Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939-1945) - Verflechtungen
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Modul 5 Handlungsspielräume und individuelle Formen von Widerstand (1939–1945) Onlineversion, Stand 01/2019
MODUL 5 D5 D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R >> Für Multiplikator*innen Dieses Modul vermittelt Einblicke in Handlungs- Regionen stammten, besser als andere als spielräume und Formen des Widerstands von „artfremd“ erachtete Menschen. Helmy nutzte People of Color gegen den Nationalsozialis- diese Handlungsspielräume dazu, um jüdische mus. Die Biografie von Anton de Kom (B5.a) Menschen vor der Verfolgung durch das NS- verdeutlicht das komplexe Verhältnis von anti- Regime zu schützen. kolonialem und antinationalsozialistischem Widerstand: Der zuvor im antikolonialen Kampf aktive Kommunist de Kom, der von der nieder- Vermittlungsziele zu A5 – ländischen Kolonialmacht wegen seiner Grundlegende Unterrichtseinheit 1 Aktivitäten in Suriname verhaftet und in die Niederlande abgeschoben worden war, schloss Zu Anton de Kom (B5.a) sich nach der deutschen Besetzung der Nieder- lande dem niederländischen Widerstand gegen ■ Die Lernenden erkennen, dass sich Anton den Nationalsozialismus an. Zugleich lässt de Kom, obwohl er zuvor aufgrund seines sich an dieser Biografie aufzeigen, dass der politischen Engagements als kommunisti- Zweite Weltkrieg globalgeschichtliche Dimen- scher antikolonialer Aktivist von den nieder- sionen hatte und in einer weiterhin von kolo- ländischen Behörden verfolgt worden war, nialen Herrschaftsverhältnissen geprägten im Zweiten Weltkrieg dem niederländischen Welt stattfand. Die Auseinandersetzung mit Widerstand gegen die Nationalsozialist*in- der aktuellen Debatte um das niederländische nen anschloss. Denkmal für Anton de Kom eröffnet schließlich eine gegenwartsbezogene Perspektive auf die ■ Die Zielgruppen stellen begründete Vermu- umkämpfte Erinnerung an den Widerstand tungen an, warum de Kom sich am Wider- gegen Kolonialismus und Nationalsozialismus stand gegen die deutschen Besatzer beteilig- in den Niederlanden der nachkolonialen Ära. te, und arbeiten damit Bezüge zwischen dem Widerstand gegen den Kolonialismus und Zur weiteren Differenzierung der Verflech- gegen den Nationalsozialismus heraus. tungsgeschichte von Kolonialismus und Nationalsozialismus dient das Beispiel des in Zu Mohamed Helmy (B5.b) Berlin lebenden ägyptischen Arztes Mohamed Helmy (B5.b): Nicht jüdische Menschen ■ Die Zielgruppen erkennen, dass Mohamed arabischer Herkunft wurden im Nationalsozialis- Helmys Handlungsspielräume durch außen- mus zwar rassistisch diskriminiert, hatten bzw. kriegspolitische Interessen der National- jedoch größere Handlungsspielräume als sozialist*innen bedingt waren. Schwarze Menschen, vor allem aber als die systematisch verfolgten Jüdinnen und Juden. ■ Sie verstehen, dass arabischen Menschen Grund war das außenpolitisch motivierte Inter- eine höhere Stellung innerhalb der imagi- esse der Nationalsozialist*innen an Bündnissen nierten Hierarchie verschiedener „Rassen“ Onlineversion, Stand 01/2019 mit Befreiungsbewegungen in den Kolonien zugewiesen wurde als Schwarzen Menschen, der Kriegsgegner im Nahen und Mittleren vor allem aber als Jüdinnen und Juden sowie Osten und dem Maghreb. Aus diesem Interesse Roma und Sinti, weshalb sie größere behandelten sie People of Color, die aus diesen Handlungsspielräume hatten. 148
MOD UL 5 D I DA K T IS CHE R KO M M E NTA R D5 ■ Sie lernen, dass es Solidarität zwischen Höpp, Gerhard/Wien, Peter/Wildangel, René Verfolgtengruppen gab und Helmy seine (Hg.) 2004. Blind für die Geschichte? Arabische Handlungsspielräume zur Rettung jüdischer Begegnungen mit dem Nationalsozialismus. Menschen nutzte. Berlin. ■ Die Zielgruppen reflektieren im Vergleich der Kuhlmann, Jan 2003. Subhas Chandra Bose und Biografien verschiedene Formen von Wider- die Indienpolitik der Achsenmächte. Berlin. stand gegen das NS-Regime. Mallmann, Klaus-Michael/Cüppers, Martin 2006. Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Vermittlungsziele zu F5 Fokus – Reich, die Araber und Palästina. Darmstadt. Vertiefende Unterrichtseinheit 2 Martin, Peter/Alonzo, Christine (Hg.) 2004. ■ Die Zielgruppen setzen sich mit unterschied- Zwischen Charleston und Stechschritt. lichen Positionen von Kritiker*innen und Schwarze im Nationalsozialismus. Hamburg/ Befürworter*innen des Anton de Kom- München. Denkmals in Amsterdam auseinander und begründen ausgehend davon ihre eigene Rheinisches JournalistInnenbüro 2005. „Unsere Position. Opfer zählen nicht“. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Hg. von Recherche International e.V. ■ Die Lernenden diskutieren unter Berück- Berlin/Hamburg. sichtigung der Punkte, die in der Debatte in Amsterdam zu Kontroversen geführt haben, Wagenhofer, Sophie 2010. „Rassischer“ wie sie selbst ein Denkmal für Anton de Kom Feind – politischer Freund? Inszenierung und konzipieren würden. Instrumentalisierung des Araberbildes im nationalsozialistischen Deutschland. Berlin. Weiterführende Literatur- Zöllner, Hans-Bernd 2000. „Der Feind meines empfehlungen zu Modul 5 Feindes ist mein Freund“. Subhas Chandra Bose und das zeitgenössische Deutschland unter dem Fava, Rosa 2010. Schwarze Häftlinge im KZ Nationalsozialismus 1944–1943. Hamburg. Neuengamme – biografische Notizen und Re- konstruktionsprobleme, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.). Zwischenräume. Dis- placed Persons, Internierte und Flüchtlinge in ehemaligen Konzentrationslagern. Bremen, S. 160–177. Höpp, Gerhard/Reinwald, Brigitte (Hg.) 2000. Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945. Berlin. Onlineversion, Stand 01/2019 149
MODUL 5 D5 D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R Weiterführende Weblinks zu Ribbens, Kees 2006. Ruimte voor Modul 5 multiculturaliteit. De vaderlandse canon en de veranderende historische cultuur, in: Grever, Fava, Rosa 2013. „Ich kann nicht anders als Marie/Jonker, Ed/Ribbens, Kees/Stuurman, an die Insel Gorée denken“. Biografische Siep (Hg.). Controverses rond de canon. Assen, Notizen von Schwarzen Häftlingen im S. 80–105. Konzentrationslager Neuengamme. https:// www.hamburg-global.de/v1.0/placemarks/57 Weiterführende (Zugriff: 20.11.2018). niederländischsprachige Weblinks zu F5 (Debatte um die Anton de Kom-Statue in Landgrebe, Philipp 2017. Arabische Musli- Amsterdam) m_innen und der Nationalsozialismus und die Bestände des International Tracing Service http://www.volkskrant.nl/binnenland/protest- (ITS). http://lernen-aus-der-geschichte.de/ bij-onthulling-monument-verzetsheld-anton-de- Lernen-und-Lehren/content/13720 (Zugriff: kom~a765498/ (Zugriff: 28.2.2018). 28.2.2018). https://amsterdam.sp.nl/nieuws/2006/04/sp- Weiterführende dient-interpellatie-in-over-beeld-anton-de-kom Literaturempfehlungen zur biografischen (Zugriff: 28.2.2018). Darstellung B5.a (Anton de Kom) http://www.parool.nl/amsterdam/groots- Boots, Alice/Woortmann, Rob 2009. Anton geklungel-rond-standbeeld-anton-de- de Kom: biografie 1898–1945. Amsterdam/ kom~a3870/ (Zugriff: 28.2.2018). Antwerpen. https://amsterdam.pvda.nl/2007/02/14/anton- De Kom, Anton 1935. Wir Sklaven von Surinam. de-kom-heeft-een-waardig-monument/ Moskau/Leningrad. (Zugriff: 28.2.2018). Fava, Rosa 2010. Schwarze Häftlinge im http://www.trouw.nl/tr/nl/4324/Nieuws/ KZ Neuengamme – biografische Notizen und article/detail/1695502/2006/04/25/Weg- Rekonstruktionsprobleme, in: KZ-Gedenkstätte ermee-daar-staat-een-slaaf.dhtml (Zugriff: Neuengamme (Hg.). Zwischenräume. Dis- 28.2.2018). placed Persons, Internierte und Flüchtlinge in ehemaligen Konzentrationslagern. Bremen, http://www.4en5mei.nl/herdenken-en- S. 160–177. vieren/oorlogsmonumenten/achtergronden/ een_jammerlijk_vertroebelde_blik (Zugriff: Kinshasa, Kwando M. 2002. From Surinam 28.2.2018). to the Holocaust: Anton de Kom, a political migrant, in: The Journal of Caribbean History http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/ 36/1, S. 33–68. artikel/25732/geschiedenis-in-de-media.html (Zugriff: 28.2.2018). Onlineversion, Stand 01/2019 Meel, Peter 2009. Anton de Kom and the Formative Phase of Surinamese Decolonization, http://www.waterkant.net/ in: New West Indian Guide/Nieuwe West- suriname/2007/11/05/debat-beeld-anton-de- Indische Gids 83/3–4, S. 249–280. kom/ (Zugriff: 28.2.2018). 150
MOD UL 5 D I DA K T IS CHE R KO M M E NTA R D5 Englischsprachiger Der arabische Judenretter. Der ägyptische dokumentarischer Kurzfilm zu B5.a und F5 Arzt Mohamed Helmy wird postum als (Anton de Kom und Debatte um die Anton „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, in: de Kom-Statue in Amsterdam) Jüdische Allgemeine, 30.11.2017. http://www. juedische-allgemeine.de/article/view/id/29988 https://www.youtube.com/ (Zugriff: 15.12.2017). watch?v=pYupfrdEGyw (Zugriff: 28.2.2018). Gedenktafeln in Berlin: Mod (Mohamed) Weiterführende Helmy. Khartum (Chartum) 25.7.1901–Berlin Literaturempfehlungen zur biografischen 10.1.1982. http://www.gedenktafeln-in-berlin. Darstellung B5.b (Mohamed Helmy) de/nc/gedenktafeln/gedenktafel-anzeige/tid/ mod-helmy/ (Zugriff: 22.9.2016). Avidan, Igal 2017. Mod Helmy. Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo Mülder, Sabine/Mülder, Karsten 2013. rettete. München. Posthum: Yad Vashem ehrt einen Berliner Arzt, der Verfolgten im Naziregime half. Der Steinke, Ronen 2017. Der Muslim und die Jüdin. Internist Dr. Mod Helmy – ein „Gerechter Die Geschichte einer Rettung in Berlin. Berlin. unter den Völkern“, in: KV-Blatt 12, S. 32–33. https://www.kvberlin.de/40presse/30kvb Weiterführende Weblinks latt/2013/12/50_verschiedenes/kvbs.pdf zur biografischen Darstellung B5.b (Zugriff: 21.9.2016). (Mohamed Helmy) Steinke, Ronen 2015. Wie ein Muslim eine Jüdin Avidan, Igal 2013a. Der mutige Doktor Helmy. vor den Nazis rettete, in: Süddeutsche Zeitung, Ägypter bot Jüdin bis zum Ende des Zweiten 9.1.2015. http://www.sueddeutsche.de/ Weltkrieg Unterschlupf, in: Deutschlandradio politik/zweiter-weltkrieg-wie-ein-muslim-eine- Kultur – Aus der jüdischen Welt. http://www. juedin-vor-den-nazis-rettete-1.2294553 (Zugriff: deutschlandradiokultur.de/der-mutige-doktor- 22.9.2016). helmy.1079.de.html?dram:article_id=268297 (Zugriff: 22.9.2016). Yad Vashem o.D. Dr. Mohamed Helmy und Frieda Szturmann. http://www.yadvashem. Avidan, Igal 2013b. Interview mit Irena org/righteous/stories/helmy-szturmann.html Steinfeld. Erstmals Ägypter als „Gerechter unter (Zugriff: 21.9.2016). den Völkern“. https://de.qantara.de/inhalt/ interview-mit-irena-steinfeld-erstmals-aegypter- als-gerechter-unter-den-voelkern (Zugriff: 27.9.2016). Avidan, Igal 2014. Mod Helmy – ein stiller Held, in: Aktives Museum. Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. (Hg.). Onlineversion, Stand 01/2019 Mitgliederrundbrief 71/8, S. 4–5. http://www. aktives-museum.de/fileadmin/user_upload/ Extern/Dokumente/rundbrief_71.pdf (Zugriff: 27.9.2016). 151
MODUL 5 A5 AUF G A B EN Grundlegende Unterrichtseinheit 1 >> Zeitaufwand: 90 Minuten >> Niveau: ab Oberstufe >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 6 Personen HANDLUNGSSPIELRÄUME UND INDIVIDUELLE FORMEN VON WIDERSTAND (1939–1945): ANTON DE KOM UND MOHAMED HELMY A5.a A5.b – Gruppe 2 Zu Hintergrundtext H5 Zu biografischer Darstellung B5.b und Materialien M5.d–f Aufteilen von Hintergrundtext H5 in zwei Klein- gruppen. Fassen Sie die zentralen Aussagen der 1. Unterkapitel H5.a und H5.b für die Gesamt- Lesen Sie die Biografie zu Mohamed Helmy gruppe zusammen. (B5.b) sowie die Materialien M5.d–f. Arbeiten Sie heraus, in welcher Weise Mohamed Helmy im Nationalsozialismus mit A5.b – Gruppe 1 rassistischer Diskriminierung konfrontiert war. Zu biografischer Darstellung B5.a Berücksichtigen Sie dabei folgende Fragen: und Materialien M5.a–c a. Aus welchen Gründen und mit welchen 1. Folgen hatte Helmy dennoch größere Hand- Diskutieren Sie anhand der Biografie zu Anton lungsspielräume als Jüdinnen und Juden, de Kom (B5.a) und Materialien M5.a–c Sinti und Roma oder auch Schwarze mögliche Motive, weshalb sich Anton de Kom Menschen im nationalsozialistischen auf die Seite der Niederländer*innen stellte Deutschland? und aktiv Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht leistete. b. Wie nutzte er diese Handlungsspielräume? 2. 2. Arbeiten Sie heraus, welche Rolle rassistische Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gesamtgruppe Überzeugungen bei seiner Verhaftung durch vor. die deutschen Besatzungsorgane spielten. 3. A5.c Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gesamtgruppe Zu biografischer Darstellung B5.b (im vor. Vergleich zu B5.a) Vergleichen Sie in der Gesamtgruppe die Hand- Onlineversion, Stand 01/2019 lungsspielräume und Widerstandspraktiken von Mohamed Helmy (B5.b) und Anton de Kom (B5.a). 152
MOD UL 5 FO KU S F5 Vertiefende Unterrichtseinheit 2 >> Zeitaufwand: 90 Minuten >> Niveau: ab Oberstufe >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 6 Personen ZUR KONTROVERSE UM DAS ANTON DE KOM-DENKMAL IN AMSTERDAM F5 Fokus b. Welchen Ort würden Sie dafür für geeignet Zu Materialien M5.g–o und M5.a–c halten? 1. c. Wer sollte an der Entscheidung, wie ein Lesen Sie den Infokasten M5.g sowie die Aus- solches Denkmal auszusehen hat, beteiligt schnitte aus der Kontroverse um das Anton sein? de Kom-Denkmal in Amsterdam (M5.h–l). Vergleichen Sie dazu das Foto von Anton de 4. Kom (M5.a) mit der Aufnahme des Anton de Stellen Sie ihre Ergebnisse in der Gruppe zur Kom-Denkmals (M5.m) sowie mit den Denk- Diskussion. mälern für die weißen niederländischen Wider- standskämpfer*innen (M5.n+o). 2. Fassen Sie die Argumente der Kritiker*innen und Befürworter*innen des ausgewählten Denkmals-Entwurfs zusammen. Diskutieren Sie über die verschiedenen Positionen und nehmen Sie selbst Stellung in der Kontroverse. Begrün- den Sie Ihre Entscheidung. 3. Entwickeln Sie auf Grundlage der Debatte ein eigenes Konzept, wie ein Denkmal für Anton de Kom aussehen könnte. Ziehen Sie dazu die Materialien M5.a–c heran. Orientieren Sie sich an folgenden Fragen: a. Woran sollte ein solches Denkmal aus Ihrer Sicht erinnern – an de Koms antikolonialen Widerstand oder an seinen Kampf gegen die nationalsozialistische Besatzung? Onlineversion, Stand 01/2019 153
MODUL 5 H5 H I NT E RG RU N DT EXT 1 >> Für Multiplikator*innen und Zielgruppen HANDLUNGSSPIELRÄUME UND INDIVIDUELLE FORMEN VON WIDERSTAND (1939–1945) 5 H5.a Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem, Interessen an Kolonisierten der Kriegs- sowie Subhas Chandra Bose, der zentrale gegner aus dem Nahen und Mittleren Vertreter des militanten Flügels der indischen 10 Osten sowie dem Maghreb 55 Unabhängigkeitsbewegung. Der Zweite Weltkrieg fand in einer Welt statt, Derartige außen- und kriegspolitische Interes- die noch zu weiten Teilen unter kolonialer Herr- sen des NS-Regimes standen in einem Span- schaft stand. Menschen aus außereuropäischen nungsverhältnis zur rassistischen Ausgrenzung 15 Kolonien waren als Kolonialsoldaten auf Seiten 60 arabischer und indischer Menschen als „farbig“ der Alliierten oder der Achsenmächte, im und damit „artfremd“. Die Bündnispolitik des Widerstand gegen die deutsche Besatzung oder NS-Regimes mit Kolonisierten aus dem Macht- als Kämpfer*innen gegen die eigene Kolonial- bereich der Alliierten stießen zugleich an eine macht am Kriegsgeschehen beteiligt. „rassische“ Grenze, die nicht überschritten 20 65 werden sollte: Aus Sicht des NS-Regimes kamen Im Gegensatz zu Schwarzen Menschen wur- Schwarze Menschen als Bündnispartner nicht in den Menschen aus kolonialen Herrschafts- Frage. oder Einflussgebieten der Alliierten im Nahen und Mittleren Osten sowie dem Maghreb Trotz der außen- und kriegsstrategischen 25 im Zweiten Weltkrieg zu einem Gegenstand 70 Interessen des NS-Regimes an Menschen außen- und kriegspolitischer Interessen des NS- arabischer oder indischer Herkunft waren diese Regimes. Die deutsche Führung wollte – wie im nicht grundsätzlich von rassistischer Ausgren- Ersten Weltkrieg – die Kampfkraft der gegneri- zung verschont. Der deutsche Umgang mit den schen Seite schwächen, indem sie antikoloniale potenziellen Bündnispartner*innen blieb viel- 30 Bewegungen gegen die Alliierten unterstützte. 75 mehr widersprüchlich. So richtete sich die Dabei konzentrierte sie sich auf Regionen mit rassistische Kriegspropaganda (siehe Modul 4) vorwiegend muslimischen Bevölkerungen – nicht ausschließlich gegen Schwarze, sondern z.B. das britische Mandatsgebiet in Palästina bisweilen auch gegen arabische Soldaten. und die britische Kronkolonie Indien, zu der Auch befanden sich unter den Opfern der 35 auch das heutige Pakistan gehörte. Das NS- 80 rassistischen Massaker an der Westfront im Regime verbreitete entsprechende Propaganda Sommer 1940 vereinzelt nordafrikanische unter den Kolonialsoldaten der Alliierten und Kolonialsoldaten und Menschen arabischer bemühte sich, kriegsgefangene indische und Herkunft in Deutschland wurden teilweise aus arabische Kolonialsoldaten zum Überlaufen rassistischen Motiven verfolgt. Gleichwohl 40 auf die deutsche Seite zu bewegen. Wie im 85 blieben ihnen gewisse Handlungsspielräume. Ersten Weltkrieg waren im Zweiten Weltkrieg Onlineversion, Stand 01/2019 Vertreter*innen antikolonialer Bewegungen Verdeutlichen lässt sich die ambivalente an solchen Aktivitäten beteiligt. Mit den Situation arabischer Menschen am Beispiel des Nationalsozialist*innen kollaborierende Arztes Mohamed Helmy (B5.b) aus Ägypten: 45 antikoloniale Akteure waren Mohammed 90 Auf der einen Seite verlor er aufgrund rassis- 154
MOD UL 5 HINT E RGRU NDT E XT H5 1 tischer Anfeindungen seine Anstellung in einem „Geiseln“ von den Deutschen inhaftiert wurden, Berliner Krankenhaus. Auch konnte er seine spielte die Hautfarbe als Haftgrund in der Regel deutsche Verlobte aufgrund der „Rassen- keine maßgebliche Rolle. In den Konzentrations- gesetze” nicht heiraten. Auf der anderen Seite lagern waren Schwarze Häftlinge jedoch mit 5 nutzte er die nationalsozialistische Unterstüt- 50 rassistischen Zuschreibungen konfrontiert. zung des Islamischen Zentralinstituts in Berlin, Bisweilen konnte dies sogar ihre Überlebens- das unter der Schirmherrschaft des Mufti von chancen vergrößern: z.B. im Falle des senega- Jerusalem stand, um eine jüdische Patientin vor lesischen Widerstandskämpfers Dominique der Verfolgung zu schützen. Mendy. Laut eigener Aussagen stellte dieser 10 55 sich gegenüber den SS-Wachleuten im KZ H5.b Neuengamme dumm und bediente damit Widerstandskämpfer*innen of Color verbreitete rassistische Stereotype. Dadurch in deutscher Gefangenschaft sei es ihm gelungen, zusätzliche Essensrationen zu erbetteln. Er musste – ebenfalls einem 15 Neben dem Widerstand „stiller Helfer“ wie 60 Stereotyp gegenüber Schwarzen Menschen Mohamed Helmy lassen sich weitere Wider- entsprechend – als „Diener“ Hausarbeiten standsaktivitäten von People of Color gegen verrichten, wurde rassistisch beschimpft und den Nationalsozialismus nennen. Einige von verprügelt. Doch ermöglichte ihm seine Arbeit, ihnen hatten als Kolonialsoldaten gegen die die Haft zu überleben, war sie doch körperlich 20 Deutschen gekämpft, waren ihrer Gefangen- 65 deutlich weniger kräftezehrend als die nahme entgangen oder aus der Kriegsgefangen- meisten anderen Tätigkeiten, die KZ-Häftlinge schaft geflohen und hatten sich anschließend auszuführen hatten. Auch der in Spanien Widerstandsgruppen im besetzten Europa geborene Schwarze Widerstandskämpfer angeschlossen. Andere waren vor dem Krieg im José Carlos Grey Key wurde als „Diener“ 25 antikolonialen Widerstand aktiv gewesen, bevor 70 eingesetzt. Er hatte zunächst im Spanischen sie im Krieg auf Seiten der Kolonialmacht gegen Bürgerkrieg und später in der französischen die deutsche Besatzungsmacht kämpften. Résistance gekämpft und war deshalb in das Im Zuge der Bekämpfung von Widerstand in KZ Mauthausen gesperrt worden. Zwar war den deutsch besetzten europäischen Ländern er den Schikanen der SS-Wachmannschaften 30 wurden auch People of Color in deutsche 75 ausgesetzt – doch entging auch er zumindest Konzentrationslager verschleppt. Unter der oft todbringenden körperlichen Schwerst- ihnen war Anton de Kom (B5.a) aus der arbeit in anderen Arbeitskommandos. in Südamerika gelegenen niederländischen Kolonie Suriname. Vor dem Zweiten Weltkrieg Ob Anton de Kom dem Rassismus der SS- 35 hatte sich de Kom als antikolonialer Aktivist 80 Wachmannschaften oder auch seiner Mithäft- gegen die niederländische Kolonialherrschaft in linge ausgesetzt war, ist nicht bekannt. Er seinem Herkunftsland engagiert und war des- konnte kein Zeugnis über seine Hafterfahrung halb aus Suriname in die Niederlande abgescho- ablegen, denn er starb am 24. April 1945 in ben worden. Nach der deutschen Besetzung Sandbostel, einem Kriegsgefangenen- und 40 der Niederlande schloss er sich dann dem 85 Auffanglager des KZ Neuengamme. kommunistischen Widerstand gegen die Onlineversion, Stand 01/2019 Besatzungsmacht an. Bei People of Color, die wegen Widerstands 45 gegen die deutsche Besatzung oder als 155
MODUL 5 B5 BI O G R A F I S C H E DARS T E LLU NG 1 B5.a verhaftet und trotz heftiger Proteste, bei denen Anton de Kom (1898–1945) mehrere Personen erschossen oder verletzt wurden, mit seiner Familie in die Niederlande Cornelis Gerhard Anton de Kom kam 1898 im abgeschoben. Dort schrieb Anton de Kom das 5 südamerikanischen Suriname zur Welt, das zu 50 antikoloniale Buch Wij slaven van Suriname jener Zeit – und noch bis in die 1970er-Jahre (dt. Wir Sklaven von Surinam), das 1934 in – eine niederländische Kolonie war. Als Afro- zensierter Fassung in den Niederlanden, 1935 in Surinamer war Anton de Koms Familienge- deutscher Übersetzung in Moskau und ein Jahr schichte eng mit der Geschichte von Kolonialis- später auch in Zürich veröffentlicht wurde. 10 mus und Sklaverei verbunden: Sein Vater, ein 55 Bauer und Goldsucher, war ein Kind, als die Als deutsche Truppen 1940 die Niederlande Sklaverei in Suriname 1863 abgeschafft wurde, besetzten, schloss sich Anton de Kom dem und seine Großeltern mütterlicherseits waren niederländischen Widerstand gegen die aus der Versklavung „freigekauft“ worden. Nationalsozialist*innen an und arbeitete für 15 60 eine kommunistische Untergrundzeitung. Im Nach seiner Ausbildung als Buchhalter war August 1944 wurde er von den deutschen Anton de Kom zunächst als Büroangestellter bei Besatzungsbehörden verhaftet. Zunächst verschiedenen niederländischen Unternehmen sperrte man ihn in das in den Niederlanden tätig. Anfang der 1920er-Jahre ging er dann gelegene deutsche KZ Herzogenbusch (Vught). 20 in die Niederlande, diente dort als Freiwilliger 65 Später wurde er nach Deutschland deportiert. beim Militär und arbeitete anschließend als Nach kurzer Haft im KZ Sachsenhausen bei Vertreter. 1926 heiratete er die weiße Nieder- Oranienburg kam er in das KZ Neuengamme länderin Petronella Catharina Borsboom und und von dort in den letzten Kriegswochen in bekam vier Kinder mit ihr. das Lager Sandbostel bei Bremervörde, das als 25 70 Kriegsgefangenenlager sowie als Auffanglager Anton de Kom engagierte sich in verschiedenen des KZ Neuengamme diente. Anton de Kom linken Organisationen. 1927 nahm er am starb dort am 24. April 1945 – dem Tag, an internationalen „Kongress gegen koloniale dem die ersten britischen Truppen das Lager Unterdrückung und Imperialismus“ in Brüssel erreichten. Erst 1960 wurden Anton de Koms 30 teil, auf dem sich über 170 antikoloniale 75 sterbliche Überreste in einem Massengrab Aktivist*innen aus allen Regionen der Welt entdeckt und auf einem niederländischen sowie zahlreiche prominente Unterstützer*innen Ehrenfriedhof bestattet. trafen. Im gleichen Jahr wurde Anton de Kom erstmals unter dem Vorwurf „aufrührerischer“ Während Anton de Kom in Deutschland weitge- 35 kommunistischer Aktivitäten verhaftet. 80 hend unbekannt ist, gilt er im unabhängigen Suriname als Nationalheld und die Universität Ende der 1920er-Jahre geriet Anton de Kom der surinamischen Hauptstadt Paramaribo ist aufgrund der Wirtschaftskrise und seines nach ihm benannt. Auch in Amsterdam befindet politischen Engagements zusehends in sich seit 1990 eine Plakette und seit 2006 auch 40 wirtschaftliche Not. Im Dezember 1932 reiste 85 ein Denkmal zu seinen Ehren. Letzteres ist er mit seiner Familie zurück nach Suriname und jedoch vor allem von Niederländer*innen Onlineversion, Stand 01/2019 eröffnete dort ein Beratungsbüro, das rasch surinamischer Herkunft heftig kritisiert worden, zur zentralen Anlaufstelle für antikoloniale weil es Anton de Kom halbnackt darstellt. Aktivist*innen wurde. Im Februar 1933 wurde 45 er von der niederländischen Kolonialverwaltung 156
MOD UL 5 B I O GRA F IS CHE DA RS T E LLU NG B5 1 B5.b Gut einen Monat nach Beginn des Zweiten Dr. Mohamed Helmy (1901–1982) Weltkrieges, am 3. Oktober 1939, verhaftete die Gestapo Mohamed Helmy und sperrte ihn in Mohamed Helmy wurde 1901 in Ägypten ein Lager bei Nürnberg. Ägypten war zwar seit 5 geboren. Wie viele Angehörige wohlhabender 50 1922 offiziell selbstständig, es stand aber weiter Familien aus arabischen Ländern ging er Anfang unter britischem „Protektorat“. Aus Sicht des der 1920er-Jahre zum Studieren nach Berlin. NS-Regimes gehörte Helmy daher einem 1929 schloss er sein Medizinstudium ab und „Feindstaat“ an. Das Auswärtige Amt beabsich- 1937 promovierte er. Helmy arbeitete als Arzt tigte zudem, ägyptische Internierte gegen 10 an einem Krankenhaus im Berliner Stadtteil 55 gefangene deutsche Soldaten in Nordafrika aus- Moabit. zutauschen. Helmy wurde nach einigen Wochen entlassen, Anfang 1940 aber erneut Als die Nationalsozialist*innen Anfang 1933 an interniert, weil die deutschen Soldaten, die im die Macht kamen, wurden vor allem jüdische Gegenzug freigelassen werden sollten, noch 15 Menschen Opfer antisemitisch motivierter 60 immer in Gefangenschaft waren. Als Helmys Ausgrenzung und Verfolgung. Aber auch Gesundheitszustand sich verschlechterte, andere Menschen, die als „nichtarisch“ entließ man ihn jedoch wieder aus der Internie- oder „artfremd“ galten, wurden angefeindet rungshaft. und rassistisch diskriminiert. Vor diesem 20 Hintergrund verließen viele Menschen arabi- 65 Seine Tätigkeit als Arzt durfte Helmy zunächst scher Herkunft das nationalsozialistische nicht mehr ausüben. 1942 wurde er dann Deutschland – nur etwa 300 von ihnen blieben. jedoch dazu verpflichtet, einen deutschen Arzt, der zum Militär eingezogen worden war, in Bereits kurz nach dem Machtantritt der Natio- dessen Berliner Praxis zu vertreten. Deutsch- 25 nalsozialist*innen 1933 wurden die jüdischen 70 land ging aus außen- und kriegspolitischen Ärzte aus dem Krankenhaus Moabit, das ab Interessen Bündnisse mit antikolonialen Bewe- 1935 Robert-Koch-Krankenhaus hieß, entlas- gungen aus dem kolonialen Machtbereich sen. Dies ermöglichte Helmy zunächst eine der alliierten Kriegsgegner im Nahen und Beförderung. Jedoch machte er sich bei den Mittleren Osten sowie Nordafrika ein, um die 30 nationalsozialistischen Ärzten, die auf die 75 Kampfkraft der Alliierten zu schwächen. Vor Stelle der entlassenen jüdischen Mediziner diesem Hintergrund blieben nicht jüdische rückten, bald unbeliebt, weil er ihr mangelndes Menschen arabischer Herkunft von der sich Fachwissen kritisierte. Nicht zuletzt aus massiv verschärfenden Verfolgungspolitik des diesem Grund wurde er seitens anderer Ärzte NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg überwiegend 35 im Krankenhaus rassistisch angefeindet – es 80 verschont. wurde behauptet, er sei „Hamit“ und damit 1 „nichtarisch“. Zwar konnte er 1937 noch seine Promotion abschließen, doch wurde sein im 1. „Hamit“: Im Alten Testament ist Ham einer der Söhne von Noah. Er wird verschiedent- selben Jahr auslaufender Arbeitsvertrag nicht lich als dunkelhäutig beschrieben. 40 mehr verlängert und er durfte nicht habilitieren. Die Nationalsozialist*innen entlehnten den In den folgenden Jahren praktizierte Helmy in Begriff aus rassistischen Theorien des Onlineversion, Stand 01/2019 19. Jahrhunderts und wendeten ihn auf die seiner Wohnung als Arzt und betreute vor allem Bevölkerung Nordafrikas, des südlichen jüdische Patient*innen. Arabiens, des Horns von Afrika und des Alten Ägypten an. 157
MODUL 5 B5 BI O G R A F I S C H E DARS T E LLU NG 1 Unter Mohamed Helmys Patient*innen befand sich bereits seit den 1930er-Jahren das jüdische Mädchen Anna Boros, mit dessen Familie er befreundet war. Im März 1942 erhielt Anna 5 Boros, die rumänische Staatsangehörige war, die Anweisung, aus Deutschland auszureisen. Ihre Großmutter war bereits zuvor mit Helmys Unterstützung untergetaucht, und so bat sie ihn um Hilfe. Von 1942 bis 1945 versteckte 10 Helmy Anna Boros teils in einer Gartenlaube, teils bei sich zu Hause und in der Wohnung von Bekannten, selbst als er in den Verdacht der Gestapo geriet. Auch Anna Boros‘ Mutter sowie ihrem Stiefvater half er, indem er sie medizinisch 15 versorgte und sich um ein Versteck kümmerte. Mohamed Helmy ergriff noch weitere Schritte, um Anna Boros zu schützen. Im Juni 1943 organisierte er ihren Übertritt zum Islam. 20 Dabei half ihm ein Bekannter im Islamischen Zentralinstitut in Berlin – und dies, obwohl das Institut weitgehend unter der Kontrolle des NS- Regimes und des mit ihm verbündeten Mufti von Jerusalem stand. Wenig später arrangierte 25 Helmy eine muslimische Hochzeit zwischen Anna Boros und einem ägyptischen Bekannten. Die Heiratsurkunde führte Helmy als Vater der Braut auf und täuschte damit vor, dass Boros ägyptischer Herkunft sei. Welche Rolle diese 30 Täuschungsmanöver bei der Rettung von Anna Boros spielten, lässt sich heute nicht genau beurteilen. Jedenfalls überlebten sie und ihre Familie mit Helmys Hilfe. 35 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lebte Mohamed Helmy weiter in Deutschland und heiratete seine deutsche Verlobte, die er während der NS-Zeit nicht hatte ehelichen dürfen. 1982 starb er in Berlin. 2013 wurde 40 er posthum als erster arabischer Mensch von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Onlineversion, Stand 01/2019 Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. 158
MOD UL 5 M AT E RIA LIE N M5 1 M5.a Undatierte Fotografie von Anton de Kom Das Foto zeigt Anton de Kom in jungen 5 Jahren im Anzug mit Hut, Krawatte, Blume am Revers und Einstecktuch. Onlineversion, Stand 01/2019 Nationaal Archief, Collectie Spaarnestad 159
MODUL 5 M5 MATE R I A LI E N 1 M5.b M5.C Umschlag des Buchs Wir Sklaven Auszüge aus Anton de Koms Buch von Surinam von Anton de Kom, 1935 Wij slaven van Suriname von 1934 5 1934 erschien Anton de Koms 50 Kein besseres Mittel, um das Minderwertig- antikoloniales Buch in einer zensierten keitsgefühl einer Rasse zu wecken, als diesen Fassung in den Niederlanden. Eine Geschichtsunterricht, bei dem ausschließlich deutschsprachige Fassung erschien die Söhne eines anderen Volkes genannt und erstmals 1935 in Moskau. gepriesen werden. […] Kein Volk kann sich vollständig entfalten, das erblich mit einem Minderwertigkeits- gefühl belastet bleibt. Daher soll dieses Buch danach streben, die Selbstachtung der Surinamer aufzuwecken. Aus: De Kom, Anton 2017 [1934]. Wij slaven van Suriname. 13. Auflage. Amsterdam (Übersetzung von Sophia Annweiler) Onlineversion, Stand 01/2019 Buku Bibliotheca Surinamica 160
MOD UL 5 M AT E RIA LIE N M5 1 M5.d Foto von Mohamed Helmy aus dem Jahre 1969 5 Auf dieser privaten Fotografie sind Anna Boros, verheiratet Anna Boros-Gutman (2. von links) und ihre Tochter Carla (ganz links) bei einem Besuch bei Helmy (2. von rechts) und seiner Frau Emmi (ganz rechts) 10 zu sehen. Onlineversion, Stand 01/2019 Yad Vashem Photo Archive, Jerusalem, 10137927, Righteous Among The Nations 161
MODUL 5 M5 MATE R I A LI E N 1 M5.e 2006 ist außerdem ein Anton de Kom- In einer Aussage aus seiner Entschädi- Denkmal in der niederländischen Haupt- gungsakte gab Mohamed Helmy nach dem stadt errichtet worden. Das Denkmal geht Zweiten Weltkrieg Folgendes über rassisti- zurück auf eine Initiative der Bewohner*in- 5 sche Anfeindungen durch Kollegen im 50 nen des Amsterdamer Stadtteils Zuid- Krankenhaus Mitte der 1930er-Jahre an: Oost, in dem eine große surinamische Community lebt. Die Auftraggeber*innen Ein Arzt hat gesagt, man könne nicht mit waren die Gemeinde sowie der Amster- ansehen, dass Dr. Helmy, ein Hamit, deutsche damer Kunstfonds (Fonds voor de Kunst). 10 Frauen behandelt. 55 Vier Künstler*innen wurden eingeladen, Entwürfe einzureichen. Die Jury wurde Zitiert nach Steinke, Ronen 2015. Wie ein Muslim eine vom Zentrum für bildende Kunst im Jüdin vor den Nazis rettete, in: Süddeutsche Zeitung, Stadtteil (Centrum Beeldende Kunst Zuid- 9.1.2015; http://www.sueddeutsche.de/politik/zweiter- weltkrieg-wie-ein-muslim-eine-juedin-vor-den-nazis- Oost) zusammengestellt und bestand rettete-1.2294553 (Zugriff: 22.9.2016) 60 aus Vertreter*innen von EBU-Akdemiya, einer surinamischen Organisation in M5.f Amsterdam, der Arbeitsgruppe Anton de Chefarzt und NSDAP-Parteimitglied Kom, des Amsterdamer Kunstfonds, des Dr. Helmut Dennig äußerte sich Mitte Nationalkomitees 4. und 5. Mai (Nationaal 20 der 1930er-Jahre wie folgt über Helmy: 65 Comitée 4 en 5 mei), der Arbeitsgruppe Anton de Kom, des Projekts Anton de Kom- Herr Dr. H. [= Helmy] konnte sich als Platz sowie Anton de Kom jr. Daneben Orientale nicht an Ordnung, Disziplin und sollte die Öffentlichkeit eine Stimme Berufsauffassung deutscher Ärzte gewöhnen. bekommen. 25 Wir halten es daher nicht für angebracht, ihn 70 mit der Betreuung deutscher Volksgenossen Während die Jury mehrheitlich für den zu beauftragen. Entwurf des surinamischen Künstlers Henry Renfurm gestimmt hatte, wurde Zitiert nach Steinke, Ronen 2017. Der Muslim und die aufgrund des Ergebnisses einer Internet- Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin. Berlin, S. 53 75 Abstimmung letztlich der Entwurf der weißen niederländischen Künstlerin M5.g Jikke van Loon ausgewählt. Diese Wahl Gedenken an Anton de Kom ist vor allem von Niederländer*innen surinamischer Herkunft kritisiert worden. 35 In Deutschland ist Anton de Kom nahezu 80 Zum einen lautete der Vorwurf, dass unbekannt. In Suriname dagegen gilt er das Auswahlverfahren undurchsichtig als Nationalheld. So ist die Universität gewesen sei. Zum anderen wurde dagegen der surinamischen Hauptstadt Paramaribo protestiert, dass das Denkmal Anton de nach ihm benannt und es gibt in der Kom halbnackt darstellt. Anton de Koms 40 Stadt eine Büste von ihm. Auch in der 85 Nachkommen, die den ausgewählten niederländischen Hauptstadt Amsterdam Entwurf befürwortet hatten, baten Onlineversion, Stand 01/2019 befindet sich seit 1990 eine Plakette zu darum, die getroffene Entscheidung zu seinen Ehren. respektieren. 162
MOD UL 5 M AT E RIA LIE N M5 1 M5.h–l gefallen, wenn surinamische Künstler*innen Auszüge aus der öffentlichen Debatte um mit in den Entscheidungsprozess eingebunden das Anton de Kom-Denkmal in Amsterdam worden wären? 5 M5.h 50 https://www.waterkant.net/suriname/2007/11/05/debat- Auszug aus dem Artikel „Debat beeld beeld-anton-de-kom/, übersetzt von Jakob Sieling (Zugriff: 26.10.2017) Anton de Kom“ vom 5.11.2007, www.waterkant.net M5.i 10 Bei der Webseite www.waterkant.net 55 Auszug aus dem Artikel „Geschiedenis handelt es sich um ein Online-Portal, in de media“ von Shirley Haasnoot, in: das sich in erster Linie an Menschen mit Historisch Nieuwsblad 5/2006 surinamischem Hintergrund richtet, die in den Niederlanden leben. Beim Historisch Nieuwsblad handelt es sich 15 60 um eine Zeitschrift, die sich sowohl an ein Die Frage, die im Laufe der Diskussion1 an die historisches Fachpublikum als auch an ein Oberfläche tritt, ist folgende: Was war der Auf- historisch interessiertes breiteres Publikum trag der Künstlerin? Der Auftrag lautete schein- richtet. bar: Mache ein Bild von Anton de Kom, das 20 auch zum Ausdruck bringt, wer er war. Die 65 Es stellt sich […] die Frage, ob niederländische surinamischen Künstler2 taten dies, indem sie Zeitungen mit derselben Gleichgültigkeit von de Kom im Anzug abbildeten, Renfurm3 zeigte einer [entsprechenden] Ehrung für eine*n ihn mit einer Feder in der Hand, die auf sein weiße*n Widerstandskämpfer*in berichtet schriftstellerisches Wirken verweist, de Vries4 hätten. Wie würde wohl über ein Denkmal 25 zeigte ihn mit einer Aktentasche. 70 für die junge Hannie Schaft5 […] mit enorm großen Brüsten, mitten auf einem belebten 1. Gemeint ist eine am 3.11.2007 und damit Platz in der Stadt, geschrieben werden? etwa 18 Monate nach der Enthüllung des Oder über ein Bild [von] Henk van Randwijk6 Denkmals stattgefundene Diskussionsver- mit großen, prominent hervorstechenden anstaltung im „Podium Kwakoe“, einem Ver- anstaltungsforum im Amsterdamer Stadtteil 75 Geschlechtsteilen? Zuid-Oost. 2. Neben dem Entwurf der weißen nieder- 5. Hannie Schaft war eine weiße niederlän- ländischen Künstlerin Jikke van Loon, der dische kommunistische Widerstandskämpfe- für das Denkmal ausgewählt wurde, hatten rin, die am 17.4.1945 nach Verhören unter noch drei männliche Künstler surinamischer Folter in den Dünen des niederländischen Herkunft Entwürfe eingereicht. Ortes Bloemendaal von Angehörigen der 3. Renfurm war einer der drei Künstler deutschen Besatzung ermordet wurde. surinamischer Herkunft, die Vorschläge für 6. Hendrik – kurz Henk – van Randwijk ein Denkmal eingereicht hatten. war ein weißer niederländischer 4. De Vries war einer der drei Künstler Journalist und Autor, der während der surinamischer Herkunft, die Vorschläge für deutschen Besatzungszeit als Journalist im ein Denkmal eingereicht hatten. niederländischen Untergrund tätig war. Onlineversion, Stand 01/2019 Das Publikum fragt sich nun, wer die Entschei- http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/artikel/25732/ dung zugunsten des Bildes von van Loon geschiedenis-in-de-media.html, übersetzt von Jakob 45 getroffen hat. Wäre eine andere Entscheidung Sieling (Zugriff: 7.8.2017) 163
MODUL 5 M5 MATE R I A LI E N 1 M5.j wie ein Kunstwerk verstanden und interpretiert Auszug aus einem undatierten Artikel wird. Die Perspektive des Komitees ist eine „Een jammerlijk vertroebelde blik“ von Form der Wahrnehmung der Wirklichkeit, Annet Zondervan auf der Webseite des allerdings eine sehr einseitige. Für jede*n, 5 Nationalkomitees 4. und 5. Mai 50 die/der etwas über das Leben von Anton de Kom weiß und etwas über die Motive der Bei Annet Zondervan handelt es sich um Künstlerin hört, erzählt das Denkmal eine die Direktorin des Centrum Beeldende andere Geschichte. […] Sie [= Jikke van Loon] Kunst Zuid-Oost und Sekretärin der Jury. holte den Baum2 aus dem surinamischen 10 Sie wählte auf Grundlage der Internet- 55 Landesinneren und ließ das Holz in die Abstimmung den Denkmal-Entwurf Niederlande verschiffen. Eine wunderbare von Jikke van Loon aus. Ihr Artikel ist Reminiszenz [= Erinnerung] an die unfreiwillige veröffentlicht auf der Webseite des Reise von Anton de Kom, welche er unternahm, Nationalkomitees 4. und 5. Mai (Nationaal nachdem er vom Generalstaatsanwalt Van 15 Comité 4 en 5 mei), das alljährlich Gedenk- 60 Haaren 1933 als staatsgefährliche Person feiern und Veranstaltungen anlässlich der „eingestuft“ und zur Ausreise3 genötigt vollständigen Befreiung der Niederlande wurde. […] Inzwischen ist eine polemische von der NS-Besatzung Anfang Mai 1945 Diskussion über ein Denkmal entstanden, organisiert sowie Erinnerungs- und welches wenige Personen überhaupt schon 20 Forschungsarbeit koordiniert und 65 „in Wirklichkeit“ gesehen haben. Die Kraft des unterstützt. mehr als lebensgroßen Bildnisses wird jede*n Zweifler*in überzeugen. Dies ist ein würdiges In einem Pamphlet wird das Denkmal als rassis- Denkmal an würdevoller Stelle für einen sehr tisch diskreditiert; es folgt die Bemerkung „Es außergewöhnlichen und inspirierenden Mann. 25 zeigt, wie Schwarze (an)gesehen werden.“ Anhand einer Miniaturaufnahme des Denkmals werden einige Merkmale des Denkmals als 1. Gemeint ist das Komitee für ein würdiges Anton de Kom-Denkmal (Comité voor een Beweis hierfür angeführt. Die „Nacktheit“ wird waardig monument Anton de Kom), das sich als eine bildliche Darstellung eines „Sklaven lange nachdrücklich für ein Denkmal für Anton de Kom eingesetzt, die ausgewählte 30 oder Eingeborenen“ gesehen. Es ist die Rede Darstellung jedoch scharf kritisiert hatte. von „sehr explizit dargestellten Geschlechts- 2. Gemeint ist der Baum, aus dessen Holz teilen“. […] Außerdem sieht man eine „abge- später das Denkmal geschnitzt wurde. hackte Hand“ als Verweis auf eine „physische 3. Gemeint ist damit die Abschiebung in die Gewaltstrafe für Sklaven“ und einen „missgebil- Niederlande. 35 deten Arm“ als Verweis auf „den Arm eines sich entwickelnden Affen“. […] Ich befürchte, dass das Komitee1 eine jämmerlich verschwommene https://www.4en5mei.nl/oorlogsmonumenten/ achtergronden/een_jammerlijk_vertroebelde_blik, Sicht hat und dass seine Sicht durch die übersetzt von Jakob Sieling (Zugriff: 7.8.2017) leidvolle Geschichte der Sklaverei verwässert wird. […] Die Perspektive bestimmt darüber, Onlineversion, Stand 01/2019 164
MOD UL 5 M AT E RIA LIE N M5 1 M5.k M5.l Auszug aus einem Artikel im Auszug aus dem Artikel „Geschiedenis NRC Handelsblad vom 1.7.2006 in de media“ von Shirley Haasnoot, in: Historisch Nieuwsblad 5/2006 5 Die Künstlerin Jikke van Loon äußerte sich 50 laut dem NRC Handelsblad vom 1.7.2006 Die Künstlerin Jikke van Loon erklärte in „Het wie folgt: Parool“ vom 7.4.2006, dass sie das Bild von de Kom mit einem Baum kombiniert hat. „Das ist Ich finde nicht, dass es eine Rolle spielt, ob es eine Art heiliges Symbol, womit ich die Wärme 10 um ein Nacktbild geht oder nicht. Ich stelle sein 55 und den Stolz von de Kom zeigen möchte.“ [= Anton de Koms] Gedankengut dar, indem ich Darum ist de Kom nackt und seine Hand noch mich des Mittels der Darstellung des menschli- unfertig. Das „Komitee für ein würdiges Denk- chen Körpers bediene. mal für Anton de Kom“ hat Recht, wenn es seinen Widerstandshelden nicht als einen https://www.nrc.nl/nieuws/2006/07/01/omstreden- 60 nackten Urmenschen, der aus einem Baum her- beeld-moet-weg-11155259-a330345, übersetzt von Jakob vorwächst, sehen möchte. „Selbst André Hazes1 Sieling (Zugriff: 15.05.2018) ist im Anzug abgebildet!“, riefen die Demons- trant*innen [bei einer Demonstration gegen das ausgewählte Anton de Kom-Denkmal] laut „Het 65 Parool“ vom 25.4.2006. Auch Anton de Kom verdient einen Anzug. http://www.historischnieuwsblad.nl/nl/artikel/25732/ geschiedenis-in-de-media.html, übersetzt von Jakob Sieling (Zugriff: 7.8.2017) 1. André Hazes ist ein bekannter niederlän- discher Volksmusiker und Schlagersänger. Onlineversion, Stand 01/2019 165
MODUL 5 M5 MATE R I A LI E N 1 M5.m schnitzt und von schwarzer Farbe. Fotografie des Denkmals für den Es stellt Anton de Kom stehend mit Widerstandskämpfer Anton de Kom in der nacktem Oberkörper dar. Der rechte niederländischen Hauptstadt Amsterdam Arm ist angewinkelt, der linke Arm hängt 5 50 herab. Die Arme erscheinen unfertig, Das 2006 eingeweihte Denkmal von Jikke der Unterkörper geht in den nur grob van Loon ist aus einem Baumstamm ge- behauenen Baumstamm über. Foto: Richardkiwi – Wikipedia, CC-byCA, 2017 Onlineversion, Stand 01/2019 166
MOD UL 5 M AT E RIA LIE N M5 1 M5.n enge Freundin von Hannie Schaft gewesen Fotografie des Denkmals für die war. Hannie Schaft trägt ein Kleid und setzt Widerstandskämpferin Hannie Schaft im sich mit weit ausgebreiteten Armen gegen niederländischen Haarlem die durch abstrakte Formen dargestellte 5 50 deutsche Besatzungsmacht zur Wehr. Die Bronzefigur wurde 1982 von der Bild- Der Text auf der Plakette am Sockel lautet: hauerin und ehemaligen Widerstands- „Frau im Widerstand / 1940–1945 / kämpferin Truus Mengen geschaffen, die Hannie Schaft“. während der Zeit des Widerstandes eine Onlineversion, Stand 01/2019 Foto: Familieman 167
MODUL 5 M5 MATE R I A LI E N 1 M5.o „Hendrik Mattheus van Randwijk / Fotografie des Denkmals für den Gonrinchem 09–11–1909 / 13–05–1966 / Widerstandskämpfer Hendrik (Henk) van Lehrer / Schriftsteller / Journalist / Randwijk im niederländischen Gorinchem Mitglied des Widerstandes“. Auf der 5 50 anderen Seite, die der Rückseite eines Das von Henk van Bennekum entworfene Buchumschlags ähnelt, befindet sich ein und realisierte Denkmal aus Metall wurde Auszug aus einem Gedicht von Hendrik van 2013 enthüllt. Es erinnert an ein halb Randwijk. Die Inschrift lautet: aufgeschlagenes Buch mit abgerundeten 10 unteren Ecken, das mit dem Buchrücken 55 „Alle, die hier beisammen sind, nach oben auf dem Boden liegt. Eine hört den Bericht: Außenseite, die der Vorderseite eines Wir stehen gemeinsam vor Gericht Buchumschlags nachempfunden ist, zeigt Uns für gut oder schlecht zu entscheiden. ein Porträt von Hendrik van Randwijk. Es Ein Volk, das einem Tyrannen nachgibt, 15 ähnelt dem Negativ eines Fotos und stellt 60 wird mehr als Leib und Gut verlieren, van Randwijk mit Brille sowie mit Schlips dann erlischt das Licht“. und Kragen dar. Die in die Metallplatte eingestanzte Beschriftung lautet: (Übersetzungen von Sophia Annweiler) 65 70 75 80 Entwurf, Umsetzung und Foto des Denkmals: Henk van Bennekum, 2013 Onlineversion, Stand 01/2019 168
MOD ULE 1 B IS 5 GLO S SA R Antisemitismus/antisemitisch gegen Sinti und Roma prägten schon seit dem Der Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Be- 19. Jahrhundert das staatliche Handeln und griff Antisemitismus bezeichnet rassistische die gesellschaftliche Haltung in Deutschland. Formen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen Die Nationalsozialist*innen begannen nach und Juden. Während andere rassistisch der Machtübernahme mit der systematischen diskriminierte Gruppen vor allem als minder- Erfassung dieser Bevölkerungsgruppen. Das wertig erachtet werden, werden Jüdinnen und „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach- Juden im Antisemitismus auch als mächtig und wuchses“ vom 14. Juli 1933 und die „Nürnber- deshalb bedrohlich dargestellt. Antisemitismus ger Rassengesetze“ 1935 bildeten die Grund- war von zentraler Bedeutung für die Ideologie lage für die rassistische Ausgrenzung und Ver- und Politik der Nationalsozialist*innen und folgung sowie für Zwangssterilisationen und wurde durch „Rassengesetze“ (z.B. die den Massenmord an Sinti und Roma im „Nürnberger Rassengesetze“) im national- Nationalsozialismus. sozialistischen Rechtssystem verankert. Im Zweiten Weltkrieg mündete die antisemitisch begründete Entrechtung im nationalsozialisti- „Arier“/„arisch“/„Arisierung“/ schen Massenmord an über sechs Millionen „Ariernachweis“ europäischen Jüdinnen und Juden. Die Nationalsozialist*innen vertraten die Vor- stellung, dass es höherwertige und minder- wertige „Rassen“ gebe. Ihrer Ideologie zufolge Antislawismus/antislawisch bildeten die „Arier“, zu denen sie die meisten Bereits im 19. Jahrhundert war Antislawismus – nicht jüdischen Deutschen zählten, die auch Slawenfeindlichkeit genannt – in höchststehende „Rasse“. Neben die Bezeich- Deutschland als eine Form des Rassismus weit nung „arisch“ trat ab 1935 auch „deutsch- verbreitet. Darunter ist die Diskriminierung und blütig“. Mit dem „Ariernachweis“ mussten Verfolgung von Menschen osteuropäischer bestimmte Berufsgruppen – insbesondere Herkunft zu verstehen, die durch rassistische Beamte und Angestellte des öffentlichen Zuschreibungen als Angehörige einer „slawi- Dienstes – im nationalsozialistischen Deutsch- schen Rasse“ angesehen werden. „Slawen“ land ihre Herkunft nachweisen und wurden wurden als minderwertig erachtet und es wurde in entsprechende Kategorien eingeteilt: Als ihnen die Fähigkeit zur Kultivierung von Land „nichtarisch“ bzw. „artfremd“ geltende abgesprochen. Antislawismus spielte in der Personen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und nationalsozialistischen Ideologie und Politik eine Roma und People of Color wurden vor dem wichtige Rolle, insbesondere für die Rechtferti- Hintergrund dieser Ideologie aus bestimmten gung des Angriffskrieges gegen die Sowjet- Berufsfeldern ausgeschlossen („Arisierung“), union, die Annexion osteuropäischer Regionen entrechtet und ausgegrenzt. für deutsche Siedlungsprojekte und die unmenschliche Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. „Artfremde“/„artfremd“ Die rassistische Ideologie der Nationalsozialis- t*innen ging davon aus, dass es höher- und Onlineversion, Stand 01/2019 Antiziganismus/antiziganistisch minderwertige „Rassen“ gebe. Dabei stand Als Antiziganismus wird die Diskriminierung der Personengruppe, die als „deutschblütig“ und Verfolgung von Menschen bezeichnet, die bzw. „arisch“ galt, die höchste Stellung zu. In als „Zigeuner“ stigmatisiert werden. Vorurteile „Rassengesetzen“ wurde geregelt, wer nicht 169
MODULE 1 BI S 5 GLO S SA R zu dieser Gruppe gehörte. Jüdinnen und Entente-Mächte/Entente Juden, Roma und Sinti und People of Color Als Entente-Mächte oder Entente wurden die wurden auf dieser Grundlage als „artfremd“ im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland kämp- bzw. „nichtarisch“ bezeichnet, diskriminiert fenden Staaten Großbritannien und Frankreich und verfolgt. – und bisweilen auch deren Verbündete – bezeichnet. Askari Askari ist eine zeitgenössische Bezeichnung „Exotik“/„exotisch“/Exotisierung für Soldaten vorwiegend afrikanischer Her- Die Begriffe werden zur Bezeichnung meist kunft, die in den Kolonialgebieten im Dienst außereuropäischer, nicht westlich geprägter europäischer Großmächte standen. Der Be- Regionen und Menschen verwendet, um griff wurde von dem Swahili-Wort für Soldat die ihnen zugeschriebene „Fremdheit“ übernommen und bezieht sich im deutschen hervorzuheben. „Exotik“ verweist also auf die Sprachgebrauch insbesondere auf afrikanische Vorstellung kultureller oder auch „rassischer“ Kolonialsoldaten in der Kolonie „Deutsch-Ost- Unterschiede. Exotisierung betont den Vorgang, afrika“ (heute Ruanda, Burundi und Tansania in dem diese Unterscheidung getroffen ohne Sansibar). Siehe auch „treuer Askari“. wird. Trotz der Ähnlichkeiten zu kolonialen Rassismen kann Exotisierung aber auch mit einer Wertschätzung, mit Sehnsüchten und „deutschblütig“ einem Begehren verbunden sein, die der Siehe „Arier“/„arisch“/„ Arisierung“/ rassistischen Abgrenzung und Abwertung „Ariernachweis“. entgegenlaufen. „Eingeborene“ „Farbige“/„farbig“ Die deutsche Kolonialmacht kategorisierte die Der Begriff hat seinen Ursprung in der Kolonial- kolonisierten Bevölkerungen als „Eingeborene“, zeit und bezeichnete alle Menschen, die nicht womit sie zugleich den Europäer*innen unter- als weiß angesehen wurden. Auch im National- geordnet werden sollten. „Eingeborene“ waren sozialismus wurde der Begriff in diesem Sinne zwar Untertan*innen des deutschen Staates, verwendet. Unter anderem galten Menschen doch wurden ihnen die deutsche Staatsbürger- afrikanischer, indischer, arabischer, chinesi- schaft und die sich daraus ergebenden Rechte scher und japanischer Herkunft als „farbig“. vorenthalten. In den kolonisierten Gebieten Die Bezeichnung von Menschen als „farbig“ waren sie einer eigenen Rechtsprechung bedeutet gleichzeitig, dass weiß als Normalzu- unterstellt. In einigen Kolonien – darunter stand aufgefasst wird. Siehe People of Color. in „Deutsch-Südwestafrika“ (dem heutigen Namibia) – war ihnen ab Anfang des 20. Jahrhunderts die Eheschließung mit Deutschen „Gemeinschaftsfremde“/ untersagt. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden „gemeinschaftsfremd“ 1907 „Eingeborenenverordnungen“ erlassen, Mit diesem Begriff wurden Personen Onlineversion, Stand 01/2019 mit denen die Rechte der Kolonisierten weiter bezeichnet, die aus rassistischen, sozialen eingeschränkt wurden. Unter anderem wurde oder politischen Gründen aus der national- „Eingeborenen“ das Recht auf Freizügigkeit und sozialistischen „Volksgemeinschaft“ ausge- das Recht auf Landbesitz entzogen. grenzt wurden. Siehe „Volksgemeinschaft“. 170
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