Was ist schiefgelaufen? - Auslandsbüro USA, Washington D.C - Konrad-Adenauer-Stiftung
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November 2020 Auslandsbüro USA, Washington D.C. Was ist schiefgelaufen? Erste Erkenntnisse nach der US-Wahl Paul Linnarz Vielleicht wissen Sie bereits, wer der nächste US-Präsident ist. Vielleicht auch nicht. Zum Zeitpunkt der Ablie- ferung dieses Berichts am Donnerstag um 23:00 Uhr Ortszeit in Washington D.C. stand der Sieger jedenfalls noch nicht fest. Unabhängig davon, wer sich letztlich durchsetzen wird, lässt die „Hängepartie“ aber schon jetzt einige wichtige, zum Teil ernüchternde Aussagen zu. Wenn der Sieger feststeht, wird ungefähr die Hälfte Herausforderer lag. Sollte Donald Trump am Ende aller US-Wähler in stürmischen Jubel ausbrechen, zwar die Mehrheit der Stimmen im Electoral College während von der anderen Hälfte hoffentlich nie- gewinnen, wie schon 2016 aber nicht die Mehrheit mand frustriert und erbost zu den Waffen greift. aller Wählerstimmen, würde das den Glauben seiner Bisher jedenfalls entfallen gut 73 Millionen Stimmen Gegner an das US-Wahlsystem gerade aufgrund der auf Joe Biden, und etwas über 69 Millionen Stim- Rekordbeteiligung zusätzlich erschüttern. men auf Donald Trump. Der Abstand beträgt nur 2,7 Prozent. Im Wahlleutegremium kommt Joe Bi- Für den US-Präsidenten wäre schon ein knapper den je nachdem, ob man einen Wahlsieg der Demo- Sieg angesichts der vielen Infektionsfälle und Toten kraten in Arizona bereits voraussetzt oder nicht, der Corona-Pandemie, schleppender wirtschaftlicher entweder auf 264 oder auf 253 Stimmen. Donald Erholung, hoher Arbeitslosigkeit und anhaltender Trump hat nach derzeitigem Stand 214 Stimmen im Proteste gegen Polizeigewalt ein Riesenerfolg. Die „Electoral College“. Würde Joe Biden die Wahl in Demokraten hätten bei einem knappen Wahlsieg Pennsylvania gewinnen, hätte er gewonnen. Würde von Joe Biden zwar ihr wichtigstes Ziel erreicht und Trump in Pennsylvania gewinnen, käme es auf ei- Donald Trump abgelöst; andererseits schwinden nige andere Swing States an. Voraussichtlich wird ihre Chancen darauf, die Mehrheit im Senat zu das Ergebnis für Pennsylvania in der Nacht zum übernehmen. Dort steht es derzeit 48 zu 48. Für die Freitag verkündet. Mehrheit in der Kongresskammer sind 51 Sitze er- forderlich. Die gute Nachricht ist, dass sich schon jetzt etwa 143 Millionen Wähler an der Abstimmung beteiligt Im Repräsentantenhaus müssen die Demokraten haben. 2016 waren etwas weniger als 130 Millio- wenigstens auf 218 Sitze kommen, um ihre Führung nen. Und noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt. zu verteidigen. Das dürfte ihnen wohl gelingen – Nach Ausbruch der Corona-Pandemie war im Früh- nach den derzeit vorliegenden Ergebnissen zählen jahr befürchtet worden, dass die Wahlbeteiligung in sie bereits 208 Sitze. Ihre Hoffnungen darauf, den diesem Jahr sogar einbrechen könnte. Stattdessen bisherigen Vorsprung mit einer Rekordzahl an Wäh- wird jetzt eine Rekordbeteiligung erwartet. Aber lern noch ausbauen zu können, haben sich in ersten selbst wenn Joe Biden vor diesem Hintergrund ge- Tagen nach der Abstimmung aber nicht erfüllt. winnen sollte – als die erhoffte „Blue Wave“, als Im Ergebnis haben sich die US-Wähler nach den Erdrutschsieg der Demokraten, wird diese Wahl derzeit ausgezählten Stimmen also weder beson- nicht in die Geschichte eingehen. Stattdessen dürfte ders stark in die eine, noch in die andere Richtung es wieder einigermaßen knapp werden, und das, neu orientiert – und das trotz allem, was dieses obwohl Biden über Monate hinweg in fast allen Um- Land in den letzten vier Jahren unter Präsident fragen wenigstens fünf Prozentpunkte vor seinem
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 2 2 Trump, erst recht natürlich in den letzten dramati- hängt davon ab, wie viele Abgeordnete und Senato- schen Monaten seit dem Amtsenthebungsverfahren, ren für den betreffenden Bundesstaat in den beiden bewegt hat. Hätten sich die politischen Meinungen Kammern des Kongresses sitzen. Zusätzlich benennt signifikant geändert, lägen die Ergebnisse trotz des der District of Columbia, obwohl kein Bundesstaat, aufwändigen Verfahrens für die Auszählung der drei Wahlleute. Briefwahlstimmen wohl längst vor. Unabhängig da- von, wer am Ende gewinnen wird: nichts unter- Bei der Wahl am Dienstag wurde für die künftige streicht die Polarisierung der US-amerikanischen Präsidentschaft entschieden, welche Partei wie viele Gesellschaft stärker als diese „Hängepartie“ nach Wahlleute für das Electoral College stellt. Mit Aus- dem Wahltag. Die am späten Donnerstagnachmittag nahme von zwei Bundesstaaten gilt dabei das Prin- von Trump in seiner ersten Pressekonferenz seit der zip „the winner takes it all“. Die Partei, die in einem Abstimmung wiederholte Behauptung, "If you count Bundesstaat gewonnen hat, darf selbst bei einer the legal votes, I easily win. If you count the illegal hauchdünnen Mehrheit mithin alle Wahlleute für votes, they can try to steal the election from us”, diesen Staat in das Gremium entsenden. Da Ab- verheißt in dem Zusammenhang nichts Gutes für weichler die Ausnahme sind, steht bald nach der all- eine versöhnliche und reibungslose Anerkennung gemeinen Wahl und den Ergebnissen in den Bun- des Wahlergebnisses. Im Zentrum von Washington desstaaten in der Regel also bereits fest, welcher D.C. stehen am Abend auffällig viele Polizeiwagen. Kandidat im Wahlleutegremium die Mehrheit haben wird. Zittern um die „Swing States“ Das Wahlsystem mit dem Electoral College und dem Offen ist neben Pennsylvania derzeit noch das Er- „the winner takes it all“-Prinzip erklärt, warum sich gebnis in Nevada. Dort liegt Biden aktuell um nur die Parteien im Wahlkampf vor allem auf die „Swing 0,9 Prozent vorne. Noch 16 Prozent der Stimmen States“ konzentrieren. Denn anders als im traditio- müssen ausgezählt werden. In North Carolina führt nell demokratischen Kalifornien oder im republika- Trump mit 1,4 Prozent, nachdem dort inzwischen 94 nisch geprägten Wyoming haben in den heiß um- Prozent aller Stimmen ausgezählt worden sind. In kämpften Swing States beide Parteien die Chance Georgia liegen beide Kandidaten mit jeweils 49,4 auf einen Wahlsieg – und regelmäßig trennen den Prozent nach Auszählung fast aller Stimmen aktuell Wahlverlierer und den Wahlgewinner dort nur we- gleichauf. Fox News sieht Biden in Arizona 1,6 Pro- nige Prozentpunkte. zent vor Trump und färbt den Bundesstaat bereits blau ein, obwohl noch 10 Prozent der Stimmen aus- Zu den klassischen Swing States zählen Florida und gezählt werden müssen. Für die New York Times ist Ohio. In Pennsylvania, Michigan und Wisconsin das Rennen in dem Bundesstaat bis jetzt immer konnte sich 2016 mit Donald Trump erstmals seit noch offen. Was Wisconsin und Michigan angeht, den Achtzigerjahren ein Republikaner durchsetzen, wird aktuell damit gerechnet, dass sich Biden je- jeweils aber nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. weils durchsetzen konnte. In Wisconsin beträgt sein Darüber hinaus haben die Wahlkampfteams beider Vorsprung aber nur 0,6 bis 0,7 Prozent. Für die Parteien massiv in Georgia, North Carolina und Frage, wer Präsident wird, zählt am Ende jeder Arizona um Stimmen geworben. Traditionell zwar „Swing State“ selbst mit noch so dünner Mehrheit. kein Swing State, war für die Demokraten in diesem Zur Erläuterung: Jahr überdies Texas ein wichtiger „Battleground“. Bei den Zwischenwahlen 2018 hatten sie dort zwar Der Präsident wird in den USA nicht direkt gewählt, erneut verloren; die Republikaner konnten sich aber sondern von einem Wahlleutegremium. Dieses nur mit knappem Vorsprung durchsetzen. „Electoral College“ hat 538 Mitglieder. Sie stimmen Mitte Dezember über den Präsidenten ab. Die Wahl Obwohl Hillary Clinton 2016 bei der allgemeinen gewinnt, wer mindestens 270 Stimmen erhält. Wahl rund 2, 8 Millionen Wählerstimmen („popular vote“) mehr bekam als Donald Trump, wurde dieser Die Zahl der Wahlleute, die jeder Bundesstaat in Präsident, weil die Republikaner alle neun der oben das Electoral College entsendet, liegt zwischen drei genannten Swing States für sich entscheiden konn- zum Beispiel für Alaska und 55 für Kalifornien. Sie ten. Die überraschende und knappe Niederlage in
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 3 3 Pennsylvania, Michigan und Wisconsin war für die Georgia stellt 16 Wahlleute. In dem Bundesstaat le- Demokraten damals besonders bitter. Dort fehlten ben mit gut 10 Millionen Bürgern (2019) 3,2 Prozent ihnen am Ende nicht mehr als 78.000 Stimmen in der Gesamtbevölkerung des Landes. Nach Schät- nur drei Wahlkreisen. zungen aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölke- rung dort seit 2009 stärker als im Landesdurch- Insgesamt brachte den Republikanern allein ihr schnitt um knapp 10 Prozent gewachsen. Der weiße Wahlsieg in den neun Swing States vor vier Jahren Bevölkerungsanteil beträgt 52,4 Prozent. Auch beim 171 Wahlleute für das Electoral College ein. Mit den Anteil der Menschen über 65 Jahre liegt Georgia mit republikanischen Wahlleuten aus 22 weiteren Bun- 14 Prozent unter dem landesweiten Durchschnitt. desstaaten kam Donald Trump in dem Gremium so Die Arbeitslosenquote betrug im Juli während der auf 304 Stimmen, 34 mehr als für die Wahl zum Corona-Pandemie „nur“ 7,6 Prozent. Der größte Ar- Präsidenten erforderlich. beitgeber ist mit gut 15 Prozent anteilig „die Regie- rung“, darunter staatliche Behörden und die öffentli- „Blue Wall“ und „Sun Belt“ che Verwaltung. Der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten, sowie Wenn sich bestätigt, dass Joe Biden in Arizona ge- die Wahlbeteiligung entsprachen bei der Präsident- wonnen hat, wäre das für ihn ein echter Erfolg. schaftswahl 2016 nahezu dem landesweiten Durch- Denn die meisten Bundesstaaten im südlichen „Sun schnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %). Belt“ der USA sind für die Demokraten traditionell eine Herausforderung. Das gilt neben Arizona auch Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen für die noch offenen Rennen in North Carolina und für Georgia zwei Prozentpunkte vor Donald Trump. Georgia. Nachdem aktuell beide Kandidaten gleichauf liegen, hat sich auch diese Einschätzung nicht bewahrhei- Arizona stellt 11 Wahlleute. Der Bundesstaat ist mit tet. rund 7,3 Millionen Menschen (2019) vergleichsweise dünn besiedelt. Nach Schätzungen aus dem vergan- Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- genen Jahr ist die Bevölkerung dort seit 2009 aber dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- um fast 14 Prozent gewachsen – mehr als doppelt ten sich in Georgia bis Ende Oktober bereits 93 Pro- so stark wie im landesweiten Durchschnitt (6,3 %). zent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder Arizona ist weniger „weiß“ (54,4 %) als die US-Be- vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Dort völkerung insgesamt (60,4 %), gleichzeitig aber entsprach die Wahlbeteiligung also bereits vor dem noch ein wenig älter (17,6 Prozent über 65 Jahre). eigentlichen Wahltag am 3. November nahezu der Die Arbeitslosenquote entsprach im Juli mit 10,6 von vor vier Jahren. Georgia hat bereits am 19. Ok- Prozent etwa dem landesweiten Durchschnitt. Das tober damit begonnen, die Briefwahlstimmen zu Gleiche galt bei der Präsidentschaftswahl 2016 so- verarbeiten. wohl für den Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (71,3 %), als Die Bevölkerungszahl von North Carolina (2019) auch für die Wahlbeteiligung (60,4 %). deckt sich mit der von Georgia (gut 10 Millionen). Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr ist Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen die Bevölkerung dort seit 2009 ebenfalls um circa für Arizona drei Prozentpunkte vor Donald Trump. zehn Prozent gewachsen. North Carolina ist etwas Inzwischen ist sein Vorsprung deutlich knapper. Be- „weißer“ (62,8 %) und auch etwas älter (16,4 % zogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- über 65 Jahre) als der landesweite Durchschnitt. dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- Der Anteil der Beschäftigten, die im öffentlichen ten sich in Arizona bis Ende Oktober bereits 87 Pro- Dienst, für Behörden und die öffentliche Verwaltung zent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder tätig sind, ist mit gut 16 Prozent noch höher als in vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Stim- Georgia. Dafür liegt der Anteil der Menschen, die im men, die per Brief oder persönlich bis Ende letzter Gesundheitsweisen und in der Sozialfürsorge arbei- Woche abgegeben wurden, durften dort bereits ab ten, mit 11,6 Prozent ebenso wie in Georgia unter dem Wochenende ausgezählt werden. dem landesweiten Durchschnitt. Das Gleiche gilt mit
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 4 4 8,5 Prozent im Juli für die Arbeitslosenquote. So- %) als auch die Wahlbeteiligung (64,3 %) lagen bei wohl der Anteil der stimmberechtigten Bürger, die der Präsidentschaftswahl 2016 einigermaßen deut- sich als Wähler registriert hatten (74,6 %) als auch lich über dem landesweiten Durchschnitt (70,3 % die Wahlbeteiligung (67,5 %) lagen bei der Präsi- beziehungsweise 61,4 %). dentschaftswahl 2016 deutlich über dem landeswei- ten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %). Am Wahltag lag Joe Biden (51 %) in den Umfragen für Michigan deutliche acht Prozentpunkte vor Do- Am Wahltag lag Joe Biden (49 %) in den Umfragen nald Trump. Dieser Vorsprung ist aktuell auf 2,6 für North Carolina zwei Prozentpunkte vor Donald Prozent geschrumpft. Trump. Stattdessen führt der US-Präsident dort in- zwischen knapp. Der Bundesstaat stellt 15 Wahl- Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- leute. dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- ten sich in Michigan bis Ende Oktober immerhin be- Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- reits 54 Prozent aller Stimmberechtigten per Brief- dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- wahl oder vorgezogener Wahl („early vote“) betei- ten sich in North Carolina bis Ende Oktober bereits ligt. 91 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl o- der vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. Auch Wisconsin ebenfalls im Norden der USA stellt mit dort entsprach die Wahlbeteiligung also bereits vor seinen 5,8 Millionen Einwohnern (2019) nur 1,8 Pro- dem eigentlichen Wahltag am 3. November nahezu zent der Gesamtbevölkerung. Der Bundesstaat ent- der von vor vier Jahren. sendet 10 Wahlleute ins Electoral College. Das Be- völkerungswachstum wird für die Zeit von 2009 bis In North Carolina waren die Wahllokale bis 19:30 2019 auf 2,4 Prozent geschätzt. Der Anteil der Wei- Uhr Ortszeit geöffnet. Die meisten der bis zum ßen ist mit 81,1 Prozent mehr als 20 Prozent höher Wahltag abgegebenen Stimmen konnten bereits als im landesweiten Durchschnitt. Die Bevölkerung ausgezählt werden. Stimmzettel, die ab jetzt noch von Wisconsin ist überdies etwas älter als der Rest per Post eingehen, werden spätestens bis zum 12. des Landes (17 % über 65 Jahre). Der Bundesstaat November berücksichtigt. ist ebenso wie Texas noch vergleichsweise glimpf- lich durch die ersten Monate der Corona-Pandemie Michigan, Wisconsin und Pennsylvania im Norden gekommen: Im Juli lag die Arbeitslosenquote mit 7 der USA zählen zu den Bundesstaaten hinter der Prozent weit unter der etwa von Pennsylvania. An- „Blue Wall“. Denn diese Staaten lagen traditionell in teilig sind die meisten Erwerbstätigen (fast 16 %) der Hand der Demokraten, bevor Donald Trump im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt; deutlich dort vor vier Jahren überraschend gewinnen mehr als im US-Durchschnitt (8,5 %). Sowohl der konnte. Jetzt zeichnet sich für Joe Biden ein Sieg in Anteil der stimmberechtigten Bürger, die sich als Michigan und Wisconsin ab. Wähler registriert hatten (76,3 %) als auch die Wahlbeteiligung (70,5 %) lagen bei der Präsident- Michigan mit seinen 16 Wahlleuten zählte 2019 schaftswahl 2016 signifikant über dem landesweiten knapp 10 Millionen Einwohner. Nach Schätzungen Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 %). aus dem vergangenen Jahr ist die Bevölkerungszahl seit 2009 nahezu konstant geblieben. Der Bundes- Am Wahltag lag Joe Biden (52 %) in den Umfragen staat ist ebenso wie Pennsylvania aber deutlich für Wisconsin acht Prozentpunkte vor Donald „weißer“ (74,9 %) als die US-Bevölkerung insge- Trump. Aktuell sind es nur noch 0,6 bis 0,7 Prozent. samt. Außerdem liegt der Anteil der Menschen über Vor allem an Wisconsin wird sich in diesem Jahr er- 65 Jahre mit 17,2 Prozent über dem landesweiten neut die Kritik an den Umfrageinstituten festma- Durchschnitt (16,1 %). Die Arbeitslosenquote lag im chen. Juli mit 8,7 Prozent deutlich etwa unter der von Pennsylvania. Der größte Arbeitgeber ist mit 14,2 Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- Prozent die Industrie und das verarbeitende Ge- dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- werbe. Sowohl der Anteil der stimmberechtigten ten sich in Wisconsin bis Ende Oktober bereits 62 Bürger, die sich als Wähler registriert hatten (74,1
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 5 5 Prozent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder hen, ist der 6. November das Fristende. Am 23. No- vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt. vember muss die Auszählung in Pennsylvania end- gültig abgeschlossen sein. Pennsylvania stellt 20 Wahlleute. Der Bundesstaat beheimatet fast 13 Millionen Menschen (2019) be- Umfragen: wieder häufig daneben ziehungsweise 3,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nach Schätzungen aus dem vergangenen Jahr hat Die Beispiele für die derzeit noch offenen Swing sich die Bevölkerungszahl seit 2009 im Unterschied States zeigen, dass Zustimmungswerte auch dies- zur Gesamtbevölkerung der USA (+6,3 %) praktisch mal kein akkurates Bild abgegeben haben. Donald nicht verändert. Pennsylvania ist ebenso wie Ohio Trump lag in den landesweiten Umfragen bereits deutlich „weißer“ (76,1 %) als der Rest des Landes seit Wochen wenigstens fünf Prozentpunkte hinter (60,4 %). Überdies ist die Bevölkerung älter als der seinem Herausforderer Joe Biden. Viele Meinungs- Durchschnitt (18,2 % über 65 Jahre). Die Arbeitslo- forschungsinstitute wurden bereits 2016 heftig da- senquote lag im Juli während der Corona-Pandemie für gescholten, dass sie den Wahlsieg von Donald mit 13,7 Prozent relativ deutlich über dem Ver- Trump nicht vorhergesagt hatten. Die Kritik war in- gleichswert für die USA insgesamt. Als Arbeitgeber sofern berechtigt, als Wähler ohne Hochschulab- sind die Industrie und das verarbeitende Gewerbe schluss in den Statistiken tatsächlich zu wenig be- immer noch vergleichsweise wichtig; 17,5 Prozent rücksichtigt worden waren. So falsch, wie oft kriti- aller Erwerbstätigen sind in diesem Bereich beschäf- siert, lagen die Demoskopen damals aber nicht. tigt. Sowohl der Anteil der stimmberechtigten Bür- Denn es traf ja zu, dass die nach Zustimmungswer- ger, die sich als Wähler registriert hatten (72 %) als ten bis zuletzt favorisierte Hillary Clinton bei der all- auch die Wahlbeteiligung (62,6 %) lagen bei der gemeinen Wahl vor vier Jahren rund 2,8 Millionen Präsidentschaftswahl 2016 leicht über dem landes- Stimmen mehr erhielt als Donald Trump. Nur half weiten Durchschnitt (70,3 % beziehungsweise 61,4 ihr das im US-Wahlsystem eben nicht für die Mehr- %). heitsverhältnisse im Electoral College. Dort fehlten ihr für eine ausreichende Zahl an demokratischen Am Wahltag lag Joe Biden (50 %) in den Umfragen Wahlleuten, wie gesagt, am Ende nur wenige zehn- für Pennsylvania vier Prozentpunkte vor Donald tausend Stimmen in nur drei Wahlkreisen. Trump. Inzwischen sehen jedoch sowohl Fox News als auch die New York Times den US-Präsidenten Als Momentaufnahmen machen sich die Zustim- mit 0,6 bis 0,7 Prozent in Führung. mungswerte in den Umfragen während des Wahl- kampfs natürlich immer an wichtigen Ereignissen Bezogen auf die Gesamtzahl aller dort bei der Präsi- (z.B. Fernsehdebatten) und an Äußerungen über dentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen, hat- beziehungsweise am Umgang mit relevanten ten sich in Pennsylvania bis Ende Oktober 34 Pro- Sachthemen fest. Das innenpolitische Spektrum da- zent aller Stimmberechtigten per Briefwahl oder für reichte in den USA in diesem Jahr von der vorgezogener Wahl („early vote“) beteiligt – anteilig Corona-Pandemie und dem Gesundheitssystem über vor dem eigentlichen Wahltermin am 3. November die Wirtschaftskrise, die anhaltenden Proteste ge- also deutlich weniger als beispielsweise in Texas, gen die Benachteiligung der Minderheiten, Plünde- Georgia oder North Carolina. rungen und Waffengewalt bis zum Obersten Ge- richt, der Briefwahl, Fragen zum Abtreibungsrecht Anders als beispielsweise in Georgia, durfte mit der und der illegalen Einwanderung, der Klimapolitik Verarbeitung der Briefwahlstimmen in Pennsylvania und darüber hinaus. Oft überschlugen sich die Top- erst am eigentlichen Wahltag morgens ab sieben Meldungen und Tweets zu mehreren Themen bin- Uhr begonnen werden. Einige Wahlkreise hatten an- nen weniger Tage. gekündigt, in der Nacht zum Mittwoch zunächst nur die Stimmen der Wahllokale auszuzählen und sich In zahlreichen Berichten und Analysen wurde be- erst danach mit den Briefwahlstimmen zu beschäfti- reits herausgestellt, dass die Meinungen und Ein- gen. Für Stimmzettel, die noch mit der Post einge- stellungen der US-Bürger entlang der parteipoliti- schen Trennlinien zutiefst gespalten sind. Der Wahl- kampf macht sich diese Polarisierung zunutze: Für
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 6 6 jeden US-Bürger sind über das Wählerregister hin- Exakt ließ sich anscheinend auch nicht vorhersagen, aus mehrere tausend Hinweise auf Alter, Ge- wie sich der Generationenwechsel auf die Wahl und schlecht, Wohnort, Familienstand, Einkommen und vor allem auf die Wahlbeteiligung auswirken würde. vieles mehr öffentlich zugänglich – ein Datenschutz So stellt die nach 1981 geborene Generation der wie in Deutschland existiert nicht. Aus der Kombina- Millennials und GenZ in diesem Jahr in den USA tion dieser Hinweise ermitteln die Parteien mit gro- erstmals die größte Bevölkerungsgruppe. Unter sei- ßer Genauigkeit, wer zu ihren Anhängern zählt. Ge- ner eigenen Generation der zwischen 1946 und nau diese Gruppe wird dann entweder von den Re- 1964 geborenen Babyboomer hatte Donald Trump publikanern oder den Demokraten zielgerichtet mit vor vier Jahren mühelos gewonnen. Nach Umfragen Werbemails, SMS, Wahlwerbung im Briefkasten, in aus Oktober lag diesmal Biden aber bei den Men- den sozialen Medien oder den jeweils favorisierten schen über 65 Jahre vorne. Erst bei den weit über Fernsehkanälen überschüttet. Buchstäblich „wahl- Siebzigjährigen konnte Trump seinen Vorsprung los“ verbreitete Werbung beider Parteien für alle halten. Darüber hinaus zeichnete sich nach Umfra- Stimmberechtigten wird mangels Erfolgsaussichten gen aus September ab, dass Trump in der mittleren und aus Kostengründen vermieden. Altersgruppe zwischen den jüngsten Babyboomern und den ältesten Millennials, also Menschen zwi- Im Kern ging es aber nicht um Einzelthemen, son- schen 40 und 55 Jahren (GenX), weiterhin in Füh- dern bei Joe Biden in allen Facetten um ein Refe- rung lag. Erst in einigen Wochen wird es wohl aus- rendum über die amtierende Regierung und einen sagekräftige Analysen darüber geben, welche Rolle "Battle For The Soul Of The Nation", während Do- das Wahlverhalten der Minderheiten und der ver- nald Trump trotz Corona-Pandemie, Wirtschafts- schiedenen Altersgruppen tatsächlich für das Ergeb- krise, hoher Arbeitslosigkeit und Protesten gegen nis der Abstimmung gespielt hat. Schneller werden Polizeigewalt „Make America Great Again“ ver- wir wohl wissen, ob vor allem die Republikaner oder sprach. Vor allem mit Blick auf die farbigen Bevölke- die Demokraten von der Briefwahl profitiert haben. rungsminderheiten war dabei schwer vorhersehbar, welches der beiden Narrative sich im Wahlkampf er- Wahlbeteiligung mit „Trump-Faktor“ folgreich verfangen würde. Dazu zählte beispiels- weise der „gender gap“ unter den Wählern mit la- Bei der Abstimmung in diesem Jahr hatten bereits teinamerikanischer Abstammung. Umfragen vom vor dem eigentlichen Wahltag am Dienstag knapp Oktober sahen Joe Biden bei den Latino-Frauen 34 100 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger per Brief- Prozentpunkte vor Donald Trump. Bei den Latino- wahl oder „early voting“ im Wahllokal abgestimmt. Männern betrug der Vorsprung für Biden hingegen Das entsprach etwa 40 Prozent aller Wahlberechtig- nur acht Prozentpunkte. Der Unterschied in der ten und gut 70 Prozent der Wahlbeteiligung vor vier Wählergunst galt für Latinos und Latinas sowohl Jahren. Schon das war Rekord! mit, als auch ohne Hochschulabschluss. Genaue Angaben zur Wahlbeteiligung sind, vor al- Vor allem um die hispanische Bevölkerungsminder- lem so kurz nach der Abstimmung, ebenfalls mit heit mussten die Demokraten im Wahlkampf auch Vorsicht zu genießen. Denn in den USA gibt es deshalb heftig kämpfen, weil die Gruppe für sich ge- keine Meldepflicht. Die genaue Zahl aller Wahlbe- nommen sehr divers ist. Knapp über die Hälfte aller rechtigten muss deshalb geschätzt werden. Eine Latinos verstehen sich nicht als Farbige, sondern als Volkszählung findet nur alle zehn Jahre statt; die Er- Weiße. Viele, vor allem ältere Amerikaner mit latein- gebnisse der diesjährigen Zählung liegen noch nicht amerikanischer Abstammung, sind bei Fragen über vor. Abtreibung, Steuern und innere Sicherheit überdies eher konservativ. Mit ihren Forderungen nach Wer mit abstimmen will, muss sich in seiner Ge- „Recht und Ordnung“ und gegen illegale Einwande- meinde als Wähler registrieren lassen. Wer umzieht, rung hofften die Republikaner in dieser Gruppe auf muss seine Wählerregistrierung auf den neuen etwas über 30 Prozent Zustimmung. Der Anteil der Wohnort anpassen. schwarzen Trump-Anhänger wurde im Juli auf etwa zehn Prozent geschätzt. 2016 wurde die Zahl der wahlberechtigten US- Staatsbürger über 18 Jahre auf rund 225 Millionen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 7 7 geschätzt. Davon waren knapp 160 Millionen als Währenddessen attackierten sich die Präsident- Wähler registriert. Etwas weniger als 140 Millionen schaftskandidaten der Demokraten in mehreren gaben ihre Stimme ab. Demnach lag die Wahlbetei- Vorwahlen heftig, ließ sich Michael Bloomberg für ligung bei 61,4 Prozent. Deutlich höher war die die ersten vier Runden gleich entschuldigen, bla- Wahlbeteiligung während der letzten vier Jahr- mierte sich die Partei beim „Caucus“ in Iowa mit ei- zehnte nur 1992 (67,7 %), etwas niedriger wiede- ner defekten App bei überaus geringer Wahlbeteili- rum 1996 (58,4 %) und 2000 (59,5 %). gung und sah die Lage für Joe Biden im Wettbe- werb mit Pete Buttigieg, Elizabeth Warren und Ber- Würde man die Zahl aller abgegebenen Stimmen nie Sanders zunächst alles andere als rosig aus. Erst mit der erwachsenen Gesamtbevölkerung in den mit dem „Super Tuesday“ Anfang März und seinem USA vergleichen, reduzierte sich die Wahlbeteili- Wahlsieg in South Carolina zeichnete sich für Biden gung 2016 auf etwa 55 Prozent. Denn neben Aus- die Wende ab. Gut einen Monat später hatte er sich ländern sind auch mehrere Millionen verurteilte endgültig gegen seine Mitbewerber durchgesetzt. Straftäter nicht wahlberechtigt. Elf Bundesstaaten verwehren Mehrfachtätern und schwer Vorbestraf- Für Donald Trump war der 77jährige ehemalige Vi- ten das Wahlrecht dauerhaft auch nachdem diese zepräsident und langjährige Senator aus Delaware ihre Haft und die anschließende Bewährung abge- alles andere als der Wunschgegner. Sanders oder schlossen haben. Warren hätten dem US-Präsidenten als Vertreter des linken Spektrums der Demokratischen Partei in- Die Rekordbeteiligung in diesem Jahr war nach den haltlich eine deutliche größere Angriffsfläche gebo- einigermaßen stabilen Werten für die letzten Präsi- ten. Überdies sprach viel dafür, dass die beiden Se- dentschaftswahlen zwar nicht vorhersehbar – über- natoren zwar vor allem in jüngeren Bevölkerungs- dies war ab März zu befürchten, dass die Corona- gruppen mehr Anhänger finden würden, sie viele Pandemie viele Menschen von der Stimmabgabe ab- moderate und unentschlossene Wählerinnen und halten würde. Andererseits hatte sich 2018 bereits Wähler aber eher abschrecken könnten. Trumps bei der Abstimmung zum Kongress gezeigt, dass Tweets gegen den drohenden „Sozialismus“ unter der „Trump-Faktor“ die Wählerinnen und Wähler einer demokratischen Regierung hätten sich – vor mobilisiert. Vor zwei Jahren hatten sich 113 Millio- allem, wenn Bernie Sanders gegen ihn angetreten nen Menschen beteiligt, mehr als jemals zuvor bei wäre – also eher verfangen. Als Präsidentschafts- einer „Zwischenwahl“. kandidat stand Joe Biden hingegen deutlich stärker für die Mitte des politischen Spektrums. Trump: Wahlkampf in drei Phasen In der zweiten Phase seines Wahlkampfs – inzwi- Für den US-Präsidenten lässt sich der Wahlkampf schen steckten die USA vollends in der Corona- grob in drei Phasen einteilen: Ab Beginn des Jahres Krise, war die Wirtschaftsleistung abrupt eingebro- bis zu dem Zeitpunkt, an dem Joe Biden im Frühjahr chen, kletterte die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe nach dem Ausscheiden seines letzten verbliebenen und zogen die Anhänger von „Black Lives Matter“ Mitbewerbers Bernie Sanders aus den Vorwahlen als durch die Straßen, um – vielerorts überschattet von Präsidentschaftskandidat der Demokraten feststand, Ausschreitungen und Plünderungen – gegen Polizei- setzte Donald Trump weiterhin voll auf „MAKE AME- gewalt zu demonstrieren – in dieser Phase also ver- RICA GREAT AGAIN!“. Noch etwa bis Juni lautete legte sich der US-Präsident stärker darauf, seinen der Slogan dann „Keep America Great“. demokratischen Gegenkandidaten persönlich zu dis- kreditieren und „Sleepy Joe“ als zu alt, als Anhänger Das Jahr hatte mit soliden Wirtschaftszahlen und der radikalen Linken und als Gegner von „Recht und geringer Arbeitslosigkeit begonnen, im Handelsstreit Ordnung“ abzubilden. Natürlich bekam auch die De- mit China wurde sozusagen als „Waffenstillstand“ mokratische Partei insgesamt ihr Fett weg; wichti- eine erste Übereinkunft unterzeichnet, Trump setzte ger aber war dem Präsidenten zu betonen, dass nur das neue nordamerikanische Handelsabkommen er in der Lage sei, die Corona-Krise und ihre Folgen USMCA in Kraft und überstand das gegen ihn ange- erfolgreich zu bewältigen, „Chaos und Anarchie“ ab- strengte Amtsenthebungsverfahren ohne Blessuren. zuwenden (“No one will be safe in Biden's America”) und die USA möglichst bald wieder „great again“ zu
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 8 8 machen, während umgekehrt sein politischer Wider- Stattdessen führte Biden den Wahlkampf von An- sacher im Falle eines Wahlsiegs genau das Gegen- fang an als Referendum über die Regierungsjahre teil bezwecken werde. Vieles erinnerte an „Crooked von Donald Trump. Nachdem der Demokrat im April Hillary“ aus dem Wahlkampf vor vier Jahren. als Präsidentschaftskandidat feststand, wurde ihm auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen, sich für In der dritten Phase ging der US-Präsident schließ- eine offensive Abrechnung praktisch überhaupt lich dazu über, den Wahlausgang selbst anzuzwei- nicht aus der Deckung vorzuwagen. Im Vergleich feln. Widerholt kündigte er Betrug und Manipulatio- zur Medienpräsenz des US-Präsidenten, der ja nen durch die gelockerten Regelungen zur Briefwahl schon mit seinen Corona-Briefings durchgängig im an. Bereits im September ließ er wissen, das Rampenlicht stand, war dieser Eindruck nicht ganz Oberste Gericht müsse über die Legitimität des falsch – genau das, jede umstrittene, missverständ- Wahlergebnisses entscheiden – auch das ein Grund liche und falsche Äußerung und jeder von Donald dafür, warum Trump und die republikanische Mehr- Trump nicht getragene Mundschutz, spielten Biden heit im Senat mit der Berufung von Amy Coney Bar- aber natürlich in die Hände. Darauf jedenfalls hoffte rett als Nachfolgerin für die im September verstor- sein Wahlkampfteam. Darüber hinaus zählte, schon bene Richterin Ruth Bader Ginsburg nicht bis nach aufgrund seiner geringeren Medienpräsenz und ei- der Amtseinführung im Januar warten wollten. ner – zumindest anfänglich – weniger gefüllten Wahlkampfkasse, vor allem das „Timing“, und zwar Sei es damit, dass er nun bereits den dritten Rich- in vielerlei Hinsicht: terposten im Obersten Gericht mit einer eigenen Kandidatin auf Lebenszeit neu besetzen konnte, o- Nachdem beispielsweise die Corona-Krise die USA der damit, dass nur er für Sicherheit und einen neu- voll getroffen hatte, schlug Biden bereits mit einigen erlichen Wirtschaftsboom nach der Corona-Pande- Monaten Vorlauf zunächst eine Verschiebung des mie sorgen könne – konsequent setzte Donald Nominierungsparteitags der Demokraten von Juli Trump im Wahlkampf auf „Zukunftsversprechen“. auf den August nur wenige Tage vor dem Parteitag Vor vier Jahren angetreten als politischer Außensei- der Republikaner vor. Anschließend regte er an, den ter, war diese Rechnung mit „MAKE AMERICA Nominierungsparteitag seiner Partei zur Minimie- GREAT AGAIN!“ und der Ankündigung, den „Sumpf“ rung der Ansteckungsrisiken nicht als Präsenzveran- des Washingtoner Establishments „trockenzulegen“, staltung vor mehreren zehntausend Anhängern und für ihn aufgegangen. Delegierten, sondern „virtuell“ im Internet abzuhal- ten. Das war durchaus „hoch gepokert“. Denn zu Biden: „Versöhnen statt spalten“ diesem Zeitpunkt konnte niemand mit Sicherheit vorhersagen, wie sich die Pandemie bis zum Som- Auch Joe Biden hat vor allem in den letzten Wochen mer entwickeln würde. Viele US-Bundesstaaten be- vor der Wahl zahlreichen Ankündigungen gemacht, gannen bereits ab Mai wieder mit einer Lockerung zum Beispiel, dass er als Präsident das Land einen der Restriktionen für Menschenansammlungen und und versöhnen wolle, er den Klimawandel eindäm- das Wirtschaftsleben. Das Risiko bestand darin, mit men, Arbeitsplätze schaffen und sich für die Minder- einem virtuellen Parteitag ohne jubelnde Fans, heiten einsetzen werde. Beizeiten schlug er dabei große Bühne und Luftballons für die letzten Wochen Töne an, die auch von Donald Trump hätten stam- des Wahlkampfs vor allem deshalb deutlich an Mo- men können („Buy American!“). Insgesamt blieb Bi- mentum zu verlieren, weil Donald Trump und die den mit seinen Versprechen aber vorsichtiger; so Republikaner ihrerseits keinerlei Anstalten machten, warnte er davor zu hoffen, dass sich die Polarisie- wegen Corona auf das traditionelle Großspektakel rung und die tiefen Gräben in der US-amerikani- mit vollen Besuchertribünen zu verzichten. schen Gesellschaft kurzfristig überwinden bezie- hungsweise zuschütten ließen. Statt sich bereits da- Für die Demokraten hat sich das Wagnis am Ende rauf festzulegen, ob er als Präsident die Zahl der gelohnt: Nach hartnäckigen Versuchen, ihren Nomi- Richter am Obersten Gericht erhöhen wolle, um nierungsparteitag mit reduzierter Zuschauerzahl, dort eigene Kandidaten einzusetzen, kündigte er an, aufgeteilt auf zwei Austragungsorte und unter die Frage von einer Kommission prüfen zu lassen. strengen Hygieneauflagen doch noch als Präsenz-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 9 9 veranstaltung durchzuführen, mussten die Republi- möglichst viele Angehörige der farbigen Minderhei- kaner schließlich ebenfalls zumindest weitgehend ten sowie jüngere Wähler unter den Millennials und auf ein virtuelles Format ausweichen. Das wochen- der GenZ gewinnen – die Generation der nach 1981 lange Hin und Her hatte zur Folge, dass dem Wahl- Geborenen stellte in diesem Jahr erstmals die kampfteam von Donald Trump für die erzwungene größte Altersgruppe. Ein Risiko bestand bei der No- Alternativlösung wertvolle Vorbereitungszeit fehlte. minierung vor allem darin, dass die Senatorin aus Kalifornien, dort lange auch Generalstaatsanwältin Passend dazu, dass die Demokraten ihren Wahl- und zuständig für eine Polizeireform, von Vertretern kampf als Referendum über den US-Präsidenten des linken Flügels der Demokratischen Partei hätte führen wollten, haben sie überdies konsequent da- abgelehnt werden können. rauf spekuliert, dass sich viele Wählerinnen und Wähler bereits lange vor der Abstimmung am Auch bei dieser in den Medien nahezu durchgängig Dienstag auf einen der beiden Kandidaten festge- als historisch bewerteten Personalentscheidung legt hatten; Donald Trump polarisiert das Wahlvolk spielte das Timing eine wichtige Rolle: Biden nomi- ja nicht erst seit diesem Jahr. nierte seinen „running mate“ nur wenige Tage vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten. Über In der Tat gaben nach Umfragen schon Wochen vor Wochen hinweg hatten die Medien zuvor darüber der Wahl 80 bis 90 Prozent der Befragten auch in spekuliert, welche Kandidatin – dass es eine Frau den heiß umkämpften Swing States an, sich längst sein würde, war klar – Biden aufstellen würde. Die entschieden zu haben. Vor diesem Hintergrund hat Benennung verzögerte sich dann noch um einige die Kampagne von Joe Biden unter den eigenen An- Tage, was die Spannung weiter steigerte und den hängern massiv dafür geworben, frühzeitig per Demokraten im Wahlkampf hohe Aufmerksamkeits- Briefwahl abzustimmen. Diese Wähler hätte Donald werte bescherte, während sich die Republikaner Trump auch mit den Fernsehdebatten wohl ohnehin noch vom Schock über eine nur schwach besuchte nicht für sich gewinnen können. Viel wichtiger war Wahlkampfveranstaltung in Oklahoma erholen stattdessen, mit der Briefwahl eine größtmögliche mussten, Trump den Chef seines Wahlkampfteams Wahlbeteiligung der demokratischen Anhänger si- auswechselte und seine Partei mit Hochdruck daran cherzustellen. Ohne Briefwahl hätte für Biden das arbeitete, den Ablauf und das Programm für den Risiko bestanden, auf den letzten Metern entschei- nunmehr virtuellen Nominierungsparteitag festzu- dende Stimmen dadurch zu verlieren, dass er sich zurren. bei Live-Auftritten und im Schlagabtausch mit sei- nem republikanischen Herausforderer verhaspelt, Die von Joe Biden und seinem Team geschickt ter- ungeschickt formuliert oder Schwächen zeigt. Für minierten Äußerungen und Auftritte konnten die gu- ihn wichtige Wählergruppen wären nach solchen, ten Zustimmungswerte der Demokraten zwar nicht für den 77jährigen schon aus dessen Zeit als Vize- weiter in die Höhe treiben; Trump wiederum konnte präsident nicht ganz unbekannten Pannen sicherlich mit seiner von wiederholten „Querschlägen“ geplag- nicht zu den Republikanern übergelaufen; unter ten Wahlkampfdramaturgie – darunter zuletzt na- Umständen hätten sie sich aber dafür entschieden, türlich seine Ansteckung mit dem Corona-Virus – in am 3. November überhaupt nicht wählen zu gehen. den Umfragen aber auch nicht aufholen. In den Die Briefwahl sorgte stattdessen für eine Rekordbe- letzten Wochen vor der Wahl ließ sich Biden bei sei- teiligung. nen Attacken gegen Donald Trump immer häufiger von Ex-Präsident Barack Obama flankieren („But Dass Biden mit Kamala Harris eine Kandidatin für just like everything else he inherited, he messed it das Amt der Vizepräsidentin aufgestellt hat, die ge- up.”) wissermaßen ein Gegengewicht zu ihm sein sollte – Frau, jünger, Schwarze – war ein für die meisten Wie gesagt, vielleicht wissen Sie nach der Veröffent- Beobachter „logischer“ Schachzug. Denn wie schon lichung dieses Berichts bereits, ob Joe Biden oder bei den Zwischenwahlen 2018 mussten die Demo- Donald Trump den erfolgreicheren Wahlkampf ge- kraten im Wahlkampf alles unternehmen, um die führt hat und wer sich für die Mehrheit im Electoral politisch oft moderateren Wählerinnen vor allem in den Vororten der städtischen Metropolen, daneben
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Länderbericht November 2020 10 10 College am Ende in den entscheidenden Swing Sta- tes durchsetzen konnte. Mit Ablieferung dieses Be- richts ist das noch offen. Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Paul Linnarz Leiter Auslandsbüro USA, Washington D.C. Europäische und Internationale Zusammenarbeit www.kas.de paul.linnarz@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de)
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