Mer zmedien + erziehung - merz-Zeitschrift

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Mer zmedien + erziehung - merz-Zeitschrift
merz
                                             64. Jahrgang Nr. 2 April 2020 10,00 EURO

                                                medien + erziehung
                  zeitschrift für medienpädagogik

Beruf Medienpädagog*in

Weitere Themen

 Das Phänomen Sexting – (k)ein Kinderspiel
 Digitalisierung von Organisationsprozessen an Schulen
 Makerspace, Hackerspace und Social Lab im universitären Kontext

                                                                    kopaed
merz inhalt

     merz                        medien + erziehung                                    2.20

2 aktuell                                         60 spektrum
                                                  60   Das Phänomen Sexting –
6 thema                                                (k)ein Kinderspiel
                                                       Die Relevanz einer sexualbezogenen
  Beruf Medienpädagog*in                               Medienkompetenz
6    Wege zum Beruf Medienpädagog*in                   Nora Ulbing
     Editorial                                    67   Digitalisierung von
     Klaus Lutz, Eike Rösch                            Organisationsprozessen an Schulen
10   Theoretische Begründungslinien                    Ramona Dietrich
     der Medienpädagogik                          74   Makerspace, Hackerspace und
     Ein Überblick                                     Social Lab im universitären Kontext
     Patrick Bettinger                                 Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen
22   Medienpädagogik als eigener Beruf                 Claudia Schumacher
     Kai-Uwe Hugger
32   40 Jahre medienpädagogische Arbeit           81 medienreport
     Ein Interview mit Günther Anfang, JFF        81   Keine Zeit für gewöhnliches Kino
37   Medienpädagogik                                   70. Berlinale – starke Sektion
     Qualifizierungsmöglichkeiten für ein              GENERATION
     heterogenes Berufsfeld                            Markus Achatz
     Johannes Fromme, Steffi Rehfeld,             87   KonterBUNT – Kontern gegen
     Josefa Much                                       Stammtischparolen
49   Medienpädagogische Praxisarbeit                   Antworten auf Stereotype
     für Kinder und Jugendliche                        Dana Neuleitner
     Leitlinien für qualitätsvolle Vorhaben
     zwischen Kontinuität und Wandel              89 publikationen
     Mareike Schemmerling                         91   kurz notiert

                                                  93 impressum
                                                  94 service
                                                  96 kolumne
                                                  96   Lebst du noch – oder bist du online?
                                                       Hans-Dieter Kübler

     CC BY 4.0 Jürgen Sleegers

                                                                                              1
D21-Digital-Index                   tainment-Angebote und Soziale      repräsentative Zufallsstichpro-
2019/2020                           Medien. Diese werden bevor-        be, wobei aus der Herausgabe­
                                    zugt von Jüngeren und tenden-      nicht hervorgeht, ob beide
Die zunehmende Digitalisie-         ziell eher von Männern genutzt.    Stichproben­ziehungen repräsen-
rung der deutschen Bevölke-         YouTube wird beispielsweise von    tativ sind. Zur Methodik liegt
rung ist auch auf deren steigen-    70 Prozent der 14- bis 19-Jähri-   nur ein überblicksartiger Steck-
de Digitalkompetenz zurück-         gen, aber nur von zwölf Prozent    brief vor.
zuführen. Zu diesem Ergebnis        der über 64-Jährigen genutzt.      www.initiatived21.de
kommt der D21-Digital-Index         Kompetenzen im Umgang mit
2019/2020 der wirtschafts­          dem Smartphone sind weiter         Maurice Pflug
nahen Initiative D21. Der Index     verbreitet als Kompetenzen im
hat mit 58 Punkten (+ 3 Punkte      Umgang mit klassischen Com-
im Vergleich zum Vorjahr) einen     puteranwendungen. Personen         Neue Plattform:
neuen Höchstwert erreicht. Er       mit niedrigem Bildungsniveau       Jugendliche gegen
setzt sich aus den vier Fakto-      schneiden in allen Kompetenz-      extremistische
ren Zugang (+ 4), Nutzungsver-      bereichen unterdurchschnitt-       Ansprachen stärken
halten (+ 4), Kompetenz (+ 3)       lich ab.
und Offenheit (+ 1) zusammen;       Im Schnitt waren den Befrag-       Das Präventionsprojekt RISE –
im Langzeittrend vor allem mit      ten zwei Drittel der abgefrag-     Jugendkulturelle        Antworten
einer kontinuierlichen Zunah-       ten Fachbegriffe unbekannt.        auf islamistischen ­Extremismus
me beim Zugang. Dieser Trend        Beispiele für Fachbegriffe sind:   ­verfolgt das Ziel, das demokrati-
beruht vor allem auf den rela­      Künstliche Intelligenz (61 % be-    sche Werteverständnis Jugend­
tiv hohen Zuwachsraten beim         kannt), Algorithmus (43 %), Bot     licher durch aktive Medien­
mobilen Internet und bei            (22 %), Blockchain (14 %).          arbeit zu fördern. Herzstück
Nutzer*innen ab 50 Jahren.          Wer heute schon digital-affin       des Projekts ist die Plattform:
Jüngere Generationen sind be-       ist, erwartet stärkere Verände-     www.rise-jugendkultur.de – mit
reits fast vollständig online. In   rungen und bewertet diese ten-      von Jugendlichen produzier-
der Gesamtstichprobe wird das       denziell positiver. Dem gegen-      ten Filmen. Diese sind ­ergänzt
Internet häufiger von Männern       über steht, dass sich mehr als      mit pädagogischem Material
(90 %) als von Frauen (82 %)        ein Drittel der Befragten durch     und wissenschaftlichen Hinter­
und häufiger von höher Gebil-       die Digitalisierung überfordert     grundinformationen. Multi­-
deten (97 %) als von Menschen       fühlt (4 % mehr als im Vorjahr).    ­pli­ka­tor*innen können die
mit niedrigem Bildungsstand         Dies trifft vor allem auf ältere     ­Inhalte für ihre Präventions­
(64 %) genutzt. In den Groß-        Menschen zu, aber auch auf            arbeit nutzen.
städten (90 %) ist die Internet-    ein Fünftel der 14- bis 19-Jäh-       Das Projekt RISE hat es sich
nutzung höher als im ländlichen     rigen sowie auf die Hälfte der        zur Aufgabe gemacht, junge
Raum (84 %).                        Menschen mit formal niedriger         Menschen in ihren Meinungs-
Entlang unterschiedlicher so-       Bildung.                              bildungsprozessen zu stärken,
ziodemografischer oder gesell-      Der Digitalindex (n = 2.019)          ihre Argumentationsfähigkeit
schaftlicher Merkmale zeigen        wurde nach einer Struktur-            zu fördern, Reflexionsprozesse
sich auch Unterschiede im           befragung zur Ermittlung der          anzustoßen und sie kritisch im
Nutzungsverhalten. Das trifft       Internet- und Gerätenutzung           Umgang mit extremis­tischen
auf alle erhobenen Dienste­ zu,     (n = 20.332) erhoben. Zugrun-         Botschaften zu machen. Dazu
insbesondere aber auf Enter-        de liegt eine bevölkerungs­           entwickeln Jugendliche eigene

2
merz aktuell

  nachruf   Wolfgang Brudny

  Dr. Wolfgang Brudny, Mitgründer und Ehrenvorstand des JFF – Institut für Medienpädagogik in
  Forschung und Praxis, ist im 95. Lebensjahr von uns gegangen.
  Die Medienpädagogik hat Wolfgang Brudny während seines Lebens begleitet und er hat sie
  aktiv mit getragen. 1949 als Student bei Prof. Martin Keilhacker an der Universität München hat
  er den Arbeitskreis Jugend und Film e. V., die Keimzelle des heutigen JFF, mitgegründet. Als ein
  Pionier medienpädagogischer Forschung war er in den folgenden Jahren an den Untersuchun-
  gen des Arbeitskreises zum ‚Filmerleben von Kindern‘ maßgeblich beteiligt. Diese Untersuchun-
  gen beruhten erstmals auf Methoden der Beobachtung, die das volle Ausdrucksvermögen von
  Kindern erfassten, also nicht allein an Wort und Schrift gebunden waren. Die Ergebnisse dieser
  Forschung schlugen sich 1953 nieder in seiner Dissertation: Das Kind zwischen Spielfilm und
  Schulfilm. Gestaltungsfragen des Unterrichtsfilms im Hinblick auf das außerschulische Filmerleben­
  der Jugend. Die fundierten Kenntnisse, die er sich hier erworben hatte, bestimmten seine
  weitere berufliche Laufbahn. Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1988 war Wolfgang Brudny
  am Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) erst in München, später in
  Grünwald tätig. Als Produktionsreferent für Jugend- und Erwachsenenbildung ermöglichte er
  die wegweisenden Unterrichtsfilme dieses Instituts. Seine Sach- und Fachkompetenz brachte
  er auch in seine Gutachtertätigkeit in den Gremien der Filmbewertungsstelle der Länder (FBW)
  und der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) ein.
  Immer war Wolfgang Brudny dem JFF verbunden. Seit der Gründung war er fast durchgängig
  Mitglied des Vorstands, seit 1999 ist er dessen Ehrenmitglied. In den vielen Jahren hat er aktiv
  die Entwicklung des JFF begleitet, mit wertvollem Rat, thematischen Ideen und Einordnun-
  gen aktueller Entwicklungen in historische Zusammenhänge. Durch seine Beiträge in merz |
  medien + erziehung haben sein Wissen und seine Anregungen auch die Medienpädagogik in
  Deutschland bereichert.

  In Trauer und mit Dank für seine Verbundenheit – für den Vorstand des JFF e. V. und
  die Herausgeberschaft von merz | medien + erziehung

                                                                            Prof. Dr. Bernd Schorb

Positionen, die sie in Medien­    für die Präventionsarbeit rele-    schulischen Bildung zur Verfü-
produktionen sichtbar und         vant sind: Gesellschaftskritik,    gung gestellt. Die Plattform wird
für die pädagogische Arbeit       Religion und Werte, Rassismus,     fortlaufend ausgebaut.
zugänglich machen. Die prak-      Gender sowie Pluralismus.          Das Gesamtvorhaben wird wis-
tische Durchführung erfolgt       Die entstandenen Medienpro-        senschaftlich begleitet. Dies
durch eine individuelle Beglei-   dukte werden mit Materialien       beinhaltet unter anderem ein
tung und Unterstützung von        und Einsatzmöglichkeiten für die   kontinuierliches Monitoring rele­
Jugendlichen bei der Produk-      pädagogische Arbeit aufbereitet    vanter wissenschaftlicher und
tion von Medienbeiträgen, die     und auf der Plattform Fachkräf-    pädagogischer Publikationen im
Arbeitsfelder fokussieren, die    ten der schulischen und außer-     Themenfeld, eine theoretische

                                                                                                     3
stichwort   Sexfluencing
    So manche Sachen verlangen nach einer verschlossenen Tür. Doch wenn es darum geht,
    intime Details im öffentlichen Raum zu thematisieren, scheut sich eine Gruppe keineswegs:
    Sexfluencer*innen. Abgeleitet von Influencer*innen, also Personen mit einer hohen sozial-
    medialen Reichweite, die online zu ausgewählten Themen Positionen vertreten, welche sie
    ihren Viewer*innen zur Rezeption anbieten. Einen Teilbereich bildet dabei Sexfluencing: „Was
    Männer mögen & Frauen wollen“ (@benscouch, Instagram) und „It‘s all about helping you up-
    grade & enjoy your sexual life“ (@SexFluencer, Twitter) sind nur zwei von unzähligen Account-
    beschreibungen, die Nutzenden unterschiedlichster Plattformen vor allem eines suggerieren,
    nämlich Antworten parat zu haben. Antworten auf Fragen, wie das eigene Sexleben wieder in
    Schwung kommen könnte, worauf es beim Dating zu achten gilt oder wie auch in einer langjäh-
    rigen Beziehung die Erotik nicht zu kurz kommt. Die Wissenschaftlichkeit der dabei angeführten
    Fakten, dass zum Beispiel die Aussicht auf baldigen Geschlechtsverkehr den Bartwuchs von
    Männern verstärke, sei dahingestellt.
    Bei der sexualisierten Gattung des Influencings ist eine Gratwanderung zwischen Ernsthaftig-
    keit und Selbstvermarktung zu konstatieren. Sicherlich nicht zu unterschätzen ist dabei, mit
    Blick auf Inhalte von Selbstdarstellerin Katja Krasavice und ähnlichen Formaten, neben dem
    Jugendschutz auch die Verzerrung von Wirklichkeit, insbesondere jüngerer Nutzender. Doch
    haben sich auch zahlreiche Kanäle (@underneath_we_are, Instagram) dem Entgegenwirken von
    Schönheitsidealen mit einer gesunden Portion Body Positivity verpflichtet.
    Neben der individuellen Motivation, eine solche Form von Influencing zu konsumieren,
    und dem daseinsberechtigten Ausdruck von Jugendkultur, dürfen die Beweggründe der
    Sexfluencer*innen und beispielsweise die dahinterstehende Industrie keinesfalls in Vergessen-
    heit geraten. Der Kapitalismus kennt keine Grenzen und erst recht keinen Halt vor dem Schlaf-
    zimmer – und so manch anderen spannenden Orten.

                                                                                     Stefanie Neumaier

Fundierung der Themenschwer-         Studie: Scheitern an                 selbstbestimmt in der digitalen
punkte sowie die Evaluation der      Internetrecherche                    Welt zu bewegen: So geben
Praxisangebote.                                                           61 Prozent an, bei der Suche
Mit dem Ziel der bundesweiten        Ein Drittel der Bevölkerung          im Internet die gesuchten In-
Wirkung und Vernetzung wird          (37 %) scheitert bei der ­Suche      formationen finden zu können.
dieses Projekt vom JFF – Institut­   nach Informationen im Inter-         37 Prozent seien dazu nach eige-
für Medienpädagogik in For-          net – so lautet das Ergebnis         nen Angaben nicht in der Lage.
schung und Praxis, ufuq.de, dem      ­einer repräsentativen Studie, die   Solange bei den digitalen Gerä-
Medienzentrum Parabol und dem         Bundesbürger*innen zu ­ihren        ten keine technischen Probleme
Netzwerk Vision Kino umgesetzt.       Fähigkeiten bei der Nutzung         auftauchen, gibt eine Dreiviertel-
www.rise-jugendkultur.de              ­digitaler Medien befragt hat.      Mehrheit (74 %) an, die Bedie-
                                       Einem großen Teil fällt es dem-    nung dieser Geräte zu beherr-
Swenja Wütscher                        nach schwer, sich souverän und     schen. 46 Prozent können bei

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merz aktuell

auftretenden Fehlermeldungen         Maßnahmen, um dagegen vor-           mationen über die Profile be-
oder unerwarteten Ereignissen        zugehen. Im Jahr 2016 waren es       kanntgeben. Ferner liegt ein
selbstständig herausfinden, wie      noch 4.300 gemeldete URLs mit        weitreichendes Problem beim
diese zu beheben sind. 49 Pro-       missbräuchlichen Inhalten, im        Sexting. Neben der strafrecht­
zent geben an, sich in diesen        Jahr 2018 hat jugendschutz.net       lichen Komponente wird hierbei
Situationen nicht selber weiter-     39.500 gemeldete Seiten ver-         der psychologische Druck be-
helfen zu können. Programme          zeichnet.                            nannt, welcher sich auf Betrof-
oder Apps können 60 Prozent          Sexualisierte Gewalt bei Fotos       fene auswirken kann.
der Befragten ohne Hilfe auf den     und Videos gibt es in verschie-      Doch es können auch Erfolge
Geräten installieren, 37 Prozent     densten Formen – von sexua-          verzeichnet werden. So wurden
scheitern daran. Die Hälfte der      lisierten Gesten über unbeklei-      etwa 90 Prozent der gemelde-
Befragten passt Datenschutzein-      dete Körperteile der Kinder bis      ten Missbrauchsinhalte aus dem
stellungen individuell an, wäh-      hin zur Ablichtung von Pene­         Jahr 2018 gelöscht, die Entfer-
rend 39 Prozent solche Einstel-      tration oder extremeren, weit-       nung dauerte im Durchschnitt
lungen nie ändern. Eine Online-      reichenderen Handlungen. Die         drei bis sieben Tage. Außerdem
Quelle im Hinblick auf ihre Ver-     Verbreitung der Inhalte findet       konnten durch die internationale
trauenswürdigkeit einschätzen        in den meisten Fällen durch          Vernetzung Täter*innen im Aus-
kann jeder Zweite (50 %), etwa       Filehoster-Seiten statt. Dadurch     land ausfindig gemacht werden.
ebenso viele (46 %) trauen sich      können fremde Personen ge-           Hierfür arbeitet jugendschutz.net­
das nicht zu.                        gen finanzielle Gegenleistungen      zusammen mit dem BKA, der
Grundlage der Angaben ist eine       Zugriff auf das Material erhal-      Freiwilligen Selbstkontrolle Multi-
Umfrage, die Bitkom Research im      ten. Der Großteil dieser Plattfor-   media-Dienste­anbieter, der Bun-
Auftrag des Digitalverbands          men befindet sich im Ausland,        des­prüfstelle für jugendgefährden-
­Bitkom durchgeführt hat. ­Dabei     was die Ahndung erschwert. Es        de Medien und dem INHOPE­-
 wurden 1.003 Menschen in            spielen jedoch nicht nur Platt-      Verbund, ­einer Beschwerdestelle,
 Deutschland ab 16 Jahren tele­      formen zur Verbreitung der           die in über 40 Ländern koope-
 fonisch befragt. Die Befragung      Inhalte eine Rolle. Auch Apps        riert.
 ist repräsentativ für die Gesamt-   bieten mit privaten Chatfunk-        www.jugendschutz.net
 gesellschaft.                       tionen einen geschützten Rah-
 www.bitkom.org                      men für Täter*innen: Sie können      Jerome Wohlfarth
                                     sich über diese Seiten unter-
Andrea Stephani                      einander austauschen, vernet-
                                     zen, aber auch und vor allem          Die Titelthemen
                                     Opfer ansprechen. Der Bericht         der kommenden
Sexualisierte                        von jugendschutz.net konsta-          Ausgaben:
Gewalt online                        tiert eine schlechte Vorsorge
                                     von Anbietern, was eine grö-           Soziale Ungleichheit
Die Anzahl der gemeldeten Sei-       ßere Angriffsfläche bei jüngeren        (merz 3/20)
ten mit sexualisierter Gewalt        Nutzer*innen zur Folge habe.           Digitale Narrative
nimmt zu – laut einem Bericht        So sind die standardmäßigen             (merz 4/20)
von jugenschutz.net. Dieser zeigt    Datenschutzeinstellungen auf
                                                                            Ethik und KI
sowohl eine Bandbreite an Mög-       TikTok, Instagram oder YouTube­
                                                                             (merz 5/20)
lichkeiten sexualisierter Inhalte    als nicht jugendgerecht zu
von Minderjährigen auf als auch      ­bewerten, da sie zu viele Infor­

                                                                                                          5
Wege zum Beruf Medienpädagog*in

Editorial

Die Medienpädagogik ist in den letzten Jahr-        dieser jungen Disziplin zu beschreiben. Jetzt,
zehnten von einer Randerscheinung ins Zent-         15 Jahre später, ist die Medienpädagogik nicht
rum der Diskurse über Pädagogik und Bildung         mehr wegzudenken.
gerückt. Die Digitalisierung fegt wie ein Hurri-    Vor allem in der außerschulischen und schu-
kan über die Gesellschaft hinweg. Nichts bleibt     lischen Bildungsarbeit ist die Vermittlung von
wie es war. Im Auge des Hurrikans – in dem          Medienkompetenz zu einer zentralen Aufgabe­
bekanntlich Windstille herrscht – versuchen die     für ein selbstbestimmtes und souveränes
tapferen Medienpädagog*innen die Heraus-            ­Leben geworden. Als Treibriemen für unseren
forderungen zu gestalten, die sich aus diesem        Berufsstand hat sich vor allem die Erkenntnis
Wandel ergeben. Waren es zunächst vor allem          erwiesen, dass es künftig keinen Lebens-
Pädagog*innen mit Interesse für Film und Foto­       bereich mehr geben wird, der nicht durch
grafien, die sich der Thematik angenommen            die Digitalisierung vor einem grundlegenden
haben, so ist jetzt als Folge der Digitalisierung    Wandel steht. Die Medienpädagogik soll mit-
ein eigener Beruf der Medienpädagog*innen            helfen, die Risiken einer solchen Entwicklung
entstanden, auch wenn es nach wie vor un-            zu erkennen und zu minimieren, sowie das
terschiedlichste Zugänge und Qualifizierungen        Individuum dazu befähigen, die Zukunft mit
hierfür gibt. Häufig fehlt es an qualifizierten      Medien aktiv mitzugestalten. Eine durchaus
Medienpädagog*innen, um die Anfragen zu              herausfordernde Aufgabe.
befriedigen, die sich aus dem stark gestiegenen      Die Medienpädagogik sorgt für die Fort- und
Bedarf ergeben.                                      Weiterbildung von Pädagog*innen im Bereich
Bereits vor mehr als 15 Jahren war die Medien-       Medienpädagogik und -didaktik: Diese erar-
pädagogik in der Forschung wie auch in der           beitet mit Kindern und Jugendlichen eigene
Praxis schon so etabliert, dass ihr der kopaed-      Medienprodukte, dreht Filme und YouTube-
Verlag einen eigenen Titel widmete: So erschien      Clips, produziert Sendungen für Radio und
im Jahr 2003 der Band Beruf Medienpädagoge           Fernsehen, erstellt Blogs sowie Internetseiten
(Hrsg. von Norbert Neuß); die Fachpublika­           und vermittelt den Kindern und Jugendlichen
tion reichte kaum aus, um die Vielschichtigkeit      damit die Funktionsweisen der Medien und

6
merz thema

die Gefahren durch deren Faszinations- und          aus anspruchsvollen Aufgabe angenommen, den
Manipulationskraft. Ein weiterer Schwerpunkt        aktuellen Theoriediskurs zu beschreiben sowie
ist die Erstellung von Anleitungen und Material     die Handlungsfelder der Medienpädagogik zu
zur Medienerziehung sowohl für Pädagog*innen        diesem in Bezug zu setzen. Sein Beitrag liefert
als auch für Eltern. Medienpädagog*innen be-        eine wichtige Grundlage für die weitere Diskus-
treiben aber auch Medienforschung, indem sie        sion des heterogenen Berufsfeldes der Medien-
unter anderem die Mediennutzung von Kindern         pädagogik. Nach Einschätzung des Autors exis-
und Jugendlichen untersuchen. Fragestellungen,      tiert keine zentrale theoretische Begründung
wie sich beispielsweise Gewaltdarstellungen in      der Medienpädagogik. Die damit verbundene
Nachrichten oder Computerspielen auf Heran-         Interdisziplinarität eröffnet aber auch anregende
wachsende auswirken, stehen auf der Agenda.         Perspektiven, um auf die immer komplexeren
Die Forschung beschränkt sich aber längst nicht     Medienwelten adäquat reagieren zu können.
mehr nur auf Kinder und Jugendliche; sie hat        Gleichzeitig ist damit aber auch die Gefahr ver-
auch die Medienkompetenz von Erwachsenen            bunden, dass eine genuin medienpädagogische
und Senior*innen im Blick.                          Theorieentwicklung auf der Strecke bleibt.
Die Qualifikation zur*zum Medienpädagog*in          Kai-Uwe Hugger setzt sich mit der Frage aus-
kann man an Universitäten oder Fachhoch-            einander, ob die Medienpädagogik ein eigenes
schulen durch ein eigenständiges Studium, ein       Berufsbild darstellt und in welchen Handlungs-
Lehramtsstudium oder im Rahmen eines Stu-           feldern der Pädagogik die Medienpädagogik
diums der Erziehungswissenschaft, Medien­           zu verorten ist. In seinen Ausführungen zeigt
informatik oder der Sozialen Arbeit erwerben.       er die Diskurse der letzten Jahre über die Ent-
Allerdings: Wo Medienpädagogik draufsteht,          wicklung zu dem Beruf Medienpädagog*in auf
ist nicht immer Medienpädagogik drin. Dies          und beschreibt sehr anschaulich den momen-
liegt zum einen daran, dass sich praktisch jede*r   tanen Stand. Es ist unstrittig, dass die Medien-
Medienpädagog*in nennen darf, und dass es           pädagogik einem Professionalisierungsprozess
durchaus sehr unterschiedliche Definitionen         unterliegt; in vier anschaulichen Thesen steckt
gibt, wie der Begriff Medienkompetenz zu in-        Kai-Uwe Hugger zusammenfassend die Bedin-
terpretieren ist.                                   gungen für diesen wichtigen Prozess ab.
Diese Ausgabe möchte dazu beitragen, die Pro-       Mit Günther Anfang ist es gelungen, einen
fessionalisierung des Berufs Medienpädagog*in       Medien­pädagogen der ersten Stunde für ein
nachzuzeichnen und Argumente dafür zu               ­Interview für diese Ausgabe zu gewinnen.
l­iefern, warum dieser Beruf dringend benötigt       Günther­ Anfang ist einer der Pioniere der
wird – und dies gilt nicht nur für pädagogische      Medienpädagogik und hat sie als praktisches
Handlungsfelder.                                     Handlungsfeld der Pädagogik maßgeblich mi-
                                                     tentwickelt. In seiner langjährigen beruflichen
                                                     Tätigkeit hat er den Wandel, dem die Medien-
Zu dieser Ausgabe                                    pädagogik durch die enorme technische Ent-
                                                     wicklung der letzten Jahre unterlegen ist, aktiv
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl an Pub-      miterlebt und begleitet. Neben den zentralen
likationen und Positionspapieren erschienen,         Wendepunkten, die die Medienpädagogik im-
die die Medienpädagogik sowohl in ihren the-         mer wieder verändert haben, beschreibt er aber
oretischen Bezügen zu definieren versucht als        auch sehr anschaulich, dass es bei allem Wandel
auch Anleitungen für theoriegeleitetes Handeln       und neuer Technik letztlich doch darum geht,
beschreibt. Patrick Bettinger hat sich der durch-    Kinder und Jugendliche dazu zu befähigen und

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zu ermutigen, sich mit Medien auszudrücken           Griechenland, Österreich, Rumänien und der
und Geschichten zu erzählen. Dies gilt auch          Schweiz für dieses Heft um eine Kurzdarstellung
gerade für die Allerjüngsten.                        der Medienpädagogik in ihren Heimatländern
Viele junge Menschen äußern auf die Frage            gebeten. An dieser Stelle nochmals vielen Dank
nach ihrem Berufswunsch häufig etwas diffus:         für die Unterstützung. Die Texte sind in kleinen
„Naja, irgendwas mit Medien.“ Welche Qualifi­        Kästen im Thementeil der Ausgabe verteilt. Wir
zierungsmöglichkeiten stehen ihnen aber nun          haben uns sehr über die Zusendung der Bei-
offen, wenn sie sich für das Berufsbild Medien-      träge der Kolleg*innen aus ganz verschiedenen
pädagogik entscheiden? Johannes Fromme, Steffi       Teilen Europas gefreut, da aus unserer Sicht
Rehfeld und Josefa Much zeigen die Band­breite       eine Weiterentwicklung der Medienpädagogik
der Hochschulen und der Weiterbildungsmaß-           in Deutschland nur sinnvoll auch unter Einbe-
nahmen auf. Sie gegeben damit einen sehr gu-         ziehung internationaler Konzepte und Erfahrun-
ten Überblick über den momentanen Stand der          gen gelingen kann.
Qualifizierungsmöglichkeiten. Darüber hinaus         Im Zeitalter von Bildkommunikation hatten wir –
ordnen sie auch die Beschäftigungsaussichten         zusammen mit dem Medienpädagogik Praxis-­
einer solchen Qualifizierung im Kernbereich          Blog – Kolleg*innen gebeten, ihren medien­
des pädagogischen Arbeitsmarktes ein. Offen          pädagogischen Alltag bildlich in Szene zu setzen
bleibt in dem Artikel die Frage, ob eine Ausbil-     und mit Veröffentlichung unter dem Hashtag
dung zur*zum Medienpädagog*in sinnvoll oder          #von­BerufMedienpaed auf einem beliebigen
eine medienpädagogische Grundbildung für alle        Social-Media-Kanal an unserer Fotoaktion teil-
päda­gogischen Fachkräfte notwendig ist.             zunehmen. Wir waren überwältigt, welche
Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von medienpäda­   Reso­nanz der Aufruf erfahren hat. Über 90 Ein-
gogischen Praxisprojekten im päda­gogischen          sendungen haben uns erreicht. Danke!! Unsere
Alltag und es ist kaum ein pädago-gisches Hand-      Favoriten unter den Einsendungen sind in dieser
lungsfeld denkbar, das ohne Medien­projekte          Ausgabe abgedruckt, ein Bild ziert auch das
auskommt. Mareike Schemmerling­ definiert die        ­Titelblatt. Auch der Medienpädagogik Praxis-Blog
Leitplanken eines solchen Handelns. Dabei             hat seine Favoriten gekürt!
weist sie ausdrücklich darauf hin, dass für alle
Konzepte als theoretischer Bezugspunkt die             Die gesamte Bildstrecke ist zu finden
Vermittlung von Medienkompetenz im Zent-               unter www.merz-zeitschrift.de/
rum stehen muss. Denn nicht der Einsatz von            vonBerufMedienpaed
                                                       Wir danken allen fürs Mitmachen!
Medien­oder das Behandeln von Medienthemen
machen ein medienpädagogisches Projekt aus;
vielmehr stellt medienpädagogische Praxisarbeit      Klaus Lutz ist pädagogischer Leiter des Medien-
immer Kinder und Jugendliche ins Zentrum ihrer       zentrum PARABOL e. V. in Nürnberg, Fachberater
Aktivitäten und agiert ausgehend von ihrer Sicht     für Medienpädagogik im Bezirk Mittelfranken
auf die Welt, ihren Belangen und Bedürfnissen.       sowie­ Dozent an der Simon-Georg-Ohm Hoch-
Sie verfolgt stets das Ziel, jungen Menschen         schule in Nürnberg.
Kompetenzen zu vermitteln, die sie für ein ge-
lingendes Leben in einer digital-medialisierten      Dr. Eike Rösch beschäftigt sich in Theorie und
Welt benötigen.                                      Praxis mit der Mediatisierung von Jugendarbeit,
Um die internationale Entwicklung der Medien-        Sozialer Arbeit und Schule. Er ist Dozent für
pädagogik mit in den Blick zu nehmen, ha-            Medienbildung und Informatik an der Pädago­
ben wir Kolleg*innen aus Estland, Finnland,          gischen Hochschule Zürich.

8
merz thema

                               CC BY 4.0 Diener-Kropp

#vonBerufMedienpaed

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In ihrer Breite betrachtet, lässt sich Medienpädagogik sowohl
                                     als Forschungs- als auch als Handlungsfeld begreifen, welches
                                     sich auf ein plurales und breit gefächertes Spektrum theore-
                                     tischer Annahmen und Konzepte bezieht. Der Beitrag gibt
                                     einen ausschnitthaften Überblick über wichtige theoretische
                                     Begründungszusammenhänge der Gegenwart, stellt zentrale
                                     Theoreme kurz dar und erläutert deren Bedeutung für die
                                     Medienpädagogik als wissenschaftliche Disziplin sowie prak-
                                     tisches Tätigkeitsfeld.

Theoretische Begründungslinien der
Medienpädagogik
Ein Überblick
Patrick Bettinger

Dass die Medienpädagogik plurale und äußerst            Breite wiedergegeben werden können, zeugen
breit gestreute (Theorie-)Bezüge zu Nachbardis­         die genannten Publikationen aber von einem
ziplinen aufweist, ist seit jeher Konsens und in die    regen Austausch über das Selbstverständnis der
Grundfeste des medienpädagogischen Selbstver-           Medienpädagogik (als Wissenschaftsdisziplin und
ständnisses eingeschrieben. Trotz dieser Kontinui­tät   Handlungsfeld) und ihre Verortung im Gefüge
steckt in dieser vielfältigen Prägung ein dyna­         sozial- und kulturwissenschaftlicher Felder.
misches Moment, denn die Konjunkturen und               Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einem
Ausprägungen dieser interdisziplinären Bezugnah-        grundlegenden Aspekt, der punktuell auch im
men sind – wie die Theorieansätze selbst – stetig       Rahmen der genannten Publikationen verhandelt
im Wandel. An unterschiedlicher Stelle fand in den      wurde, nämlich der Frage, welche theoretischen
letzten Jahren eine vertiefte Auseinandersetzung        Begründungslinien und Debatten für die Medien-
darüber statt, welche konstituierenden Begrün-          pädagogik als wissenschaftliche Disziplin, aber
dungszusammenhänge und welche Aufgabe(n)                auch als außerakademisches Berufsfeld prägend
(vgl. Swertz et al. 2017; Trültzsch-Wijnen 2017),       sind. Hierzu wird nachfolgend schlaglichtartig der
aber auch welche blinden Flecken (vgl. Kom-             Blick auf Theorieströmungen und damit verbun-
mer et al. 2017) die Medienpädagogik aufweist.          dene Begriffe gerichtet, welche die Medienpäda-
Wenngleich diese fruchtbaren Diskurse, die unter        gogik in den vergangenen Jahren entscheidend
anderem Fragen der wissenschaftstheoretischen           beeinflusst haben. Zudem werden insbesondere
Fundierung, der disziplinären Schnittstellen, der       neuere Entwicklungen der medienpädagogischen
Professionalisierung sowie der Klärung von Kern-        Theorieentwicklung skizziert und Desiderate in
begriffen behandeln, an dieser Stelle nicht in ihrer    diesem Zusammenhang dargestellt.

10
merz thema

Zunächst stellt sich die Frage, welche ersten         Phäno­menen auf einen entsprechend breiten
Anhaltspunkte sich finden lassen, um einen all-       Theoriehintergrund bezieht. In der Einführung
gemeinen Eindruck wichtiger Theoriebezüge zu          von Moser (2019) wird beispielsweise deutlich,
bekommen. Abgesehen von den oben exemp-               dass sowohl medientheoretische- bzw. histori-
larisch genannten Publikationen zur Entwicklung       sche Ansätze, sozial- und kommunikationswis-
der disziplinären Fundierungsdebatten in der          senschaftliche (z. B. Mediatisierung und Media­
Medienpädagogik, lässt ein Blick in einschlägige      lisierung) sowie (lern-)psychologische als auch er-
Handbücher und Einführungsbände die Breite            ziehungswissenschaftliche Theorien aus dem Be-
der theoretischen Bezüge und Begründungslinien        reich der Kindheits- und Jugendforschung für die
erkennen. So finden sich im zweiten Kapitel des       Medienpädagogik von Belang sind. Süss, Lampert
Handbuchs Medienpädagogik (vgl. Sander et al.         und Wijnen (2013) rücken kommunikations- und
2008) im Abschnitt ‚Erziehungswissenschaftli-         gesellschaftstheoretische Ausgangspunkte noch
che Theorien‘ unter Schlagworten wie Medien-          stärker in den Vordergrund ihrer Einführung
kompetenz, Medienbildung, Medien­sozialisation,       in die Medienpädagogik. Einen wesentlichen
Medienerziehung allein acht Artikel zu Kernbe-        Bezugspunkt sehen die Autor*innen in einem
griffen der Medienpädagogik. Darüber hinaus           (medien-)sozialisationstheoretischen Fundament,
wird deutlich, dass auch ‚sozialwissenschaftliche     in dem wiederum entwicklungspsychologische,
und psychologische Theorien‘ (11 Beiträge) sowie      soziologische und kommunikationswissenschaft­
‚medienphilosophische Theorien‘ (9 Beiträge)          liche Theorien die Grundlage bilden. Deutlich
und weitere ‚Theorieansätze und Hypothesen‘           wird in dieser Einführung zudem eine unterschied-
(8 Beiträge) für die Medienpädagogik relevant         liche Bedeutung von Grundbegriffen wie zum
sind. Sicher muss einschränkend gesagt werden,        Beispiel Medienkompetenz, Medienerziehung
dass diese erste Einschätzung nicht nur aufgrund      und Mediendidaktik mit ihren je spezifischen
des Erscheinungsdatums des Handbuches vor             Theoriehintergründen.

                                                                                                        “
mehr als zehn Jahren unter Vorbehalt betrachtet
werden sollte, sondern die dort genannten Ansät-
ze für die Medienpädagogik in sehr unterschied­         Die Auseinandersetzung mit
lichem Maße prägend waren und unterschiedlich           medienkulturellen Phänomenen
stark aufgegriffen und weiterentwickelt wurden.         bezieht sich auf einen breiten
Während etwa der Medienkompetenzbegriff                 Theoriehintergrund
spätestens seit den 1990er-Jahren zum
medienpäda­gogischen Theorierepertoire zählt
und auch der Medienbildungsbegriff eine kon-          Eine hilfreiche Orientierung zur historischen
tinuierliche und fachspezifische Differenzierung      Einordnung dieser Schwerpunktsetzungen und
erfährt, nehmen Ansätze wie der Uses-and-             Begriffsentwicklungen gibt Tulodziecki (2011).
Gratification-Ansatz oder die Kultivierungshypo-      Hier lässt sich gut erkennen, dass medien­
these randständige Positionen ein und konnten         pädagogische Begriffe und Theorien bereits
sich in der Breite – zumindest im deutschsprachigen   mit dem Aufkommen dieser Disziplin schwan-
Diskurs – nicht in gleichem Maße in der Medien-       kenden Konjunkturen unterworfen waren
pädagogik etablieren.                                 und wandelnde Zuschreibungen erfahren.
Auch ein Blick in einschlägige medienpädago-          ­Tulodziecki verdeutlicht dies, indem er anhand
gische Einführungsliteratur verdeutlicht, dass         der Begriffe Medienerziehung, Mediendidaktik,
sich das breite Themenspektrum der pädagogi-           Medienkompetenz und Medienbildung nicht nur
schen Auseinandersetzung mit medienkulturellen         unterschiedliche theoretische ­Konnotationen im

                                                                                                     11
Wandel der Zeit erörtert, sondern darüber hin-       Zudem finden sich theoretisch ausgerichtete
aus verdeutlicht, dass beispielsweise fach- und      Überlegungen zu Medienkompetenz vor dem
professionspolitische Gründe sowie die Ent-          Hintergrund spezifischer (pädagogischer) Kon-
wicklungen des akademischen Feldes an sich           texte und Bildungsinstitutionen oder unter-
für begriffliche – und damit auch theoretische –     schiedlicher Zielgruppen.
­Setzungen prägend sein können.                      Ebenso vielfältig sind auch die Zusammenhänge,
                                                     in denen Medienbildungstheorien situiert sind.
                                                     Vergleichbar mit der Omnipräsenz des Medien­
Etablierte Theorien im                               kompetenzansatzes von Dieter Baacke erfährt
gegenwärtigen Diskurs                                beim Begriff Medienbildung seit nunmehr
                                                     über zehn Jahren der Ansatz der strukturalen
Zieht man zur Bestimmung der aktuell den me-         Medienbildung besondere Beachtung (vgl.
dienpädagogischen Diskurs prägenden Ansätze          Jörissen/Marotzki 2009). Auch hier sind – so-
in einem ersten Schritt die erziehungswissen-        wohl in unmittelbarer Weiterführung der struk-
schaftlichen Theoriebezüge heran und blickt          turalen Medienbildung als auch mit anders
auf Kernbegriffe wie Erziehung, Lernen, Bildung      gelagerter theoretischer Fundierung – in den
oder Sozialisation, so ergibt sich das Bild einer    letzten Jahren zahlreiche theoretische Weiter-
kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Fra-         entwicklungen zu verzeichnen. Exemplarisch
gen der Eignung, Adaption oder Modifikation          hierfür können der Sammelband Perspektiven
dieser Grundbegriffe für medienpädagogische          der Medienbildung (2014) von Marotzki und
Forschung.                                           Meder sowie die Beiträge in der Festschrift für

“
                                                     Winfried Marotzki (vgl. Verständig et al. 2016)
                                                     genannt werden. Zudem sind in jüngerer Ver-
Vielfältig sind auch die                             gangenheit einige impulsgebende Monografien
Zusammenhänge, in denen                              vorgelegt worden, die unterschiedliche medien-
Medienbildungstheorien                               bildungstheoretische Aspekte beleuchten, wie
situiert sind                                        etwa das Verhältnis von Bildung und Öffentlich-
                                                     keit (vgl. Verständig 2017), aktuelle gesellschaft-
                                                     liche Herausforderungen für individuelle und
Als Kernbegriffe der Medienpädagogik kristalli-      institutionelle Bildung (vgl. Grünberger 2017),
sieren sich insbesondere der Medienkompetenz-        das Zusammenspiel von Zeitlichkeit und Selbst-
und Medienbildungsbegriff heraus, unter denen        bestimmung in technisch-medialen Gefügen
sich wiederum Bündel von Theorieansätzen sub-        (vgl. Leineweber 2019) sowie die Bedeutung
sumieren lassen. An dieser Stelle sei zunächst die   sozio-medialer Verschränkungen in Bildungs­
inzwischen schon einige Jahre zurückliegende,        prozessen (vgl. Bettinger 2018).
aber immer noch bedeutsame Publikation von           Ein weiteres Beispiel für eine aktuelle Dis-
Moser, Grell und Niesyto (2011) erwähnt, in          kussion eines klassischen medienpädagogischen
der die Debatte um das Verhältnis der Begriffe       Konzeptes kann am Medienkritikbegriff ver-
Medienkompetenz und Medienbildung in ih-             anschaulicht werden. Hier ist besonders die
rer Breite gut nachvollziehbar aufbereitet wird.     Publikation von Niesyto und Moser (2018) zu
Theoretische Aspekte von Medienkompetenz             nennen, in der Medienkritik vor dem Hinter-
werden darüber hinaus in aktuellen Publika­          grund ­aktueller Entwicklungen in ihren unter-
tionen beispielsweise im Verhältnis zum Perfor-      schiedlichen Facetten dargestellt und reflektiert
manzbegriff diskutiert (vgl. Barberi et al. 2018).   wird. Angesichts der fortschreitenden Entwick-

12
merz thema

lung des „Überwachungskapitalismus“ (Zuboff         Anpassung bedürfen, bleibt die grundsätzliche
2018) und der Macht digitaler Plattformen er-       Prämisse der aktiven Medienarbeit (vgl. Rösch
scheint eine solche Reflexion des Kritikbegriffs    2017) hierbei weitgehend unberührt. Inso-
aus medienpädagogischer Sicht notwendig, um         fern stellt die Orientierung an einer praktisch-
angemessene Begründungszusammenhänge für            reflektierenden und lebensweltorientierten Aus-
die eigene (normative) Position und medien­         einandersetzung mit Medien trotz der im Laufe
pädagogisches Handeln zu schaffen. Gleichzeitig     der Jahre deutlich veränderten medienkulturellen­
kann ein theoretisch fundierter Medienkritik­       Bedingungen noch immer einen adäquaten
begriff alarmistische Stimmen entkräften, die       übergreifenden konzeptionellen Rahmen für
in bewahrpädagogischer Manier nicht auf eine        Fragen des Erwerbs von Medienkompetenz
konstruktiv-kritische Auseinandersetzung, son-      dar, denn „Emanzipation und die Befähigung zu
dern auf Abschottung gegenüber medientechno-        Kommunikation und Partizipation sind weiter-
logischen Entwicklungen setzen.                     hin wichtige Zielgrößen Handlungsorientierter
Weniger umfänglich – zumindest wenn man             Medienpädagogik. Kommunikative Kompetenz
eine theoriegenerierende Schwerpunktlegung als      bzw. Medienkompetenz sind dabei eine wichtige
zentrales Kriterium heranzieht – wird der Begriff   Voraussetzung“ (ebd., S. 10).
Medienerziehung im gegenwärtigen fachwis-           Insgesamt lässt sich konstatieren, dass es in den
senschaftlichen Diskurs der Medienpädagogik         vergangenen Jahren insbesondere im Umfeld
verhandelt. Es zeigt sich eine stärker praxis­      der Theoriediskussionen um Medienkompetenz
bezogene Assoziation des Begriffs, bei der un-      und Medienbildung zu einer Diversifikation und
terschiedliche pädagogische Settings und Ziel-      Spezifikation gekommen ist. Diese Entwicklung
gruppen im Hinblick auf konkrete Ansätze im         kann als logische Form der Fortführung umfas-
Vordergrund stehen (vgl. Friedrichs-Liesenkötter    sender Theoriekonzepte verstanden werden,
2016; Martin 2018). Wenngleich auch der             die jeweils unter Berücksichtigung bestimmter
Medienerziehungsbegriff grundsätzlich ebenso        Phänomenkonstellationen und Problemlagen
zum fundamentalen begrifflichen Repertoire          angepasst und weitergeführt werden müssen.
der Medienpädagogik gehört, scheinen theore­
tische Abhandlungen über Medienerziehung
den aktuellen Diskurs jedenfalls nicht im glei-     Integrative Theoriekonzepte
chen Ausmaß wie Medienkomptenz-, Medien­            an Schnittstellen
bildungs- oder Mediensozialisationstheorien zu
prägen. In der Tendenz zeichnet sich eine –         Fasst man die Idee theoretischer Begründungs­
nicht immer unproblematische – Substitution         linien im weiten Sinn, lassen sich hierunter­
des Medienerziehungsbegriffs durch verwandte        auch Konzeptpapiere einordnen, welche
­Begriffe (besonders in Form der Gleichsetzung      Schnittstellen­ zwischen Wissenschaft, Bildungs-
 mit Medienbildung) ab, da hierdurch die begriff-   politik und Praxis adressieren. Zu nennen ist
 liche Trennschärfe und Prägnanz Gefahr laufen,     hier die im Jahr 2016 verabschiedete Dagstuhl-
 verloren zu gehen.                                 Erklärung bzw. die 2019 veröffentlichte Ergän-
 Im Kontext medienpädagogischer Praxis lassen       zung mit der Bezeichnung Frankfurt-Dreieck. Bei
 sich nach wie vor Ansätze als etabliert bezeich-   diesen Papieren handelt es sich um interdiszipli­
 nen, die dem Konzept der Handlungsorientie-        näre Rahmenkonzepte zur Sensibilisierung un-
 rung folgen (vgl. Schorb 2017). Während die        terschiedlicher Akteur*innen in Wissenschaft,
 konkreten Inhalte im Zuge des raschen Wan-         Praxis und (Bildungs-)Politik für die Komplexi­
 dels der Medienlandschaft zwar einer stetigen      tät von Bildung im Rahmen der Digitalität.

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CC BY 4.0 Erik Siegert

                         #vonBerufMedienpaed

                         Die Autor*innen des Frankfurt-Dreieck schreibt     lung stärker in der Tradition der Vorstellung aktiv
                         hierzu: „Das Papier will die aus verschiede-       handelnder Subjekte und kann respektive der
                         nen Disziplinen an die Gruppe der Autorinnen       handlungsorientierten Medienpädagogik zuge-
                         und Autoren herangetragenen konzeptionellen        ordnet werden. Der Subjektivierungsbegriff ist
                         Lücken beispielsweise zur Gestaltung von Infor-   mit seiner philosophischen Prägung dagegen
                         matiksystemen oder zur Einordnung und Rolle        deutlich mit machtkritischen Theorieperspek-
                         des Individuums als handelndes und medial          tiven verbunden, die (in ihrer modernen Aus-
                         adressiertes Subjekt schließen.“                   prägung, siehe unten) nicht primär das aktiv
                         Auch wenn es sich bei den Papieren nicht           handelnde Subjekt in den Mittelpunkt rücken,
                         um wissenschaftliche Theoriebeiträge im en-        sondern nach Bedingungen und Gefügen fragen,
                         geren Sinn handelt, lassen sich bei näherer        die bestimmte Subjektivierungsweisen zeitigen.
                         Betrachtung – zum Teil implizit – theoretische     Deutlich zum Ausdruck kommt in diesem ­Papier
                         Schwerpunktsetzungen erkennen und Theorie-         auch die grundsätzliche Annahme einer engen
                         konjunkturen ablesen. So wird, um ein Beispiel     Verwobenheit von digitalen Strukturgefügen,
                         zu nennen, im Frankfurt-Dreieck die Dimen-         gesellschaftlichem Wandel und menschlichem
                         sion ‚Interaktion‘ in die Bereiche ‚Nutzung‘,      Handeln – eine Sichtweise, die sich beispiels-
                         ‚Handlung‘, und ‚Subjektivierung‘ unterteilt.      weise im vieldiskutierten Mediatisierungs-
                         In diese Aufgliederung lassen sich verschiede-     ansatz (vgl. Hepp 2013) widerspiegelt. Das
                         ne prägende Theorieperspektiven der Medien-        Frankfurt-Dreieck kann damit als Rahmenmodell
                         pädagogik einordnen, die unterschiedlich auf       für eine integrative Theoriebildung betrach-
                         den medienpädagogischen Gegenstandsbereich         tet werden, die interdisziplinär anschlussfähig
                         blicken. Während der Nutzungsbegriff eher          ist, indem sie Kernkonzepte der Informatik,
                         in kommunikationswissenschaftlichen Theorie­       der Medienwissenschaft sowie der Erziehungs­
                         ansätzen beheimatet ist, steht der Begriff Hand-   wissenschaft produktiv aufeinander bezieht.

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merz thema

In dieses erweiterte Verständnis theoretischer        anderem diskurs- und dispositivtheoretisch
Fundierungen lässt sich zudem der ‚Orien-             ­inspirierte Theorieansätze Einzug in die Medien-
tierungsrahmen Medienpädagogik‘ einordnen,             pädagogik (vgl. Dander 2015; Hoffarth 2012;
der 2017 von der Sektion Medienpädagogik               Macgilchrist 2012; Macgilchrist/Böhmig 2012;
der Deutschen Gesellschaft für Erziehung (DGfE)        Münte-Goussar 2015). Im Vergleich mit be-
verabschiedet wurde und eine Grundlage zur             nachbarten Disziplinen findet diese Entwicklung
Implementierung medienpädagogischer Inhalte­           in der Medienpädagogik mit einiger zeitlicher
in Studiengängen vermittelt. Hier wird zu-             Verzögerung statt und steckt noch weitestge-
nächst der eigene disziplinäre Anspruch an             hend in den Kinderschuhen. Erklären lässt sich
die Theoriebildung deutlich, welche sich „auf          dies unter Umständen mit den teils sehr funda-
erziehungs- und bildungsrelevantes Handeln in          mentalen grundlagentheoretischen Differenzen
Medienzusammenhängen“ (ebd., S. 2) richten            poststrukturalistischer Ansätze (etwa von Michel
und „der medienpädagogischen Analyse bzw.              Foucault­, Judith Butler oder Jacques Derrida) zu
Reflexion“ (ebd.) dienen soll. Eine zentrale Rolle     den für die Medienpädagogik prägenden Kon-
spielt schließlich – entsprechend dem auf institu­     zepten, die beispielsweise im Falle des Medien­
tionelle und curriculare Entwicklungs­prozesse         kompetenzbegriffs auf die strukturalistischen
ausgerichteten Charakters des Konzepts – der           Wurzeln der Linguistik zurückgehen. Deutlich
Ansatz medienpädagogischer Kompetenz.                  werden diese ‚Koppelungsprobleme‘ beispiels-
Resümierend lässt sich für den hier genann-            weise an subjekttheoretischen Unterschieden:
ten ‚Typus‘ von Papieren sagen, dass dieser            Während für poststrukturalistische Arbeiten
zwar nicht den Anspruch erhebt, ausgearbeitete         die Idee einer De-Zentrierung des Subjekts
Theo­riekonzepte im engeren Sinn darstellen            entscheidend­ ist und damit machtförmige Sub-
zu wollen, aber dennoch zentrale theoretische          jektivierungsweisen in den Vordergrund rücken,
Grundannahmen gegenwärtiger Debatten um                orientiert sich die Medienpädagogik in weiten
Fragen des Lernens und der Bildung im Rah-             Teilen an klassischen subjekttheoretischen (etwa
men des digitalen Wandels beinhaltet. Insofern         kantianischen) Ansätzen, die wesentlich stärker
spiegelt sich in diesen Konzepten der ‚theo­           von der Idee eines zum reflexiv-autonomen
retische Konsens‘ der Gegenwart – wenngleich           Handeln befähigten Individuum ausgehen. Der
er nur punktuell explizit genannt wird – recht         in den benachbarten Disziplinen bereits vor
gut wider. Zudem wird die besondere Stellung           einigen Jahren etablierte kritische Diskurs um
der Medienpädagogik als Querschnitts- und              klassische Subjekttheorien wird hierbei kaum
Brückendisziplin sehr gut deutlich, die sich auf       rezipiert (vgl. Kammerl 2017). Ein weiteres
unterschiedliche Theorietraditionen bezieht und        Deutungsmuster für die vergleichsweise zöger­
diese im Hinblick auf ihren Gegenstand in ein          liche Rezeption poststrukturalistischer Ansätze
Passungsverhältnis zu bringen vermag.                  im Bereich der Medienpädagogik lässt sich
                                                       aus der Problematik (bzw. der neu erforder­
                                                       lichen Problematisierung) ableiten, pädagogi-
Neuere Entwicklungen                                   sche Tätig­keiten konsequent als machtförmiges
und Desiderate                                         Geschehen zu begreifen. Gerade die hierin
                                                       eingeschriebenen Hierarchisierungen, Ambi-
Im Kontext der insbesondere in den Sozial- und         valenzen sowie Begrenzungen des (medien-)
­Kulturwissenschaften, aber auch in der Erziehungs-    pädagogischen Handelns werfen Fragen bezüg-
 wissenschaft geführten Poststrukturalismus-           lich der Positionierung zu Normen und Werten
 Debatten, halten seit wenigen Jahren unter            auf, die sich nicht ohne weiteres auflösen lassen.

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CC BY 4.0 Filmreflex

                       #vonBerufMedienpaed

                       Diese Herausforderungen aufgreifend, finden       dabei herausscheinender gemeinsamer Nenner
                       sich in jüngerer Vergangenheit einige Arbeiten,   besteht darin, angesichts deutlich veränderter
                       die sich aus medienpädagogischer Sicht kritisch   digital-medialer Bedingungen neu über Fragen
                       mit eben jenen klassischen subjekttheoretischen   von Bildung nachzudenken, die nicht mehr län-
                       Grundlagen befassen. Zu nennen wären hier         ger auf ein klar konturiertes Individuum bezogen
                       die Beiträge in Jörissen und Meyer (2015),        werden können, sondern vielmehr als hybrides
                       die das Verhältnis von digitaler Medialität und   Relationierungsgeschehen verstanden werden
                       (neuen) Formen der Subjektivierung mit je un-     müssen. Auch die Beiträge in der Publikation
                       terschiedlicher Akzentuierung besprechen. Ein     Digitalität und Selbst (2017) von Allert, Assmussen­

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merz thema

und Richter lassen sich in diesem Bereich des           theoretischen ‚Innovationspool‘ zur Verfügung
fachlichen Diskurses verorten, indem sie neue           stellt und die damit verbundene Interdiszipli-
Wege erkunden, um den Zusammenhang von                  narität sicher fruchtbare Perspektiven auf kom-
­Digitalität und Selbst-Werdung kritisch-konstruk-      plexe Medienwelten eröffnet, muss andererseits
 tiv weiterzudenken.                                    verhindert werden, dass die Theoriebezüge zu
 Die genannten Bände verdeutlichen darüber              sehr im Modus der bloßen Rezeption erfolgen
 ­hinaus Anschlussstellen an wichtige theorie­          und eine genuin medienpädagogische Theorie­
  prägende Debatten der Kulturwissenschaft. So          entwicklung auf der Strecke bleibt. Das alleinige
  lässt sich mit Blick auf diese Arbeiten unter ande-   Aufgreifen von (erziehungswissenschaftlichen,
  rem an posthumanistische Diskurse anschließen,        soziologischen, psychologischen, medienwissen-
  die in der Erziehungswissenschaft – wenn auch         schaftlichen) Theorieansätzen reicht nicht aus,
  sehr zögerlich – partiell aufgegriffen werden (vgl.   genauso muss auch die Weiterentwicklung von
  Kluge et al. 2014; Wimmer 2019). Zudem bieten         Theorien zum Repertoire der Medienpädagogik
  die rege diskutierten Arbeiten aus dem Bereich        gehören. Dies trägt nicht nur zu einem weiter-
  des „New Materialism“ (Kalthoff et al. 2016)          reichenden Verständnis für den eigenen Gegen-
  zahlreiche Ansatzpunkte, über Mensch-Medien-          standsbereich bei, sondern stärkt auch die Stel-
  Verhältnisse bzw. sozio-mediale Konstellationen       lung der Medienpädagogik im wissenschaftlichen
  nachzudenken und neue Perspektiven für                Feld und ermöglicht darüber hinaus die fundierte
  medienpädagogische Fragestellungen zu erkun-          Reflexion und Entwicklung praktischer Konzepte.
  den. Weitere vielversprechende und noch deut-         Mit der zunehmenden Berücksichtigung inter­
  lich unterrepräsentierte Theoriebezüge lassen         nationaler Debatten in der medienpädago­gischen
  sich hinsichtlich der Gender Studies oder auch        Theorieentwicklung werden diese Innovations-
  der Postcolonial Studies erkennen. Hier zeich-        potenziale vervielfältigt, gleichermaßen aber auch
  net sich für die Medienpädagogik deutlich der         die Anforderungen für die Theoriebildung ver-
  Bedarf ab, mit größerer Intensität auf die in die-    größert. Die Breite der theoretischen Bezüge
  sen Zusammenhängen diskutierten Aspekte zu            erfordert also umso mehr eine kontinuierliche
  blicken, um anschlussfähig an diese sich dyna-        Begriffsschärfung, denn nur dadurch erhält die
  misch entwickelnden interdisziplinären Theorie­       Medienpädagogik ihre klare Kontur als essenzielle
  diskurse zu bleiben.                                  Bezugsgröße für die vielfältigen und komplexen
                                                        Zusammenhänge von Medien und Bildung, Ler-
                                                        nen, Erziehung sowie Sozialisation. Deutlich wird
Fazit                                                   darüber hinaus der wesentlich umfangreichere
                                                        Fundus an Gegenstandstheorien im Unterschied
Abschließend lässt sich festhalten, dass es die         zu Grundlagentheorien. Nimmt man wie Dörner
eine oder die zentrale theoretische Begründung          und ­Schäffer (2012) an, dass „Grundlagentheo­
der Medienpädagogik nicht gibt. Stattdessen             rien […] begriffliche Mittel zur Verfügung [stel-
offenbart sich ein heterogenes Feld verschie-           len], mit deren Hilfe Gegenstandstheorien über-
dener Strömungen mit je unterschiedlichen               haupt erst konstituiert werden können“ (S. 16),
Schwerpunkten und Anschlüssen an verschie-              erscheint kritisches Nachdenken darüber ange-
dene Theoriediskurse­. Diese Einschätzung kann          bracht, ob nicht auch die verstärkte Entwicklung
zugleich als Stärke und Schwäche ausgelegt wer-         originärer medienpädagogischer Grundlagen­
den: Während eine solche plurale Orientierung           theorien mit verstärktem Einsatz vorangetrieben
der Medienpädagogik einerseits einen großen             werden sollte, um eine solide und tief reichende

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Basis für weiterreichende – sowohl empirische als      Literatur
auch theoretische – Studien zu schaffen.               Allert, Heidrun/Asmussen, Michael/Richter, Christoph
Eine wesentliche Herausforderung für die               (Hrsg.) (2017). Digitalität und Selbst. Interdisziplinäre
                                                       Perspektiven auf Subjektivierungs- und Bildungsprozesse.
medien­pädagogische Theorieentwicklung ist zu-         Bielefeld: transcript.
dem im dynamischen medienkulturellen Wandel
                                                       Bettinger, Patrick (2018). Praxeologische Medienbildung.
zu sehen. Dieser stellt nicht nur die Medien-          Theoretische und empirische Perspektiven auf sozio-
pädagogik als Wissenschaft vor das Problem,            mediale Habitustransformationen. Wiesbaden: Springer VS.
dass Phänomene von einer enormen Flüchtig-             Jörissen, Benjamin/Meyer, Torsten (Hrsg.) (2015). Subjekt
keit gekennzeichnet sind und fundierte Theo-           Medium Bildung. Wiesbaden: Springer VS.

rieentwicklung Zeit bedarf. Auch die theoreti-         Kammerl, Rudolf (2017). Das Potential der Medien für
sche Grundlegung medienpädagogischer Praxis            die Bildung des Subjekts. Überlegungen zur Kritik der
                                                       Subjektorientierung in der medienpädagogischen Theorie-
muss sich angesichts dieser Entwicklung stets          bildung. In: MedienPädagogik, 27, S. 30–49.
selbstkritisch im Hinblick auf die Gültigkeit ih-
                                                       Kommer, Sven/Junge, Thorsten/Rust, Christinane (2017).
rer handlungsleitenden Prämissen befragen. Hier        Tagungsband: Spannungsfelder und blinde Flecken.
                                                       Medienpädagogik zwischen Emanzipationsanspruch und
wird in besonderer Form die Herausforderung            Diskursvermeidung. In: MedienPädagogik, 27, S. 1–8.
der (begrenzten) theoretischen Reichweite bzw.
                                                       Moser, Heinz (2019). Einführung in die Medienpädagogik.
die Geltungskraft von Aussagen deutlich. Die           Aufwachsen im Medienzeitalter. 6. Aufl. Wiesbaden:
Anforderung besteht hierbei darin, den Spagat          Springer VS.
zwischen dem rapiden Wandel des medien-                Moser, Heinz/Grell, Petra/Niesyto, Horst (Hrsg.) (2011).
pädagogischen Gegenstandsbereichs und dem              Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu
                                                       Schlüssel­begriffen der Medienpädagogik. München: kopaed.
Anspruch, möglichst aussagekräftige Theorien
zu formulieren, zu bewältigen. Die immer schon         Niesyto, Horst/Moser, Heinz (Hrsg.) (2018). Medienkritik
                                                       im digitalen Zeitalter. München: kopaed.
interdisziplinär angelegte Theoriebildung in der
Medienpädagogik muss diese Vielfalt der Bezüge         Swertz, Christian/Ruge, Wolfgang B./Schmölz, Alexan-
                                                       der/Barberi, Alessandro (Hrsg.) (2017). Die Konstitution
hierzu weiter aufrechterhalten, sollte aber in glei-   der Medienpädagogik. Zwischen interdisziplinärem For-
chem Maße die kritische Prüfung der Adaption           schungsfeld und bildungswissenschaftlicher (Sub-)Disziplin.
                                                       MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der
theoretischer Konzepte verinnerlichen. Beson-          Medienbildung, 27.
ders kritisch erscheint das vorbehaltlose Auf-         Trültzsch-Wijnen, Christine (Hrsg.) (2017). Medienpäda-
greifen von begrifflichen Konstrukten, die ihren       gogik. Eine Standortbestimmung. Baden-Baden: Nomos.
Ursprung im außerakademischen Bereich haben,           Verständig, Dan/Holze, Jens/Biermann, Ralf (Hrsg.)
nicht in bestehende Theoriekontexte eingebettet        (2016). Von der Bildung zur Medienbildung. Wiesbaden:
                                                       Springer VS.
sind und zunächst keine unmittelbare Anbindung
an den fachwissenschaftlichen Diskurs aufweisen.       Zuboff, Shoshana (2018). Das Zeitalter des Überwa-
                                                       chungskapitalismus. Frankfurt a. M.: Campus.
Exemplarisch für diese Problematik lässt sich der
Begriff ‚digitale Bildung‘ nennen, der seit einiger    Die komplette Literatur zu diesem Artikel finden Sie
                                                       online unter www.merz-zeitschrift.de/alle-ausgaben/
Zeit vermehrt Einzug in medienpädagogische             details/2020-02-beruf-medienpaedagogin.
Diskurse hält (vgl. merz 2018/05). Hier erscheint
es wichtig, Schlagworte nicht nur affirmativ zu        Dr. Patrick Bettinger ist Juniorprofessor für Erzie-
verwenden, sondern die unterschiedlichen An-           hungswissenschaftliche Medienforschung an der
sätze hinsichtlich ihres Ertrags für den medien­       Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte
pädagogischen Erkenntnisgewinn sowie mögliche          sind qualitative Methodologien und Methoden
handlungspraktische Bezüge zu prüfen und ge-           der erziehungswissenschaftlichen Medien­forschung
genstandsangemessen weiterzuentwickeln oder            ­sowie medienpädagogische Grundlagentheorien und
im Zweifelsfall auch zu verwerfen.                      Wissenschaftsforschung.

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