Pleisweiler Gespräch am 15. Juli 2018 - Der Kampf um die Energiewende Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Becker, Kreuzbergweg 11, 34253 Lohfelden ...

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Pleisweiler Gespräch am 15. Juli 2018 - Der Kampf um die Energiewende Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Becker, Kreuzbergweg 11, 34253 Lohfelden ...
Pleisweiler Gespräch am 15. Juli 2018
Der Kampf um die Energiewende
Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Becker, Kreuzbergweg 11, 34253 Lohfelden
2    Die Energiewende ist ein hochkomplexer Vorgang.
     Sie wird vorangetrieben vom Klimawandel.
     Da der Klimawandel ein                      weltweites   Phänomen   ist,   ist   auch   die
      Energiewende international.
     Mein Vortrag kann sich daher nicht auf die Situation in Deutschland
      beschränken, sondern muss die wichtigen internationalen Vorgänge und
      Triebkräfte in den Blick nehmen.
     Schwerpunkte:
           Wie kam es zur deutschen Energiewende?
           Was ist international vorausgegangen, was hat sich international
            ereignet?
           Wie ist die Situation in Deutschland? Die Triebkräfte, Einschätzungen und
            Fehleinschätzungen. Wo geht die Reise hin?
           Wer treibt die Energiewende voran, wer kritisiert sie, warum?
           Warum wird alles gut?
    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
3   1. Der Klimawandel ist international, daher ist es
       auch der Klimaschutz: Die Abkommen
    Die Entwicklung
     Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC oder Weltklimarat) 1988:
      2007 ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis, zusammen mit Al Gore
     Rio de Janeiro 1992: Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
      (UNCED)
     Berlin 1995: 1. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 1)
     Kyoto 1997: 3. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 3)
      – Kyoto-Protokoll, das die Welt in zwei Kategorien einordnet: die entwickelte
      und die sich entwickelnde Welt.
     Den Haag 2000: 6. Vertragsstaatenkonferenzen der Klimarahmenkonvention
      (COP 6)

    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
 Johannesburg 2002: Konferenz der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen
4     Entwicklung
     Bonn 2009: Gründung der International Renewable Energy Agency (IRENA)
     Kopenhagen 2009: 15. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention
      (COP 15
     Warschau 2013: 19. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention
      (COP 19)
     Paris 12/2015: Klimaschutzvertrag. Dazu: Schafhausen, Der Klimaschutzvertrag
      von Paris: Bemerkungen eines Insiders, ZNER 2016, 175
     Eckpunkte von Paris:
           Netto-Null-Treibhausgasemissionen im Laufe des Jahrhunderts
           Beschränkung des durchschnittlichen weltweiten Temperaturanstiegs auf
            unter 2° C mit der Tendenz auf 1,5° C (Obergrenze)
           Zusage     für  eine     internationale Klimafinanzierung  durch    die
            Industriestaaten: jährlich 100 Mrd. Dollar bis 2025, danach Festlegung
            neuer Ziele
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
5   2. EU-Recht

      Europäisches Emissions-Handels-System 2005 (Emission Trade System, ETS)
             Erste Basis-EU-Emissionshandelsrichtlinie (2003/87/EG)
             Deutsche Umsetzung: Treibhausgas-Emissions-Handelsgesetz (TEHG), seit 15. Juli 2004
             Funktionsweise ‚Cap and Trade‘ – Beschränken und Handeln:
             Das System will jährlich Zertifikate reduzieren, um so den CO2-Ausstoß zurückzuführen
             Erfasste CO2-Emittenten erhalten Zertifikate, aber etwas weniger, als sie brauchen, um
              den gesamten CO2-Ausstoß zu erfassen.
             Jedoch wurden auf Druck der Industrie die Zertifikate kostenlos ausgegeben und
              müssen erst später aufgrund von Versteigerungen zuerworben werden.
             Viele Unternehmen haben nicht benötigte Berechtigungen am Markt verkauft.
             Der Marktpreis – später der Börsenpreis – verfiel, 2016 auf 5,62 €/t.
             Speerspitze des Widerstands der Industrie: Wirtschaftsminister Wolfgang Clement.

    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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                 Hans-Werner Sinn (Ex-Chef IFO-Institut) kritisiert, dass das EEG das ETS unterlaufe,
                  weil EE den CO2-Ausstoß bremsten und so den Überschuss an Zertifikaten
                  verstärkten.
                 Die Kritik ist richtig, soweit sie das Preisphänomen beschreibt, aber dennoch falsch,
                  weil das EEG früher kam. Deswegen hat Jürgen Trittin von Anfang an eine viel
                  stärkere Begrenzung der Zertifikatzahl gefordert.

         Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer integrierten Energie- und
          Klimapolitik 2007, gültig für Strom, Wärme/Kälte und Verkehr
         Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009
         Deutschland 18 % aus EE am gesamten Endenergieverbrauch bis 2020
          (Anteil 2005 5,8 %)
         EU-Energieeffizienz-Richtlinie 2012,
         neugefasst 20.01.2018

    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
7   3. Wie ist die Energiewende in Deutschland eigentlich
       entstanden; der Beitrag der CSU

     Ich verorte sie beim Stromeinspeisungsgesetz (StrEG), das am 1.1.1991 in
      Kraft getreten ist. Geschichte:
     Die Betreiber von Wasserkraftwerken kämpfen gegen die Netzbetreiber, vor
      allem die Stromkonzerne und Stadtwerke, um kostendeckende
      Einspeisevergütungen für Überschussstrom.
     Sie erreichen aber nur eine Verbändevereinbarung.
     Das Problem: Die Netzbetreiber sind Monopolisten, sie können die
      Wasserkraftbetreiber ausbremsen.
     Da kam er: Dr. Peter Ramsauer, Betreiber einer Mühle mit Wasserkraft und
      Geschäftsführer der Bayerischen Kleinwasserkraftbetreiber e.V.
     Er kommt 1990 in den Bundestag, packt sofort sein Anliegen einer
      gesetzlichen Regelung an und findet dabei Unterstützung von allen
      Fraktionen, insbesondere von Hermann Scheer, der seit 1980 im Bundestag
      sitzt und den Betrieb kennt.
    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
 Scheer empfiehlt ein Parlamentsgesetz, also ein Gesetz, dessen Entwurf nicht
8     aus dem Bundeswirtschaftsministerium kommt, das die Stromkonzerne im
      Griff haben.
     Eckpunkte:
           Die Netzbetreiber müssen Strom aus Wasser- und Windkraft,
            Sonnenenergie, Deponiegas, Klärgas oder aus Biomasse abnehmen
            und vergüten.
           Die Vergütung beträgt für Strom aus Sonnenenergie und Windkraft
            mindestens 90 % des Durchschnittspreises je kWh, den Letztverbraucher
            bezahlen müssen, für die restlichen Erzeuger 80 %.
           Es gibt eine Härteklausel: Wenn die Einspeisung 5 % der insgesamt über
            das Versorgungsnetz des Netzbetreibers abgesetzten kWh übersteigt,
            muss der vorgelagerte Netzbetreiber die Mehrkosten für diesen Anteil
            erstatten. Wird infolge des Windkraftausbaus in Schleswig-Holstein und
            Niedersachsen binnen weniger Jahre mehrfach erreicht.
     Alle Parteien stimmen zu, auch die FDP.
     Das Gesetz hat nur 6 Paragrafen!
    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
9   4. Der Einfluss der Strommarktregulierung

     1998 kommt es zur Stromliberalisierung, in Deutschland umgesetzt durch das
      Energiewirtschaftsgesetz, das im Wesentlichen seit 1935 gilt.
     Es wird erzwungen durch die EU-Stromrichtlinie von 1996. Wesentliche
      Merkmale:
            Schaffung eines wettbewerbsorientierten Elektrizitätsmarkts zur Vollendung des
             Energiebinnenmarkts
            Netzöffnung
            Freie Wahl des Stromlieferanten
            Vorrang für die Elektrizitätserzeugung auf Basis Erneuerbarer Energien (EE) aus
             Gründen des Umweltschutzes
     Netzöffnung    und   Netzentgelte     zunächst                 auf    Basis     einer
      Verbändevereinbarung    (VV),    seit    2005                 Regulierung      durch
      Regulierungsbehörden

    Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
10   5. Das EEG 2000
      EEG 2000. Wiederum Parlamentsgesetz. Auslöser: Der „5%-Deckel“ wird erreicht,
       die vorgelagerten Stromkonzerne müssen Überschussstrom abnehmen und
       bezahlen.
      Das Gesetz ist eines der wichtigsten der rot-grünen Koalition, die seit 1998 an der
       Macht ist. Viele Abgeordnete der CDU/CSU unterstützen es, treibende Kraft CSU
       (Ramsauer und Scheer sind befreundet).
      Ziel des Gesetzes: „Im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige
       Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag der EE an
       der Stromversorgung deutlich zu erhöhen, um entsprechend den Zielen der
       Europäischen Union und der BRD den Anteil Erneuerbarer Energien am
       gesamten Energieverbrauch bis zum Jahr 2010 mindestens zu verdoppeln.“
      Ergebnis: Anteil der EE an der Stromerzeugung steigt von 4,6 % 1998 auf 10 %
       Ende 2004; aktuell 36,2 %!
      Folge des Ausbaus der Windkraft, der sich seit 2000 mehr als verdoppelt hat und
       damals etwa einem Drittel der weltweit installierten Windkraftkapazität
       entsprach.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
11    Es bleibt bei der Abnahme- und Vergütungspflicht des StrEG.
      Neu eingeführt wird das System der festen Einspeisevergütungen; z.B. für
       Strom aus Windkraft mindestens 17,8 Pf/kWh für die Dauer von 15 Jahren,
       danach 12,1 Pf/kWh, Solarstrom 99 Pf/kWh.
      Garantievergütung für 20 Jahre
      Prinzip: Abdeckung der Investition und Gewinnzuschlag, bildet Marktstand ab
      Clou: Bundesweite Ausgleichsregelung in § 11, die wie folgt funktioniert:
      Die Netzbetreiber, die den                  Strom   aufnehmen,   müssen   ihn   an   alle
       Stromhändler weiterreichen.
      Jeder Stromhändler muss im Jahr so viel Strom aus EE verkaufen, wie der
       bundesweit insgesamt abgesetzte Strom Strom aus EE enthält.
      Dieses System wird „physikalischer Belastungsausgleich“ genannt.
      Vorteil: Der Absatz des Stroms aus EE ist für jeden Stromkunden gesichert.
      Außerdem ist der Preis gesichert, denn jeder Stromhändler kalkuliert den Preis
       je kWh entsprechend seinem Portfolio aus „Graustrom“ und EE-Strom.
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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      Übrigens: Das System des physikalischen Belastungsausgleichs entstand in
       der Kanzlei des Vortragenden. Hermann Scheer hatte an einem Donnerstag
       in meiner Kanzlei angerufen. Wir ersannen die Lösung am Freitag. Sie war
       einfach: Das System des StrEG wurde auf die Situation im Bund übertragen.
       Am Sonntag diskutierten wir die Lösung im Bundestag. Hermann ließ große
       Mengen Pizza anliefern. Der EEG-Referent im Umweltministerium brachte die
       Regelung über Nacht in Gesetzesform. Am Montag wurde sie vom
       Bundestag beschlossen. So etwas konnte nur Hermann Scheer.
      Wichtig: Auch das EEG 2000 enthält nur 12 Paragrafen (damit aber schon
       doppelt so viel wie das StrEG) und einen Anhang.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
13   6. Weitere Entwicklungen
      Stromintensive Unternehmen werden durch § 11a EEG 2003 von der
       Abnahmepflicht für EE-Strom freigestellt.
      Umfassende Novellierung des EEG im Jahr 2004 (noch unter Rot/Grün)
      Vorgesehen war eine Obergrenze für die zusätzlich Belastung der nicht
       begünstigten Stromverbraucher durch die Förderung der stromintensiven
       Industrie; kam nicht.
      Anpassungen der Einspeisevergütungen
      Problem: Die Einspeisevergütungen müssen ständig nachjustiert werden,
       weil die „Lernrate“ ständig steigt.
      Die Lernrate indiziert den technischen Fortschritt, der sich z.B. in einem
       rapiden Verfall der Kosten für Solarmodule zeigt.
      Das Gesetz hat schon 21 Paragrafen.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
14   7. Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglmechV)
        2009 und EEG 2010: Ab ins Desaster

      2009-2013 Schwarz/Gelb an der Macht
      Abschaffung des physikalischen Belastungsausgleichs
      Einführung    der   EEG-Umlage:     Sie      soll die Bezahlung   der
       Einspeisevergütungen sicherstellen, die      in Summe ständig steigen
       („Rucksack“).
      Aber zugleich packt der Gesetzgeber die Ausfälle durch die Förderung der
       stromintensiven Industrien in die Umlage rein. Derzeit enthält die Umlage
       1,57 Cent Preisanteil, den zu tragen eigentlich Staatsaufgabe ist. Ich halte
       das für verfassungswidrig.
      Vgl. Energiedepesche 2/2018 vom Juni 2018

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
15    Außerdem ist die EEG-Umlage so konstruiert, dass sie ständig steigen muss:
            Die obere Grenze geht nach              oben,   weil   die   Summe     der
             Einspeisevergütungen noch steigt,
            der untere Teil wird gebildet durch den Preis für die Vermarktung der EE
             an der EPEX Spot in Paris. Da die Menge an EE-Strom ständig steigt, geht
             der Preis nach unten, Folge des Umstandes, dass Überschuss herrscht.
      Die EEG-Umlage ist einfach fehlkonstruiert.
      Da die stromerzeugenden Braunkohlekraftwerke von der EEG-Umlage
       freigestellt sind, kann nur der Strompreis aus abgeschriebenen
       Braunkohlekraftwerken mit dem Börsenpreis mithalten. So erzeugt die
       fehlkonstruierte EEG-Umlage den Effekt, dass die Braunkohleverstromung
       zunimmt – und damit der CO2-Ausstoß, der erstmals 2017 wieder gestiegen ist.
      Außerdem kam mit dem EEG 2009 die Regelung, dass die Netzbetreiber
       Anlagenlagenbetreiber entschädigen müssen, deren Anlagen sie abregeln,
       weil zu viel Strom im Netz ist.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
16    Da EE-Anlagen leichter abgeregelt werden können als schwerfällige
       Kohlekraftwerke, laufen diese durch. So verstopft Kohlestrom die Leitungen.
      Der Strom, der von Deutschland Nord nach Deutschland Süd transportiert
       werden muss, ist daher überwiegend Kohlestrom; ein Grund mehr, warum wir
       schnellstens aus der Kohleverstromung heraus müssen.
      Diese Regelungen waren schon unter Rot/Grün angedacht, sind aber unter
       Schwarz/Gelb (2009-2013) umgesetzt worden.
      Erwähnt werden muss noch das Energiekonzept 2010: Es bekräftigt das
       Nebeneinander von
            EE-Ausbau
            Festhalten an der Verstromung von Kohle und
            Atom („Brückentechnologie“).
      Fehler über Fehler!

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
17   8. Atomausstieg
      Teil 2 des Energiewende-Programms der rot-grünen Koalition (1998-2009)
      Jürgen Trittin und Rainer Baake packen den Atomausstieg auf Basis
       hessischer Erfahrungen gleich an.
      Er werden Verhandlungen mit den Stromkonzernen aufgenommen, die sich
       darauf einlassen: In Hessen und Schleswig-Holstein, wo rot-grüne
       Regierungen an der Macht waren, wurde der „ausstiegsorientierte
       Atomgesetzvollzug“ praktiziert: Forcierte Sicherheitsauflagen brachten
       hohe Nachrüstungskosten.
      Dem wollten die Stromkonzerne entgehen.
      Rot/Grün minimiert auf                      diese   Art   und   Weise   das   Risiko   von
       Schadenersatzansprüchen.
      Es kommt zum Ausstiegsvertrag vom 14. Juni 2000, der in 2001 in ein
       Ausstiegsgesetz umgesetzt wird.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
18    2009 kommt eine schwarz-gelbe Koalition an die Macht, die den „Ausstieg
       aus dem Ausstieg“ beschließt.
      Am 6.9.2010 wird ein Vertrag zwischen der Bundesregierung und den 4
       Energiekonzernen über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten geschlossen.
      Am Freitag, 11. März 2011, explodieren in Fukushima drei von sechs
       Atomreaktoren.
      In der Nacht von Sonntag auf Montag überzeugt Bundesumweltminister
       Röttgen Bundeskanzlerin Merkel, dass Deutschland aus der Atomverstromung
       aussteigen müsse („Das stehen Sie nicht durch.“).
      Am Montagmorgen wird entschieden, dass die acht ältesten Atomkraftwerke
       Deutschlands abgeschaltet werden müssten.
      Hintergrund: Untersuchungen nach 9/11 hatten ergeben, dass diese acht
       AKWs einem terroristischen Flugzeugabsturz nicht standhalten könnten. Aber
       es wurden wegen des „Atomfriedens“ – Ausstiegsbeschluss 2001 gegen
       staatliches  Stillhalten  trotz  Nachrüstungsnotwendigkeiten     –   keine
       Konsequenzen gezogen.
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
19    In   zwei     Sonderfällen    löste     diese                      Entscheidung           später
       Schadenersatzansprüche der Betreiber aus.
      Außerdem       kippte                       das   Bundesverfassungsgericht         2017     die
       Kernbrennstoffsteuer.
      Im Juni 2011 bekräftigte der Bundestag den Atomausstieg nach den
       Grundsätzen, die schon 2001 entschieden worden waren.
      Unmittelbar nach Fukushima hatte                        übrigens   sogar     die   FDP    einen
       beschleunigten Atomausstieg verlangt.
      Jedenfalls ist klar, dass spätestens 2022 das letzte AKW abgeschaltet wird.
       Aber sie werden auch nicht gebraucht.
      Viele behaupten, die Atomverstromung sei eine „Zukunftstechnologie“. Das
       kann ich anhand meiner Atomprozesse nicht bestätigen:
            Obrigheim: keine Errichtungs-, keine Betriebsgenehmigung; Obrigheim wird 2005 das
             erste deutsche Opfer des Atomausstiegs.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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           Biblis A: zahlreiche Genehmigungsmängel
           Mülheim-Kärlich: ursprüngliche Planung war die Errichtung auf einer Erdbebenspalte.
            Nachdem der Betreiber das herausbekommen hatte, wurden Reaktorgebäude und
            Maschinenhaus entkoppelt, aber ohne Genehmigungsverfahren.
           Das OVG Koblenz schaltet Mülheim-Kärlich ab.
           Hamm-Uentrop, der sogenannte ‚Kugelhaufenreaktor‘: wird nach wenigen Wochen
            Laufzeit abgeschaltet. Beim Rückbau zeigt sich, dass zahlreiche Graphitkugeln defekt
            sind.
           Kalkar: kommt nie ans Netz, weil die Brütertechnologie nicht ausgereift ist (siehe
            Superphénix).

      Atomkraft als „Schlüsseltechnologie“?
           Sie sichert nur 2 % des weltweiten Strombedarfs.
           Die „European Pressurized Reactors“ (EPR) machen derzeit eine Verdreifachung der
            Kosten durch, noch keiner wurde fertiggestellt.
           Der französische Atomkonzern Areva war pleite, konnte nur durch eine staatliche
            Kapitalspritze von 4,5 Mrd. Euro gerettet werden und wurde von EdF übernommen
            (Framatome).

      Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
21   9. Die Querschläger

     a) Die EE-Lobby
      Sie kann beim EEG 2009– gemessen an den ständig               sinkenden
       Modulpreisen – zu hohe Einspeisevergütungen durchsetzen.
      Das lockt die chinesischen Modulbauer an, die den deutschen Modulmarkt
       übernehmen.
      Dazu     kommt,   dass   die   schwarz-gelbe     Bundesregierung    die
       Einspeisevergütungen überproportional nach unten korrigiert.
      Die  deutsche      PV-Industrie   bricht   weitgehend   zusammen:   Die
       Beschäftigtenzahl sinkt von 100.000 auf 50.000.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
22   b) Die Stromkonzerne
      Über die Stromkonzerne heißt es: „Die haben die Energiewende verschlafen.“
      Richtig ist: Sie waren – wie viele andere – über den raschen Zubau an EE-
       Anlagen überrascht. Deswegen hielten sie zu lange an der Atom- und
       insbesondere Kohleverstromung fest.
      Ergebnis: strategische Unsicherheit
      E.ON zieht zunächst folgende Konsequenz: Die konventionellen Kraftwerke
       werden in die Tochter Uniper ausgelagert. E.ON soll sich um EE kümmern; dort
       wird viel investiert.
      Ende 2017 kommt es zu einem Schwenk: E.ON kauft RWE die Tochter Innogy
       ab und verfügt dadurch über 47 Mio. Netzkunden: Fokussierung auf das
       konventionelle Geschäft.
      RWE übernimmt von E.ON einen Teil des Kraftwerkparks und insbesondere die
       EE-Sparte. Aber ob das nachhaltig ist, ist die große Frage.
      Hinweis: E.ON-Chef Teyssen propagiert im SPIEGEL 49/2017 eine CO2-Abgabe,
       deren Ergebnis eine starke Verteuerung fossil erzeugten Stroms bringen wird.
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
23   c) Die Angriffe auf die Windkraft
      „Landschaftsverschandelung“: Natürlich kann man Windräder nicht
       verstecken. Aber wie ist es mit den Folgen der fossilen und Atomverstromung?
      Was ist mit den Braunkohlerevieren, denen der Boden für immer genommen
       wurde?
      Wie ist es mit dem Ruhrgebiet, mit massiven Erdsenkungen, auf ewig
       notwendigem Pumpenbetrieb und Bergbauschäden?
      Dazu kommen die Großkraftwerke, deren Rückbau Milliarden verschlingen
       wird.
      Zur Raumnutzung der Windenergie: Auf Basis einer 2%igen Nutzung der
       Landesfläche (für Fundamente und Standorte) können bis zum Jahr 2050 aus
       200 Gigawatt installierter Leistung 770 Terawattstunden (tWh) Strom produziert
       werden.
      Im Jahr 2015 hat Deutschland gut 60 Mrd. Euro für fossile Brennstoffimporte
       bezahlt. Die können künftig eingespart werden.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
24   10. Sperrfeuer der Medien

      FAZ und – teilweise – auch der SPIEGEL bemühen sich nach Kräften, die
       Energiewende zu diskreditieren.
      Vorgehensweise:    Die   Fehlleistungen des     Gesetzgebers    werden
       aufgegriffen, ohne dass die Entstehung erklärt wird. Abhilfemaßnahmen
       werden verschwiegen.
      Ich habe das in der ZNER zusammengestellt. Kostproben:
             Jasper von Altenbockum: „16 Luftnummern. Jeder weiß es, keiner sagt es: Die
              Energiewende ist gescheitert.“ (FAZ v. 16.3.2012)
             Wienand von                    Petersdorff:   „Die   wundersame   Stromschwemme“   (FAS   v.
              13.10.2013)
             Heike Göbel: „Der hohe Tribut der Energiewende“ (FAZ v. 08.05.2015).
              Zwischenüberschrift: „Gasturbinen? Will keiner mehr. Kohle, Gas, Atom? Damit
              möchte E.ON nicht mehr handeln. Die Klimapolitik ist gescheitert, sagt ein
              Politologe. Er ist damit nicht allein.“

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
25

           Heike Göbel: „Koalition und Klima“ (FAZ v. 08.05.2015). „Das Drama der
            bornierten deutschen Energie- und Klimapolitik“; „Man schließt
            Technologie nach gutem Können aus“; es geht gegen Fracking, das
            amerikanische Beispiel wird hoch gelobt.
           Andreas Mihm: „EEG entzaubert“ (FAZ v. 26.02.2014)
           Andreas Mihm: „Das EEG-Monster lebt“ (FAZ v. 28.06.2014)
           Andreas Mihm: „Die Energiewende zerbröselt“ (FAZ v. 15.10.2014)
           Andreas Mihm: „Energiepolitik für Reiche“ (FAZ v. 03.06.2015)
      Ich habe einige Kopien meiner Untersuchung mitgebracht.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
26   11. Was macht der Gesetzgeber?

      Insbesondere das Bundeskartellamt hat von Anfang an das System der
       festen Einspeisevergütungen kritisiert. Daran war richtig, dass die „Lernrate“
       bei Windkraft und PV sehr hoch war, der Preisverfall hat viele überrascht.
      Der EEG-Gesetzgeber hat nachgezogen:
             Direktvermarktung: Investoren und Stromhändler, die EE-Strom ohne
              Einspeisevergütung vermarkten, werden zunächst durch die „Marktprämie“ – der
              Abgabepreis wird zum mittleren Marktpreis hochsubventioniert – privilegiert.
             Inzwischen werden neue Windparks und PV-Freiflächenanlagen ausgeschrieben:
             Der Preis für die Einspeisevergütungen fällt ständig, die „Marktparität“ ist erreicht.
      Pferdefuß: Die Investoren kämpfen um windhöffige Standorte. Pachten
       gehen nach oben. Ergebnis: Der Anteil kleiner Anlagen geht zurück. Der
       Gesetzgeber hat zweifach gegengesteuert:
             PV-Anlagen bis 10 kW – auch wir haben eine – sind von der EEG-Umlage befreit.
              Ergebnis: Wir zahlen für die kWh nur 13 Ct/kWh für den selbstverbrauchten Strom;
              bzw. erhalten sie für eingespeisten. Dieses „Eigenverbrauchsprivileg“ soll auf 50
              kW erhöht werden.
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
27   12.Und was sollte er tun?
      Er sollte eine CO2-Bepreisung einführen: Das Emissions-Handelssystem hat
       versagt. Es wurden zu viele Zertifikate ausgegeben. Der Emissions-
       Minderungseffekt war viel zu gering.
      Viele Staaten haben daher bereits eine CO2-Abgabe eingeführt:
             Ein Nebeneinander von EU-ETS und nationaler CO2-Bepreisung existiert in vielen
              Ländern der EU.
             Finnland war das erste Land, das 1990 eine CO2-Steuer eingeführt hat.
             Kurz darauf gefolgt von Schweden, Norwegen, Dänemark und inzwischen auch
              Slowenien (1997), Irland (2010), Großbritannien (2013) und Frankreich (2014).
             Besonders auffällig ist der Erfolg Großbritanniens: Dort müssen seit April 2015 zusätzlich
              zum Preis für das Zertifikat bis zu 30,- € pro Tonne ausgestoßenem CO2 bezahlt werden.
              In Folge wurde viel weniger Kohlestrom erzeugt, dafür deutlich mehr Strom aus
              Gaskraftwerken.
             In der EU führte das bereits dazu, dass eine Emissionsreduktion von 48 Mio. t CO2
              eingetreten ist. Die Hälfte des Wechsels von Kohle zu Gas und damit der Reduktion
              von Treibhausgasen ging dabei auf den Alleingang von Großbritannien zurück.
     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
28
          Zudem liegen die potentiellen Erlöse am Spotmarkt dort für Photovoltaik-Anlagen aktuell
           um rund 50 % höher als in Deutschland, und Investoren trauen sich mit diesem Signal zu,
           große Freilandanlagen ohne Förderung bauen zu können.
          Mit den Einnahmen aus der CO2-Abgabe und aus dem EU-ETS können die Umlagen aus
           EEG und Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) finanziert werden und Steuern auf Strom,
           Erdgas und Heizöl wegfallen.
          Bei einem Einstieg mit etwa 40,- € pro Tonne CO2 kann dieser Umbau praktisch
           kostenneutral erfolgen. Ein stetiger Anstieg des Preises sichert eine gleichbleibende
           Anreizwirkung und ein stabiles Finanzvolumen.
          Für Stadtwerke und Energiegenossenschaften wird es auch ohne Förderung wieder
           attraktiv, in Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und z.B. Mieterstrommodelle zu
           investieren.
          Eine CO2-Bepreisung in Deutschland ist sehr einfach über neue Energiesteuersätze im
           Energiesteuergesetz auf fossile Energieträger (bemessen am Treibhausgaspotential)
           umzusetzen und lässt sich konform sowohl zum Europa- als auch zum Welthandelsrecht
           gestalten. Hierzu liegen zahlreiche Gutachten und Untersuchungen vor, die dies
           bestätigen.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
29   13.Der Run in die Komplexität

      Das Energierecht ist die weitaus am schnellsten wachsende Rechtsmaterie.
      Zum Zeitpunkt der Liberalisierung (1998) gab es nur 500 Paragrafen, jetzt
       sind es weit mehr als 10.000; mindestens eine Verzwanzigfachung.
      Daher muss der Gesetzgeber gegensteuern und die Übersichtlichkeit
       wiederherstellen. Ein wichtiger Schritt wäre die CO2-Abgabe!

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
30   14.Probleme des Klimawandels
      Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und langjähriger Leiter des Potsdam-
       Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), schrieb in einem Artikel in der
       Süddeutschen Zeitung vom 15. Mai 2018:
      Der Klimawandel ist ein existentielles Problem.
      Bereits jetzt liegen wir 1° C über dem vorindustriellen Mittel, und das hat sich
       im Wesentlichen in den vergangenen 25 Jahren vollzogen.
      Auf Grönland könnte das Abschmelzen des Eispanzers schon bei 1,5 oder
       1,6° C unumkehrbar werden.
      Wenn das Eis dort vollständig abschmilzt, steigt der Meeresspiegel auf
       lange Sicht um 7 Meter.
      Das betrifft viele hundert Millionen Menschen.
      Die Weltbank rechnet mit 140 Mio. Klimaflüchtlingen bis 2050, und zwar
       allein innerhalb der betroffenen Länder, ohne die grenzüberschreitende
       Migration.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
31

      Die Einwände gegen den menschengemachten Klimawandel treffen nicht
       zu:
            Zu Beginn der Arbeit des PIK standen die Journalisten Schlange. Aber 10 Jahre später
             haben die Medien eine Kehrtwende vollzogen und Klimaforscher „als lächerliche
             Apokalyptiker hingestellt“; „wir wurden des Alarmismus“ geziehen.
            Es ist zwar richtig, dass zwischen Perm und Trias das Klima um 5° C anstieg. Aber das
             dauerte damals zehntausende Jahre. Heute erwärmt sich die Erde hundertmal so
             schnell. 90 % aller marinen Arten sind damals ausgestorben, 70 % der terrestrischen.
            Jetzt leben wir auf einem übervölkerten, übernutzten Planeten. Nichts tun ist ein
             „kollektiver Suizidversuch“.

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
32   15.Aber wir sind auf dem richtigen Weg

             Daran festhalten.
             Die Maßnahmen beschleunigen.
             Uns kämpferisch mit den „fakes“ auseinandersetzen.
      Dann wird alles gut!

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
33        Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
34   Inhalt
     1.   Der Klimawandel ist international, daher ist es auch der Klimaschutz: Die Abkommen    3
     2.   EU-Recht                                                                              5
     3.   Wie ist die Energiewende in Deutschland eigentlich entstanden; der Beitrag der CSU    7
     4.   Der Einfluss der Strommarktregulierung                                                9
     5.   Das EEG 2000                                                                         10
     6.   Weitere Entwicklungen                                                                13
     7.   Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglmechV) 2009 und EEG 2010: Ab ins Desaster      14
     8.   Atomausstieg                                                                         17
     9.   Die Querschläger                                                                     21
     10. Sperrfeuer der Medien                                                                 24
     11. Was macht der Gesetzgeber?                                                            26
     12. Und was sollte er tun?                                                                27
     13. Der Run in die Komplexität                                                            29
     14. Probleme des Klimawandels                                                             30
     15. Aber wir sind auf dem richtigen Weg                                                   32

     Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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