MEHR NATUR IN DER STADT - LANDESHAUPTSTADT HANNOVER - Kommunen für biologische ...
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1 Programm zur Verbesserung der biologischen Vielfalt in Hannover 2014 – 2018 MEHR NATUR IN DER STADT Schriftenreihe kommunaler Umweltschutz – Heft 51 LANDESHAUPTSTADT HANNOVER
1 Vorwort Schon seit vielen Jahren engagiert sich die Landeshauptstadt Hannover für den Erhalt und die Förderung der biologischen Vielfalt. Grundlage dafür ist seit 2005 das Programm „Hannover plusZehn – Arbeiten für eine junge und innovative Stadt 2005 – 2015“, in dem als ein wichtiges Ziel „Erhalt der Qualität der Land- schaftsräume und Sicherung der Artenvielfalt“ formuliert wurde. Darauf aufbauend wurde 2009 das Programm „Mehr Natur in der Stadt – Ver- besserung der biologischen Vielfalt in Hannover“ ausgearbeitet. In den letzten fünf Jahren wurden im Rahmen dieses Programms zum Teil schon bestehende Projekte und Programme fortgeführt oder ausgeweitet, darüber hinaus aber auch zahlreiche neue Projekte initiiert. Die Landeshauptstadt Hannover setzt damit die nationale Biodiversitätsstrategie auf kommunaler Ebene um und erfüllt im eigenen Hoheitsgebiet und auf städtischen Flächen die Ziele des Naturschutzes. Die langjährige Arbeit der Stadt in diesem Themenfeld war so erfolgreich, dass Hannover 2011 in einem Wettbewerb unter 124 teilnehmenden Kommunen mit dem 1. Preis als „Bundeshauptstadt der Biodiversität“ ausgezeichnet wurde. In der Laudatio zur Preisverleihung hieß es: „Ein „grünes“, abwechslungsreiches Wohn- und Arbeitsumfeld gilt in Hannover als zentrale Voraussetzung für eine dauerhaft hohe Lebensqualität. Die Stadt hat daraus Konsequenzen gezogen und die Biodiversität zu einem grundlegenden Ziel im derzeitigen Stadtentwick- lungsprozess gemacht. Das macht sich in einer Reihe von Aktionsprogrammen bemerkbar, wie sie in diesem Umfang nur selten in einer einzelnen Kommune anzutreffen sind“. Damit diese besondere Qualität Hannovers auch für die Zukunft erhalten und gesichert wird, legen wir hiermit die Fortschreibung des Programms „Mehr Natur in der Stadt“ bis 2018 vor. Gleichzeitig wollen wir die Ergebnisse und Erfolge des Projektes seit Beginn 2009 darstellen. Dass Hannover in der Naturschutzarbeit so erfolgreich ist, verdankt die Stadt auch ihren vielen Partnerinnen und Partnern außerhalb der Verwaltung. Ohne das Engagement vieler Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Hannover wären Naturschutzziele und -projekte oft nicht umsetzbar. Wir hoffen auch in Zukunft auf viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die biologische Vielfalt. Sabine Tegtmeyer-Dette Wirtschafts- und Umweltdezernentin Landeshauptstadt Hannover
2 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2 Handlungsfeld „Verbesserung der biologischen Vielfalt“ . . . . . . . 4 2.1 Pflege- und Entwicklungsprogramm für besonders geschützte Biotope auf städtischen Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Pflanzenartenhilfsprogramm für seltene und besonders geschützte Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.3 Tierartenhilfsprogramm für seltene und besonders geschützte Arten . . . 7 2.4 Kartieren und Zurückdrängen von invasiven Neophyten . . . . . . . . . . . . . . 9 2.5 Naturnähere Grünflächenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.6 Stillgewässerprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.7 Naturnahe Entwicklung von Fließgewässern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.8 Erhalt und Förderung von artenreichem Extensiv-Grünland . . . . . . . . . . 13 2.9 Wälder und Aufforstungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.10 Anzucht und Vermarktung von gebietsheimischen Gehölzen . . . . . . . . . 16 2.11 Entwicklung der Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (FFH) . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.12 Der „Grüne Ring“ und das „Maßnahmenprogramm zur Entwicklung der Landschaftsräume“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3 Handlungsfeld „Menschen für die Natur begeistern“ . . . . . . . . . 22 3.1 Wahrnehmen und Sensibilisieren für Natur und Landschaft . . . . . . . . . . 23 3.2 Historische Kulturlandschaft entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.3 Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.4 Umweltbildungsarbeit/Bildung für nachhaltige Entwicklung: Angebote, besondere Orte und Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.5 Naturerleben mit „Neuen Medien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.6 Wildnis wagen – Vielfalt erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4 Bürgerschaftliches Engagement zur Förderung der biologischen Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.1 Obstgehölze pflegen und nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4.2 Urbane Agrikultur als Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.3 Dach- und Fassadenbegrünung in Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 5 Übersichtskarte der Projekte und Aktivitäten in einem Fünf-Jahres-Zeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3 1 Einführung Unter „Biodiversität“ beziehungsweise „biologischer Das hannoversche Programm „Mehr Natur in der Stadt“, Vielfalt“ wird die Vielfalt des Lebens auf unserem Pla- das 2009 erarbeitet wurde, gliederte sich in zwei neten, von der genetischen Vielfalt über die Artenvielfalt Schwerpunkte, die als unterschiedliche Handlungsfelder bis hin zur Vielfalt der Ökosysteme verstanden. definiert wurden: Das erste Handlungsfeld umfasst alle direkten Maßnahmen zur Verbesserung der Biodiversi- Das „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ vom tät, das zweite Handlungsfeld wurde zusammengefasst Umwelt- und Entwicklungsgipfel 1992 in Rio de Janeiro unter dem Titel „Menschen für die Natur begeistern“, verbindet drei Ziele für den Umgang mit biologischer umfasst also alle Maßnahmen zur Umweltbildung und Vielfalt: Ihren Schutz, die nachhaltige Nutzung ihrer Be- Öffentlichkeitsarbeit, die indirekt zur Erhaltung und Ver- standteile und die gerechte Aufteilung der sich aus der besserung der Biodiversität beitragen. Auch die jetzige Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile. Fortschreibung des Programms behält die Gliederung in die verschiedenen Handlungsfelder bei und ordnet Inzwischen hat die UN-Biodiversitätskonvention die Projekte, die in den letzten Jahren bearbeitet wur- 194 Vertragspartner und wurde von 168 Staaten sowie den, sowie die zukünftigen Arbeitsschwerpunkte diesen der Europäischen Union unterzeichnet. Deutschland hat Handlungsfeldern zu. Die einzelnen Projektkapitel geben als Vertragsstaat unter Federführung des Bundesmi- jeweils einen Überblick über den Stand der Arbeit an nisteriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- dem Projekt und über die weiterhin geplanten Schritte sicherheit eine nationale Strategie zum Erhalt und zur und Maßnahmen. Insofern ist die Fortschreibung sowohl Erhöhung der biologischen Vielfalt ausgearbeitet. Diese ein Bericht über die in den letzten fünf Jahren geleistete nationale Strategie sieht vor, „den Schutz der Natur zu Arbeit als auch eine Vorschau auf die in den nächsten verbessern und mit einer naturverträglichen Nutzung fünf Jahren geplanten Aktivitäten. zu kombinieren“. Nach wie vor werden dabei die in der Rio-Konvention ge- Auf kommunaler Ebene haben schon zahlreiche Städte nannten Ziele „Schutz“ und „nachhaltige Nutzung“ der begonnen, diese Strategie umzusetzen. Sie folgen damit biologischen Vielfalt beziehungsweise ihrer Bestandteile dem Bedürfnis vieler Menschen nach Natur und nach wo immer möglich verbunden zu dem Ziel „Schutz durch einem „grünen“, abwechslungsreichen Wohn- und Ar- nachhaltige Nutzung“. beitsumfeld, das gerade in den dicht bebauten Städten oft besonders stark ist. Viele Städte beherbergen heu- Diesem Ziel folgend wird nun auch das „Maßnahmen- te Dank der Vielgestaltigkeit ihrer Lebensräume einen programm zur Entwicklung von Landschaftsräumen“, Artenreichtum und eine Anzahl seltener Pflanzen und das seit 1998 mit mehreren Fortschreibungen eigen- Tiere, die ausgeräumte Agrarlandschaften ländlicher ständig geführt wurde, in das Programm „Mehr Natur Regionen kaum noch bieten können. Die Bereitschaft, in der Stadt“ integriert. Das „Maßnahmenprogramm“ sich von öffentlicher und privater Seite für den Erhalt umfasste Projekte des Arten- und Biotopschutzes – zum dieser Vielfalt einzusetzen, ist in zahlreichen Kommunen Beispiel die Anlage von Kleingewässern und Biotopver- vorhanden. bundstreifen – ebenso wie Projekte für die Naherho- lung, zum Beispiel die Verbesserung und den Ausbau Das zeigt unter anderem das Interesse an dem 2012 von Wander- und Radwegen. Es diente damit der Ent- gegründeten Verein „Bündnis Kommunen für biologi- wicklung der Landschaftsräume sowohl als ökologische sche Vielfalt“, in dem auch Hannover Mitglied ist. Das Ausgleichsräume als auch als naturnahe Erholungsge- Bündnis unterstützt die einzelnen Städte bei ihrer Na- biete. Diese Ziele für die Landschaftsräume sind auch turschutzarbeit durch Erfahrungsaustausch, vielfältige Bestandteil der kommunalen Biodiversitätsstrategie Kooperationen bei Projekten und gemeinsame Öffent- „Mehr Natur in der Stadt“ für die kommenden Jahre lichkeitsarbeit. Es hat inzwischen 101 Mitglieder und (siehe Kapitel 2.12). über 250 Unterzeichner der vom Bündnis ausgearbeite- ten Deklaration zur Erhaltung der biologischen Vielfalt.
4 Salzvegetation an der Fösse | © LHH 2 Handlungsfeld „Verbesserung der biologischen Vielfalt“ Wie kann der Naturschutz in Zukunft in Hannover ausse- als Herausforderung und gemeinsame Aufgabe von Al- hen? Das Leitbild lässt sich wie folgt skizzieren: len angesehen werden. Die nachhaltige Nutzung der Na- tur wird Voraussetzung für eine dauerhaft verbesserte Die Stadtentwicklung der Landeshauptstadt soll ins- Lebensqualität für die Menschen. gesamt natur- und landschaftsverträglich ausgerichtet werden und damit der Sehnsucht vieler Menschen nach Ziel ist es, dass die Belange des Naturschutzes inte- mehr Naturnähe in ihrem Wohnumfeld folgen. Das En- graler Bestandteil der Stadtplanung, der Freiflächen- gagement für den Schutz der Tier- und Pflanzenarten entwicklung, der Land- und Forstwirtschaft sowie der sowie ihrer Lebensgemeinschaften und die Nutzung na- Grundstücksbewirtschaftung öffentlicher und privater Naturnahe Feuchtwiesen türlicher Ressourcen sollen nicht als Gegensatz, sondern Flächen sind. Die Landschaftsräume Hannovers sollen am Kronsberg | © LHH vielfältiger werden: Sowohl in den Freiflächen als auch im bebauten Bereich soll die Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten und ihrer Gemeinschaften deutlich zunehmen. Es ist ebenfalls Ziel, dass die Verbesserung der biologi- schen Vielfalt nicht als Behinderung für wirtschaftliche Entwicklung gesehen wird, sondern als Chance und Mit- tel, das Wohn- und Arbeitsumfeld der Menschen in der Stadt attraktiver und lebenswerter zu machen. Mit diesem Programm wird auch eine Balance zu den in den nächsten Jahren erforderlichen Eingriffen in Natur- flächen durch zusätzliche Bebauungen angestrebt, denn gesamtökologisch ist es sinnvoll, im Verdichtungsraum stadtbahnnah einige neue Bauflächen auszuweisen, um dadurch die disperse autoabhängige Zersiedelung im Umland einzudämmen.
5 2.1 Pflege- und Entwick- lungsprogramm für beson- ders geschützte Biotope auf städtischen Flächen Es gibt diverse Vorschriften aus dem Europäischen Recht, aus der Naturschutzgesetzgebung von Bund und Land, die wertvolle und seltene Biotope und Le- bensräume unter einen besonderen rechtlichen Schutz stellen. Dies ist eine Reaktion auf den international dra- matischen Rückgang wildlebender Tier- und Pflanzen- arten und ihrer Lebensräume. Es gibt unterschiedliche Schutzkategorien wie Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Gebie- te, FFH-Lebensraumtypen, FFH-Arten, besonders ge- schützte Biotope gemäß § 30 Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) und Geschützte Landschaftsbestandteile gemäß § 22 (4) Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (NAGBNatSchG). In den Kamerunschafe pflegen die offene Landschaft in Lahe. | © LHH letzten zehn Jahren sind mehrere neue gesetzliche Vor- für jeden Landschaftsraum gibt, sind Flächen, die einer schriften dazugekommen, die eine Aktualisierung von besonderen Pflege bedürfen, gekennzeichnet. Bestandsaufnahmen erforderlich machen. Beispielhaft ist ein städtischer Bereich der Mardalwiese Nur was man kennt, kann man schützen in Hannover-Kirchrode zu nennen, auf dem sich eine Entscheidend ist eine Kenntnis über das Vorkommen Vielzahl gefährdeter Pflanzenarten der Kalk-Pfeifengras- der Arten und Biotope im Stadtgebiet. Viele Erhebungs- wiesen in beachtlichen Beständen etablieren konnte. In daten sind bereits bei der Unteren Naturschutzbehörde Abstimmung mit Fachleuten des ehrenamtlichen Natur- in der Region Hannover vorhanden. Die Geschützten schutzes wird die Wiese von städtischen Mitarbeiterin- Landschaftsbestandteile gemäß § 22 (4) NAGBNatSchG nen und Mitarbeitern gemäht, wobei die Pflege in jedem werden zunächst für Teile des Stadtgebietes 2014 durch Jahr neu, entsprechend der Blühaspekte bestimmter eine vom Fachbereich Umwelt und Stadtgrün beauftrag- Arten, angepasst wird. te Kartierung erhoben. Für die an die EU gemeldeten Flo- ra-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete) gibt es eigene Eine weitere Fläche liegt in Hannover-Lahe, auf der sich Entwicklungskonzepte (siehe Kapitel 2.11). auf einem grundwassernahen, sandigen Standort in gro- ßem Umfang seltene Zwergbinsengesellschaften und Erhalt durch abgestimmte Pflege Heidebestände angesiedelt haben. Auch hier wird mit Auf den stadteigenen Flächen ist der Erhalt der wertvol- fachlicher Unterstützung des Niedersächsischen Lan- len Bereiche bei allen Arbeitsabläufen – von der Konzep- desbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Natur- tion über die Planung bis hin zur Pflege vor Ort sowie bei schutz (NLWKN) und des ehrenamtlichen Naturschutzes der Verpachtung – von besonderer Wichtigkeit. Letztlich eine Pflege sichergestellt. Die bisher im Rahmen der sind viele Bestände nur durch eine spezielle, auf die lokalen Biodiversitätsstrategie durchgeführten Maßnah- wertgebenden Leitarten ausgerichtete Pflege dauerhaft men werden fortgeführt. Dabei ist der gute Erhaltungs- zu erhalten. In den sogenannten Pflegekarten, die es zustand der Biotope Ziel und Maßstab anlassbezogener Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen. Die Mardalwiese in Kirchrode | © LHH
6 schen Hügelland im Süden und die Geest mit Sand- und Moorgebieten im Norden. Zusätzlich durchzieht die Lei- neaue die Stadt in Nord-Süd-Richtung. Auf engem Raum gibt es so unterschiedliche Böden wie Löss, Auelehm, Sand, Mergel oder Torf. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes der Grund für vielfältige Standortbedingungen und für eine arten- und abwechslungsreiche Tier- und Pflanzenwelt. Durch diese besondere Lage Hannovers gibt es im Stadtgebiet viele Arten, die auf niedersächsischen oder bundesweiten Roten Listen seltener und gefährdeter Pflanzen- und Tierarten verzeichnet sind. Einige sehr seltene Arten haben hier ihr Hauptvorkommen oder ein Sumpf-Sitter (Epipactis palustris) | © LHH wichtiges von ganz wenigen in Niedersachsen oder gar Deutschland. Insofern hat die Stadt Hannover für diese Arten eine besondere Verantwortung. 2.2 Pflanzenartenhilfspro- gramm für seltene und be- Vor dem Programm zur Verbesserung der biologischen Vielfalt wurden spezielle Artenschutzmaßnahmen sonders geschützte Arten punktuell durchgeführt und konnten die Populationen weniger Spezies stabilisieren, doch es fehlte ein auf Die Ausgangssituation langfristige Kontinuität ausgerichtetes Programm. Auch Durch den stetigen Flächenverbrauch der Stadt für die in den letzten Jahren im Rahmen des „Maßnahmen- Wohn- und Gewerbegebiete und Verkehrsflächen und programms für die Entwicklung der Landschaftsräume“ den damit einhergehenden Verlust wertvoller Brachflä- (siehe auch Schriftenreihe kommunaler Umweltschutz, chen oder extensiv genutzter Landwirtschaftsflächen Heft Nr. 19 und 42) durchgeführten Biotopentwicklungs- ist auch in Hannover in den letzten Jahrzehnten ein maßnahmen haben sich sehr positiv auf einige Arten kontinuierlicher Artenschwund beziehungsweise eine ausgewirkt. Zu nennen sind hier zum Beispiel Bestän- Verringerung der Populationen seltener und gefährdeter de des Blaugrünen Labkrauts auf dem Kronsberg, von Arten zu verzeichnen. Allerdings ist der Artenschwund Knabenkräutern im Hermann-Löns-Park oder Pillenfarn hier wesentlich geringer als im landwirtschaftlich ge- in der Schwarzen Heide. Doch treten Erfolge oft nicht prägten Umland. so ein wie gewünscht oder verschwinden nach einiger Zeit wieder oder es gibt eher zufällig beeindruckende Im Stadtgebiet verläuft die Grenze zwischen zwei gro- positive Effekte. Schuppenwurz (Lathraea squamaria) ßen Naturräumen: Die Börden mit dem Niedersächsi- in der Eilenriede | © LHH Ein Programm für die Zukunft Seit 2010 gibt es eine systematische flächenbezogene Zusammenstellung zu rund 75 gefährdeten Pflanzenar- ten der Roten Liste für Niedersachsen. Neben einer Kar- te der jeweiligen im Stadtgebiet bekannten Wuchsorte sowie Pflegehinweisen für jeden Standort enthält sie eine Dokumentation der Bestandsentwicklung seit den 1990er Jahren. Neufunde werden kontinuierlich in das Programm aufgenommen. Ziele sind der Erhalt und die Entwicklung der Arten durch auf die speziellen Lebensraumansprüche ausge- legte naturnahe Pflegemaßnahmen und ein langjähriges Monitoring der jeweiligen Bestandsentwicklungen. Die Artenhilfsmaßnahmen sind gemeinsam mit der Unteren Naturschutzbehörde, dem Niedersächsischen Landes- betrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und dem ehrenamtlichen Naturschutz erstellt worden. Sie werden entsprechend der Entwicklung der Arten und Pflanzengesellschaften wo erforderlich kon- tinuierlich aktualisiert.
7 2.3 Tierartenhilfspro- gramm für seltene und be- sonders geschützte Arten Seit einigen Jahrzehnten ist ein steter Rückgang von Tier- und Pflanzenarten sowohl weltweit als auch auf lo- kaler Ebene vielfältig dokumentiert. Hannover versucht, dem Artenrückgang mit einem Tierartenhilfsprogramm entgegenzuwirken. Dieses umfasst mehrere Bausteine: Erfassung eines möglichst repräsentativen Artenbestandes Da die Erfassung aller Arten den Rahmen bei weitem übersteigt, muss eine Beschränkung erfolgen. So orien- tiert sich die Erfassung an vorhandenen Daten und an Arten, deren Bestand aussagekräftige Hinweise auf das Vorhandensein von wertvollen Lebensräumen für Tiere und Pflanzen im Stadtgebiet geben, sogenannte Indika- torarten. Zu ihnen zählen zum Beispiel Wildbiene und Amphibienleiteinrichtung entlang der Lenther Chaussee | © LHH Kammmolch oder Laubfrosch, die zudem einen beson- reagiert werden. So wird 2014 und 2015 eine Biberkar- deren Schutzstatus aufweisen (Rote-Liste-Art, FFH-Art). tierung in der Leineaue durchgeführt, das Rebhuhn und der Baumkäfer Eremit sind weitere zu erfassende Arten. Gemäß den artenschutzrechtlichen Bestimmungen wer- Die Wildbienenkartierung wird fortgeführt. den im Rahmen der Bauleitplanung und bei Planfeststel- lungsverfahren Bestandsaufnahmen durchgeführt. Oft Beispielhaft sind hier drei besonders und streng ge- werden viele dieser Flächen jedoch überbaut oder verän- schützte Tierarten aufgeführt, die in Hannover ihren dert und gehen als Lebensraum verloren. Von besonde- Lebensraum haben: rem Interesse sind daher alle Artenerfassungen auf Flä- chen, deren Erhalt langfristig gesichert ist. Dies betrifft in Zauneidechse erster Linie naturschutzrechtlich geschützte Flächen und Die Zauneidechse ist streng geschützt. Zauneidechsen naturschutzfachliche Planungen. Hierzu zählen auch die sind in ganz Deutschland verbreitet, allerdings sind die meisten Kleingewässer mit ihrem unmittelbaren Umfeld Bestände durch Intensivierung der Landnutzung sehr (siehe Kapitel 2.6). Bei ihnen erfolgt seit 2006 ein Moni- stark zurückgegangen. In Hannover gibt es bemerkens- toring über die Entwicklung der Amphibien und Libellen. werte Vorkommen im Bereich der Bahnlinien in der Brei- Daneben wurden in den letzten Jahren gezielte Erfassun- ten Wiese in Kirchrode und Anderten. Da sich die Tiere gen artenschutzrechtlich bedeutsamer Vorkommen, zum im Laufe ihres Lebens kaum weiter weg bewegen, ist ihr Beispiel der Fledermäuse, der Nachtigall, des Baumkäfers Lebensraum sehr eng begrenzt und muss alles aufweisen, Eichenheldbock und auf ausgewählten Flächen der Wild- was sie brauchen: Überwinterungsquartiere im Bahn- bienen und Wespen durchgeführt. schotter, vegetationsfreie Sonnenplätze, offene, lockere Bodenstrukturen zur Eiablage, Hochstauden, Gebüsch Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen und Totholz als Deckung und Schutz vor Austrocknung. Zauneidechsen (Lacerta agilis) | © Ina Blanke für die erfassten Populationen Aufbauend auf den Ergebnissen der Kartierungen wer- den Biotoppflegemaßnahmen festgelegt, die die bishe- rigen Vorkommen im Bestand erhalten und möglichst vermehren. Im Rahmen des Stillgewässerprogramms beispielsweise erfolgen gezielte Pflegemaßnahmen sys- tematisch seit 1999. Digitale Erfassung aller Bestandsaufnahmen Die digitale Erfassung der Bestandsdaten erfolgt fortlau- fend entsprechend der neuen Erkenntnisse. Die Daten sollen behördenintern einem möglichst großen Nutzer- kreis zugänglich sein und in alle naturschutzrelevanten Planungen einfließen. Wie geht es weiter? (Auswahl der zu kartierenden Arten) Im weiteren Vorgehen kann flexibel auf die Erfordernis- se der Erfassung von Tierarten mit Indikatorfunktion
8 Blauschwarze Holzbiene (Xylocopa violacea). Die größte Die Sandbiene (Andrena haemorrhoa) ist ein häufiger Bewohner deutsche Wildbienenart konnte erstmals für Hannover im naturnaher Flächen und Gärten. | © Rolf Witt Berggarten nachgewiesen werden. | © Rolf Witt Regelmäßig werden mit fachlicher Betreuung behutsam wicht von neun Gramm zu den kleinsten einheimischen Pflegemaßnahmen durchgeführt, um die Lebensräume Froschlurchen. Laubfrösche klettern gut und halten sich zu erhalten und einer Verbuschung entgegenzuwirken. zur Nahrungssuche und zum Sonnen meist im Blätter- werk von Sträuchern und Bäumen auf. Im Frühjahr su- Kreuzotter chen sie zur Vermehrung voll besonnte flache Gewässer Die Kreuzotter ist besonders geschützt. Sie lebt in auf, die sich schnell erwärmen. Gegen Herbstende be- Mooren und Heiden im Übergangsbereich vom Wald vorzugen sie frostsichere Überwinterungsquartiere in zu offenen Flächen und ist auf vielfältige Strukturen Erdhöhlen oder Steinspalten. Sie legen dann oft einige angewiesen. Sie benötigt bestimmte Teilhabitate, Kilometer zwischen ihren Teillebensräumen zurück. die über viele Jahre regelmäßig aufgesucht werden: Frühjahrssonnenplätze in der Nähe des Winterquar- Für den Schutz des Laubfrosches ist es wichtig, das Ge- tiers, Paarungs- und Herbstsonnenplätze sowie dich- samthabitat aus Kleingewässern und Landlebensraum tere Vegetation als Deckung. Durch Entwässerung der zu erhalten und zu entwickeln. Das Gewässerumfeld Moore und großflächige Aufforstungen ist der Bestand im Radius von mindestens 500 m sollte möglichst nur der Kreuzotter bundesweit stark zurückgegangen. In extensiv bewirtschaftet werden. Ideal ist mit Hecken Hannover ist sie in den Pfeifengraswiesen östlich des durchsetztes Dauergrünland mit eingestreuten Feldge- Altwarmbüchener Sees und im Altwarmbüchener Moor hölzen und Ruderalflächen und angrenzenden Laub-/ mit kleinen Populationen beheimatet. Hier werden auf Laubmischwäldern. der Grundlage von Pflegeplänen besonnte Bereiche von Verbuschung freigehalten. Die Bestandssituation wird Diese Bedingungen sind in Hannovers Norden in der regelmäßig überwacht. Schwarzen Heide und im Südwesten am Benther Berg gegeben. Die Bestände des Laubfroschs konnten sich Laubfrosch gut etablieren und vergrößern. Die Kleingewässer und ihr Der Laubfrosch ist streng geschützt. Er zählt mit einer Umfeld werden entsprechend unterhalten und gepflegt. Größe von nur etwa sechs Zentimetern und einem Ge- Biberspuren an der Leine | © LHH Laubfrosch (Hyla arborea) | © LHH
9 Spätblühende Traubenkirsche Herkulesstaude (Heracleum mantegazzianum) | © LHH Robinie (Robinia pseudoacacia) | © LHH (Prunus serotina) | © LHH hier ist eine kontinuierliche Bekämpfung über mehrere 2.4 Kartieren und Jahre unabdingbar, da bei der Grabung nicht immer alle Zurückdrängen von Wurzelteile erfasst und entfernt werden können. In Zu- sammenarbeit mit den Berliner Landesforsten wird die invasiven Neophyten spätblühende Traubenkirsche mit einem heimischen Pilz umweltverträglich bekämpft. Die dafür erforderliche Pilz- Die fortschreitende Ausbreitung von bewusst oder un- suspension wird von den Berliner Kolleginnen und Kollegen bewusst eingeschleppten Pflanzen (Neophyten) ist ein zur Verfügung gestellt. So können jedes Frühjahr rund 500 internationales Problem. Weltweit sind Ökosysteme und spätblühende Traubenkirschen behandelt werden. die biologische Vielfalt in unterschiedlichster Weise von dieser Entwicklung betroffen. In den vergangenen Jahren konnten bei der Zurück- drängung der genannten Arten bereits Teilerfolge erzielt Neophyten sind gebietsfremde Pflanzen, die teilweise werden. Die bekannten Standorte mit der Besiedlung schon vor mehreren hundert Jahren durch menschliche durch den Riesenbärenklau weisen nach mittlerweile Aktivitäten aus anderen Kontinenten eingebracht wur- vierjähriger Bekämpfung erheblich weniger keimfähi- den und sich bei uns etabliert haben. Für das Stadtge- ge Samen im Boden auf. Allerdings erhält die Verwal- biet gibt es noch keine umfassenden Kartierungen der tung durch die Einwohnerinnen und Einwohner laufend vorkommenden Neophyten. Kenntnis über neue Standorte, auf denen sich der Rie- senbärenklau ausbreiten konnte. Durch die Vielzahl der Etwa zehn Prozent der bekannten Neophyten werden als Einsatzorte besteht die Erfordernis von weiteren lang- (potentiell) invasiv eingestuft, das heißt, sie sind in der jährigen Bekämpfungsaktionen. Ähnlich verhält es sich Lage durch ihre aggressive Ausbreitung heimische Arten mit der Bekämpfung des ostasiatischen Knöterichs. Ein nachhaltig zu verdrängen. Einige Arten können darüber Aussetzen der Anstrengungen würde die bisherigen Er- hinaus die Gesundheit von Menschen und Tieren be- folge in Frage stellen. Die Bekämpfung der spätblühen- einträchtigen. Eine hohe Samenproduktion, eine lange den Traubenkirsche kann insgesamt als Erfolg gewertet Keimfähigkeit der Samen und geringe Ansprüche an werden, obwohl die Ergebnisse der behandelten Flächen den Standort tragen zu einer stetigen und ungeregelten unterschiedlich ausfallen. In den ausgewerteten Pro- Ausbreitung der gebietsfremden Arten bei. Innerhalb beflächen schwankt die Absterberate zwischen 50 und der städtischen Flächen sind es aktuell rund ein Dut- 80 Prozent. Es wird davon ausgegangen, dass der jah- zend Neophyten, die für mögliche Beeinträchtigungen reszeitliche Beginn der Bekämpfung mit dem möglichen der heimischen Artenvielfalt verantwortlich gemacht Erfolg in direktem Zusammenhang steht. In Kenntnis werden können. Durch den Klimawandel wird zudem der bisherigen Ergebnisse, wird die Bekämpfung unter die Wuchsdynamik einzelner Arten begünstigt. Die Folge veränderten Bedingungen in den kommenden Jahren dieser Entwicklung trägt zum stetigen Rückgang der fortgeführt. Weitere Versuche sind erforderlich, damit biologischen Vielfalt bei. die Wirkungsweise des Pilzes eindeutiger beschrieben beziehungsweise dokumentiert werden kann. Leineufer mit Sachalin-Staudenknöterich (Reynoutria sachalinensis) | © LHH Seit Frühjahr 2010 werden im Bereich des Stadtgebietes Hannover besonders problematische invasive Neophyten umweltschonend bekämpft. Der Riesenbärenklau und der ostasiatische Knöterich werden in Handarbeit ausgegra- ben. Durch die hohe Samenproduktion des Riesenbären- klaus mit durchschnittlich 20.000 Samen bei einer ausge- wachsenen Staude ist eine erfolgreiche Bekämpfung nur über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren möglich. Der ostasiatische Knöterich vermehrt sich durch ein un- terirdisch verlaufendes Wurzelgeflecht (Rhizome). Schon kleinste Wurzelteile bringen eine neue Pflanze hervor. Auch
10 Mittelstreifenwiese in der Lavesalle (Calenberger Neustadt) | © Nora Kraack werden, wo es keine Gefahr für Passanten darstellt, spe- 2.5 Naturnähere zielle Naherholungsnutzungen (zum Beispiel Liegewiese) Grünflächenpflege und die Optik hochwertiger beziehungsweise denkmal- geschützter Grünanlagen nicht beeinträchtigt. Eben- Nicht nur in den Landschaftsräumen und Wäldern, so werden Laub und Gehölzschnitt in den Beständen sondern auch bei der Pflege der Grünflächen in den verbleiben, wo es sinnvoll ist. Krumme, vielstämmige Siedlungen, das heißt, in den Grünzügen und Parks „vor (Kletter-)Bäume sind nicht zu fällen und freistehende der Haustür“ kann viel für den Pflanzen- und Tierarten- Bäume nicht generell auf zu asten, sondern bis zum Bo- schutz und die Artenvielfalt getan werden. den wachsende, tiefhängende Äste werden zugelassen. Das Ziel ist eine insgesamt naturnähere Grünflächen- Bei Mähflächen soll die Mähhäufigkeit noch stärker ent- pflege, die mehr „Wildnis“ und bewusst etwas „Unord- sprechend der jeweiligen Nutzungsansprüche differen- nung“ zulässt und die Pflege nicht nur ökonomischen ziert werden, das heißt, kurzer Scherrasen wo nötig, und organisatorischen Zwängen unterordnet. So wird zwei- oder dreischürige Wiese wo möglich. Um immer beispielsweise bereits seit einigen Jahren im Hermann- Blühhorizonte zum Beispiel für die Schmetterlinge und Löns-Park, auf dem Lindener Bergfriedhof und im Grün- auch für das Naturerleben zu haben, sind auf einer zug Roderbruch-West erfolgreich ein Mahdregime prak- Grünfläche unterschiedliche Schnittzeitpunkte festzu- tiziert, bei dem Rücksicht auf den Blütenflor und die legen. Generell soll bei der Mahd mehr Rücksicht auf die Fruchtung gefährdeter Pflanzen genommen wird, um Tierwelt, insbesondere auf Insekten wie Heuschrecken die Bestände zu erhalten und zu entwickeln. oder Falter genommen werden. Angestrebt wird, soweit es deutliche Entwicklungspotentiale für eine Erhöhung Neue Pflegestandards der Biodiversität gibt und es ökonomisch möglich ist, Zur Ausweitung dieser Pflegepraxis sollen – bezogen auf auf den Einsatz von für die Tierwelt problematischen Gehölzbereiche, Einzelbäume und Wiesen – Standards für Mähweisen wie zum Beispiel die Verwendung von Schle- unterschiedliche Pflegeintensitäten aufgestellt werden. gelmähern zu verzichten. Dabei ist klar, dass es diese veränderte Pflege nicht zum Nulltarif gibt. Eine öko- Im Bereich der Gehölze bedeutet dies, dass möglichst logisch ausgerichtete Pflege führt durch den höheren gebietsheimische Arten nachgepflanzt werden (siehe Arbeitseinsatz und auch Veränderungen beim Maschi- Kapitel 2.10) und Gehölzränder buchtig und mit vor- nenpark zu höheren Kosten. gelagerten Gras- und Hochstaudensäumen entwickelt Naturnahe Grünflächenpflege werden. Totholz, ob liegend oder stehend soll belassen Bei der Neubegründung von Grünflächen soll vermehrt im Georgengarten | © Nora Kraak eine Heublumenansaat zur Anwendung kommen. Dabei findet eine Saatgutübertragung von gebietsheimischen Arten durch Ausbringen des frischen Schnittguts von ge- eigneten artenreichen Spenderflächen statt. Alternativ kann Regio-Saatgut bezogen und ausgebracht werden. Die Ziele für die nächsten Jahre sind: Festlegung von ökologischen Standards für alle Flä- chen, Schulung der Mitarbeiter/innen für Artenschutzbe- lange, örtlich angepasste Pflegepraktiken (auch an kleinräu- mige Entwicklungen), Öffentlichkeitsarbeit.
11 Ihmepark | © Nora Kraack Anlage eines neuen Kleingewässers | © LHH rücksichtigung im Rahmen des Stillgewässerprogramms 2.6 Stillgewässer- fand der Aspekt, das wohnungsnahe Umfeld attraktiver programm zu gestalten. In diesem Zusammenhang wurden auch mehrere Regenrückhaltebecken umgestaltet und zum Gewässer üben seit jeher eine große Faszination aus. Teil deutlich vergrößert. Für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind sie lebens- notwendig und für die Menschen oft attraktivste Anzie- Seit 2007 wird an jeweils ausgewählten Kleingewässern hungspunkte in der Landschaft. ein Monitoring durchgeführt, das den Bestand von Libel- len und Amphibien erfasst und Hinweise für erforderli- Den vielfältigen und weiter wachsenden Ansprüchen an che Pflege- und Unterhaltungsmaßnahmen liefert. Die intakte Gewässer steht ein seit mehreren Jahrzehnten Ergebnisse zeigen eine schnelle Besiedlung der neuge- andauernder Rückgang der Gewässerzahl gegenüber, schaffenen Lebensräume und damit einhergehend eine der aufgrund allgemeiner Nutzungsintensivierung der durchgehend positive Entwicklung der Bestände. Landwirtschaft bis hin zur Überbauung zum Verlust von 70 bis 80 Prozent der noch vor 40 Jahren vorhandenen Aktuell bilden die dauerhaft notwendigen Pflegemaß- Gewässer in Norddeutschland geführt hat. nahmen wie das Entfernen von Gehölzaufwuchs und Teilräumungen einen Schwerpunkt der Arbeiten. Den- Um dieser Entwicklung, die auch im Stadtgebiet Hanno- noch werden auch in Zukunft einige Kleingewässer neu ver zu beobachten war, entgegen zu wirken, wurde als entstehen, zum Beispiel am Kronsberg und im LSG Baustein des „Handlungsprogramms Zukunft Hannover“ Fuhrbleek. für die Jahre 2001 bis 2006 ein Stillgewässerprogramm erarbeitet (siehe Schriftenreihe Kommunaler Umwelt- schutz, Heft 43). Inzwischen sind – auch nach Ablauf des eigentlichen Programms – unter städtischer Regie fast 20 neue Klein- gewässer entstanden, einige weitere Gewässer konnten in ihrer Funktion für die Naherholung und für den Na- turschutz deutlich verbessert werden. Besondere Be- Badebornteiche in Badenstedt | © LHH Schwarze Heide in Stöcken | © LHH
12 Mit dem naturnahen Ausbau werden insbesondere zwei Ziele verfolgt: Verbesserung der hydraulischen Situation durch Schaffung von Retentionsräumen und Verzögerung des Hochwasserabflusses (Abflussspitzen dämpfen), deutliche Verbesserung des ökologischen Zustandes des Gewässers durch Verbesserung der Gewässerstruk- tur, Verringerung des Schadstoffeintrags, Beseitigung von Wanderhindernissen, Beschattung, Zulassen von Eigendynamik und Schaffung von Ersatzauen. Im Zuge der Maßnahmen werden Möglichkeiten zur Ver- besserung des Landschaftsbildes, des Erholungswertes des Grünzuges und der Reduzierung des Unterhaltungs- aufwandes berücksichtigt. Abschnittsweise oder ganz wurden bereits folgende Seelhorstbach | © LHH Gewässer naturnah umgestaltet: Ahlemer Maschgra- ben, Desbrocksriede, Fösse, Hirtenbach, Ihme, Laher 2.7 Naturnahe Entwick- Graben, Landwehrgraben, Roßbruchgraben, Oberer lung von Fließgewässern Schiffgraben, Stöckener Bach, Wettberger Bach, Wie- hegraben, Wietze, Büntegraben, Badegraben, Bass- In Hannover wurde Anfang der 1990er Jahre ein Konzept riede, Galgengraben, Mardalwiesenbach, Rohgraben, zur Wiederherstellung der Multifunktionalität der Fließ- Seelhorstbach, Graben Laher Heide. gewässer erarbeitet. Hierzu ließ die Stadtentwässerung Hannover – als unterhaltungspflichtiger Betrieb für etwa Insgesamt wurden über 20 km Gewässer ausgebaut 130 km Gewässer – eine ausführliche Bestandsaufnahme und viele Kilometer Gewässerrandstreifen erworben der aktuellen Gewässerzustände vornehmen, definierte und angelegt. anschließend anhand von Leitbildern Entwicklungsziele und leitete hieraus Einzelmaßnahmen ab. Im Zeitraum von 2014 bis 2018 sollen weitere Abschnit- te des Laher Grabens (700 m), der Wietze (1.300 m) Seit 1994 wird das daraus entwickelte Arbeitsprogramm und des Wiehegrabens (170 m) naturnah umgestaltet „naturnahe Gewässerentwicklung in Hannover“ umge- werden. setzt. Die Reihenfolge der Maßnahmen richtet sich nach der Bedeutung des einzelnen Gewässers im Fließgewäs- Schonende Gewässerunterhaltung sersystem, dem finanziellen Aufwand, der Verfügbarkeit In Zukunft wird die Pflege und Entwicklung im Rahmen von Grundstücken (Grunderwerb) und der Randstrei- der Gewässerunterhaltung einen Schwerpunkt erhalten. fennutzung. Das Arbeitsprogramm entspricht in vollem Zur Sicherung der Planungsziele werden, nach Beendi- Umfang den Zielen der Europäischen Wasserrahmen- gung von Umgestaltungsmaßnahmen auf der Grundlage richtlinie (WRRL) von 2000, die europaweit einen um- von Unterhaltungsrahmenplänen, konkrete Pflegekon- Roßbruchgraben westlich der Hollerithallee fassenden Gewässerschutz vorschreibt. zepte entwickelt und Maßnahmen festgelegt. Die Ent- in Marienwerder | © LHH wicklung der renaturierten Gewässer wird durch eine wiederholte Erfassung der Gewässerstrukturdaten kon- trolliert sowie Unterhaltungsmaßnahmen entsprechend angepasst. Ein bereits in Auftrag gegebenes Monitoring für renaturierte Fließgewässer liegt seit Ende 2014 vor und macht die weiteren Handlungsschwerpunkte deut- lich. Ein weiteres Ziel ist die Aufstellung von Unterhaltungs- plänen für alle Gewässer. Zur Schulung des Personals für neue Aufgaben der Ge- wässerunterhaltung erfolgt derzeit die Teilnahme an ei- nem praxisorientierten Projekt bei der Region Hannover. Neben der strukturellen Verbesserung wurde 2014 auch die Beschäftigung mit der stofflichen Belastung der Ge- wässer in den Fokus gerückt. Ein Konzept zur Verbesse- rung der Gewässergüte wird 2015 vorliegen.
13 Extensive Grünlandnutzung mit Mutterkühen bei Anderten | © LHH 2.8 Erhalt und Förderung von artenreichem Extensiv-Grünland Bis zu 40 verschiedene Gräser- und Kräuterarten bilden Problematische Kräuter die bunte Palette artenreicher Wiesen und Weiden. Sie In den letzten Jahren hat sich auf mageren und sandi- sind Lebensraum unzähliger Insekten und damit Nah- gen Standorten mit extensiver Bewirtschaftung das für rungsquelle und Kinderstube für Storch, Braunkehlchen Weidetiere giftige Jakobskreuzkraut ausgebreitet. Eine und Wachtelkönig sowie für Hase und Reh. Artenreiche heiße und trockene Witterung im April der letzten Jahre Wiesen zählen europaweit zu den am stärksten gefähr- (2009 bis 2014) hat die Vermehrung der Pflanze offen- deten Lebensräumen. In den letzten 25 Jahren sind sichtlich begünstigt. Die Stadt Hannover unterstützt die allein in Niedersachsen ein Drittel aller Grünlandflächen Landwirte bei der mechanischen Zurückdrängung des durch Nutzungsintensivierung und den Strukturwandel Jakobskreuzkrautes, um die Nutzbarkeit der Flächen und in der Landwirtschaft verschwunden. Auf den verblie- damit das wertvolle Grünland zu erhalten. benen Grünländern erfolgen immer mehr Neuansaaten mit wenigen Hochleistungsgräsern. Was ist weiterhin zu tun? Zum Erhalt und zur weiteren Erhöhung der Artenvielfalt Neue Grünlandflächen der Grünlandflächen sind ein Monitoring der Vegetati- Die Stadt Hannover trägt zum Erhalt vielfältiger Grün- onsentwicklung sowie der Dialog mit den Landwirten landflächen bei, indem sie durch Ankauf wertvolle dauerhaft erforderlich. Die Erfahrungen der letzten Flächen sichert oder neues Grünland auf ehemaligen Jahre haben gezeigt, dass im Einzelfall auch standar- Ackerflächen anlegt. Seit 1994 sind so über 190 Hekt- disierte Naturschutzauflagen in Frage zu stellen sind, ar Grünland neu entstanden, inzwischen hat die Stadt denn Ausmagern und später Schnitt auf den Flächen Hannover die Verantwortung für 390 Hektar Wiesen führen nicht immer zum gewünschten Erfolg. Daneben und Weiden. Die Flächen werden für eine extensive Nut- gilt es, Zielkonflikte zwischen Pflanzen- und Tierarten- zung an interessierte Landwirte oder private Pferde- und schutz zu lösen. Schafhalter verpachtet. Die Flächen dürfen in der Regel weder gedüngt noch gespritzt werden und die Nut- Auch in den nächsten Jahren wird weiteres Grünland zung erfolgt unter Berücksichtigung von Brutzeiten der neu entstehen, zum Beispiel in der Leineaue bei Mari- Wiesenvögel und Blühzeitpunkten. Eine im Jahre 2007 enwerder oder in Wülferode zwischen Gaim und Bock- durchgeführte Untersuchung der Flächen im Hinblick merholz. auf die Entwicklung des Artenreichtums liefert genauere Hinweise für angepasste Bewirtschaftungsmaßnahmen. 430 ha Grünlandpflege mit Schafen in der Stöckener 390 ha Leinemasch | © LHH 370 ha 200 ha 1994 2007 2013 Ausblick Gesamtfläche des städtischen Grünlands seit 1994
14 Vernässungsfläche in der Eilenriede | © LHH 2.9 Wälder und Aufforstungen Der Hannoversche Stadtwald verfügt über eine Fläche Das etwa 100 Hektar große eingezäunte Areal des Tier- von insgesamt rund 1.400 Hektar an verschiedenen gartens ist, neben seiner Bedeutung als gut besuch- Forstorten, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt ter Wildpark mit Dam-, Rot-, Schwarz- und Rehwild, sind. auch ein historischer Hutewald. Mit seinen alten und markanten Baumindividuen bildet er Nahrungs- und Le- Von größter Bedeutung ist die zentral gelegene Ei- bensgrundlage für zahlreiche seltene Tierarten (Großer lenriede, einer der markantesten und bekanntesten Abendsegler, Schwarzspecht, Hohltaube, Hirschkäfer, Stadtwälder Europas. Diese Waldfläche ist seit Jahr- Großer Eichenbock, Eremit) und beheimatet mit einer hunderten in städtischem Besitz und verfügt über 680-jährigen Eiche nahe am Haupteingang auch Hanno- wertvolle ursprüngliche Waldstandorte. Die in der vers ältesten Baum. Eilenriede heimischen natürlichen Buchen-, Eichen-, Hainbuchen- und Erlen-Eschenwaldgesellschaften Die Landeshauptstadt verfügt mit der südöstlich der bieten eine solide Grundlage für die Biodiversität. Der Eilenriede gelegenen Seelhorst über einen weiteren ur- Waldmeister-Buchenwald verschiedener Ausprägung sprünglichen Waldstandort von ausgeprägter Naturnä- stellt anteilmäßig den Schwerpunkt der potentiell na- he. Hier finden sich noch, ähnlich wie im Ricklinger Holz, Aufforstung am Kronsberg | © LHH türlichen Vegetation dar. vom Ulmensterben verschonte Feld- und Flatterulmen. Forstwirtschaft im Einklang mit Naturschutz und Naherholung Der hannoversche Stadtwald ist zweifach zertifiziert. Er besitzt nicht nur wie die meisten deutschen Wälder das PEFC-Siegel (Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes), sondern auch das ein- zige weltweit anerkannte Zertifikat des FSC (Forest Stewardship Council) mit der Zusatzqualifizierung nach Naturland, das noch strengere Kriterien an eine Zerti- fizierung enthält. Für die waldbauliche Praxis bedeutet dies, dass mehr als zehn Prozent der Waldfläche nicht forstlich genutzt werden, sondern sich selbst überlassen bleiben. Für alle übrigen Flächen gelten strenge Auflagen wie bei- spielsweise Kahlschlagverbot, Düngeverbot, Verbot des Einsatzes von Pestiziden und Verbot der Vollbaumernte. Um die natürlichen Nährstoffkreisläufe nicht völlig zu unterbinden, werden Äste und Zweige im Wald belassen.
15 Damwild im Tiergarten | © LHH Obwohl die Nutzfunktion in Hannovers Stadtwäldern voller Biotopbäume und alter Waldränder ist für 2015 nicht im Vordergrund steht und sie nicht selten zuguns- beauftragt. Sie bietet eine weitere Grundlage für die ten der Erholungs- und Schutzfunktionen zurücktreten naturnahe Waldbewirtschaftung. muss, werden jährlich circa 2.300 Festmeter Nutzholz eingeschlagen, von Brennholz über Industrie- und Zell- Neue Wälder für Hannover stoffholz bis zu wertvollem Stammholz. Im waldbau- Mit der über 60 Hektar großen Aufforstung des Kronsber- lichen Fokus steht die Sicherung der Hauptbaumart ges, die kontinuierlich weiterentwickelt wird, und weite- Stieleiche, die sich nicht natürlich verjüngt und der Un- ren Aufwaldungen, wie beispielsweise in der Leineaue bei terstützung des Forstpersonals durch künstliche Saat Marienwerder oder in Wettbergen und Misburg, erhöht oder Pflanzung bedarf. die Landeshauptstadt ihren Waldanteil stetig und leistet damit auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Neues Forstbetriebswerk 2012 – 2022 Das vom Rat der Stadt Hannover im Mai 2014 beschlos- sene Forstbetriebswerk sieht unter anderem für die nächsten Jahre bis 2022 folgende Veränderungen vor: Auf den 117 Hektar umfassenden Flächen der neu begründeten Betriebsklasse (BK) „Erholungswald“ wird die ordnungsgemäße Forstwirtschaft eingestellt. Diese Maßnahme führt zu einer Verringerung der jährlichen Holzeinschlagsmenge um mehr als 500 Festmeter. Die Betriebsklasse „Schutzwald“ wird in der südli- chen Eilenriede um zwölf Hektar (Abteilung 15) erwei- Überstaute Eilenriede bei Heiligers Brunnen | © LHH tert. Begleitend hierzu wird derzeit der Anteil an stehendem und liegendem Totholz anhand der Betriebsklasse „Er- holungswald“, „naturnah bewirtschafteter Erholungs- wald“ und „Schutzwald“ vergleichend ermittelt und im Hinblick auf seine Bedeutung für holzbewohnende Großinsekten ausgewertet. Für die Jahre 2014 und 2015 wird, in Zusammenarbeit mit dem NABU Hannover, eine Bestandserfassung der Brutvögel in den stadteigenen Wäldern durchgeführt. Eine Waldbiotopkartierung mit vegetationskundlichem Schwerpunkt sowie die Erfassung und Bewertung wert- Zertifizierte Holzwirtschaft | © LHH
16 in den letzten Jahrzehnten auch bei Naturschutzmaß- nahmen häufige Ausbringung nicht gebietsheimischer Herkünfte von Weißdorn. Wegen fehlender Kreuzungs- barrieren kommt es zu Hybridisierungen mit den hier heimischen Spezies und damit auch zum Verlust wich- tiger genetischer Eigenschaften. Anpassungen an die Umweltbedingungen des Gebietes gehen verloren und die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und un- günstige Umweltbedingungen ist oft herabgesetzt. Darüber hinaus führt die Verwendung nur sehr weniger Arten, Unterarten und Formen zu einer unnötigen gene- tischen Verarmung. Vergleichbar ist die Situation bei den diversen Wild-Rosenarten in und um Hannover. Zukünftig kann auch die Einkreuzung gentechnisch veränderter Ar- ten in heimische Arten ein Problem mit nicht einschätz- baren Folgen sein. Zum Beispiel könnten von Nutz- auf Wildpflanzen unbeabsichtigt übertragene insektizide Wirkungen ernsthafte Artenschutzprobleme für Wild- bienen, Schmetterlinge und andere Insekten auslösen. Selbstgezogenes Aussaatfläche für Weißdorn Zum Erhalt der genetischen Vielfalt heimischer Gehölz- (Crataegus spec.) | © LHH arten zieht die städtische Baumschule bereits seit 1996 2.10 Anzucht und gebietsheimisches Pflanzenmaterial an. Es sind rund Vermarktung von gebiets- 30 unterschiedliche Arten im Sortiment. Dabei werden von eindeutig identifizierten, alten Gehölzbeständen heimischen Gehölzen aus allen Landschaftsräumen im Stadtgebiet – aber mittlerweile auch vermehrt aus dem Umland der Re- Der Erhalt der genetischen innerartlichen Vielfalt der gion Hannover – Samen gewonnen und fachgerecht heimischen Arten ist ein wesentlicher Bestandteil der vermehrt. Es handelt sich um Sträucher wie Haselnuss, Rio-Konvention. Um evolutionäre Prozesse nicht zu un- Pfaffenhütchen, Schneeball oder Faulbaum und Bäume terbrechen und die genetische Breite und Variabilität wie Hainbuche, Eiche, Esche, Wildapfel und Wildbirne. der Arten nicht einzuschränken, muss diesem Thema wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Pflanzen werden vorrangig für die Anlage von He- cken, Feldgehölzen und Baumpflanzungen in den Land- So sind auch in Deutschland heimische Arten durch schaftsräumen verwendet. Der Absatz der Baumschule Einkreuzung gebietsfremder Arten wie zum Beispiel ist in den Jahren sehr schwankend. Mittlerweile findet bei der Schwarz-Pappel stark gefährdet. Die in 2006 auch ein Verkauf an öffentliche Projektträger in der Re- durchgeführten Untersuchungen zur „Erfassung und gion Hannover statt. Diese Zusammenarbeit soll ausge- Bewertung der relevanten Bestände aller Gehölzarten weitet werden, um die Absatzzahlen zu verstetigen und im Stadtgebiet Hannover in Hinblick auf ihre Eignung den prozentualen Anteil gebietsheimischer Gehölze an als Saatgutspender“ zeigen, dass als weiteres Beispiel den insgesamt angezogenen Bäumen und Sträuchern bei Weißdorn eine starke Hybridisierung eingesetzt hat. stark zu erhöhen. Auch hat es aktuell Untersuchungen Soweit die Elternarten gebietsheimisch sind, was bei der Region Hannover zu gebietsheimischen Gehölzen im Pflanzungen von vor mehr als 70 Jahren anzunehmen Umland der Stadt gegeben, die die Anzahl der geeigne- ist, sind die Gefahren für die genetische Vielfalt als nicht ten „Saatgutspender“ erhöht hat. Diese Untersuchun- so groß einzuschätzen. Problematisch ist allerdings die gen sollen fortgesetzt werden. Faulbaum (Rhamnus frangula) | © LHH Großfrüchtiger Weißdorn (Crataegus x macrocarpa) | © LHH
17 2.11 Entwicklung der Fauna-Flo- ra-Habitat-Gebiete (FFH) „Natura 2000“ steht für ein europäisches Netz aus zusammenhängenden Schutzgebieten, welches zum Schutz der einheimischen Natur in Europa aufgebaut werden soll. Welche Gebiete für dieses Netz geeignet Bewaldeter Südhang in der Mergelgrube HPC I in Misburg | © LHH sind, bestimmen zwei gesetzliche Richtlinien: Die Fau- na-Flora-Habitat-Richtlinie (vom 21. Mai 1992, 92/43/ EWG) und die Vogelschutzrichtlinie (vom 2. April 1979, 79/409/EWG). In diesen Richtlinien werden besonders aufsteigende Grundwasser aus der bis zu 40 Meter tiefen schützenswerte Arten und Lebensraumtypen genannt, Grube nach oben fördert und damit das Fluten verhin- für die ein Schutzgebietsnetz aufgebaut werden soll. dert, können die auf der Grubensohle entstandenen, früher für den „Seckbruch” typischen Kalkniedermoore In Deutschland stellen die Bundesländer Listen von und Gewässer mit ihrem charakteristischen Arteninven- Schutzgebieten – die FFH-Gebiete – zusammen. Sie sind tar erhalten werden. also Flächen, die für das Schutzgebietssystem „Natura 2000“ ausgewählt wurden. Vier der vom Land Nieder- Mit der Gründung der GENAMO (Gesellschaft zur Ent- sachsen gemeldeten FFH-Gebiete liegen in Hannover: wicklung eines Naherholungsgebietes in Misburg-Ost die ehemalige Mergelgrube HPC I (FFH 345) liegt voll- mbH) zwischen der Stadt Hannover und der Teutonia ständig im Stadtgebiet, die Gaim und das Bockmerholz AG wurde die Grundlage geschaffen, Naherholung, Na- (FFH 108), die Leineaue bei Marienwerder (FFH 90) und turschutz und wirtschaftliche Interessen für die Zukunft das Altwarmbüchener Moor (FFH 328) liegen teils auf der Mergelgruben zu verbinden. Die Planungen für die städtischen, teils auf Flächen im Umland. HPC I sehen in diesem Rahmen vor, die Grube in ihrer jetzigen Ausdehnung zu erhalten und die Bedeutung für Obwohl die Region Hannover als Untere Naturschutzbe- die Biodiversität weiter zu erhöhen. hörde für die Unterschutzstellung und den Erhaltungs- zustand der FFH-Gebiete zuständig ist, fühlt sich auch Zur Dokumentation der Naturschutzwerte wurden in den die Landeshauptstadt für einen guten Zustand dieser für Gruben umfangreiche Bestandsaufnahmen durchgeführt. die Europäische Union bedeutsamen Flächen im Rah- So konnten 177 verschiedene Pflanzenarten kartiert wer- men des Programms „Mehr Natur in der Stadt“ verant- den, von denen 45 nach der Roten Liste gefährdet sind, wortlich. Im Folgenden werden die einzelnen Gebiete unter anderem auch mehrere Orchideenarten. Zwei Arm- beschrieben. leuchteralgenarten, die in Niedersachsen seit 1897 als verschollen galten, konnten erstmals wieder nachgewie- FFH-Gebiet 345 – Mergelgrube HPC I sen werden. Bei den Amphibien ist das Vorkommen des Vor über 60 Millionen Jahren bildeten sich aus den Ab- Kammmolches, bei Vögeln sind Gewässer- und Röhricht- lagerungen von Meeresbewohnern, die zur Kreidezeit bewohner von besonderer Bedeutung. So beherbergt die den heutigen „Seckbruch“ als Teil des Kreidemeeres HPC I eine Reihe von Tieren und Pflanzen, die vor hundert bewohnten, ausgedehnte Kalkmergelvorkommen, die Jahren noch im gesamten Bereich des Seckbruchs anzu- Ende des 19. Jahrhunderts schließlich als begehrter treffen waren. Für Besucherinnen und Besucher öffnet Rohstoff für die Zementherstellung entdeckt wurden. sich damit ein Fenster in die Vergangenheit. Da mit größe- rer Abbautiefe auch der Salzgehalt zunimmt, sind zudem Kalksümpfe in der Mergelgrube HPC I | © LHH Heute wird der Landschaftsraum „Seckbruch“ von den Siedlungsgebieten in Anderten-Misburg und den Au- tobahnen A2 und A7 begrenzt. Vor Beginn der maschi- nellen Landbewirtschaftung zeichnete sich das Gebiet durch staunasse Böden mit besonders artenreichen Wiesen und Weiden aus. Diese heute landesweit vom Aussterben bedrohten Biotope wurden zum größten Teil durch Entwässerung, Grünlandumbruch und durch den Abbau des Mergels zerstört. Doch es entstanden auch neue Lebensräume, denn dorthin konnten viele der sel- tenen Pflanzen- und Tierarten ausweichen und einen neuen Lebensraum finden. Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll bei der Han- noverschen Portland Cement I (HPC I), eine über 110 Jahre alte Grube, bei der vor rund 50 Jahren der Mergel- abbau eingestellt wurde. Da eine Pumpe weiterhin das
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