Öffentliche Ausgaben generieren hohe Rückflüsse - IAB

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Öffentliche Ausgaben generieren hohe Rückflüsse - IAB
IAB-KURZBERICHT
Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung                                           8|2019

  In aller Kürze                            Gesamtfiskalische Wirkungen von Weiterbildungsförderung

  yy Eine umfassende öffentliche För-
  derung von Weiterbildung würde er-
  hebliche Investitionen erfordern. Bei
                                            Öffentliche Ausgaben
  positiven Arbeitsmarktwirkungen
  könnte sie für Staat und Sozialver-
                                            generieren hohe Rückflüsse
  sicherungen aber auch zusätzliche
  Einnahmen generieren und Trans-           von Enzo Weber, Thomas Kruppe, Jannek Mühlhan und Jürgen Wiemers
  ferausgaben vermeiden.
  yy In einer Simulationsstudie schät-
  zen wir die gesamtfiskalische Bilanz
  einer solchen Weiterbildungspolitik
  ab. Dabei geht es um eine Steigerung
  der Beteiligung an non-formaler Wei-      Die Weiterbildung von Beschäftigten         ein Beitrag dazu, dass der technologi-
  terbildung um zehn Prozentpunkte
                                            wird in Deutschland im Vergleich zur        sche und strukturelle Wandel in der
  und an formaler Weiterbildung um
  einen Prozentpunkt.                       Erstausbildung und zu Bildungsmaß-          Arbeitswelt insgesamt positiv bewältigt

  yy Infolge von Beschäftigungs-, Lohn-     nahmen für Arbeitslose von öffent-          werden können. Damit kann auch der
  und Produktivitätseffekten würden         licher Seite deutlich weniger gefördert.    Entstehung und Verfestigung von Ar-
  erhebliche fiskalische Mittel in die      Eine umfassende Weiterbildungspolitik       beitslosigkeit vorgebeugt werden, wie
  öffentlichen Kassen zurückfließen.
                                            würde erhebliche öffentliche Investitio­    sie über Jahrzehnte in Deutschland zu
  Insgesamt wäre zwar eine negative
  fiskalische Bilanz zu erwarten, aber      nen erfordern. Bei positiven Arbeits-       beobachten waren.
  der größte Teil der Ausgaben könnte       marktwirkungen könnte sie für Staat           Ein solcher gesellschaftlicher Nutzen
  ausgeglichen werden.
                                            und Sozialversicherungen aber auch          kann insofern auch staatliche Unter-
  yy Im Zuge der Digitalisierung könn-      zusätzliche Einnahmen generieren und        stützung von Weiterbildung begründen
  te Weiterbildung noch stärkere
  Effekte haben, wenn sie den An-           Transferausgaben vermeiden. In die-         (Weber 2017). Möglich wäre sie etwa
  passungsprozess unterstützt und           sem Kurzbericht schätzen wir die fis-       durch öffentliche Beratungsangebote
  so verhindert, dass strukturelle Ar-      kalische Bilanz einer solchen Politik ab.   zum Thema Qualifizierung, aber auch
  beitslosigkeit entsteht. Ein spezielles
                                                                                        durch finanzielle Förderung der Wei-
  Wirtschaft-4.0-Szenario zeigt für die-
  sen Fall ein noch deutlich höheres        Wenn sich Anforderungen in der Ar-          terbildung. Entsprechende Program-
  Potenzial der fiskalischen Wirkung        beitswelt ändern und erhöhen, ist           me von Bund und Ländern liegen zwar
  von Weiterbildungspolitik.                Weiterbildung ein wichtiges Mittel,         bereits vor; Voraussetzungen, Umfang
  yy Eine umsichtige Ausgestaltung          um Kompetenzen laufend weiterzu-            und Gegenstände der Förderung sind
  und Organisation einer solchen Po-
                                            entwickeln. Weiterbildung nutzt offen-      aber sehr unterschiedlich und einge-
  litik wäre zentral für den Erfolg. Die
  vorliegende Analyse zeigt, dass ein       sichtlich dem Beschäftigten und dem         schränkt (beziehungsweise begüns-
  intensives Engagement möglich             Betrieb. Sie ist aber auch eine gesamt-     tigen hohe Einkommen über die Ab-
  wäre, ohne die öffentlichen Haus-         wirtschaftlich bedeutende Aufgabe:          zugsfähigkeit bei Unternehmens- und
  halte insgesamt zu stark zu belasten.
                                            Investitionen in Weiterbildung sind         Einkommensteuer). Das Qualifizie-
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rungschancengesetz hat aktuell weitere Impulse in                     bessern oder wenn sie höhere Produktivität und
                             der Weiterbildungspolitik gesetzt.                                    Löhne erreichen.
                                  Grundsätzlich sind bei der Entscheidung über                        Wir betrachten in unseren Berechnungen nicht
                             eine Förderung Kosten und Nutzen abzuwägen.                           nur die einmalige Förderung von Maßnahmen, die
                             In diesem Kurzbericht betrachten wir die mögli-                       zu vollwertigen beruflichen Abschlüssen führen.
                             chen fiskalischen Wirkungen einer umfassenden                         Stattdessen soll Weiterbildung als grundlegende
                             Weiterbildungsförderung auf den Staatshaushalt                        gesellschaftliche Aufgabe breit definiert und ihr
                             und die Sozialversicherungen. Den erforderlichen                      Charakter als kontinuierlich und lebensbegleitend
                             Investitionen in die Weiterbildungsförderung                          aufgefasst werden. Deshalb wird auch sogenann-
                             würden bei den öffentlichen Akteuren zusätzliche                      te non-formale Weiterbildung einbezogen. Diese
                             Einnahmen aus höheren Steuer- und Beitragszah-                        findet wie formale Weiterbildung organisiert (z. B.
                             lungen sowie Einsparungen bei Leistungen für Ar-                      in Klassen) statt und gegebenenfalls können auch
                             beitslose gegenüberstehen. Dazu kommt es, wenn                        Zertifikate erworben werden, jedoch führt sie
                             sich durch die umfangreichere Weiterbildung die                       nicht zu anerkannten Abschlüssen. Formale Wei-
                             Beschäftigungsperspektiven der Betroffenen ver-                       terbildung führt dagegen genauso wie die formale

                                                                                                                                                              1
    Annahmen für die Szenarioanalysen
    zz   Weiterbildungsbeteiligung                       nissen in einer sinnvollen Größenordnung. So          Schmillen (2008) von 38,5 Prozent an. Dies ergibt
    Bei der Weiterbildungsbeteiligung unterscheiden      ermitteln zum Beispiel Pfeiffer/Pohlmeier (2011)      im Produkt 5,8 Prozentpunkte. Unter der Annah-
    wir zwischen formaler und non-formaler Weiter-       für ein zusätzliches Jahr Schulausbildung einen       me, dass das Arbeitslosigkeitsrisiko gleichverteilt
    bildung. Als Information zum Status quo der Wei-     Lohneffekt von +8,7 Prozent, während Dauth            über die verbleibende Erwerbszeit der betrachte-
    terbildungsbeteiligung greifen wir auf Kruppe/       (2017) – ohne Unterscheidung zwischen non-            ten Personen eintritt, ist für den Effekt im Schnitt
    Baumann (2019) zurück, die für 30- bis 60-Jährige    formaler und formaler Weiterbildung – für die         die Hälfte der verbleibenden Erwerbszeit relevant,
    anhand von Daten des Nationalen Bildungspa-          Teilnahme gering qualifizierter Beschäftigter an      oder äquivalent ein Effekt von 5,8/2 = 2,9 Prozent-
    nels (NEPS, Wellen 2-8) eine jährliche Beteili-      Weiterbildung Lohnaufschläge von 6 Prozent im         punkten.
    gungsquote an non-formaler Weiterbildung mit         ersten Jahr und 4 Prozent nach drei Jahren findet.    Für unsere Berechnungen gehen wir von einer
    durchschnittlich 40,7 Prozent und an formaler        Für unsere Berechnungen nehmen wir einen              durchschnittlichen Erhöhung der Beschäftigungs-
    Weiterbildung mit durchschnittlich 3,4 Prozent       durchschnittlichen Lohnzuschlag in Höhe von           wahrscheinlichkeit von 2 Prozent für nicht-formale
    ausweisen.                                           2 Prozent für die Teilnahme an non-formaler Wei-      und 2,5 Prozent für formale Weiterbildung aus.
    Für unsere Berechnungen nehmen wir eine Erhö-        terbildung und von 6,7 Prozent für die Teilnahme      zz   Einordnung der Annahmen
    hung der Teilnahmen um 10 Prozentpunkte in der       an formaler Weiterbildung an.
                                                                                                               Die Annahmen zu Weiterbildungsbeteiligung
    non-formalen und 1 Prozentpunkt in der forma-
                                                         zz   Wirkungen auf Beschäftigung                      und -renditen beruhen auf Evidenz aus eigenen
    len Weiterbildung an.
                                                         Die Förderung der Weiterbildung Beschäftigter,        Arbeiten des IAB und aus der einschlägigen Li-
    zz   Wirkungen auf Löhne                             so zeigt Dauth (2017) anhand des Programms            teratur. Darüber hinaus gilt, dass sich je nach
    Ehlert (2017) kommt anhand von Daten des             „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäf-      genutzten Daten, Untersuchungsgegenstand,
    NEPS für die Teilnahme Beschäftigter an be-          tigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen            Methode, regionaler Zuordnung etc. in der Lite-
    trieblich initiierter, non-formaler Weiterbildung    (WeGebAU)“, erhöht die Wahrscheinlichkeit ihres       ratur weitere, heterogene Ergebnisse sowohl zur
    zu einem Stundenlohnaufschlag von 1 Prozent          Verbleibs in sozialversicherungspflichtiger Be-       Weiterbildungsbeteiligung als auch zur Wirkung
    pro Teilnahmewoche. Leu/Gerfin (2004) zeigen         schäftigung in kleinen und mittleren Unterneh-        auf Beschäftigung und Produktivität finden. So
    für die Schweiz einen positiven Lohneffekt von       men bei Geringqualifizierten innerhalb von drei       kommt die Literatur auf Basis des Adult Education
    nicht selbstfinanzierten Weiterbildungen in Höhe     Jahren durchschnittlich um 2,1 Prozentpunkte          Surveys zu deutlich höheren Teilnahmequoten,
    von 1,5 Prozent für Männer und (zeitversetzt) für    beziehungsweise bei über 45-Jährigen innerhalb        Literatur zur Wirkung von Bildungsgutscheinen
    Frauen von 2 Prozent. Pfeifer/Behringer (2008)       von zwei Jahren um durchschnittlich 2,7 Prozent-      zu geringeren Effekten auf die Beschäftigung be-
    schätzen für die Teilnahme an betrieblich finan-     punkte. Hans et al. (2017) schätzen, dass eine Wei-   ziehungsweise die Produktivität.
    zierter Weiterbildung einen durchschnittlichen       terbildungsteilnahme die Wahrscheinlichkeit, im       Die oben zugrunde gelegten Weiterbildungsef-
    dauerhaften Effekt von etwa 3 Prozent. Fahr/         nächsten Jahr arbeitslos zu werden, um 3,4 Pro-       fekte sind an der Mitte des Ergebnisspektrums ori-
    Simons (2008) finden anhand von OLS-Schät-           zent verringert. Auch Pfeifer/Behringer (2008) fin-   entiert und sollen zu optimistische Annahmen ver-
    zungen für die Teilnahme an Weiterbildung sogar      den einen solchen signifikanten Effekt.               meiden. Da die Effekte aber natürlich nicht sicher
    einen Lohnzuschlag von 7,5 Prozent.                  Zur formalen Weiterbildung von Arbeitslosen           sind, können die Auswirkungen einer Variation der
    Kruppe/Lang (2014) berechnen für Beschäftigte,       finden Kruppe/Lang (2018) nach 7 Jahren einen         Annahmen von Interesse sein. Hierbei würden sich
    die zuvor arbeitslos waren und währenddessen         Effekt von +19,5 Prozentpunkten. Für die hier be-     die fiskalischen Mehreinnahmen beziehungswei-
    an einer formalen Weiterbildung teilgenommen         trachtete Zielgruppe dürfte dieser Wert aber zu       se Einsparungen (vgl. Spalte (1) in Tabelle T1 auf
    haben, einen durchschnittlichen Lohnaufschlag        hoch liegen, da die Personen bereits beschäftigt      Seite 5) in etwa proportional zur Annahmeände-
    in Höhe von 6,7 Prozent. Dieser Wert liegt unseres   sind. Deshalb legen wir den Anteil der Beschäf-       rung bei den Wirkungsparametern verhalten.
    Erachtens verglichen mit anderen Studienergeb-       tigten mit Arbeitslosigkeitsrisiko nach Möller/

2        IAB-Kurzbericht 8|2019
Öffentliche Ausgaben generieren hohe Rückflüsse - IAB
Erstausbildung zu anerkannten Schul-, Hochschul-        am Volkseinkommen) lag im Jahr 2017 bei 68,5 Pro-
und Berufsabschlüssen.                                  zent. Dementsprechend wird berücksichtigt, dass
                                                        zusätzliche 31,5 Prozent als Unternehmens- und
                                                        Vermögenseinkommen für Körperschafts-, Ge-
Ein Szenario umfassender
                                                        werbe- und veranlagte Einkommensteuer relevant
Weiterbildungspolitik
                                                        werden.2 Hierfür wird, Spengel et al. (2016) folgend,
Mit Szenarioanalysen werden im Folgenden die            ein gesamter Steuersatz von 28,2 Prozent verwen-
fiskalischen Wirkungen einer erhöhten Weiterbil-        det. Bei den Lohneffekten der Weiterbildung gehen
dungsförderung ermittelt. Dazu stellen wir den          wir davon aus, dass diese mit einer proportional
fiskalischen Kosten einer umfassenden Weiterbil-        erhöhten Arbeitsproduktivität einhergehen. Diese
dungspolitik die fiskalischen Erträge aus Mehr-         Annahme ist als eher vorsichtig einzustufen, da
einnahmen bei Steuern und Sozialversicherung            Evaluationsergebnisse zur Weiterbildung teils deut-
sowie Minderausgaben bei Transferleistungen             lich überproportionale Effekte auf die Produktivi-
gegenüber.                                              tät finden. Schließlich wird die Umsatzsteuer auf
                                                        den Konsum aus dem zusätzlichen Nettolohnein-
Erträge der Weiterbildung                               kommen berücksichtigt. Dafür werden eine Spar-
Evaluationsstudien zeigen zumeist deutlich po-          quote von 10 Prozent und ein durchschnittlicher
sitive Effekte der Weiterbildung auf Einkommen,         Verbrauchssteuersatz von 12 Prozent unterstellt
Beschäftigung und Produktivität (vgl. Infobox 1).       (Hausner/Engelhard/Weber 2014).
Fiskalisch relevant werden positive Lohn- und
Beschäftigungseffekte bei der Einkommensteuer,          Kosten der Weiterbildung
bei den Sozialversicherungsbeiträgen sowie bei          Bei den Kosten der Weiterbildung orientieren wir
Einsparungen von Leistungen für Arbeitslose aus         uns an den Ergebnissen der vierten europäischen
der Arbeitslosenversicherung und der Grundsiche-        Erhebung über die berufliche Weiterbildung, CVTS4
rung.1 Diese Größen werden mithilfe des Mikrosi-        (Statistisches Bundesamt 2013). Demnach entfallen
mulationsmodells des IAB (IAB-MSM) quantifiziert        auf eine durchschnittliche non-formale Weiterbil-
(Bruckmeier et al. 2018), indem die fiskalischen Ef-    dung 22 Stunden mit direkten Kosten von 947 Euro
fekte steigender Bruttostundenlöhne und sinken-         und 846 Euro Personalausfallkosten. Bei formaler
der Arbeitslosigkeitsrisiken simuliert werden.          Weiterbildung unterstellen wir eine Förderung mit
  Die Annahmen zu den Weiterbildungsrenditen            einer Lohnersatzleistung von 80 Prozent des Netto­
beruhen auf Evidenz aus eigenen Arbeiten des IAB        entgelts zuzüglich Sozialversicherungsbeiträgen.
und aus der einschlägigen Literatur (vgl. Infobox 1).   Der gegenüber dem Arbeitslosengeld erhöhte Satz
Für den Lohneffekt unterstellen wir, dass die Brut-     soll hinreichende Anreize zur Aufnahme einer Wei-
tostundenlöhne der Weiterbildungsteilnehmer             terbildung sicherstellen (Osiander/Dietz 2016) und
dauerhaft gemäß der in der Infobox genannten            orientiert sich an vergangenen Regelungen im Ar-
Renditen steigen. Für den direkten Beschäfti-           beitsförderungsgesetz, dem Vorläufer des Dritten
gungseffekt der Weiterbildung wird angenommen,          Sozialgesetzbuches (SGB III). Als direkte Kosten
dass das Risiko unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der     einer beruflichen Ausbildung werden die gleichen
Geförderten sinkt. Hierfür wenden wir empiri-           Stundensätze wie bei non-formaler Weiterbildung
sche Beschäftigungseffekte von non-formaler und         angesetzt, was als Obergrenze zu sehen ist. Bei ei-
formaler Weiterbildung an. Wir gehen davon aus,         nem Studium werden die durchschnittlichen jährli-
dass die Weiterbildungseffekte über das verblei-        chen Kosten eines Studienplatzes gemäß Bildungs-
bende Erwerbsleben der Geförderten andauern.            finanzbericht 2017 herangezogen.
  Mehreinnahmen ergeben sich auch bei den Un-
ternehmenssteuern, da die Wertschöpfung der Un-         1
                                                         Effekte durch zusätzlich in der Weiterbildung beschäftigte Per-
                                                        sonen werden dabei nicht betrachtet, weil gesamtwirtschaftlich
ternehmen steigt, wenn Arbeitslosigkeit vermieden       nicht davon auszugehen ist, dass bei alternativer Mittelverwen-
                                                        dung keine anderweitige Beschäftigung bestünde.
und stattdessen Arbeitskraft eingesetzt wird. Die       2
                                                         Implizit wird damit eine Anpassung des Kapitalstocks angenom-
Lohnquote (der Anteil des Arbeitnehmerentgelts          men, die zumindest mittelfristig empirisch gut belegt ist.

                                                                                                                       IAB-Kurzbericht 8|2019   3
Öffentliche Ausgaben generieren hohe Rückflüsse - IAB
Mögliche Mitnahmeeffekte und Verdrängung              lung befinden. Für formale Weiterbildung kom-
                        Wie bei jeder öffentlichen Förderung kann es bei      men nur Personen infrage, die das 61. Lebensjahr
                        einer umfassenden Weiterbildungspolitik zu Mit-       noch nicht vollendet haben. Darüber hinaus dür-
                        nahmeeffekten kommen. In diesen Fällen könnten        fen die Personen nicht bereits über einen Hoch-
                        die entsprechenden Maßnahmen in unserem Sze-          schulabschluss verfügen. Da arbeitslos gemeldete
                        nario also nicht als zusätzlich betrachtet werden.    Personen bereits von den Weiterbildungsangebo-
                        Zwar würden sich über Unternehmens- und ande-         ten der Sozialgesetzbücher III und II profitieren,
                        re Steuern noch gewisse fiskalische Rückflüsse der    gehören sie nicht zur Zielgruppe der betrachteten
                        Kosten ergeben, da die Fördermittel Einnahmen         Weiterbildungsprogramme.
                        der Privaten darstellen, also zum Beispiel in Un-
                        ternehmensgewinnen und Einkommen zu Buche
                                                                              Weiterbildung für die Wirtschaft 4.0
                        schlagen. Eine Weiterbildungsförderung müsste
                        aber so ausgestaltet werden, dass Investitionen der   In einem weiteren Szenario schätzen wir das fiska-
                        Betriebe in möglichst geringem Umfang verdrängt       lische Potenzial umfassender Weiterbildungspolitik
                        würden und die Verantwortung für Weiterbildung        ab, wenn sich Arbeit und benötigte Kompetenzen
                        bei den Betrieben und Beschäftigten erhalten blie-    durch die Umsetzung der Wirtschaft 4.0 weitrei-
                        be. Anhaltspunkte liefert hier das Gesetz zur Stär-   chend verändern. Der Bedarf, Kompetenzen wei-
                        kung der Chancen für Qualifizierung und mehr          terzuentwickeln, ist hier also besonders groß. So
                        Schutz in der Arbeitslosenversicherung. Hiermit       stellen Warning/Weber (2017) auf Basis der IAB-
                        sollen Weiterbildungen gefördert werden, die eher     Stellenerhebung fest, dass Betriebe mit Digitali-
                        generelle Kenntnisse und Fähigkeiten entwickeln.      sierungstrend bei Einstellung von neuem Personal
                        Bei der Förderung wird zudem – abhängig von der       häufiger zusätzliche Fähigkeiten aus Kursen verlan-
                        Betriebsgröße – ein bestimmtes Niveau an Eigen-       gen. Deutlich steigender Weiterbildungsbedarf im
                        finanzierung an der Weiterbildung vorausgesetzt,      Hinblick auf die Digitalisierung ergibt sich auch aus
                        damit die Förderung greift. Theoretisch könnte das    der IAB-ZEW-Betriebsbefragung „Arbeitswelt 4.0“.
                        Risiko bestehen, dass nicht geförderte Beschäftigte     Während sich Bildungspolitik im Wesentlichen
                        verdrängt werden. Dagegen spricht, dass Weiter-       mit der Erstausbildung und Arbeitsmarktpolitik
                        bildung die Qualität des Produktionsfaktors Arbeit    mit Arbeitslosen befasst, muss der technologische
                        verbessert und somit die Nachfrage nach diesem        Umbruch vor allem von den aktuell Beschäftig-
                        Faktor erhöhen sollte. Forschungsergebnisse zei-      ten bewältigt werden (Weber 2017). Dies verleiht
                        gen sogar positive Spillover-Effekte im Betrieb (De   Weiterbildungspolitik eine besondere Bedeutung,
                        Grip/Sauermann 2012).                                 denn falls die nötige Anpassungsleistung im Ar-
                             Auch bei enger Orientierung an Ergebnissen aus   beitsmarkt nicht gelingt, drohen negative Konse-
                        der einschlägigen Literatur verbleiben naturge-       quenzen für die Beschäftigung. Deren möglicher
                        mäß Unsicherheiten bezüglich der Arbeitsmarkt-        Umfang wird im Folgenden mittels zweier Ansätze
                        wirkungen von Weiterbildung. So steht nicht fest,     abgeschätzt.
                        welche Beteiligung realisiert werden kann oder          Von 1970 bis 2005 stieg die Arbeitslosenquote
                        wie Effekte ausfallen, wenn der Umfang erheblich      in Deutschland um 12 Prozentpunkte. Auch hier
                        über das bisherige Maß erhöht wird.                   erfolgte ein tiefgreifender strukturell-technolo-
                             Das Szenario sieht eine Erhöhung der Teilnah-    gischer Wandel, vor allem infolge der Automa-
                        me um 10 Prozentpunkte in der non-formalen und        tisierung und Computerisierung. Wenn es dazu
                        1 Prozentpunkt in der formalen Weiterbildung vor,     kommt, dass Humankapital und Kompetenzen
                        was jeweils einem Plus von etwa einem Viertel ge-     durch einen solchen Wandel entwertet werden
                        genüber dem Status Quo entspricht (vgl. Infobox 1).   (Ljungqvist/Sargent 1998), können nach Jobver-
                        Wir nehmen an, dass für non-formale Weiterbil-        lusten Verfestigungseffekte in der Arbeitslosigkeit
                        dung Personen infrage kommen, die bis 64 Jahre        auftreten. So stellen Klinger/Weber (2016) fest, dass
                        alt sind, keine Altersrente beziehen und sich nicht   die über Jahrzehnte gestiegene Arbeitslosenquote
                        bereits in einer Berufsausbildung oder Umschu-        in Deutschland auf solche Hysterese-Effekte zu-

4   IAB-Kurzbericht 8|2019
rückzuführen ist. Im Durchschnitt ergibt sich über                        Ergebnisse der Szenarioanalysen
die genannte Zeitspanne pro Jahr ein Anstieg um
1/3 Prozentpunkt. Angelegt auf die heutige Bezugs-                        Szenario „Umfassende Weiterbildungspolitik“
größe der Arbeitslosenquote entspricht das 150.000                        Tabelle T1 zeigt die simulierten fiskalischen Effek-
Personen jährlich.                                                            te einer umfassenden Weiterbildungspolitik unter
  Wolter et al. (2016) erstellen eine umfassende                          den getroffenen Annahmen. Da die fiskalischen
Projektion der Arbeitsmarktwirkungen von Wirt-                            Kosten und Erträge über unterschiedliche Zeiträu-
schaft 4.0. Während sich der Beschäftigtenbestand                             me anfallen, muss für einen Vergleich ihr Gegen-
kaum ändert, entfallen und entstehen zusätzlich                               wartswert berechnet werden. In der Basisvariante
je rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze bis zum Jahr                          unserer Simulation unterstellen wir einen Diskont-
2025. Würde aber auch hier eine Entwertung von                                satz von 1,5 Prozent. Weiter ist zu beachten, dass
Kompetenzen und die Verfestigung von Arbeitslo-                           keine Gleichgewichtseffekte abgebildet werden.
sigkeit eintreten, käme es zu einem Nettobeschäf-                         Die Ergebnisse sind somit als „Erstrundeneffekte“
tigungsverlust. Pro Jahr läge dieser ebenfalls bei                            zu interpretieren.
150.000 Personen.                                                               Die diskontierten fiskalischen Kosten für die
  Deshalb simulieren wir im Szenario zu Wirt-                             Durchführung der formalen und nicht-formalen
schaft 4.0 ausschließlich die fiskalischen Wir-                           Weiterbildung belaufen sich auf etwa 33 Mrd. Euro
kungen von Jobverlusten in dieser Höhe. Die                               (vgl. Spalte (2) in Tabelle T1), also rund 40 Prozent
Verteilung der Beschäftigungsverluste auf die vier                        der gesamten Mindereinnahmen und Kosten des
Anforderungsgruppen Helfer, Fachkraft, Spezialist                         Weiterbildungsprogramms von 82,9 Mrd. Euro.
und Experte erfolgt nach den Substituierbarkeits-                         Für staatlich zu tragende Lohnersatzleistungen
potenzialen von Dengler/Matthes (2018).                                   und Sozialversicherungszuschüsse bei formaler

                                                                                                                              T1
Fiskalische Effekte des Szenarios „Umfassende Weiterbildungspolitik“
Diskontierte Einnahmen und Ausgaben bei einem Diskontsatz von 1,5 Prozent – in Millionen Euro

                                                                      Fiskalische              Fiskalische
                                                                    Mehreinnahmen          Mindereinnahmen
                                                                                                                      Saldo
                                                                         bzw.                      und
                                                                     Einsparungen         Weiterbildungskosten
                                                                          (1)                       (2)                (3)
 Lohnsteuer                                                             20.804                      4.059         + 16.745
 Unternehmenssteuern                                                    11.933                      4.442         + 7.491
 Sozialversicherungsbeiträge Arbeitnehmer                               12.977                      4.936         + 8.041
 Sozialversicherungsbeiträge Arbeitgeber                                16.024                      5.502         + 10.522
 Umsatzsteuer                                                             8.970                     3.079         + 5.891
 ALG II (Regelsatz)                                                       1.304                                   + 1.304
 ALG II (Kosten der Unterkunft)                                           1.297                                   + 1.297
 Wohngeld                                                                     137                                 +     137
 Kinderzuschlag                                                               120                                 +     120
 Personalausfallkosten nicht-formale Weiterbildung                                                  2.655         – 2.655
 Lohnersatzleistung formale Weiterbildung                                                          13.681         – 13.681
 Zuschüsse zur Sozialversicherung                                                                  11.597         – 11.597
 Direkte Weiterbildungskosten (formal)                                                             30.021         – 30.021
 Direkte Weiterbildungskosten (non-formal)                                                          2.972         – 2.972
 Gesamt                                                                 73.565                     82.943         – 9.379
 Nachrichtlich: Fiskalische Effekte bei einem Diskontsatz von ...
       ... 0 Prozent                                                    87.390                     83.408         + 3.982
       ... 3 Prozent                                                    63.160                     82.494         – 19.334

Quelle: IAB-Mikrosimulationsmodell (IAB-MSM) und eigene Berechnungen. © IAB

                                                                                                                                   IAB-Kurzbericht 8|2019   5
Weiterbildung sowie die Personalausfallkosten bei                               Zukunft realistischen Bereich des zu erwartenden
                                   non-formaler Weiterbildung fallen weitere Ausga-                               realen Zinsniveaus abbildet.3 Die letzten beiden
                                   ben von 27,9 Mrd. Euro an. Neben den direkten                                  Zeilen der Tabelle T1 berichten die entsprechen-
                                  Kosten der Weiterbildung und den Kosten für die                                 den fiskalischen Gesamteffekte. Während im Ver-
                                  Förderung der Weiterbildung entstehen auf Staats-                               gleich zur Basissimulation (Diskontsatz 1,5 %) die
                                   seite aufgrund der geringeren Wertschöpfung wei-                               fiskalischen Verluste bei einem Diskontsatz von
                                   tere Mindereinnahmen bei Steuern, Sozialversi-                                 3 Prozent auf 19,3 Mrd. Euro wachsen, ergeben
                                   cherungsbeiträgen und Umsatzsteuern, die in der                                sich bei einem Diskontsatz von 0 Prozent staatliche
                                   Summe rund 22 Mrd. Euro betragen.                                              Gewinne von knapp 4 Mrd. Euro.
                                      Die diskontierten fiskalischen Mehreinnahmen
                                   im Szenario „Umfassende Weiterbildungspolitik“                                 Szenario „Wirtschaft 4.0 – Strukturprobleme“
                                   werden in Spalte (1) der Tabelle T1 dargestellt.                               Bei den bisherigen Simulationen ist nicht berück-
                                  Für das Weiterbildungsprogramm mit diskontier-                                  sichtigt, dass durch Weiterbildung größere fiska-
                                   ten Mehreinnahmen simulieren wir einen posi-                                   lische Wirkungen resultieren, wenn zusätzlich
                                   tiven Effekt auf die öffentlichen Haushalte von                                negative Beschäftigungswirkungen im Zuge der
                                   rund 73,6 Mrd. Euro. Davon entfallen 32,7 Mrd.                                 Umsetzung von Wirtschaft 4.0 zumindest teilweise
                                  Euro (45 %) auf Lohn- und Unternehmenssteuern,                                  verhindert werden können. In Tabelle T2 weisen
                                  29 Mrd. Euro (39 %) auf Sozialversicherungsbeiträ-                              wir die diskontierten fiskalischen Effekte dieses
                                   ge, 9 Mrd. Euro (12 %) auf die Umsatzsteuer und                                Szenarios wiederum für die drei verschiedenen Dis-
                                  2,9 Mrd. Euro (4 %) auf reduzierte Ausgaben der                                 kontsätze aus. Es wird deutlich, dass bei einem Ein-
                                   bedarfsgeprüften Sozialleistungen. Im Saldo er-                                treten der potenziellen negativen Beschäftigungs­
                                   gibt sich somit auf Seiten des Staates ein Minus in                            effekte mit hohen fiskalischen Kosten zu rechnen
                                  Höhe von 9,4 Mrd. Euro bei Umsetzung der hier                                   ist, die je nach Diskontsatz zwischen 48,4 Mrd.
                                   betrachteten Weiterbildungspolitik.                                            Euro (bei 0 %) und 34 Mrd. Euro (bei 3 %) betragen.
                                      Um der Unsicherheit bei der Wahl des Diskont-                                   Wie erläutert sind weder die Verluste von 150.000
                                   satzes Rechnung zu tragen, haben wir die Simu-                                 Jobs pro Jahr durch die Wirtschaft 4.0 noch deren
                                   lation für zwei weitere Werte – 0 Prozent und                                  Vermeidung durch Weiterbildung sicher. Eine fis-
                                  3 Prozent – wiederholt, was einen für die nähere                                kalische Gesamtbeurteilung des Weiterbildungs-
                                                                                                                  programms hängt demnach entscheidend davon
                                                                                                     T2           ab, inwiefern es geeignet ist, den im Szenario
Fiskalische Effekte des Szenarios „Wirtschaft 4.0 – Strukturprobleme“                                             „Wirtschaft 4.0 – Strukturprobleme“ unterstellten
bei unterschiedlichen Diskontraten                                                                                Beschäftigungsrückgang zu vermeiden. Die opti-
Salden1) – in Millionen Euro                                                                                      mistischste Annahme ist, dass im Szenario „Um-

                                                                     Diskontsatz
                                                                                                                  fassende Weiterbildungspolitik” das untersuchte
                                                0 Prozent             1,5 Prozent             3 Prozent           Programm die negative Wirkung vollständig ver-
     Lohnsteuer                                 – 8.366                – 7.021                – 6.018             hindert. In dem Fall wäre es aus fiskalischen Ge-
     Unternehmenssteuern                        – 7.847                – 6.491                – 5.495             sichtspunkten auch bei Diskontsätzen von 1,5 Pro-
     Sozialversicherungsbeiträge                                                                                  zent oder 3 Prozent deutlich positiv zu beurteilen.
                                                – 10.086               – 8.335                – 7.050
     Arbeitnehmer
                                                                                                                  Auch bei nicht vollständiger Wirkung blieben die
     Sozialversicherungsbeiträge
                                                – 10.537               – 8.716                – 7.379
     Arbeitgeber                                                                                                  Gesamteffekte positiv, wenn bei einem Diskontsatz
     Umsatzsteuer                               – 5.682                – 4.693                – 3.968             von 1,5 Prozent beziehungsweise 3 Prozent min-
     ALG II (Regelsatz)                         – 3.635                – 2.986                – 2.509             destens 23,4 Prozent beziehungsweise 56,9 Prozent
     ALG II (Kosten der Unterkunft)             – 2.736                – 2.252                – 1.895
                                                                                                                  der Kosten des Szenarios „Wirtschaft 4.0 – Struktur-
     Wohngeld                                   +    229               +    185               +    153
                                                                                                                  probleme“ verhindert würden.
     Kinderzuschlag                             +    277               +    226               +    189
     Gesamt                                     – 48.382               – 40.083               – 33.973            3
                                                                                                                    In der Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre waren Zinsen auf
                                                                                                                  deutsche Staatsanleihen sogar oft negativ. Insofern ist selbst ein
 Dargestellt werden die fiskalischen Wirkungen von Jobverlusten durch Strukturprobleme im Zuge des Wan-
1)
                                                                                                                  Diskontsatz von 0 Prozent keineswegs unrealistisch. Mittelfristig
dels zur Wirtschaft 4.0. Ein positives (negatives) Vorzeichen entspricht fiskalischen Mehr- (Minder-)einnahmen.   ist aber ein Umsteuern bei der extrem expansiven Geldpolitik zu
Quelle: IAB-Mikrosimulationsmodell (IAB-MSM) und eigene Berechnungen. © IAB                                       erwarten.

6         IAB-Kurzbericht 8|2019
Fazit                                                   (Diskontsatz 0 %). Umfassende Weiterbildung
                                                        könnte hier dazu beitragen, strukturelle Probleme
In diesem Bericht bilden wir modellhaft die ge-         bei der Anpassung des Arbeitsmarkts abzumildern,
samtfiskalischen Wirkungen einer umfassenden            sodass die entsprechenden fiskalischen Kosten zu-
Weiterbildungspolitik ab. Konkret betrachten wir        mindest teilweise vermieden würden. Der fiskali-
die Förderung von formaler und non-formaler             sche Hebel der Weiterbildungspolitik würde hier
Weiterbildung bezüglich direkter und indirekter         also möglicherweise deutlich stärker ausfallen als          Prof. Dr. Enzo Weber
                                                                                                                  ist Leiter des Forschungs-
Kosten, die aus Personalausfallkosten sowie Kos-        im oben geschilderten Szenario.                           bereichs „Prognosen und
ten des Lebensunterhalts während der Weiterbil-           Für den Erfolg einer umfassenden Weiterbil-               gesamtwirtschaftliche
                                                                                                                       Analysen“ im IAB.
dungsteilnahme bestehen. Daneben schätzen wir           dungspolitik wäre deren Organisation zentral. Es
                                                                                                                     enzo.weber@iab.de
positive Effekte auf Beschäftigungswahrschein-          empfiehlt sich, Förder- und Beratungsangebote
lichkeit, Lohn und Produktivität ab, die zu zusätz-     zugleich an Arbeitnehmer und Betriebe zu rich-
lichen Einnahmen und Einsparungen bei Staat             ten (Weber 2017). Betriebe verfügen über wichti-
und Sozialversicherungen führen. Die gesamten           ge aktuelle Informationen zu Anforderungen aus
Kosten der Weiterbildungspolitik werden schließ-        Produktions- und Marktsicht, die sich die Politik
lich mit den positiven fiskalischen Effekten bei den    zunutze machen sollte. Eine enge Kooperation
öffentlichen Haushalten verglichen, um den fiska-       mit Betrieben würde zugleich die Unsicherheit
lischen Gesamteffekt zu bestimmen.                      über die Verfügbarkeit des Personals reduzie-
  Es zeigt sich, dass Ausgaben für Weiterbildungs-      ren und ihre Verantwortung in Sachen Personal-
                                                                                                                  PD Dr. Thomas Kruppe
förderung hohe Rückflüsse generieren. Bei einem         entwicklung stärken, beispielsweise auch über           ist Mitarbeiter im Forschungs-
unterstellten Diskontsatz von 1,5 Prozent stehen        Netzwerkvorteile in überbetrieblichen Weiterbil-        bereich „Arbeitsförderung und
                                                                                                                    Erwerbstätigkeit“ im IAB.
den notwendigen Investitionen von rund 82,9 Mrd.        dungsverbünden und -zentren. Wenn vorhandene
                                                                                                                   thomas.kruppe@iab.de
Euro fiskalische Vorteile von rund 73,6 Mrd. Euro       Weiterbildungsmöglichkeiten nicht ausreichen
gegenüber. Für das Gesamtprogramm resultiert            oder die angestrebten Maßnahmen etwa im Fall
somit eine fiskalische Bilanz von –9,4 Mrd. Euro.       beruflicher Umorientierung nicht sinnvoll auf be-
Bei einem alternativen Diskontsatz von 0 Prozent        trieblicher Ebene angesiedelt sind, sollte Weiterbil-
wäre die fiskalische Bilanz des Programms po-           dungspolitik aber auch stärker personenorientiert
sitiv (+4 Mrd. Euro), während sie sich bei einem        arbeiten.
Diskontsatz von 3 Prozent verschlechtern würde            Bezüglich eines konkreten Finanzierungsmodells
(–19,3 Mrd. Euro). Sollten Mitnahmeeffekte ein-         sind schließlich verschiedene Varianten, zum Bei-
treten, würde die Bilanz schlechter ausfallen. Zu       spiel über eine Arbeitsversicherung, Fondslösun-
                                                                                                                     Jannek Mühlhan
beachten ist, dass es sich um die rein fiskalische      gen, Steuererleichterungen, staatliche Beihilfen            ist Mitarbeiter in der
Bilanz der öffentlichen Hand handelt, die also den      und Ähnliches denkbar. Konkrete Modelle finden               Forschungsgruppe
                                                                                                                „Grundsicherungsbezug und
Nutzen für die Bürger – der für Politik in erster Li-   sich etwa in Frankreich, Belgien, Dänemark, Irland         Arbeitsmarkt“ im IAB.
nie handlungsleitend ist – nicht einbezieht.            und Schweden. Ein erster Schritt in Deutschland ist      jannek.muehlhan2@iab.de
  Diese Berechnungen beruhen auf Weiterbil-             das Qualifizierungschancengesetz. Auch angebots-
dungseffekten, die in der Vergangenheit gemes-          seitig wären für eine substanzielle Erhöhung der
sen wurden. Der technologische und strukturel-          Weiterbildungsaktivität die Voraussetzungen zu
le Wandel, wie etwa mit der Digitalisierung und         schaffen. Vor allem die Möglichkeit formaler Aner-
Umstellung zu einer Wirtschaft 4.0, dürften aber        kennung würde die Relevanz von Weiterbildung für
mit besonders starken Änderungen von qualifi-           die berufliche Entwicklung erhöhen (Weber 2017),
katorischen Anforderungen einhergehen (Weber            wodurch die Effekte auch stärker ausfallen könnten
2017). In einem speziellen Wirtschaft-4.0-Szenario,     als in den vorliegenden Berechnungen.
in dem wir von einem dauerhaften Rückgang der             Insgesamt wird in der Weiterbildungspolitik ein
                                                                                                                      Jürgen Wiemers
Beschäftigung um 150.000 Personen infolge von           schrittweises Vorgehen mit Rückkopplung von Er-             ist Mitarbeiter in der
                                                                                                                     Forschungsgruppe
Anpassungsproblemen ausgehen, simulieren wir            fahrungswerten anzuraten sein, auch wenn in der
                                                                                                                „Grundsicherungsbezug und
damit verbundene fiskalische Kosten in Höhe von         Simulationsstudie die Wirkungen eines Gesamtpa-            Arbeitsmarkt“ im IAB.
34 Mrd. Euro (Diskontsatz 3 %) bis 48,4 Mrd. Euro       kets betrachtet werden.                                   juergen.wiemers@iab.de

                                                                                                           IAB-Kurzbericht 8|2019      7
Nicht-monetäre Unterstützung vor allem in Form                          Kruppe, T.; Lang, J. (2018): Labour market effects of retrai-
                                                                                                  ning for the unemployed – the role of occupations. In:
                        von Beratungsleistungen sollte ebenfalls Teil eines                       Applied Economics, Vol. 50, No. 14, S. 1578–1600.
                        Politikpakets sein. Denn bei den Ursachen fehlen-                       Leu, R. E.; Gerfin, M. (2004): Determinanten und Wir-
                        der Weiterbildungsbeteiligung liegen finanzielle                          kungen der beruflichen Weiterbildung. Nationales For-
                                                                                                  schungsprogramm Bildung und Beschäftigung in der
                        Gründe zwar vorne, aber auch andere Punkte etwa                           Schweiz, NFPNR 24, Synthesis 24, Bern.
                        bezüglich der Lernkompetenz, der Organisation                           Ljungqvist, L.; Sargent, T. J. (1998): The European Unem-
                        der Weiterbildung oder des Auffindens passender                           ployment Dilemma. Journal of Political Economy, 106,
                                                                                                  S. 514–550.
                        Angebote sowie die subjektive Wahrnehmung des
                                                                                                Möller, J.; Schmillen, A. (2008): Verteilung von Arbeitslosig-
                        Nutzens spielen eine Rolle.                                              keit im Erwerbsleben: Hohe Konzentration auf wenige
                                                                                                 – steigendes Risiko für alle. IAB-Kurzbericht Nr. 24.
                                                                                                Osiander, C.; Dietz, M. (2016): Determinanten der Weiter-
                        Literatur
                                                                                                  bildungsbereitschaft: Ergebnisse eines faktoriellen Sur-
                        Bruckmeier, K.; Mühlhan, J.; Wiemers, J. (2018): Erwerbstä-               veys unter Arbeitslosen. In: Journal for Labour Market
                          tige im unteren Einkommensbereich stärken – Ansätze                     Research, Vol. 49, No. 1, S. 59–76.
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                          sigkeit nochmals gesunken. IAB-Kurzbericht Nr. 2.                      Ökonomie: Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-
                        Klinger, S.; Weber, E. (2016): Detecting unemployment                    IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. IAB-
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                        Kruppe, T.; Lang, J. (2014): Labour market effects of retrai-
                          ning for the unemployed – the role of occupations. IAB-
                          Discussion Paper Nr. 20.

                        Impressum | IAB-Kurzbericht Nr. 8, 2.4.2019 | Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit,
                        90327 Nürn­berg | Redaktion: Elfriede Sonntag | Graphik & Gestaltung: Monika Pickel |Foto: Jutta Palm-Nowak | Druck: MKL Druck GmbH
                        & Co. KG, Ostbevern | Rechte: Nach­druck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des IAB | Bezug: IAB-Bestellservice, c/o wbv Media
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                        abweichen); Fax: 0911-179-9227; E-Mail: iab-bestellservice@wbv.de | IAB im Internet: www.iab.de. Dort finden Sie unter anderem diesen
                        Kurzbericht zum kostenlosen Download | Anfragen: iab.anfragen@iab.de oder Tel. 0911-179-5942 | ISSN 0942-167X

8   IAB-Kurzbericht 8|2019
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