MEHR ZU FUSS UND AUF DEM FAHRRAD? - Ministerium für Verkehr ...
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ERGEBNISSE AUS BEOBACHTUNGEN PER REPRÄSENTATIVER BEFRAGUNG UND ERGÄNZENDEM MOBILITÄTSTRACKING IN BADEN-WÜRTTEMBERG BIS ENDE JUNI AUSGABE 13.08.2020 01 MEHR ZU FUSS UND AUF DEM FAHRRAD? Wie sich die Mobilität während der Corona-Pandemie ändert In Kooperation mit Bundesweites Projekt gefördert durch WZB
2 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Projekt: 7359 Bonn, August 2020 Version 1.2 Text: Marc Schelewsky Layout und Grafik: Astrid Blome, Birgit Geisler und Sigrid Phiesel Folgende Zitierweisen werden empfohlen: Langform: Schelewsky, Marc (2020): Mobilitätsreport Baden-Württemberg 01, Mehr zu Fuß und auf dem Fahrrad? Wie sich die Mobilität während der Corona-Pandemie ändert Ausgabe 13.08.2020, Bonn Kurzform: infas, WZB (2020): Mobilitätsreport Baden-Württemberg 01, Bonn
3 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 ERGEBNISTELEGRAMM Zwischen Mitte Mai und Mitte Juni Dies führt zu unterschiedlichen wurden in Baden-Württemberg 1.218 Personen Mobilitätskennziffern. Personen aus Haushalten im Alter ab 16 Jahren zu ihrer Alltagsmobilität mit niedrigem Status haben ihre Mobilität befragt. deutlicher eingeschränkt als die Personen aus höheren Statusgruppen. Die Ergebnisse zeigen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Erholung der Veränderte Zeitbudgets werden im Lockdown sehr eingeschränkten Alltags- unterschiedlich verwendet. Die Personen im mobilität eingesetzt hat. Die Normalität kehrt Homeoffice verlagern ihre Mobilität in hohem schrittweise zurück. Aber noch sind Verlage- Maß auf Freizeit- und Einkaufswege. Die rungen der Verkehrsmittelwahl weg von den Menschen in Kurzarbeit sind weniger mobil. öffentlichen Verkehrsmitteln in Richtung Auto und Fahrrad zu beobachten. Insgesamt hat sich das Verkehrs- aufkommen im Mai / Juni 2020 gegenüber Hinzu kommt eine veränderte der Referenz aus den Vorjahren verringert. Das Nahmobilität, die zumindest vorübergehend gilt auch für die Verkehrsleistung, die auf einem das Zufußgehen fördert. Niveau von über 80 Prozent im Vergleich zu den Werten der MiD liegt. Fahrrad und Fußwege konnten in der Verkehrsleistung gegenüber der Diese Auswirkungen der Corona- MiD sogar zulegen. Pandemie auf das Verkehrsverhalten unter- scheiden sich jedoch zwischen Stadt- und ländlichen Regionen, zwischen dem Starke Einbußen zeigen sich im ÖV, ökonomischen Haushaltsstatus und der der nur 60 Prozent der gewöhnlichen Verkehrs- beruflichen Situation. leistung erbringt. Der MIV hingegen scheint sich dagegen schneller zu normalisieren. Dies gilt vor allem für Touren ohne Mitfahrer. Das Pkw-Niveau Auf dem Land sind die Auswirkungen der Selbstfahrer hatte zum Befragungszeitpunkt der Situation am Arbeitsplatz wie Kurzarbeit bereits fast das Ausgangsniveau der MiD deutlich ausgeprägter. Nur die Möglichkeit von erreicht. zu Hause aus zu arbeiten ist in Stadtregionen eher gegeben. Und die Perspektive? Wir gehen davon aus, dass sich das Hoch im Fuß- und Radver- Unterschiede ergeben sich auch je kehr bei veränderten Zeitbudgets und volleren nach ökonomischem Haushaltsstatus. Ist der Straßen wieder reduzieren wird. Der öffentliche Haushaltsstatus hoch, kann vermehrt von zu Verkehr wird sich langsam erholen. Ohne eigene Hause aus gearbeitet werden. Ist der Status Initiativen wird er jedoch Anteile an das Auto niedrig, kann ein größerer Anteil an Kurzarbeit abgeben. Hier ist also vielfältiges Handeln gefor- beobachtet werden. dert, gerade mit Blick auf die in Baden-Württem- berg mittelfristig geplante Verdoppelung.
4 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 HINTERGRUND UND EINORDNUNG DER in Stuttgart und für einige Stunden im Rahmen STUDIE von Aktionstagen in Großstädten wie Mann- heim, Freiburg oder Karlsruhe. Darüber hinaus „Berlin schwingt sich in den Sattel“ heißt es im Ta- ist vieles dörflich, peripher und weit verteilt und gesspiegel vom 07. Juli 2020. Um 25 Prozent sei der einer alltäglichen Nutzung des Fahrrads nicht ge- Fahrradverkehr im Juni gegenüber dem Vorjahres- rade förderlich. Zudem ist mit Schwarzwald und monat gestiegen. An den 16 Berliner Zählstellen Schwäbischer Alb auch eine aus Fahrradfahrer- für Radverkehr seien mehr als 2,3 Mio. Fahrrad- sicht anspruchsvolle Topografie gegeben, die ihr fahrer registriert worden. In der anschließenden Übriges tut. Diskussion werden unterschiedliche Interpretati- onen angeboten. Während die einen im Fuß- und Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind Radverkehr die neue Mobilität in den Metropolen auch dort zu verzeichnen, aber eher jenseits des und Großstädten sehen und auch einen Hoff- Fahrradverkehrs. Angst vor einer Infektion, Men- nungsschimmer, die Verkehrswende doch noch schen in Kurzarbeit oder Homeoffice und weiter- zu erreichen, bezeichnen andere Kommentatoren hin viele geschlossene Kultur- und Freizeiteinrich- die Zahlen zum Radverkehr als Nutzungshype, der tungen erzeugen ein geändertes, der besonderen leider nicht das Resultat von Vernunft sei, sondern Situation angepasstes Mobilitätsverhalten. Das von Ansteckungsangst, Kurzarbeit oder fehlenden Projekt MOBICOR untersucht deutschlandweit Freizeitalternativen. und in regionalen Vertiefungsstudien für Baden- Württemberg, Hessen und Bayern, welche Ein- Baden-Württemberg liegt am anderen Ende der flüsse die Corona-Pandemie auf Arbeit, Freizeit Republik und ist weit entfernt von der Spree-Me- und Konsum ausübt und in welchen Wechselbe- tropole. Popup Bike Lanes findet man allenfalls ziehungen solche Veränderungen mit dem Mo- 83% der Befragten geben an, das allgemeine Befinden sei gut oder sogar sehr gut.
5 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 bilitätsverhalten stehen. Um Veränderungen als 40 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Es stehen so- Prozess verstehen zu können, ist die Studie als mit Zeitbudgets zur Verfügung, die entweder für Panel angelegt und erhebt entlang von drei Erhe- andere Wege aufgebracht werden können oder sie bungswellen Daten zum Alltag und zum Verkehr. werden komplett anderen Tätigkeiten gewidmet. Sie wird auf dieser Grundlage im Herbst 2020 und Im ersten Fall ließe sich eine Verschiebung der Frühjahr 2021 erneut berichten, dann auch mit Anteile der Wegezwecke beobachten, im zweiten weiteren inhaltlichen und regionalen Vertiefun- Fall würde die Unterwegszeit sinken. Doch diese gen sowie Referenzwerten aus der parallel laufen- Zeitbudgets sind nicht gleichmäßig verteilt, dar- den bundesweiten Erhebung. auf wird zunächst der Blick gerichtet. Der vorliegende Bericht basiert auf den Daten Die folgende Abbildung zeigt die Veränderungen der ersten Erhebungswelle, die von Mitte Mai bei der Berufsausübung, die in Folge des Lock- bis Mitte Juni 2020 über computergestützte Te- downs stattgefunden haben. Dabei wird anhand lefoninterviews (CATI) mit 1.218 Befragungsteil- einer Regionstypisierung des BMVI angepasst an nehmern durchgeführt wurden. Dabei wurden die verfügbare Stichprobengröße zwischen städ- 2.596 Wege erfasst, die als Grundlage für die tischen und ländlichen Regionen unterschieden. Analyse des Verkehrsverhaltens genutzt werden. Aufgeführt sind neben Kurzarbeit und Homeof- Das Erhebungskonzept orientiert sich dabei am fice auch andere Auswirkungen der Corona-Krise MiD-Design, um eine direkte Vergleichbarkeit der auf die Arbeitssituation. Dazu gehört der Abbau Daten zu gewährleisten. Die Untersuchung ist von Überstunden, vorgezogener Urlaub, Sonder- Teil des MOBICOR-Projekts, das bundesweit von urlaub mit Gehaltsfortzahlung oder unbezahlte infas gemeinsam mit den Partnern vom Wissen- Freistellung. Weniger als die Hälfte der Befragten schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), hat bislang ohne solche Veränderungen weiterar- Motiontag, NutsOne und dem Nexus Institut im beiten können. Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt wird. Die ergän- zenden regionalen Erhebungen werden von den jeweiligen Bundesländern finanziert. Änderung der Arbeitssituation im Mai/Juni 2020 Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich ZEITBUDGETS UND VERÄNDERTE ARBEITS- 49 SITUATION 41 Ein Arbeitsweg dauert durchschnittlich rund 30 32 Minuten, für Hin- und Rückweg wird so eine ganze 23 Stunde aufgewendet. Diese Zeit steht den Men- 21 19 21 21 schen im Homeoffice als zusätzliches Zeitbudget 15 zur Verfügung, wenn sie nicht ins Büro fahren, 10 3 4 sondern sich nur an den heimischen Schreibtisch, unverändert Homeoffice Abbau Überstunden Kurzarbeit Urlaub vorgezogen anderes manchmal auch an den Küchentisch, setzen müs- sen. Den Berufstätigen in Kurzarbeit steht ebenso per Definition ein größeres Zeitbudget zur Ver- fügung. Bei der „Kurzarbeit null“ beträgt „der Ar- beitsausfall 100 Prozent“. Damit entfallen neben Wohnort: Stadtregion ländliche Region der Pendelzeit zur und von der Arbeit auch bis zu Befragte, die zurzeit berufstätig sind; n = 768, MOBICOR in Baden-Württemberg, Welle 1 im Mai/Juni 2020 mit 1.218 Personen
6 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Es lassen sich dabei deutliche Unterschiede zwi- unterschiedlich ausgeprägt, die zuvor großen Un- schen städtischen und ländlichen Regionen terschiede zwischen Stadt und Land gleichen sich ausmachen. Viele mit Einbußen verbundene an. Während die Stadtbewohner nach der MiD Maßnahmen finden sich auf dem Land stärker täglich fast 12 Minuten länger unterwegs waren, ausgeprägt als in den Stadtregionen. Die Mög- hat sich dieser Unterschied auf knapp sechs Mi- lichkeit zum Homeoffice ist unter den Befragten nuten halbiert. In den Stadtregionen äußern sich der Stadtregionen weitaus häufiger gegeben. Fast die Auswirkungen der veränderten Arbeitssitua- jeder Dritte Befragte gibt dort an, ganz oder teil- tionen auf die Unterwegszeit deutlicher, obwohl weise von zu Hause aus zu arbeiten. In ländlichen viele der beschriebenen Maßnahmen in den länd- RegionenRegionalstatistischer ist es nur jeder Fünfte. Regionstyp (RegioStar 2) lichen Regionen in stärkerem Ausmaß angewen- für die Mobilitäts- und Verkehrsforschung det werden. Daraus ergeben sich verschiedene Effekte. DK Insge- samt hat sich die Unterwegszeit reduziert, was dafür sprechen würde, dass die hinzu gewon- Kiel nen Zeitbudgets für andere Tätigkeiten genutzt Rostock werden und man nicht mobil ist. Während aus der MiD 2017 für die Vergleichsmonate Mai und Hamburg Schwerin Juni in Baden-Württemberg eine mittlere Unter- wegszeit von 87 Minuten hervorgeht,Bremen beträgt die ermittelte Unterwegszeit für Mai und Juni 2020 PL der MOBICOR-Untersuchung nur 76 Minuten. Das Berlin sind etwa 13 Prozent NL weniger als zuvor. DieHannover Aus- Potsdam Magdeburg wirkungen zwischen Stadt und Land sind dabei Bielefeld Cottbus Essen Dortmund Halle/S. Regionalstatistischer Regionstyp (RegioStar 2) Düsseldorf fürKassel die Mobilitäts- und Verkehrsforschung Leipzig Erfurt Durchschnittliche Unterwegszeit Köln in Baden-Württemberg im Zeitraum Mai/Juni 2020 Chemnitz Dresden Angaben in Minuten Bonn BE MOBICOR MiD 2017 Regionalstatistischer Regionstyp (RegioStarMannheim 2) für die Mobilitäts- Wiesbaden Frankfurt/M. und Verkehrsforschung CZ 78,2 91,8 Stadtregion Mainz LU 72,4 80,0 ländliche Region FR Stuttgart Nürnberg 120 Mannheim Mannheim 100 km Saarbrücken Ulm 100 -13,6 Stadtregionen FR Stuttgart -7,6 Differenz FR Stuttgart Stadtregionengrenze 80 Freiburg i.Br. Ulm 100 km 60 Ulm Ländliche Regionen München CH AT Freiburg i.Br. Stadtregionen 40 Stadtregionengrenze CH Freiburg i.Br. 20 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung 100 km Geometrische Grundlage: Einheitsgemei Ländliche Regionen © BBSR Bonn 2018 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG 0 Ländliche Regionen CH Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Bearbeitung: BBSR, A. Milbert; Grundkon Stadtregionen Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden und Gemeindeverbände (generalisiert), 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG Stadtregionengrenze MOBICOR in Baden-Württemberg, Welle 1 im Mai/Juni 2020 mit 1.218 Personen Bearbeitung: BBSR, A. Milbert; Grundkonzeption: BMVI © BBSR Bonn 2018 © BBS Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden und Gemeindeve 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG Bearbeitung: BBSR, A. Milbert; Grundkonzeption: BMVI
7 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 KURZARBEIT, HOMEOFFICE UND WEITER WIE Weitere Unterschiede zeichnen sich entlang der BISHER Statusgruppen ab. Insbesondere die Kurzarbeit fällt dabei in den Blick, die bei den Befragten Der Arbeit im Homeoffice kann damit ein großer mit niedrigem ökonomischen Haushaltsstatus Einfluss auf Änderungen in den Mobilitätskenn- deutlich ausgeprägter ist als bei den Vergleichs- ziffern zugeschrieben werden. Der Abbildung auf gruppen. Fast die Hälfte dieser Befragten gibt an, Seite 5 kann entnommen werden, dass in Stadt- derzeit in Kurzarbeit beschäftigt zu sein. Bei den regionen 32 Prozent der Befragten im Homeoffice Befragten mit mittlerem oder hohem ökonomi- arbeiten. Das sind elf Prozentpunkte mehr als in schen Haushaltsstatus sinkt der Anteil um mehr den ländlichen Regionen. Zudem scheint die Ar- als die Hälfte auf 13 bzw. 18 Prozent. Dass der An- beit von zu Hause aus ein Privileg der Berufstäti- teil der Befragten, die derzeit unverändert, wie vor gen mit höherem ökonomischen Haushaltsstatus der Corona-Pandemie, arbeiten über alle Grup- zu sein. 39 Prozent von ihnen geben an, ganz oder pen hinweg recht hoch ist und zwischen 37 und teilweise von zu Hause aus arbeiten zu können 47 Prozent liegt, erscheint etwas überraschend. oder zu dürfen. Ist der ökonomische Haushalts- Allerdings haben 18 Prozent der Personen im status eher niedrig, sinkt der Anteil auf 9 Pro- Homeoffice und 14 Prozent der Befragten in Kurz- zent. Viele Tätigkeiten, die mit einem niedrigen arbeit angeben, bereits vor der Corona-Pandemie ökonomischen Haushaltsstatus verbunden sind, von zu Hause aus bzw. in Kurzarbeit gearbeitet zu gehören zum Dienstleistungssektor oder zum haben. Es hat sich für sie an der Arbeitssituation Gesundheitswesen und können nicht ins Home- kaum etwas verändert. office verlegt werden, zu denken ist an Alten- oder Krankenpflege, Arbeit im Einzelhandel oder für Möglicherweise überraschend sind die Ergeb- Verkehrsunternehmen. nisse im Hinblick auf die tägliche Unterwegszeit der Statusgruppen. Trotz des höheren Anteils an Homeoffice und dem Wegfall der Arbeitswege, hat sich die tägliche Unterwegszeit in den höhe- ren Statusgruppen mit vier Prozent Rückgang auf Veränderungen der Arbeitssituation nach ökonomischen gut 90 Minuten nur wenig verändert. Die Rück- Haushaltsstatus Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich gänge sind insbesondere bei der unteren Status- gruppe deutlich ausgeprägter. Hier hat sich die 47 tägliche Unterwegszeit um fast 25 Prozent redu- 44 45 ziert und beträgt nur noch rund 60 Minuten pro 39 37 Tag. Dabei werden auch deutlich weniger Wege und Entfernungen zurückgelegt. Mit 26 Kilome- 27 tern pro Tag bei 1,9 Wegen sind das jeweils etwa 30 Prozent weniger als im Vergleich zu den MiD- 18 Werten. Die Anzahl der Wege pro Tag ging zwar 13 auch bei der oberen Statusgruppe zu einem ähnli- 9 chen Anteil zurück, die Kilometerleistung hat sich dabei jedoch nur um etwas mehr als zehn Prozent niedrig mittel hoch ökonomischer Haushaltsstatus auf 46 Kilometern pro Tag reduziert. weiter wie bisher Homeoffice Kurzarbeit Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Auswir- kungen durch die Corona-Pandemie und dem MOBICOR in Baden-Württemberg, Welle 1 im Mai/Juni 2020 mit 1.218 Personen
8 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Lockdown im Hinblick auf den ökonomischen WARUM GEHEN DIE MENSCHEN VOR DIE TÜR? Haushaltsstatus sehr unterschiedlich ausfallen. EIN BLICK AUF DIE WEGEZWECKE Insbesondere die Befragten mit niedrigem ökono- mischen Haushaltsstatus erfahren große Verän- Haben sich dabei auch die Ziele und Zwecke ver- derungen in ihrer Arbeitssituation. Sie sind öfters ändert, warum die Menschen unterwegs sind? von Kurzarbeit betroffen, wodurch sich ihre Mo- Vergleicht man die Anteile der Wegezwecke mit bilität gegenüber den ökonomisch gesehen höhe- der MiD 2017, dann lassen sich zunächst nur ren Statusgruppen reduziert. leichte Verschiebungen erkennen. Der Rückgang bei den Wegezwecken „Ausbildung“ und der „Be- gleitung von Personen“ ist deutlich und auf die geschlossenen Einrichtungen für Ausbildung, Schule und Betreuung von Vorschulkindern zu- rückzuführen. Der nahezu unveränderte Anteil an Arbeitswegen ist vor dem Hintergrund von Home- office und Kurzarbeit etwas überraschend, erklärt sich aber aus dem Rückgang der Verkehrsleistung um knapp 17 Prozent auf insgesamt 348 Mio. Per- sonenkilometer pro Tag. Darauf wird später noch einmal genauer eingegangen. Mobilitätskennziffern im Mai/Juni 2020 und Veränderungen gegenüber den MiD-Ausgangswerten von Mai/Juni 2017 Rückgang in Prozent gegenüber dem MiD-Ausgangswert für Mai/Juni ökonomischer Status gesamt niedrig mittel hoch 82 % 77 % 81 % 87 % Unterwegsquote 2,4 1,9 2,7 2,5 Wege pro Tag 36 26 36 46 Kilometer pro Tag 76 61 75 92 Unterwegszeiten proTag 0 -5 -10 -15 -20 -25 -30 -35 MOBICOR in Baden-Württemberg, Welle 1 im Mai/Juni 2020 mit 1.218 Personen und Ausschnitt aus der regionalen MiD für Personen ab 16 Jahren im Mai/Juni
9 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 19% der Befragten im Mai/Juni geben an, auf das Fahrrad auszuweichen, anstatt Bus und Bahn zu nutzen.
10 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Nimmt man auch hier den ökonomischen Haus- Einkaufsweg – ein im Vergleich zu den Werten haltsstatus mit in den Blick, so zeigen sich zum der MiD zu zehn Prozent höherer Wert. Der Anteil einen die geringeren Möglichkeiten zum Home- an Arbeitswegen liegt mit zehn Prozent hingegen office für bestimmte Berufsgruppen, wie zuvor weit unter dem Wert der MiD. Die hinzugewon- erwähnt. Der Anteil an Arbeits- und dienstlichen nenen Zeitbudgets der Berufstätigen im Home- Wegen ist bei den niedrigen Einkommensgrup- office, so die bisherigen Ergebnisse, werden zu pen mit 34 Prozent deutlich ausgeprägter als bei großen Teilen für Freizeitzwecke und für Einkaufs- der hohen Statusgruppe mit 24 Prozent. Umge- wege verwendet. kehrt besitzen Wege für private Erledigungen und Freizeitwege mit 37 Prozent bei ihnen einen deut- Für die Befragten in Kurzarbeit oder die unverän- lichen geringeren Anteil. Dieser liegt bei Personen dert ihrer Arbeit nachgehen, steigt der Anteil von mit hohem ökonomischen Haushaltsstatus bei Arbeits- und dienstlichen Wegen gegenüber der 50 Prozent. MiD sogar um 10 bzw. 15 Prozent an. Das liegt nicht an einem Anstieg der Anzahl der Arbeits- Deutlich hervor treten die Unterschiede, wenn wege, sondern resultiert als Effekt erstens aus die Anteile der Wegezwecke nach der Art der Be- der geringeren Anzahl an Wegen insgesamt und rufsausübung betrachtet werden. Hier werden zweitens, aus der geringeren Anzahl an Freizeit-, die unterschiedlichen Zeitbudgets deutlich, die Ausbildungs- und Begleitwegen der Befragten in den Personen im Homeoffice zur Verfügung ste- Kurzarbeit. hen. Mit 38 Prozent dienen vier von zehn Wegen Freizeitzwecken. Zudem ist jeder vierte Weg ein Wegezwecke nach ökonomischem Haushaltsstatus Verkehrsaufkommen in Baden-Württemberg pro Tag im Mai/Juni absolut für Personen ab 16 Jahren Angaben in Prozent Angaben in Millionen Wegen Haushaltsstatus Haushaltsstatus niedrig hoch Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung Erledigung Freizeit Begleitung MOBICOR MiD MOBICOR in Baden-Württemberg, Welle 1 im Mai/Juni 2020 mit 1.218 Personen und Ausschnitt aus der regionalen MiD für Personen ab 16 Jahren im Mai/Juni
11 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 WIE SIND WIR UNTERWEGS? Für die Autonutzung (Fahrer und Mit-Fahrer) er- EIN VERKEHRSMITTELVERGLEICH gibt sich daraus ein Rückgang um 44 Mio. Kilo- meter pro Tag. Doch während sich der Anteil der Bereits genannt wurde, dass die Verkehrsleistung Selbst-Fahrer inzwischen nahezu auf dem Niveau in den Monaten Mai und Juni stark abgenommen der MiD-Werte bewegt, ist bei den Mit-Fahrern hat. Sie umfasste rund 80 Prozent des Niveaus der ein Rückgang von etwa 42 Prozent zu verzeichnen. Vergleichsmonate Mai und Juni nach MiD. Dabei Als sicheres Verkehrsmittel wird das Auto häufig ist der Rückgang nicht gleichmäßig verteilt, die anstelle des ÖV genutzt und dabei öfter als zuvor muskelbetriebenen Fortbewegungsarten des Ge- ohne Mit-Fahrer. Bei 60 Prozent aller Autofahrten hens und Fahrradfahrens konnten sogar zulegen. befindet sich der Fahrer alleine im Auto, auf wei- Insgesamt werden pro Tag 19 Mio. Kilometer zu teren 30 Prozent der Fahrten eine zweite Person. Fuß bestritten, ein Anstieg um 73 Prozent im Ver- Die restlichen zehn Prozent entfallen auf Fahrten gleich zur MiD. Dadurch hat sich der Anteil am mit drei oder mehr Personen. In der MiD lag der Modal Split nach Verkehrsleistung verdoppelt. Er Anteil der Alleine-Fahrer noch bei 55 Prozent und beträgt nun knapp sechs Prozent. Auch das Fahr- bei 24 Prozent der Fahrten mit zwei Personen im rad hat hinzugewonnen, zwar nicht im gleichen Fahrzeug. Bei 21 Prozent aller Autofahrten waren Umfang wie die Fußwege, dennoch bedeuten mindestens drei Personen im Fahrzeug. Diese Ver- die 20 Mio. Fahrradkilometer, die jeden Tag zu- änderungen im Besetzungsgrad erklären sich zum rückgelegt werden, einen Anstieg um 33 Prozent Teil aus der geänderten Verkehrsmittelnutzung gegenüber den Werten der MiD. Zusammen mit den Fußwegen beträgt der Anteil am Modal Split (nach Verkehrsleistung) nun mehr als elf Prozent. Die motorbetriebenen Verkehrsmittel verzeich- Verkehrsleistung pro Tag in Baden-Württemberg im Mai/ nen dagegen einen Rückgang in der Verkehrsleis- Juni absolut für Personen ab 16 Jahren tung. Die Gründe wurden zuvor bereits erläutert: Angaben in Millionen Personenkilometern Homeoffice ersetzt die Wege zum Arbeitsplatz, Kurzarbeit ebenso. Ebenso entfallen die Anläs- se dienstlicher Wege. Der Kontakt zu Kunden, Partnern erfolgt über Online-Meetings; Messen, Konferenzen oder anderen Veranstaltungen wur- den ebenfalls ins Netz verlegt. Die Besorgungen für den täglichen Bedarf (Einkauf, Erledigungen) werden verstärkt im Umfeld zum Wohnort getä- tigt und dabei möglichst mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Deren Anteil an Einkaufs- und Erledigungs- wegen steigt auf 36 Prozent. Zudem resultiert aus den Veränderungen am Arbeitsplatz auch ein grö- ßeres Zeitbudget, das für Freizeitzwecke aufge- wendet werden kann. 55 Prozent der Freizeitwege zu Fuß Fahrrad MIV-Mit- MIV- ÖV fahrer Fahrer werden zu Fuß oder mit dem Fahrrad absolviert. MOBICOR MiD Datenbasis: MOBICOR Baden-Württemberg und Ausschnitt aus der regionalen MiD für Personen ab 16 Jahren im Mai/Juni stichprobenbedingt größere Fehlerspielräume in MOBICOR (+/- 15 %)
12 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 aufgrund eines erhöhten Sicherheitsbedürfnis- AUSBLICK ses. 34 Prozent der Befragten geben an, das Auto als Alternative zum ÖV zu nutzen, nur 19 Prozent Die möglicherweise drohende Abwärtsspirale auf der Befragten steigen um auf das Fahrrad. der Nachfrageseite des öffentlichen Verkehrs ist offensichtlich. Diese Entwicklung ist nicht ausge- Die veränderte Verkehrsmittelnutzung – Auto macht und das MOBICOR-Projekt wird sie in kur- oder Fahrrad statt ÖV – lässt die Verkehrsleistung zen Abständen weiter beobachten. Doch einige im öffentlichen Verkehr zumindest vorüberge- der aktuellen Ergebnisse legen diese Gefahr nahe. hend um fast die Hälfte einbrechen. Ändert sich Daher sollen mögliche Auswirkungen hier in Form dies nicht und wird mit mehr ÖV-Qualität nicht eines ersten Szenarios dargelegt werden: gegengesteuert, kann dies zu einer Abwärtsspi- rale führen, bei der der öffentliche Verkehr auch 1 Von Mitte März bis Anfang Mai haben alle mittel- bis langfristig die Folgen der Corona-Pan- Verkehrsmittel extreme Einbußen erlitten, die Ta- demie nicht überwinden wird. Gründe dafür kön- geskilometerleistung pro Person lag teilweise nur nen zum einen in der Ausbildung neuer Routinen noch auf einem Drittel des gewöhnlichen Niveaus der Verkehrsmittelnutzung gesehen werden und (vgl. Abbildung auf Seite 13). Ab Mitte Mai, mit zum anderen in einer vielleicht ausbleibenden dem Beginn der Lockerungsmaßnahmen, stieg Anpassung der ÖV-Angebote auf neue Bedürfnis- die Verkehrsleistung pro Verkehrsmittel und Per- se, wie Komfort, Platz und Hygienestandards. son langsam wieder an, jedoch nicht überall im gleichen Umfang. Der ÖV wurde aufgrund eines möglicherweise erhöhten Infektionsrisikos wei- terhin von vielen vormaligen Fahrgästen gemie- den. 24% Jeder vierte Befragte hat häufiger als zuvor die Möglichkeit des Online-Shoppings genutzt.
13 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 2 In einer solchen Situation sollten die öffent- Besucher sicherlich höher als die Verluste im Abo- lichen Verkehrsunternehmen reagieren und in Tarif. Doch viele ÖV-Unternehmen befanden sich ihre eigene Zukunft investieren. Zu denken ist an bereits vor der Krise in einer finanziell angespann- Maßnahmen, die das Sicherheitsempfinden er- te Situation. Unter anderem aufgrund demografi- höhen und auch Angebotsausweitungen, um die scher Entwicklungen wie sinkender Schülerzahlen Auslastung gering zu halten und mehr Abstand und langsam auslaufender Finanzmittel, die von zwischen den Fahrgästen zu ermöglichen, um der öffentlichen Hand bereitgestellt wurden. Die dadurch an Attraktivität zurückzugewinnen. Aus- im Konjunkturpaket beschlossenen Einmalzah- lastungsobergrenzen von 50 Prozent für Regional- lungen von 2,5 Mrd. Euro zur wirtschaftlichen Sta- und Fernzüge würden einen ähnlichen Beitrag bilisierung und Sicherstellung der Liquidität der leisten. Zudem könnte die kostenlose Bereitstel- ÖV-Unternehmen, decken dabei aber nur etwa lung von Atemschutzmasken und Desinfektions- die Hälfte der prognostizierten Einnahmeverluste mittel das beeinträchtigte Image hinsichtlich der der ÖV-Branche, so geht es aus einer Stellungnah- Hygienebedingungen verbessern. Jedoch lässt es me des VDV zum ÖPNV-Rettungsschirm hervor der angespannte finanzielle Rahmen derzeit nicht (vgl. Stellungnahme des VDV vom 03.06.2020 zu zu, solche Investitionen zu tätigen. den Ergebnissen des Koalitionsausschusses). 3 Die fehlende Nachfrage in Bussen und Bah- nen zwang einige Betreiber, zumindest zeitweise kostensparende Maßnahmen zu ergreifen. In sol- chen Fällen wurde das Angebot der reduzierten Nachfrage in Form von Notfallfahrplänen ange- passt. Auch wenn das Angebot in einigen Städten schnell wieder hochgefahren wurde, umfasste Tageskilometer pro Person die gesamte Beförderungskapazität des ÖPNV Angaben in Mittelwerten bis Mitte Juni durchschnittlich nur 80 Prozent des normalen Niveaus, wie es aus einem Papier 16.03. Beginn des Deutschen Bundestages hervorgeht. Über 60 Shutdown geringere Taktfrequenzen und kürzere Zuggarni- turen reduzierten sich die bereitgestellten Beför- 50 derungskapazitäten, dadurch konnten Betriebs- kosten eingespart werden. Teilweise musste das 40 Angebot aufgrund Personalmangel und einem hohen Krankenstand zusätzlich reduziert werden. 30 In der Folge waren die Effekte auf die Auslastung der bereitgestellten Transportkapazitäten gerin- 20 ger als es aus den Zahlen zum Rückgang der Fahr- gastzahlen zu erwarten gewesen wäre. 10 4 Die finanziellen Belastungen der Unternehmen 0 stehen nicht in einem umgekehrt linearen Zu- 01.01. 01.02. 01.03. 01.04. 01.05. 01.06 sammenhang zum Rückgang der Fahrgastzahlen. Die Auswirkungen auf den Bartarif sind aufgrund Fahrrad zu Fuß ÖPNV Auto fehlender Touristen, Tagesreisender und anderer Datenbasis: rund 1.500 Personen im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR- Projekt), Eigenprojekt für Deutschland gesamt
14 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 5 Es ist derzeit schwer auszumachen, ob es nach fahr, dass die Abo-Kunden nach Alternativen zum der Krise genauso weiter geht wie zuvor oder ob ÖV Ausschau halten und stattdessen zukünftig bestimmte Dinge bleiben. Einerseits ändern Men- verstärkt mit dem Auto ihre alltäglichen Wege schen ihr Verhalten, entwickeln neue Routinen bestreiten. Der ÖV würde dann mehr denn je das und behalten diese möglicherweise bei. Anderer- Transportmittel für die Zwangskunden werden, seits haben sich viele alte Routinen bewährt oder die sich keine Alternative leisten können. Das ist sind eben gewohnt. So möchte man sie schnell kein Image mit dem man neue Fahrgäste gewin- wieder zurück gewinnen. Dies gilt nicht nur für die nen kann, sondern diejenigen verliert, denen sich Verkehrsmittelnutzung, sondern auch für andere eine Alternative eröffnet. Praktiken. Einige werden wieder verschwinden, andere sich ändern, sofern sie sich während der Dieses Szenario ist nicht als Prognose zu verste- Krise etabliert haben – wie etwa Homeoffice oder hen, sondern eine, in diesem Fall eher pessimis- Video-Konferenzen. Darauf muss reagiert werden. tische Lesart der vorliegenden Zahlen, also ein So müssen sich möglicherweise Tarifstrukturen Negativ-Szenario. Doch sollte es sich bewahrhei- des ÖV verändern, insbesondere im Abo-Bereich. ten, dann ließen sich politische Zielstellungen Wenn die Möglichkeit zum Homeoffice von den wie die Verkehrswende und Verpflichtungen zur Unternehmen auch über das Ende der Pandemie Reduktion der CO2-Emissionen auf nationaler hinaus aufrechterhalten bleibt, müssen entspre- und internationaler Ebene schwerer erreichen chende Tarife entwickelt werden, die eine redu- als vor der Corona-Pandemie. Mit großen Belas- zierte Nachfrage von vielleicht 20 bis 30 Fahrten tungen für den Steuerzahler, denn die Verfehlung pro Monat abbilden und preislich darstellen. der Klimaziele ist nicht mehr kostenlos. Zwischen 30 und 60 Milliarden Euro müssen zwischen 6 Gelingt es dem ÖV nicht, sich auf die erhöhten 2021 und 2030 für den Erwerb von Emissions- Anforderungen an Komfort und Hygienestandards zertifikaten von Nachbarländern bzw. Strafzah- einzulassen, könnten sich die Fahrgastverluste lungen aufgewendet werden, wenn gegen die verstetigen und auch über 2020 hinaus die Fahr rechtlichen Verpflichtungen Deutschlands nach gelderlöse reduzieren. Dann besteht auch die Ge- der EU-Effort-Sharing-Entscheidung und der EU- Zur Stichprobe Baden-Württemberg Zwischen dem 19. Mai und dem 20. Juni 2020 (KW 21-25) wurden insgesamt 1.218 Telefon-Interviews (CATI) mit Personen durchge- führt. Die Befragung ist als Panelstudie angelegt und die bereits interviewten Personen werden im Herbst 2020 erneut befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Bevölkerung Baden-Württem- bergs im Alter ab 16 Jahren. Grundlage ist eine spezielle Festnetz- stichprobe in Baden-Württemberg, die durch regionale Fälle aus der bundesweiten MOBICOR-Studie ergänzt wurde. Diese Ergänzung enthält auch Interviews aus einer Mobilfunkstichprobe, die im Dual-Frame-Verfahren erhoben wurde. Dabei werden Festnetz- und Mobilfunknummern kombiniert genutzt.
15 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Climate-Action-Verordnung für die sogenannten DAS AUTO Dieser Schutzraum profitiert und wird „Nicht-ETS-Sektoren“ verstoßen wird, so die Be- dies vermutlich auch längerfristig tun. Und zwar rechnungen der Thinktanks Agora Energiewende aus den gleichen Gründen, aus denen andere und Agora Verkehrswende (vgl. Agora Energie- beim Fahrradfahren oder Zufußgehen bleiben, wende, Agora Verkehrswende (2018): Die Kosten man hat sich daran gewöhnt. Vielleicht wurde von unterlassenem Klimaschutz für den Bundes- sogar ein Auto angeschafft, um gut durch die haushalt). Krise zu manövrieren. Sitzt man einmal im Auto, kommt man nur schwer wieder heraus. Doch die Es liegt natürlich nicht allein am ÖV, ob diese Ziele Absatzzahlen für Gebrauchtwagen und auch die erreicht oder verfehlt werden. Doch auch mit Blick Neuzulassungen nach KBA liegen im Mai 2020 auf den Erhalt lebenswerter Städte, Partizipati- deutlich unter den Zahlen für Mai 2019 (KBA, onsmöglichkeiten sozial schwacher Menschen Pressemitteilung Nr. 16/2020). Der ÖPNV verliert oder zur Herstellung gleichwertiger Lebensver- zwar aktuell Anteile an den MIV, doch könnte es hältnisse in ländlichen Regionen ist ein leistungs- sich dabei nur um eine Momentaufnahme han- starker ÖV erforderlich. deln, anstatt einem Trend. Wie die Entwicklun- gen in den nächsten Monaten verlaufen, liegt Doch was bedeuten die in diesem Bericht darge- auch daran, wie weit es der ÖV schafft, Fahrgäste legten Ergebnisse für die anderen Verkehrsmittel, zurückzugewinnen. Andererseits: Wenn in den welche Entwicklungen sind zu erwarten? nächsten Wochen Wohlhabendere vermehrt aus dem Homeoffice zurückkehren, wird dadurch die DER FUSS- UND RADVERKEHR Das aktuelle Plus Autonutzung weiter zunehmen. An dieser Stelle wird kaum bleiben. Die Nahraumorientierung werden die Zahlen der zweiten Erhebungswelle wird abnehmen und damit auch die Nahmobili- mehr Klarheit schaffen. tät. Wird das Wetter schlechter und verringern sich die Zeitbudgets für Freizeit und Einkauf, wer- DAS NIVEAU Das alte Mobilitätsniveau wird den sich Fuß- und Radverkehr wieder auf das ur- schnell wieder erreicht werden, wenn es nicht sprüngliche Niveau bewegen. Ob ein „etwas mehr zu einem weiteren Lockdown kommt. Ob dieser als vorher“ bestehen bleibt, damit ist durchaus zu dann flächendeckend ausfällt, nur die Infektions- rechnen, da positive Erfahrungen mit dem Fahr- zentren in den Fokus genommen werden oder rad oder Fußwegen sich ebenfalls als Routinen ob es überhaupt so weit kommt, ist derzeit nicht verfestigen können. Dies gilt umso mehr, wenn absehbar. Bleibt der zweite Lockdown aus und während des Lockdowns ein Fahrrad angeschafft bewegen wir uns weiter in Richtung Normalität, wurde. Tatsächlich scheinen die Verkaufszahlen dann wird sich auch das Verkehrsgeschehen wei- für Zweiräder im Frühjahr 2020 stark angestiegen ter normalisieren. Die Ausnahmen wurden zuvor zu sein. Der Mai scheint einer der umsatzstärks- besprochen. ten Monate der Branche gewesen zu sein, so der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) im Gespräch mit WIE KÖNNTE ES WEITERGEHEN? Pandemien der Zeit (Zeit Online vom 03.07.2020: „Boom für möchte man am liebsten schnell vergessen. Dies Fahrradbranche hält an“). war historisch so und zeigt sich auch schon jetzt. „Nachhaltigkeitserfahrungen“ werden so vermut- lich nicht nachhaltig sein. Die Verkehrswende ver- langt noch mehr Aktivität als zuvor.
16 MOBILITÄTSREPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 01 AUSGABE 13.08.2020 Projekt und Methoden basieren die Tracking-Ergebnisse noch auf einem nicht repräsentativen Testsample mit etwa 1.000 Das Forschungsvorhaben „MOBICOR“ wurde vom Beteiligten. Die auf dieser Grundlage bereits Bundesministerium für Bildung und Forschung ermittelten Eckwerte wie etwa Aktivitätsquoten (BMBF) angeregt und wird auch finanziell als ein oder Tagesstrecken entsprechen in ihrer Ausprä- Gemeinschaftsprojekt von WZB, infas, MOTION- gung bekannten Parametern aus repräsentativen TAG, Nuts One und Nexus unterstützt. Gegen- Studien. Die so erfolgte externe Validierung über stand der Forschung ist es die Beweglichkeit der die aus der MiD abgeleiteten Erwartungswerte Gesellschaft vor, während und nach der Corona zu „Normalzeiten“ sprechen für die Nutzugsmög- Pandemie zu vermessen, zu analysieren und hin- lichkeit der Tracking-Ergebnisse. Ab Juni wird diese sichtlich ihrer Wandelbarkeit zu verstehen. Dabei Stichprobe erweitert und mit der repräsentativen sollen qualitative, quantitative sowie neue digita- Befragung verknüpft. Wichtige Grundprinzipen le Erhebungsmethoden eingesetzt werden. sind dabei transparente Information, Freiwilligkeit und eine Auswertung nach den gültigen Daten- Die Befragungen schutzkriterien, um die Identifikation von Einzel- fällen auszuschließen. MOBICOR ist als Längsschnittbefragung angelegt und damit ein echtes Panel. In drei Wellen begin- Die von MOTIONTAG entwickelte App zeichnet nend im Mai 2020 sollen zunächst bis zum Jahres- Smartphone-basiert Bewegungsdaten auf. Gleich- anfang in einem repräsentativen Ansatz zufällig zeitig errechnet sie anhand stetig weiterentwi- ausgewählte Bürgerinnen und Bürger telefonisch ckelter Algorithmen weitgehend automatisch sowie online befragt werden. Die bundesweite und in Echtzeit die genutzten Verkehrsmittel. Ausgangsstichprobe beträgt 1.500 Interviews. Dabei werden zehn Verkehrsmittel unterschieden. Hinzu kommen regionale Aufstockungen mit Es wird die zurückgelegte Entfernung bestimmt jeweils 1.000 weiteren Interviews in den Bundes- sowie die Zeit, die man dafür benötigt hat. Mit ländern Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Unterstützung der Probanden ebenfalls möglich Die zugrunde liegenden echten Zufallsstichpro- ist eine Kategorisierung der Aufenthaltsorte. ben basieren auf einem Dual-Frame-Verfahren Hierzu planen wir zurzeit Erweiterungen, um auch bzw. regional auf einer Festnetzauswahl. Grund- dies in einem höheren Grad zu automatisieren gesamt ist die deutschsprachige Bevölkerung im und so den Aufwand für die Teilnehmerinnen und Alter ab 16 Jahren. Der Fragebogen orientiert sich Teilnehmer zu reduzieren. an der Vorgehensweise der Studie „Mobilität in Deutschland“, die infas zusammen mit Partner für Wie wir fortfahren das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) durchgeführt hat. Damit In weiteren Schritten werden wir die begonnenen ist die Anschlussfähigkeit an die Ergebnisse aus Analysen vertiefen und das Panel fortführen. Die dieser Leitstudie gewährleistet. Berichterstattung erfolgt kontinuierlich jeweils nach dem Abschluss einer Erhebungswelle. Unser Die App besonderes Augenmerk gilt dabei der sozialwis- senschaftlichen Perspektive. Bei Bedarf werden Zusätzlich setzen wir ab Anfang Juni die Tracking- wir auch Zwischenauswertungen auf Basis des App mobico ein. Sie wird ab August Ergebnisse Trackings zur Verfügung stellen. bereitstellen. Für die Monate Januar bis Juni
Kontakt Marc Schelewsky Senior-Projektleiter infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH Tel. +49 (0)228 3822-952 E-Mail: m.schelewsky@infas.de
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