Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen

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Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen
Modul 5
                               Handlungsspielräume
                               und individuelle Formen
                               von Widerstand (1939–1945)
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Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen
MODUL          5

                               D5    D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R

                                    >> Für Multiplikator*innen

                                    Dieses Modul vermittelt Einblicke in Handlungs-   Regionen stammten, besser als andere als
                                    spielräume und Formen des Widerstands von         „artfremd“ erachtete Menschen. Helmy nutzte
                                    People of Color gegen den Nationalsozialis-       diese Handlungsspielräume dazu, um jüdische
                                    mus. Die Biografie von Anton de Kom (B5.a)        Menschen vor der Verfolgung durch das NS-
                                    verdeutlicht das komplexe Verhältnis von anti-    Regime zu schützen.
                                    kolonialem und antinationalsozialistischem
                                    Widerstand: Der zuvor im antikolonialen Kampf
                                    aktive Kommunist de Kom, der von der nieder-            Vermittlungsziele zu A5 –
                                    ländischen Kolonialmacht wegen seiner             Grundlegende Unterrichtseinheit 1
                                    Aktivitäten in Suriname verhaftet und in die
                                    Niederlande abgeschoben worden war, schloss              Zu Anton de Kom (B5.a)
                                    sich nach der deutschen Besetzung der Nieder-
                                    lande dem niederländischen Widerstand gegen       ■   Die Lernenden erkennen, dass sich Anton
                                    den Nationalsozialismus an. Zugleich lässt            de Kom, obwohl er zuvor aufgrund seines
                                    sich an dieser Biografie aufzeigen, dass der          politischen Engagements als kommunisti-
                                    Zweite Weltkrieg globalgeschichtliche Dimen-          scher antikolonialer Aktivist von den nieder-
                                    sionen hatte und in einer weiterhin von kolo-         ländischen Behörden verfolgt worden war,
                                    nialen Herrschaftsverhältnissen geprägten             im Zweiten Weltkrieg dem niederländischen
                                    Welt stattfand. Die Auseinandersetzung mit            Widerstand gegen die Nationalsozialist*in-
                                    der aktuellen Debatte um das niederländische          nen anschloss.
                                    Denkmal für Anton de Kom eröffnet schließlich
                                    eine gegenwartsbezogene Perspektive auf die       ■   Die Zielgruppen stellen begründete Vermu-
                                    umkämpfte Erinnerung an den Widerstand                tungen an, warum de Kom sich am Wider-
                                    gegen Kolonialismus und Nationalsozialismus           stand gegen die deutschen Besatzer beteilig-
                                    in den Niederlanden der nachkolonialen Ära.           te, und arbeiten damit Bezüge zwischen dem
                                                                                          Widerstand gegen den Kolonialismus und
                                    Zur weiteren Differenzierung der Verflech-            gegen den Nationalsozialismus heraus.
                                    tungsgeschichte von Kolonialismus und
                                    Nationalsozialismus dient das Beispiel des in            Zu Mohamed Helmy (B5.b)
                                    Berlin lebenden ägyptischen Arztes Mohamed
                                    Helmy (B5.b): Nicht jüdische Menschen             ■   Die Zielgruppen erkennen, dass Mohamed
                                    arabischer Herkunft wurden im Nationalsozialis-       Helmys Handlungsspielräume durch außen-
                                    mus zwar rassistisch diskriminiert, hatten            bzw. kriegspolitische Interessen der National-
                                    jedoch größere Handlungsspielräume als                sozialist*innen bedingt waren.
                                    Schwarze Menschen, vor allem aber als die
                                    systematisch verfolgten Jüdinnen und Juden.       ■   Sie verstehen, dass arabischen Menschen
                                    Grund war das außenpolitisch motivierte Inter-        eine höhere Stellung innerhalb der imagi-
                                    esse der Nationalsozialist*innen an Bündnissen        nierten Hierarchie verschiedener „Rassen“
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                                    mit Befreiungsbewegungen in den Kolonien              zugewiesen wurde als Schwarzen Menschen,
                                    der Kriegsgegner im Nahen und Mittleren               vor allem aber als Jüdinnen und Juden sowie
                                    Osten und dem Maghreb. Aus diesem Interesse           Roma und Sinti, weshalb sie größere
                                    behandelten sie People of Color, die aus diesen       Handlungsspielräume hatten.

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Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen
MOD UL           5

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                               ■   Sie lernen, dass es Solidarität zwischen        Höpp, Gerhard/Wien, Peter/Wildangel, René
                                   Verfolgtengruppen gab und Helmy seine           (Hg.) 2004. Blind für die Geschichte? Arabische
                                   Handlungsspielräume zur Rettung jüdischer       Begegnungen mit dem Nationalsozialismus.
                                   Menschen nutzte.                                Berlin.

                               ■   Die Zielgruppen reflektieren im Vergleich der   Kuhlmann, Jan 2003. Subhas Chandra Bose und
                                   Biografien verschiedene Formen von Wider-       die Indienpolitik der Achsenmächte. Berlin.
                                   stand gegen das NS-Regime.
                                                                                   Mallmann, Klaus-Michael/Cüppers, Martin
                                                                                   2006. Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte
                                      Vermittlungsziele zu F5 Fokus –              Reich, die Araber und Palästina. Darmstadt.
                               Vertiefende Unterrichtseinheit 2
                                                                                   Martin, Peter/Alonzo, Christine (Hg.) 2004.
                               ■   Die Zielgruppen setzen sich mit unterschied-    Zwischen Charleston und Stechschritt.
                                   lichen Positionen von Kritiker*innen und        Schwarze im Nationalsozialismus. Hamburg/
                                   Befürworter*innen des Anton de Kom-             München.
                                   Denkmals in Amsterdam auseinander und
                                   begründen ausgehend davon ihre eigene           Rheinisches JournalistInnenbüro 2005. „Unsere
                                   Position.                                       Opfer zählen nicht“. Die Dritte Welt im Zweiten
                                                                                   Weltkrieg. Hg. von Recherche International e.V.
                               ■   Die Lernenden diskutieren unter Berück-         Berlin/Hamburg.
                                   sichtigung der Punkte, die in der Debatte in
                                   Amsterdam zu Kontroversen geführt haben,        Wagenhofer, Sophie 2010. „Rassischer“
                                   wie sie selbst ein Denkmal für Anton de Kom     Feind – politischer Freund? Inszenierung und
                                   konzipieren würden.                             Instrumentalisierung des Araberbildes im
                                                                                   nationalsozialistischen Deutschland. Berlin.

                                    Weiterführende Literatur-                      Zöllner, Hans-Bernd 2000. „Der Feind meines
                               empfehlungen zu Modul 5                             Feindes ist mein Freund“. Subhas Chandra Bose
                                                                                   und das zeitgenössische Deutschland unter dem
                               Fava, Rosa 2010. Schwarze Häftlinge im KZ           Nationalsozialismus 1944–1943. Hamburg.
                               Neuengamme – biografische Notizen und Re-
                               konstruktionsprobleme, in: KZ-Gedenkstätte
                               Neuengamme (Hg.). Zwischenräume. Dis-
                               placed Persons, Internierte und Flüchtlinge in
                               ehemaligen Konzentrationslagern. Bremen,
                               S. 160–177.

                               Höpp, Gerhard/Reinwald, Brigitte (Hg.) 2000.
                               Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in
                               europäischen Kriegen, 1914–1945. Berlin.
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                                         Weiterführende Weblinks zu                  Ribbens, Kees 2006. Ruimte voor
                                    Modul 5                                          multiculturaliteit. De vaderlandse canon en de
                                                                                     veranderende historische cultuur, in: Grever,
                                    Fava, Rosa 2013. „Ich kann nicht anders als      Marie/Jonker, Ed/Ribbens, Kees/Stuurman,
                                    an die Insel Gorée denken“. Biografische         Siep (Hg.). Controverses rond de canon. Assen,
                                    Notizen von Schwarzen Häftlingen im              S. 80–105.
                                    Konzentrationslager Neuengamme. https://
                                    www.hamburg-global.de/v1.0/placemarks/57               Weiterführende
                                    (Zugriff: 20.11.2018).                           niederländischsprachige Weblinks zu F5
                                                                                     (Debatte um die Anton de Kom-Statue in
                                    Landgrebe, Philipp 2017. Arabische Musli-        Amsterdam)
                                    m_innen und der Nationalsozialismus und die
                                    Bestände des International Tracing Service       http://www.volkskrant.nl/binnenland/protest-
                                    (ITS). http://lernen-aus-der-geschichte.de/      bij-onthulling-monument-verzetsheld-anton-de-
                                    Lernen-und-Lehren/content/13720 (Zugriff:        kom~a765498/ (Zugriff: 28.2.2018).
                                    28.2.2018).
                                                                                     https://amsterdam.sp.nl/nieuws/2006/04/sp-
                                           Weiterführende                            dient-interpellatie-in-over-beeld-anton-de-kom
                                    Literaturempfehlungen zur biografischen          (Zugriff: 28.2.2018).
                                    Darstellung B5.a (Anton de Kom)
                                                                                     http://www.parool.nl/amsterdam/groots-
                                    Boots, Alice/Woortmann, Rob 2009. Anton          geklungel-rond-standbeeld-anton-de-
                                    de Kom: biografie 1898–1945. Amsterdam/          kom~a3870/ (Zugriff: 28.2.2018).
                                    Antwerpen.
                                                                                     https://amsterdam.pvda.nl/2007/02/14/anton-
                                    De Kom, Anton 1935. Wir Sklaven von Surinam.     de-kom-heeft-een-waardig-monument/
                                    Moskau/Leningrad.                                (Zugriff: 28.2.2018).

                                    Fava, Rosa 2010. Schwarze Häftlinge im           http://www.trouw.nl/tr/nl/4324/Nieuws/
                                    KZ Neuengamme – biografische Notizen und         article/detail/1695502/2006/04/25/Weg-
                                    Rekonstruktionsprobleme, in: KZ-Gedenkstätte     ermee-daar-staat-een-slaaf.dhtml (Zugriff:
                                    Neuengamme (Hg.). Zwischenräume. Dis-            28.2.2018).
                                    placed Persons, Internierte und Flüchtlinge in
                                    ehemaligen Konzentrationslagern. Bremen,         http://www.4en5mei.nl/herdenken-en-
                                    S. 160–177.                                      vieren/oorlogsmonumenten/achtergronden/
                                                                                     een_jammerlijk_vertroebelde_blik (Zugriff:
                                    Kinshasa, Kwando M. 2002. From Surinam           28.2.2018).
                                    to the Holocaust: Anton de Kom, a political
                                    migrant, in: The Journal of Caribbean History    http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/
                                    36/1, S. 33–68.                                  artikel/25732/geschiedenis-in-de-media.html
                                                                                     (Zugriff: 28.2.2018).
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                                    Meel, Peter 2009. Anton de Kom and the
                                    Formative Phase of Surinamese Decolonization,    http://www.waterkant.net/
                                    in: New West Indian Guide/Nieuwe West-           suriname/2007/11/05/debat-beeld-anton-de-
                                    Indische Gids 83/3–4, S. 249–280.                kom/ (Zugriff: 28.2.2018).

                                    150
Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen
MOD UL            5

                                                                D I DA K T IS CHE R KO M M E NTA R                                     D5
                                     Englischsprachiger                           Der arabische Judenretter. Der ägyptische
                               dokumentarischer Kurzfilm zu B5.a und F5           Arzt Mohamed Helmy wird postum als
                               (Anton de Kom und Debatte um die Anton             „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, in:
                               de Kom-Statue in Amsterdam)                        Jüdische Allgemeine, 30.11.2017. http://www.
                                                                                  juedische-allgemeine.de/article/view/id/29988
                               https://www.youtube.com/                           (Zugriff: 15.12.2017).
                               watch?v=pYupfrdEGyw (Zugriff: 28.2.2018).
                                                                                  Gedenktafeln in Berlin: Mod (Mohamed)
                                      Weiterführende                              Helmy. Khartum (Chartum) 25.7.1901–Berlin
                               Literaturempfehlungen zur biografischen            10.1.1982. http://www.gedenktafeln-in-berlin.
                               Darstellung B5.b (Mohamed Helmy)                   de/nc/gedenktafeln/gedenktafel-anzeige/tid/
                                                                                  mod-helmy/ (Zugriff: 22.9.2016).
                               Avidan, Igal 2017. Mod Helmy. Wie ein
                               arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo    Mülder, Sabine/Mülder, Karsten 2013.
                               rettete. München.                                  Posthum: Yad Vashem ehrt einen Berliner
                                                                                  Arzt, der Verfolgten im Naziregime half. Der
                               Steinke, Ronen 2017. Der Muslim und die Jüdin.     Internist Dr. Mod Helmy – ein „Gerechter
                               Die Geschichte einer Rettung in Berlin. Berlin.    unter den Völkern“, in: KV-Blatt 12, S. 32–33.
                                                                                  https://www.kvberlin.de/40presse/30kvb
                                      Weiterführende Weblinks                     latt/2013/12/50_verschiedenes/kvbs.pdf
                               zur biografischen Darstellung B5.b                 (Zugriff: 21.9.2016).
                               (Mohamed Helmy)
                                                                                  Steinke, Ronen 2015. Wie ein Muslim eine Jüdin
                               Avidan, Igal 2013a. Der mutige Doktor Helmy.       vor den Nazis rettete, in: Süddeutsche Zeitung,
                               Ägypter bot Jüdin bis zum Ende des Zweiten         9.1.2015. http://www.sueddeutsche.de/
                               Weltkrieg Unterschlupf, in: Deutschlandradio       politik/zweiter-weltkrieg-wie-ein-muslim-eine-
                               Kultur – Aus der jüdischen Welt. http://www.       juedin-vor-den-nazis-rettete-1.2294553 (Zugriff:
                               deutschlandradiokultur.de/der-mutige-doktor-       22.9.2016).
                               helmy.1079.de.html?dram:article_id=268297
                               (Zugriff: 22.9.2016).                              Yad Vashem o.D. Dr. Mohamed Helmy und
                                                                                  Frieda Szturmann. http://www.yadvashem.
                               Avidan, Igal 2013b. Interview mit Irena            org/righteous/stories/helmy-szturmann.html
                               Steinfeld. Erstmals Ägypter als „Gerechter unter   (Zugriff: 21.9.2016).
                               den Völkern“. https://de.qantara.de/inhalt/
                               interview-mit-irena-steinfeld-erstmals-aegypter-
                               als-gerechter-unter-den-voelkern (Zugriff:
                               27.9.2016).

                               Avidan, Igal 2014. Mod Helmy – ein stiller
                               Held, in: Aktives Museum. Faschismus
                               und Widerstand in Berlin e.V. (Hg.).
Onlineversion, Stand 01/2019

                               Mitgliederrundbrief 71/8, S. 4–5. http://www.
                               aktives-museum.de/fileadmin/user_upload/
                               Extern/Dokumente/rundbrief_71.pdf (Zugriff:
                               27.9.2016).

                                                                                                                              151
MODUL          5

                               A5    AUF G A B EN

                                    Grundlegende Unterrichtseinheit 1
                                    >> Zeitaufwand: 90 Minuten
                                    >> Niveau: ab Oberstufe
                                    >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 6 Personen

                                    HANDLUNGSSPIELRÄUME UND INDIVIDUELLE FORMEN
                                    VON WIDERSTAND (1939–1945): ANTON DE KOM UND MOHAMED HELMY

                                          A5.a                                              A5.b – Gruppe 2
                                    Zu Hintergrundtext H5                             Zu biografischer Darstellung B5.b
                                                                                      und Materialien M5.d–f
                                    Aufteilen von Hintergrundtext H5 in zwei Klein-
                                    gruppen. Fassen Sie die zentralen Aussagen der    1.
                                    Unterkapitel H5.a und H5.b für die Gesamt-        Lesen Sie die Biografie zu Mohamed Helmy
                                    gruppe zusammen.                                  (B5.b) sowie die Materialien M5.d–f.
                                                                                      Arbeiten Sie heraus, in welcher Weise
                                                                                      Mohamed Helmy im Nationalsozialismus mit
                                          A5.b – Gruppe 1                             rassistischer Diskriminierung konfrontiert war.
                                    Zu biografischer Darstellung B5.a                 Berücksichtigen Sie dabei folgende Fragen:
                                    und Materialien M5.a–c
                                                                                      a. Aus welchen Gründen und mit welchen
                                    1.                                                   Folgen hatte Helmy dennoch größere Hand-
                                    Diskutieren Sie anhand der Biografie zu Anton        lungsspielräume als Jüdinnen und Juden,
                                    de Kom (B5.a) und Materialien M5.a–c                 Sinti und Roma oder auch Schwarze
                                    mögliche Motive, weshalb sich Anton de Kom           Menschen im nationalsozialistischen
                                    auf die Seite der Niederländer*innen stellte         Deutschland?
                                    und aktiv Widerstand gegen die deutsche
                                    Besatzungsmacht leistete.                         b. Wie nutzte er diese Handlungsspielräume?

                                    2.                                                2.
                                    Arbeiten Sie heraus, welche Rolle rassistische    Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gesamtgruppe
                                    Überzeugungen bei seiner Verhaftung durch         vor.
                                    die deutschen Besatzungsorgane spielten.

                                    3.                                                      A5.c
                                    Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gesamtgruppe   Zu biografischer Darstellung B5.b (im
                                    vor.                                              Vergleich zu B5.a)

                                                                                      Vergleichen Sie in der Gesamtgruppe die Hand-
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                                                                                      lungsspielräume und Widerstandspraktiken von
                                                                                      Mohamed Helmy (B5.b) und Anton de Kom
                                                                                      (B5.a).

                                    152
MOD UL           5

                                                                                                                FO KU S              F5
                               Vertiefende Unterrichtseinheit 2
                               >> Zeitaufwand: 90 Minuten
                               >> Niveau: ab Oberstufe
                               >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 6 Personen

                               ZUR KONTROVERSE UM DAS ANTON DE KOM-DENKMAL IN AMSTERDAM

                                     F5 Fokus                                    b. Welchen Ort würden Sie dafür für geeignet
                               Zu Materialien M5.g–o und M5.a–c                     halten?

                               1.                                                c. Wer sollte an der Entscheidung, wie ein
                               Lesen Sie den Infokasten M5.g sowie die Aus-         solches Denkmal auszusehen hat, beteiligt
                               schnitte aus der Kontroverse um das Anton            sein?
                               de Kom-Denkmal in Amsterdam (M5.h–l).
                               Vergleichen Sie dazu das Foto von Anton de        4.
                               Kom (M5.a) mit der Aufnahme des Anton de          Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gruppe zur
                               Kom-Denkmals (M5.m) sowie mit den Denk-           Diskussion.
                               mälern für die weißen niederländischen Wider-
                               standskämpfer*innen (M5.n+o).

                               2.
                               Fassen Sie die Argumente der Kritiker*innen
                               und Befürworter*innen des ausgewählten
                               Denkmals-Entwurfs zusammen. Diskutieren Sie
                               über die verschiedenen Positionen und nehmen
                               Sie selbst Stellung in der Kontroverse. Begrün-
                               den Sie Ihre Entscheidung.

                               3.
                               Entwickeln Sie auf Grundlage der Debatte ein
                               eigenes Konzept, wie ein Denkmal für Anton
                               de Kom aussehen könnte. Ziehen Sie dazu die
                               Materialien M5.a–c heran. Orientieren Sie sich
                               an folgenden Fragen:

                               a. Woran sollte ein solches Denkmal aus Ihrer
                                  Sicht erinnern – an de Koms antikolonialen
                                  Widerstand oder an seinen Kampf gegen die
                                  nationalsozialistische Besatzung?
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                                                                                                                             153
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                               H5         H I NT E RG RU N DT EXT

                                     1   >> Für Multiplikator*innen und Zielgruppen

                                         HANDLUNGSSPIELRÄUME UND INDIVIDUELLE FORMEN
                                         VON WIDERSTAND (1939–1945)
                                     5

                                                H5.a                                      Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem,
                                       Interessen an Kolonisierten der Kriegs-            sowie Subhas Chandra Bose, der zentrale
                                       gegner aus dem Nahen und Mittleren                 Vertreter des militanten Flügels der indischen
                                    10 Osten sowie dem Maghreb                         55 Unabhängigkeitsbewegung.

                                       Der Zweite Weltkrieg fand in einer Welt statt,      Derartige außen- und kriegspolitische Interes-
                                       die noch zu weiten Teilen unter kolonialer Herr-    sen des NS-Regimes standen in einem Span-
                                       schaft stand. Menschen aus außereuropäischen        nungsverhältnis zur rassistischen Ausgrenzung
                                    15 Kolonien waren als Kolonialsoldaten auf Seiten   60 arabischer und indischer Menschen als „farbig“
                                       der Alliierten oder der Achsenmächte, im            und damit „artfremd“. Die Bündnispolitik des
                                       Widerstand gegen die deutsche Besatzung oder        NS-Regimes mit Kolonisierten aus dem Macht-
                                       als Kämpfer*innen gegen die eigene Kolonial-        bereich der Alliierten stießen zugleich an eine
                                       macht am Kriegsgeschehen beteiligt.                 „rassische“ Grenze, die nicht überschritten
                                    20                                                  65 werden sollte: Aus Sicht des NS-Regimes kamen
                                       Im Gegensatz zu Schwarzen Menschen wur-             Schwarze Menschen als Bündnispartner nicht in
                                       den Menschen aus kolonialen Herrschafts-            Frage.
                                       oder Einflussgebieten der Alliierten im Nahen
                                       und Mittleren Osten sowie dem Maghreb               Trotz der außen- und kriegsstrategischen
                                    25 im Zweiten Weltkrieg zu einem Gegenstand         70 Interessen des NS-Regimes an Menschen
                                       außen- und kriegspolitischer Interessen des NS-     arabischer oder indischer Herkunft waren diese
                                       Regimes. Die deutsche Führung wollte – wie im       nicht grundsätzlich von rassistischer Ausgren-
                                       Ersten Weltkrieg – die Kampfkraft der gegneri-      zung verschont. Der deutsche Umgang mit den
                                       schen Seite schwächen, indem sie antikoloniale      potenziellen Bündnispartner*innen blieb viel-
                                    30 Bewegungen gegen die Alliierten unterstützte.    75 mehr widersprüchlich. So richtete sich die
                                       Dabei konzentrierte sie sich auf Regionen mit       rassistische Kriegspropaganda (siehe Modul 4)
                                       vorwiegend muslimischen Bevölkerungen –             nicht ausschließlich gegen Schwarze, sondern
                                       z.B. das britische Mandatsgebiet in Palästina       bisweilen auch gegen arabische Soldaten.
                                       und die britische Kronkolonie Indien, zu der        Auch befanden sich unter den Opfern der
                                    35 auch das heutige Pakistan gehörte. Das NS-       80 rassistischen Massaker an der Westfront im
                                       Regime verbreitete entsprechende Propaganda         Sommer 1940 vereinzelt nordafrikanische
                                       unter den Kolonialsoldaten der Alliierten und       Kolonialsoldaten und Menschen arabischer
                                       bemühte sich, kriegsgefangene indische und          Herkunft in Deutschland wurden teilweise aus
                                       arabische Kolonialsoldaten zum Überlaufen           rassistischen Motiven verfolgt. Gleichwohl
                                    40 auf die deutsche Seite zu bewegen. Wie im        85 blieben ihnen gewisse Handlungsspielräume.
                                       Ersten Weltkrieg waren im Zweiten Weltkrieg
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                                       Vertreter*innen antikolonialer Bewegungen           Verdeutlichen lässt sich die ambivalente
                                       an solchen Aktivitäten beteiligt. Mit den           Situation arabischer Menschen am Beispiel des
                                       Nationalsozialist*innen kollaborierende             Arztes Mohamed Helmy (B5.b) aus Ägypten:
                                    45 antikoloniale Akteure waren Mohammed             90 Auf der einen Seite verlor er aufgrund rassis-

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                                                                                       HINT E RGRU NDT E XT                              H5
                                1 tischer Anfeindungen seine Anstellung in einem      „Geiseln“ von den Deutschen inhaftiert wurden,
                                  Berliner Krankenhaus. Auch konnte er seine          spielte die Hautfarbe als Haftgrund in der Regel
                                  deutsche Verlobte aufgrund der „Rassen-             keine maßgebliche Rolle. In den Konzentrations-
                                  gesetze” nicht heiraten. Auf der anderen Seite      lagern waren Schwarze Häftlinge jedoch mit
                                5 nutzte er die nationalsozialistische Unterstüt-  50 rassistischen Zuschreibungen konfrontiert.
                                  zung des Islamischen Zentralinstituts in Berlin,    Bisweilen konnte dies sogar ihre Überlebens-
                                  das unter der Schirmherrschaft des Mufti von        chancen vergrößern: z.B. im Falle des senega-
                                  Jerusalem stand, um eine jüdische Patientin vor     lesischen Widerstandskämpfers Dominique
                                  der Verfolgung zu schützen.                         Mendy. Laut eigener Aussagen stellte dieser
                               10                                                  55 sich gegenüber den SS-Wachleuten im KZ
                                          H5.b                                        Neuengamme dumm und bediente damit
                                  Widerstandskämpfer*innen of Color                   verbreitete rassistische Stereotype. Dadurch
                                  in deutscher Gefangenschaft                         sei es ihm gelungen, zusätzliche Essensrationen
                                                                                      zu erbetteln. Er musste – ebenfalls einem
                               15 Neben dem Widerstand „stiller Helfer“ wie        60 Stereotyp gegenüber Schwarzen Menschen
                                  Mohamed Helmy lassen sich weitere Wider-            entsprechend – als „Diener“ Hausarbeiten
                                  standsaktivitäten von People of Color gegen         verrichten, wurde rassistisch beschimpft und
                                  den Nationalsozialismus nennen. Einige von          verprügelt. Doch ermöglichte ihm seine Arbeit,
                                  ihnen hatten als Kolonialsoldaten gegen die         die Haft zu überleben, war sie doch körperlich
                               20 Deutschen gekämpft, waren ihrer Gefangen-        65 deutlich weniger kräftezehrend als die
                                  nahme entgangen oder aus der Kriegsgefangen-        meisten anderen Tätigkeiten, die KZ-Häftlinge
                                  schaft geflohen und hatten sich anschließend        auszuführen hatten. Auch der in Spanien
                                  Widerstandsgruppen im besetzten Europa              geborene Schwarze Widerstandskämpfer
                                  angeschlossen. Andere waren vor dem Krieg im        José Carlos Grey Key wurde als „Diener“
                               25 antikolonialen Widerstand aktiv gewesen, bevor 70 eingesetzt. Er hatte zunächst im Spanischen
                                  sie im Krieg auf Seiten der Kolonialmacht gegen     Bürgerkrieg und später in der französischen
                                  die deutsche Besatzungsmacht kämpften.              Résistance gekämpft und war deshalb in das
                                  Im Zuge der Bekämpfung von Widerstand in            KZ Mauthausen gesperrt worden. Zwar war
                                  den deutsch besetzten europäischen Ländern          er den Schikanen der SS-Wachmannschaften
                               30 wurden auch People of Color in deutsche          75 ausgesetzt – doch entging auch er zumindest
                                  Konzentrationslager verschleppt. Unter              der oft todbringenden körperlichen Schwerst-
                                  ihnen war Anton de Kom (B5.a) aus der               arbeit in anderen Arbeitskommandos.
                                  in Südamerika gelegenen niederländischen
                                  Kolonie Suriname. Vor dem Zweiten Weltkrieg         Ob Anton de Kom dem Rassismus der SS-
                               35 hatte sich de Kom als antikolonialer Aktivist    80 Wachmannschaften oder auch seiner Mithäft-
                                  gegen die niederländische Kolonialherrschaft in     linge ausgesetzt war, ist nicht bekannt. Er
                                  seinem Herkunftsland engagiert und war des-         konnte kein Zeugnis über seine Hafterfahrung
                                  halb aus Suriname in die Niederlande abgescho-      ablegen, denn er starb am 24. April 1945 in
                                  ben worden. Nach der deutschen Besetzung            Sandbostel, einem Kriegsgefangenen- und
                               40 der Niederlande schloss er sich dann dem         85 Auffanglager des KZ Neuengamme.
                                  kommunistischen Widerstand gegen die
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                                  Besatzungsmacht an.

                                  Bei People of Color, die wegen Widerstands
                               45 gegen die deutsche Besatzung oder als

                                                                                                                                 155
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                               B5         BI O G R A F I S C H E DARS T E LLU NG

                                     1          B5.a                                         verhaftet und trotz heftiger Proteste, bei denen
                                         Anton de Kom (1898–1945)                            mehrere Personen erschossen oder verletzt
                                                                                             wurden, mit seiner Familie in die Niederlande
                                         Cornelis Gerhard Anton de Kom kam 1898 im           abgeschoben. Dort schrieb Anton de Kom das
                                     5   südamerikanischen Suriname zur Welt, das zu      50 antikoloniale Buch Wij slaven van Suriname
                                         jener Zeit – und noch bis in die 1970er-Jahre       (dt. Wir Sklaven von Surinam), das 1934 in
                                          – eine niederländische Kolonie war. Als Afro-      zensierter Fassung in den Niederlanden, 1935 in
                                         Surinamer war Anton de Koms Familienge-             deutscher Übersetzung in Moskau und ein Jahr
                                         schichte eng mit der Geschichte von Kolonialis-     später auch in Zürich veröffentlicht wurde.
                                    10   mus und Sklaverei verbunden: Sein Vater, ein     55
                                         Bauer und Goldsucher, war ein Kind, als die         Als deutsche Truppen 1940 die Niederlande
                                         Sklaverei in Suriname 1863 abgeschafft wurde,       besetzten, schloss sich Anton de Kom dem
                                         und seine Großeltern mütterlicherseits waren        niederländischen Widerstand gegen die
                                         aus der Versklavung „freigekauft“ worden.           Nationalsozialist*innen an und arbeitete für
                                    15                                                    60 eine kommunistische Untergrundzeitung. Im
                                         Nach seiner Ausbildung als Buchhalter war           August 1944 wurde er von den deutschen
                                         Anton de Kom zunächst als Büroangestellter bei      Besatzungsbehörden verhaftet. Zunächst
                                         verschiedenen niederländischen Unternehmen          sperrte man ihn in das in den Niederlanden
                                         tätig. Anfang der 1920er-Jahre ging er dann         gelegene deutsche KZ Herzogenbusch (Vught).
                                    20   in die Niederlande, diente dort als Freiwilliger 65 Später wurde er nach Deutschland deportiert.
                                         beim Militär und arbeitete anschließend als         Nach kurzer Haft im KZ Sachsenhausen bei
                                         Vertreter. 1926 heiratete er die weiße Nieder-      Oranienburg kam er in das KZ Neuengamme
                                         länderin Petronella Catharina Borsboom und          und von dort in den letzten Kriegswochen in
                                         bekam vier Kinder mit ihr.                          das Lager Sandbostel bei Bremervörde, das als
                                    25                                                    70 Kriegsgefangenenlager sowie als Auffanglager
                                         Anton de Kom engagierte sich in verschiedenen       des KZ Neuengamme diente. Anton de Kom
                                         linken Organisationen. 1927 nahm er am              starb dort am 24. April 1945 – dem Tag, an
                                         internationalen „Kongress gegen koloniale           dem die ersten britischen Truppen das Lager
                                         Unterdrückung und Imperialismus“ in Brüssel         erreichten. Erst 1960 wurden Anton de Koms
                                    30   teil, auf dem sich über 170 antikoloniale        75 sterbliche Überreste in einem Massengrab
                                         Aktivist*innen aus allen Regionen der Welt          entdeckt und auf einem niederländischen
                                         sowie zahlreiche prominente Unterstützer*innen      Ehrenfriedhof bestattet.
                                         trafen. Im gleichen Jahr wurde Anton de Kom
                                         erstmals unter dem Vorwurf „aufrührerischer“        Während Anton de Kom in Deutschland weitge-
                                    35   kommunistischer Aktivitäten verhaftet.           80 hend unbekannt ist, gilt er im unabhängigen
                                                                                             Suriname als Nationalheld und die Universität
                                         Ende der 1920er-Jahre geriet Anton de Kom           der surinamischen Hauptstadt Paramaribo ist
                                         aufgrund der Wirtschaftskrise und seines            nach ihm benannt. Auch in Amsterdam befindet
                                         politischen Engagements zusehends in                sich seit 1990 eine Plakette und seit 2006 auch
                                    40   wirtschaftliche Not. Im Dezember 1932 reiste     85 ein Denkmal zu seinen Ehren. Letzteres ist
                                         er mit seiner Familie zurück nach Suriname und      jedoch vor allem von Niederländer*innen
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                                         eröffnete dort ein Beratungsbüro, das rasch         surinamischer Herkunft heftig kritisiert worden,
                                         zur zentralen Anlaufstelle für antikoloniale        weil es Anton de Kom halbnackt darstellt.
                                         Aktivist*innen wurde. Im Februar 1933 wurde
                                    45   er von der niederländischen Kolonialverwaltung

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                                                                  B I O GRA F IS CHE DA RS T E LLU NG                                         B5
                                1         B5.b                                           Gut einen Monat nach Beginn des Zweiten
                                    Dr. Mohamed Helmy (1901–1982)                        Weltkrieges, am 3. Oktober 1939, verhaftete die
                                                                                         Gestapo Mohamed Helmy und sperrte ihn in
                                    Mohamed Helmy wurde 1901 in Ägypten                  ein Lager bei Nürnberg. Ägypten war zwar seit
                                5   geboren. Wie viele Angehörige wohlhabender        50 1922 offiziell selbstständig, es stand aber weiter
                                    Familien aus arabischen Ländern ging er Anfang       unter britischem „Protektorat“. Aus Sicht des
                                    der 1920er-Jahre zum Studieren nach Berlin.          NS-Regimes gehörte Helmy daher einem
                                    1929 schloss er sein Medizinstudium ab und           „Feindstaat“ an. Das Auswärtige Amt beabsich-
                                    1937 promovierte er. Helmy arbeitete als Arzt        tigte zudem, ägyptische Internierte gegen
                               10   an einem Krankenhaus im Berliner Stadtteil        55 gefangene deutsche Soldaten in Nordafrika aus-
                                    Moabit.                                              zutauschen. Helmy wurde nach einigen
                                                                                         Wochen entlassen, Anfang 1940 aber erneut
                                    Als die Nationalsozialist*innen Anfang 1933 an       interniert, weil die deutschen Soldaten, die im
                                    die Macht kamen, wurden vor allem jüdische           Gegenzug freigelassen werden sollten, noch
                               15   Menschen Opfer antisemitisch motivierter          60 immer in Gefangenschaft waren. Als Helmys
                                    Ausgrenzung und Verfolgung. Aber auch                Gesundheitszustand sich verschlechterte,
                                    andere Menschen, die als „nichtarisch“               entließ man ihn jedoch wieder aus der Internie-
                                    oder „artfremd“ galten, wurden angefeindet           rungshaft.
                                    und rassistisch diskriminiert. Vor diesem
                               20   Hintergrund verließen viele Menschen arabi-       65 Seine Tätigkeit als Arzt durfte Helmy zunächst
                                    scher Herkunft das nationalsozialistische            nicht mehr ausüben. 1942 wurde er dann
                                    Deutschland – nur etwa 300 von ihnen blieben.        jedoch dazu verpflichtet, einen deutschen Arzt,
                                                                                         der zum Militär eingezogen worden war, in
                                    Bereits kurz nach dem Machtantritt der Natio-        dessen Berliner Praxis zu vertreten. Deutsch-
                               25   nalsozialist*innen 1933 wurden die jüdischen      70 land ging aus außen- und kriegspolitischen
                                    Ärzte aus dem Krankenhaus Moabit, das ab             Interessen Bündnisse mit antikolonialen Bewe-
                                    1935 Robert-Koch-Krankenhaus hieß, entlas-           gungen aus dem kolonialen Machtbereich
                                    sen. Dies ermöglichte Helmy zunächst eine            der alliierten Kriegsgegner im Nahen und
                                    Beförderung. Jedoch machte er sich bei den           Mittleren Osten sowie Nordafrika ein, um die
                               30   nationalsozialistischen Ärzten, die auf die       75 Kampfkraft der Alliierten zu schwächen. Vor
                                    Stelle der entlassenen jüdischen Mediziner           diesem Hintergrund blieben nicht jüdische
                                    rückten, bald unbeliebt, weil er ihr mangelndes      Menschen arabischer Herkunft von der sich
                                    Fachwissen kritisierte. Nicht zuletzt aus            massiv verschärfenden Verfolgungspolitik des
                                    diesem Grund wurde er seitens anderer Ärzte          NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg überwiegend
                               35   im Krankenhaus rassistisch angefeindet – es       80 verschont.
                                    wurde behauptet, er sei „Hamit“ und damit
                                                                      1

                                    „nichtarisch“. Zwar konnte er 1937 noch seine
                                    Promotion abschließen, doch wurde sein im                1. „Hamit“: Im Alten Testament ist Ham einer
                                                                                             der Söhne von Noah. Er wird verschiedent-
                                    selben Jahr auslaufender Arbeitsvertrag nicht            lich als dunkelhäutig beschrieben.
                               40   mehr verlängert und er durfte nicht habilitieren.        Die Nationalsozialist*innen entlehnten den
                                    In den folgenden Jahren praktizierte Helmy in            Begriff aus rassistischen Theorien des
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                                                                                             19. Jahrhunderts und wendeten ihn auf die
                                    seiner Wohnung als Arzt und betreute vor allem           Bevölkerung Nordafrikas, des südlichen
                                    jüdische Patient*innen.                                  Arabiens, des Horns von Afrika und des
                                                                                             Alten Ägypten an.

                                                                                                                                      157
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                               B5         BI O G R A F I S C H E DARS T E LLU NG

                                     1 Unter Mohamed Helmys Patient*innen befand
                                       sich bereits seit den 1930er-Jahren das jüdische
                                       Mädchen Anna Boros, mit dessen Familie er
                                       befreundet war. Im März 1942 erhielt Anna
                                     5 Boros, die rumänische Staatsangehörige war,
                                       die Anweisung, aus Deutschland auszureisen.
                                       Ihre Großmutter war bereits zuvor mit Helmys
                                       Unterstützung untergetaucht, und so bat sie
                                       ihn um Hilfe. Von 1942 bis 1945 versteckte
                                    10 Helmy Anna Boros teils in einer Gartenlaube,
                                       teils bei sich zu Hause und in der Wohnung von
                                       Bekannten, selbst als er in den Verdacht der
                                       Gestapo geriet. Auch Anna Boros‘ Mutter sowie
                                       ihrem Stiefvater half er, indem er sie medizinisch
                                    15 versorgte und sich um ein Versteck kümmerte.

                                       Mohamed Helmy ergriff noch weitere Schritte,
                                       um Anna Boros zu schützen. Im Juni 1943
                                       organisierte er ihren Übertritt zum Islam.
                                    20 Dabei half ihm ein Bekannter im Islamischen
                                       Zentralinstitut in Berlin – und dies, obwohl das
                                       Institut weitgehend unter der Kontrolle des NS-
                                       Regimes und des mit ihm verbündeten Mufti
                                       von Jerusalem stand. Wenig später arrangierte
                                    25 Helmy eine muslimische Hochzeit zwischen
                                       Anna Boros und einem ägyptischen Bekannten.
                                       Die Heiratsurkunde führte Helmy als Vater der
                                       Braut auf und täuschte damit vor, dass Boros
                                       ägyptischer Herkunft sei. Welche Rolle diese
                                    30 Täuschungsmanöver bei der Rettung von Anna
                                       Boros spielten, lässt sich heute nicht genau
                                       beurteilen. Jedenfalls überlebten sie und ihre
                                       Familie mit Helmys Hilfe.

                                    35 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
                                       lebte Mohamed Helmy weiter in Deutschland
                                       und heiratete seine deutsche Verlobte, die
                                       er während der NS-Zeit nicht hatte ehelichen
                                       dürfen. 1982 starb er in Berlin. 2013 wurde
                                    40 er posthum als erster arabischer Mensch von
                                       der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad
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                                       Vashem als „Gerechter unter den Völkern“
                                       geehrt.

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                                                                              M AT E RIA LIE N       M5
                               1            M5.a
                                   Undatierte Fotografie von Anton de Kom

                                 Das Foto zeigt Anton de Kom in jungen
                               5 Jahren im Anzug mit Hut, Krawatte, Blume
                                 am Revers und Einstecktuch.
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                                   Nationaal Archief, Collectie Spaarnestad

                                                                                               159
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                               M5        MATE R I A LI E N

                                    1           M5.b                                          M5.C
                                        Umschlag des Buchs Wir Sklaven                 Auszüge aus Anton de Koms Buch
                                        von Surinam von Anton de Kom, 1935             Wij slaven van Suriname von 1934

                                    5   1934 erschien Anton de Koms               50   Kein besseres Mittel, um das Minderwertig-
                                        antikoloniales Buch in einer zensierten        keitsgefühl einer Rasse zu wecken, als diesen
                                        Fassung in den Niederlanden. Eine              Geschichtsunterricht, bei dem ausschließlich
                                        deutschsprachige Fassung erschien              die Söhne eines anderen Volkes genannt und
                                        erstmals 1935 in Moskau.                       gepriesen werden. […] Kein Volk kann sich
                                                                                                                 vollständig entfalten,
                                                                                                                 das erblich mit einem
                                                                                                                 Minderwertigkeits-
                                                                                                                 gefühl belastet bleibt.
                                                                                                                 Daher soll dieses
                                                                                                                 Buch danach streben,
                                                                                                                 die Selbstachtung
                                                                                                                 der Surinamer
                                                                                                                 aufzuwecken.

                                                                                                                 Aus: De Kom, Anton 2017
                                                                                                                 [1934]. Wij slaven van
                                                                                                                 Suriname. 13. Auflage.
                                                                                                                 Amsterdam (Übersetzung
                                                                                                                 von Sophia Annweiler)
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                                        Buku Bibliotheca Surinamica

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                                                                                    M AT E RIA LIE N       M5
                               1         M5.d
                                   Foto von Mohamed Helmy aus dem Jahre
                                   1969

                               5  Auf dieser privaten Fotografie sind Anna
                                  Boros, verheiratet Anna Boros-Gutman
                                  (2. von links) und ihre Tochter Carla (ganz
                                  links) bei einem Besuch bei Helmy (2. von
                                  rechts) und seiner Frau Emmi (ganz rechts)
                               10 zu sehen.
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                                   Yad Vashem Photo Archive, Jerusalem, 10137927,
                                   Righteous Among The Nations

                                                                                                     161
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                               M5         MATE R I A LI E N

                                    1            M5.e                                                       2006 ist außerdem ein Anton de Kom-
                                      In einer Aussage aus seiner Entschädi-                                Denkmal in der niederländischen Haupt-
                                      gungsakte gab Mohamed Helmy nach dem                                  stadt errichtet worden. Das Denkmal geht
                                      Zweiten Weltkrieg Folgendes über rassisti-                            zurück auf eine Initiative der Bewohner*in-
                                    5 sche Anfeindungen durch Kollegen im                              50   nen des Amsterdamer Stadtteils Zuid-
                                      Krankenhaus Mitte der 1930er-Jahre an:                                Oost, in dem eine große surinamische
                                                                                                            Community lebt. Die Auftraggeber*innen
                                   Ein Arzt hat gesagt, man könne nicht mit                                 waren die Gemeinde sowie der Amster-
                                   ansehen, dass Dr. Helmy, ein Hamit, deutsche                             damer Kunstfonds (Fonds voor de Kunst).
                                10 Frauen behandelt.                                                   55   Vier Künstler*innen wurden eingeladen,
                                                                                                            Entwürfe einzureichen. Die Jury wurde
                                        Zitiert nach Steinke, Ronen 2015. Wie ein Muslim eine               vom Zentrum für bildende Kunst im
                                        Jüdin vor den Nazis rettete, in: Süddeutsche Zeitung,               Stadtteil (Centrum Beeldende Kunst Zuid-
                                        9.1.2015; http://www.sueddeutsche.de/politik/zweiter-
                                        weltkrieg-wie-ein-muslim-eine-juedin-vor-den-nazis-                 Oost) zusammengestellt und bestand
                                        rettete-1.2294553 (Zugriff: 22.9.2016)                         60   aus Vertreter*innen von EBU-Akdemiya,
                                                                                                            einer surinamischen Organisation in
                                                 M5.f                                                       Amsterdam, der Arbeitsgruppe Anton de
                                   Chefarzt und NSDAP-Parteimitglied                                        Kom, des Amsterdamer Kunstfonds, des
                                   Dr. Helmut Dennig äußerte sich Mitte                                     Nationalkomitees 4. und 5. Mai (Nationaal
                                20 der 1930er-Jahre wie folgt über Helmy:                              65   Comitée 4 en 5 mei), der Arbeitsgruppe
                                                                                                            Anton de Kom, des Projekts Anton de Kom-
                                   Herr Dr. H. [= Helmy] konnte sich als                                    Platz sowie Anton de Kom jr. Daneben
                                   Orientale nicht an Ordnung, Disziplin und                                sollte die Öffentlichkeit eine Stimme
                                   Berufsauffassung deutscher Ärzte gewöhnen.                               bekommen.
                                25 Wir halten es daher nicht für angebracht, ihn                       70
                                   mit der Betreuung deutscher Volksgenossen                              Während die Jury mehrheitlich für den
                                   zu beauftragen.                                                        Entwurf des surinamischen Künstlers
                                                                                                          Henry Renfurm gestimmt hatte, wurde
                                        Zitiert nach Steinke, Ronen 2017. Der Muslim und die              aufgrund des Ergebnisses einer Internet-
                                        Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin. Berlin, S. 53   75 Abstimmung letztlich der Entwurf der
                                                                                                          weißen niederländischen Künstlerin
                                                 M5.g                                                     Jikke van Loon ausgewählt. Diese Wahl
                                        Gedenken an Anton de Kom                                          ist vor allem von Niederländer*innen
                                                                                                          surinamischer Herkunft kritisiert worden.
                                35 In Deutschland ist Anton de Kom nahezu                              80 Zum einen lautete der Vorwurf, dass
                                   unbekannt. In Suriname dagegen gilt er                                 das Auswahlverfahren undurchsichtig
                                   als Nationalheld. So ist die Universität                               gewesen sei. Zum anderen wurde dagegen
                                   der surinamischen Hauptstadt Paramaribo                                protestiert, dass das Denkmal Anton de
                                   nach ihm benannt und es gibt in der                                    Kom halbnackt darstellt. Anton de Koms
                                40 Stadt eine Büste von ihm. Auch in der                               85 Nachkommen, die den ausgewählten
                                   niederländischen Hauptstadt Amsterdam                                  Entwurf befürwortet hatten, baten
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                                   befindet sich seit 1990 eine Plakette zu                               darum, die getroffene Entscheidung zu
                                   seinen Ehren.                                                          respektieren.

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                                1         M5.h–l                                          gefallen, wenn surinamische Künstler*innen
                                    Auszüge aus der öffentlichen Debatte um               mit in den Entscheidungsprozess eingebunden
                                    das Anton de Kom-Denkmal in Amsterdam                 worden wären?

                                5          M5.h                                      50 https://www.waterkant.net/suriname/2007/11/05/debat-
                                    Auszug aus dem Artikel „Debat beeld                 beeld-anton-de-kom/, übersetzt von Jakob Sieling
                                                                                        (Zugriff: 26.10.2017)
                                    Anton de Kom“ vom 5.11.2007,
                                    www.waterkant.net
                                                                                                  M5.i
                               10   Bei der Webseite www.waterkant.net               55   Auszug aus dem Artikel „Geschiedenis
                                    handelt es sich um ein Online-Portal,                 in de media“ von Shirley Haasnoot, in:
                                    das sich in erster Linie an Menschen mit              Historisch Nieuwsblad 5/2006
                                    surinamischem Hintergrund richtet, die in
                                    den Niederlanden leben.                             Beim Historisch Nieuwsblad handelt es sich
                               15                                                    60 um eine Zeitschrift, die sich sowohl an ein
                                  Die Frage, die im Laufe der Diskussion1 an die        historisches Fachpublikum als auch an ein
                                  Oberfläche tritt, ist folgende: Was war der Auf-      historisch interessiertes breiteres Publikum
                                  trag der Künstlerin? Der Auftrag lautete schein-      richtet.
                                  bar: Mache ein Bild von Anton de Kom, das
                               20 auch zum Ausdruck bringt, wer er war. Die          65 Es stellt sich […] die Frage, ob niederländische
                                  surinamischen Künstler2 taten dies, indem sie         Zeitungen mit derselben Gleichgültigkeit von
                                  de Kom im Anzug abbildeten, Renfurm3 zeigte           einer [entsprechenden] Ehrung für eine*n
                                  ihn mit einer Feder in der Hand, die auf sein         weiße*n Widerstandskämpfer*in berichtet
                                  schriftstellerisches Wirken verweist, de Vries4       hätten. Wie würde wohl über ein Denkmal
                               25 zeigte ihn mit einer Aktentasche.                  70 für die junge Hannie Schaft5 […] mit enorm
                                                                                        großen Brüsten, mitten auf einem belebten
                                       1. Gemeint ist eine am 3.11.2007 und damit       Platz in der Stadt, geschrieben werden?
                                       etwa 18 Monate nach der Enthüllung des           Oder über ein Bild [von] Henk van Randwijk6
                                       Denkmals stattgefundene Diskussionsver-          mit großen, prominent hervorstechenden
                                       anstaltung im „Podium Kwakoe“, einem Ver-
                                       anstaltungsforum im Amsterdamer Stadtteil     75 Geschlechtsteilen?
                                       Zuid-Oost.

                                       2. Neben dem Entwurf der weißen nieder-                5. Hannie Schaft war eine weiße niederlän-
                                       ländischen Künstlerin Jikke van Loon, der              dische kommunistische Widerstandskämpfe-
                                       für das Denkmal ausgewählt wurde, hatten               rin, die am 17.4.1945 nach Verhören unter
                                       noch drei männliche Künstler surinamischer             Folter in den Dünen des niederländischen
                                       Herkunft Entwürfe eingereicht.                         Ortes Bloemendaal von Angehörigen der
                                       3. Renfurm war einer der drei Künstler                 deutschen Besatzung ermordet wurde.
                                       surinamischer Herkunft, die Vorschläge für             6. Hendrik – kurz Henk – van Randwijk
                                       ein Denkmal eingereicht hatten.                        war ein weißer niederländischer
                                       4. De Vries war einer der drei Künstler                Journalist und Autor, der während der
                                       surinamischer Herkunft, die Vorschläge für             deutschen Besatzungszeit als Journalist im
                                       ein Denkmal eingereicht hatten.                        niederländischen Untergrund tätig war.
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                                  Das Publikum fragt sich nun, wer die Entschei-
                                                                                          http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/artikel/25732/
                                  dung zugunsten des Bildes von van Loon                  geschiedenis-in-de-media.html, übersetzt von Jakob
                               45 getroffen hat. Wäre eine andere Entscheidung            Sieling (Zugriff: 7.8.2017)

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                               M5        MATE R I A LI E N

                                    1         M5.j                                        wie ein Kunstwerk verstanden und interpretiert
                                      Auszug aus einem undatierten Artikel                wird. Die Perspektive des Komitees ist eine
                                      „Een jammerlijk vertroebelde blik“ von              Form der Wahrnehmung der Wirklichkeit,
                                      Annet Zondervan auf der Webseite des                allerdings eine sehr einseitige. Für jede*n,
                                    5 Nationalkomitees 4. und 5. Mai                 50   die/der etwas über das Leben von Anton de
                                                                                          Kom weiß und etwas über die Motive der
                                   Bei Annet Zondervan handelt es sich um                 Künstlerin hört, erzählt das Denkmal eine
                                   die Direktorin des Centrum Beeldende                   andere Geschichte. […] Sie [= Jikke van Loon]
                                   Kunst Zuid-Oost und Sekretärin der Jury.               holte den Baum2 aus dem surinamischen
                                10 Sie wählte auf Grundlage der Internet-            55   Landesinneren und ließ das Holz in die
                                   Abstimmung den Denkmal-Entwurf                         Niederlande verschiffen. Eine wunderbare
                                   von Jikke van Loon aus. Ihr Artikel ist                Reminiszenz [= Erinnerung] an die unfreiwillige
                                   veröffentlicht auf der Webseite des                    Reise von Anton de Kom, welche er unternahm,
                                   Nationalkomitees 4. und 5. Mai (Nationaal              nachdem er vom Generalstaatsanwalt Van
                                15 Comité 4 en 5 mei), das alljährlich Gedenk-       60   Haaren 1933 als staatsgefährliche Person
                                   feiern und Veranstaltungen anlässlich der              „eingestuft“ und zur Ausreise3 genötigt
                                   vollständigen Befreiung der Niederlande                wurde. […] Inzwischen ist eine polemische
                                   von der NS-Besatzung Anfang Mai 1945                   Diskussion über ein Denkmal entstanden,
                                   organisiert sowie Erinnerungs- und                     welches wenige Personen überhaupt schon
                                20 Forschungsarbeit koordiniert und                  65   „in Wirklichkeit“ gesehen haben. Die Kraft des
                                   unterstützt.                                           mehr als lebensgroßen Bildnisses wird jede*n
                                                                                          Zweifler*in überzeugen. Dies ist ein würdiges
                                   In einem Pamphlet wird das Denkmal als rassis-         Denkmal an würdevoller Stelle für einen sehr
                                   tisch diskreditiert; es folgt die Bemerkung „Es        außergewöhnlichen und inspirierenden Mann.
                                25 zeigt, wie Schwarze (an)gesehen werden.“
                                   Anhand einer Miniaturaufnahme des Denkmals
                                   werden einige Merkmale des Denkmals als                   1. Gemeint ist das Komitee für ein würdiges
                                                                                             Anton de Kom-Denkmal (Comité voor een
                                   Beweis hierfür angeführt. Die „Nacktheit“ wird            waardig monument Anton de Kom), das sich
                                   als eine bildliche Darstellung eines „Sklaven             lange nachdrücklich für ein Denkmal für
                                                                                             Anton de Kom eingesetzt, die ausgewählte
                                30 oder Eingeborenen“ gesehen. Es ist die Rede
                                                                                             Darstellung jedoch scharf kritisiert hatte.
                                   von „sehr explizit dargestellten Geschlechts-
                                                                                             2. Gemeint ist der Baum, aus dessen Holz
                                   teilen“. […] Außerdem sieht man eine „abge-               später das Denkmal geschnitzt wurde.
                                   hackte Hand“ als Verweis auf eine „physische
                                                                                             3. Gemeint ist damit die Abschiebung in die
                                   Gewaltstrafe für Sklaven“ und einen „missgebil-           Niederlande.
                                35 deten Arm“ als Verweis auf „den Arm eines sich
                                   entwickelnden Affen“. […] Ich befürchte, dass
                                   das Komitee1 eine jämmerlich verschwommene             https://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/
                                                                                          achtergronden/een_jammerlijk_vertroebelde_blik,
                                   Sicht hat und dass seine Sicht durch die               übersetzt von Jakob Sieling (Zugriff: 7.8.2017)
                                   leidvolle Geschichte der Sklaverei verwässert
                                   wird. […] Die Perspektive bestimmt darüber,
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                                1         M5.k                                                   M5.l
                                    Auszug aus einem Artikel im                          Auszug aus dem Artikel „Geschiedenis
                                    NRC Handelsblad vom 1.7.2006                         in de media“ von Shirley Haasnoot, in:
                                                                                         Historisch Nieuwsblad 5/2006
                                5   Die Künstlerin Jikke van Loon äußerte sich      50
                                    laut dem NRC Handelsblad vom 1.7.2006                 Die Künstlerin Jikke van Loon erklärte in „Het
                                    wie folgt:                                            Parool“ vom 7.4.2006, dass sie das Bild von de
                                                                                          Kom mit einem Baum kombiniert hat. „Das ist
                                  Ich finde nicht, dass es eine Rolle spielt, ob es       eine Art heiliges Symbol, womit ich die Wärme
                               10 um ein Nacktbild geht oder nicht. Ich stelle sein 55 und den Stolz von de Kom zeigen möchte.“
                                  [= Anton de Koms] Gedankengut dar, indem ich            Darum ist de Kom nackt und seine Hand noch
                                  mich des Mittels der Darstellung des menschli-          unfertig. Das „Komitee für ein würdiges Denk-
                                  chen Körpers bediene.                                   mal für Anton de Kom“ hat Recht, wenn es
                                                                                          seinen Widerstandshelden nicht als einen
                                  https://www.nrc.nl/nieuws/2006/07/01/omstreden-      60 nackten Urmenschen, der aus einem Baum her-
                                  beeld-moet-weg-11155259-a330345, übersetzt von Jakob    vorwächst, sehen möchte. „Selbst André Hazes1
                                  Sieling (Zugriff: 15.05.2018)
                                                                                          ist im Anzug abgebildet!“, riefen die Demons-
                                                                                          trant*innen [bei einer Demonstration gegen das
                                                                                          ausgewählte Anton de Kom-Denkmal] laut „Het
                                                                                       65 Parool“ vom 25.4.2006. Auch Anton de Kom
                                                                                          verdient einen Anzug.

                                                                                         http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/artikel/25732/
                                                                                         geschiedenis-in-de-media.html, übersetzt von Jakob
                                                                                         Sieling (Zugriff: 7.8.2017)

                                                                                             1. André Hazes ist ein bekannter niederlän-
                                                                                             discher Volksmusiker und Schlagersänger.
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                                                                                                                                           165
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                               M5        MATE R I A LI E N

                                    1           M5.m                                      schnitzt und von schwarzer Farbe.
                                        Fotografie des Denkmals für den                   Es stellt Anton de Kom stehend mit
                                        Widerstandskämpfer Anton de Kom in der            nacktem Oberkörper dar. Der rechte
                                        niederländischen Hauptstadt Amsterdam             Arm ist angewinkelt, der linke Arm hängt
                                    5                                                  50 herab. Die Arme erscheinen unfertig,
                                        Das 2006 eingeweihte Denkmal von Jikke            der Unterkörper geht in den nur grob
                                        van Loon ist aus einem Baumstamm ge-              behauenen Baumstamm über.

                                        Foto: Richardkiwi – Wikipedia, CC-byCA, 2017
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                               1           M5.n                                  enge Freundin von Hannie Schaft gewesen
                                   Fotografie des Denkmals für die               war. Hannie Schaft trägt ein Kleid und setzt
                                   Widerstandskämpferin Hannie Schaft im         sich mit weit ausgebreiteten Armen gegen
                                   niederländischen Haarlem                      die durch abstrakte Formen dargestellte
                               5                                              50 deutsche Besatzungsmacht zur Wehr.
                                   Die Bronzefigur wurde 1982 von der Bild-      Der Text auf der Plakette am Sockel lautet:
                                   hauerin und ehemaligen Widerstands-           „Frau im Widerstand / 1940–1945 /
                                   kämpferin Truus Mengen geschaffen, die        Hannie Schaft“.
                                   während der Zeit des Widerstandes eine
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                                   Foto: Familieman

                                                                                                                        167
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                               M5        MATE R I A LI E N

                                    1           M5.o                                   „Hendrik Mattheus van Randwijk /
                                        Fotografie des Denkmals für den                Gonrinchem 09–11–1909 / 13–05–1966 /
                                        Widerstandskämpfer Hendrik (Henk) van          Lehrer / Schriftsteller / Journalist /
                                        Randwijk im niederländischen Gorinchem         Mitglied des Widerstandes“. Auf der
                                    5                                               50 anderen Seite, die der Rückseite eines
                                   Das von Henk van Bennekum entworfene                Buchumschlags ähnelt, befindet sich ein
                                   und realisierte Denkmal aus Metall wurde            Auszug aus einem Gedicht von Hendrik van
                                   2013 enthüllt. Es erinnert an ein halb              Randwijk. Die Inschrift lautet:
                                   aufgeschlagenes Buch mit abgerundeten
                                10 unteren Ecken, das mit dem Buchrücken            55 „Alle, die hier beisammen sind,
                                   nach oben auf dem Boden liegt. Eine                 hört den Bericht:
                                   Außenseite, die der Vorderseite eines               Wir stehen gemeinsam vor Gericht
                                   Buchumschlags nachempfunden ist, zeigt              Uns für gut oder schlecht zu entscheiden.
                                   ein Porträt von Hendrik van Randwijk. Es            Ein Volk, das einem Tyrannen nachgibt,
                                15 ähnelt dem Negativ eines Fotos und stellt        60 wird mehr als Leib und Gut verlieren,
                                   van Randwijk mit Brille sowie mit Schlips           dann erlischt das Licht“.
                                   und Kragen dar. Die in die Metallplatte
                                   eingestanzte Beschriftung lautet:                     (Übersetzungen von Sophia Annweiler)

                                                                                    65

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                                                                                    80

                                        Entwurf, Umsetzung und Foto des Denkmals:
                                        Henk van Bennekum, 2013
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                                                                                                               GLO S SA R

                                       Antisemitismus/antisemitisch                 gegen Sinti und Roma prägten schon seit dem
                               Der Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Be-           19. Jahrhundert das staatliche Handeln und
                               griff Antisemitismus bezeichnet rassistische         die gesellschaftliche Haltung in Deutschland.
                               Formen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen            Die Nationalsozialist*innen begannen nach
                               und Juden. Während andere rassistisch                der Machtübernahme mit der systematischen
                               diskriminierte Gruppen vor allem als minder-         Erfassung dieser Bevölkerungsgruppen. Das
                               wertig erachtet werden, werden Jüdinnen und          „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-
                               Juden im Antisemitismus auch als mächtig und         wuchses“ vom 14. Juli 1933 und die „Nürnber-
                               deshalb bedrohlich dargestellt. Antisemitismus       ger Rassengesetze“ 1935 bildeten die Grund-
                               war von zentraler Bedeutung für die Ideologie        lage für die rassistische Ausgrenzung und Ver-
                               und Politik der Nationalsozialist*innen und          folgung sowie für Zwangssterilisationen und
                               wurde durch „Rassengesetze“ (z.B. die                den Massenmord an Sinti und Roma im
                               „Nürnberger Rassengesetze“) im national-             Nationalsozialismus.
                               sozialistischen Rechtssystem verankert.
                               Im Zweiten Weltkrieg mündete die antisemitisch
                               begründete Entrechtung im nationalsozialisti-                „Arier“/„arisch“/„Arisierung“/
                               schen Massenmord an über sechs Millionen             „Ariernachweis“
                               europäischen Jüdinnen und Juden.                     Die Nationalsozialist*innen vertraten die Vor-
                                                                                    stellung, dass es höherwertige und minder-
                                                                                    wertige „Rassen“ gebe. Ihrer Ideologie zufolge
                                       Antislawismus/antislawisch                   bildeten die „Arier“, zu denen sie die meisten
                               Bereits im 19. Jahrhundert war Antislawismus –       nicht jüdischen Deutschen zählten, die
                               auch Slawenfeindlichkeit genannt – in                höchststehende „Rasse“. Neben die Bezeich-
                               Deutschland als eine Form des Rassismus weit         nung „arisch“ trat ab 1935 auch „deutsch-
                               verbreitet. Darunter ist die Diskriminierung und     blütig“. Mit dem „Ariernachweis“ mussten
                               Verfolgung von Menschen osteuropäischer              bestimmte Berufsgruppen – insbesondere
                               Herkunft zu verstehen, die durch rassistische        Beamte und Angestellte des öffentlichen
                               Zuschreibungen als Angehörige einer „slawi-          Dienstes – im nationalsozialistischen Deutsch-
                               schen Rasse“ angesehen werden. „Slawen“              land ihre Herkunft nachweisen und wurden
                               wurden als minderwertig erachtet und es wurde        in entsprechende Kategorien eingeteilt: Als
                               ihnen die Fähigkeit zur Kultivierung von Land        „nichtarisch“ bzw. „artfremd“ geltende
                               abgesprochen. Antislawismus spielte in der           Personen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und
                               nationalsozialistischen Ideologie und Politik eine   Roma und People of Color wurden vor dem
                               wichtige Rolle, insbesondere für die Rechtferti-     Hintergrund dieser Ideologie aus bestimmten
                               gung des Angriffskrieges gegen die Sowjet-           Berufsfeldern ausgeschlossen („Arisierung“),
                               union, die Annexion osteuropäischer Regionen         entrechtet und ausgegrenzt.
                               für deutsche Siedlungsprojekte und die
                               unmenschliche Behandlung sowjetischer
                               Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg.                      „Artfremde“/„artfremd“
                                                                                    Die rassistische Ideologie der Nationalsozialis-
                                                                                    t*innen ging davon aus, dass es höher- und
Onlineversion, Stand 01/2019

                                       Antiziganismus/antiziganistisch              minderwertige „Rassen“ gebe. Dabei stand
                               Als Antiziganismus wird die Diskriminierung          der Personengruppe, die als „deutschblütig“
                               und Verfolgung von Menschen bezeichnet, die          bzw. „arisch“ galt, die höchste Stellung zu. In
                               als „Zigeuner“ stigmatisiert werden. Vorurteile      „Rassengesetzen“ wurde geregelt, wer nicht

                                                                                                                                169
MODULE          1 BI S 5

                               GLO S SA R

                               zu dieser Gruppe gehörte. Jüdinnen und                   Entente-Mächte/Entente
                               Juden, Roma und Sinti und People of Color        Als Entente-Mächte oder Entente wurden die
                               wurden auf dieser Grundlage als „artfremd“       im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland kämp-
                               bzw. „nichtarisch“ bezeichnet, diskriminiert     fenden Staaten Großbritannien und Frankreich
                               und verfolgt.                                    – und bisweilen auch deren Verbündete –
                                                                                bezeichnet.

                                        Askari
                               Askari ist eine zeitgenössische Bezeichnung              „Exotik“/„exotisch“/Exotisierung
                               für Soldaten vorwiegend afrikanischer Her-       Die Begriffe werden zur Bezeichnung meist
                               kunft, die in den Kolonialgebieten im Dienst     außereuropäischer, nicht westlich geprägter
                               europäischer Großmächte standen. Der Be-         Regionen und Menschen verwendet, um
                               griff wurde von dem Swahili-Wort für Soldat      die ihnen zugeschriebene „Fremdheit“
                               übernommen und bezieht sich im deutschen         hervorzuheben. „Exotik“ verweist also auf die
                               Sprachgebrauch insbesondere auf afrikanische     Vorstellung kultureller oder auch „rassischer“
                               Kolonialsoldaten in der Kolonie „Deutsch-Ost-    Unterschiede. Exotisierung betont den Vorgang,
                               afrika“ (heute Ruanda, Burundi und Tansania      in dem diese Unterscheidung getroffen
                               ohne Sansibar). Siehe auch „treuer Askari“.      wird. Trotz der Ähnlichkeiten zu kolonialen
                                                                                Rassismen kann Exotisierung aber auch mit
                                                                                einer Wertschätzung, mit Sehnsüchten und
                                      „deutschblütig“                           einem Begehren verbunden sein, die der
                               Siehe „Arier“/„arisch“/„ Arisierung“/            rassistischen Abgrenzung und Abwertung
                               „Ariernachweis“.                                 entgegenlaufen.

                                       „Eingeborene“                                    „Farbige“/„farbig“
                               Die deutsche Kolonialmacht kategorisierte die    Der Begriff hat seinen Ursprung in der Kolonial-
                               kolonisierten Bevölkerungen als „Eingeborene“,   zeit und bezeichnete alle Menschen, die nicht
                               womit sie zugleich den Europäer*innen unter-     als weiß angesehen wurden. Auch im National-
                               geordnet werden sollten. „Eingeborene“ waren     sozialismus wurde der Begriff in diesem Sinne
                               zwar Untertan*innen des deutschen Staates,       verwendet. Unter anderem galten Menschen
                               doch wurden ihnen die deutsche Staatsbürger-     afrikanischer, indischer, arabischer, chinesi-
                               schaft und die sich daraus ergebenden Rechte     scher und japanischer Herkunft als „farbig“.
                               vorenthalten. In den kolonisierten Gebieten      Die Bezeichnung von Menschen als „farbig“
                               waren sie einer eigenen Rechtsprechung           bedeutet gleichzeitig, dass weiß als Normalzu-
                               unterstellt. In einigen Kolonien – darunter      stand aufgefasst wird. Siehe People of Color.
                               in „Deutsch-Südwestafrika“ (dem heutigen
                               Namibia) – war ihnen ab Anfang des 20.
                               Jahrhunderts die Eheschließung mit Deutschen             „Gemeinschaftsfremde“/
                               untersagt. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden     „gemeinschaftsfremd“
                               1907 „Eingeborenenverordnungen“ erlassen,        Mit diesem Begriff wurden Personen
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                               mit denen die Rechte der Kolonisierten weiter    bezeichnet, die aus rassistischen, sozialen
                               eingeschränkt wurden. Unter anderem wurde        oder politischen Gründen aus der national-
                               „Eingeborenen“ das Recht auf Freizügigkeit und   sozialistischen „Volksgemeinschaft“ ausge-
                               das Recht auf Landbesitz entzogen.               grenzt wurden. Siehe „Volksgemeinschaft“.

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