Mikroapartments in Deutschland - eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen - Publikationen | ARL-net
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rur.oekom.de https://doi.org/10.14512/rur.62 BEITRAG ARTICLE OPEN ACCESS Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Simon Hein Eingegangen: 3. Juli 2020 Angenommen: 9. Januar 2021 Online veröffentlicht: 2. März 2021 Kurzfassung Micro-apartments in Germany – an analysis of Eine nachhaltige Stadtentwicklung erfordert die nachhaltige the spatial implications of micro-apartment Entwicklung des Wohnungsbestandes. Als wichtigen Baustein complexes auf dem Weg dahin empfiehlt beispielsweise die „Kommis- sion für nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt“, eine Abstract Reduzierung der Pro-Kopf-Wohnfläche anzustreben sowie Sustainable urban development requires the sustainable de- suffiziente Grundrisslösungen zu entwickeln. In diesem Sinne velopment of the housing sector. The Commission for Sustain- sind Mikroapartments als flächenreduzierte Wohneinheiten able Building at the German Environment Agency, for example, für Einpersonenhaushalte von besonderer Relevanz. Neben recommends a reduction in per capita living space and de- Klimaschutz und Ressourceneffizienz existieren aber weitere veloping sufficient floor plan designs. In this sense, micro- Ansprüche an nachhaltige urbane Räume, weswegen dieser apartments are of particular relevance. Aside from climate Beitrag Mikroapartments im Kontext nachhaltiger Stadtent- change mitigation and resource efficiency, there are other wicklung erforscht. Als konzeptioneller Rahmen wird der An- challenges to sustainable urban spaces which have to be con- satz einer raumbezogenen Wohnforschung erprobt. Ein zen- sidered. To this end, this paper researches micro-apartments trales Ergebnis der Untersuchung lautet, dass eine mögliche in the context of sustainable urban development planning. Belebung städtischer Nischenräume das wesentliche Poten- As a conceptual framework, the approach of a more space- zial von Mikroapartmentanlagen darstellt. Zur Bereitstellung oriented housing research is tested. A possible revitalisation bezahlbaren Wohnens für Studierende, die eine Zielgruppe of urban niches is identified as the main potential of micro- von Mikroapartments bilden, tragen jene hingegen eher nicht apartment complexes. However, we find micro-apartments do bei. Verbleibende Wissenslücken zu sozialräumlichen Impli- not contribute to affordable housing for students, who are kationen von Mikroapartments kann Forschung allerdings zur a main target group of micro-apartments. Further research Frage, ob Wohnende vermehrt Tätigkeiten aus den Wohnein- on whether tenants of micro-apartments are increasingly heiten auslagern, schließen. outsourcing housing-related activities is needed, so that the socio-spatial implications of micro-apartments can be better Schlüsselwörter: Mikroapartments · Flächenreduziertes understood. Wohnen · Bezahlbares Wohnen · Multilokalität · Urbane Wohnungsmärkte Keywords: Micro-apartments · Micro-housing · Housing affordability · Multilocality · Urban housing markets Simon Hein, Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, 1 Einleitung RWTH Aachen University, Mies-van-der-Rohe-Straße 1, 52074 Aachen „Jede gesellschaftliche Epoche schafft sich ihre besonde- hein@isb.rwth-aachen.de re Wohnweise als wechselseitigen Zusammenhang von Le- © 2021 Hein; licensee oekom verlag. This Open Access bensweise und Gehäuse“ (Häußermann/Siebel 2000: 13). article is published under the Creative Commons In den Industrienationen hat sich in der Vergangenheit je- Attribution-ShareAlike 4.0 International Licence. doch nicht nur eine besondere Wohnweise herausgebildet. 154 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Vielmehr existieren multiple Wohnweisen, was als eine Cha- auf datenbezogen-analytischer Grundlage erfolgt, werden rakteristik gegenwärtigen Wohnens gedeutet werden kann. im Beitrag die weiteren Forschungsfragen literaturbasiert In Deutschland hat sich infolgedessen das Wohnen ausdif- diskutiert. Den konzeptionellen Rahmen bildet der Ansatz ferenziert. Es finden sich verschiedenste Wohnformen. der raumbezogenen Wohnforschung. Ein Beispiel für eine jüngere Wohnform sind Mikro- An dessen Erläuterung im nachfolgenden Kapitel 2 apartments. Diese gelten – zumindest unter der Bezeich- schließen sich Begriffsdefinition und quantitative Einord- nung Mikroapartment – als ein Phänomen, das nach Me- nung (Kapitel 3) sowie die Analyse angebots- und nach- dienberichten einen regelrechten Boom in deutschen Groß- frageseitiger Strukturen an, die mit Mikroapartments in städten auslöst (vgl. Ochs 2016; Mattauch 2017). Gleich- Verbindung stehen (Kapitel 4). Kapitel 5 fokussiert deren zeitig sind Mikroapartments wenig beforscht. Räumliche räumliche Wirkungen, wobei die Themen Auslagerung Auswirkungen von Mikroapartmentanlagen sind mit deren von Wohnfunktionen und Bezahlbarkeit gesondert disku- verschiedenen Eigenschaften verknüpft. Die Implikationen tiert werden. Eine Zusammenfassung der wesentlichen werden dabei sowohl von der physischen Ausgestaltung der Erkenntnisse und kritische Reflexion der Vorgehensweise Anlagen als auch der Wohnweise der darin Wohnenden be- beschließen den Beitrag (Kapitel 6). stimmt. Aus kommunaler Perspektive stellt sich die Frage, wie diese Überschneidungen hinsichtlich der Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung einzuordnen sind. 2 Der konzeptionelle Ansatz: Das Fehlen wissenschaftlicher Analysen, die den medial Raumbezogene Wohnforschung beschriebenen Boom sowohl hinsichtlich deren soziologi- schen als auch wohnungsmarkt- und stadtentwicklungsbe- Der konzeptionelle Ansatz einer raumbezogenen Wohnfor- zogenen Dimensionen untersuchen, bildete den Ausgangs- schung will verschiedene Perspektiven auf das Wohnen zu- punkt dieser Forschungsarbeit. Deren Ziel war, eben jene sammenführen, um Selbiges hinsichtlich der Ziele einer Wissenslücke zu schließen. Folgende Forschungsfragen ste- nachhaltigen Stadtentwicklung einordnen zu können. hen im Zentrum des Erkenntnisinteresses: Wenn Wohnen gesellschaftliche Lebensweisen verräum- licht (Häußermann/Siebel 2000: 13; Hasse 2012: 485), soll- – Wie sind die deutschen Mikroapartmentbestände quanti- te die Wohnungsnachfrage in Zusammenhang mit gesell- tativ in den Wohnungsmarkt einzuordnen? schaftlichen Entwicklungen stehen. Raumbezogene Wohn- – Welche gesellschaftlichen und wohnungsmarktspezifi- forschung analysiert dabei einerseits gesellschaftliche Struk- schen Entwicklungen stehen mit der Angebotsentwick- turen im Kontext der Wohnungsnachfrage. Diese sollen Er- lung von Mikroapartments in Verbindung? kenntnisse darüber liefern, wie sich das Zusammenspiel – Welche räumlichen Implikationen gehen mit dem Bau aus physischer Wohnung und Wohnweise der Wohnenden von Mikroapartmentanlagen einher? auf den Raum auswirkt. Demgegenüber stellt die Betrach- tung von marktbezogenen Entwicklungen Wohnen als In- Basis der quantitativen Einordnung der Bestandsentwick- vestitionsgut in den Fokus. Marktbezogene Entwicklungen lung von Mikroapartments stellen Daten der immobili- und Handlungsmuster angebotsseitiger Akteure gestalten enwirtschaftlichen Forschung dar. Sie setzen sich aus das Wohnungsangebot mit aus und werden dadurch raum- Bestandszahlen privatwirtschaftlicher Studierendenwoh- wirksam. Der Wohnungsmarkt lässt sich im Spannungsfeld nungen sowie Transaktionssummen im Segment Mikro- zwischen Gesellschaft und Kapitalmarkt verorten, wobei apartment zusammen. Der Beitrag greift zusätzlich auf Da- Politik und Verwaltung in den Markt eingreifen, um Ziel- ten zu studentischen Einkommen der Sozialerhebung des setzungen der Wohnungspolitik zu realisieren. Auch diese Deutschen Studentenwerks (vgl. Middendorff/Apolinarski/ Eingriffe gehen mit Auswirkungen auf den Raum einher. Becker et al. 2017) sowie öffentlich zugänglichen Daten zu Die Perspektive der Stadtentwicklung muss diese Aus- mittleren Angebotsmieten weiterer studentischer Wohnfor- wirkungen auf den Raum mit weiteren Belangen abwägen. men zurück (CBRE 2018).1 In vier Beispielstädten wurden So geht nachhaltige Stadtentwicklung mit Zielen einher, außerdem die Mikroapartmentbestände und deren Ange- die sich unter anderem auf Wohnbedürfnisse und gesun- botsmieten erhoben. de Wohnverhältnisse, soziale und kulturelle Bedürfnisse so- Während die quantitative Einordnung des Bestands, der wie Umwelt- und Naturschutz beziehen. In diesem Sinne Mietpreise und der Bezahlbarkeit von Mikroapartments betrachtet raumbezogene Wohnforschung Fragestellungen des Wohnens im Geflecht aus Interdependenzen von Gesell- schaft, Markt und Stadtentwicklung. Grundlegend dabei ist, dass im Kontext von Wohnen Eingriffe in den Wohnungs- 1 Vgl. auch https://www.wg-suche.de/ (12.01.2021). markt durch Politik und Verwaltung, gesellschaftliche Ent- Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 155
S. Hein Abbildung 1 Konzeptualisierung einer raumbezogenen Wohnforschung am Beispiel von Mikroapart- ments wicklungen und angebotsseitige Handlungen gemeinsam 3 Mikroapartments in Deutschland auf den Raum einwirken. Daraus resultiert ein eher weites Verständnis von räumlichen Implikationen, das prinzipiell 3.1 Begriffsdefinition alle Auswirkungen des Forschungsgegenstands hinsichtlich stadtentwicklungsbezogener Zielsetzungen umfasst. Medienberichte sowie Fachliteratur verwenden den Term In Abbildung 1 ist der Ansatz der raumbezogenen Wohn- Mikroapartment uneinheitlich, weswegen dieser bislang für forschung für den Forschungsgegenstand Mikroapartments ein Konglomerat kleinformatiger Wohnungen Anwendung konkretisiert. Die darin aufgeführten Strukturen – Indivi- findet. Allgemein können Mikroapartments als flächenredu- dualisierung, Multilokalität sowie Entgrenzung von Arbeit zierte Wohneinheiten für Einpersonenhaushalte bezeichnet und Freizeit einerseits, durch freies Anlagekapital ausgelös- werden, die entweder als Einraumwohnung oder mit sepa- ter Nachfragedruck auf den Wohninvestitionsmarkt anderer- ratem Schlafzimmer ausgeführt sind (Fisher-Gewirtzman seits – stellen eine Möglichkeit dar, die Nachfrage- und An- 2017: 338), wobei diese Definition auf Wohnungsmärkte gebotsentwicklung von Mikroapartments zu erklären. Die westlich geprägter Gesellschaften zu beschränken ist. Es Konzeptualisierung kann an dieser Stelle jedoch nicht den besteht ein grundlegender Unterschied zum ostasiatischen Anspruch erheben, Nachfrage- und Angebotsentwicklung Verständnis von Mikroapartments, wo jene auch als Behau- anhand der einzig richtigen Entwicklungslinien strukturiert sung für Mehrpersonenhaushalte dienen können (Lau/Wei zu haben. Die mit Mikroapartments in Zusammenhang ste- 2018: 283). In westlich geprägten urbanen Räumen lassen henden gesellschaftlichen und marktlichen Prozesse ließen sich vier Abgrenzungskriterien feststellen, die den Termi- sich vermutlich auch unter anderen Begriffen rahmen. Der nus Mikroapartments schärfen: Vorschlag zur raumbezogenen Wohnforschung ist somit als offenes Konzept anzusehen. 1. eine um 20–30 % kleinere Fläche als konventionelle Woh- nungen des betrachteten räumlichen Teilmarkts (ULI 2014: 5 f.), 2. Wohneinheit mit Küchennische oder Küche und Badezim- mer (Infranca 2014: 54; ULI 2014: 6), 3. Behausung für eine Person (Withers 2012: 151; Iglesias 2014: 3; Fisher-Gewirtzman 2017: 338), 156 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Tabelle 1 Zielgruppen und Aufenthaltsmotive für wohnwirtschaftliche Mikroapartmentkonzepte Nachfragegruppe Anlass Beispiel Personen in Studium Studierende Ausbildungsphase Ausbildung oder Trainee Übergangslösung während der Probezeit oder bei wechselnden Ausbildungs- orten Praktikum Zeitlich begrenztes Praktikum in einer anderen Stadt Berufstätige Projektarbeit Zeitlich begrenzte Projekte in einer anderen Stadt Wochenpendeln Berufstätige, deren Wohnort so weit vom Arbeitsort entfernt ist, dass sie unter der Woche eine Wohnlösung benötigen Neueinstellung Übergangslösung während der Probezeit, Orientierungsphase auf dem Woh- nungsmarkt Temporäres Engagement Doktorandinnen/Doktoranden, Assistentinnen/Assistenten, Privatdozentin- nen/Privatdozenten, Gastprofessorinnen/Gastprofessoren Berufsbedingte Mobilitätsan- Flugbegleiter/-innen, Pilotinnen/Piloten und Außendienstmitarbeiter/ forderungen -innen Privatpersonen Wohnortwechsel Überbrückung der Orientierungsphase auf dem Wohnungsmarkt Bewusste Flächenreduzierung Seniorinnen/Senioren, Alleinstehende Quelle: Eigene Erstellung; Inhalte nach Gregorius (2017: 21) und Ponnewitz/Kienzler (2016: 39 f.) 4. in Vielzahl innerhalb einer baulichen Anlage realisiert ordnet (Gregorius 2017: 20).2 In diesem Beitrag werden sie (Engelhardt/Kaljic 2017: 87). als eine der wohnwirtschaftlichen Ausformungen temporä- ren Wohnens interpretiert, deren Mietdauern üblicherweise Diese Kriterien reichen jedoch nicht aus, um Mikroapart- mindestens sechs Monate betragen (Gregorius 2017: 23). ments beispielsweise von üblichen Kleinwohnungen abgren- Beherbergungsgewerbliche Konzepte mit kürzeren Aufent- zen zu können. Hierzu finden nachfolgend weitere Kriterien haltsdauern werden nicht untersucht. Die nachfolgenden Ka- Anwendung, die sich insbesondere auf deutsche Wohnungs- pitel fokussieren auch im baurechtlichen Sinne das Wohnen. märkte beziehen: 3.2 Weitere Charakteristika und quantitative 5. im Mietvertrag enthaltene Service-Leistungen, wie bei- Einordnung spielsweise Möblierung, Internetzugang und Nutzung von Waschräumen (Engelhardt/Kaljic 2017: 87) oder In Deutschland lassen sich Mikroapartments weitergehend Nutzung von Gemeinschaftsflächen (Lernräume, Fitness- einteilen in Anlagen, die sich ausschließlich auf Studieren- räume oder Lounges) (Dammaschk 2017: 100), de als Zielgruppe beschränken (studentische Mikroapart- 6. zielgruppenspezifische Vermarktungskonzepte, üblicher- ments), sowie Anlagen, die einen breiteren Nutzerkreis weise mit Vermarktung über einen Markennamen, adressieren (Engelhardt/Kaljic 2017: 87). 7. zeitlich begrenzte Mietdauern. Ausgangspunkt für den vermehrten Bau ersterer war ein Bedeutungszuwachs studentischer Wohnungsnachfrage So ist die Vermarktung der Wohneinheiten mittels Mar- für lokale Märkte, der die Aktivität privatwirtschaftlicher kennamen (z. B. i live, SMARTments, the fizz, the flag, Akteure im Segment des studentischen Wohnens verstärkte youniq) Teil des Betriebskonzepts der Anbieter. Pauschal- (Glatter/Hackenberg/Wolff 2014: 390). Es bestehen daher mietverträge, die zusätzlich zu Nebenkosten sogenannte große Schnittmengen zu privatwirtschaftlich betriebenen Service-Leistungen miteinschließen, regeln die Vermie- Studierendenheimen. Mikroapartments können insofern tung. Mikroapartmentanlagen gehen zudem mit einer hohen als neues Phänomen gelten, als dass mit ihnen neue An- Fluktuationsrate einher (Brauckmann 2017: 82). bieterstrukturen und Vermarktungskonzepte im studenti- Wegen der Begrenzung der Mietdauern werden Mikro- schen Wohnen einhergehen. Die Aktivität der Anbieter apartments als Teilmenge des temporären Wohnens einge- 2 Die zeitliche Befristung im Sinne temporären Wohnens umfasst grundsätzlich sämtliches Wohnen auf absehbare Zeit und damit Mietdauern von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten oder Jahren (Gregorius 2017: 20). Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 157
S. Hein Abbildung 2 Bestandsentwicklung studentischer Mikroapartments in Deutschland beschränkte sich anfangs vordringlich auf wachstumsstarke te Einzelapartments für Einpersonenhaushalte ausgeführt.3 Hochschulstandorte (Glatter/Hackenberg/Wolff 2014: 390), Die Anzahl dieser Wohneinheiten wird nachfolgend als Be- deren Wohnungsmarktsituation als angespannt galt (Neu- stand studentischer Mikroapartments angenommen.4 Wäh- brand/Brack 2018: 11). Mittlerweile sind Anbieter auch an rend im Jahr 2010 lediglich rund 8.000 studentische Mik- Standorten außerhalb deutscher Metropolen aktiv (Schenk roapartments existierten, belief sich deren Anzahl im Jahr 2019: 3). 2018 bereits auf rund 34.000 Wohneinheiten (vgl. Abbil- Seit einigen Jahren sind angebotsseitige Bemühungen er- dung 2). Der Bestand hat sich folglich in diesem Zeitraum kennbar, die Zielgruppe von Mikroapartments zu erweitern mehr als vervierfacht und wird weiter anwachsen, sobald (Voigtländer 2017: 12), woraus Mikroapartmentanlagen ent- die Anlagen fertiggestellt sind, die sich bereits in Bau oder standen sind, die einen breiteren Nutzerkreis adressieren. Planung befinden. Für das Jahr 2021 wird ein Bestand von Neben Studierenden richten sich diese Konzepte zusätzlich rund 49.000 Einheiten prognostiziert (vgl. Abbildung 2). an junge Erwerbstätige wissensintensiver Branchen (Voigt- Direkte Angaben zur Bestandsentwicklung von Mikro- länder 2017: 12), die als Nachfragegruppe temporärer apartmentanlagen, die einen breiteren Nutzerkreis fokussie- Wohnformen gelten (Dammaschk 2017: 98). Als weitere ren, sind hingegen nicht vorzufinden. Es existieren jedoch Nachfragegruppe kommen außerdem Personen in Frage, Angaben zu Investitionen, die vermehrte Aktivität von In- die bewusst eine Reduzierung ihrer individuellen Wohn- vestoren anzeigen. Ab dem Jahr 2014 ist ein deutlicher An- flächeninanspruchnahme anstreben, wobei die Begrenzung stieg der Investitionen in offene Mikroapartmentkonzepte des persönlichen Konsums im Sinne eines nachhaltigen zu beobachten (vgl. Abbildung 3). Den Höhepunkt dieser Lebensstils als Handlungsmotiv dient (Twardoch 2017: Entwicklung stellt das Jahr 2017 dar, in dem das Trans- 118 f.). Eine Übersicht über potenzielle Nachfragegruppen aktionsvolumen offener Konzepte 940 Mio. Euro betrug für Mikroapartments ist in Tabelle 1 dargestellt. (vgl. Abbildung 3). Da sich diese Transaktionsvolumina aus Ab dem Beginn der 2010er-Jahre ist in Deutschland ein Anstieg der Anzahl von Wohneinheiten, umgesetzt als studentische Mikroapartments, zu beobachten. Die Anzahl 3 studentischer Mikroapartments lässt sich aus der Gesamt- Je nach Datengrundlage beträgt der Anteil im Bestand 67 % (Schenk 2019: 3) oder 69,1 % (CBRE 2018: 30). Künftig wird sich die- heit aller Wohnplätze privater Studierendenheime ableiten. ser Anteil weiter erhöhen, da er sich bei den in Bau und Planung Ungefähr zwei Drittel jener Wohnplätze sind als möblier- befindlichen Anlagen auf 92 % beläuft (Schenk 2019: 3). 4 Hinweis zu den Kriterien aus Kapitel 3.1: (2), (3), (4), (5) und (7) sind gegeben; (1) und (6) werden als gegeben angenommen. 158 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Abbildung 3 Transaktionsvolumen von studentischen und sonstigen Mikroapartmentanlagen in Deutschland dem Handel von Bestandsimmobilien, fertiggestellten Neu- kurzen Zeitreihe zu Transaktionen keine dauerhaften Trends bauten sowie Umnutzungen von Gewerbeimmobilien und ableiten lassen.6 Projektentwicklungen (sogenannte Forward Deals5) zusam- mensetzen, können sie nur wenig über die Bestandsentwick- lung aussagen. Dass die Anstrengungen angebotsseitiger 4 Entwicklung des Bestandes Akteure, neue Nachfragegruppen für Mikroapartments zu von Mikroapartments – erschließen (Voigtländer 2017: 12), erst seit wenigen Jah- ren zu beobachten sind, deutet aber auf Neubautätigkeit in Gesellschaftlicher Wandel oder diesem Bereich hin. Exakt quantifizieren lässt sich diese Wandel der Rahmenbedingungen aber anhand der Transaktionsvolumina nicht. des Marktes? Bei der Betrachtung des gesamten Transaktionsvolu- mens des deutschen Wohnungsmarktes verdeutlicht sich, 4.1 Nachfrage nach Mikroapartments als welchen Stellenwert Mikroapartments für den Wohninves- Ausdruck gesellschaftlichen Wandels? titionsmarkt haben. Mikroapartmentanlagen steuern einen wesentlich höheren Anteil zum Transaktionsvolumen bei, Aus bestehenden gesellschaftlichen Trajektorien lässt sich als sich dies aus ihrem Anteil am gesamten Wohnungs- leicht ein Narrativ spannen, das Mikroapartments zur fol- bestand (etwa 42,2 Mio. Wohnungen; Destatis 2020a) gerichtigen Wohnform für jüngere und mobile Kohorten begründen ließe. So gingen im Jahr 2017 über 12 % des ernennt. Angebotsseitige Akteure verbreiten zur Vermark- Transaktionsvolumens auf Mikroapartmentanlagen zurück. tung ihrer Produkte solche Narrative. Auch die sogenann- Ansätze des medial beschriebenen Booms spiegeln sich folglich sowohl in den Bestandszahlen studentischer Mik- roapartments als auch im Transaktionsvolumen aller Mik- 6 Die Transaktionssummen werden zudem maßgeblich von Trans- roapartmentanlagen wider, auch wenn sich aus der noch aktionen großer Portfolios beeinflusst. So gehen 670 Mio. Euro des Volumens aus dem Jahr 2017 allein auf den Erwerb eines Portfoli- os von fünf Projektentwicklungen durch Corestate Capital zurück (vgl. https://corestate-capital.com/de/2018/01/corestate-und- universal-investment-erwerben-neubau-mikroapartments-im- 5Forward Deals stellen Investitionen in sich in Bau oder Planung wert-von-eur-670-mio-fuer-die-bayerische-versorgungskammer/ befindlichen Objekten dar. (12.01.2021)). Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 159
S. Hein te Trend- bzw. Zukunftsforschung entwirft Wohnvisionen, auf 411.601 im Wintersemester 2019/2020 angestiegen ist die diese Vermarktungsstrategien untermauern (vgl. z. B. (Destatis 2020c). Varga/Seidel/Lanzinger et al. 2013). Immobilienwirtschaft- Die Pluralisierung der Lebensstile umfasst das Aufwei- lich getriebene Narrative eines minimalistischen Raumpro- chen traditioneller Normalbiographien im Sinne einer Ab- gramms können sich so mittelbar zu Prämissen zukünftigen folge von Ausbildung, Arbeit, Rente. Bei jungen Erwach- Wohnens entwickeln (Frank 2019: 171). Umso wichtiger senen schließt sich der Ausbildung oftmals eine Phase der erscheint es, mögliche Zusammenhänge zwischen gesell- Postadoleszenz an, in der diese von diversen Handlungs- schaftlichen Entwicklungen und der Nachfrage nach Mikro- optionen Gebrauch machen und sowohl räumlich als auch apartments aus wissenschaftlicher Perspektive zu analysie- beruflich sehr flexibel sind (Ewinger/Ternès/Koerbel et al. ren. Dies geschieht nachfolgend anhand von Individualisie- 2016: 11). Neben dem Studienbeginn geht häufiger auch rungs- und Singularisierungsprozessen, residenzieller Mul- der Berufseinstieg mit einem Wohnortwechsel einher (Reck- tilokalität sowie Entgrenzungen von Erwerbstätigkeit und witz 2017: 337). Diese Entwicklung ist mit der Zielgrup- Freizeit. penorientierung von Mikroapartments auf neueingestellte Die genannten gesellschaftlichen Phänomene bringen an- (junge) Erwerbstätige, die den Wohnort gewechselt haben, gebotsseitige Narrative häufig mit dem Nachfragepotenzial verknüpft (vgl. Tabelle 1). Die quantitative Erfassung dieser von Mikroapartments in Verbindung. Gruppe ist jedoch schwierig. Die in Mikroapartments vor- handene Möblierung, die wie die minimierte Wohnfläche 4.1.1 Individualisierung und Singularisierung der in Bezug auf reflexive Lebensstile eher paradox erscheint, Gesellschaft, Pluralisierung der Lebensstile greift die räumliche Flexibilität der Postadoleszenz auf. Ge- Sowohl die auf Beck (1983) zurückgehende Individualisie- rade bei einer Neueinstellung mit Ortswechsel kann der rungsthese als auch das Konzept einer Gesellschaft der Sin- entfallende Einrichtungsaufwand Mikroapartments für eine gularitäten nach Reckwitz (2017) dienen als Erklärung für Übergangszeit während der Suche nach einer konventionel- die Pluralisierung der Lebensstile in Deutschland. Beide len Wohnung attraktiv machen. gehen gleichsam mit Implikationen für das Wohnen einher, wobei Wohnen als zentrales Mittel der individuellen Iden- 4.1.2 Residenzielle Multilokalität titätsstiftung den Ausgangspunkt bildet (Reckwitz 2017: Residenzielle Multilokalität bezeichnet alternierendes Woh- 316). Nach diesem Verständnis sind das Wohnumfeld so- nen an mehreren Orten (ARL 2016: 1). Auch als Resultat wie die physische Ausgestaltung der Wohnung gleicherma- flexibilisierter Strukturen der Erwerbstätigkeit verlaufen Be- ßen bedeutsam für die Ausformung reflexiver Lebensent- rufsbiographien weniger linear und häufiger an verschiede- würfe. Als Folge von Individualisierungsprozessen gelten nen Standorten. Zur Aufrechterhaltung sozialer Netzwerke singularisierte Haushaltsstrukturen (Hannemann 2014: 41). können multilokale Konstellationen notwendig sein. Mul- Im Jahr 2018 machten Einpersonenhaushalte 41,9 % aller tilokalität tritt in verschiedenen Ausformungen in Erschei- deutschen Haushalte aus (eigene Berechnung auf Grundla- nung. Im Kontext von Mikroapartments erscheint ausbil- ge von Destatis 2020b). In Mikroapartments als Wohnform dungs- und arbeitsbezogene Multilokalität von besonderer für Einpersonenhaushalte spiegeln sich singularisierte Haus- Relevanz, da Anbieter ihr Angebot explizit auf Studierende haltsstrukturen wider, auch wenn die Anzahl an Einperso- und Wochenpendlerinnen/-pendler ausgerichtet haben. Die nenhaushalten nicht mit der Nachfrage nach Kleinwohnun- quantitative Erfassung dieser multilokalen Gruppen ist me- gen gleichzusetzen ist. thodisch anspruchsvoll, weswegen Studien hierzu mit Ein- Die Entwicklung der Studierendenzahlen in Deutschland schränkungen einhergehen (vgl. Dittrich-Wesbuer/Kramer/ lässt sich ebenfalls im Licht der Individualisierung inter- Duchêne-Lacroix et al. 2015: 419 f.; Rüger/Sulak 2017: pretieren. Formale Bildung stellt eine wesentliche Voraus- 424 f.). Annäherungen finden sich dennoch. setzung dar, den eigenen Lebensstil gestalten und Selbst- Im Jahr 2016 lebten laut Sozialerhebung des Deutschen verwirklichung über die Erwerbstätigkeit erreichen zu kön- Studentenwerks 10 % aller Studierenden in Deutschland in nen (Reckwitz 2017: 283). So waren im Wintersemester multilokalen Verhältnissen; das heißt, sie wohnten sowohl 1999/2000 1.770.489 Studierende an deutschen Hochschu- am als auch außerhalb des Hochschulstandortes (Midden- len eingeschrieben, im Wintersemester 2019/2020 hingegen dorff/Apolinarski/Becker et al. 2017: 65). Der Anteil der 2.891.049 Studierende (Destatis 2020c). Eine quantitative Erwerbstätigen, die zwischen einem Erst- und einem Zweit- Zunahme studentisch geprägter Wohnungsnachfrage ist die wohnsitz wochenpendeln, stieg zwischen 1991 und 2008 Folge, die sich in der Zielgruppenorientierung von Mikro- apartments widerspiegelt. Mikroapartments sprechen dabei besonders ausländische Studierende an (CBRE 2018: 26), deren Anzahl von 175.065 im Wintersemester 1999/2000 160 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen von rund 0,3 % auf über 1,0 % (Rüger/Sulak 2017: 418).7 Als Folge der Digitalisierung besteht mittlerweile die Sekundäranalysen, die multilokale Wohnweisen auf der Möglichkeit, Erwerbstätigkeit in öffentliche und halb- Grundlage von amtlichen Erhebungen quantifizieren, ten- öffentliche Räume auszulagern, an denen soziale Inter- dieren dabei eher dazu, das Phänomen zu unterschätzen aktion möglich ist (Hannemann 2014: 42; Efremidis (Dittrich-Wesbuer/Kramer/Duchêne-Lacroix et al. 2015: 2017: 264). Eben solche Orte, von Oldenburg (1999: 420). 20 ff.) als „Dritte Orte“ konzeptualisiert, gewinnen im Die Ausprägungen residenzieller Multilokalität bleiben Kontext moderner Erwerbstätigkeit an Bedeutung.8 Das nicht ohne Auswirkungen auf die Wohnungsnachfrage. Da Vorhandensein von Dritten Orten, das räumliche und insbesondere berufsbedingt Multilokale ihre Wohnweise zeitliche Entgrenzung von Arbeit widerspiegelt, legiti- überwiegend als Übergangssituation ansehen (Reuschke miert gleichzeitig – zumindest theoretisch – die Reduk- 2020: 331), stellt arbeitsbezogene Multilokalität eine Trieb- tion der individuellen Wohnfläche in Mikroapartments. kraft temporärer Wohnungsnachfrage dar. Studentisches Dieser Argumentationslinie folgend könnten Bewohner/ Wohnen hingegen ist zeitlich ohnehin durch die Studien- -innen kleinformatiger Wohneinheiten weitere Wohnfunk- dauer beschränkt. Hinsichtlich der mit arbeitsbezogener tionen auslagern, was insbesondere die Trendforschung als Multilokalität einhergehenden Wohnansprüche ist bekannt, eine der wesentlichen Charakteristiken künftigen urbanen dass Wohnende am beruflichen Zweitwohnsitz eine gute Wohnens ansieht (vgl. Varga/Seidel/Lanzinger et al. 2013). Erreichbarkeit von Arbeitsort und Infrastrukturen (ins- Forschungsarbeiten, die die These einer zunehmenden besondere des übergeordneten Schienennetzes) schätzen, Auslagerung von Wohnfunktionen untermauern, existieren dafür hinsichtlich der Wohnungsgröße sowie des direk- bislang nicht. In Narrativen bzw. Wohnvisionen der Trend- ten Wohnumfelds kompromissbereit sind (Reuschke 2020: forschung charakterisiert eine solche zunehmende Entgren- 333). zung künftige Haushalte (Frank 2019: 169). Zugleich stellt Mikroapartments sind für ausbildungs- und berufsbe- Frank (2019: 175) fest, dass diese Narrative städtischer dingte Multilokale mit Annehmlichkeiten verknüpft. Durch Wohnzukunft sozialwissenschaftlichen Studien zu tatsächli- das vorhandene Mobiliar entfällt die Notwendigkeit der chen Wohnwünschen und -bedürfnissen ebenjener, die Zu- Einrichtung zweier Haushalte. Für das berufsbedingte Wo- kunft prägenden, Kohorten entgegenlaufen. Gerade für jün- chenpendeln stellen Mikroapartments eine preisgünstigere gere Kohorten stellt die Wohnung überwiegend einen Rück- Alternative zu gewerblichen Beherbergungsformen (z. B. zugsort oder Ort emotionaler Verankerung dar, an den hohe Hotels) dar. Eine Verknüpfung der Nachfrage nach Mik- Ansprüche gestellt werden (Frank 2019: 177). Als rein phy- roapartments mit ausbildungs- und berufsbedingten Aus- sischer Schutzraum eines dezentralen Wohnnetzes ist sie prägungen von Multilokalität erscheint folglich schlüssig. fehlgedeutet (Frank 2019: 177). Diese können jedoch vordinglich den temporären Charak- Ein allgemeiner Trend zur Auslagerung von Wohnfunk- ter der Nachfrage und nur teilweise die Minimierung der tionen, der mit einer bewussten Verkleinerung der indi- individuellen Wohnfläche erläutern. viduellen Wohnfläche einhergeht, lässt sich folglich nicht erkennen. Eine Ausdeutung des Mikroapartments als Ab- 4.1.3 Entgrenzung von Erwerbstätigkeit und Freizeit bild dezentraler Wohnweisen erscheint in Anbetracht des- Veränderte Organisationsformen von Erwerbstätigkeit ha- sen nicht schlüssig.9 Für eine Interpretation der Nachfra- ben zur Folge, dass Arbeiten und Freizeitgestaltung zuneh- ge nach Mikroapartments im Sinne einer bewussten Kon- mend nicht mehr raumzeitlich kontinuierlich, sondern in sumreduktion (vgl. Twardoch 2017; Cohen 2020) gilt selbi- Form einer Zerlegung erfolgt (vgl. Voß 1998). Diese Ent- ges. Hier verdeutlichen sich vielmehr Aushandlungsprozes- grenzung ist von Relevanz hinsichtlich veränderter Wohn- se jüngerer Kohorten, deren individualistisches Leistungs- präferenzen (Hannemann 2014: 42). Dabei ist das Arbeits- paradigma mit einer temporären Kompromissbereitschaft modell Home-Office zu nennen, infolgedessen die Wohnung hinsichtlich der Wohnungswahl einhergeht (Frank 2019: sich mit der Erwerbstätigkeit räumlich überlagert (Efremi- dis 2017: 264). Daraus resultiert die Anforderung an die Wohnung, dass diese auch das Arbeiten ermöglichen muss, 8 Neben den beschriebenen Dritten Orten (Third Places) existieren wofür Wohnraum in angemessener Größe und flexible Nut- auch First Places und Second Places, wobei erstere für die Wohnung zungsstrukturen notwendig sind. und letztere für die Arbeitsstätte im ursprünglichen Sinne stehen (Oldenburg 1999: 16). 9 Damit soll keineswegs ausgeschlossen werden, dass Bewohner/ -innen kleinformatiger Wohnungen Wohnfunktionen auslagern 7 Zwischen 2008 und 2012 sinkt dieser Anteil wiederum, wofür (vgl. Kapitel 5.1). Es ist bislang aber kein allgemeiner Trend zur vordringlich methodische Gründe der Analyse verantwortlich sind Auslagerung von Wohnfunktionen belegt, der als Triebkraft der (Rüger/Sulak 2017: 424). Nachfrage nach flächenminimierten Wohnungen wirkt. Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 161
S. Hein 179). Eben diese Kompromissbereitschaft beschreibt Clin- lichkeit bildet die Steigerung des Mietertrags durch eine ton (2018: 195 f.) als Abtausch verschiedener Wohnpräferen- Erhöhung der Mieten pro Quadratmeter, wobei sich dafür zen. Die Notwendigkeit, Wohnpräferenzen gegeneinander eben insbesondere Mikroapartments anbieten (Voigtländer abzutauschen, ergibt sich vordringlich aus finanziellen Re- 2017: 11). Da die Nutzer/-innen hier eher den Mietpreis striktionen bei der Wohnungswahl. Dies deutet darauf hin, für das gesamte Apartment und weniger die Miete pro Qua- dass neben gesellschaftlichen Entwicklungen auch marktli- dratmeter betrachten (Dammaschk 2017: 100), lassen sich che Rahmenbedingungen als Ansatz dienen können, um die Quadratmetermieten erzielen, die bei anderen Wohnformen gestiegenen Mikroapartmentbestände zu erläutern. schwerlich abrufbar wären (vgl. Tabelle 3). Demgegenüber steht ein im Vergleich zum konventionellen Wohnungsbau 4.2 Mikroapartments als angebotsseitige ungünstigeres Verhältnis von Nutzfläche zu Bruttogeschoss- Reaktion auf eine Knappheit von fläche, das sich durch einen höheren Anteil von Fluren und Baugrundstücken für konventionellen Treppenhäusern an letzterer begründet (Brauckmann 2017: 64). Die Vielzahl an Mietparteien erhöht in Kombination Wohnungsbau? mit einer hohen Fluktuationsrate die Bewirtschaftungskos- Die Wohnungsnachfrage korreliert in vielen urbanen Lagen ten von Mikroapartmentanlagen (Dammaschk 2017: 103). mit einer Bautätigkeit, die – obwohl in den vergangenen Auch sind in den angegebenen Mietpreisen die Kosten für Jahren wieder angestiegen – immer noch unter den progno- Möblierung sowie weitere Service-Leistungen enthalten. Im stizierten Neubaubedarfen liegt (vgl. GdW 2019: 9). Dar- Hinblick auf Mietpreis und Rendite ist außerdem zu berück- aus ergeben sich für den Wohnnutzungsmarkt teilräumlich sichtigen, inwiefern die teilmarktspezifische Nachfrage als angespannte Marktsituationen, infolge derer das Wohnen dauerhaft gelten kann. Voigtländer (2017: 12) argumentiert, in nachgefragten urbanen Lagen von hohen Mietpreisen ge- dass sich bereits in den 2020er-Jahren die Kohortenbeset- prägt ist. Mikroapartments bieten Wohnraum in diesen nach- zung der 18- bis 25-Jährigen deutlich abschwächen wird, gefragten Lagen, wobei die Wohnenden beispielsweise La- weswegen – sollte sich die Marktsituation in wachstumsstar- gevorteile gegen die individuelle Wohnfläche abtauschen.10 ken Groß- und Hochschulstädten entspannen – das Mietni- Voraussetzung für diesen Abtausch sind zu einem gewissen veau sinken kann. Daraus lässt sich ein im Vergleich zum Grad angespannte Marktsituationen, ohne die die von Frank konventionellen Wohnungsbau größeres Mietausfallwagnis (2019: 179) beschriebene Kompromissbereitschaft überflüs- ableiten, welches eine Ausrichtung an wenigen, spezifischen sig wäre. Die Bestandsentwicklung von Mikroapartments Zielgruppen zusätzlich vergrößern kann. Die vergleichswei- hängt demnach mit einem teilräumlichen Unterangebot an se hohen Quadratmetermieten gehen folglich nicht zwangs- konventionellen Wohneinheiten zusammen. läufig mit hohen Renditen einher, auch wenn Immobilienun- Gleichzeitig existiert auch auf dem Wohninvestitions- ternehmen die hohen Renditen von Investitionen in Mikro- markt ein hoher Nachfragedruck auf Anlageobjekte, der ei- apartments propagieren (vgl. Rothmann 2017: 86; Anschott nem begrenzten Angebot gegenübersteht (Franke 2019: 9). 2018: B9). So stellt die Bulwiengesa AG (2018: 10) eine Mikroapartmentanlagen bieten sowohl privaten Kleinanle- Annäherung der Renditen von Mikroapartmentanlagen an gerinnen/Kleinanlegern als auch institutionellen Investoren das Niveau konventioneller Wohnungen fest. die Möglichkeit einer direkten bzw. indirekten Kapitalan- Von außergewöhnlich hohen Renditen als Erklärung lage. Mittlerweile befindet sich allerdings ein großer Teil für die Angebotsentwicklung sollte folglich nicht pauschal des Marktvolumens im Eigentum institutioneller, global ausgegangen werden. Vielmehr ist relevant, dass Mikro- agierender Investoren, wobei in Deutschland GSA, Catella, apartmentanlagen auch auf Grundstücken entwickelt und Corestate sowie Unternehmenszusammenschlüsse aus Alli- vermarktet werden können, die für den konventionellen anz und CBRE Global Investors bzw. aus TPG Real Estate Wohnungsbau weniger geeignet sind (Engelhardt/Kaljic Partners und Round Hill Capital über die größten Bestände 2017: 89). Demnach können aus städtebaulicher Perspek- verfügen (Schenk 2019: 5 f.). tive schwierige Grundstücke an stark befahrenen Straßen Diese Kapitalanlagen gehen mit Renditeerwartungen ein- und Eisenbahninfrastrukturen für Projektentwickler inter- her. Wie lassen sich trotz gestiegener Baukosten und hoher essant sein (Engelhardt/Kaljic 2017: 89), da Zielgruppen Bodenpreise entsprechende Renditen erzielen? Eine Mög- wie Wochenpendler/-innen solche Wohnlagen am Zweit- wohnsitz häufig akzeptieren (Reuschke 2020: 333). Neben der Entwicklung unbebauter Flächen stellt daher auch die 10 Umnutzung von Gewerbeimmobilien (z. B. Bürogebäu- Heinonen, Jalas, Juntunen et al. (2013: 10) interpretieren den Be- zug kleinformatiger Wohneinheiten als Abtausch privater Wohn- de) eine Möglichkeit dar, Mikroapartments zu realisieren fläche mit Shared Spaces wie beispielsweise Cafés, Parks, Restau- (vgl. BBSR 2017: 13; CBRE 2018: 4). Mittels Mikro- rants und Wäschereien. apartmentanlagen lassen sich somit auch in städtebaulichen 162 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Nischenräumen Renditen erzielen, die mit jenen im konven- flächenzahl so effektiv wie möglich auszunutzen, woraus tionellen Wohnungsbau vergleichbar sind. sich unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte die Notwendigkeit einer vereinfachten statischen Konstruktion ergibt (Engelhardt/Kaljic 2017: 90). Daraus folgt, dass Mik- 5 Stadtentwicklungsbezogene roapartmentgebäude in der Regel rigide Fassadenstrukturen Implikationen von prägen, die im Kontrast zu der eventuell kleinteiligeren Be- standsbebauung der Umgebung stehen können (Engelhardt/ Mikroapartmentanlagen Kaljic 2017: 90). Eine gelungene städtebauliche Einbindung Da in Mikroapartments die individuelle Wohnfläche mini- ist folglich mit erhöhtem gestalterischen sowie finanziellen miert ist, entsteht auf vielerorts knappen innerstädtischen Aufwand verbunden. Baugrundstücken eine große Anzahl an Wohneinheiten Aufgrund ihrer Dimensionierung und der Vielzahl an (Iglesias 2014: 4), wodurch Mikroapartmentanlagen prin- Wohneinheiten, die sie oftmals beinhalten (vgl. Tabelle 3), zipiell Zersiedelungstendenzen entgegenwirken (Withers stellen Mikroapartments einen Eingriff in die Sozialstruktur 2012: 126; Infranca 2014: 55).11 Die reduzierten Wohnflä- bestehender Quartiere dar (Infranca 2014: 62 f.). Der Rück- chen haben zudem Auswirkungen auf deren Ressourcen- griff auf räumliche Nischen, seien es Flächen, die sich nicht und Energiebedarf. Kleinere Wohneinheiten sind prinzipi- für den konventionellen Wohnungsbau eignen, oder Umnut- ell energieeffizienter als größere, da sie einen geringeren zungen von Gewerbeimmobilien, bietet grundsätzlich Poten- spezifischen Heiz- und auch Kühlenergiebedarf aufweisen; ziale, ebenjene Nischen zu beleben – vorausgesetzt, die so- zusätzlich existieren in diesen weniger ungenutzte Räu- zialräumliche Integration der Anlagen gelingt. Demgegen- me (Iglesias 2014: 4). Potenziale, um den in Deutschland über können Mikroapartmentanlagen im Hinblick auf deren wachsenden Wohnflächenkonsum zu reduzieren, bestehen Zielgruppen als eine räumliche Konzentration temporären vordringlich bei Ein- und Zweipersonenhaushalten, die Wohnens interpretiert werden. Hier setzt Kritik an, die der einen besonders hohen Pro-Kopf-Konsum an Wohnfläche Bewohnerschaft aufgrund der befristeten Verweildauer ein aufweisen (Weber 2020: 284). Mikroapartments sind als eher geringes Engagement im Quartier zuweist (Infranca Wohnform für Einpersonenhaushalte in diesem Kontext 2014: 87). Dies kann ein von Anonymität geprägtes Um- besonders relevant. Wenn Multilokale diese als Zweitwohn- feld befördern. Eine solche räumliche Konzentration liegt sitz nutzen, kehrt sich der Effekt allerdings um. Multilokale beispielsweise bei Wohngemeinschaften in konventionellen Wohnweisen erhöhen die Wohnflächen- und damit auch Wohnungen als weitere Wohnform dieser Zielgruppen nicht die Siedlungsflächeninanspruchnahme (Danielzyk/Dittrich- vor, weswegen sie sich hinsichtlich ihrer räumlichen Wir- Wesbuer 2020: 198). kungen von Mikroapartmentanlagen unterscheiden. Zweitwohnungen sind nach Heinonen, Jalas, Juntunen Implikationen von Mikroapartmentanlagen sind mit For- et al. (2013: 10) eine Form des Parallelkonsums. Dieses schungsarbeiten zu residenzieller Multilokalität verknüpft. Phänomen, nach dem insbesondere urbane Lebensstile mit In den existierenden Studien zur Verhaltenswirksamkeit einem parallelen Konsum von Ressourcen einhergehen kön- Multilokaler am Nebenwohnsitz zeigt sich, dass die lo- nen, wenn beispielsweise während eines Restaurantbesuchs kale Einbettung multilokalen Wohnens auch von einer die eigene Wohnung weiter beheizt wird und elektronische Vielzahl individueller Faktoren der Wohnenden abhängt Geräte angeschaltet bleiben (Heinonen/Jalas/Juntunen et al. (Danielzyk/Dittrich-Wesbuer 2020: 199). Deswegen kann 2013: 10), gilt es mit zu berücksichtigen. Andererseits sind nicht per se davon ausgegangen werden, dass multilokale Mikroapartmentanlagen konzeptbedingt gut an den öffentli- Lebensführung zwangsläufig mit geringer sozialer Teilhabe chen Personennahverkehr angebunden (Brauckmann 2017: am Nebenwohnsitz korrespondiert (Petzold 2013: 312). 79), weswegen Wohnende nicht auf die Nutzung eines Pkw Da sich in Mikroapartments zudem häufig multilokales angewiesen sind (Iglesias 2014: 4). Lebensstil und Wohn- und flächenreduziertes Wohnen überschneidet, muss der weise der Wohnenden beeinflussen demnach mittelbar die Einfluss der Letzteren mitgedacht werden. Mögliche Zu- Umweltbilanz von Mikroapartments. sammenhänge zwischen der minimierten Wohnfläche von Generell zielen Mikroapartmentanlagen darauf ab, pla- Mikroapartments, der Wohnweise der Wohnenden und de- nungsrechtliche Vorgaben wie die Grund- und Geschoss- ren Auswirkungen auf den Raum werden daher im nachfol- genden Abschnitt diskutiert. Anschließend wird diskutiert, inwiefern Mikroapartments einen Beitrag zu bezahlbarem 11 Wohnraum leisten. Die Flächeneffizienz als Verhältnis von Nutzfläche zu Bruttoge- schossfläche ist bei Mikroapartmentanlagen eher gering, da die Erschließung der Wohneinheiten anteilig mehr Fläche erfordert (Brauckmann 2017: 64). Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 163
S. Hein 5.1 Flächenminimierter Wohnraum, 5.2 Mikroapartments und bezahlbares Auslagerung von Wohnfunktionen und Wohnen Dritte Orte Während US-amerikanische Beiträge Mikroapartments als Der beschriebenen räumlichen und zeitlichen Entgrenzung potenzielles Mittel zur Bereitstellung bezahlbaren Wohn- von Erwerbstätigkeit hängt die Auslagerung der Wohnfunk- raums ansehen (Iglesias 2014: 4; Infranca 2014: 55; Dicker- tion Home-Office an. Es erscheint naheliegend, dass sich son 2016: 462), bringen Uyttebrouck, van Bueren und Teller durch die geringe individuelle Wohnfläche von Mikroapart- (2020: 1031) sie mit Bezahlbarkeitsproblemen in Verbin- ments verschiedene studien- oder arbeitsbezogene Tätigkei- dung. Keine der Einschätzungen beruht jedoch auf quanti- ten der Wohnenden eher in halböffentliche bzw. öffentliche tativen Analysen. Räume auslagern. In diesem Verständnis werden Dritte Orte Um einen möglichen Beitrag von Mikroapartments zu zu Arbeitsplätzen. Dies können beispielsweise Cafés, Knei- bezahlbarem Wohnen zu prüfen, wurden in vier Beispiel- pen, Grünflächen sowie Parkanlagen, kleine Geschäfte und städten Mikroapartmentbestände sowie Angebotsmieten er- öffentliche Plätze sein, die den normativen Kontext der In- hoben. Die Analyse fokussiert sich auf Studierende, da teraktion von Fremden bilden (Oldenburg 1999: 20 ff.). diese als vergleichsweise preissensibel gelten (Brauckmann Dritten Orten werden überwiegend positive sozialräumli- 2017: 79).12 Die Erhebungen wurden durchgeführt für die che Wirkungen zugeschrieben: Sie können ihr unmittelbares Metropolen Berlin, Frankfurt am Main und Köln, deren Umfeld beleben, indem sie aktive und passive Kommunika- Wohnungsmärkte von Studierenden beeinflusst sind, sowie tion zwischen Individuen in öffentlich zugänglichen Räu- für Darmstadt als Studierendenstadt mit einem von Studie- men fördern (Mehta/Bosson 2010: 802). Sie können einen renden abhängigen Markt (Glatter/Hackenberg/Wolff 2014: positiven Einfluss auf die Wahrnehmung der Lebensqualität 389). Tabelle 2 stellt auf der Grundlage des Zensus 2011 derjenigen haben, die jene Dritte Orte aufsuchen (Jeffres/ errechnete Referenzwohnungsgrößen für diese Städte dar, Bracken/Jian et al. 2009: 343). Sie können schließlich ei- wobei in Anlehnung an ULI (2014: 5 f.) die Fläche von ne kohäsive Wirkung auf Quartiersebene haben (Williams/ Mikroapartments als 30 % kleiner als jene konventioneller Hipp 2019: 74). Sollten Bewohner/-innen von Mikroapart- Apartments angenommen wird. ments vermehrt arbeitsbezogene oder weitere Wohnfunktio- Die Erhebungen basieren auf Zeitungsartikeln sowie nen zu Dritten Orten auslagern und so zur Entstehung wei- Angaben von Projektentwicklern und Betreibern, die auf terer Dritter Orte beitragen, wären Mikroapartmentanlagen deren Internetpräsenzen öffentlich zugänglich sind. Die mit belebenden sowie kohäsiven sozialräumlichen Implika- Erhebungsdaten entsprechen dem Stand vom November tionen verknüpft. Diese wären gerade in Kombination mit 2020. Die Erhebungskriterien richteten sich dabei nach den einer Besetzung städtebaulicher Nischen aus der Perspekti- in Kapitel 3.1 formulierten Abgrenzungskriterien (vgl. An- ve der Stadtentwicklung wertvoll. Ob die Wohnweise der merkungen zu Tabelle 3). Die Einschätzung der Bezahlbar- Nutzer/-innen von Mikroapartments tatsächlich einer sol- keit erfolgte über die Wohnkostenbelastung als Verhältnis chen dezentralen entspricht, ist allerdings offen. Auch ist aus Mietausgaben und Nettoeinkommen der betrachteten unklar, ob die Auslagerung von Wohnfunktionen tatsächlich Haushalte (Ratio Approach). Eine Wohnkostenbelastung mit dem Vorhandensein oder Entstehen von Dritten Orten von über 40 % galt 2014 im Verständnis der Europäischen kausal verknüpft ist. Deswegen ist derzeitig nur von einem Kommission laut Eurostat als nicht bezahlbar.13 Die Erhe- hypothetischen Zusammenhang zwischen kleinformatigen bungen unterliegen Einschränkungen der Erfassbarkeit, die Wohnungen, der Auslagerung von Wohnfunktionen und der sich aus einer ausdifferenzierten Anbieterstruktur ergeben Entstehung Dritter Orte auszugehen, der weiterer Forschung (Savills 2018: 2). Die Angebotsmieten waren in der Regel bedarf. als Mindestpreise angegeben. Die angegebenen Größen der Die mögliche Auslagerung von Wohnfunktionen ist kein Wohneinheiten entsprechen ebenfalls Mindestgrößen.14 Alleinstellungsmerkmal von Mikroapartments. Sie bezieht Es wurden 46 Anlagen mit insgesamt 11.024 Wohnplät- sich auch auf weitere Formen flächenreduzierten Wohnens wie etwa Einzelapartments in Wohnheimen des Studieren- denwerks, konventionelle Kleinwohnungen oder kleine Zim- 12 mer in Wohngemeinschaften ohne Gemeinschaftsraum. Eine ausführliche Diskussion der Relevanz weiterer Zielgruppen von Mikroapartments im Kontext der Bezahlbarkeit findet sich in Hein und Nießen (2020: 571 f.). 13 https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/ Glossary:Housing_cost_overburden_rate (14.01.2021). 14In Mikroapartmentanlagen finden sich oftmals verschiedene Grundrisse mit dementsprechend variierenden Wohnflächen. 164 Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171
Mikroapartments in Deutschland – eine Analyse räumlicher Implikationen von Mikroapartmentanlagen Tabelle 2 Mediane der Apartmentgrößen und Referenzgrößen von Mikroapartments in Berlin, Darmstadt, Frankfurt am Main und Köln Konventionelles Apartment [m2] a) Mikroapartment [m2] Berlin 38 27 Darmstadt 35 25 Frankfurt am Main 36 25 Köln 37 26 a) 2 Median aller Ein- und Zweiraumwohnungen < 50 m , linear interpoliert Datenbasis: Statistische Ämter des Bundes und der Länder (https://ergebnisse.zensus2011.de/#dynTable:statUnit=WOHNUNG; absRel=ANZAHL;ags=11,053150000000,064120000000,064110000000;agsAxis=X;yAxis=WOHNFLAECHE_10S:01:02:03,RAUMANZAHL:1:2 (12.01.2021)). zen erfasst. Durchschnittlich betragen die Quadratmetermie- Im Hinblick auf die Warmmieten konventioneller klei- ten 31 Euro/m2, wobei in Berlin im Mittel 31 Euro/m2, in ner Wohnungen fällt auf, dass Preisunterschiede zu Mikro- Köln 28 Euro/m2, in Frankfurt 32 Euro/m2 und in Darm- apartments gering sind, obwohl sie keine Möblierung oder stadt 33 Euro/m2 aufgerufen werden. Die Wohnfläche der sonstige Service-Leistungen enthalten. Die Angebotsmieten Mikroapartments beziffert sich durchschnittlich auf 19 m2, von Mikroapartments erscheinen überwiegend marktüblich, wobei hier die Unterschiede zwischen den Städten geringer lediglich in Berlin sind sie höher als jene konventioneller ausfallen. Im Mittel ergibt sich eine Gesamtmiete von 589 kleiner Wohnungen. Die Wohnfläche von Mikroapartments Euro. In Frankfurt beträgt die Gesamtmiete durchschnitt- ist allerdings im Vergleich zu den betrachteten konventio- lich 622 Euro, in Köln 560 Euro, in Berlin 574 Euro und in nellen Wohnungen durchschnittlich 11 m2 geringer (vgl. Darmstadt 589 Euro. Tabelle 3). Die durchschnittlichen Warmmieten von WG- Aus den durchschnittlichen studentischen Einkommen er- Zimmern hingegen sind niedriger, dennoch mit Ausnahme geben sich Wohnkostenbelastungen zwischen 0,42 und 0,81. von Berlin mit Wohnkostenbelastungen verbunden, die nach Für Studierende mit einem durchschnittlichen Einkommen dem Ratio Approach bei Ansetzen eines durchschnittlichen entsprechen die aufgerufenen Mieten im Mittel 64 % des- studentischen Einkommens nicht als bezahlbar zu bewerten sen. In Frankfurt beträgt die errechnete Wohnkostenbelas- wären. Als in diesem Sinne bezahlbare Alternative verbleibt tung durchschnittlich 68 %, in Köln 61 %, in Berlin 62 % einzig das Angebot des Studierendenwerks in den jeweili- und in Darmstadt 64 %. Die Wohnkostenbelastungen über- gen Städten, welches insbesondere in Bezug auf Einzela- steigen ausnahmslos den als bezahlbar geltenden Richtwert partments mit Küche bzw. Küchenzeile und Bad begrenzt von 40 %. Dies tun sie mehrheitlich so deutlich, dass im Sin- ist. In Darmstadt etwa bietet das Studierendenwerk kaum ne des Ratio Approach konstatiert werden müsste: Mikro- solche an (Stand 2017: 79 Einheiten; CBRE 2018: 83). Für apartments stellen in den betrachteten Beispielstädten prak- Studierende mit einem durchschnittlichen Einkommen, die tisch keinen bezahlbaren Wohnraum für Studierende bereit. allein wohnen möchten, ohne sich dabei Küche oder sani- Allerdings ist einschränkend entgegenzuhalten, dass der täre Einrichtungen zu teilen, ist das Angebot bezahlbarer Ratio Approach aufseiten der Wohnkosten nicht die Anrech- Wohneinheiten folglich in allen vier Städten überschaubar. nung zusätzlicher Leistungen (z. B. Kosten der Möblierung) Für studentische Mikroapartments lässt sich daraus vorsieht. Auch ist zu berücksichtigen, dass das verfügbare schließen: Sie fokussieren auf Studierende, die entweder Einkommen von Studierenden oftmals zu einem Großteil über überdurchschnittliche Einkommen verfügen oder hö- von familiären Zuwendungen abhängt. Die finanzielle Un- here Wohnkostenbelastungen akzeptieren. Gleiches gilt terstützung durch Verwandte kann sich erhöhen, wenn diese aber ebenfalls für konventionelle kleine Wohnungen sowie die Mittelverwendung als angemessen empfinden (Brauck- – wenn auch mit Einschränkung – für Zimmer in Wohn- mann 2017: 81). Dies kann die Analyse nicht abbilden. Die gemeinschaften in den betrachteten Städten. Menschen Aussagekraft des Ratio Approach ist bei der vorliegenden akzeptieren in verschiedenen Lebensphasen verschiede- Untersuchung, die sich auf Pauschalmieten bezieht, folglich ne Wohnkostenbelastungen (Hulchanski 1995: 489). Die beschränkt, insbesondere im Hinblick auf die angewandte mittels Ratio Approach ermittelten hohen Wohnkostenbelas- Bezahlbarkeitsschwelle von 40 %. Zur Einordnung der Miet- tungen aus Tabelle 3 müssen daher nicht bedeuten, dass die preise ist daher ein Vergleich mit weiteren studentischen Bewohner/-innen die Mietpreise für unangemessen halten, Wohnformen hilfreich. Die mittleren Angebotsmieten von geschweige denn, dass Mikroapartmentanlagen aus Mangel WG-Zimmern, kleinen konventionellen Wohnungen sowie an Studierenden, die die Mieten aufbringen können, leer Einzelapartments in Studierendenwohnheimen des Studie- stehen. rendenwerks sind in Tabelle 4 jenen von Mikroapartments Problematisch können hohe Wohnkostenbelastungen im gegenübergestellt. Kontext der Stadtentwicklung dennoch sein. Wenn Miet- Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning (2021) 79/2: 154–171 165
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