Medikamente INFORMATIONSBLATT - Suchtprävention Berlin
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
UNABHÄNGIG BLEIBEN! kompetent gesund.de FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION INFORMATIONSBLATT Medikamente Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH Chausseestraße 128 / 129 | 10115 Berlin | Tel.: 030 - 29 35 26 15 | Fax: 030 - 29 35 26 16 info@berlin-suchtpraevention.de | www.berlin-suchtpraevention.de | www.kompetent-gesund.de
INFORMATIONSBLATT Medikamente INHALT Zahlen und Fakten 3 Doping und Coping in Ausbildung, im Studium und am Arbeitsplatz 4 Doping im Leistungs- und Freizeitsport 4 Risikogruppe Jugendliche und junge Erwachsene 5 IMPRESSUM Risikogruppe Frauen 5 3., überarbeitete Auflage | September 2021 Risikogruppe ältere und alte Menschen 6 Herausgeber: Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH Chausseestr. 128 / 129 | 10115 Berlin Risikogruppe Menschen mit Migrations- / Fluchthintergrund 7 Tel.: 030 - 29 35 26 15 | Fax: 030 - 29 35 26 16 info@berlin-suchtpraevention.de Anzeichen problematischen Medikamentenkonsums 7 www.berlin-suchtpraevention.de www.kompetent-gesund.de Missbrauchs- und Suchtpotential von Medikamenten 8 Die Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin Schlaf- und Beruhigungsmittel 8 ist ein Projekt der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH und wird gefördert durch die Schmerzmittel (Analgetika) 9 Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Anregungs- und Aufputschmittel (Stimulanzien) 10 V.i.S.d.P.: Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH Cannabis als Medizin 11 Redaktion: Marc Pestotnik und Anke Schmidt, Weitere Wirkstoffe 11 Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH Wir danken der Beratungsstelle FAM, Vielfältige Zielgruppen der Prävention 11 FrauSuchtZukunft Verein zur Hilfe suchtmittel- Ohne Aufklärung kein Problembewusstsein 12 abhängiger Frauen e.V., für die beigetragenen Inhalte zur Erstauflage. Apotheker*innen 13 Gestaltung: Martina Jacob Bilder Titel: Fotolia / PhotoSG, Adobe Stock / benjaminnolte, Ärzt*innen 13 Fotolia / R. Kneschke, Adobe Stock / vegefox.com Gefördert durch: Beratungs- und Hilfsangebote 14 Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch 14
Zahlen und Fakten Schlaf- und Beruhigungsmitteln mit 1,2 bis 1,5 Mio. Menschen. Medikamente (medicamentum, lat. Heilmittel) sind Arzneimittel, Der volkswirtschaftliche Schaden durch Folgekosten der Medi- die in einer bestimmten Dosierung zur Heilung bzw. Linderung kamentenabhängigkeit ist immens und wurde zuletzt durch Be- oder aber zur Vorbeugung bestimmter Krankheiten dienen. Aller- rechnungen der Bundesärztekammer in 2008 mit etwa 14 Mrd. dings kann die Anwendung von Medikamenten auch Risiken ber- Euro beziffert, aktuelle Zahlen liegen hierzu laut Bundesregierung gen. So haben Medikamente häufig unerwünschte Nebenwirkun- derzeit nicht vor.6 gen und können darüber hinaus ein eigenes Missbrauchs- und Suchtpotential besitzen, was nach Schätzungen der Deutschen Der Gesundheitsreport der Deutschen Angestelltenkasse (DAK) Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) auf 4 bis 5 % aller verordneten beschäftigte sich sowohl in 2009 als auch in 2015 mit dem Medikamente zutrifft.1 Phänomen des „Gehirndopings“, medikamentösem Neuroen- hancement. Im Verlauf zeigten die Ergebnisse eine Zunahme der Jährlich werden große Mengen von Medikamenten in Deutsch- Anzahl an Beschäftigten, die schon einmal zu Arzneien gegriffen land verkauft. Angesichts von ca. 103.000 unterschiedlichen hatten, um ihre eigenen Leistungen zu steigern – von 4,7 auf Arzneimitteln, die in Deutschland gegenwärtig im Handel sind, 6,7 %, geschätzt ca. 3 Mio. Arbeitnehmer*innen.7 Eine weitere lässt sich diesbezüglich trotz Arzneimittelatlanten, Arzneimittel- Umfrage im Auftrag der ABDA unter 5006 Deutschen im Alter reports und umfangreicheren Kompendien nur schwer der zwischen 16 und 70 Jahren zeigte in 2018 bei den Befragten Überblick behalten.2 Das Verhältnis zwischen rezeptpflichtigen grundsätzlich eine hohe Bereitschaft, als auch Erfahrung mit der und rezeptfreien Medikamenten liegt bei je ca. 50 %. Zugang Einnahme von Medikamenten ohne medizinische Notwendigkeit, erhalten die Verbraucher*innen in Deutschland über derzeit also im Sinne eines missbräuchlichen Konsums.8 ca. 19.400 öffentliche Apotheken, die Möglichkeit des Ver- sandhandels sowie Drogeriemärkte.3 Laut ABDA gaben die ge- setzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2018 mindestens ERFAHRUNGEN VERSCHREIBUNGS- NICHT- MIT DER EINAHME PFLICHTIGE VERSCHREIBUNGS- 34,64 Mrd. Euro für Arzneimittel aus.4 OHNE MEDIZINISCHE MITTEL PFLICHTIGE NOTWENDIGKEIT* MITTEL Ja 17 % 30 % Nein, aber käme in Frage 26 % 25 % Konsummotive 1. Stimmungsoptimierung 1. Steigerung der kognitiven (Formulierung angepasst) Leitungsfähigkeit 2. Steigerung der kognitiven Leitungsfähigkeit 2. Stimmungsoptimierung 3. Verbesserung des 3. Verbesserung des Aussehens Aussehens 4. Steigerung der physi- 4. Steigerung der physi- schen Leistungsfähigkeit schen Leistungsfähigkeit MEDIKAMENTE – SCHWER DEN ÜBERBLICK ZU BEHALTEN BILD: FOTOLIA / PXLSJPEG EIGENE DARSTELLUNG NACH UMFRAGE IM AUFTRAG DER ABDA ERSCHIENEN IN „DIE APOTHEKE – ZAHLEN. DATEN. FAKTEN“. *AN 100 FEHLENDE PROZENT: „NEIN, KOMMT GRUNDSÄTZLICH NICHT IN Die DHS schätzt, dass in Deutschland 1,5 bis 1,9 Mio. Menschen FRAGE“ / „WEISS NICHT“ GRAFIK: FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION von Medikamenten abhängig sind, davon zwei Drittel Frauen.5 Den Schwerpunkt bildet dabei der abhängige Konsum von 6 Deutscher Bundestag (Hrsg.) (2019): Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, 1 Glaeske, G. (2019): Medikamente 2017 – Psychotrope und andere Arzneimittel Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP. mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. In: Deutsche Hauptstelle für Sucht- „Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten.“ Drucksache 19/9122. fragen (Hrsg.): DHS Jahrbuch Sucht 2018. Lengerich: Pabst Science Publishers. www.tinyurl.com/yyryyvkk (abgerufen am 22.07.2019). 2 ABDA (Hrsg.) (2019): Die Apotheke – Zahlen. Daten. Fakten. 2019. S. 22. 7 Marschall, J., Nolting, H.-D., Hildebrandt, S. & Sydow, H. (2015): 3 Ebd.: S. 10. DAK-Gesundheitsreport 2015. Update: Doping am Arbeitsplatz. 4 Ebd.: S. 28. Heidelberg: medhochzwei. www.tinyurl.com/y2lvds5l (abgerufen am 19.08.2019). 5 Glaeske, G., a.a.O. 8 ABDA (Hrsg.), a.a.O. S.42 – 43. 3
INFORMATIONSBLATT Medikamente Angesichts dieser beunruhigenden Ergebnisse wird diskutiert, 17 % (n=60) haben selbst Substanzen zur ob es ethisch vertretbar ist, dass gesunde Menschen Psycho- Leistungssteigerung / Stressregulation konsumiert pharmaka einnehmen, um bestehenden Leistungsanforderun- gen gerecht zu werden. Der Soziologe Fitz Reheis konstatierte schon 2006 eine Hochgeschwindigkeitsgesellschaft, in der viele 52 % (n=189) kennen jemanden, die / der Substanzen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu „Beschleunigungs- zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen hat fallen“ werden. In der Steigerung des Tempos sieht er eine un- heilvolle Dynamik, die auf den menschlichen Organismus zerstö- rerisch wirkt. „Wir hetzen uns zu Tode“. Das Nachdenken über 92 % (n=335) haben schon einmal davon gehört, dass je- eine „Entschleunigung“ der Gesellschaft, weg vom „Schneller- mand Substanzen zur Leistungssteigerung eingenommen hat Höher-Weiter“, kann sicherlich nur ein Ansatz bei der Entwick- lung von Strategien zur Bekämpfung von Medikamentenabhän- gigkeit sein.9 KKSLH-STUDIE, FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION GGMBH, 2018GRAFIK: FACHSTELLE Doping und Coping in Ausbildung, Doping im Leistungs- und Freizeitsport im Studium und am Arbeitsplatz Der Begriff Doping stammt ursprünglich aus dem Leistungssport. Die Konfrontation mit Leistungsdruck und der Wunsch nach Doping ist der Versuch, durch Einnahme bestimmter Substanzen (schneller) Entspannung trifft schon junge Erwachsene in Aus- oder Anwendung bestimmter Methoden, ohne Rücksicht auf die bildung und Studium. So wies der Fehlzeitenreport der AOK – Die eigene Gesundheit sowie die Folgen für andere in einem sportlichen Gesundheitskasse in 2015 darauf hin, dass von 1.300 befragten Wettkampf, der Bessere oder die Beste zu sein. Doping schadet Auszubildenden 4,7 % schon einmal Medikamente zur Leistungs- der Gesundheit und verletzt die Gebote der Chancengleichheit steigerung eingenommen hatten.10 Eine Befragung von 6.700 und der sportlichen Fairness. Im Leistungssport ist die Definition Student*innen im Rahmen der HISBUS-Studie zu Formen der von Doping im WADC (Welt-Anti-Doping-Code) festgelegt. Ende Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden 2015 trat in Deutschland das Anti-Doping Gesetz in Kraft, in dem ergab 2015, dass 14 % der Befragten während ihres Studiums erstmals auch das Selbstdoping unter Strafe gestellt wurde.13 Eine schon einmal legale (8 %) oder illegale (6 %) Substanzen zur aktuelle Liste verbotener Substanzen und Methoden gemäß inter- Leistungssteigerung und / oder Stresskompensation eingenom- nationalem Standard des WADC ist auf der Website der Nationalen men hatten.11 Laut Ergebnissen einer explorativen, wenngleich Anti Doping Agentur Deutschland, der NADA, einsehbar.14 nicht repräsentativen, Befragung der Fachstelle für Sucht- prävention Berlin unter 364 Studierenden in Berlin aus dem Im Breiten- und Freizeitsportbereich ist der Einsatz von Dopingwirk- Jahr 2018, hatten 17 % der Befragten schon einmal Substanzen stoffen als Arzneimittelmissbrauch zu bezeichnen. Jedoch werden zur Leistungssteigerung oder Stressregulation eingenommen. hier keine Dopingkontrollen durchgeführt. Aktuelle repräsentative Es gab Hinweise darauf, dass 55% der Befragten einen (sehr) Studien liegen nicht vor, so dass sich nur schwer sagen lässt, wie starken Leistungsdruck während des Studiums empfanden – das ausgeprägt der missbräuchliche Medikamentenkonsum hier ist. Hauptkonsummotiv war Entspannung.12 Der Mediziner Carsten Boos schätzte auf Grundlage einer Studie 9 Reheis, F. (2006): Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus. zum Medikamentenmissbrauch im Freizeitbereich im Jahr 1998 München: Goldmann Verlag. 10 Pressemitteilung vom 07.09.2015 zu: Badura B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, den bundesweiten Anabolikakonsum unter den Breitensportlern J. & Meyer M. (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2015, Schwerpunktthema: Neue Wege konservativ auf ca. 200.000 Personen.15 Seitdem hat die Anzahl für mehr Gesundheit – Qualitätsstandards für ein zielgruppenspezifisches Gesund- heitsmanagement. www.tinyurl.com/y6cwa9rp (abgerufen am 31.07.2019). 13 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: 11 Middendorff, E., Poskowsky, J. & Becker, K. (2015): Formen der Stresskom- Gesetz gegen Doping im Sport (Anti-Doping-Gesetz – AntiDopG). pensation und Leistungssteigerung bei Studierenden. Wiederholungsbefragung des www.tinyurl.com/yyxckpo7 (abgerufen am 29.07.2019). HISBUS-Panels zu Verbreitung und Mustern studienbezogenen Substanzkonsums. 14 Nationale Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) (Hrsg.) (2018): Hannover: Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH „Welt Anti-Doping Code Verbotsliste 2019 – Informatorische Übersetzung“. (DZHW) (Hrsg.). www.tinyurl.com/yykw4r9s (abgerufen am 19.08.2019). www.tinyurl.com/yxupsr38 (abgerufen am 22.07.2019). 12 Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH (Hrsg.) (2019): KKSLH-Studie. 15 Boos, C. (2001): Medikamentenmissbrauch im Freizeitsport. www.tinyurl.com/y3zun4sr (abgerufen am 29.08.2019). In: dvs-informationen 16. S.55 4
registrierter Mitglieder in Fitness- und Gesundheitsanlagen stetig zugenommen – in 2018 zählte der Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen DSSV über 11 Mio. Mitglieder. Zudem ist das Internet als Bezugsquelle für Substanzen hinzu- gekommen. Zwar sind nicht alle im Fitnessstudio angemeldeten Personen auch aktive Sportler*innen, es ist jedoch anzunehmen, dass die Anzahl an missbräuchlich Arzneimittelkonsumierenden im Fitnessbereich mittlerweile deutlich höher liegt.16 Bemerkens- wert waren Hinweise innerhalb einer Studie auf die Beteiligung von Ärzten bei der Beschaffung der leistungssteigernden Medi- kamente – bis zu 28 % der Konsumierenden gaben an, ihre Sub- stanzen vom Arzt / Ärztin verschrieben zu bekommen.17 STRESSKOMPENSATION UND LEISTUNGSSTEIGERUNG? BILD: FOTOLIA / R. KNESCHKE Abgesehen vom Fitnessbereich gibt es jedoch noch vielerlei (Freizeit-) Sportarten, in denen Sportler*innen durch z. B. die auch die unkritische Einnahme von Medikamenten zur Entspan- Einnahme von Schmerzmitteln und / oder Stimulanzien den Kör- nung oder Erhöhung der Leistungsfähigkeit gehören. So kann per kurzfristig leistungsfähiger machen wollen, um z. B. nach der eine muskulöse Optik für junge Männer z. B. Anerkennung und Arbeit noch trainieren zu können. Erhebungen zum Schmerz- Respekt in der Peer-Group bedeuten, die mitunter durch die Ein- mittelkonsum beim Bonner Marathon 2009 zeigten, dass ca. nahme bestimmter Substanzen schneller erreicht werden kann. 60 % des Teilnehmer*innenfeldes prophylak- Zudem zeigte die Hamburger Schulbusuntersuchung 2015, tisch Schmerzmittel eingenommen hatten dass sich die Anzahl Hamburger Jugendlicher, die in den letzten – nur ca. 11 % aufgrund vorbestehender 30 Tagen Schmerzmittel eingenommen hatten, seit 2004 verdop- Schmerzen. Fast zwei Drittel gaben pelt hatte – fast 50 % gaben an, dies getan zu haben.19 an, Erfahrungen mit Schmerzmitteln im Sport gehabt zu haben.18 Mit einer Risikogruppe Frauen unkritischen Einnahme von Medikamenten wird Während bei anderen Süchten, wie z. B. bei Alkoholabhängig- Schmerz als wertvolles Warnsignal des Körpers ausgeblendet, keit, Männer dominieren, bilden bei Medikamentenabhängigkeit beim Sport besteht dann die Gefahr der Überbelastung und Ver- Frauen weiterhin die Mehrheit, sie machen ca. zwei Drittel der Be- letzung. Gerade Jugendliche lernen so ggf. nicht, ihre körper- troffenen aus.20 Zudem verläuft Medikamentenabhängigkeit sozial lichen Grenzen einzuschätzen. unsichtbar. Frauen integrieren den Konsum in der Regel unauffällig in ihren Alltag, sie „fallen nicht aus der Rolle“. Risikogruppe Jugendliche und junge Erwachsene Jugendliche und junge Erwachsene haben eine Vielfalt an Ent- Tendenziell fällt es Frauen leichter, physische und wicklungsaufgaben zu bewältigen, wobei u. a. das körperliche psychische Probleme einzugestehen, sie suchen Selbstbild und Identitätsfindung eine Rolle spielen. In dieser Phase eher ärztliche Praxen auf als Männer. Schon auf- neigen Jugendliche dazu, Dinge auszuprobieren. Hierzu kann grund der biologischen Vorgänge (Menstruation, Schwangerschaft, Wechseljahre) kommen Mädchen / 16 Kläber, Dr. M. (2018): Muskeln per Mausklick – Dopingprävention im Breiten- Frauen früh und selbstverständlicher mit Ärzt*innen in sport am Beispiel des Körperkult im Fitness-Studio. In: Doping Magazin 02. Kontakt und vertrauen auf deren Rat. Osnabrück: Inger Verlagsgesellschaft mbH. S. 88 – 93. www.tinyurl.com/y6ppsrnj (abgerufen am 23.07.2019). 17 Raschka, C., Chmiel, C., Preiss, R. & Boos, C. (2013): Doping bei Freizeit- 19 Baumgärtner, T. & Hiller, P. (2016): Suchtmittelgebrauch, Computerspiel- und BILD: FOTOLIA / VERDATEO sportlern: Eine Untersuchung in 11 Fitnessstudios im Raum Frankfurt am Main. Internetnutzung, Glücksspielerfahrungen und Essverhalten von 14- bis 17-jährigen In: MMW – Fortschritte der Medizin 2. München. S. 41 – 43. www.tinyurl.com/ Jugendlichen 2015. Deskriptive Ergebnisse der SCHULBUS-Untersuchung in y2qr6cq2 (abgerufen am 26.08.2019). Hamburg sowie in drei Grenzregionen Bayerns, Sachsens und Nordrhein-Westfalens. 18 Brune, K., Niederweis, U. & Küster-Kaufmann, M. (2009): Schmerzmittel – S. 48. f. www.tinyurl.com/y34x7spm (abgerufen am 31.07.2019). fataler Einsatz im Breitensport. In: Deutsche Apotheker Zeitung 43. S. 68 – 73. 20 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (Hrsg.) (2018): Drogen- und www.tinyurl.com/y5o7p2bf (abgerufen am 31.07.2019). Suchtbericht 2018. S. 78 f. www.tinyurl.com/y2auzllj (abgerufen am 31.07.2019). 5
INFORMATIONSBLATT Medikamente In den letzten Jahrzehnten unterlagen die Geschlechterrollen ei- nem großen Wandel. Für Frauen sind Ausbildung und Berufstä- tigkeit selbstverständlicher geworden, sie sind selbstsicherer und unabhängiger und sind häufiger in Führungspositionen. Parallel dazu hat eine Entlastung in der traditionellen Rolle (Kindererzie- hung, Haushalt, Pflege von Familienmitgliedern etc.) bisher wenig stattgefunden. Leistungsfähigkeit zu erhalten und Mehrfachbe- lastungen zu bewältigen, könnten Motive für (missbräuchlichen) Konsum von Medikamenten sein. Zudem können Veränderungen im Leben, wie z. B. die Wechseljahre oder der Auszug der Kinder ÄLTERE MENSCHEN – OFT POLYMEDIKATION BILD: FOTOLIA / PETER ATKINS („empty-nest-syndrome“), zu Stimmungsschwankungen und Traurigkeit führen, denen mitunter ärztlicherseits medikamentös Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Medikamente zur „Ruhig- begegnet wird. stellung“ von Patient*innen eingesetzt werden.27 In den Lebensgeschichten vieler medikamentenabhängiger Frau- Laut Auswertung von Studiendaten des Robert Koch-Instituts en finden sich aber auch traumatische Erlebnisse von (sexuali- aus den Jahren 2008 bis 2011 haben mehr als 20 % der sierter) Gewalt.21 Für sie bedeutet Medikamentenkonsum das Be- Befragten zwischen 60 und 79 Jahre angegeben, in den letzten mühen, einen erträglichen Umgang mit belastenden Erfahrungen 7 Tagen Psychopharmaka eingenommen zu haben, hiervon zu finden. gaben 2,8 % zudem an, täglich Alkohol zu trinken.28 Der Konsum von Psychopharmaka ging mit erhöhtem Sturzrisiko einher, was Risikogruppe ältere und alte Menschen sich mit Erkenntnissen weiterer Veröffentlichungen deckt.29 Mit zunehmendem Alter steigen sowohl die Anzahl der verordne- ten Medikamente, als auch deren Anwendungsdauer statistisch Auch selbstständig lebende ältere Menschen unterliegen zahlrei- gesehen kontinuierlich an.22 Die Gründe hierfür sind vielfältig. chen Risikofaktoren, die die Entwicklung einer Medikamentenab- Laut Wido-Pflegereport erhalten ca. 60 % aller Pflegebedürftigen hängigkeit begünstigen. fünf oder mehr Medikamente täglich.23 Besonders trifft dies auch auf Bewohner*innen von Alten- und Pflegeheimen zu.24 25 Dieses Dazu zählen beispielsweise: als Polymedikation bekannte Phänomen ist insofern kritisch zu ¢ Einsamkeit, z. B. nach Partnerverlust betrachten, als dass die Neben- und Wechselwirkungen so vieler ¢ Belastungen durch die Pflege des Partners gleichzeitig verordneter Medikamente nicht mehr zu überschau- ¢ ein problematischer Lebensrückblick en sind. Eine Demenzerkrankung kann die Wahrscheinlichkeit, ¢ eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten durch Multimorbidität Psychopharmaka verordnet zu bekommen, noch erhöhen.26 oder Altersarmut ¢ Schlaflosigkeit ¢ chronische Schmerzen 21 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2013): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. ¢ langwierige medikamentöse Behandlungen Ergebnisse der repräsentativen Umfrage zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland – Kurzfassung. S.18. www.tinyurl.com/y5debzsx (abgerufen am 22.07.2019). So kann eine, kurzfristig sinnvolle, Behandlung eines akuten 22 ABDA (Hrsg.) (2019): Faktenblatt – Polymedikation. www.tinyurl.com/y32g9jfp (abgerufen am 30.07.2019). physischen oder psychischen Leidens mit einem Schmerz-, Be- 23 Thürmann, P. A. (2017): Einsatz von Psychopharmaka bei Pflegebedürftigen. ruhigungs- oder Schlafmittel (z. B. im Rahmen eines Kranken- In: Jacobs, K., Kuhlmey, A., Greß, S. et al. (Hrsg.): Pflegereport 2017– hausaufenthaltes oder nach dem Tod des / der Lebenspartner*in) Schwerpunkt: Die Versorgung der Pflegebedürftigen. S. 119 – 128. Stuttgart: leicht in eine Dauermedikation übergehen – wobei den Patient*- Schattauer. www.tinyurl.com/yxeeoztm (abgerufen am 23.07.2019). 24 Ebd. 25 Hach, I., Rentsch, A., Krappweis, J. & Kirch, W. (2004): Psychopharmakaver- 27 AOK WIDO (Hrsg.) (2017): Pflegereport 2017: Pressemappe. ordnungen an älteren Menschen. Ein Vergleich zwischen Patienten aus Alten- und www.tinyurl.com/y3cmvzw3 (abgerufen am 23.07.2019). Pflegeheimen, ambulant behandelten Pflegefällen und ambulanten Patienten ohne 28 Wolf, K. I., Du, Y. & Knopf, H.: Kurzbericht psychoaktive Substanzen im Alter. Pflegebedarf. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 37. S. 214 – 220. RKI (Hrsg.). (2017). www.tinyurl.com/y3vhb78c (abgerufen am 23.07.2019). 26 Thürmann, P. A., a.a.O. 29 Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (Hrsg.), a.a.O. S. 78 f. 6
innen das Suchtpotential ihrer Medikation häufig nicht bewusst In den Herkunftsländern sind stärkere Schmerzmittel durchaus ist und Entzugssymptome nicht als solche erkannt werden. leichter zugänglich als in Deutschland, Risiken, wie z. B. die Ent- wicklung einer Abhängigkeit, sind den Konsument*innen mitunter Risikogruppe Menschen mit Migrations- / Fluchthintergrund nicht bewusst. Menschen aus arabischen Ländern weisen z. B. Studien belegen, dass sprachliche Barrieren und Missver- einen häufigeren Konsum von Opioiden, wie z. B. Tramadol auf.32 ständnisse im Bereich der interkulturellen Kommunikation Ur- Insbesondere junge Männer mit muslimischem Kulturhintergrund sachen vielfältiger Probleme sind. Sie reichen von vermehrten, waren vor einigen Jahren ins Blickfeld geraten, das Opioid Tilidin oft aufwändigen, Untersuchungen über eine erhöhte Einnahme missbräuchlich zu konsumieren. Anzeichen problematischen Medikamentenkonsums Ungeeignete Medikamente im Alter Wenn Medikamente nicht bestimmungsgemäß eingenommen Mit zunehmendem Alter werden Medikamente werden, d. h. ohne medizinische Indikation, in zu hoher Dosis vom Körper langsamer abgebaut. Manche oder über einen zu langen Zeitraum, spricht man von einem Arzneimittel sind deshalb für ältere Menschen problematischen Medikamentenkonsum. Medikamente mit Ab- nicht mehr so gut verträglich. hängigkeitspotential wiederum sind vor allem solche mit psycho- aktiver Wirkung, die körperliche Entzugserscheinungen bewirken Die PRISCUS-Liste informiert über Medikamente, können. Im ICD 10, dem Diagnosemanual für Ärzt*innen, sind die die für über 65-jährige als potenziell ungeeignet sechs klassischen Diagnosekriterien im Sinne eines Abhängig- INFO gelten: keitssyndroms aufgeführt, das DSM-5, ein solches Manual www.tinyurl.com/btsajdf für Psycholog*innen, fasst Missbrauch und Abhängigkeit als „Substanzgebrauchsstörung“ zusammen.33 34 von Medikamenten und längeren Behandlungszeiten als bei Eine Medikamentenabhängigkeit kann sich Durchschnittspatient*innen bis hin zu Fehldiagnosen.30 Darüber u. a. in folgendem Verhalten äußern: hinaus gibt es weitere, besondere Risikofaktoren für einen proble- ¢ Einnahmen sind weder krankheits- noch situationsbezogen matischen Medikamentenkonsum bei Menschen mit Flucht- bzw. ¢ Konsum, um bestimmte Gefühle zu betäuben oder herbei- Migrationshintergrund, so z. B. Entwurzelungsgefühle, erlebten zuführen oder Einnahme vor Auftreten der Beschwerden Autonomieverlust, physische Schmerzen sowie durch Traumata ¢ Verheimlichung, Bagatellisierung des Konsums – Sorge, ausgelöste psychische Erkrankungen, wie die Posttraumatische dass die / der Ärzt*in kein Rezept mehr ausstellt Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen. ¢ Aufsuchen verschiedener Arztpraxen, um die Medikamente verschrieben zu bekommen sowie verschiedener Es ist davon auszugehen, dass Menschen mit Fluchterfahrung Apotheken zum Einlösen der Rezepte bzw. zum Kauf der auch Arzneimittel als Selbstmedikation zur Verarbeitung psy- Medikamente chischer Belastungen einsetzen.31 Eine kulturell erlernte Haltung ¢ Nachlassende Wirkung bei gleichbleibend hoher Dosierung „Medikament statt Gespräch“ kann zudem die Hemmschwelle zur bzw. Notwendigkeit der Dosiserhöhung, um die gewünschte Einnahme von Arzneien zur Selbstmedikation senken. Gleichzei- Wirkung zu erzielen (Toleranzentwicklung) tig wird die Inanspruchnahme des lokalen Hilfesystems aufgrund ¢ Entzugssymptome beim Absetzen des Medikaments, verschiedener Zugangshemmnisse wie Sprache, Aufenthaltssta- z. B. Zittern, Schwitzen, Herzrasen, Unruhe, Angstzustände, tus, Unkenntnis oder Mangel von / an Angeboten etc. erschwert. depressive Verstimmungen, Halluzinationen, Krämpfe, etc. BILD: NOUN PROJECT / MADE X MADE 30 Wissenschaftliches Institut der AOK (Hrsg.) (2018): Gesundheit von Geflüchteten 32 Ebd.: S. 88. in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, 33 WHO (Hrsg.) (2019): ICD 10. Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen Irak und Afghanistan. In: WIdO-monitor 1. S. 1 – 20. www.tinyurl.com/y6ryvm8q (F00-F99), Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (abgerufen am 09.07.2019). (F10-F19). Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 31 Mittel, K., Grundmann, J., Phd, S. et al. (2018): Geflüchtete Menschen und (DIMDI). www.tinyurl.com/ya7oz66q (abgerufen am 12.07.2019). Drogen- / Abhängigkeitsproblematik. Expertise im Auftrag des Bundesministeriums 34 Falkai, P. & Wittchen, H.-U. (2015): Diagnostisches und Statistisches Manual für Gesundheit. www.tinyurl.com/y259hdbw (abgerufen am 09.07.2019). Psychischer Störungen DSM-5. Göttingen: Hogrefe. 7
INFORMATIONSBLATT Medikamente Medikamente werden häufig ärztlich verschrieben. Ihr (Dauer-) derter Wirksamkeit der Substanz bis hin zur Abhängigkeit führen. Konsum genießt eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz als der Den Z-Substanzen wurde in den Jahren ihrer Markteinführung von Alkohol und illegalen psychoaktiven Substanzen. Aufgrund noch ein deutlich geringeres Abhängigkeitspotential als den Ben- der sehr unterschiedlichen Konsummuster und -verläufe sowie zodiazepinen zugesprochen. Die wissenschaftliche Meinung hat dem häufigen Zusammenhang der Einnahme mit chronischen sich hierzu mittlerweile jedoch geändert.38 Erkrankungen, ist eine Medikamentenabhängigkeit schwer festzustellen. Dies gilt ganz besonders für die, z. B. für Benzo- Die Entwicklung (unerwünschter) Wirkungen bei Lang- diazepine charakteristische, Niedrigdosisabhängigkeit, die eine zeitkonsum von Benzodiazepinen beschrieb Holzbach in zeitlich langanhaltende, aber immer gleichbleibende niedrige einem Drei-Phasen-Modell:39 Dosierung aufweist und den Betroffenen als solche häufig nicht Phase 1: Eintritt eines Wirkverlustes des Medikaments, die (leich- bewusst ist. ten) Entzugserscheinungen werden von dem / der Konsument*in als Fortbestehen der Krankheitssymptome erachtet. Weitere Missbrauchs- und Suchtpotential Symptome sind z. B. Stimmungsschwankungen, Ängste oder ein von Medikamenten gestörtes Körpergefühl. Im Folgenden werden die wichtigsten Substanzgruppen mit besonderem Miss- Phase 2: Infolge der ersten Phase wird die Dosis allmählich leicht brauchs- bzw. Suchtpotential benannt gesteigert. Im Verlauf kommt es zu Symptomen, wie z. B. Gleich- und kurz beschrieben. Für ausführlichere gültigkeit, Vergesslichkeit, geminderter körperlicher Energie hin Informationen empfehlen wir z. B. ent- zur Sturzgefahr, etc. („Apathiephase“). BEWUSSTE EINNAHME ODER MISSBRAUCH? sprechende Veröffentlichungen der DHS BILD: ADOBE STOCK / VEGEFOX.COM oder der ABDA.35 36 Phase 3: Ab hier werden typische Suchtkriterien erfüllt, auch illegale Beschaffung der Substanzen ist für den / die Konsument*in Schlaf- und Beruhigungsmittel eine Option. Als Schlafmittel (Hypnotika) und Beruhigungsmittel (Sedativa) werden heutzutage hauptsächlich Benzodiazepine und die soge- Nicht immer werden alle Phasen durchlaufen. Wie oben bereits nannten Z-Substanzen eingesetzt. Letztere sind laut DHS mittler- benannt gibt es auch das Phänomen der Niedrigdosisabhängig- weile die am häufigsten verordneten Schlafmittel.37 Benzo- keit, bei der es trotz Wirkverlust über einen langen Zeitraum nicht diazepine erzielen, je nach Dosis und / oder Wirkstoff, z. B. zu einer Dosissteigerung kommt. eine beruhigende, angstlösende, muskelentspannende oder schlaf-anstoßende Wirkung. Z-Substanzen werden wegen ihrer schlaffördernden Eigenschaften eingesetzt und in der Regel vom Körper schneller verstoffwechselt, als die Benzodiazepine. So wichtig Schlaf- und Beruhigungsmittel als Therapieoptionen sind, so gewissenhaft gehören sie medizinisch begleitet. Denn bei andauerndem Gebrauch von Benzodiazepinen stellen sich Langzeitfolgen, wie allgemeine körperliche und seelische Ver- langsamung, Bewegungsunsicherheit, vermindertes Reaktions- vermögen oder Gleichgültigkeit ein. Eine regelmäßige Einnahme kann zu einer Anhäufung des Wirkstoffs im Körper sowie vermin- SCHLAF- UND BERUHIGUNGSMITTEL BILD: ADOBE STOCK / YURIYGOLUB 35 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen. Broschüren und Faltblätter. 38 Riemann, D., Baum, E., Cohrs, S. et al. (2017): S3-Leitlinie Nicht erholsamer www.tinyurl.com/y2o7qr3w (abgerufen am 23.07.2019). Schlaf/Schlafstörungen. In: Somnologie 1. S. 2 – 44. www.tinyurl.com/yxm8bl6y 36 Bundesapothekerkammer (BAK) (Hrsg.) (2018): (abgerufen am 15.07.2019) Arzneimittelmissbrauch Leitfaden für die apothekerliche Praxis. 39 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) (Hrsg.) (2015): www.tinyurl.com/yxuyktx9 (abgerufen am 31.07.2019). Medikamentenabhängigkeit Suchtmedizinische Reihe Band 5. S. 65. 37 Glaeske, G., a.a.O. www.tinyurl.com/yyzhfsqg (abgerufen am 31.07.2019). 8
Schmerzmittel (Analgetika) Schmerzmittel lassen sich grob nach ihrem Wirkort unterscheiden. Die leichteren verhindern den Schmerz am Entstehungsort im äußeren Nervensystem, wohingegen starke Schmerzmittel zentral wirken, das heißt die Weiterleitung von Schmerzimpulsen im zentralen Nervensystem (Rückenmark und Gehirn) unterdrü- cken. Zu letzteren zählen Opiate sowie opiatähnliche Analgetika (Opioide), welche, bis auf wenige Ausnahmen, unter das Be- täubungsmittelgesetz (BTM-Gesetz) fallen. Mittlerweile werden sie medizinisch nicht nur bei Tumorschmerzen, sondern auch bei der Therapie anderer chronischer Schmerzen eingesetzt. RISIKEN VON SCHMERZMITTELN BEKANNT? BILD: ADOBE STOCK / JIJOMATHAI Dass Opiate und Opioide insbesondere bei missbräuchlicher An- codeinhaltigem Hustensaft in Limonade, ggf. gemeinsam mit wendung über ein hohes Suchtpotential verfügen, ist hinlänglich einem weiteren Psychopharmakon, wie z. B. Promethazin, ist be- bekannt. Besonders Menschen mit einer Suchtvorgeschichte ha- stimmten Jugendkulturkreisen, z. B. Hip-Hop, als „Lean“, „Purple ben eine hohe Affinität zur Entwicklung einer Abhängigkeit von Drank“ oder „Sizzurp“ ein Begriff. Die Häufigkeit des Konsums in diesen Substanzen.40 In den letzten Jahren kamen Opioide immer Deutschland lässt sich nur schwer einschätzen. wieder in den Fokus der Öffentlichkeit – zuletzt im Rahmen der „Opi- Dass den mitunter jungen Konsument*innen oidkrise“ in den Vereinigten Staaten von Amerika. Durch aggres- das hohe Suchtpotential der Substanz bewusst sive Marktplatzierung des Produktes Oxycontin® durch ist, muss jedoch angezweifelt werden. Welches dessen Hersteller Purdue Pharma sowie leichtferti- Ausmaß Codein-Missbrauch nehmen kann, wird ge Verschreibungspraxis von Ärzt*innen wurden in der BBC-Dokumentation „Sweet sweet codeine“ viele US-Amerikaner vom Wirkstoff Oxycodon aus dem Jahr 2018 deutlich.43 körperlich abhängig.41 In den USA galt in 2017 Opioidabhängigkeit als häufigste Todesursache der Aber auch der permanente Konsum leichterer unter 50-jährigen – mit ca. 48.000 Todesfällen.42 Schmerzmittel kann neben der Schädigung der Gesundheit zur seelischen und / oder körperlichen Einige wenige „leichtere“ Opioide unterliegen in Deutsch- Abhängigkeit führen. Da diese Medikamente zu einem land nur der einfachen Rezeptpflicht, so Tilidin (außer in Tropfen- großen Teil frei verkäuflich sind, sind sie bevorzugte Mit- form), Tramadol sowie Codein und Dihydrocodein (im Rahmen tel der Selbstmedikation. Regelmäßig zur Bekämpfung von bestimmter Dosierungen, z. B. in Hustensäften). Allerdings muss Kopfschmerzen eingenommen, können sie selbst neue Kopf- auch für solche Präparate ein BTM-Rezept ausgestellt werden, schmerzen verursachen, gegen die erneut Medikamente ein- wenn der / die Empfänger*in eine Suchtvorgeschichte hat. Diese genommen werden. Auf diese Weise entsteht ein gefährlicher weniger wirkstarken Opioide werden jedoch auch missbräuch- Teufelskreis. Besonders häufig ist dieser sogenannte Arznei- lich konsumiert und sind auf dem Schwarzmarkt verfügbar. So mittelkopfschmerz auf Kombinationspräparate, vor allem auf spielt Tilidin wegen seiner schmerzstillenden und enthemmen- koffeinhaltige Analgetika, zurückzuführen. den Wirkung immer wieder in Zusammenhang mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen (Hooligans, „Banden- Ein weiterer Wirkstoff, dessen Missbrauchspotential mittlerweile kämpfe zwischen Jugendgruppen) eine Rolle. Der Konsum von deutlich wurde, ist Pregabalin. Es wird als Antiepileptikum, aber auch zur Behandlung von Nervenschmerzen sowie generali- BILD: NOUN PROJECT / KOKOTA sierten Angststörungen eingesetzt. Bei regelmäßigem Konsum 40 Just J., Mücke M. & Bleckwenn M. (2016): Dependence on prescription opio- ids—prevention, diagnosis and treatment. Deutsches Ärzteblatt 13. S. 213 – 220. stellt sich schnell ein Gewöhnungseffekt ein. Bei Vorliegen einer www.tinyurl.com/y68ozrjj (abgerufen am 30.07.2019). Pregabalin-Abhängigkeit ist ggf. ein qualifizierter Entzug nötig, 41 Kohlberg, K. (2018): Betäubte Bürger. In: DIE ZEIT 4. www.tinyurl.com/y32g6tej (abgerufen am 19.08.2019). 42 Ärztezeitung online (Hrsg.) (2019): Mehr Drogentote als Verkehrsopfer in den 43 BBC (Hrsg.) (2018): Sweet sweet codeine: Nigeria‘s cough syrup crisis – BBC USA. www.tinyurl.com/y4bzxwuq (abgerufen am 19.08.2019). Africa Eye documentary. www.tinyurl.com/y2nkfq8b (abgerufen am 31.07.2019). 9
INFORMATIONSBLATT Medikamente SCHUL- EN VERHALT PROBLEME da die Nebenwirkungen bzw. Entzugserscheinungen sehr stark sein können. Eine aktuelle Studie vermutet, dass das prega- balinhaltige Medikament Lyrica® zu leichtfertig verschrieben wird.44 EMOTION Anregungs- und Aufputschmittel (Stimulanzien) ON NTRATI Amphetamine und Ephedrin sind wohl die bekanntesten KONZE Stimulanzien. Die Mittel wirken anregend und antriebssteigernd. Erschöpfungszustände sollen überwunden werden. Bei langan- ADHS dauernder Einnahme lässt die Wirkung der Stimulanzien nach. Dies kann zu einer weiteren Dosissteigerung führen. Gewichts- DIAGNOSE VON ADHS BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN GESTIEGEN verlust, Konzentrationsschwächen, Schlafstörungen oder psy- BILD: SHUTTERSTOCK / TOMMASO79 chotische Reaktionen können weitere Folgen des missbräuchli- chen Konsums von Anregungs- und Aufputschmitteln sein. Das Ritalin® Abhängigkeitspotential von Stimulan- Besondere Beachtung in der Öffentlichkeit hat der Einsatz von zien ist als hoch einzuschätzen. Methylphenidat (bekannt unter dem Produktnamen Ritalin®) zur Behandlung von Kindern, bei denen eine Aufmerksamkeits- (METH) Aber auch freiverkäufliche und defizit- und / oder Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert wurde, AMPHETAMIN scheinbar harmlose Koffeintabletten erlangt. Bei diesen Störungsbildern wird davon ausgegangen, sollten nicht unterschätzt wer- dass fehlendes Dopamin im Gehirn die Informationsübertragung den. Jugendliche nutzen sie z. B. PREIS? zwischen den Nervenzellen behindert, was durch Ritalin® ausge- LEISTUNG UM JEDEN um besser durchhalten zu kön- glichen werden soll. nen oder auch, um im Zuge einer INFOKARTE ZUM THEMA Diät Hungergefühle zu unterdrü- In Deutschland wird die Prävalenz von ADHS bei Kindern und Jugend- BILD: FACHSTELLE cken. So lernen junge Menschen lichen auf ca. 4,4%, bei Erwachsenen auf ca. 2,5 % geschätzt.45 46 früh, ihre natürlichen Bedürfnis- se nach Schlaf oder Nahrung zu unterdrücken und Laut Analyse von AOK-Krankenkassendaten hat die Häufigkeit der Körperfunktionen künstlich zu stimulieren. Diagnosestellung ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachse- nen im Zeitraum von 2009 – 2014 jeweils zugenommen, allerdings stiegen die Verordnungszahlen von ADHS-Medikamenten nur in der Gruppe der Erwachsenen.47 Im selben Zeitraum verschärfte der Gemeinsame Bundesausschuss 2010 die Verordnungsrichtlinie für 45 Göbel, K., Baumgarten, F., Kuntz, B., Hölling, H. & Schlack, R. (2018): Fact Sheet: ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In: Journal of Health Monitoring 3. Berlin: Robert KochInstitut (Hrsg.). S. 46 – 53. www.tinyurl.com/yxv2dq2f (abgerufen am 23.07.2019). 46 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psycho- therapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) & Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) (Hrsg.) (2018): Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie „Aufmerksamkeits- defizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenen- MEDIKAMENTENKONSUM, UM ZU FUNKTIONIEREN? alter“. AWMF-Registernr.: 028-045. www.tinyurl.com/yxfmrmv4 (abgerufen am BILD: ADOBE STOCK / KERKEZZ 23.07.2019). 47 Bachmann, C. J., Philipsen, A. & Hoffmann, F. (2017): ADHD in Germany: trends in diagnosis and pharmacotherapy—a country-wide analysis of health 44 Viniol A., Ploner T., Hickstein L., et al. (2019): Prescribing practice of insurance data on attention-deficit/ hyperactivity disorder (ADHD) in children, pregabalin/gabapentin in pain therapy: an evaluation of German claim data. adolescents and adults from 2009–2014. In: Deutsches Ärzteblatt 9. S. 141 – 148. BMJ Open. www.tinyurl.com/yxfm4ep9 (abgerufen am 31.07.2019). www.tinyurl.com/yy7vyzkb (abgerufen am 23.07.2019). 10
Stimulanzien bei Kindern und Jugendlichen als Antwort auf den drastischen Anstieg der Verordnungen von Ritalin® in den vorange- ganenen zwei Jahrzehnten. So muss die medikamentöse Therapie mit solchen Medikamenten durch Spezialist*innen für Verhaltens- störungen bei Kindern und / oder Jugendlichen erfolgen und über- wacht werden.48 Wie bei allen vorgestellten Medikamentengruppen MEDIKAMENTENPLAN gilt es, auf eine sorgsame und zeitlich begrenzte Dosierung zu ach- ten. Begleitend sollten therapeutische Maßnahmen erfolgen. Ritalin® wird darüber hinaus auch missbräuchlich konsumiert, um die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit z. B. beim MEDIKAMENTENEINNAHME MEDIZINISCH BEGLEITEN BILD: UNSPLASH / RAWPIXEL Lernen zu steigern, nächtelang durcharbeiten oder durchfeiern zu können. Methylphenidat kann dann zu psychischer und körper- tungskrankheiten eingesetzt werden und können ein Auskurieren licher Abhängigkeit führen. der Erkrankung nicht ersetzen. Cannabis als Medizin Weitere Substanzen, die missbräuchlich, z.B. im Sport ge- Seit 10. März 2017 ist Cannabis als Medikament nutzt werden, sind Diuretika, also Mittel, die dem Körper für Schwerkranke auf Rezept erhältlich. Etablierte schnell Flüssigkeit entziehen. Sie bewirken eine zügige Ge- Indikationen für eine cannabisgestützte Therapie sind wichtsabnahme durch Ausscheidung von Wasser, eine z. B. chronische und neuropathische Schmerzen, Schmer- ausgeprägtere Definition der Muskulatur und können ggf. zen in Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen, die Einnahme weiterer Substanzen maskieren. Spastiken und Schmerzen bei Multipler Skle- rose (MS) sowie Appetitlosigkeit, Übelkeit und Vielfältige Zielgruppen der Prävention: Erbrechen im Rahmen einer Krebsbehandlung. jede und jeder Einzelne Gleichzeitig kann es auch zu einer Reihe von Die große Herausforderung für die Prävention ist die Sensibilisie- Nebenwirkungen kommen: neben Schwin- rung der Allgemeinheit für die mit Medikamentenkonsum verbun- del, Sedierung, Benommenheit, Schläfrigkeit denen Risiken, da Medikamente mit Suchtpotential quer durch werden am häufigsten auch Einschränkung die Bevölkerung eine Rolle spielen. der Aufmerksamkeit, Übelkeit und Erbrechen berichtet. Weitere Indikationsstellungen sowie Auch prägt der Umgang von Erwachsenen mit Medikamenten CANNABIS AUF REZEPT Wirksamkeitsnachweise werden derzeit be- das Verhalten der Kinder. Wenn diese früh lernen, dass BILD: FOTOLIA / NOKTURNAL forscht.49 es gegen jede Form des Unwohlseins ein passendes und schnell wirksames Mittel gibt, Weitere Wirkstoffe ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie auch Neben den oben genannten Substanzen gibt es eine Vielzahl später vorschnell zu Medikamenten greifen, MEDIKAMENTE weiterer Arzneimittel mit Missbrauchspotential. So können z. B. anstatt nach den Ursachen zu suchen. Es ist die sehr häufig verkauften abschwellenden Nasensprays schon wichtig, dass Eltern, aber auch Pädagog*innen, sehr schnell Gewöhnungseffekte der Schleimhäute bewirken. Symptome bei Kindern und Jugendlichen Medikamente, wie z. B. „Wick MediNait®“, einem Kombinations- als solche wahr- und ernst nehmen. Sind DIE DOSIS MACHT DAS GIFT GRAFIK: NOUNPROJECT / ALICE NOIR präparat, das, neben Alkohol u. a., Pseudoephedrin und Dext- die Kopfschmerzen vielleicht Folge von z. B. romethorphan enthält, sollten nur in Ausnahmefällen bei Erkäl- stundenlangem Computerspiel, lauter Musik, zu geringer Flüssigkeitsaufnahme oder vielleicht INFOKARTE ZUM THEMA 48 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2010): BAnz. Nr. 181. S. 3975. von Stress, Überlastung und nicht erholsamem BILD: FACHSTELLE www.tinyurl.com/y3scchc5 (abgerufen am 23.07.2019). Schlaf? Alternative Angebote zum Medikamen- 49 Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH & Therapieladen e.V. (Hrsg.) (2019): Informationsblatt Cannabis. www.tinyurl.com/yxqv3jse (abgerufen am tenkonsum, wie z. B. Entspannungsübungen oder Bewegung 07.08.2019). anstatt Schmerz- oder Beruhigungsmittel, sollten selbstver- 11
INFORMATIONSBLATT Medikamente ständlich sein. Solche Maßnahmen sind nicht nur nachhaltiger, sondern fördern die Gesundheit und eine kritische Auseinander- setzung mit dem Konsum von Medikamenten. Hinsichtlich des Medikamentenmissbrauchs im Breiten- und Freizeitsport müssen ebenfalls verschiedene Ebenen betrachtet werden. Verbandsfunktionäre, Trainer*innen, Betreuer*innen, Lehrer*innen und Eltern sind gefordert, gerade Kindern und Ju- gendlichen Wertvorstellungen zu vermitteln, die sportliche Fair- ness und die Achtung der eigenen Gesundheit in den Mittelpunkt stellen. Im Training, im Sportunterricht und auch in Fitnessstudios sollte auf das Thema Medikamentenmissbrauch hingewiesen und Ohne Aufklärung kein Problembewusstsein gesunde Wege der Leistungssteigerung (wie z. B. Trainingsinten- Die Tatsache, dass Medikamente in der Regel bei Beschwerden sität, Regenerationsphasen und gesunde Ernährung) sollten auf- eingenommen werden und meist sogar ärztlich verordnet wurden, gezeigt werden. Um all dies zu erreichen, ist Aufklärung genauso erschwert die Entwicklung eines Problembewusstseins hinsicht- wichtig wie die Sensibilisierung der genannten Schlüsselpersonen. lich einer möglichen Abhängigkeit bei den Konsument*innen. Suchtsensible Pflege und -Pflegeberatung Medikamente werden gegen Symptome wie Schlaflosigkeit oder Aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Zahl älterer Spannungskopfschmerz eingenommen, ohne dass ein Zusam- Menschen, die von Substanzmissbrauch und -abhängigkeit be- menhang mit den zugrunde liegenden psychischen Befindlichkei- troffen sind, in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Ein für ten, z. B. ärgerlich oder gekränkt zu sein, wahrgenommen wird. die Thematik sensibilisiertes und geschultes Umfeld kann nega- Psychosomatische Zusammenhänge bleiben unerkannt, auf Ge- tive Begleiterscheinungen problematischen Suchtmittelkonsums fahren von Mischkonsum, z. B. zusammen mit Alkohol, Überdo- bei den Betroffenen frühestmöglich erkennen und angemessen in- sierung oder die etwaig eingeschränkte Fähigkeit zur Teilnahme tervenieren. Hierdurch können Lebensfreude und Lebensqualität am Straßenverkehr wird wenig Rücksicht genommen. der Betroffenen wieder gesteigert werden. Hinzu kommt, dass beim Absetzen der Medikamente auftretende Die Schulungskonzepte der Suchtsensiblen Pflege und -Pflege- Entzugserscheinungen als erneutes Auftreten der Ausgangsbe- beratung der Fachstelle für Suchtprävention gGmbH qualifizieren schwerden gedeutet werden. So wird Medikamentenabhängigkeit Mitarbeitende aus ambulanten und stationären Pflegeeinrichtun- häufig erst in einem späten Stadium der Erkrankung erkannt, denn gen bzw. aus Pflegestützpunkten der Übergang vom Gebrauch zum Missbrauch und zur Abhängig- BILDER: FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION (2); ADOBE STOCK / ELENABSL zum Thema Suchtgefährdung im keit ist fließend und das Ursachengefüge für eine Medika- Alter.50 mentenabhängigkeit sehr komplex. Darüber hinaus handelt es sich um eine unauffällige Abhängigkeit, die deshalb auch Broschüren zur die „stille Sucht“ genannt wird. Suchtsensible® SUCHTSE NSIBLE PFLEGEBE PFLEGE RATUNG Suchtgefährdung erkennen und professionell intervenieren Motivierenden Kurzintervention Motivierende Kurzintervention für Pfl egeberaterinnen der Kranken- / Pflegekassen und Pflegestützpunkte und -berater Suchtsensible® SUCHTSE NSIBLE PFLEGE PFLEGE Motivierende Kurzintervention in der Altenpflege in der Altenpflege Zusätzlich zu einer grundlegenden Sensibilisierung der Allgemeinbevölkerung für einen verantwortungsvollen kompetent Können in der Fachstelle für Umgang mit Medikamenten wird Ärzt*innen und gesund.de FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION Suchtprävention Berlin bestellt Apotheker*innen eine besondere Rolle zuteil – denn sie kompetent gesund.de FACHSTELLE FÜR SUCHTPRÄVENTION INFO werden und stehen unter www.tinyurl.com/ verschreiben bzw. übergeben die Substanzen an ihre y2cl3pus als Download zur Verfügung. Patient*innen. Eine Hilfestellung könnte für diese Berufsgruppen die S3-Leitlinie „Medikamentenbezogene Störungen“ sein, deren Fertigstellung für Ende 2019 erwartet wird.51 50 Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH: Suchtsensible Pflege und Pflege- beratung. www.tinyurl.com/y2cl3pus (abgerufen am 19.08.2019). 51 Deutscher Bundestag (Hrsg.), a.a.O. 12
Apotheker*innen Bei Verschreibungen sollten Ärzte die vier „K’s“ beachten: Im Bereich der Selbstmedikation sind die Apotheker*innen ¢ Klare Indikation, keine Verschreibung an Patient*innen mit die wichtigste Aufklärungs- und Schutzinstanz. Sie haben ei- Abhängigkeitsdiagnose, Aufklärung der Patienten*innen nen klaren Informations- und Beratungsauftrag bezüglich ihrer ¢ Korrekte Dosierung, kleine Packungsgrößen, Kund*innen und sollten Medikamente, insbesondere solche indikationsadäquate Dosierung mit erhöhtem Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotential, nicht ¢ Kurze Anwendung, Therapiedauer besprechen, kurzfristige kommentarlos aushändigen. Zudem nehmen sie wahr, wenn Wiedereinbestellung, Überprüfung der Weiterbehandlung INFO Medikamente, wie z. B. Benzodiazepine, als Privatrezept abgeholt ¢ Kein abruptes Absetzen, ausschleichend werden – was auf eine problematische Weiterverschreibung des abdosieren Medikaments durch den Arzt hinweisen kann. Im März 2018 hat die Apothekerkammer ihren Leitfaden für die Es gibt viele Möglichkeiten für Ärzt*innen, eine mögliche apothekerliche Praxis zum Thema Arzneimittelmissbrauch aktu- Medikamentenabhängigkeit bei Patient*innen zu erkennen oder alisiert.52 Um problematischem Medikamentenkonsum im Apo- diese zu verhindern. Hier bedarf es neben dem Wissen über Sucht- thekeralltag gekonnt zu begegnen, brauchen Apotheker*innen, potentiale verschiedener Wirkstoffgruppen einer hohen Aufmerk- zusätzlich zu Informationen zum Suchtpotential verschiedener samkeit bei den Patientengesprächen. Für Ärzt*innen gilt auch, Substanzen, kommunikative Fähigkeiten im Sinne der motivieren- das eigene Verschreibungsverhalten immer wieder zu hinterfragen den Gesprächsführung sowie den Mut, einen Verdacht auf pro- und Polymedikation, wo es geht, zu vermeiden. Seit Oktober blematischen Konsum bei Kund*innen anzusprechen. 2016 haben Patient*innen, die mindestens drei verschreibungs- Des Weiteren benötigen sie Informationen zum pflichtige Medikamente gleichzeitig über einen bestimmten Zeit- (Sucht-) Hilfesystem sowie eine gute Vernetzung raum einnehmen, Anspruch auf die Erstellung eines Medikations- an den Schnittstellen zu den verordnenden plans durch den / die behandelnde / n Ärzt*in.55 Dies schafft Trans- Mediziner*innen. Wie bedeutsam die Rolle der parenz über die aktuelle Medikation des / der Patient*in und kann Apotheker*innen sein kann, zeigt ein Modellpro- zudem den Austausch zwischen Mediziner*in, Apotheker*in und jekt aus Baden-Württemberg. Der Fachapotheker Patient*in hin zu einem gewissenhaften Umgang mit potentiell Dr. Ernst Pallenbach begründete folgendes abhängigkeitsfördernden Medikamenten unterstützen. Projekt zum ambulanten Benzodiazepin-Entzug: BERATUNG BEI VERORDNUNGEN Kund*innen, die regelmäßig über längere Zeit- Kooperationsmodelle BILD: FOTOLIA / R. KNESCHKE räume Benzodiazepine einnahmen, wurden Die Kooperationsbeziehung von Apotheker*innen und Ärzt*innen vom Apotheker (mit der Technik der motivie- birgt Synergien, die erfolgreich die Reduktion abhängigkeits- renden Gesprächsführung und nach Rücksprache und in Zusam- fördernder Medikamente bei Patient*innen befördern können. menarbeit mit den Hausärzt*innen) darauf angesprochen. Inner- Dies zeigte sich z. B. im Rahmen des ABDA-Modellprojektes zum halb von zwei Jahren konnten auf diese Weise von 38 Patienten ambulanten Entzug benzodiazepinabhängiger Patient*innen in 21 entwöhnt werden. Weitere 7 reduzierten ihren Konsum.53 Zusammenarbeit von Apotheken und Hausarztpraxen und auch im stationären Setting beim AOK careplus-Modell „Optimier- Ärzt*innen te Arzneimittelversorgung für stationäre Alteneinrichtungen“, Leider wird durch Mediziner*innen auch nicht immer aus- welches aktuell als Projekt „OAV – Optimierte Arzneimittel- reichend aufgeklärt. Die Bundesärztekammer hat in einem Leit- versorgung pflegebedürftiger Patienten“ ausgeweitet wird.56 57 58 faden für die ärztliche Praxis von 2007 wichtige Richtlinien für 55 Kassenärztliche Bundesvereinigung (Hrsg.) (2018): Bundeseinheitlicher die Arbeit der Ärzt*innen herausgegeben.54 Medikationsplan – Wissenswertes für Vertragsärzte. www.tinyurl.com/y37kzcp4 (abgerufen am 30.07.2019). 52 Bundesapothekerkammer (Hrsg.), a.a.O. 56 Möbius, J. R., Pallenbach, E., Holzbach, R. & Eckert-Lill, C., a.a.O. 53 Möbius, J. R., Pallenbach, E., Holzbach, R. & Eckert-Lill, C. (2014): 57 Hanke, F., Hildebrand, J., Joks, G. & Füsgen, I. (2013): Prävention arznei- Benzodiazepin-Entzug. Betreuung durch Apotheker und Arzt. In: Pharmazeutische mittelassoziierter Erkrankungen bei stationären Altenheimbewohnern durch ein Zeitung 21. Berlin: ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. pflegezentriertes Risikomanagement im Rahmen einer Integrativen Versorgung. (Hrsg). www.tinyurl.com/yybkdp6d (abgerufen am 30.07.2019). In: German Medical Science. Frankfurt am Main: Institut für Klinische Pharmakologie 54 Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission (Hrsg.). www.tinyurl.com/y6lmq43j (abgerufen am 26.08.2019). der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.) (2007): Medikamente – schädlicher Gebrauch 58 AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, Apothekerkammer Nordrhein KdöR & und Abhängigkeit: Leitfaden für die ärztliche Praxis. www.tinyurl.com/y24llhqu Gero PharmCare GmbH (Hrsg.) (o.J.): OAV – Optimierte Arzneimittelversorgung (abgerufen am 25.07.2019). pflegebedürftiger Patienten. www.tinyurl.com/yxg8vxv3 (abgerufen am 30.07.2019). 13
INFORMATIONSBLATT Medikamente Beratungs- und Hilfsangebote Bundesweite Informations- und Ein Blick auf die Statistik verrät: Bislang nehmen nur wenige Präventionsangebote Menschen mit problematischem Medikamentenkonsum Hilfs- Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland angebote in Anspruch. Betroffene haben immer die Möglichkeit, (UPD) bietet mehrsprachige Online-Beratung und sich mit Ihren Fragen an ihre / n Ärzt*in oder Apotheker*in zu telefonische Beratung: www.patientenberatung.de/ wenden. Letztere sind dazu angehalten, einen Bereich zur ver- de/beratung traulichen Beratung zu sensiblen Themen, wie z. B. auch proble- matischem Gebrauch von Medikamenten, in den Räumlichkeiten Kontaktaufnahme u. a. möglich über: der Apotheke zu haben. ¢ Kostenloses Beratungstelefon 0800 / 011 77 22 (Deutsch) ¢ Sprechzeiten sind montags bis freitags von 08.00 bis 22.00 Berliner Informations- Präventionsangebote Uhr sowie samstags von 08.00 bis 18.00 Uhr Jeder Bezirk in Berlin hält mindestens eine Alkohol- und ¢ Bundesweites Netz an Beratungsstellen – in Berlin am Medikamentenberatungsstelle vor, in der sich Betroffene, aber Legiendamm 4, 10179 Berlin, Tel.: 0800 011 77 25 auch Angehörige und andere Bezugspersonen, kostenlos beraten lassen können. Beratungsstellen bieten auch Unter- Ausführlichere Fachinformationen zu Medikamenten finden Sie stützung zur diagnostischen Abklärung einer Abhängig- z. B. auf der Website: www.gelbe-liste.de keit. Eine Übersicht mit allen Kontaktdaten ist in der Fachstelle für Suchtprävention erhältlich und kann Zudem halten viele Krankenkassen einen Service zur telefonischen auf der Webseite www.berlin-suchtpraevention.de Arzneimittelberatung vor. unter der Rubrik Informationen und Hilfe herunter- geladen werden. Hier findet sich auch eine Liste mit Berliner Initative gegen (Berliner) Angeboten zur Hilfe bei problematischem Medikamentenmissbrauch Medikamentenkonsum. Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch Adressen und Telefonnummern der Beratungsstellen sind auch in Mit dem Ziel, die „stille Sucht“ stärker ins Blickfeld der Fach- der Broschüre „Sucht, Drogen – Rat und Hilfe“ zu finden. Diese öffentlichkeit zu rücken, trifft sich seit 2011 regelmäßig ein multi- steht im Internet unter www.landesstelle-berlin.de als Pdf-Datei professioneller Zusammenschluss interessierter Expert*innen zum Download bereit. aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen, so z. B. Alkohol- und Medikamentenberatungsstellen, Entwöhnungs- und Therapie- Darüber hinaus hat Berlin auch frauenspezifische Beratungsstel- kliniken, Präventionsfachstellen, der Apothekerkammer, Senats- len, z. B. die Beratungs- und Behandlungsstelle FAM, die Medi- und bezirklichen Gesundheitsverwaltungen – die „Berliner Initiative kamentenabhängigkeit als einen ihrer Arbeitsschwerpunkte hat: gegen Medikamentenmissbrauch“. www.frausuchtzukunft.de/einrichtungen/fam Gemeinsam setzen die Beteiligten konkrete Projekte um, ihren In der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung 10-Punkte Forderungskatalog finden Sie auf der Website der in Berlin gibt es eine Patientenbeauftragte als Ansprechpartnerin, Fachstelle für Suchtprävention unter: www.tinyurl.com/y2e6zeel erreichbar unter (030) 9028-2010 (Mo. – Fr.: 10:00 – 14:00 Uhr). 14
Sie können auch lesen