitz 2015, S. 38). Für diese ästhetische
     cenpotentiale, der Analyse technischer Machbarkeiten,          die Frage nach den Bedingungen medialer Produktion                                                                                                      änderten Werte- und Handlungsmustern artikuliere. Und           Ökonomie wird Innovation ein Imperativ, sie setzt auf eine
     dem Implementieren adäquater Strukturen und damit              ebenso wie den unterschiedlichen Formen der Nutzung                                                                                                     schließlich hält er ein subjektiv neues Zeitgefühl für ver-     erlebnisorientierte Produktion von stets »Neuem«. Vor-
     einer, allem Bekunden zufolge, nachhaltigen Energiever-        medialer Inhalte und den damit verknüpften Rollen und                                                                                                   ankert, das dazu führe, den Eindruck eines permanenten          bild sind kreative Branchen wie Kunst, Mode, Werbung
     sorgung wird es nicht getan sein. Das ist ein klares Bild,     Erwartungen. Innerhalb dieser Bereiche sind fundamenta-                                                                                                 Zuwachses besonders auf Ebene der Informationsmenge             und Design. Auch Arbeit soll jetzt interessant und heraus-
     das wir aus zahlreichen Gesprächen, Beobachtungen und          le Veränderungen innerhalb weniger Jahre festzumachen                                                                                                   und damit der kommunikativen Erwartungen als erzwun-            fordernd sein, kreativ eben. Das kreative Moment von Ar-
     Auswertungen im Rahmen des dreijährigen Forschungs-            (vgl. ARD-Werbung 2015a), die Auswirkungen nicht nur                                                                                                    gen und unumgänglich zu empfinden. Aus einer Sicht              beit wird als intrinsische Motivation erlebt. Arbeit soll nicht
     projekts e-transform, das im Herbst 2016 zu Ende ging,         auf energie- oder umweltrelevante Politikbereiche haben,                                                  Rosa Hartmut (2005): Beschleunigung. Die      der Nutzungsoptimierung heraus interpretiert würde das          mehr nur den Lebensunterhalt sichern, sie ist jetzt Be-
     gewinnen konnten.                                              sondern die Verständigung einer Gesellschaft über ihre                                                    Veränderung der Zeitstrukturen in der Mo-     in Anlehnung an gängige Wettbewerbsmodelle heißen,              standteil einer allgemeinen Selbstoptimierung. „Lebens-
     Wo liegen die Probleme, wo scheinen sich Widersprüche          gesamte eigene Strukturbeschaffenheit neu bestimmen.                                                       derne. Frankfurt am Main: Suhrkamp            möglichst „mehr“ im Rahmen einer nach wie vor begrenz-          langes Lernen, Flexibilität, Mobilitätsbereitschaft und die
     festzusetzen? In der Gesamtbewertung des Vorhabens be-         Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Rahmen des                                                                                                      ten Gesamtzeit (des Lebens) bewältigen zu müssen. Das           Herrschaft des Kurzfristigen verlangen die Auflösung stabi-
     steht die große Gefahr, sich in technischen Details oder       Projekts e-transform mit den Bedingungen transformati-                                                    Böhme Gernot (2016): Ästhetischer Kapita-     Selbstverständnis wirtschaftlichen Wettbewerbs ist diesen       ler Identitäten und reservieren die Zukunft für ein wolkiges,
     in Aspekten peripherer Fragestellungen zu verfangen. Die       ver Erzählungen und den Potentialen ihrer medialen Ver-        Bundesregierung (o.J.): Energiewen-        lismus. Berlin: Suhrkamp                      Überlegungen zufolge auch bereits zum unumgänglichen            wandelbares Ich. Kurzfristige Verträge ersetzen dauerhaf-
     wirklichen Herausforderungen liegen nach unserem Da-           mittelbarkeit beschäftigt und dabei intensive Diskussionen     de. Fragen und Antworten. Https://www.                                                   Momentum sozialen Handelns auf individueller Ebene ge-          te Institutionen in professionellen und familiären, kultu-
     fürhalten auf einer maßstäblich anderen Ebene. Denn            mit unterschiedlichsten Akteuren und Bezugsgruppen über        bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/The-       Reckwitz Andreas (2015): Ästhetik und         worden. Ein Infragestellen dieser Mechanismen, etwa mit         rellen und sozialen Dimensionen [...], der ältere Auftrag,
     eine kritische und vor allem interdisziplinäre Auseinan-       Vorbehalte, Hürden, Hoffnungen und Erwartungen im               men/Energiewende/Fragen-Antworten/1_All-   Gesellschaft – ein analytischer Bezugsrah-    Blick auf einen intendiert geringeren Ressourcenverbrauch       Lebensläufe als Selbstwerdungsprozesse zu verwirklichen,
     dersetzung mit den Erwartungen und intendierten Zielen         Kontext der Energiewende geführt. Angesichts allgemein         gemeines/1_warum/_node.html (aufgerufen    men. In: Andreas Reckwitz, Sophia Prinz und   oder kleinräumigerer Bezugsgrößen im Warenverkehr,              weicht der Aufgabe, sich mit einer Kunst des Anderswer-
     der Energiewende (vgl. Bundesregierung 0.J.) führt immer       beschleunigter Kommunikationsprozesse stellt dieses The-       am 27.12.2016)                             Hilmar Schäfer (Hg.): Ästhetik und Gesell-    müsste konsequenterweise früher oder später in systemi-         dens zu arrangieren“ (Vogl 2010, S. 137f). Das ist sowohl
     tiefer in einen Katalog systemischer Fragen und Unklarhei-     ma im Grunde aber seinerseits schon den Teil einer par-                                                   schaft: Grundlagentexte aus Soziologie und    schen Betrachtungen münden.                                     dauerhaft anstrengend als auch zeitintensiv, vollzieht sich
     ten. Nach wie vor herauszuarbeiten ist, ob die Energiewen-     allelen Transformationsagenda dar, die als Motor globa-        ARD-Werbung (2015a): ARD/ZDF-Studie        Kulturwissenschaften. Berlin: Suhrkamp,       Hinzu kommt der von Sozialwissenschaften ab den neun-           jedoch weitgehend im Konsens mit der gesellschaftlichen
     de (auch als zentraler Baustein für den Umgang mit den         ler, wirtschaftlicher Kompetitivität gelten darf und mit dem   Massenkommunikation 2015. Http://www.      S. 13–52.                                     zehnhundertachtziger Jahren beobachtete Aufstieg der            Mehrheit. Wesentlichen Anteil an der Entwicklung dieser
     Herausforderungen des Klimawandels) mittelfristig ohne         Begriff „Digitalisierung“ nur unscharf einzufangen ist und      ard-werbung.de/media-perspektiven/media-                                                 »creative industries« und einer »creative economy«. Es          ästhetische Ökonomie haben die durch die Digitalisierung
     eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und Veränderun-        auch hinsichtlich der Ziele der Energiewende kritisch zu be-   perspektiven/ardzdf-studie-massenkommu-    Vogl Joseph (2010): Das Gespenst des Kapi-    entsteht eine »ästhetischen Ökonomie«, ein »ästhetischer        initiierten, immensen Innovationen in allen Lebensberei-
     gen hin zu anderen Lebensstilkontexten, jenseits gängiger      leuchten sein wird.                                            nikation (aufgerufen am 27.12.2016)        tals. Zürich: Diaphanes                       Kapitalismus«, dessen Kennzeichen es ist, „dass sich ein        chen, speziell aber in den Bereichen Technik und Medien.
20                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          21

     Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann (2005) verwies öf-       im Wesentlichen aber wenig systemischen Transformati-                                                                                                       Weltgesellschaft unter der Hegemonie der Markensymbole        Peergroups meist als wenig attraktiv, ästhetisch alles ande-
     ter auf den Zusammenhang zwischen marktwirtschaftlicher       onsbedarf erkennen mag? Dazu kommt, dass unter dem                                                                                                          verkehrt“. Noch nicht erschöpfend geklärt ist dabei, wie es   re als seduktiv und nicht selten als belehrend empfunden
     Logik, deren Implikationen und den Druck auf individuelle     zunehmenden Druck der individuellen Leistungsanpassung                                                                                                      mit der Alltagsdurchdringung digitaler Medien in den ver-     wird, soll hier nicht weiter ausgebreitet werden. Dennoch
     Freiheitserwartungen. Luhmann weitergedacht, ergibt sich      immer weniger Ressourcen zur Auseinandersetzung und                                                                                                         gangenen vier bis fünf Jahren gelingen konnte, die Konsu-     wird eine lebensweltliche Verankerung von Nachhaltigkeit
     für den Publizisten Christoph Fleischmann daraus, dass        Bewertung möglicher Transformationsanschlüsse „ande-                                                                                                        menten zu medialen Selbstinszenierungen und zur Verfüg-       und Umweltschutz vor allem auch einer entsprechenden
     „Menschen ihre Güter, aber auch ihre (Arbeits-)Zeit, mithin   rer“ Erzählungen als jene des Fortschreibens von Perfor-                                                                                                    barmachung individueller, wenn nicht gar intimer Daten,       Kultur bedürfen, die Prävention bezüglich des Klimawan-
     sich selbst analog zum Kapital als Investitionen verstehen    manz und Wachstum vorhanden sind.                                                                                                                           zu motivieren, die im Wesentlichen primär die ökonomi-        dels mit der Wahl eines entsprechenden Lebensstiles ver-
     müssen. [...] Um Wohlstand aufzubauen, müssen bestimm-        Die jüngeren Veränderungen im Mediennutzungsverhal-                                                                                                         schen Interessen Dritter bedienen (vgl. Hardt/Negri 2001,     bindet. Die Entscheidung für einen nachhaltigen Lebens-
     te Ereignisse und Möglichkeiten eingeschränkt werden. Die     ten, besonders die Phänomene der Selbstreferentialität im                                                                                                   S. 280ff). Nennenswerter Widerspruch ist bislang nicht         stil hieße demnach – so die These – im Kontext von Kultur
     Zukunft wird ihrer prinzipiellen Offenheit beraubt, weil die   Bereich mobiler digitaler Information und Kommunikation,                                                                                                    festzustellen, ganz im Gegenteil scheinen diese Leistungen    eine ästhetisch motivierte Wahl zu treffen und zu kommu-
     Möglichkeiten, die nicht an die Steuerungsgröße Kapital an-   verstärken diesen Prozess zusätzlich. Der Sozialpsychologe                                                                                                  des Bespiegelns und Darstellens ein Akt des Suchens nach      nizieren, die individuell auf die Frage antwortet, was »das
     schlussfähig sind, unter extremen Druck geraten und kaum      Harald Welzer wundert sich mit Recht über die nur ansatz-                                                                                                   Anschluss und Verbindung zu jenen Narrativen von Glück        gute Leben« angesichts des Klimawandels denn sei. Hier
     noch Realisierungschancen haben, zumindest nicht im Sys-      weise artikulierte Kritik, die vermeintlich „personalisierten                                                                                               und Zufriedenheit zu sein, die als mediale Produktionen       berührten sich dann Ethik und Ästhetik. In diesem Sinne
     tem der Wirtschaft. [...] Was kein Geld einbringt, wird zur   Angeboten“ entgegengebracht wird, die letztlich ja nur das                                                                                                  von der Industrie permanent in Form von Werbung, Un-          etwa spricht Ulrich Beck hinsichtlich des Klimawandels
     bloßen Möglichkeit, die wenig Chancen auf Verwirklichung      eigene Verhalten messen, extrapolieren und im Sinne ei-                                                                                                     terhaltung und leitbildenden Zukunftsversprechen bereit-      von einer „emanzipatorischen Katastrophe“ (Beck 2016, S.
     hat“ (Fleischmann 2014, S. 103ff). „Genetische Ausstattung,    ner ökonomischen Optimierung des Individualkonsums                                                                                                          gestellt und immer präziser an die unterschiedlichsten Ad-    55ff u. S. 153ff ): „Der Klimawandel verkörpert die Fehler
     Erziehung, Bildung, Wissen, Gesundheit und Familienpla-       Daten und Informationen detaillieren. Welzer hält den Be-       Luhmann Niklas (2005): Die Soziologie                                                       ressaten vermittelt werden.                                   einer ganzen Epoche fortschreitender Industrialisierung
     nung werden gleichermaßen dem »ökonomischen Ansatz«           griff der Manipulation, weil in der öffentlichen Wahrneh-         und der Mensch. Soziologische Aufklärung                                                                                                                  [...]. Sie repräsentieren gleichsam eine Rückkehr des kol-
     unterworfen, und als Wissenschaft von menschlichen Ver-       mung als verstaubt und antiquiert belegt, für nicht mehr        Bd. 6, Wiesbaden: VS Verlag                                                                 Die Debatten um »die Energiewende« und »Nachhaltig-           lektiven Unbewussten, durch die den Selbstgewissheiten
     haltensweisen und Entscheidungen überhaupt bezieht sich       angemessen, vielmehr müsse von „Verführung und Steue-                                                                                                       keit« werden gewöhnlich von technischen und ökonomi-          des nationalstaatlich organisierten Industriekapitalismus
     die ökonomische Analyse nun auf Totalitäten eines sozia-      rung“ (Welzer 2016), von der „Konstruktion eines anderen        Fleischmann Christoph (2014): Wem                                                           schen Gesichtspunkten einerseits und sozialen Wunsch-         seine Fehler in Form einer objektiven Bedrohung seiner
     len Feldes, dessen Dynamik und dessen Mikrostrukturen         sozialen Raumes“ die Rede sein, in dem es vorrangig um          gehört die Zeit? BfduiP 1/2014                                                              projektionen und gesellschaftlichen Utopieelementen           eigenen Existenz gegenübertreten“ (Beck 2016, S. 56).
     sich nach den Kriterien von Knappheit, Wahlzwang und          das Verkaufen von Images und Produktwelten gehe. Der                                                                                                        andererseits bestimmt. Eine Verknüpfung, wenn auch            Die allermeisten von uns haben irgendeine – zumindest
     Opportunitätskosten erschließen“ (Vogl 2010, S. 138). Die     Journalist Thomas Steinfeld (2016) bezeichnete in einem         Welzer Harald (2016): Die höchste Stufe                                                     meist in völlig unterschiedlichen Diktionen, finden die Po-   vage – Vorstellung von dem, was »das gute Leben« sei.
     mittel- und langfristigen Transformationsperspektiven der     Aufsatz über die im Vergleich zu Deutschland noch deutlich      der Zensur: Das Leben in der Ich-Blase. Blät-                                               sitionen in der Unsicherheit, ob und in welcher Form Kon-     Auf Nachfrage können wir diese Vorstellung – zumindest
     Energiewende gelten bislang jedoch kaum als anschluss-        weiter entwickelte Kommerzialisierung der italienischen         ter für deutsche und internationale Politik                                                 sens oder zumindest mehrheitsfähige Unterstützung für         andeutungsweise – auch beschreiben. Das gute Leben
     fähig, weder im Sinn der systemischen noch der individu-      Medien, „Werbung“ als „systemische Bewirtschaftung von          7/2016, auch online verfügbar unter https://                                                das Etablieren der Energiewende im Alltag erreichbar ist.     scheint im Allgemeinen bestimmt von der Sorge ums Wohl-
     ellen Wohlstandserweiterung. Wie damit umgehen, wenn          Aufmerksamkeit“, die das Mediensystem überhaupt noch            www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/                                                     Auf der einen Seite werden die bekannten Glückserzäh-         befinden einerseits und dem Bedürfnis nach Wertorien-
     das, gleichwohl unter Einschränkungen, freie Subjekt in ein   zusammenhalte. Werbung, so Steinfeld, trete „nicht nur          juli/die-hoechste-stufe-der-zensur-das-leben-   Hardt Michael, Antonio Negri (2003): Em-    lungen technisch-wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ent-     tierung andererseits. Wir wollen zugleich gut sein und es
     ökonomisch bewertendes Objekt übergeht und an diesem          als kulturell sinnstiftende Instanz auf, sondern als poten-     in-der-ich-blase (aufgerufen am 22.12.2016)     pire. Harvard University Press: Cambridge   faltet, auf der anderen Seite immer wieder das Verspre-       schön haben. Im Kontext einer zunehmend diversifizierten
     (mit der Digitalisierung sich beschleunigenden) Prozess we-   tiell die gesamte Wirklichkeit umfassende, unausweich-                                                                                                      chen vorgetragen, globale Probleme aus dem Biotop des         Gesellschaft und Kultur sucht sich jeder ein gutes Leben
     nig Einspruch artikuliert, der Umwelt- und Klimaproblema-     liche Form kommunikativen Handelns.“ Das habe einen             Steinfeld Thomas (2.8.2016): Italien ist ein    Beck Ulrich (2016): Die Metamorphose der    Verzichts und der Bescheidenheit steuern zu können. Dass      nach seiner Fasson – irgendwo zwischen genussorientier-
     tik temporär zwar kritische Aufmerksamkeit entgegenbringt,    „semantisierten Themenpark“ zu Folge, „zu dem sich die          Kaufhaus. Süddeutsche Zeitung, S. 9             Welt. Berlin: Suhrkamp                      letztere Perspektive außerhalb der ökologisch motivierten     ten und eher »idealistisch« wertbetonten Positionen.
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