Mindestkurs für den Schweizer Franken: Gefährlicher Interventionismus der SNB?
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Mindestkurs für den Schweizer Franken: Gefährlicher Interventionismus der SNB? 3 Die Schweiz ist in den vergangenen Monaten durch die drastische Aufwertung des Schweizer Fran- ken gegenüber dem Euro unter Druck geraten. Im September 2011 verkündete deshalb die Schwei- zerische Nationalbank (SNB) einen Mindestkurs des Franken zum Euro. Mit einer Untergrenze von 1,20 Franken je Euro soll der nach Ansicht der SNB »massiven Überbewertung« der Währung ent- gegengewirkt werden. Ist der Eingriff der SNB zulässig? Mindestkurs für den ne Kaufkraft nach innen, und er wurde Schweizer Franken: Ein Akt auch auf den Devisenmärkten als har- te Währung gehandelt. Gegenüber dem der Schadenminimierung Schweizer Franken sank der Euro nie weit unter den anfänglichen Wechsel- Der Hintergrund: Zwei Szenarien kurs von 1,60 Fr. pro Euro. Die Wech- selkursschwankungen hielten sich in © Schneider Die Frage wurde schon gestellt, als sich Grenzen. Dies änderte sich erst mit der Europa anschickte, seine nationalen dramatischen Zuspitzung der Finanzkri- Währungen zum Euro zu verschmelzen: se ab Herbst 2008. In der allgemeinen Kann die Schweiz als kleines Land und Verunsicherung entdeckten die Anleger Oliver Landmann* unmittelbarer Nachbar des gigantischen den Schweizer Franken wieder als »si- neuen Währungsraums eine eigenstän- cheren Hafen«, womit die schweizeri- dige Geld- und Währungspolitik beibe- sche Währung unter einen anhaltenden halten? Es gab damals zwei Szenarien: Aufwertungsdruck geriet und auch die Entweder würde der Euro eine stabile Volatilität der Wechselkursbewegungen Währung wie die D-Mark werden, in wel- zunahm. Zuletzt bewegte sich der Fran- chem Falle die Europäische Zentralbank ken auf den Devisenmärkten in einer (EZB) und die Schweizerische National- auffallenden Parallelität zum Preis jenes bank (SNB) mehr oder weniger im Anlagemediums, das seit jeher in Zei- Gleichschritt eine ähnliche Stabilitätspo- ten des Vertrauensverlusts ebenfalls litik verfolgen würden. Für dieses Sze- gerne als sicherer Hafen angesteuert nario waren auch bei völliger Unabhän- wird: des Goldes. Schon bald hatte der gigkeit der Geldpolitik keine größeren Franken daher seinen Spitznamen als Wechselkursverwerfungen zu erwarten. »Alpines Gold« weg. Im zweiten, damals von vielen befürch- teten Szenario würde der Euro eine schwache, instabile Währung werden. Die Politik der Schweizerischen Dieses Szenario barg ein bedeutendes Nationalbank bis zum Sommer 2011 Risiko, dass der Schweizer Franken als Hort der monetären Stabilität zur Desti- Als die Schweiz im Gefolge der Finanz- nation spekulativer Kapitalzuflüsse wer- krise von der weltweiten Rezession er- den könnte, mit potenziell gravierenden fasst wurde, reagierte die SNB wie alle Konsequenzen für die schweizerische anderen Zentralbanken auch mit einer Volkswirtschaft. Aber eine Anbindung an massiven Ausdehnung der Liquidität eine schwache Währung kam natürlich und einer Rücknahme der Leitzinsen auf erst recht nicht in Frage. Ein währungs- ein Niveau nahe null. Nachdem sie auf politisches Arrangement, das den Hand- diese Weise des Zinsinstruments fak- lungsspielraum der Geldpolitik in irgend- tisch verlustig gegangen war, begann einer Weise eingeschränkt hätte, stand sie damit, sachte den Wechselkurs als deshalb für die SNB nie ernsthaft zur geldpolitisches Steuerungsinstrument Diskussion. einzusetzen. Solange der Wiederauf- schwung nach der Rezession auf Bis zum Jahre 2008 bewahrheitet sich schwachen Füssen stand, begann sie weitgehend das erste Szenario: Der * Prof. Dr. Oliver Landmann ist Ordentlicher Profes- Euro blieb stabil. Er bewahrte mit einer sor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Frei- durchwegs mäßigen Inflationsrate sei- burg i.Br. ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
4 Zur Diskussion gestellt insbesondere, sich dem Aufwertungsdruck, dem der CHF und mit verbalen Signalen zu stoppen. Erst als diese Maß- weiterhin ausgesetzt war, mit Interventionen auf den De- nahmen keinen nachhaltigen Erfolg brachten und die For- visenmärkten entgegenzustemmen – eine Weile lang derungen nach schärferer Munition dringlicher wurden, durchaus mit Erfolg. Als der Aufschwung an Kraft gewann griff das Direktorium der SNB am 6. September 2011 als und sowohl die Exporte als auch die Binnennachfrage Ultima Ratio zum Instrument eines Mindestkurses für den wieder kräftigere Wachstumsbeiträge zur Festigung der Franken und verkündete ihre Bereitschaft, ein Unterschrei- Konjunktur beisteuerten, stellte die SNB ihre Devisen- ten dieses Mindestkurses, falls nötig, mit unbegrenzten marktinterventionen wieder ein. Die Sorge war, dass die Devisenmarktinterventionen zu verhindern. Dies wirkte au- mit den Interventionen einhergehende fortwährende Auf- genblicklich: Innerhalb von zwölf Minuten stieg der Euro blähung der inländischen Liquidität in Teilbereichen der von 1,11 auf 1,20 Fr. Dieser Vorgang ist eine anschauli- Binnenwirtschaft zu einer unerwünschten Überhitzung che Fallstudie dafür, wie stark das Geschehen an den Fi- führen könnte. Unter besonderer Beobachtung stand da- nanzmärkten von den Kurserwartungen der Marktteilneh- bei der Immobiliensektor. mer getrieben wird. Die Ankündigung der Notenbank hat gereicht, um die Erwartungen der Anleger auf einen Schlag Die Folge war, dass sich der Schweizer Franken weiter neu zu konditionieren. Das Interventionsvolumen am Ta- aufwertete. Im Laufe des Jahres 2010 durchstieß der Euro ge der Ankündigung selbst war zum Zeitpunkt der Nie- erstmals die Grenze von 1,40 nach unten. Die SNB ge- derschrift dieses Beitrags noch nicht bekannt, war aber riet dadurch doppelt unter Druck: Auf der einen Seite möglicherweise ziemlich gering. Offenkundig fehlte es der ächzte die Exportwirtschaft zunehmend unter den Fol- Ankündigung des Mindestkurses nicht an Glaubwürdig- gen des starken Frankens. Zum anderen musste die SNB keit. Die Märkte zweifelten nicht an der Entschlossenheit auf ihren Devisenbeständen, die sie eben noch geäufnet der SNB, das Kursziel um jeden Preis zu verteidigen. hatte, substanzielle Bewertungsverluste verbuchen. In der innenpolitischen Debatte der Schweiz löste diese letzte- Mit der Festlegung eines Mindestkurses von 1,20 Fr. je re Wirkung der Aufwertung zunächst deutlich mehr Reso- Euro ging die SNB zwar durchaus ein Risiko ein, aber sie nanz aus als das Problem der sich verschlechternden betrat auch nicht völliges Neuland. Denn das Instrument preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen eines Mindestkurses hatte sich in der Vergangenheit schon Absatzmärkten. einmal bewährt, nämlich im Jahr 1978, als die SNB in ei- ner ähnlichen Situation einen Mindestkurs von 80 Rappen Die Bewertungsverluste waren für jedermann transparent. je D-Mark festsetzte und mit unbegrenzten Devisenmarkt- Da die schweizerischen Kantone einen Anspruch auf Be- interventionen zu verteidigen versprach. Damals ging die teiligung am Nationalbankgewinn haben – und diesen da- Strategie auf. Der Aufwärtstrend des Frankens wurde nicht her gerne in ihre Budgets einplanen –, sahen sie ihre Fel- nur gebrochen, sondern drehte sich mit der Zeit sogar um, le davon schwimmen. In Teilen des politischen Spektrums als die D-Mark in der Folge wieder auf über 90 Rappen wurde der Vorwurf laut, die SNB habe mit ihren »erfolglo- stieg. Kritiker verwiesen zwar darauf, dass danach, im Ab- sen« Interventionen Volksvermögen verschleudert. Es fiel stand von zwei bis drei Jahren, die Inflationsrate der den für die Geldpolitik Verantwortlichen damals nicht leicht, Schweiz anstieg. Dabei ist aber in Rechnung zu stellen, der Öffentlichkeit klar zu machen, dass sich der Erfolg der dass dies der Zeitraum war, in den der zweite Ölpreisschock Devisenmarkttransaktionen einer Zentralbank nicht wie bei fiel, von dem in jedem Fall ein Inflationsschub ausgegan- einem privaten Investor an der Anlagerendite bemisst, son- gen wäre. Allenfalls erleichterte die mit der Wechselkurs- dern am – natürlich weitaus schwieriger zu quantifizieren- politik verbundene Ausdehnung der Zentralbankgeldmen- den – Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Stabilität. Ge- ge die Überwälzung des exogenen Kostenimpulses. Die- messen an der Informationslage des Frühjahrs 2010, war se Erfahrung verdeutlicht immerhin eines: Ob das im Sep- die Stützung des Euro gegen den Franken durch die SNB tember 2011 erneut eingesetzte Instrument des Mindest- zum damaligen Zeitpunkt stabilisierungspolitisch genau kurses in der Rückschau dereinst als erfolgreich gewertet das Richtige. werden wird, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die SNB den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus ihrer Aber die Prügel, welche die SNB danach für die Kursver- Wechselkurspolitik und für die Rückführung des Liquidi- luste auf ihren Devisenbeständen einstecken musste, dürf- tätsangebots erwischen wird. ten dazu beigetragen haben, dass sich ihr Leitungsgremi- um lange schwer damit tat, erneut auf dem Devisenmarkt einzugreifen, als sich die Aufwertung des Franken im Som- Argumente der Kritiker mer 2011 dramatisch zuspitzte und der Euro kurzzeitig sogar die Parität mit dem Schweizer Franken ritzte. Zu- Kritiker gaben, z.T. schon im Vorfeld der Maßnahme, zu nächst versuchte die SNB, die spekulative Flucht in den bedenken, dass Notenbanken bei Kursinterventionen ge- Franken mit einer drastischen Ausweitung der Liquidität gen den Markt nicht selten auch den Kürzeren ziehen. Die ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 5 Schweiz als kleines Land, so wurde etwa gesagt, könne bestimmen zu können. Man braucht sich noch nicht einmal nicht das ganze »Euro-Meer aussaufen«, das im Schwei- auf die Position zurückzuziehen, dass verschiedene Wech- zer Franken Zuflucht suchen könnte. Erinnert wurde auch selkursmodelle verschiedene Antworten auf die Frage nach an die Erfahrung der Bank of England, die im Jahre 1992 dem Gleichgewichtskurs geben. Kein Modell würde das im damaligen Europäischen Währungssystem den Pfund- Gleichgewicht in der Nähe der Parität zum Euro ansiedeln. kurs mit aller Macht gegen die Angriffe der Währungs- Entscheidend ist vielmehr, dass was aus der Perspektive der spekulanten verteidigte, nur um sich schließlich doch ge- Geldpolitik »richtig« ist, von den Erfordernissen der mone- schlagen geben zu müssen. tären und makroökonomischen Stabilität definiert wird. An- gesichts einer Prognoselage, die für 2012 eine deutliche Ver- Aber diese Vergleiche verkennen zwei Dinge: Erstens ist langsamung des Wachstums und eine Preisänderungsrate es ein Unterschied, ob man seine eigene Währung gegen in bedrohlicher Nähe zur Deflation anzeigt, ist das Risiko, eine Abwertung oder gegen eine Aufwertung verteidigt. Zur dass ein Mindestkurs von 1,20 auf der »falschen« Seite des Abwehr einer drohenden Abwertung muss man Devisen ohnehin nicht genau bestimmbaren Gleichgewichts liegt, aufwenden, die man nur in begrenztem Umfang besitzt. verschwindend gering. Die Spekulation weiß also, dass die Munition irgendwann ausgeht. Zur Verhinderung einer unerwünschten Aufwer- Aus diesem Grunde war es auch wichtig, dass die SNB tung muss man Devisen gegen eigene Währung erwerben, mit der Wahl des Niveaus, auf dem sie den Mindestkurs und eigenes Geld kann eine Notenbank unbegrenzt schaf- fixierte, eine konservative Linie verfolgte. Die Gewerkschaf- fen, wenn sie denn entschlossen ist, dies zu tun. Zwei- ten waren schnell zur Stelle und forderten eine Stabilisie- tens steht und fällt der Erfolg einer Intervention mit der rung des Euro-Wechselkurses im Bereich von 1,40 Fr. Glaubwürdigkeit der Aktion. Die Glaubwürdigkeit wieder- Ein solcher Kurs wäre im Moment zwar Balsam für die ge- um hängt daran, ob der mit der Devisenmarktintervention beutelte Exportwirtschaft, wäre aber einem bedeuten- angestrebte Wechselkurs mit den übergeordneten Stabi- den Risiko ausgesetzt gewesen, sich je nach weiterer Ent- litätszielen der Geldpolitik kompatibel ist oder nicht. Im Fal- wicklung bald einmal als zu hoch zu erweisen, in welchem le der Bank of England 1992 war diese Bedingung ganz Falle die SNB eine solche Marke rasch wieder hätte preis- offenkundig nicht erfüllt. Die britische Volkswirtschaft be- geben müssen. Damit wäre auch von Anfang an die so fand sich in einer tiefen Rezession, das Pfund war eindeu- essentielle Glaubwürdigkeit der Operation aufs Spiel ge- tig überbewertet, eine expansivere Geldpolitik und ein tie- setzt worden. ferer Pfundkurs wären die Medizin gewesen, welche die Wirtschaft benötigte. Die Zentralbank befand sich in einem Aus demselben Grunde ist auch der verschiedentlich ge- schwierigen Zielkonflikt zwischen den Spielregeln des Wäh- äußerte Vorwurf, die SNB setze die von ihr zu wahrende rungssystems, denen sie sich beugen musste, und den Er- Preisstabilität aufs Spiel, fehl am Platz. Stabilisierung der fordernissen einer stabilitätskonformen Geldpolitik. Unter Inflationsrate auf tiefem Niveau kann manchmal auch be- diesen Voraussetzungen war der Kampf gegen die Spe- deuten, einem Abgleiten in die Deflation entgegenzuwir- kulation nicht zu gewinnen. ken. Die Befürchtung, dass die dramatische Ausweitung der Zentralbankliquidität der letzten Monate allein schon Ganz anders die Schweiz 2011: Der Schweizer Franken be- Inflation schaffen werde, ist aus zwei Gründen unbegrün- wegte sich auf dem Devisenmarkt ganz unzweifelhaft in ei- det: Erstens schafft die Liquiditätsausweitung kein Über- ne zunehmende Überbewertung hinein, während sich die angebot an Schweizer Franken, sondern ist die Antwort Konjunktur im Zuge der weltweiten Wachstumsabschwä- auf eine von außen entstandene Übernachfrage. Zwei- chung ebenso eindeutig abkühlte. In dieser Situation stand tens kann eine hausgemachte Inflation nur entstehen, wenn die Festlegung eines Mindestkurses, als die schärfste Waf- die Konjunktur überhitzt ist. Davon ist die Schweiz derzeit fe im Arsenal der Wechselkursbeeinflussung, nicht im Kon- aber weit entfernt. Die dramatische Aufwertung wirkte viel- flikt mit der Stabilisierungspolitik, sondern in deren Dienst. mehr in einer Phase der konjunkturellen Abkühlung wie Die Bereitschaft, den Mindestkurs gegebenenfalls mit un- ein zusätzlicher Kälteschock. Diesen Schock vermochte begrenzten Devisenkäufen zu verteidigen, war offensichtlich die Festlegung eines immer noch niedrigen Mindestkurses anreizkompatibel und daher glaubwürdig. Unter dieser Vor- von 1,20 je Euro noch nicht einmal völlig zu neutralisieren, aussetzung konnte die Konditionierung der Erwartungen ge- aber immerhin abzumildern. lingen, so dass auch das Volumen der effektiv notwendi- gen Devisenmarktinterventionen vermutlich in einem über- schaubaren Rahmen bleiben konnte. Fazit Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die von Kritikern Die Schweiz ist als kleine offene Volkswirtschaft im Herzen aufgeworfene Frage, ob sich denn die Nationalbank zu- Europas auch als Nicht-Mitglied der Europäischen Union trauen könne, den »richtigen« Kurs besser als der Markt aufs Engste mit ihrem politischen und wirtschaftlichen Um- ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
6 Zur Diskussion gestellt land verbunden. Ganz gleich, welche Politik sie verfolgt, und welches Wechselkursarrangement sie wählt, sie wird immer hautnah von allen positiven wie negativen Entwicklungen in der EU betroffen sein. Es wäre daher eine Illusion zu glau- ben, die Schwierigkeiten, in welche die Eurozone durch ih- re aktuelle Krise geraten ist, könnten irgendwie spurlos an der Schweiz vorbeigehen. Vor diesem Hintergrund kann die Festlegung eines Mindestkurses von 1,20 Fr. kein Wun- dermittel sein, wohl aber eine mit Bedacht ergriffene Maß- nahme der Schadenminimierung. Gunther Schnabl* Der Festkurs als Rettungsanker in den Sturmfluten der globalen Liquiditätsschwemme Die Entscheidung kam überraschend. Der Präsident der Schweizerischen Nationalbank kündigte am 6. September entschlossen eine Grenze für die Aufwertung des Schwei- zer Franken gegenüber dem Euro an. Nach immensen De- visenmarktinterventionen und Zinssenkungen, die den Kurs des Franken nicht nachhaltig schwächen konnten, gab die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre bisher leidenschaft- lich verteidigte Strategie eines flexiblen Wechselkurses auf. In Zukunft soll die Schweizer Währung nicht unter eine Schwelle von 1,20 Franken pro Euro steigen. In einem Um- feld einer von den großen Zentralbanken in Japan, USA und dem Eurogebiet genährten globalen Liquiditätsschwem- me erkennt die Schweizerische Nationalbank an, dass den kleinen Volkswirtschaften wenige Freiheitsgrade in der Wäh- rungspolitik verblieben sind. Aus meiner Sicht haben für die Schweiz flexible Wechselkurse aus fünf Gründen ausgedient. (1) Zunächst gilt auch für die Schweiz, dass die Exportin- dustrien unter der Aufwertung stark gelitten haben. Vor al- lem Industrievertreter, der Tourismusverband und die Ge- werkschaften klagten über die deutliche Verteuerung des Franken. Der Wirtschaftsminister befürchtete negative Kon- junktureffekte. Sogar der Einzelhandel war betroffen, da in grenznahen Regionen die Einkäufe auf das Eurogebiet überschwappten. Mit der Wechselkursgrenze wird die Schweizer Exportindustrie nun in ruhigeres Fahrwasser gebracht. (2) Eine weitere wichtige Rolle für die Entscheidung der SNB dürften die Kapitalmärkte gespielt haben, da die kleine Schweiz einer riesigen Welle von Kapitalzuflüssen ausge- setzt war, die nicht allein mit der Rolle des Landes als si- cherer Hafen zu erklären war. Aufgrund der geringen Refi- * Prof. Dr. Gunther Schnabl leitet das Institut für Wirtschaftspolitik an der Uni- versität Leipzig. ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 7 nanzierungskosten im Eurogebiet in Kombination mit dem stabil war, die Aufwertung aber nicht immer entsprechend flexiblen Wechselkurs des Franken, konnten Spekulanten der Zinsparität beobachtet wurde, wurde der niedrigere Zins ohne großes Risiko auf deutliche Aufwertungsgewinne wet- in der Schweiz bisher als wachstumsfördernder Zinsbonus ten. Diese Carry Trades wurden auch dadurch nicht ausge- interpretiert (vgl. Kirchgässner 2003). bremst, dass die Leitzinsen in der Schweiz unter denen im Eurogebiet lagen. Mit dem glaubhaften Aufwertungslimit wer- (5) In dem gegenwärtigen Umfeld einer globalen Liquidi- den zwar nicht die Anlagen ausgebremst, die einen siche- tätsschwemme und wandernder Spekulationsblasen (vgl. ren Hafen ansteuern. Aber es werden die Kapitalzuflüsse eli- Hoffmann und Schnabl 2008) ist insbesondere in kleineren miniert, die sich aus selbst erfüllenden Erwartungen hohe Volkswirtschaften ein Leitzins nahe null aber eher Fluch als Spekulationsgewinne generieren. Segen. Denn je kleiner die nationalen Kapital- und Güter- märkte, desto geringer ist deren Absorptionsfähigkeit für Ka- (3) Ein dritter Grund liegt in den Verlusten der SNB begrün- pitalzuflüsse. Die resultierende Kreditexpansion schafft den det, die aus der Aufwertung des Franken resultierten. Die Nährboden für Inflation und Vermögenspreisblasen. Zwar SNB hat vor allem in den Jahren 2009 und 2010, als sie er- kann die Inflation durch eine Aufwertung der Inlandswäh- folglos versuchte, durch hohe Eurokäufe Aufwertungsdruck rung eingedämmt werden. Doch ziehen Signale der Zentral- von Franken zu nehmen, hohe Euroreserven angehäuft. Die bank, dass eine Aufwertung erwünscht ist, spekulative Ka- Devisenreserven (ohne Gold) stiegen von einem Gegen- pitalzuflüsse nach sich, die auf der Suche nach lukrativen wert von ca. 30 Mrd. Euro im Jahr 2008 auf über 230 Mrd. Anlagemöglichkeiten die Wahrscheinlichkeit von Vermögens- Euro im August 2011. Bei Aufwertung des Franken verlie- preisblasen steigen lassen. ren diese Reserven gemessen in Inlandswährung an Wert. Für das Jahr 2010 wies die SNB in ihrer Bilanz Verluste auf Welchen Teufelskreis die Schweizerische Nationalbank durch Devisenanlagen in Höhe von 26 Mrd. Franken aus. Im Jahr die glaubhafte Bindung des Franken an den Euro möglicher- 2011, als die Aufwertung im August bereits eine ähnliche Di- weise durchbrochen hat, zeigt das Beispiel Japans, das nach mension wie 2010 erreicht hatte und die Devisenreserven dem Plaza-Abkommen – ähnlich wie die Schweiz bis vor nochmals angestiegen waren, waren noch höhere Verluste kurzem – mit sehr starkem Aufwertungsdruck konfrontiert zu erwarten. Da die Zentralbankgewinne vor allem an die war. Im September 1985 hatten die G-5-Staaten im New Schweizer Kantone transferiert werden, formierte sich kan- Yorker Plaza Hotel den politischen Willen zu einer starken tonaler Druck auf die Zentralbank gegen die Streichung von Aufwertung des Yen signalisiert, um das amerikanisch-japa- Gewinnzuweisungen. nische Leistungsbilanzungleichgewicht zu korrigieren. Die Folge waren persistente Yen-Aufwertungserwartungen, die Auf längere Frist wäre die Unabhängigkeit der Schweize- durch Spekulation auf die Yenaufwertung erfüllt wurden. Der rischen Zentralbank gegenüber der Regierung auf dem japanische Yen wertete zwischen Februar 1985 und Janu- Spiel gestanden. Zwar kann eine Zentralbank zeitweise ar 1988 weit über den angestrebten Zielwert um fast 50% auch mit negativem Eigenkapital operieren. Doch ist ab auf, was – wie bis vor kurzem in der Schweiz – den Export einem gewissen Ausmaß von Aufwertungsverlusten die als Pfeiler des japanischen Wachstums bremste. Japan wur- Zentralbank auf eine Rekapitalisierung durch die Regierung de in eine durch den hohen Yen getriebene Rezession ge- angewiesen. Dann kann die Regierung Gegenleistungen stürzt – wie sie auch in der Schweiz befürchtet wurde. im Interesse der wechselkursgeschädigten Wirtschafts- zweige in Form von Zinssenkungen und/oder Wechsel- Die japanischen Behörden reagierten ähnlich wie die Schweiz kursstabilisierung fordern. Ein Stopp der aufwertungsbe- vor der Ankündigung des Wechselkursziels. Zunächst kam dingten Buchverluste durch Wechselkursbindung garan- es – wie in der Schweiz 2009 und 2010 – zu massiven Dol- tiert aus dieser Perspektive wieder ein Stück Unabhän- larkäufen – in der Schweiz Eurokäufe. Als diese keine Wir- gigkeit von politischem Druck. kung zeigten, folgten deutliche und nachhaltige Zinssenkun- gen, um die spekulativen Kapitalzuflüsse einzudämmen. In (4) Viertens kann argumentiert werden, dass die geldpoliti- der Schweiz sank das Zinsniveau gegen null und verblieb sche Eigenständigkeit der SNB ohnehin nie sehr groß war. dort, auch nachdem die Europäische Zentralbank das Zins- Der Schweizer Leitzins folgte stets eng dem Leitzins des Eu- niveau wieder erhöhte. Die expansive Geldpolitik wurde in rogebietes, wohl aus den oben genannten Gründen. Das Japan von expansiven Fiskalprogrammen flankiert, um den stilisierte Faktum, dass der Schweizer Leitzins dabei immer negativen Konjunktureffekt der Yen-Aufwertung abzufedern. etwas unter dem Leitzins des Eurogebietes lag, kann mit Auch in der Schweiz dachte die Regierung über Förderpro- Aufwertungserwartungen auf den Franken erklärt werden. gramme für die leidende Industrie nach. Die mit Arbitrage auf den internationalen Kapitalmärkten be- gründete offene Zinsparität impliziert, bei persistenten Auf- Die Folgen der geld- und finanzpolitischen Reaktion Japans wertungserwartungen des Franken einen niedrigeren Zins auf die starke Yen-Aufwertung könnten für die Schweiz ei- in der Schweiz als im Eurogebiet. Da zwar die Zinsdifferenz ne Lehre sein. Zunächst folgte der aufwertungsbedingten ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
8 Zur Diskussion gestellt Niedrigzinspolitik ein spekulativer Boom – die japanische rung erhöhte und sich selbst verstärkende Aufwertungser- Bubble Economy – in deren Verlauf die japanischen Ak- wartungen möglich machte. Zudem sank mit der jüngsten tien- und Immobilienpreise auf ungeahnte Höchststände Krise im Eurogebiet der Leitzins des Eurogebiets drastisch, getrieben wurden (vgl. Hoffmann und Schnabl 2008). Nach was den Schweizer Leitzins gegen die Nullzinsgrenze drück- dem Platzen der Blase im Dezember 1989 kam die nicht te. Die Souveränität in der geldpolitischen Entscheidungs- endende Flaute: zwei verlorene Dekaden der Deflation und findung war aus dieser Sicht spätestens seit dem Jahr 2008 Rezession. ohnehin verloren. Dass der japanische Tanker in die geldpolitische Manövrier- Mit der jüngsten Entscheidung gewinnt die Schweiz aus die- unfähigkeit in Form der seit 1999 fortdauernden Nullzinsfal- sem Blickwinkel geldpolitischen Handlungsspielraum zu- le geriet, kann mit drei Faktoren erklärt werden (vgl. Goyal rück, da sie sich von dem Fluch spekulativer Kapitalzuflüs- und McKinnon 2001). Erstens, die Aufwertungserwartun- se teilweise befreien kann. Unsicherheit wird eliminiert, der gen auf den Yen bestanden fort, da Japan seit Beginn der Freiraum für destabilisierende Spekulation eingegrenzt und 1980er Jahre Leistungsbilanzüberschüsse generierte, die die Wogen volatiler Kapitalmärkte geglättet. Die geldpoliti- das japanische Nettoauslandsvermögen stetig steigen lie- sche Expansion fällt geringer aus, da bei Glaubwürdigkeit ßen. Je höher das Nettoauslandsvermögen, desto stärker des Wechselkursziels der Zins von nahe null auf das etwas sind die Aufwertungserwartungen. Durch jede Aufwertung höhere Leitzinsniveau im Eurogebiet steigen kann. Die von erleiden die japanischen Auslandsanleger – Staat, Banken, den Kapitalmärkten erzwungene geldpolitische Expansion Lebensversicherungen, Unternehmen und private Haushal- wird reduziert und das Risiko von Vermögenspreisblasen, te – wie die Schweizerische Nationalbank Buchverluste, die früher oder später in die Krise führen, abgemildert. vor denen sich die privaten Akteure durch rechtzeitige Re- patriierung des Auslandsvermögens zu schützen suchen. Die Wechselkursbindung bleibt aber im derzeitigen Umfeld Dies hat immer wieder zu »Runs« in den japanischen Yen der globalen Liquiditätsschwemme und instabiler europäi- und starken Aufwertungsphasen geführt. Die japanische Re- scher Staatshaushalte und Banken nur eine unbefriedigen- gierung wollte aber starke Aufwertungen nicht zulassen, da de Lösung. Denn die Europäische Zentralbank hat jüngst die Exporte nach dem Platzen der Blase die zentrale zur Rettung taumelnder Banken weitere liquiditätsauswei- Wachstumsstütze waren. tende Maßnahmen beschlossen. Trotz steigendem Inflati- onsdruck werden unter dem neuen Zentralbankpräsidenten Zweitens, dadurch dass Japan den Wechselkurs weiter frei Draghi und ohne das stabilitätsorientierte Direktoriumsmit- schwanken ließ, blieben die Aufwertungserwartungen kon- glied Stark Zinssenkungen erwartet, die die Schleusen für tinuierlich bestehen, und die privaten japanischen Anleger Kapitalzuflüsse in die Schweiz weiter öffnen werden. Bei fes- empfanden ein höheres Wechselkursrisiko bei Auslands- tem Wechselkurs und steigender Inflation werden die im- anlagen. Die Bank of Japan musste die Leitzinsen immer mensen Euroreserven in der Schweizerischen Zentralbank- weiter absenken, um ausreichend Anreize für das Halten von bilanz langfristig real entwertet. Damit wird die Sozialisierung Auslandsanlagen zu geben. Damit wurde, drittens, bei ei- der Kosten der europäischen Staatsschulden- und Finanz- nem graduell absinkenden Zinsniveau in den USA der japa- krisen auf die Schweiz ausgeweitet. nische Leitzinsgegen die Nullgrenze gedrückt, wo es seit 1999 verblieben ist. Im Gegensatz zu der zweiten Hälfte Spannend bleiben die Folgen der Schweizer Entscheidung der 1980er Jahre wurde durch das Nullzinsniveau in Japan für die verbleibenden freien Wechselkursregime in Europa, aufgrund negativer Erwartungen keine Vermögenspreisbla- etwa in Schweden, Norwegen, der Tschechischen Republik se mehr im Inland induziert. Stattdessen nährten die von Ja- oder Polen. Zwar ist die Schweiz ein kleines Land. Doch pan ausgehenden Carry Trades Blasen in anderen Teilen der fällt diese als Spekulationsziel aus, dann wird sich mehr Welt (vgl. Hoffmann und Schnabl 2008). Kapital anderen Ländern zuwenden, die weiterhin Aufwer- tungen erlauben. Da ein ähnliches Dilemma wie in der Die Erfahrungen Japans hinsichtlich der Nullzinsfalle sind Schweiz entstehen dürfte, könnte auch für diese Staaten die für die Schweiz relevant, weil sie in einigen wichtigen Punk- Wechselkursbindung zum letzten Rettungsanker in den Flu- ten ähnliche Strukturmerkmale wie Japan aufweist. Es be- ten der Euro-Liquiditätsschwemme werden. stehen wie in Japan hohe strukturelle Leistungsbilanzüber- schüsse, Nettokapitalexporte und damit ein hohes Netto- Das Ergebnis ist paradox: Je mehr die EZB die Zinsen senkt auslandsvermögen, das ein inhärentes Aufwertungspoten- und mehr kostengünstiges Kapital sie zur Rettung von Ban- zial darstellt. Dieses wird durch die Stellung der Schweiz als ken zur Verfügung stellt, desto mehr Euroreserven werden sicherer Hafen für internationales Kapital verstärkt. Eben- in den Bilanzen von europäischen Zentralbanken akkumu- so wie Japan ließ die Schweiz bis vor kurzem den Wech- liert, die nicht am Projekt Euro teilnehmen. Desto geringer selkurs des Franken frei schwanken, was z.B. für Schwei- wird auch die Anzahl der »Restfloater«, die nicht direkt der zer Banken das Risiko von Auslandsanlagen in Fremdwäh- Geldpolitik der EZB folgten. Den Deutschen könnte diese ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 9 Entwicklung willkommen sein. Denn mehr zahlungskräftige Staaten werden sich – unfreiwillig – an den Kosten der eu- ropäischen Staatsschulden- und Finanzkrise beteiligen. Literatur Goyal, R. und R. McKinnon (2001), »Japan's Negative Risk Premium in Interest Rates: The Liquidity Trap and the Fall in Bank Lending«, The World Economy 26(3), 339–363. Hoffmann, A. und G. Schnabl (2008), »Monetary Policy, Vagabonding Liquidity and Bursting Bubbles in New and Emerging Markets – An Over- investment View«, The World Economy 31(9), 1226–1252. Kirchgässner, G. (2003), »Die Wiederkehr des Zinsbonus – Neue empirische David Iselin* Michael J. Lamla** Ergebnisse zum Einfluss der europäischen und der amerikanischen auf die schweizerischen Euromarktzinsen«, Außenwirtschaft 59, 249–274. Genug ist genug Am 6. September 2011 hat die Schweizerische National- bank (SNB) mit ihrer Ankündigung, eine Untergrenze für den Franken/Eurokurs festzulegen, ein mittleres Finanzmarkt- beben ausgelöst. Der Franken verlor binnen weniger Minu- ten 8,2%, und sein Kurs übersprang gegenüber dem Euro die anvisierte Untergrenze von 1,20 Fr. Diese Aktion der Zent- ralbank der Schweizerischen Eidgenossenschaft war die Antwort auf einen historisch einmaligen Aufwertungsschub der nationalen Währung. Wie die SNB offiziell mitteilte, verfolgte sie damit das Ziel, die Deflationsgefahr für die Schweizer Volkswirtschaft abzuwen- den und den leidgeprüften Exporteuren, den Hauptbetrof- fenen des starken Franken, unter die Arme zu greifen. So- fort wurden Kritiken laut, welche dies als gefährlichen Inter- ventionismus bezeichneten. Sofern die SNB die Untergren- ze tatsächlich verteidigen kann, was angesichts quasi unli- mitierter Mittel und der als sicher geltenden Überbewer- tung der Schweizer Währung erwartet werden darf, birgt die- ses Eingreifen kaum Gefahren. Ein Blick auf die »Franken- saga« der vergangenen Jahre zeigt, weshalb die Kritiker falsch liegen. Die Frankensaga Die Aufwertung der Schweizer Währung ist keine neue Ent- wicklung. Seit Jahren – wenn man den Ecu (den Vorläufer des Euro) berücksichtigt, seit Jahrzehnten – befindet sich der Franken gegenüber dem Euro im Steigflug. Seit Jahren sind die Schweizer Unternehmen gezwungen, sich dieser Entwicklung anzupassen (vgl. Iselin 2011; Lamla und Lass- mann 2011). Die Wirtschaftsentwicklung der frühen 1990er Jahre zeigt das beispielhaft. Nach dem Platzen einer Im- * David Iselin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KOF Konjunkturfor- schungsstelle der ETH Zürich. ** Dr. Michael J. Lamla ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KOF Kon- junkturforschungsstelle der ETH Zürich. ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
10 Zur Diskussion gestellt Abb. 1 den vom Wechselkurs vorgegebenen Rea- Wechselkurse litäten anpassen. Mitte 2007 setzte aber ei- Monatswerte ne Entwicklung ein, die alle vorherigen Be- 1,9 CHF wegungen in den Schatten stellte. Zwar sah es noch lange – überraschend lange – so 1,7 aus, als könnten die hoch spezialisierten Branchen, insbesondere die wechselkursre- Euro sistente chemische und pharmazeutische In- 1,5 dustrie, auch diese Entwicklung absorbieren (vgl. Lamla und Lassmann 2011). Auch die 1,3 starke Nachfrage aus dem Ausland, insbe- sondere aus Deutschland und Asien, half die Dollar 1,1 Wechselkurseffekte abzufedern. Von Oktober 2007 bis Ende August 2011 0,9 wertete der Franken von 1,67 Fr. pro Euro (Monatsmittel, gemäß SNB) um knapp 33% 0,7 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 auf 1,12 auf. Hinzu kam eine parallele Fran- Quelle: Schweizerische Naonalbank. kenhausse nicht nur im Vergleich zum Euro, auch im Vergleich zum Dollar oder – noch mobilienblase durchlebte die Schweiz damals eine längere weiter gefasst – im Vergleich zu einem Währungskorb von Periode schwachen Wachstums, welche als verlorenes Jahr- 24 maßgeblichen Ländern, mit denen die Schweiz Handel zehnt in die Geschichte eingegangen ist. Die starke Auf- treibt. Doch entscheidend für den Eingriff der SNB war letzt- wertung Anfang der 1990er Jahre bezahlte die Schweiz mit lich die Phase ab Mai 2011. sehr schwachen Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts von um die 0,2% (1991–1996). Obwohl von Genf bis St. Gallen schon länger über die Mög- lichkeit eines als beinahe tollkühnen zu bezeichnenden – und Doch das Siechtum hatte auch sein Gutes: Die Unterneh- verschiedentlich als aggressiv gescholtenen – Eingriffs der men mussten sich radikal anpassen. Sie rationalisierten ih- SNB spekuliert wurde und auch die KOF einen solchen als re Produktion, verlagerten teure Produktionsstätten ins Aus- notwendig bezeichnet hatte (vgl. Hartwig et al. 2011), kam land und wandelten sich zunehmend zu Dienstleistungsbe- die Ankündigung am Morgen des 6. Septembers für alle Be- trieben. Kurz: sie trimmten sich fit. Zwischen 1996–2006 obachter überraschend. Die Überraschung lag aber wohl lief die Entwicklung des Wechselkurses mehr oder weniger eher am Zeitpunkt als am Schritt selber. Das Festzurren seitwärts. Zwischendurch kam es gar zu kürzeren Abwer- des Kurses war die logische Folge der in den Vorwochen er- tungsphasen; etwa Ende 2001 bis Anfang 2003, als die folgten Schritte der SNB, um den Kurs der helvetischen Wäh- Schweizer Unternehmen von einem zwischenzeitlichen sin- rung zu drücken. kenden Frankenkurs profitierten. 2005 und 2006 hat der tie- fere Kurs zum Export- und Wirtschaftsboom beigetragen, bis die Finanzkrise dem wirtschaftlichen Höhenflug ein jä- Das Protokoll einer Eskalation hes Ende setzte. Anfang August 2011 leitete die SNB – erstmals seit den Wechselkursinterventionen von März 2009 bis Juni 2010 SNB greift in vermeintliches »Naturgesetz« ein wieder – Maßnahmen gegen den starken Franken ein. Das Drehbuch bis zum 6. September liest sich – im Nachhinein Am Bild des langfristigen Aufwertungstrends konnten aber – dann wie der perfekt orchestrierte Spannungsaufbau Rich- auch zwischenzeitliche Kursabfälle nichts grundlegend ver- tung Klimax Untergrenze. Start war der 3. August 2011. ändern. Welcher Logik folgt also die SNB, indem sie unver- Die SNB weitete die Girokonten der Geschäftsbanken mit- mittelt in eine quasi natürliche Entwicklung in Richtung Fran- tels SNB-Bills und Reverse Repos um 50 Mrd. Fr. auf 80 Mrd. ken-Euro-Parität – und darüber hinaus – mit der Brech- Fr. aus. Genau eine Woche später wurde auf 120 Mrd. Fr. stange eingreift? erhöht. Schließlich setzte sie nochmals eine Woche später einen drauf: Grenze bei 200 Mrd. Fr. Die Antwort findet sich in der Entwicklung der letzten vier Jahre. Die Wechselkursentwicklung in den 1990er und der Mittlerweile stehen die Giroguthaben der Banken bei der ersten Hälfte der 2000er Jahre war noch von relativ gerin- SNB bei über 200 Mrd. Fr. Sie haben somit in sehr kurzer gen Schwankungen geprägt. Die Unternehmen konnten sich Zeit die Zielmarke der SNB von 200 Mrd. Fr. erreicht. Zum ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 11 Vergleich: Anfang August 2011 beliefen sich die Gutha- Was den Erfolg von Interventionen angeht, sind die Mei- ben noch auf ca. 30 Mrd. Fr. Die Ausweitung der Gutha- nungen geteilt. In der Vergangenheit haben oftmals ge- ben auf den Girokonten der Geschäftsbanken bei der SNB meinhin als unglaubwürdig geltende Zentralbanken ver- erhöhte die Bilanzsumme der SNB nicht. Sie führt ledig- sucht, die Abwertung ihrer jeweiligen Landeswährung zu lich zu einer Umschichtungen der Positionen auf der Pas- verteidigen. Diese sind oft gescheitert. Die Wirkung der sivseite der SNB. Interventionen waren marginal und die Devisenreserven schnell aufgebraucht. Die SNB gilt dagegen als eine der Als zweite Maßnahme senkte die SNB die Zinsen, genauer glaubwürdigsten Zentralbanken weltweit. Wenn sie eine das Drei-Monats-Libor-Zielband. Anstelle eines Zielbandes Aufwertung verhindern will, stehen ihr unlimitierte Ressour- von 0% bis 0,75% mit einem Ziel für den Drei-Monats-Li- cen zur Verfügung, da sie jegliche Frankennachfrage be- bor von 0,25% wurde ein Zielband von 0% bis 0,25% defi- dienen kann. niert – wobei ein Libor-Zins sehr nah an 0% anvisiert wird. Ziel der SNB ist es, die Attraktivität der Anlagen in Schwei- Die bisherige Forschung in diesem Bereich hat darüber hin- zerfranken weiter zu senken. Zudem vergrößert sie dadurch aus gezeigt, dass bei glaubwürdigen Zentralbanken oft blo- gleichzeitig die Zinsspanne (Spread) zwischen Anlagen in ße Ankündigungen genügen, um Bewegungen des Wech- der Schweiz und im Euroraum. Dieser Spread gilt als einer selkurses in die gewünschte Richtung auszulösen. Eine Zen- der Determinanten für die Bewegung des Wechselkurses. tralbank muss nicht zwangsläufig am Devisenmarkt inter- Je größer der Spread ist, desto attraktiver sind Anlagen im venieren. Im Falle der Europäischen Zentralbank (EZB) ist Euroraum. Den kurzfristigen Zins kann die SNB sehr gut dieses Phänomen hinlänglich bekannt: Ihre Aussagen ha- steuern. Entsprechend fiel dieser auch innerhalb weniger Ta- ben einen signifikanten Einfluss auf den Wechselkurs (vgl. ge auf einen Wert von 0,005% (Stand: 6. September 2011). Conrad und Lamla 2010). Da der Zins schon vorher nah an 0% lag, ist kaum davon auszugehen, dass die Wirkung auf den Frankenkurs sehr Angesichts der Glaubwürdigkeit der SNB und ihrer kund ge- groß sein wird. tanen Bereitschaft, die Untergrenze zu verteidigen, ist da- von auszugehen, dass das Währungspaar Euro/Franken vor- Darüber hinaus setzt die SNB wieder Devisenswaps als erst von Spekulanten gemieden wird. Bleiben jene Finanz- Instrument zur Liquiditätssteuerung ein. Diese Swaps wur- marktakteure, die nach wie vor den sicheren Hafen Schwei- den das letzte Mal im Herbst 2008 genutzt. Sie dienen da- zer Franken ansteuern und in eine stabile Währung inves- zu, Frankenliquidität zu schaffen. Auch damit lässt sich die tieren möchten. Der Sprung des Frankenkurses binnen we- Geldmenge zusätzlich erhöhen. Devisenswaps haben ei- niger Minuten spiegelt die Glaubwürdigkeit dieser Maßnah- ne feste Laufzeit und gehen nach Ablauf der Laufzeit wie- me wider. der automatisch an den Verkäufer zurück. Die SNB hat nicht spezifiziert, unter welchen Konditionen Devisenswaps ge- Insgesamt erscheint es also unwahrscheinlich, dass die SNB tätigt werden. Allerdings ist aus dem letzten Special Data ihre Devisenreserven im September im Vergleich zu den In- Dissemination Report des Internationalen Währungsfonds terventionen im August 2011 nochmals stark ausgeweitet ersichtlich, dass die Devisenreserven der SNB von Juli bis August 2011 auf über 70 Mrd. Fr. gestiegen sind. Die SNB hat. Auf die SNB angewandt: Sie musste bisher relativ be- scheint daher im August in hohem Masse Devisen gekauft scheiden intervenieren: 29 Mrd. Fr. hat die SNB eingesetzt. zu haben. Angesichts der Aufwertung der Gesamtbestände muss es also sogar noch viel weniger sein. Die UBS schätzt sogar Zwar erscheinen all diese praktisch wöchentlich erfolgten lediglich 7 Mrd. Fr. Schritte angesichts der Wechselkursuntergrenze im Nach- hinein als Fußnoten, aber sie waren ganz klar massiv, so- Die Einführung der Wechselkursuntergrenze ist derzeit als wohl bezüglich Frequenz als auch Volumen. Die Effekte auf Erfolg zu werten. Unklar bleibt die Wirkung der Geldmen- den Wechselkurs verpufften aber binnen weniger Stunden genausweitung. Eine Ausweitung unterstützt in der Regel und Tagen wieder, so dass sich die SNB zur Variante Wech- die Stabilisierung des Wechselkurses. Bleibt das Geld auf selkursuntergrenze bekennen musste. den Nationalbankkonten liegen, hat dies weder einen Ein- fluss auf den Wechselkurs, die Inflation noch auf die Asset- Preise in der Schweiz. Interessant wird es, wenn das Geld Kann die SNB die 1,20 halten? in irgendeiner Form aktiviert wird. Da in erster Linie die in- ländische Geldmenge erhöht wird, muss die SNB neben Bleibt zu fragen: Kann die SNB die Untergrenze von 1,20 dem Wechselkurs auch die Entwicklung in anderen Anla- halten und wie viel Geld muss sie »in die Hand nehmen« bzw. geklassen, wie etwa den Immobilien, wachsam begleiten. hat sie schon genommen, um den Wechselkurs zu stabili- Dort scheint die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Beschleu- sieren? nigung der Preisentwicklung am größten. ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
12 Zur Diskussion gestellt Das Risiko des Engagements der SNB ist derzeit als ge- für eine flexible Währung gehört – wieder vollständig, also ring zu bezeichnen. Angesichts der erwartet tiefen Inflati- auch nach unten, »floaten« lassen. onsraten im nächsten Jahr hat die SNB genügend Spiel- raum, sich vorderhand der Stabilisierung des Wechsel- Die SNB ist mit ihrem Eingriff eine doppelte Wette eingegan- kurses zu widmen. Sollten die Inflationsraten allerdings ir- gen: Die Wette auf das Überleben der europäischen Wäh- gendwann wieder steigen, würden wohl auch die Zweifel rung und auf eine Beruhigung der Weltmärkte. Wiederhol- an einer erfolgreichen Verteidigung einer Untergrenze zu- te sich bei einem Bankrott Griechenlands ein Einbruch wie nehmen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für Atta- nach der Lehman-Brothers-Pleite würde der Schweizer Fran- cken erhöhen könnte. ken wohl in nie geahntem Ausmaß nachgefragt. Was die SNB dann tun müsste, bleibt hoffentlich ungetestet. Bilanziert wird später Literatur Die SNB hat sich am 6. September weit auf die Äste heraus- Abrahamsen, Y. und B. Simmons-Süer (2011), Die Wechselkursabhängigkeit gelassen. Rasch kam der Vorwurf, sie würde »beggar-thy- der Schweizer Wirtschaft, KOF Studien, 24, KOF Konjunkturforschungsstel- neighbour«-Politik betreiben. Diese Kritik ist auf den ersten le der ETH Zürich, Zürich, April. Conrad, Chr. und M.J. Lamla (2010), »The High-Frequency Response of the Blick nachvollziehbar, da jede einseitige Intervention in ei- EUR-US Dollar Exchange Rate to ECB Monetary Policy Announcements«, nem Land, die zu einer Verbesserung der Situation der Ex- Journal of Money, Credit and Banking 42(7) 1391–1417. Hartwig, J., D. Iselin, M.J. Lamla, A. Lassmann und J.-E. Sturm (2011), porteure führt, die Exporteure in den Nachbarländern »Der starke Franken: Was getan werden kann«, Ökonomenstimme, 10. Au- schlechter stellt. Für die Schweiz gilt diese Kritik aber nur gust 2011, http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/08/der-starke- franken-was-getan-werden-kann/. bedingt. Als kleine und offene Volkswirtschaft ist sie von Iselin, D. (2011), »Die Frankensaga«, Ökonomenstimme, 25. Juli 2011. Schwankungen ihrer »Weltwährung« viel stärker betroffen http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2011/07/die-frankensaga/. KOF (2011), »Schweizer Warenhandel wird geografisch diversifizierter«, KOF als größere Länder. Bulletin Nr. 43, Juli/August, KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zü- rich, Zürich. Lamla, M.J. und A. Lassmann (2011). »Der Einfluss der Wechselkursentwick- Die Dynamik der Aufwertung der Schweizer Franken ist lung auf die schweizerischen Warenexporte: eine disaggregierte Analyse«, historisch einmalig und ließ den Exporteuren wenig Gele- KOF Analysen, Sommer, 31–49. genheit, sich darauf einzustellen. Die Intervention richtet sich auch klar an ein heimisches Publikum. Die SNB muss nämlich gemäß Art. 99 der schweizerischen Verfassung »… eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtin- teresse des Landes dient…« führen. Das hat sie am 6. Sep- tember getan. Vergessen wird oftmals auch, dass die SNB mit ihren Euro-Ankäufen Staatsanleihen kauft und damit auch die Rendite und somit die Refinanzierungskosten stabiler Eurostaaten senkt. Dies ist sicherlich ein Effekt, der angesichts der Turbulenzen in der Eurozone mit gro- ßem Wohlwollen aufgenommen wird. Kritik wurde auch am Zeitpunkt des Eingriffs laut. Die SNB hätte auf das Verdikt des deutschen Bundesverfassungs- gerichts zum Euro-Rettungsschirm am 7. September war- ten müssen. Und da das Schicksal des Franken nicht nur am Euro hängt, hätte sie ebenso auf den »bipartisan« Kom- promiss in den USA im November warten müssen. Die Kri- tik am Timing lässt aber außer Acht, dass die SNB stark auf den Überraschungseffekt – wer war nicht überrascht? – setzte. Die SNB wird ihren Kurs aufgeben, sobald sich der überbe- wertete – davon gehen, wie bereits erwähnt, praktisch alle Beobachter aus, ob man nun Kaufkraftparitäten, Taylor- Regel, Big Mac Index oder sonstige Konzepte betrachtet – Franken auf einem höheren Niveau stabilisiert. Ist der Zeit- punkt gekommen, kann die SNB den Franken – wie sich das ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 13 lands muss die EZB beträchtliche Abschreibungen schul- tern. Sollte die EZB noch ganz in den Verschuldungsstru- del hineingezogen werden, weil sie weitere Anleihen kaufen sollte, um die Wirkung des Stabilisierungsfonds EFSF zu »hebeln«, würden die zentralen Pfeiler einer funktionsfähi- gen Währungszone eingerissen. Nach dem Missachten der Maastricht-Verträge und der »No-Bailout«-Klausel würde auch die Unabhängigkeit der EZB aufgegeben mit mögli- cherweise fatalen Folgen für die Preisstabilität in der Euro- zone. Beide großen Währungsräume versuchen also der- zeit, mit geldpolitischen Maßnahmen strukturelle Probleme Rudolf Minsch* in den Griff zu kriegen, die aber nur mit konsequentem Han- deln der Politik angegangen werden können: Die Redukti- on der ausufernden Staatsausgaben und die Stabilisierung des Bankensystems. Obwohl Geld fast gratis zur Verfü- Mindestkursziel der SNB als Ultima gung steht, lähmt die Unsicherheit die wirtschaftliche Dy- Ratio in stürmischen Zeiten namik und treibt die Anleger in sichere Werte. Die amerikanische Notenbank, das FED, hat den Takt vor- Für die Schweiz hat diese Politik schwerwiegende Konse- gegeben: Mit einer noch nie dagewesenen ultra-expansiven quenzen. Schon seit Jahrzehnten erstarkt der Schweizer Geldpolitik hat sie seit Ausbruch der Finanzkrise die Märk- Franken traditionellerweise in Krisenzeiten. Anleger flüch- te mit Liquidität geflutet. Andere Zentralbanken aus den In- ten in die Stabilität des Schweizer Frankens, der als siche- dustrieländern folgten diesem Beispiel und betreiben seit rer Hafen angesehen wird. Der Schweizer Franken hat denn mittlerweile drei Jahren eine Politik des billigen Geldes. Ur- auch eine bemerkenswerte Entwicklung hinter sich: Der Fran- sprünglich wurden die Liquiditätsspritzen für die Stabilisie- ken existiert seit 1850 ohne wesentliche Währungsreform, rung des Bankensystems als notwendig erachtet. Nach dem die Inflationsraten sind seit dem ersten Weltkrieg vergleichs- Zusammenbruch von Lehman Brothers trauten sich die Ban- weise moderat, und die Währung ist seit 1973 voll konver- ken nicht mehr über den Weg und liehen sich gegenseitig tibel. Aufgrund der strukturellen Probleme in Europa und den kein Geld mehr aus. Die Zentralbanken traten als Lender of USA und aufgrund der ultra-expansiven Geldpolitik der No- Last Resort auf und versorgten die Banken mit der not- tenbanken hat die Flucht in den Franken aber in den Som- wendigen Liquidität. Das in Krisenzeiten notwendige Vorge- merwochen 2011 zu bis dahin undenkbaren Konsequenzen hen wurde allerdings zu einem Dauerzustand. Obwohl mitt- geführt. Der Franken hat sich so stark aufgewertet, dass er lerweile mehr als drei Jahre ins Land gezogen sind, funktio- beinahe die Parität zum Euro erreichte. Innert eineinhalb Jah- niert der Interbankenmarkt immer noch nicht zufriedenstel- ren hatte sich zu diesem Zeitpunkt der Außenwert des Fran- lend. Die Zentralbanken beschränken sich aber nicht mehr kens um ein Drittel aufgewertet. In den folgenden Tagen ent- nur auf die klassische Rolle als Lender of Last Resort, son- fernte sich der Franken zwar wieder etwas von diesem Tiefst- dern verfolgen zusätzliche Ziele. Das FED versucht mit der wert, doch er blieb massiv überbewertet, so dass sein Wert Politik der quantitativen Lockerung seit geraumer Zeit struk- in keiner Weise mehr die fundamentalen Fakten wider- turelle Probleme der US-Wirtschaft zu bekämpfen. Die Geld- spiegelte. politik soll richten, was Staat und Wirtschaft in den letzten Jahren verpasst haben. Die ultra-expansive Geldpolitik lässt Abbildung 1 zeigt die historische Dimension der Franken- das Inflationspotenzial ansteigen und schwächt den Außen- stärke gegenüber dem Euro. Seit der Einführung des Euro wert des Dollar beträchtlich. schwankt der Franken innerhalb einer Bandbreite von ma- ximal plus-minus 15% um den Kaufkraftparitätskurs. In den Auch die EZB erweiterte den für sie vorgesehenen Auftrag: Jahren vor der Finanzmarktkrise wertete sich der Franken Mit dem Kauf von Staatsanleihen von hoch verschuldeten gegenüber dem Euro etwas ab und war im Vergleich zur Mitgliedsländern der Eurozone gab sie dem politischen Druck Kaufkraft zwischen 2005 bis 2008 klar unterbewertet. Die nach, was die Unabhängigkeit der Notenbank stark gefähr- Abwertung des Franken in den Vorkrisenjahren war teilwei- det. Die Verschuldungsproblematik in Europa wird damit se auf Carry-trade-Geschäfte zurückzuführen. Anleger ver- aber nicht gelöst, sondern bestenfalls aufgeschoben. Im Fal- schuldeten sich in Franken und investierten das Geld in et- le der wohl notwendig werdenden Umschuldung Griechen- was höher verzinste Anlagen im Ausland. Viele Osteuropä- er (vor allem aus Ungarn und Polen) haben in diesen Jah- ren aufgrund der tieferen Zinsen Fremdwährungskredite in * Prof. Dr. Rudolf Minsch ist Chefökonom und Mitglied der Geschäftslei- tung von economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Unter- Franken aufgenommen und negierten das Wechselkurs- nehmen. risiko. Dies sollte sich später rächen. Mit dem Ausbruch ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
14 Zur Diskussion gestellt Abb. 1 Händlern machte das Sprichwort die Run- Nomineller Wechselkurs EURCHF und Kauraparität de, dass die Parität nur noch eine Frage der 2,2 Zeit sei. An den Finanzmärkten schien der Wert des Frankens kein Limit zu kennen, 2,0 und Ende Juli 2011 kam es zu einer regel- rechten Frankenrally. 1,8 KKP EURCHF Hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu Gold. Der Franken ist nicht nur ein Wert- 1,6 aufbewahrungsmittel, sondern ist auch Zah- lungsmittel in einer Volkswirtschaft mit knapp EURCHF 1,4 8 Mill. Einwohnern. Die realwirtschaftlichen Auswirkungen einer derart überbewerteten Währung sind für verschiedene Branchen 1,2 gravierend. Der überschießende Franken ge- fährdet Unternehmen in ihrer Existenz, die 1,0 bis vor kurzem noch international wettbe- 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 werbsfähig waren. Der Dachverband der Quelle: UBS. Schweizer Wirtschaft economiesuisse hat zwischen dem 11. und 17. August 2011 ei- der Finanzmarktkrise kam es zu einer Trendwende, und der ne Kurzumfrage durchgeführt, um die Folgen dieses Wäh- Franken legte kontinuierlich an Wert zu. Während die Fran- rungsschocks grob abzuschätzen. Bliebe der Kurs auch kenstärke bis ins Jahr 2010 aufgrund der relativ guten Fun- 2012 zwischen Parität und 1,20, wären rund ein Fünftel der damentaldaten der Schweizer Wirtschaft und der vergleichs- Betriebe in den klassischen Exportbranchen in ihrer Exis- weise tiefen Staatsverschuldung erklärbar war, nahm die tenz bedroht, ein weiteres Fünftel stände vor »großen Her- Aufwertung im Sommer 2011 groteske Züge an, und die ausforderungen«. Die Unternehmen reagieren auf die Fran- Differenz zur Kaufkraftparität stieg auf 30 bis 40% an. Pa- kenstärke, indem sie die Kosten senken, die Produktivität rallel zur Frankenaufwertung verteuerte sich der Fremdwäh- steigern, Wertschöpfungsteile ins Ausland verlagern, Ar- rungskredit für Hausbesitzer in Ungarn oder Polen massiv. beitszeiten verlängern oder Löhne senken. In den klassi- Kaufte beispielsweise eine Person für 350 000 Euro eine schen Exportbranchen müsste kurzfristig mit einem Abbau Immobilie und nahm zum ungünstigsten Zeitpunkt im Ok- von 5% der Arbeitsplätze gerechnet werden. tober 2007 zu einem Kurs von 1,67 einen Fremdwährungs- kredit in Franken im Umfang von 300 000 Euro auf, schnell- Die Schweizerische Nationalbank versuchte im August 2011, te ihre Verschuldung im Sommer 2011 auf etwa eine halbe mit einer schrittweisen Ausdehnung der Schweizer Fran- Million Euro in die Höhe. Die Frankenstärke hat also offen- ken Liquidität bis auf 200 Mrd. eine Trendumkehr zu bewir- sichtlich auch extra-territoriale Auswirkun- gen. Aus der Sicht der Schweiz war die Wäh- Abb. 2 rungsentwicklung im Jahr 2011 auch des- Devisenkursentwicklung wegen gravierend, weil der Franken nicht nur Nominell, August 2010 = 100 gegenüber dem Euro, sondern gegenüber 105 allen Währungen der wichtigen Handelspart- ner deutlich zulegte. Abbildung 2 zeigt die 100 außergewöhnliche Entwicklung in den letz- Kanada Dollar ten zwölf Monaten vor der Intervention der 95 Brasilia- Yen SNB. Innerhalb eines Jahres wertete sich der nischer Real Franken (nominell) zwischen 17% (Euro) und 90 Euro 25% (US-Dollar) auf. 85 Pfund Der »sichere Hafen« Schweiz zog Kapital verunsicherter Anleger an. Hedge Fonds 80 und Spekulanten verstärkten den Trend. US-Dollar Auch ist in den Sommerwochen tendenziell 75 ein dünneres Handelsvolumen zu beobach- ten. Der Franken wurde gleich gesetzt mit 70 08 09 10 11 12 01 02 03 04 05 06 07 08 09 Gold, ein klassisches Wertaufbewahrungs- 2010 2011 mittel in stürmischen Zeiten, und unter Quelle: SNB. ifo Schnelldienst 19/2011 – 64. Jahrgang
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