Ökonomische Allgemeinbildung - Befähigung zur Teilhabe, Befähigung zur Erkenntnis, Entfaltung des Menschlichen
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PR 2021, 75. Jahrgang, S. 89-108 © 2021 Michael Weyland - DOI https://doi.org/10.3726/PR012021.0007 Michael Weyland Ökonomische Allgemeinbildung – Befähigung zur Teilhabe, Befähigung zur Erkenntnis, Entfaltung des Menschlichen Reicht es aus, ökonomische Bildung an was Opportunitätskosten seien. Kritiker allgemeinbildenden Schulen – kurz: Öko- eines Schulfachs „Wirtschaft“ warnen hin- nomische Allgemeinbildung – „fächer- gegen vor einer „Ökonomisierung“ und übergreifend“ zu implementieren? Oder davor, dass Schüler „ökonomistisch verbil- ist ökonomische Allgemeinbildung wichtig det“ werden – ganz zu schweigen davon, genug, um dafür ein eigenes Unterrichts- dass fraglich sei, auf wessen Kosten ein fach – verbunden mit einer entsprechend neues Fach Wirtschaft eingeführt würde.2 fundierten Lehrerbildung – zu etablieren? Bei der in der medialen Öffentlichkeit Das Für und Wider einer Stärkung öko- eher summarisch und plakativ geführten nomischer Allgemeinbildung durch ein Debatte fehlt zumeist der Raum, den eigenständiges Schulfach „Wirtschaft“ Fokus auf die Frage der Ziele, Inhalte und wird bereits seit vielen Jahren kontrovers Methoden ökonomischer Allgemeinbil- diskutiert.1 An den meisten allgemeinbil- dung zu richten. Dieses wäre Sache einer denden Schulen in Deutschland gibt es umfassenden curricularen Debatte. Be- bis heute kein entsprechendes Schulfach reits zu Beginn des Jahrtausends hat der und die Bildungslandschaft gestaltet sich Wirtschaftsdidaktiker Klaus-Peter Kruber im Bereich der ökonomischen Bildung darauf hingewiesen, dass die Antwort auf ganz besonders „heterogen“, was einem die Fachfrage nicht zuletzt davon abhän- curricularen Abbild der immer wieder kon- ge, „ob ökonomische Bildung spezifische trovers geführten Diskussionen entspricht. Inhalte und Methoden aufweist, die sich Die Antwort der Ökonomen und Wirt- von denen anderer Fächer so unterschei- schaftsdidaktiker fällt dabei zumeist ein- den, dass diese bestimmte relevante Pro- deutig aus. Nils Goldschmidt bringt dies blemstellungen nicht adäquat bearbeiten in einem Zeitungsbeitrag auf die Formel: können“.3 Zugespitzt formuliert: Wenn „Die Schüler leben in einer Marktgesell- es weder spezifische Inhalte noch spezi- schaft und müssen diese verstehen, auch fische Methoden geben sollte, die öko- wenn sie mal Kapitalismuskritiker werden“. nomische Bildung im Sinne ihrer Ziele zu Wichtig sei, dass die Schüler Grundwis- vermitteln versteht, dann brauchen wir sen über die Funktionsweise von Markt, auch kein Schulfach „Wirtschaft“. Daher Wettbewerb und Wirtschaftsordnung er- erscheint es unerlässlich, die beiden werben und „gutes ökonomisches Den- Grundsatzfragen ökonomischer Allge- ken“ lernten, also zum Beispiel erklären meinbildung in den Mittelpunkt der Dis- könnten, wie Anreize funktionierten und kussion zu rücken: 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 89 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
• Wirtschaftsdidaktische Leitfrage Nr. 1: Schulfach „Wirtschaft/ Berufs- und Stu- Worin genau bestehen die Ziele öko- dienorientierung“ (WBS) bezogen. Ba- nomischer Bildung an allgemeinbil- den-Württemberg ist bisher das einzige denden Schulen? Inwiefern also kann Bundesland mit einem eigenen, einheit- Wirtschaftsunterricht überhaupt zur lichen Schulfach „Wirtschaft“ für alle Allgemeinbildung beitragen? allgemeinbildenden Schulformen – ver- • Wirtschaftsdidaktische Leitfrage Nr. 2: bunden mit dem Anspruch, „ökonomische Wie sollte ökonomische Bildung an Allgemeinbildung“ für alle Schülerinnen allgemeinbildenden Schulen gestal- und Schüler zu vermitteln. Inwiefern dies tet werden, um diese Ziele zu errei- gelingen kann, soll auf Basis des Bil- chen? Und kann Ökonomieunterricht dungsplans und mithilfe des in Kapitel 1 überhaupt so gestaltet werden, dass skizzierten Allgemeinbildungskonzepts ge- Schüler nicht bloß auf den Kapitalis- prüft und veranschaulicht werden. Dabei mus abgerichtet, sondern tatsächlich wird die Bedeutung handlungsorientier- gebildet werden? ter Methoden für die Erreichung des Bil- dungsziels der „Befähigung zur Teilhabe“ Für den Versuch einer – zumindest ansatz- (A) besonders herausgearbeitet. Eine „Be- weisen – Beantwortung dieser beiden Leit- fähigung zur Erkenntnis“ (B), so die hier fragen der Wirtschaftsdidaktik wird eine vertretene These, setzt darüber hinaus den zweifache Standpunktverlagerung vor- entschlossenen Einsatz fach- bzw. domä- genommen. Im ersten Schritt (Kapitel 1) nenspezifischer Methoden voraus. Was wird auf die geisteswissenschaftlich und darunter zu verstehen ist, wird in den Ab- allgemeindidaktisch inspirierte Diskus- schnitten 2 und 3 erläutert. sion um den Allgemeinbildungsbegriff Im dritten Teil des Aufsatzes (Kapitel 4 zurückgegriffen. Die disziplinübergreifen- und 5) wird der Versuch einer Anbindung de, fachoffene Haltung der Allgemeinen des in den Abschnitten 2 und 3 recht kon- Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin kret Vorgetragenen an die übergreifende erscheint zielführend, um die Stagnation Diskussion um „Kategoriale Bildung“ in und den diagnostizierten Theoriestillstand Anlehnung an Klafki unternommen. Gelingt zu lösen. Konkret knüpft der Beitrag an es schulischer Praxis, so der Kerngedan- die weitreichende und vielfach rezipierte ke, ökonomische Stoffkategorien mithilfe Grundlegung des allgemeinen Didaktikers handlungsorientierter und domänenspezi- und Schulpädagogen Hans Werner Hey- fischer Methoden in „Bildungskategorien“ mann an. Heymann hat die Strömungen zu transformieren, so kann auch die dritte des deutschen Bildungsdenkens in seiner Dimension von Allgemeinbildung im Sinne Habilitationsschrift gebündelt und kommt Heymanns – die Persönlichkeits- bzw. zu den drei folgenden Grundpfeilern, die Charakterbildung – schrittweise realisiert Allgemeinbildung begründen: die „Befä- werden. Die von Heymann angestrebte higung zur Teilhabe“ (A); die „Befähigung „Entfaltung des Menschlichen“ (C) muss zur Erkenntnis“ (B) und die „Entfaltung des allerdings in der alltäglichen Unterrichts- Menschlichen“ (C). und Projektpraxis ökonomischer Bildung Anschließend (Kapitel 2 und 3) soll die „gelebt“ und „erfahren“ werden, um nach- Debatte durch eine Konkretisierung der zu haltig wirksam zu sein und zur Persönlich- häufig abstrakt gehaltenen Zielvorstellun- keitsbildung beizutragen. gen geerdet werden. Dazu wird der An- Mithilfe des Heymann‘schen Allge- satz Heymanns auf den Bildungsplan 2016 meinbildungs-ABC, so die hier vertretene für das neue baden-württembergische These, können die Ziele ökonomischer 90 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Bildung (Leitfrage Nr. 1) in einem all- „Allgemeinbildung und Fachunterricht“6 gemeinbildenden Sinne definiert und aus den späten 1990er Jahren. Hey- curricular operationalisiert werden. Der mann hat die Strömungen des deutschen baden-württembergische Bildungsplan für (Allgemein-)Bildungsdenkens gebündelt das Schulfach WBS bietet eine kategorial und kommt zu den folgenden drei Dimen- legitimierte Grundlage für eine problem- sionen, die Allgemeinbildung begründen: orientierte, lerntheoretisch und fachlich fundierte ökonomische Allgemeinbildung • eine Forderung, die für alle mensch- als Antwort auf Leitfrage Nr. 2. lichen Gesellschaften unverzichtbar erscheint, nämlich die Befähigung zur Teilhabe am Vorgefundenen, wozu 1. Das Allgemeinbildungskonzept Heymann sowohl den Aspekt der Le- Hans Werner Heymanns bensvorbereitung als auch den der Stiftung kultureller Kohärenz zählt; Nach Jahren der Fokussierung auf Eviden- • ein Anliegen, das erst in neuzeitlich- zen und Kompetenzen scheint eine breite aufgeklärten Gesellschaften zuneh- und fundierte Allgemeinbildung seit einiger mend an Bedeutung gewonnen hat, Zeit wieder an Bedeutung zu gewinnen.4 nämlich die Befähigung zur Erkenntnis Die Grundidee von Bildung als Allgemein- über den engeren Lebenskreis hinaus bildung erlebt eine Renaissance. Mit Blick („Verknüpfung von materialem Wissen auf die vielzitierten Herausforderungen über die Welt mit Urteilsvermögen; der Globalisierung, der Digitalisierung Weltorientierung und Anleitung zum aller Lebensbereiche, von Migration und kritischen Vernunftgebrauch“); Integration, Alterung und demografischer • als dritte Dimension schließlich die Entwicklung, zunehmender Urbanisierung, Erkenntnis, dass Lernprozesse durch sozialen Ungleichheiten und nicht zuletzt die Vermittlung sozialethischer und den ökonomischen bzw. ökologischen personaler Elemente flankiert werden Umwälzungen geraten kompetenzorien- müssen, um „Persönlichkeitsbildung“ tierte Bildungskonzepte an die Grenze zu gewährleisten. Heymann spricht ihrer faktischen Wirkungskraft. Gleich- hier von der „Entfaltung des Menschli- zeitig wird betont, dass es nicht um eine chen“ durch die Förderung von Verant- erneute Verzweckung oder unmittelbare wortungsbereitschaft, die Einübung in Verwertung von Lernprozessen gehen Verständigung und Kooperation und kann und stattdessen der Eigenwert von eine Stärkung des Schüler-Ichs.7 Bildung im Mittelpunkt stehen soll. Nur so könnten gesellschaftliche Zustände und In Abgrenzung zum Bildungsbegriff sieht Lebenswirklichkeiten kritisch reflektiert Heymann im Konzept der Allgemeinbildung werden.5 ein zuvörderst gesellschaftliches Problem, Sucht man nach einem fachdidaktisch das praktisch gelöst werden müsse. Sein anschlussfähigen Ansatz in der Tradition Konzept „stellt einen bildungstheoreti- Klafkis, welcher wesentliche Aspekte schen Orientierungsrahmen dar für Vor- der unterschiedlich akzentuierten Allge- schläge, was die allgemeinbildende Schule meinbildungskonzepte – zumindest für für alle anbieten sollte und wie sie das tun den deutschsprachigen Raum – berück- sollte. Es präzisiert, auf was zu achten ist, sichtigt und schlüssig miteinander ver- wenn die Schule Voraussetzungen schaf- zahnt, so landet man bei Hans Werner fen möchte für die Personwerdung des Heymanns vielfach rezipiertem Konzept Einzelnen und seine reflektierte Teilhabe 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 91 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen aller beruflichen Spezialisierung – vorzube- und kulturellen Leben“8. Dieser Ansatz reiten. scheint daher in besonderer Weise geeig- Der Bildungsplan 2016 für das neue net, dem hier verfolgten Anliegen zu ent- baden-württembergische Schulfach „Wirt- sprechen, grundlegende Gedanken einer schaft, Berufs- und Studienorientierung“ allgemeinbildenden Wirtschaftsdidaktik zu (WBS) knüpft explizit an diese Auffassung entwickeln. In den beiden folgenden Ab- an. Das Ziel der ökonomischen Bildung schnitten wende ich daher die drei Dimen- besteht demnach darin, „die Schülerinnen sionen schulischer Allgemeinbildung nach und Schüler zu befähigen, ökonomisch Heymann auf die ökonomische Bildung geprägte Lebenssituationen zu erkennen, an. Dies geschieht exemplarisch anhand zu bewältigen und zu gestalten sowie ihre des Bildungsplans 2016 für das Schulfach Interessen in einer sich verändernden „Wirtschaft/ Berufs- und Studienorientie- globalisierten Welt selbstbestimmt und rung“ (WBS), das ausdrücklich allgemein- selbstbewusst zu vertreten. Dadurch trägt bildenden Anspruch hat. ökonomische Bildung zur Stärkung der Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler bei, die auch für ihre berufliche Orientie- 2. Ökonomische Allgemeinbildung rung im Hinblick auf die Planung und Ge- als „Befähigung zur Teilhabe“ staltung des Übergangs in Ausbildung, Studium und Beruf eine wichtige Rolle Hans Werner Heymann betont zu Recht, spielt“10. Ökonomische Allgemeinbildung dass kaum eine andere allgemeine Auf- wird dabei ganz explizit nicht als vorweg- gabenbestimmung so weitgehend öffentli- genommene berufliche Bildung, sondern che Zustimmung finden dürfte, wie die der als Teil der Allgemeinbildung verstanden. Vorbereitung der Heranwachsenden auf Weil der Mensch in unterschiedlichen Zu- ihr Leben als Erwachsene. Damit ist der sammenhängen mit seinen ökonomischen Aspekt der lebenspraktischen Nützlichkeit Kompetenzen dauerhaft gefordert ist, angesprochen, und Heymann erörtert die- werden im Bildungsplan drei verschiede- sen Aspekt schulischer Allgemeinbildung ne Ebenen (Mikro, Meso, Makro) sowie vor dem Hintergrund der Diskussion um Rollen unterschieden: Die Verbraucher- den Lebenssituationsansatz und um den rolle (Konsument, Geldanleger, Kredit- Schlüsselqualifikationsansatz der beruf- nehmer, Versicherungsnehmer), die Rolle lichen Bildung. Als rationalen Kern des des Erwerbstätigen (Berufswähler, Arbeit- Lebensvorbereitungskonzepts im enge- nehmer, Unternehmer) sowie die Rolle des ren Sinne definiert Heymann: „Die Schule Wirtschaftsbürgers (Gestaltender Bürger, hat die Heranwachsenden auf ihr Leben Steuerzahler, Leistungsempfänger). vorzubereiten, indem sie sich auf konkret Doch wie darf man sich die konkrete benennbare, eingrenzbare Situationen be- Umsetzung dieser Zielsetzung vorstellen? zieht, in denen das den Menschen abver- Inwieweit vermag moderner Ökonomie- langte Handeln auf klar zu beschreibenden unterricht tatsächlich lebensvorbereitende Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten beruht“9. Mit anderen Worten: Schüle- zu liefern?11 Forderungen nach einer stär- rinnen und Schüler sind nach Heymann keren Berücksichtigung lebensvorberei- durch die Vermittlung handfesten Wissens tender Aspekte und nach einer Stärkung und Könnens auf ihr Leben außerhalb und der Handlungskompetenz in ökonomisch nach der Schule, auf absehbare Erforder- geprägten Lebensbereichen werden nisse beruflichen und privaten Alltags – vor in der wirtschaftsdidaktischen Literatur 92 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
traditionell mit einem verstärkten Einsatz Methoden gezählt werden. Eine sinnvolle handlungsorientierter Methoden im Unter- Ordnung dieser Methoden erscheint indes richt verknüpft und prägen spätestens schwierig, wenn nicht unmöglich: „Die seit den 1990er Jahren die didaktische Klassifikationsversuche von Unterrichts- Literatur.12 Auch der Bildungsplan greift methoden sind in der pädagogischen diesen Gedanken explizit auf: „Spezifische Literatur Legende“15. Zudem verbergen Bedeutung für den Wirtschaftsunterricht sich hinter den verschiedenen hand- kommt der Handlungsorientierung zu, lungsorientierten Methoden – je nach insbesondere durch die Anwendung von praktischer Ausgestaltung – völlig unter- Simulationen, Experimenten und Plan- schiedliche unterrichtliche Artikulationen, spielen, Wettbewerben und Projekten Handlungsformen und Lernprozesse. Am wie beispielsweise Schülerfirmen. Diese konkreten Beispiel zweier für das neue Methoden ermöglichen die Veranschau- Schulfach „WBS“ zentralen und etablier- lichung und Überprüfung ökonomischer ten handlungsorientierten Methoden – der Modelle und Annahmen. Handlungsorien- „Betriebserkundung“ und dem „Betriebs- tierung spielt für den Wirtschaftsunter- praktikum“ – soll das zuletzt Gesagte kon- richt eine bedeutende Rolle, insbesondere kretisiert und verdeutlicht werden.16 durch Exkursionen zu Unternehmen und Betriebserkundungen und Betriebs- durch den Kontakt mit regionalen Wirt- praktika sind an allgemeinbildenden schaftsakteuren, wie er bei Praktika im Schulen verpflichtender und zeitintensiver Rahmen der Berufsorientierung zustande Bestandteil jeder Schülerbiographie. Ihre kommt. Die Schülerinnen und Schüler didaktische Ausgestaltung orientiert sich entdecken auf diese Art und Weise den dabei immer noch stark an den berufs- Lebensweltbezug ökonomischer Sachver- kundlich orientierten Konzepten der späten halte, welcher bei der Planung und Ge- 1960er Jahre („Arbeitslehre“). Schülerbe- staltung des Unterrichts maßgeblich sein triebspraktika sollten in ihrer ursprüngli- muss. Damit wird auch im Hinblick auf die chen Konzeption primär die Berufsfindung eigene Berufswegeplanung ökonomische der Schüler erleichtern. Auch wenn Franz- Handlungskompetenz gestärkt, die sich in Josef Kaiser schon frühzeitig der Ansicht mündigem, verantwortungsvollem Verhal- war, das Praktikum solle nicht allein der ten zeigen soll“13. Berufsfindung dienen, sondern Einblick Während sich das Konzept der „Hand- in die Sozialstruktur der Wirtschafts- und lungsorientierung“ im Laufe der 1990er Arbeitswelt geben, stehen bis heute be- Jahre zu einem „Leitbegriff der Didaktik“ rufskundliche Themen häufig im Mittel- entwickelt hat, welcher „den Leitbegriff punkt der Vorbereitung, Durchführung und Emanzipation der siebziger Jahre ver- Nachbereitung des Betriebspraktikums. drängt“ hat14 und seither als Klammer für Zunehmend werden jedoch – insbeson- zahlreiche didaktische und methodische dere an den Gymnasien – auch vertiefte Prinzipien fungiert, ist in begrifflicher Hin- Betriebserkundungen durchgeführt und sicht allerdings bis heute nicht geklärt, ausgewählte ökonomische und soziale was darunter genau zu verstehen ist. Es Aspekte analysiert. Die Förderung von Be- ist daher nicht verwunderlich, dass neben rufswahlkompetenz bildet somit bis heute den traditionell in der ökonomischen Bil- die wesentliche Legitimation für Schüler- dung zum Einsatz kommenden Betriebs- betriebspraktika; allgemeinbildende öko- erkundungen und Betriebspraktika je nach nomische Fragestellungen werden aber Autor viele weitere Mikro- und Makro- zunehmend thematisiert.17 So dient das all- Methoden zu den handlungsorientierten gemeinbildend ausgestaltete Praktikum an 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 93 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
zahlreichen Schulen nicht nur der Berufs- die Chance, einzelne statistische Verfah- findung, sondern auch als Erkenntnishilfe ren der Datenauswertung kennenzulernen auf dem Weg zur selbständigen Erschlie- und zu simulieren. ßung ökonomischer Zusammenhänge. Heymann20 zählt „grundlegendes Wissen Im Zentrum dieser Konzeption stehen über wirtschaftliche und ökolo gische Zu- mehrere systematisch geplante, vor- und sammenhänge“ zu den unverzichtbaren le- nachbereitete Betriebserkundungen18. bensvorbereitenden Qualifikationen, die an Ganz im Sinne Klafkis geht es bei diesen allgemeinbildenden Schulen gestärkt wer- Erkundungen darum, „unter bestimmten den sollten. Allgemeinbildend gestaltete Fragestellungen in methodisch durch- Betriebserkundungen und Betriebsprak- dachter Form in einem bestimmten Wirk- tika bieten die Möglichkeit, das im Unter- lichkeitsbereich Informationen einzuholen, richt systematisch erworbene Wissen in um anschließend mithilfe der so gewonnen konkreten Handlungssituationen zu über- Informationen jene Ausgangsfragen beant- prüfen und exemplarisch zur Anwendung worten und in Teilantworten zu einem Er- zu bringen. Auf diese Weise sind dann kenntniszusammenhang weiterentwickeln während des Praktikums selbst berufliche zu können“19. Um differenzierte Einblicke Tätigkeiten, Arbeitsmittel, Fertigungsab- in die reale Arbeits- und Wirtschaftswelt zu läufe sowie technische, ökonomische oder gewinnen, werden von den Schülern ent- organisatorische Prinzipien beobachtbar. wickelte Fragestellungen durch intensives Der Schwerpunkt der Praxisphase besteht Beobachten oder Befragen der Mitarbeiter darin, diese Prinzipien systematisch und selbstständig – zumeist in Kleingruppen – zugleich exemplarisch zu erschließen. bearbeitet. In einem sozialwissenschaftli- Dazu zählt z. B. das Verfahren der Vi- chen und zugleich „lebensvorbereitenden“ deoanalyse, bei dem die Schülerinnen Sinne ergibt sich so die Möglichkeit, fun- und Schüler aufgefordert werden, einen damentale Methoden der empirischen So- Arbeitsplatz mithilfe detaillierter Beobach- zialforschung im Unterricht zu trainieren. tungsbögen zu beschreiben (z. B. typische Insbesondere das Zusammenstellen Tätigkeiten), zu beobachten (z. B. körper- erhobener Daten zu einem visualisierten liche, soziale, geistige Anforderungen; äu- Ergebnis gehört dabei zu den – unter der ßere Einflüsse; Kommunikationsverhalten) Maßgabe einer Befähigung zur Teilha- und abschließend zu bewerten (eigenes be – allgemeinbildenden, relevanten und Urteil). Solche Beobachtungsaufträge kön- „lebensvorbereitenden“ Methoden, denn nen den vorbereitenden Unterricht berei- dabei entsteht ein Sinn dafür, entspre- chern, da sie zur Erörterung der Differenz chend präparierten Daten aus fremden zwischen beobachtbarem Verhalten und Quellen das Rezept von Aufmachung und sozialer Sinngebung des Verhaltens anre- Informationsauswahl anzusehen. Statis- gen. Auf diese Weise können Momente der tiken und Schaubilder werden im Unter- selektiven Wahrnehmung, der Projektion richt daraufhin überprüft, was sie über die des Beobachtenden, Symbole der Interak- Intentionen des Autors aussagen. Nicht- tion (zur Aushandlung von Rollen) und die genanntes kann dabei ebenso eine Rolle Ausprägung von Verhaltensmustern disku- spielen wie graphische Hervorhebungen tiert werden. Das Betriebspraktikum und oder mathematische Gewichtungen. Eine die vorauslaufenden Betriebserkundungen „produktionsorientierte“ und nicht nur re- werden somit als Chance begriffen, ver- zeptive Beschäftigung mit selbständig er- zerrte Wahrnehmungen der sozioöko- hobenen Daten eröffnet darüber hinaus nomischen Umwelt auf Schülerseite zu 94 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
korrigieren und die Lernenden zur selb- derart gestaltet werden, dass eine Be- ständigen Erschließung sozioökonomischer fähigung zur Teilhabe – bezogen auf den Zusammenhänge anzuleiten. Der Ausflug Bereich des Ökonomischen – gelingen in die Arbeitswelt wird nach diesem Ver- kann. Zu den weiteren handlungsorientier- ständnis nicht allein unter dem Blickwinkel ten Methoden, die in diesem Rahmen zu einer Stärkung der Berufswahlkompetenz nennen wären, zählen insbesondere Ex- der Schüler interpretiert. Vielmehr werden pertenbefragungen, Fallstudien, Projekte „Realbegegnungen“ organisiert, um aus- und Planspiele.23 gewählte ökonomische und soziale As- pekte – ganz im Sinne einer Befähigung zur Teilhabe – möglichst selbstständig zu 3. Ökonomische Allgemeinbildung beleuchten und zu vertiefen. Daneben bie- als „Befähigung zur Erkenntnis“ tet das Praktikum auch die Chance, den außerschulischen Lernort „Betrieb“ zu nut- Erst in neuzeitlich-aufgeklärten Gesell- zen, um neue Motivationen hervorzurufen, schaften hat die Befähigung zur Erkennt- beruflich diffuse Vorstellungen zu ordnen nis über den engeren Lebenskreis hinaus und diese in realistische Bahnen zu len- an Bedeutung gewonnen („Verknüpfung ken. In Anlehnung an Zurstrassen21 sowie von materialem Wissen über die Welt Weyland et al.22 erscheinen somit folgen- mit Urteilsvermögen; Weltorientierung de Qualitätsmerkmale für die Gestaltung und Anleitung zum kritischen Vernunftge- allgemeinbildender Betriebserkundungen brauch“)24. Die in Abschnitt 3.1. und 3.2. unverzichtbar: Betriebserkundungen folgen dargestellten Aufgaben allgemeinbilden- den Prinzipien der Problemorientierung und der Schulen gehen daher über die Dimen- des entdeckenden Lernens; sie fördern die sion der „Teilhabe am Vorgefunden“ hinaus Eigenaktivität der Schülerinnen und Schü- – und diese Erweiterung zieht auch (fach-) ler. Betriebserkundungen werden inhaltlich methodische Konsequenzen nach sich. und methodisch in eine Unterrichtsreihe Während handlungsorientierte Methoden eingebettet und im Unterricht gründlich wie oben dargelegt für die Erreichung des vor- und nachbereitet. Und schließlich: Bildungsziels der „Befähigung zur Teilha- Betriebserkundungen sind Aspekterkun- be“ unverzichtbar erscheinen, legt das Ziel dungen, d. h. die ausgewählten Betriebe der „Befähigung zur Erkenntnis“ den ent- werden unter einer in der Planungsphase schlossenen Einsatz fach- bzw. domänen- definierten Frage- oder Problemstellung spezifischer Methoden nahe. und mithilfe strukturierender empirischer Methoden (z. B. eines Beobachtungs- oder 3.1. Weltorientierung Fragebogens) erkundet. In diesem Abschnitt wurde eine For- Die allgemeinbildende Schule sollte den derung, die für alle menschlichen Gesell- Heranwachsenden einen orientierenden schaften unverzichtbar erscheint, nämlich Überblick über unsere Welt und die epo- die Befähigung zur Teilhabe am Vorgefun- chaltypischen Probleme verschaffen, die denen, auf den Bereich der ökonomischen alle angehen; sie sollte zum Aufbau eines Allgemeinbildung übertragen. Ökono- Denkhorizonts beitragen, der über den mische Bildungsprozesse, so ließe sich privaten Alltagshorizont hinausreicht.25 zusammenfassen, können mithilfe hand- Heymann betont zu Recht, dass „Allge- lungsorientierter Methoden wie z. B. Be- meinbildung“ mehr umfassen muss als triebserkundungen und Betriebspraktika die in Kapitel 2 skizzierte „Befähigung zur 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 95 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Teilhabe am Vorgefundenen“ – so zentral sowohl im Hinblick auf deren Entstehungs- diese Anforderung auch sein mag. Damit geschichte und grundlegende Konstruk- Schülerinnen und Schüler befähigt wer- tionsprinzipien, als auch hinsichtlich der den, einen Urteilshorizont aufzuspannen, empirisch-tatsächlichen Ausprägungen. der über den privaten Lebenshorizont Goldschmidt, Schlösser und Schuhen hinausgeht, sollen sie auch mit Zusam- weisen darauf hin, dass ökonomische Bil- menhängen konfrontiert werden, die nicht dung fraglos einen wesentlichen Teil ihres unmittelbar ihrem beruflichen oder priva- Auftrags verfehle, wenn es nicht gelinge, ten Lebenskreis zuzuordnen sind. umfassend und systematisch ein Verständ- Zwar nicht als alleinigen, aber dennoch nis der Sozialen Marktwirtschaft zu vermit- wesentlichen Aspekt einer breit verstande- teln, denn „es steht außer Frage, dass ein nen „Befähigung zur Orientierung auf der gutes Verständnis der Wirtschaftsordnung Welt“ versteht Heymann dabei die Wis- wesentlich ist für die Weiterentwicklung senschaftsorientierung: „Es sollte nichts unserer Gesellschaft. Folglich muss sich gelehrt werden, was nach dem Wissens- ökonomische Bildung mit den theoreti- stand in den zuständigen Fachwissen- schen Grundlagen dieser Wirtschafts- schaften als falsch einzustufen ist. (…) Die ordnung befassen.“ Das müsse jedoch so modernen Wissenschaften sind Bestand- vermittelt werden, dass sowohl Akzeptanz, teil unserer Welt (…). Heranwachsende aber auch Kritik dieser Wirtschaftsord- müssen deshalb zwar nicht die Ergebnis- nung ermöglicht werden. Dies betont auch se und Methoden aller Wissenschaften Dirk Loerwald und stellt fest, dass „die all- von Rang im Detail kennenlernen, aber gemeinbildende Schule ihre Adressaten in sie sollten über ihren zentralen Gegen- die Lage versetzen muss, die zweckdienli- standsbereich, ihre Zuständigkeiten, ihre che (Mit-)Gestaltung von Märkten politisch Problemlösekapazität und ihre spezifische zu leisten bzw. konkurrierende Ideen der Weltsicht Bescheid wissen“. Es ist zu klä- Gestaltung zu beurteilen und zu begleiten. ren, welchen Beitrag zur Erfüllung dieser Dementsprechend kommt der Sozialen Aufgabe der moderne Ökonomieunterricht Marktwirtschaft in allen konzeptionellen an allgemeinbildenden Schulen leisten Ansätzen ökonomischer Bildung ein zent- könnte: „Was von dem unüberschaubaren raler Stellenwert zu“28. Gebirge dessen, was man innerhalb die- Darüber hinaus sollten die Lernenden ses Faches prinzipiell wissen könnte, ist so am Ende ihrer Schulzeit auch grundlegen- fundamental, so erhellend, so beispielhaft, des Deutungs- und Orientierungswissen dass es dem einzelnen helfen kann, eine im Bereich der internationalen Wirtschafts- Gesamtorientierung zu finden, ein eigenes beziehungen und der Globalisierung er- tragfähiges Weltbild aufzubauen?“26. worben haben und in der Lage sein, beides Aus ökonomischer Sicht agieren die – die Merkmale und Herausforderungen Schüler als Akteure innerhalb einer Wirt- der Wirtschaftsordnung einerseits und die schaftsordnung, welche die Spielregeln Merkmale des Globalisierungsprozesses bzw. Restriktionen ihres Handelns festlegt andererseits – auf vielfältige Art und Weise und zugleich einen breiten Möglichkeits- miteinander in Beziehung zu setzen. Um raum für ihr Handeln schafft: Soziale Markt- diese Form der „Weltorientierung“ zu ge- wirtschaft als „Ordnung der Freiheit“27. währleisten, benötigen die Schüler fach- Am Ende des Schulbesuchs sollten alle bezogene Kompetenzen, die so stabil Schülerinnen und Schüler daher über verfügbar sein sollten, dass sie in ökono- ein angemessenes Verständnis unserer misch geprägten Lebenssituationen wirk- Wirtschaftsordnung verfügen, und zwar sam angewendet werden können. Auf diese 96 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Weise sollen sie in die Lage versetzt wer- dem Hintergrund wirtschafts- und gesell- den, gesellschaftlich bedeutsame Probleme schaftspolitischer Konzepte einzuordnen aus ökonomischer und wirtschaftsethischer und ihre möglichen Wirkungen sowohl Sicht zu diskutieren und kriterienorientiert unter ökonomischen Aspekten als auch zu beurteilen. Sie sollen ihre erworbenen mithilfe gesellschaftlicher Wertmaßstäbe Sach- und Methodenkompetenzen nutzen, zu beurteilen beziehungsweise zu gestal- um in der Auseinandersetzung mit komple- ten. Dadurch wird das Denken in Alter- xen Situationen, Problemlagen und Konflik- nativen geschult sowie das Bewusstsein ten zu adäquaten Lösungen zu gelangen. für die Bedeutung dafür geschärft, wie die Für eine methodisch angemessene Aus- ökonomische Ordnung gestaltet wird“30. einandersetzung mit dem Thema „Soziale Hinter dem Versuch, die Soziale Markt- Marktwirtschaft“ erscheint daher die unter- wirtschaft als Wirtschafts- und Gesell- richtliche Erschließung mindestens fol- schaftsordnung erfahrbar und verstehbar gender Methodenfelder zweckmäßig:29 Im zu machen, steht somit ein sozialwissen- Rahmen der Erarbeitung von Leitideen der schaftlich orientiertes Verständnis öko- Sozialen Marktwirtschaft bietet es sich an, nomischer Bildung, wonach alle realen grundlegende Prozesse der Modellbildung ökonomischen Prozesse und Strukturen in den Sozialwissenschaften zu thematisie- in ein soziales, rechtliches und politisches ren; im Rahmen der Erarbeitung staatlicher Institutionengefüge eingebunden sind und Handlungsfelder in der Sozialen Markt- sich daher nicht eindimensional bearbeiten wirtschaft bietet es sich an, grundlegende lassen. Neben vertieften domänenspezifi- Kenntnisse von Methoden der empirischen schen Fach- und Methodenkompetenzen Sozialforschung zu vermitteln; im Rahmen erscheint aus diesem Grund auch das der Erarbeitung des international orientier- systematisch angeleitete Training spezi- ten Schwerpunktes „Globalisierung und fischer Kommunikations-, Entscheidungs- gesellschaftliche Verantwortung in der und Handlungsfähigkeiten der Schüler im Sozialen Marktwirtschaft“ sollten grund- Unterricht unverzichtbar. Wie oben bereits legende Kenntnisse von hermeneutischen am Beispiel des Betriebspraktikums auf- Verfahren in den Sozialwissenschaften er- gezeigt wurde, sollten reale und aktuel- probt werden. le wirtschaftliche Lebenssituationen aus Der Bildungsplan für das baden-würt- unterschiedlichen Perspektiven wahrge- tembergische Schulfach „WBS“ betont nommen, erklärt und beurteilt werden. Mit dementsprechend, dass die Schüler in der problemorientierten Struktur der Unter- die Lage versetzt werden sollen, die Be- richtskonzepte korrespondiert die Not- deutung und Funktionsfähigkeit von Wirt- wendigkeit, die Sachgegenstände selbst schaftsordnungen auf nationaler und so detailliert wie möglich aufzufächern, internationaler Ebene zu beurteilen und um kenntnisgeleitete Voraussetzungen für deren Anforderungen an den Einzelnen Urteilsbildung und Theorieerschließung zu erkennen: „Dabei gilt es Gestaltungs- zu schaffen. Zugespitzt formuliert: „Welt- spielräume zu analysieren sowie entschei- orientierung“ muss wissenschaftlich fun- dungsfreudig zu nutzen beziehungsweise diert werden, damit sie nicht substanzlos zu erweitern. Unterrichtspraktisch erfordert und esoterisch wird. Zugleich muss sie dies die Abbildung grundlegender wirt- fächerübergreifend angelegt sein, damit schaftspolitischer Kontroversen. Ein sol- sie die „epochaltypischen Schlüsselprob- chermaßen dem Prinzip der Pluralität leme“ (Klafki), um deren zumindest lang- verpflichteter Wirtschaftsunterricht ermög- fristige Bewältigung es ja im Kern geht, licht es, ökonomische Entscheidungen vor überhaupt erfassen und bearbeiten kann.31 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 97 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
3.2. Anleitung zum kritischen Fachbeitrags interpretiert werden kann. Vernunftgebrauch Ein denkfördernder Ökonomieunterricht sollte daher vor allem ‚verstehensorien- Auch formale Bildungsziele sind für all- tiert“ akzentuiert werden. Dies hängt aber gemeinbildende Lernprozesse relevant. wiederum eng zusammen mit der Frage, Hans Werner Heymann stellt daher als wie im Unterricht mit Aufgaben umgegan- vierte Aufgabe allgemeinbildender Schu- gen wird, denn Aufgaben sind die vom len die „Anleitung zum kritischen Vernunft- Lehrer meist genutzte Lehrmethode34. gebrauch“ und damit das selbständige Kognitiv aktivierende, verstehensorientiert Denken der Schüler in den Mittelpunkt akzentuierte Aufgaben sind es, die den Er- und setzt dieses in Bezug zu verwandten halt der Lernfreude bei den Schülerinnen pädagogischen Leitideen wie z. B. Ra- und Schülern garantieren und im besten tionalität, Mündigkeit, Emanzipation oder Falle auch zentrale, fachspezifische Denk- Aufklärung. Hinter der bildungstheoretisch prozesse anregen. Jedoch scheint es fundierten Forderung, dem „Denken ler- gerade im Bereich der Aufgabenkultur so- nen“ und der kognitiven Aktivierung der zialwissenschaftlicher Fächer an heraus- Lernenden mehr Beachtung zu schen- fordernden Lernangeboten zu mangeln, ken, verbergen sich zudem eine ganze wie aktuelle empirische Studien belegen.35 Reihe weiterer kognitivistisch orientierter Definiert man Kompetenzen im An- didaktischer Prinzipien, z. B. das Konzept schluss an Weinert als „die bei Individuen der „Problemorientierung“, die Leitidee verfügbaren oder von ihnen erlernbaren der „Kontroversität“ oder die Theorie der Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte „kognitiven Dissonanz“32. Probleme zu lösen sowie die damit ver- Auch im baden-württembergischen bundenen motivationalen, volitionalen und Bildungsplan für „WBS“ ist dieser Ansatz sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, explizit verankert. Ökonomieunterricht, so die Problemlösungen in variablen Situa- wird dort betont, „ist grundsätzlich der tionen erfolgreich und verantwortungs- Problemorientierung verpflichtet, indem voll nutzen zu können“, dann können er auf offene, relevante Fragen Antworten sich verstehensorientierte Aufgaben nicht sucht und das entdeckende, problemlö- auf träges, also isoliertes und deswegen sende Lernen der Schülerinnen und Schü- transferhinderliches Wissen beschrän- ler fördert“33. Doch wie darf man sich die ken, sondern (mindestens) zur kognitiven konkrete Umsetzung dieser Zielsetzung Aktivierung der Lernenden beitragen.36 nun vorstellen? Inwieweit vermag moder- In einer Anwendungssituation kann dann ner Ökonomieunterricht zum kritischen nicht das ganze Wissensnetz aktiviert wer- Vernunftgebrauch anzuleiten? den, sondern nur die einzelnen isolierten Begreift man Unterricht im Sinne Wa- Wissenselemente. genscheins nicht als Museumsführung, Um mithin träges Wissen zu verhin- sondern als Abenteuer, als genetisch- dern, sollte eine Lernsituation kognitiv ak- sokratisch-exemplarische Expedition, so tivierend sein, sie sollte multiple Kontexte sollten staunenerregende Phänomene und und Perspektiven ermöglichen und für bedeutsame Problemstellungen im Mittel- Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit punkt dieses Unterrichts stehen: Aufga- zur eigenen Abstraktion bieten. Im Rahmen ben und Probleme, zu deren Bearbeitung eines allgemeinbildenden Ökonomieunter- typische, d. h. domänenspezifische Me- richts sollten daher verstärkt solche Auf- thoden erforderlich sind, deren Einübung gaben berücksichtigt werden, die über dann als spezifischer Kern des jeweiligen einen hohen Anregungsgehalt verfügen 98 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
und eine Vernetzung des neu Gelernten ungeeignet. Im Sinne des Prinzips der mit vorhandenem Wissen und Können Domänenspezifität sollten daher verstärkt ermöglichen; die es ermöglichen, didak- solche Aufgaben ausgewählt werden, die tisch fruchtbare Kooperationsprobleme geeignet erscheinen, um fundamentale und Interessenkonflikte zu simulieren und Ideen (im Sinne Bruners) bzw. Stoffkate- die den Lernenden Handlungsspielräume gorien (im Sinne Klafkis) exemplarisch zu eröffnen, innerhalb derer sie Problemlöse- verdeutlichen, wie z. B. das Knappheits- kompetenzen trainieren und strategische prinzip, die fundamentale Idee der Op- Handlungsoptionen erproben können. portunitätskosten oder das Konzept des Eine in diesem Sinne verstehensorien- Gefangenendilemmas. tierte Aufgabe sollte kognitiv aktivierend Dabei gilt es, die Grenzen des Fachbe- sein, jedoch sollte sie die Lernenden so- zugs zu beachten, denn selbstverständlich wohl kognitiv als auch motivational nicht sind Schulfächer keine vereinfachten und überfordern. Als pragmatisches Komple- miniaturisierten Ausgaben universitärer mentärkriterium zur kognitiven Aktivierung Disziplinen. Vielmehr sollte im Unterricht sollte daher das Kriterium der „Erfolgs- an die Lebenswelt der Lernenden ange- erwartung“ berücksichtigt werden: Eine knüpft werden, um den Abstand zwischen gute Aufgabe ist weder unter- noch über- der Welt des Klassenzimmers und der fordernd, sie besitzt einen angemesse- Welt außerhalb zu reduzieren. So liefert nen Schwierigkeitsgrad – und dieser liegt z. B. Möller ein Arbeitsschema, Lösungs- üblicherweise zwischen dem gegenwär- techniken sowie Musterlösungen zu insge- tigen Leistungsstand und dem Leistungs- samt 33 wirtschaftspolitischen Fallstudien, vermögen, welches die Lernenden durch die ein positives Beispiel für eine moderne, gelungene Anleitung und Unterstützung kompetenz- und verstehensorientierte Auf- erreichen könnten, also in der „Zone der gabenkultur darstellen.39 proximalen Entwicklung“37. Darüber hinaus ist es für die ökonomi- sche Bildung von großer Bedeutung, dass 4. Ökonomische Allgemeinbildung die vorgelegten Lernaufgaben domänen- spezifisch ausgestaltet werden. Die Aufga- als „Entfaltung des Mensch ben sollten dazu beitragen, ökonomisches lichen“ – oder: Von Stoff- Denken zu fördern und den Aufbau einer zu Bildungskategorien genuin ökonomischen Perspektive zu er- möglichen, denn Schülerinnen und Schü- „Ausgeführte Beispiele sind besser als all- ler sollten dazu befähigt werden, „in der gemeine Definitionen, denn sie führen zu Auseinandersetzung mit individuellen und den Definitionen hin“40. In diesem Sinne gesellschaftlichen Problemlagen (auch) wurden in den Abschnitten 2 und 3 bereits die ‚ökonomische Brille‘ aufzusetzen. konkrete Ansatzpunkte zur Stärkung des Demzufolge sind nicht die ökonomischen allgemeinbildenden Charakters ökonomi- Lerngegenstände (…) das Alleinstellungs- scher Bildung skizziert. merkmal ökonomischer Bildung, sondern Dabei wurde die Bedeutung handlungs- der Aufbau von Perspektivität“38. Nach orientierter Methoden für die Erreichung diesem Verständnis mögen Lernaufgaben des Bildungsziels der „Befähigung zur Teil- in vielerlei Hinsicht kognitiv aktivierend habe“ (im Sinne Heymanns) am Beispiel sein - wenn sie sich nicht dazu eignen, der Betriebserkundung und des Betriebs- ökonomisches Denken zu fördern, sind praktikums besonders herausgearbeitet. sie letztlich für die ökonomische Bildung Zu den weiteren handlungsorientierten 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 99 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Methoden, die in diesem Rahmen zu nen- Überzeugung des Autors – mit Methoden nen wären, zählen insbesondere Exper- nicht einfach „gelehrt“ oder „vermittelt“ tenbefragungen, Fallstudien, Planspiele und schon gar nicht „gepaukt“ werden; und Schülerfirmen. Zudem wurde gezeigt, sie müssen in der alltäglichen Unterrichts- dass der baden-württembergische Bil- und Projektpraxis ökonomischer Bildung dungsplan des Faches WBS diese hand- „gelebt“ und „erfahren“ werden, um nach- lungsorientierten Methoden ganz explizit haltig wirksam zu sein. So betont auch einfordert. Heymann: „Fakt ist: Verantwortungsbereit- Weiterhin wurde verdeutlicht, welch schaft kann nicht ‚gelehrt‘ werden, schon zentrale Rolle fach- bzw. domänenspe- gar nicht durch moralisches Appellieren. zifische Methoden für die angestrebte (…) Insgesamt kommt es vielmehr darauf „Befähigung zur Erkenntnis“ (im Sinne an, die Schule als einen Lebens- und Er- Heymanns) einnehmen. Diese werden im fahrungsraum zu gestalten, in dem Ver- Bildungsplan des Faches WBS ebenfalls antwortungsbereitschaft als unaufdringlich berücksichtigt, jedoch nicht explizit aufge- vorgelebte Haltung die Chance hat, von listet. Ihr Einsatz erscheint aus bildungs- den Jüngeren ganz selbstverständlich theoretischer Perspektive unverzichtbar, angenommen zu werden“. Heymann re- wenn man es mit dem Ziel des allgemeinbil- kurriert hierbei auf Wolfgang Klafki, der denden Ökonomieunterrichts ernst meint. postuliert, dass Schule für eine moderne Zu den fach- bzw. domänenspezifischen Erziehung zur Verantwortungsbereitschaft Methoden, die in diesem Rahmen genannt aus dem relativ geschlossenen Schonraum wurden, zählen klassisch-hermeneutische herauskommen und sich gesellschaftlicher und ideologiekritische Zugänge zu Texten; Wirklichkeit öffnen müsse.41 rechtliche Methoden; Modelle, Simulatio- Im Bildungsplan Wirtschaft/ Berufs- nen und Experimente; Fachmethoden zur und Studienorientierung (WBS) für Baden- Durchführung und Auswertung empiri- Württemberg findet sich die Verantwor- scher Erhebungen; Data Literacy-Metho- tungsübernahme ebenfalls als ein wich- den sowie quantitative Fachmethoden. tiges Leitziel ökonomischer Bildung. In diesem und im folgenden Abschnitt „[Schülerinnen und Schüler] sollen in die soll abschließend die dritte Dimension Lage versetzt werden, in ökonomisch ge- des Konzepts von Heymann beleuchtet prägten Lebenssituationen gemeinwohl- werden: Das anspruchsvolle Ziel der „Ent- orientiert auch die Interessen anderer zu faltung des Menschlichen“. Im Original berücksichtigen, den Wert der Zusam- unterscheidet Heymann dabei zwischen menarbeit zu erkennen und zugleich für dem Ziel der „Entfaltung von Verantwor- sich und andere Verantwortung zu über- tungsbereitschaft“, der „Einübung in Ver- nehmen“. 42 ständigung und Kooperation“ sowie der Im Hinblick auf die unterrichtsprakti- „Stärkung des Schüler-Ichs“, wenn er sche Umsetzung der hier skizzierten, auf von einer „Entfaltung des Menschlichen“ die „Entfaltung des Menschlichen“ zie- spricht. Hier wird deutlich, dass es sich lenden Teilaspekte einer ökonomischen – zumindest auf den ersten Blick – um Allgemeinbildung muss konstatiert wer- überfachliche Persönlichkeits- bzw. Cha- den, dass diese sowohl mit der Frage raktereigenschaften handelt, die mit die- der Unterrichtskultur und der Gestaltung ser Dimension von „Allgemeinbildung“ der Lernprozesse als auch mit der Frage in den Blick genommen werden. Über- der inhaltlichen Gestaltung des Unter- fachliche Persönlichkeits- bzw. Charak- richts eng zusammenhängen. So er- tereigenschaften können aber – so die scheinen die in Kapitel 2 skizzierten und 100 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
in der ökonomischen Bildung weit ver- Zuspitzend ließe sich daher formulie- breiteten Varianten handlungsorientierten ren: Sowohl die auf handlungsorientierten Lernens mit ihrer Betonung des ganz- Methoden abgestützte Befähigung zur heitlichen Lernens, der Schüleraktivität, Teilhabe (Kapitel 2) als auch die auf Fach- der Kooperation und der Subjektrolle der methoden basierende Befähigung zur Er- Schüler besonders geeignet, um eine kenntnis (Kapitel 3) stellen eine notwendige Stärkung des Schüler-Ichs zu realisieren Voraussetzung für die angestrebte Entfal- und Verantwortungsbewusstsein für das tung des Menschlichen dar – insbesondere eigene Tun sowie die Bereitschaft zum mit Blick auf die Entfaltung von Verantwor- Engagement zu wecken. Ebenso unver- tungsbereitschaft und die Stärkung des zichtbar erscheinen die in Abschnitt 3.1 Schüler-Ichs. Erst durch die Realisierung skizzierten inhaltlichen Dimensionen öko- der ersten beiden Dimensionen wird die nomischer Allgemeinbildung, denn das langfristig angelegte, nachhaltige Reali- Ziel der „Weltorientierung“ setzt voraus, sierung der dritten Dimension ermöglicht. dass die Heranwachsenden einen orien- Es bedarf allerdings ganz erheblicher pä- tierenden Überblick über unsere Welt und dagogischer Bemühungen, um sich dieser ihre epochaltypischen Probleme erlangen. anspruchsvollen Zielsetzung schrittweise Um eine wie auch immer geartete Entfal- anzunähern – die ersten beiden Dimensio- tung von Verantwortungsbereitschaft zu nen sind also notwendige, aber noch nicht ermöglichen, muss Schule zum Aufbau hinreichende Voraussetzungen auf dem eines Denkhorizonts beitragen, der über mühsamen Weg zur Realisierung einer den privaten Alltagshorizont hinausreicht. wahrhaftigen „Entfaltung des Menschli- Dies gilt auch und im Besonderen für die chen“ im Sinne Heymanns. Auseinandersetzung mit unserer Wirt- Um diesen abschließenden Gedan- schaftsordnung und wesentlichen Heraus- kengang näher zu erläutern, erscheint ein forderungen der Sozialen Marktwirtschaft Blick auf Klafkis Versuch sinnvoll, die sei- im Zeitalter der Globalisierung. nerzeit etablierte Unterscheidung zwischen Schließlich erscheint die in Abschnitt materialen und formalen Bildungstheorien 3.2 skizzierte „Anleitung zum kritischen zu überwinden.43 Klafki setzte sich seit Vernunftgebrauch“ als notwendige Vo- den 1950er Jahren mit dem traditionellen raussetzung, sofern man es mit der er- Widerspruch zwischen materialen Bil- wünschten „Stärkung des Schüler-Ichs“ dungskonzepten (mit ihrer Betonung „un- und der „Entfaltung von Verantwortungs- verzichtbarer“ Bildungsinhalte, sei es in der bereitschaft“ ernst meint. Problemorien- Form des Enzyklopädismus, des Szientis- tierte, zum Denken anregende Lern- und mus oder der „Theorie des Klassischen“) Leistungsaufgaben zu zentralen Teilgebie- und formalen Theorien (mit ihrer vom Sub- ten der ökonomischen Bildung eröffnen jekt ausgehenden Betonung von Methoden den Lernenden Handlungsspielräume, oder Persönlichkeitseigenschaften, die für innerhalb derer sie Problemlösekompe- das Individuum wichtig sind) in historisch- tenzen trainieren und strategische Hand- systematischer Weise auseinander und lungsoptionen erproben können. Schüler, versuchte beide Theoriegruppen durch die die gelernt haben, herausfordernde Auf- kategoriale Bildung – als eine Form der gaben und Probleme unterschiedlichster „doppelseitigen Erschließung“ – sinnvoll Art allein und gemeinsam mit anderen zu miteinander zu verbinden: bewältigen, besitzen ein starkes Rüstzeug für ihre persönliche Zukunft und die ge- „Diese doppelseitige Erschließung meinsame Mitgestaltung der Welt. geschieht als Sichtbarwerden von 1 / 2021 Pädagogische Rundschau 101 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
‚allgemeinen‘ Inhalten auf der objektiven wurzelnde Idee des „fruchtbaren Moments Seite und als Aufgehen ‚allgemeiner‘ im Bildungsprozess“ und der „katego- Einsichten, Erlebnisse, Erfahrungen auf rialen Bildung“ auf den Bereich der öko- der Seite des Subjekts. (…) Bildung ist nomischen Bildung, so landet man bei also ‚kategoriale Bildung‘ in dem Dop- Erich Dauenhauers bekanntem Ansatz der pelsinne, dass sich dem Menschen „Kategorialen Wirtschaftsdidaktik“. Die- seine Wirklichkeit kategorial erschlos- ser Ansatz verzichtet – wie Wagenschein sen hat und dass eben damit er selbst – auf inhaltssystematische Vollständigkeit dank der selbst vollzogenen Einsichten, zugunsten exemplarischer Einsichten, Erfahrungen, Erlebnisse für diese Welt mit deren Hilfe bereichsübergreifende erschlossen worden ist“.44 Stoffstrukturen und systemfundierende Kategorien erkennbar werden sollen.46 Ka- An dieser Stelle wird deutlich, dass eine tegorien sind also allgemeine Grundstruk- gelingende kategoriale Didaktik in der Tra- turen eines Wirklichkeitsbereiches, die dition Klafkis die spannungsreiche Idee das Typische, Prinzipielle und Strukturelle der Bildung – die Verschmelzung von erfassen. Schlösser bringt es präzise auf Subjekt und Objekt – zum Programm er- den Punkt: „Spezifisch für ökonomische hebt und ihre konzeptionelle Stärke gera- Bildung sind prototypische Denkweisen, de daraus bezieht, subjektivistische oder Theorien und Methoden, anhand derer objektivistische Einseitigkeiten, wie sie Problemstellungen analysiert und beurteilt durch wissenschaftsferne bzw. abbilddi- werden. Dabei geht es darum, mit Hilfe daktische Ansätze repräsentiert werden, der Wirtschaftswissenschaft die Fülle des systematisch zu vermeiden. Klafki selbst Konkreten auf ein Gefüge von Kategorien bezieht sich explizit auf Friedrich Copei zurückzuführen. Der Wirtschaftsdidaktiker und dessen Formulierung vom „frucht- wird damit zum ‘Kategoriensucher’: er ent- baren Moment im Bildungsprozess“, um wickelt Stoffkategorien“47. diese Kernidee zu verdeutlichen: Hierin liegt aus wirtschaftsdidaktischer „Was uns immer wieder als Spezifikum Sicht der entscheidende Vorteil fach- der in unserer Arbeit untersuchten Bil- bezogener Ansätze innerhalb der öko- dungstheorie erschien, die Vereinigung nomischen Bildung: Während diese in von Subjekt und Objekt, von forma- der Lage sind, solche Kategorien zu de- lem und materialem Moment zu einer finieren und für Lernprozesse fruchtbar zu neuen Einheit, dieser Gesichtspunkt, machen, besteht bei Integrationsfächern der uns zur Ablehnung aller bloß for- wie z. B. „Sozialwissenschaften“ das Pro- malen oder materialen Bildungstheo- blem darin, dass das zentrale didaktische rien (…) veranlasste, er ist bei Copei in Kriterium der „Exemplarität“ im Sinne Klaf- voller Klarheit ausgesprochen. Welche kis, Dauenhauers und Schlössers nicht zur Unterschiede sich beim Bildungspro- Anwendung kommen kann, „weil aufgrund zess (…) auch dank der jeweils beson- der Unterschiede in den Teildisziplinen deren Inhaltlichkeit ergeben mögen, solcher Fächer nicht bestimmt werden gleich bleibt in allen Gebieten, dass kann, was aus fachdidaktischer Sicht das sich im fruchtbaren Moment die Ver- Grundlegende, Wesentliche, Strukturelle, schmelzung von Subjekt und Objekt, Typische des Faches ist“48. von Seele und Welt, vollzieht“.45 Doch wie lassen sich nun die soge- nannten Stoffkategorien in Bildungskate- Überträgt man die in der Tradition der gorien transformieren, um die im obigen geisteswissenschaftlichen Pädagogik Sinne Copeis und Klafkis angestrebte 102 Pädagogische Rundschau 1 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
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