Münchner Stadtgespräche - =Papier Wald - Umweltinstitut München
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Nr. 64 Dezember 2012 www.muenchner-stadtgespraeche.de Münchner Stadtgespräche Papier Das graue Vergessen Warum kauft niemand mehr = Recyclingpapier? Wald Papier-Labels Gutes Papier erkennen Der Deutsche Wald Urwald ja, aber nicht bei uns? Recyclingpapier schützt die Umwelt. Warum haben wir das vergessen?
die seite zwei aus dem referat für gesundheit und umwelt Die Papierwende macht Schule Recyclinghefte sind gut für das Klima. I n den 90er-Jahren war Umweltschutz „in“. Schulhefte aus Recy- Die Schülerinnen und Schüler werden auf eine Reise in den kana- clingpapier waren damals noch grau, und trotzdem – oder viel- dischen Regenwald mitgenommen. Deutschland bezieht rund 20 Pro- leicht gerade deshalb – kauften rund 70 Prozent aller Schü- zent seines Zellstoffs aus Kanada. Kanadas Bedeutung als Zellstoffliefe- lerinnen und Schüler solche Hefte, um die Umwelt zu schützen. rant hat gravierende Auswirkungen auf seine Wälder. Die Kinder werden Heute machen von den bundesweit etwa 200 Millionen Schulhef- so über den Zusammenhang von Papierverbrauch und Umweltzerstö- ten die umweltfreundlichen Varianten aus Recyclingpapier nur noch rung informiert und sollen auf diese Weise dazu motiviert werden, Re- maximal zehn Prozent aus. cyclingpapier zu verwenden. Um den Kauf zu erleichtern, erstellt Pro Dabei schützt Recyclingpapier nicht nur die Wälder vor der Zerstö- REGENWALD jedes Jahr eine Liste von Münchner Geschäften, die Re- rung. Für die Herstellung von Schulheften aus recycelten Fasern wird cyclinghefte mit dem Blauen Engel verkaufen. Auch die Internetplatt- auch weniger Energie und Wasser benötigt. Doch wer heute ein Recy- form www.heftefinder.de wird von dem Verein betreut. clingheft kaufen will, muss oft weite Wege gehen. Der Einzelhandel bie- 4. Münchner Recyclingheft-Wettbewerb tet Recyclingprodukte kaum noch an, angeblich weil die Verbraucher umweltfreundlichere Produkte selten nachfragen. Stellt sich natürlich Das Pädagogische Institut des Referats für Bildung und Sport der Lan- die Frage, warum die Hersteller dann Hefte aus frischem Zellstoff mit deshauptstadt München versendet seit vier Jahren an alle öffentlichen Siegeln auf den Markt gebracht haben, die genau diesen Anschein er- Grundschulen in München für jeden der rund 10.000 ABC-Schützen ein wecken sollen: umweltfreundlich zu sein. Die Labels Aqua pro Natu- Recyclingheft, das von der memo AG gespendet wird. Die Bezugsliste ra und Weltpark Tropenwald, die sich auf vielen Heften finden, besagen von Pro REGENWALD und ein Faltblatt der „Papierwende“ gibt’s dazu. aber lediglich, dass das Papier nicht mit Chlor gebleicht wurde und das In diesem Schuljahr führt das Pädagogische Institut zudem den 4. Holz oder der Zellstoff nicht aus den Tropen stammt. Laut Verbraucher- Münchner Recyclingheft-Wettbewerb durch. Gewinner ist die Schule, in zentrale Bayern schließt das aber nicht einmal aus, dass für dieses Pa- der die meisten Schülerinnen und Schüler Recyclinghefte verwenden. pier Bäume aus nordischen Urwäldern gefällt werden. Die Siegerschule erhält 1000 DIN A4-Recyclinghefte, für den zweiten bis fünften Platz gibt es insgesamt noch einmal 1300 Hefte, über die Papierwende in Bayern sich die Umwelt freut. Umwelt- und Verbraucherverbände wie Greenpeace, der Münchner Ver- Die Fachkoordination Umweltschutz für die Münchner Schulen ein Pro REGENWALD, die Verbraucherzentrale Bayern und weitere Un- schreibt darüber hinaus immer wieder alle Schulen an und bittet da- terstützer haben sich zur „Papierwende in Bayern“ zusammengeschlos- rum, sich für die Verwendung von Recyclingheften einzusetzen. 2012 sen. Das Ziel ist ein sparsamer Umgang mit dem Rohstoff Papier. Der erhielt jede Schule fünf bis zehn solcher Hefte, um die gute Qualität zu Papierverbrauch soll gesenkt, die Nachfrage nach Recyclingpapier ge- demonstrieren und das Vorurteil vom „grauen Papier“ zu widerlegen. fördert werden. Und das Angebot von Schul- und Büromaterialien aus Auf dass Recyclinghefte auch an den Schulen wieder „in“ werden. Recyclingpapier soll erhalten und ausgebaut werden. Koordiniert wird die „Papierwende in Bayern“ von Pro REGENWALD. Pro REGENWALD und die Verbraucherzentrale bieten Schulen in München Unterrichtseinheiten an: „Ein Schulheft macht sich auf den Text: Franz Hammerl-Pfister Weg“ heißt eine der Geschichten. Sie erzählt, woraus Papier hergestellt Referat für Bildung und Sport wird und woher die Rohstoffe nach Deutschland kommen. Foto: Fotolia Kontaktadressen Fachkoordinator Umweltschutz für Münchner Schulen Pro REGENWALD e.V., Papierwende Franz Hammerl-Pfister Frohschammerstr. 14, 80807 München Referat für Bildung und Sport, Tel.: (089) 359 86 50, Fax: (089) 359 66 22 Pädagogisches Institut Fachbereich 4 E-Mail: papier@wald.org Tel.: (089) 233-27328, Fax: (089) 233-22108 Ansprechpartnerin: Simone Hörner E-Mail: franz.hammerlpfister@muenchen.de www.pro-regenwald.de, www.heftefinder.de
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, kaum ein Material kommt so häufig in unserem Alltag vor wie Papier: von der Tageszeitung über Schulhefte oder Einkaufszettel bis hin zum Toilettenpapier. Dass der Rohstoff für diese Produkte lebendigen Ursprungs ist – genauer gesagt aus Bäumen gewonnen wird – vergegenwärtigen wir 04 uns viel zu selten. Vermutlich ist das auch einer der Gründe, weshalb unser Papierverbrauch massiv gestiegen ist. Nicht nur, dass Deutschland heute 50 Prozent mehr Papier verbraucht als noch vor 40 Jahren. Mit knapp 250 Kilo Papier pro Jahr belegen wir im weltweiten Pro-Kopf-Verbrauchsranking den unrühmlichen fünften Platz. Ein Armutszeugnis für das umweltbewusste Deutschland. Denn die Verschwendung hat fatale Folgen für Wälder, Gewässer, Klima und nicht zuletzt für die Menschen und Tiere, die in und von den Urwäldern dieser Erde leben. 08 Mit diesem Heft wollen wir nicht nur auf die enorme Papierverschwendung aufmerksam machen, sondern vor allem zeigen, wie verantwortungsbewusster Konsum möglich ist. Eine spannende Lektüre wünscht Katja Bachert 14 Inhalt 02 Die Papierwende macht Schule Recyclinghefte sind gut fürs Klima 12 Poster: Papier in Zahlen Eine Übersicht zum Herausnehmen 04 Das graue Vergessen Umweltpapier bedeutet Umweltschutz – eine Erinnerung 14 Urwald ja, aber nicht bei uns? Der Wald – Rohstofflieferant und Lebensraum 06 Recyclingpapier, die bessere Wahl Vorurteile gegen Altpapier und Gegenargumente 17 Papierherstellung Recyclingpapier versus Frischfaserpapier 07 Papier bei der Stadt München Stadtrat beschließt 100 Prozent Recyclingpapier 18 Das Papier-Massaker Die Folgen unseres Papierverbrauchs 08 Gutes Papier erkennen Welche Papier-Labels gibt es und was sagen sie aus 20 Dasselbe in Grün Interview mit der ökologischen Druckerei ulenspiegel druck 10 Jedes Buch ein Baum Recyclingpapier in der Literaturindustrie 22 Wider die Verschwendung Für weniger Papier und mehr Lebensqualität
graue Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Das Vergessen Umweltpapier bedeutet Umweltschutz – eine Erinnerung E s ist noch nicht lange her, da zogen wird es leider im Verhältnis zu Frischfaserpa- sich die Online-Portale mit Schnäppchenan- die Schulkinder – und zwar nicht nur pier weniger als damals. Zwar liegt der Einsatz geboten. Bestellt wird wie verrückt und zwar in Waldorf- und Montessorischulen – von Recyclingpapier bei rund 70 Prozent, doch auf Kosten der Umwelt. Denn durch den On- ausschließlich Hefte aus Recyclingpapier aus unser Gesamtpapierverbrauch steigt seit Jah- line-Versandhandel entstehen nicht nur jede ihrem Ranzen. Die Schulbücher waren in Zei- ren kontinuierlich an. Für den Großteil werden Menge Transportemissionen, sondern auch tungspapier gewickelt. Und wenn Eltern ihr nach wie vor wertvolle Urwälder in Brasilien, Berge an Verpackungsmüll. Die Verpackungen Kind doch mal mit einem weißen Frischfaser- Kanada und Skandinavien gerodet. Zahlen der bestehen zwar zum großen Teil aus umwelt- block ausstaffierten, gab es von der strickbe- Naturschutzorganisation Robin Wood belegen, freundlichem Altpapier. Doch Hand aufs Herz: mäntelten Klassenlehrerin einen Rüffel. dass sich der Papierkonsum im Laufe der ver- Wie umweltschonend kann der unnötige Ver- Der Konsens darüber, dass Wälder nicht gangenen 40 Jahre fast verdoppelt hat. Ver- brauch eines Rohstoffs überhaupt sein? nur Holzstofflieferanten sind, sondern vor brauchten wir 1970 noch 126 Kilo pro Kopf allem Lebensräume für unzählige Pflanzen pro Jahr, waren es 2010 bereits 248 Kilo. Da- Eine vernünftige Schlussfolgerung kann also und Tiere, den es zu schützen gilt, hatte in den mit liegen wir 200 Kilo über dem Weltdurch- nur lauten: Wir müssen weniger Papier ver- 1980er und 90er-Jahren in der Breite der Ge- schnitt. brauchen und wenn, dann Recyclingpapier. sellschaft Bestand. Das lag zum einen an der Die digitale Revolution hat an unserem Leider tun ausgerechnet wir Deutsche, die Bedrohung der heimischen Wälder durch den gewaltigen Papierverbrauch nichts geän- wir uns so viel auf unser Umweltbewusstsein sauren Regen und zum anderen an der zuneh- dert. Auch wenn die E-Mail den physischen einbilden, uns mit einfachen Lösungen wie der menden weltweiten Urwaldrodung. Brief abgelöst hat und die ersten Printmedi- Nutzung von Recyclingpapier überraschend Mit Slogans wie „Erst stirbt der Wald, dann en wie die Frankfurter Rundschau, die Finan- schwer. Dabei hat sich an den positiven Aus- der Mensch“ machte die Umweltbewegung cial Times Deutschland oder das Stadtmaga- wirkungen von Recyclingpapier für Wälder, auf das Waldsterben aufmerksam. Man war zin Prinz von der Internet-Konkurrenz abgelöst Wasser und Klima seit den 1980er-Jahren sich einig: Wer Recyclingpapier kauft, schont wurden, steigt unser Papierverbrauch unge- nichts geändert. Vor allem das leicht grau ge- Wälder und Wasser. Dass das Papier grau und bremst weiter an. Zwar hat sich vor allem die färbte Umweltschutzpapier – ist IMMER die nicht weiß war, störte niemanden. Im Gegen- tagesaktuelle Kommunikation und Medienbe- bessere und umweltfreundlichere Wahl. Wieso teil, so konnte man damit doch zeigen, dass richterstattung ins Internet verlagert, Anhänge verwenden wir es dann heute so ungern? man mit seiner Kaufentscheidung zum Schutz und Artikel werden jedoch keineswegs aus- Der Tropfen auf den der Wälder beiträgt. schließlich am Computer gelesen, sondern oft heißen Stein? ausgedruckt. Zudem ist durch das Internet ein Und heute? Markt entstanden, der zusätzlich Unmengen Im Schatten havarierender Atomkraftwerke Recyclingpapier gibt es inzwischen in allen nur an Papier verbraucht: der Online-Versandhan- und Ölplattformen, schmelzender Pole sowie erdenklichen Weiß- und Grautönen, gekauft del. Gerade vor Weihnachten überschlagen Jahrhundertdürren und -überschwemmungen
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 erscheint der Griff zum Umweltpapier offen- len Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht Wir alle können etwas tun! bar vielen Menschen als zu kleiner Tropfen klar, dass es einen eklatanten Unterschied Auch für private Konsumentinnen und Kon- auf den heißen Stein des Klimawandels. Nicht zwischen Recycling- und FSC- oder PEFC-Pa- sumenten ergibt sich absolut kein Nachteil wenige haben den Eindruck, dass es keinen pier gibt. durch Recyclingpapier. Selbst wer beim Pa- Unterschied macht, ob sie nun Recycling- Recyclingpapier wird aus alten Papierfa- pierkauf Wert auf eine blütenweiße Farbe legt, Toilettenpapier oder das dreilagige Frischfa- sern, also „Abfall“ gewonnen. Die Fasern kön- kann diese Papiere längst in Recyclingqualität serpapier kaufen. nen bis zu sieben Mal wiederverwendet wer- bekommen. Allerdings muss man hier beach- Doch das ist ein Irrtum. Die Papierin- den. Die meisten Papier-Siegel garantieren ten, dass das graue Umweltschutzpapier am dustrie ist beileibe keine unbedeutende Ni- jedoch lediglich, dass das Holz für die Papier- empfehlenswertesten ist. Denn um den Grau- sche, sondern ein Weltmarkt, der floriert – fasern aus nachhaltiger Forstwirtschaft gewon- schleier, der auf Tintenpartikel der bedruck- Tendenz steigend. Ausgerechnet der Zellstoff nen wird. Auch sie sind natürlich immer noch ten Fasern zurückgeht zu entfernen, müssen für Toilettenpapier und andere Einwegpro- umweltfreundlicher als der Großteil des Frisch- die Fasern im so genannten Deinking-Prozess dukte wird nur noch zu 50 Prozent aus Re- faserpapiers, dessen Holz völlig ohne Kontrol- gebleicht werden. Und dafür braucht man cyclingpapier gewonnen. Besonders deutlich le und Umweltschutzauflagen geschlagen und nach wie vor Chemie. (siehe S. 17) wird das Ausmaß der Verschwendung, wenn verarbeitet wird. Den weit größeren Beitrag Doch ob grau oder weiß – Recyclingpapier man sich bewusst macht, woher das Holz für zum Umweltschutz leistet jedoch echtes Re- ist immer die beste und umweltfreundlichste den Zellstoff kommt: nämlich aus den Urwäl- cyclingpapier, wie es das Umweltzeichen „Der Wahl. Denn es schont nicht nur die Wälder dern dieser Erde. Der Klimawandel steht also Blaue Engel“ verspricht. (siehe S. 8 und 9) und Urwälder dieser Erde, sondern auch die durchaus mit unserem Papierverbrauch in Zu- Gewässer und es spart Energie. Vorurteile gegenüber sammenhang. Wenn wir konsequent Produkte Recyclingpapier aus Recyclingpapier kaufen, würde der Bedarf Wer insgesamt Papier spart, Recyclingpapier an Frischholz deutlich zurückgehen. Auf die- Das Gros der Verlage, Druckereien und Unter- nutzt und darüber spricht, leistet einen wert- se Weise würden Wälder geschont und damit nehmen ist immer noch der Meinung, Recy- vollen Beitrag zu Klima- und Artenschutz und mehr klimaschädliches CO2 gebunden. clingpapier belaste Drucker und Kopierer über- trägt außerdem dazu bei, dass das graue Ver- mäßig. Auch die Angst, Kunden könnten sich gessen ein Ende hat. FSC steht nicht für vom grauen Papier abgestoßen fühlen, wird Recyclingpapier vorgeschoben. Dass dies völliger Unsinn ist, Auch seit dem Aufkommen der Zertifikate für beweisen ökologische Druckereien und Ver- nachhaltige Forstwirtschaft, wie FSC- und lage, die auf Recyclingpapier umgestellt ha- Text: Katja Bachert PEFC-Labels, scheint die Nachfrage nach Re- ben und mit ihrer umweltfreundlichen Strate- Foto: Fotolia cyclingpapier zurückzugehen. Offenbar ist vie- gie sehr erfolgreich sind. (siehe S. 10 und 20)
Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Recyclingpapier, die bessere Wahl Egal, wo man nachfragt – ob in Papierläden, Copy Shops, bei Verlagen oder Verbrauchern – immer wieder stößt man auf die selben Vorurteile gegenüber Recyclingpapier. Die meisten Irrtümer stammen aus den 1970er-Jahren, als das Altpapier noch recht rau daherkam. Dabei kann Recyclingpapier längst mit Frischfaserpapier mithalten. Ist Recyclingpapier teurer als Frischfaserpapier? dem Qualitätssiegel „Der Blaue Engel“ nach DIN 6738 der höchsten Nein! Hochwertige Recyclingpapiere sind in der Regel 5 bis 15 Prozent Lebensdauerklasse und erreichen bei sachgemäßer Lagerung eine vo- günstiger als vergleichbare Frischfaserqualitäten, sofern man die glei- raussichtliche Haltbarkeit von mehreren hundert Jahren. chen Einkaufsmengen zugrunde legt. Gibt es speziellere Produkte auch aus Recyclingpapier? Hat Recyclingpapier eine schlechtere Umweltbilanz als Frisch- Ja! Mittlerweile gibt es fast alle Papierartikel auch als Recyclingpa- faserpapier? pier-Variante. Dass manche Produkte aus Recyclingpapier nicht immer Im Gegenteil: Der Energie- und Wasserverbrauch sind deutlich nie- leicht zu finden sind, liegt vielmehr an der sinkenden Nachfrage und driger, die Emissionen sinken, der (Ur-)Wald wird geschont. Ein wei- dem Teil des Handels, der kein Interesse an der Vermarktung von Re- terer Vorteil einer vermehrten Recyclingpapier-Nutzung läge in der ver- cyclingpapier zeigt. brauchsnahen Produktion. Heute wird jedoch fast die Hälfte des in Deutschland umweltfreundlich produzierten Recyclingpapiers expor- Verschleißen Geräte durch Recyclingpapier stärker? tiert, während im Gegenzug oft unter fragwürdigen Bedingungen pro- Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig, obwohl es längst überholt ist. Gab duzierte Primärfaserpapiere importiert werden. es bei früheren Recyclingpapieren Verschmutzungen durch Staubent- wicklung, hat sich die Qualität in den vergangenen Jahrzehnten konti- Fällt das Farbergebnis auf Recyclingpapier weniger gut aus? nuierlich verbessert. Bei einigen Unternehmen haben sich die Probleme Nein! Ökologische Verlage und Druckereien beschreiben die Bildqualität sogar verringert, seitdem sie Recyclingpapier verwenden. auf Recyclingpapier als durchweg sehr gut. Entscheidend für ein gutes Farbergebnis ist die richtige Materialkombination, insbesondere die Ab- Schadet die Verwendung von Recyclingpapier dem Firmenimage? stimmung der Druckfarben auf die Papiersorte. Zudem ist Recyclingpa- Ganz im Gegenteil! Sehr viele Kunden honorieren die Verwendung von pier inzwischen in zahlreichen Grauabstufungen erhältlich, bis hin zu fast Recyclingpapier als Pluspunkt. Zahlreiche Firmen und öffentliche Insti- weißem Papier. tutionen können dies in langjähriger Erfahrung bestätigen. Ist Recyclingpapier nicht alterungsbeständig? Doch! Die Alterungsbeständigkeit hängt von der Papierherstellung und Text: Ruth Böcher nicht vom Rohstoff ab. Deshalb entsprechen gute Recyclingpapiere mit Foto: Fotolia
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 Umweltpapier bei der Stadt München Um die angestrebte Recyclingpapier-Quote von nahezu 100 Prozent zu erreichen, führte der Münchner Stadtrat 2011 eine Recyclingpapier-Pflicht für die städtische Verwaltung ein. Damit leistet die Stadt einen wichtigen Beitrag zur Schonung der Ressourcen und zeigt lokalen Unternehmen, dass aktiver Umweltschutz möglich ist. S o gestrig der Spitzname Papiertiger an- Nach Umfragen fand die zentrale Vergabestelle, Dieser geht einen großen Schritt weiter: So gesichts digitaler Kommunikation wie die die Papierbeschaffung innerhalb der Stadt- sind nun alle Dienststellen zur Nutzung von E-Mail, Chat und sozialen Netzwerken verwaltung organisiert, heraus, dass offenbar Recyclingpapier verpflichtet. Frischfaserpa- heute auch klingen mag, besitzt er noch immer in vielen Köpfen noch immer alte Vorurteile ge- pier darf nur noch in Ausnahmefällen, etwa für höchste Aktualität. In sehr vielen Unternehmen, genüber Recyclingpapier bestehen. So gaben Urkunden oder ähnliche offizielle Dokumente Organisationen und Verwaltungsbetrieben ist die Bedarfsstellen an, dass sie Frischfaserpa- verwendet werden. Um den Gesamtpapierver- der Papierverbrauch seit dem Einsatz der mo- pier bevorzugen, weil das Geschriebene an- brauch zu senken, wurden die Referate zudem dernen Medien keinesfalls zurückgegangen, geblich besser lesbar sei, außerdem weniger angehalten, papierärmer zu kommunizieren, sondern sogar gestiegen. Der Recyclingpapier- Papierstau in Druckern und Kopierern entste- also weniger E-Mails auszudrucken, doppel- verbrauch nahm zwar teilweise zu, jedoch viel he und die Geräte weniger schnell verstauben. seitig zu drucken und zu kopieren. zu wenig in Relation zum Gesamtverbrauch. All diese Vorurteile konnte die Vergabestelle Dass der neue Beschluss schon jetzt Früch- Auch die Stadt München gibt selbstkritisch freilich entkräften. Denn natürlich gibt es für te trägt, kann die zentrale Vergabestelle bestä- zu, von dieser Entwicklung betroffen gewesen besondere Fälle auch weißes Recyclingpapier tigen. Genaue Zahlen könne man zwar noch zu sein. Trotz eines Stadtratsbeschlusses von und auch der Mythos vom höheren Verschleiß nicht nennen, doch bereits jetzt sei der Recy- 2008, auf Antrag der ÖDP-Fraktion, die Recy- durch Umweltpapiere ist schlicht falsch. clingpapieranteil etwas gestiegen und auch der clingpapier-Quote auf nahezu 100 Prozent zu Ein erneuter Antrag der SPD-Stadtrats- Gesamtpapierverbrauch habe abgenommen. erhöhen und den damit verbundenen Maßnah- fraktion und der Fraktion Bündnis90/Die Grü- men, stieg der Gesamtpapierverbrauch zwi- nen – rosa Liste im Frühjahr 2011, die Recy- schen 2007 und 2010 um knapp ein Drittel. clingpapier-Quote auf nahezu 100 Prozent zu Zudem wurde vor allem mehr Frischfaserpa- erhöhen, führte nun zum jüngsten Stadtrats- Text: Katja Bachert pier verbraucht. beschluss vom Oktober 2011. Foto: Michael Nagy, Info- und Presseamt LHM
Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Gutes Papier erkennen Die Fülle an Papier-Labels ist groß. Diplom-Forstwirtin Antje Wagner, Umweltinstitut München, gibt einen Überblick über die gängigsten Siegel und erklärt, welche wirklich ökologisch sind. Der Blaue Engel Der Blaue Engel (RAL-UZ 14 / Recyclingpapier) ist das Dies garantiert, dass Papiere bekannteste Label für Recyclingpapier. Zeicheninhaber ist mehrmals recycelt werden, was das Bundesumweltministerium. Das Umweltbundesamt eine optimale Ausnutzung des entwickelt die Kriterien, die durch eine unabhängige Jury Rohstoffs Holz bedeutet. Die Ver- beschlossen werden. Vergeben wird das Umweltzeichen wendung giftiger Chemikalien ist durch die RAL gGmbH. Mit dem „Blauen Engel“ werden strenger reguliert, als dies bei den Produkte und Dienstleistungen ausgezeichnet, die beson- anderen Labels der Fall ist. So ders umweltfreundlich sind und darüber hinaus Ansprüche dürfen Krebs erzeugende, erbgut- des Gesundheitsschutzes erfüllen. verändernde oder fortpflanzungs- Auf eine ganzheitliche Betrachtung der Umwelteigen- gefährdende Färbemittel oder schaften über die gesamte Lebensdauer eines Produkts Beschichtungen nicht eingesetzt werden, für andere ge- wird Wert gelegt. Konkret bedeutet dies für das Umweltzei- sundheitsschädliche Stoffe wurden Grenzwerte festgelegt. chen für Recyclingpapier: Die Papierfasern müssen zu 100 Papiere mit dem Blauen Engel sind empfehlenswert. Prozent aus Altpapier bestehen, 65 Prozent davon aus Alt- papier niedriger Qualität. Foto: Blauer Engel „Die Europäische Blume“ Das Europäische Umweltzeichen (auch Euroblu- Daher wirkt es paradox, dass laut me genannt) wurde von der EU-Kommission eingeführt. Labelvorschriften der Hinweis „Bitte Gekennzeichnet werden Konsumgüter, die sich durch sammeln Sie Altpapier für das Recy- Umweltverträglichkeit und vergleichsweise geringe Gesund- cling.“ auf die Produktverpackung ge- heitsbelastung auszeichnen sollen. druckt werden muss. Die Auszeichnung wird in Deutschland durch das Deut- Da nun schon Frischfaserpapiere sche Institut für Gütersicherung und Kennzeichnung (RAL genutzt werden, sollte man zumindest gGmbH) und das Umweltbundesamt vergeben. Das Sie- hohe Anforderungen an die Waldbe- gel stellt relativ hohe Anforderungen an die Umweltverträg- wirtschaftung erwarten. Dies ist leider lichkeit der Papierproduktion: Unter anderem gibt es Vor- nicht der Fall. schriften zu Energieverbrauch, Treibhausgas-Emissionen, Da kein Recyclinganteil vorgeschrieben ist, halten wir die Abfallbehandlung und giftigen Chemikalien. Die EU-Blume EU-Blume nur für eingeschränkt empfehlenswert, obwohl schreibt aber NICHT die Verwendung von Altpapier vor. Im die Umweltkriterien für den Herstellungsprozess in der Pa- Gegensatz zum Blauen Engel kann das Europäische Um- pierfabrik und die gesundheitlichen Anforderungen an das weltzeichen auch an reine Frischfaserpapierhersteller verge- Endprodukt sehr hoch sind. ben werden. Foto: www.eu-ecolabel.de
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 FSC® Der Forest Stewardship Council® (FSC®) wurde ge- „vorhandene, bereits geschlagene gründet, um durch Zertifizierung weltweit die verantwor- Holzressourcen genutzt werden“. tungsvolle Waldbewirtschaftung zu fördern. FSC hat eine Keines der FSC-Zeichen be- hohe Glaubwürdigkeit, da alle Interessensgruppen (Um- zieht sich auf den Herstellungs- welt, Sozial- und Wirtschaftsverbände) gleichwertig vertre- prozess oder den Gesundheits- ten sind. Leider verwirrt der FSC bei der Zertifizierung von schutz. Waldschutz wird nur bei Papierprodukten durch eine Vielzahl von Siegeln. Die FSC- FSC-100% und FSC-Recycled Siegel stehen NICHT für die Verwendung von Altpapier. gewährleistet. Die drei fast gleich Es gibt drei Labels: anmutenden Labels sind zudem FSC-100% kennzeichnet Frischfaserpapiere, die zu 100 äußerst verwirrend. Ressourcenschonend ist nur das mit Prozent aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft kommen. FSC-Recycled gekennzeichnete Papier. FSC-Mix labelt Papierwaren, deren Fasern zu 50 Pro- Daher ist nur das FSC-Recycled-Siegel, und dies auch zent aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft stammen. nur eingeschränkt, empfehlenswert. FSC-Recycled stellt sicher, dass die Papiere nicht aus FSC-Mix sollte auf keinen Fall gekauft werden. Frisch-, sondern ausschließlich aus recycelten Holzfasern gewonnen wurden. Als Faserquellen werden z.B. alte Möbel, Foto: FSC Arbeitsgruppe Deutschland e.V. Telegrafenmasten, Paletten, etc. genannt. Hierdurch sollen PEFC Aqua pro Natura Das PEFC (Programme for the Das Aqua pro Natura Sie- Endorsement of Forest Certifi- gel wird von der Vereini- cation Schemes) wurde von euro- gung Deutscher Herstel- päischen Waldbesitzern und Vertre- ler für umweltschonende tern der Holzwirtschaft initiiert. Lernmittel e.V. vergeben. Die PEFC-Siegel stehen NICHT Aqua Pro Natura steht für die Verwendung von Altpapier. NICHT für die Verwendung von Altpapier. Das Label kenn- Es kennzeichnet Papiere, die aus zeichnet Schulmaterialien, die aus frischem Zellstoff her- Holz aus PEFC-zertifizierten Wäl- gestellt werden. Der Zellstoff käme nicht aus den Tropen dern hergestellt wurden. und wäre chlorfrei gebleicht, ist auf den Siegeln zu lesen. Die Zertifizierungskriterien des PEFC sind allerdings äu- Doch dies ist kein besonderer Beitrag zum Umwelt- oder ßerst schwach. Die Zeitschrift Ökotest z.B. bewertet die Verbraucherschutz: Die meisten Papiere werden heu- Waldbewirtschaftung nach FSC mit „sehr gut“, das PEFC te chlorfrei gebleicht, der Zellstoff kommt sowieso häufig bekommt nur die Note „ausreichend“. nicht aus tropischen, sondern aus nordischen Wäldern. Nicht empfehlenswert Nicht empfehlenswert Foto: PEFC Deutschland e.V. Foto: Copyright © Aqua Pro Natura Holzfreies Papier Der Begriff „holzfreies Papier“ ist irreführend. Auch „holzfreie Minderwertigere Papiere haben einen hohen Anteil an Holzstof- Papiere“ werden aus Holz hergestellt. Dazu muss man wissen, fen, dadurch sind sie faseriger und vergilben leicht (z.B. Bierde- dass Holz zu rund 55 Prozent aus so genannten „Holzstoffen“ ckel). Hochwertige Papiere bestehen nur aus Zellulose, sie sind und zu 45 Prozent aus Zellulosefasern besteht. also holzstofffrei – werden aber irreführend „holzfrei“ genannt.
10 Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Jedes Buch ein Baum Trotz des wachsenden Erfolgs von E-Book und Online-Publishing ist Papier immer noch das zentrale Medium des Buchhandels. Das Thema Nachhaltigkeit wird in der Branche jedoch meist nur in den Buchinhalten behandelt, für eine bessere Ökobilanz ihrer Produkte sorgen die Verlage bisher erstaunlich wenig. Dabei könnte der Buchhandel durch den vermehrten Einsatz von Recyclingpapier ganz einfach zur Vermeidung der Waldrodung beitragen. K napp eine Milliarde Bücher produzie- dische Verlag Raincoast Books, der die Millio- Stattdessen schmücken sich die Verlage lie- ren deutsche Verlage jedes Jahr, fast nenauflage eines Harry Potter-Bands auf 100 ber mit FSC-zertifiziertem Papier (Forest Ste- alle werden auf Frischfaserpapier Prozent Recyclingpapier drucken ließ. Da- wardship Council). (siehe S. 9) gedruckt. Die dadurch entstehende Umwelt- durch konnten 30.000 Bäume vor der Rodung Der psychologische Effekt des Siegels belastung ist immens: Für eine Million Kopien bewahrt und über 47 Millionen Liter Wasser ist folgenschwer: Nur wenige Kunden reali- eines Buches mit durchschnittlich 250 Sei- eingespart werden. Ein voller Erfolg sowohl bei sieren den Unterschied zwischen Recycling- ten müssen über 12.000 Bäume gefällt wer- den Lesern als auch für die Umwelt – und das, papier und FSC, das Papier aus nachhaltig den. Darüber hinaus werden bei der Herstel- ganz ohne Qualitätseinbußen. angebautem Holz verspricht. Doch der ist ek- lung riesige Mengen an Wasser und Energie latant: Während Recyclingpapier zu fast 100 Feigenblatt FSC-Siegel verbraucht. Eine dringende und sinnvolle Lö- Prozent aus Altpapier (also Abfall) und nur zu sung wäre es, Bücher ausschließlich auf Re- Dennoch beharrt die Mehrheit der Verlage auf einem kleinen Teil Frischfasern (also Holz) be- cyclingpapier zu drucken. Doch die meisten dem Einsatz von Frischfaserpapier. Für sie ge- steht, werden für die Herstellung von FSC-Pa- Verlage sträuben sich dagegen. Ihre Begrün- hen betriebswirtschaftliche Interessen vor Um- pier Tausende Bäume abgeholzt. Das Wört- dung ist immer dieselbe: Recyclingpapier sei weltschutz: Die großen Frischfaserpapierher- chen „nachhaltig“ bezieht sich lediglich auf für den Buchdruck ungeeignet. steller verteidigen ihre Marktmacht bei den die Waldbewirtschaftung. Auch der Wasser- Doch das ist ein längst überholtes Vorur- Verlagen mit niedrigen Preisen. Weshalb soll- und Energieverbrauch, sowie Co2-Emissionen teil. Hochqualitatives Umweltpapier für Zeit- te man sich also die Mühe machen und nach liegen bei FSC-Papier um ein Vielfaches hö- schriften und Bücher existiert schon seit vielen einem geeigneten Recyclingpapier-Hersteller her. FSC-Papier ist folglich keine echte Um- Jahren. Das Paradebeispiel liefert der kana- Ausschau halten? weltschutzalternative zu Recyclingpapier.
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 11 Kleine Verlage machen’s vor Oekom Verlag aber bald Abhilfe schaffen. Die ihre Verlage dazu auf, beim Druck Recyclingpa- In Deutschland beweisen bisher nur eini- Initiative möchte interessierten Verlagen auf pier zu verwenden. Im Ausland trug der Einsatz ge wenige Verlage wie Arbor, J. Kamphau- ihren Bedarf zugeschnittene Handlungsopti- bereits Früchte: Der Erfolg der umweltfreund- sen, Oekom oder der Kinderbuchverlag Gar- onen für eine umweltfreundliche Buchproduk- lichen Harry Potter-Ausgabe überzeugte mehre- be, dass Umweltpapier alle Ansprüche an den tion aufzeigen. re Verlage in Kanada, komplett auf Recyclingpa- Buchdruck erfüllt. Sie verwenden für ihre Pu- Ein weiteres beliebtes Argument, das die pier umzusteigen. Auch in Deutschland wurden blikationen fast ausschließlich Recyclingpa- Verlage vorschützen, lautet, man fürchte durch schon einige Jugendbücher auf Recyclingpapier pier. Nachteile ergeben sich für sie dabei keine die Umstellung auf Recyclingpapier Kunden zu gedruckt. Es zeigt sich also, dass die Verlage – weder hinsichtlich Papier- und Druckqualität verlieren. Da dieses aufgrund der kürzeren Fa- sehr wohl können – wenn sie nur wollen. noch auf Kundenseite. Und auch die Mär vom sern ein geringeres Volumen als Frischfaser- Buchkäufer sind gefragt höheren Preis weiß Anne Petersen vom Verlag papier hat, falle der Buchkörper dünner aus J. Kamphausen zu entkräften: „Es gibt zwar ei- und dies könne unattraktiv auf Kunden wir- Doch solange nicht auch wir Leser Druck auf nen Preisunterschied, der entsteht jedoch vor ken. Angesichts des Bücherbooms im Online- die Branche ausüben, wird sich das Gros der allem deshalb, weil die Nachfrage nach Recy- versandhandel erscheint diese Argumentati- Verlage weiterhin auf dem FSC-Siegel ausru- clingpapier zu gering ist. Die Druckereien kön- on jedoch äußerst fadenscheinig. So werden hen. Fragen Sie deshalb in Ihrer Buchhandlung nen diese Papiere nicht in so großen Mengen, im Internet massenhaft Bücher verkauft, ohne, nach umweltfreundlich produzierter Literatur die preisgünstiger sind, bestellen. Der Preisun- dass die Kunden die Dicke des Buches sehen, und fordern Sie die Verlage Ihrer Lieblingsau- terschied ist aber letztendlich eine Frage der geschweige denn ertasten können. Oft heißt toren auf, auf Recyclingpapier umzustellen. Prioritäten. Ein größerer Verlag kann sich si- es auch, die graue Farbe des Recyclingpapiers cherlich Recyclingpapier leisten, wenn es ihm würde den Kunden missfallen. Dabei lässt sich wichtig wäre.“ längst kein Unterschied mehr zwischen Frisch- Text: Ruth Böcher Was hält die Verlage also davon ab, ihre faser- und Recyclingpapier erkennen, weder in Foto: Fotolia Bücher auf Recyclingpapier zu drucken? Die Sachen Qualität, Farbe noch Haptik. Umstellung von Frischfaserpapier erfordert Ei- Autoren für Urwälder Secondhand genengagement: Echtes und hochwertiges Recyclingpapier muss man suchen und aus- Seit einigen Jahren engagieren sich auch viele Gebrauchte Bücher gibt es hier: probieren, schließlich soll es auch beim Druck Autoren weltweit für eine Umstellung. Promi- Münchner Stadtbibliotheken perfekte Ergebnisse erzielen. Das Wissen über nente Schriftsteller wie Günter Grass, die Kin- www.muenchner-stadtbibliothek.de umweltfreundliche Buchherstellung ist zu- derbuchautorinnen Kirsten Boie und Corne- Oxfam Buchshop, www.oxfam.de dem bislang noch weit verstreut. Mit seinem lia Funke, Harry Potter-Schöpferin J. K. Rowling Bücherflohmarkt LISAR Projekt Green Publishing will der Münchner oder die Bestsellerautorin Isabel Allende fordern www.buecherflohmarktlisar.wordpress.com
12 Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Papier in Wir können den Papierv Recyclingquote 248 kg Papier werden in Deutschland pro Jahr pro Kopf verbraucht. 282 kg in Finnland 50 149 kg in Frankreich 8 kg in Afrika 54 kg im Weltdurchschnitt um stieg der in Deutsch 1970 und 2,3 kg Holz benötigt man für 1 kg Frischfaserpapier
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 13 n Zahlen erbrauch senken und die deutlich erhöhen! 100 % beträgt die Altpapierquote bei Zeitungen, bei Druck- und Büropapier nur 31% % Papierverbrauch hland zwischen 2010 4-7 Mal kann eine Papierfaser beim Reyclingprozess wiederverwendet werden Text: Andreas Marth, Katja Bachert Foto: Fotolia Quellen: Greenpeace Aachen, Papierkompass Forum Ökologie und Papier, Robin Wood, www.papier-und-mehr.de
14 Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Urwald ja, aber nicht bei uns? Der Wald – Rohstofflieferant und Lebensraum D er deutsche Wald – wer denkt dabei den Wald als Rohstoffquelle ab. Zunehmend aufgebaut. Fichte und Kiefer sind die häufigs- nicht sofort an wilde Natur, Mythen wichtiger wurde in den letzten Jahrzehnten ten Baumarten – von Natur aus würden sie nur und Märchen. Dabei hat unser Wald der Wald als Ort der Erholung. Mit dem Auf- auf wenigen Prozent der Waldfläche vorkom- schon seit Jahrhunderten mit ursprünglicher kommen der ökologischen Bewegung setzte men. In der Hälfte der Wälder sind alle Bäume Natur nichts mehr zu tun. Mit der Einführung sich schließlich das Leitbild einer naturnahen gleich alt, der Wald wird dadurch strukturarm, der geordneten Forstwirtschaft vor 400 Jah- Waldbewirtschaftung in den Forstverwal- monoton und instabil. ren wurde der Wald zum Holzacker. Er wurde tungen durch. Heute sollen Wälder „multifunk- Totholz lebt vermessen, gesät, gedüngt und beerntet. Wald tional“ sein. Sie sind gleichzeitig Holzfabrik, musste sich rentieren. Unter dem Motto „Weg artenreiches Naturbiotop und Wellness-Oase. Mittlerweile hat sich die Forstwirtschaft jedoch mit den faulen Gesellen“ fällte man jahrhun- deutlich ökologischer ausgerichtet. Ziel ist es, Wald heute dertealte Laubbäume, um schnellwachsenden stärker strukturierte Wälder mit standortge- Nadelholzplantagen Platz zu machen. Deutsche Wälder sind zum größten Teil natur- rechten Baumarten aufzubauen. Immer mehr Erst als Kohle und Erdöl das Holz als Ener- ferne Wirtschaftswälder. Sie sind zu erheb- Laubhölzer werden gepflanzt, Kahlschläge wer- gielieferant ersetzten, nahm der Druck auf lichen Teilen aus standortfremden Baumarten den glücklicherweise kaum mehr praktiziert.
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 15 Wald ist nicht gleich Wald: Links ein naturnaher Wald, rechts ein forstwirtschaftlich optimierter Plantagenwald Ein großes Problem besteht aus Naturschutz- vor, dass diese Schutzgebiete bis zum Jahr Zudem verliert ein intensiv bewirtschafteter sicht aber immer noch fort: Alte Wälder mit 2020 fünf Prozent der Waldfläche einnehmen Wald sein Potential als Kohlenstoffspeicher. Bäumen älter als 180 Jahre sind kaum mehr sollen. Alte Bäume, Totholz und der Boden speichern vorhanden. Dabei sind gerade alte, zerfallende große Mengen an Kohlenstoff. Dem Klima- Klimaschutz auf dem Holzweg Bäume die Heimat einer unglaublichen Viel- schutz und dem Naturschutz wäre mit dem zahl von Lebewesen: Flechten, Käfer, Pilze, Doch viele Akteure aus Forst- und Holzwirt- Aufbau vorratsreicher Wälder und humusrei- Spechte, Fledermäuse, Käuzchen, Sieben- schaft stemmen sich mit Händen und Füßen cher Waldböden mehr geholfen, als durch die schläfer, Hohltauben, Marder und Hornissen gegen die Einrichtung von Schutzgebieten – Förderung von Holzheizungen. leben auf und in alten Höhlenbäumen. vor allem mit dem Hinweis auf den vermeint- Um der Atmosphäre CO2 zu entziehen, Im Wirtschaftswald finden all diese Tiere lich „klimafreundlichen Rohstoff Holz“. Bio- sollte Holz vor allem für langlebige Produkte keinen Lebensraum, da kaum ein Baum sein masse-Heizkraftwerke, Pelletsheizungen und eingesetzt werden, zum Beispiel als Bauholz biologisches Alter erreichen darf. Da viele Tot- Schwedenöfen – der angeblich CO2-neutrale oder Möbelholz. In den letzten Jahrzehnten holzbewohner keine weiten Strecken zurück- Brennstoff liegt im Trend. Die Eigenwerbung aber werden immer mehr Wälder zu Werbe- legen, bräuchten sie eine ganze Menge abge- der Forst- und Holzindustrie erweckt den Ein- broschüren, Hackschnitzeln oder Billigmöbeln storbener dicker Bäume über den Wald verteilt druck: Je höher der Holzverbrauch – umso verarbeitet. Rund die Hälfte der deutschen – für viele Förster und Waldbauern ein nicht besser fürs Klima. Doch ist dem wirklich so? Holzernte wird für minderwertige und kurzle- hinnehmbarer wirtschaftlicher Verlust. Heute wird mit großen Maschinen immer bige Produkte wie Papier, Spanplatten oder als mehr Biomasse aus dem Wald geholt, selbst Brennstoff verwendet. Urwälder von morgen? Nadeln und Reisig, um daraus Pellets oder Klima wandelt den Wald In Naturwaldreservaten soll daher ein Teil der Hackschnitzel herzustellen. Dies wirkt sich de- Wälder ihrer natürlichen Entwicklung überlas- saströs auf die Waldböden aus. Ein großer Teil Zusätzliche Gefahren drohen dem Wald durch sen werden und sich zu den „Urwäldern von der Nährstoffe geht verloren, der Boden wird den Klimawandel. Erwärmung und Extrem- morgen“ entwickeln. In Deutschland gibt es durch schwere Maschinen verdichtet, die Bo- wetterereignisse wie Trockenheit und Stürme Naturwaldreservate auf gerade einmal 0,3 denorganismen ersticken, Wasser kann kaum stellen das Ökosystem vor neue Herausforde- Prozent der gesamten Waldfläche. Die Nati- mehr versickern. Das Waldwachstum wird rungen. Bäume wachsen langsam, sie fruch- onale Strategie zur biologischen Vielfalt sieht über Jahrhunderte gestört. ten erst nach vielen Jahrzehnten und ihre
16 Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Samen keimen oft nur wenige Meter vom Mut- seit Jahrzehnten zu einer massiven Vermeh- Langfristiges Ziel ist es, naturnahe, vielschich- terbaum entfernt. Damit sind viele Baumarten rung der Tiere. Diese vernichten oft flächen- tige und ungleichaltrige Wälder zu schaf- wohl nicht schnell genug, um sich dem ra- deckend sämtlichen Jungwuchs. Laubbäume fen. Bis dahin ist es allerdings noch ein wei- santen Klimawandel anzupassen. Es könnte und Tannen fressen sie besonders gern, die ter Weg. Heute werden noch große Teile der zu einer völlig neuen Baumartenzusammen- stacheligen Fichten dagegen lassen sie ste- städtischen Wälder von gleichförmigen Fich- setzung kommen. In Bayern wird wohl vor hen. So werden aus artenreichen Mischwäl- tenforsten bestimmt. Doch auch rund um un- allem die Fichte durch längere Trockenperio- dern nach einigen Jahrzehnten Fichtenrein- sere Großstadt gibt es an den Isarhängen, im den geschwächt werden. Mit ihrer heute do- bestände. Die mächtige Jagdlobby wehrt sich Leutstettener Moss oder der Echinger Lohe ei- minierenden Stellung könnte es damit schon aber gegen höhere Abschusszahlen. Naturna- nige wundervolle Naturwaldreservate. bald vorbei sein. he Wälder können sich so nicht entwickeln. Der Wald braucht unser Insgesamt versucht sich die Forstwirtschaft Münchner Stadtwald auf Engagement durch den Anbau möglichst vieler Baumar- dem richtigen Weg ten pro Fläche die Unwägbarkeiten zukünftiger Wird sich ökologische Waldbewirtschaftung Auswirkungen der Klimaerwärmung abzufe- Unsere Wälder weisen heute große ökolo- gegen eine steigende Holznachfrage durch- dern. Angesichts des Klimawandels haben üb- gische Defizite auf und sind von unwägbaren setzen? Hier ist vor allem der Einsatz der Zi- rigens auch die bereits erwähnten Naturwald- Gefahren bedroht. Wie steht es um die Wälder vilgesellschaft gefordert: Wir müssen uns für reservate eine wichtige Funktion: Sie fördern rund um München? mehr Umweltbildung, Waldreservate und Na- die biologische Vielfalt und Stabilität der Wälder Die Wälder der Landeshauptstadt sind seit tionalparks einsetzen. Wir brauchen eine an und verbessern so deren Chancen, sich an zu- 2001 nach den Richtlinien von Naturland und den Bedürfnissen des Waldes ausgerichtete, künftige Veränderungen anzupassen. des FSC (Forest Stewardship Council) ökolo- umweltfreundliche Jagd. Wir müssen unseren gisch zertifiziert. Beides sind Gütesiegel mit Holzverbrauch reduzieren und Holzverschwen- Wald vor Wild hohen ökologischen Ansprüchen. Das Natur- dung anprangern. Und wir müssen alles tun, Ein großes Hindernis für die Entwicklung na- land-Label schreibt unter anderem vor, dass um den Klimawandel zu bremsen. turnaher Wälder sind Reh, Hirsch und Wild- zehn Prozent der holzwirtschaftlichen Fläche schwein. Von Natur aus leben nur wenige der natürlichen Entwicklung überlassen wer- dieser Tiere im Wald. Ein dichter Urwald bie- den. Ein hoher Totholzanteil von zehn Prozent tet ihnen nur wenig Nahrung. Doch unzurei- wird angestrebt. Kahlschläge und Ganzbaum- Text: Antje Wagner chende Bejagung und die Unmengen von Fut- nutzung sind verboten, ebenso Pestizideinsatz Fotos: Bayerische Landesanstalt für Wald und ter, mit dem Jäger das Wild mästen, führen oder die Pflanzung standortfremder Bäume. Forstwirtschaft, Fotolia „Wo möglich Holz!“? „Wo möglich Holz!“ lautete einst ein Slogan der Holz- und Jahr 2011 bereits 56 Millionen Festmeter, die auf bis zu 80 Forstwirtschaft, der den Holzverbrauch ankurbeln sollte. Millionen Festmeter gesteigert werden sollen. Und tatsächlich nimmt die Nachfrage nach Holz und Holz- Das ist zwar deutlich weniger als die rund 95 Millionen Ku- produkten seit Jahrzehnten zu. bikmeter, die jedes Jahr in Deutschlands Wäldern zuwach- Seit 2002 ist der Holzverbrauch in Deutschland um 40 sen. Es wird aber vergessen, dass die Wälder im Sinne des Prozent gestiegen. Allein der Rohstoffverbrauch der Holz- Natur- und Klimaschutzes mehr Holzmasse aufbauen soll- werkstoff- und Zellstoffwirtschaft kletterte von rund 19 Mil- ten. Viele Waldböden sind zudem Jahrhunderte lang über- lionen Kubikmeter im Jahr 2000 auf knapp 36 Millionen nutzt worden. Zur Wiederherstellung der Bodenfruchtbar- Kubikmeter im Jahr 2009. Bis 2020 wird die EU ihre Holz- keit müssen daher große Mengen des Zuwachses im Wald importe wohl mehr als verdoppeln. belassen werden. Schon geht die Angst vor der Holznot um: „Angesichts Doch die Forst- und Holzwirtschaft will von einem „Peak der zu erwartenden Nachfragesteigerung nach Holz für die Holz“ nichts wissen. Sie will die Einschläge erhöhen. Man stoffliche und Biomasse für die energetische Nutzung stellt wirbt dafür mit Aussagen von angeblich überalterten Be- sich die Frage nach der Sicherung der Rohstoffversorgung ständen und warnt, die Vorräte hätten ein „bisher unbe- für die heimische Holz- und Papierwirtschaft“ schreibt die kanntes Ausmaß erreicht“. Dies ist allerdings eine gewagte Bundesregierung in ihrer Waldstrategie 2020. These: Rund 320 Festmeter Holz enthält der deutsche Wald Aufgrund der steigenden Nachfrage wird in unseren Wäl- im Durchschnitt pro Hektar. Ein alter Buchenurwald dage- dern immer mehr Holz eingeschlagen: Ende der 1990er- gen kann bis zu 1000 Kubikmeter pro Hektar enthalten. Jahre waren es rund 35 Millionen Festmeter pro Jahr, im
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 17 Papierherstellung Die Herstellungsprozesse von Frischfaser- und Recyclingpapier unterscheiden sich deutlich von- einander, wie der Vergleich von Diplom-Chemiker Andreas Marth, Umweltinstitut München, zeigt: Recyclingpapier ist im Vergleich zu Primärfaserpapier wesentlich umwelt- und ressour- censchonender. Wir alle können der unnötigen Rodung von Wäldern zuvorkommen und wichtige Ressourcen wie Wasser und Luft schonen, indem wir Papier sparen und Recyclingpapier nutzen. Recyclingpapier Frischfaserpapier Für die Gewinnung von Recyclingpapier dient Die Rohstoffe (Zell- und Holzstoff) werden direkt Altpapier als Rohstoff. aus Holz gewonnen. Beim Recyclingpapier sind die Wege deutlich kürzer. Der Zellstoff für Frischfaserpapier wird zu über Der Zellstoff wird aus Altpapier gewonnen, welches 80 Prozent importiert, zum Großteil aus Brasilien, in Deutschland tonnenweise gesammelt wird. Skandinavien und Kanada. Die Herstellung von Altpapierstoff benötigt KEIN Pro Tonne Primärzellstoff werden ca. zwei Tonnen frisches Holz. Holz verbraucht. Sekundärfasern (Altpapierstoff) werden durch Auf- Frischfasern (Primärzellstoff) werden aus dem Holz- lösen des Altpapiers in Wasser, Sortieren und Trocknen verbund chemisch herausgelöst, indem das Holz in ei- erhalten. Die Verwendung von Recyclingpapier senkt ner alkalischen oder sauren Schwefelsalzlösung ge- massiv den Frischfaserbedarf! kocht wird. Bei der Altpapieraufbereitung wird die Bleiche mit Bei der Bleiche werden Verunreinigungen entfernt. dem deutlich umweltschonenderen Wasserstoff- In europäischen Fabriken wird meist eine chlorarme peroxidin in den Auflösevorgang integriert, um irre- Bleiche angewendet, die offiziell als „chlorfrei“ bezeich- versible Vergilbungen der Fasern zu verhindern. Laut net werden darf, da kein elementares Chlorgas einge- Greenpeace verzichten jedoch die meisten Hersteller setzt wird. Dennoch sind die Chemikalien extrem ganz auf das umweltbelastende Bleichen. schädlich und umweltbelastend. Für hochwertige graphische Recyclingpapiere ist die Die Wasser- und Luftbelastung durch Chemikalien umweltschädliche Druckfarbenentfernung („Deinking“) ist bei der Produktion von Frischfaserpapier immens erforderlich. Beim grauen Umweltschutzpapier wird höher als im Fall von Recyclingpapier. daher auf Deinking verzichtet. Energieverbrauch bei der Primärzellstoffherstel- Energieverbrauch bei der Aufbereitung von Altpa- lung: 26,3 bis 44,7 GJ/t pier zu Altpapierstoff: ca. 4,7 GJ/t Der Frischwassergebrauch kann bei der Zellstoff- Bei der Altpapieraufbereitung kann der Frischwas- herstellung durch Wasserkreislaufschließungen nur auf sergebrauch auf bis zu 5 m³/t gesenkt werden. bis zu 20 m³/t gesenkt werden. Für 1 kg Sekundärfaserpapier werden 1,1 bis 1,3 Für 1 kg Primärfaserpapier werden rund 2,3 kg kg Altpapier benötigt. Holz benötigt.
18 Umweltinstitut München e.V. 12/2012 Das Papier-Massaker Weil wir so viel Papier verbrauchen, werden andernorts Urwälder gerodet. Der intensive Raubbau hat fatale Konsequenzen für Menschen und Umwelt in den Anbauländern. V on wegen nachhaltig, für den Papierkonsum in Deutschland politischer Kontrolle, mangelnder Rechtsdurchsetzung, Korruption und werden bei uns in Indonesien Menschen vertrieben und in- Skrupellosigkeit in Politik sowie der Holz- und Papierindustrie ließ In- takte Wälder zerstört“, empörte sich der indonesische Um- donesien innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Papier- und weltschützer, Aidil Fitri, auf einer Veranstaltung in Berlin Mitte November. Zellstoffproduzenten der Welt werden. Nicht nur unberührte Regenwäl- Eine dreiköpfige Delegation indonesischer Aktivisten war nach Europa der mussten für Plantagen weichen, selbst in geschützten Nationalparks gereist, um wieder einmal auf die Folgen der Papierproduktion im Land wurde und wird auch heute noch illegal Holz für die Papiergewinnung hinzuweisen, die durch den übermäßigen Verbrauch in Deutschland und eingeschlagen. anderen europäischen Ländern verursacht sind. Und Indonesien ist nur Der indonesische Papierhersteller APP (Asia Pulp and Paper) pro- ein Beispiel von vielen. duziert jährlich über zwei Millionen Tonnen Zellstoff und rund 5 Millio- nen Tonnen Papier und Verpackungsmaterialien in nur zwei Werken auf Raubbau und Waldverlust Sumatra. Der Rohstoff für diese Menge Zellstoff ist allein aus Plantagen Die Folgen des Raubbaus sind mancherorts katastrophal. Allein auf Su- nicht zu beschaffen, so dass Schätzungen zufolge rund 70 Prozent des matra fielen in den 1990er-Jahren über 800.000 Hektar Naturwald der benötigten Holzes direkt aus den natürlichen Wäldern des Landes stam- Papier- und Zellstoffproduktion zum Opfer. Eine Mischung aus fehlender men. In den Provinzen Riau und Jambi, wo sich die beiden Werke von
Münchner Stadtgespräche Nr. 64 12/2012 19 APP befinden, wurden in den letzten Jahren über 300.000 Hektar Re- darf, der zur Absenkung des Grundwasserspiegels und zur Austrock- genwald von dem Unternehmen abgeholzt. nung ganzer Regionen führt. Zusätzlichen Schaden nehmen Wasser Der Verlust der ursprünglichen Wälder hat verheerende Auswir- und Böden durch den Einsatz von Düngern und Pestiziden, die Schäd- kungen auf die Tierwelt und die Biodiversität, bringt bedrohte Tierarten linge von den gepflanzten Bäumen fernhalten sollen. Und da Eukalyptus wie den Sumatra Tiger, das Nashorn oder den Orang Utan noch näher in Brasilien außerdem nicht heimisch ist, steht die Tier- und Pflanzen- an die Ausrottung. Die Umwandlung der auf tiefen Torfschichten stehen- welt zusätzlich unter Bedrängnis. Die Eukalyptusplantagen bieten ihnen den Wälder setzt zudem Unmengen an Kohlenstoff frei, der zum Klima- nicht den gewohnten Lebensraum. Die Folge ist ein dramatischer Rück- wandel beiträgt. gang der Artenvielfalt. Zerstörung der Lebensgrundlagen Probleme nicht nur im Süden Entgegen ihrer Marketingaussagen respektieren die Papierhersteller in Die Zerstörung von Wäldern zur Papiergewinnung und die Missachtung den seltensten Fällen die Rechte der Bevölkerung. Oft genug müssen der Rechte der lokalen Bevölkerung ist jedoch nicht allein das Problem Kleinbauern und die indigene Bevölkerung den neuen Plantagen wei- in Entwicklungs- und Schwellenländern. Kanada, einer der größten Zell- chen – die Menschen werden von ihrem seit Generationen bewohnten stofflieferanten Deutschlands, holzt seinen temperierten Regenwald in und bewirtschafteten Land vertrieben. Sie suchen notgedrungen ein großem Maßstab ab und erteilt – illegal – an Holzkonzerne Konzes- neues Stück Land, wandern in die Städte ab oder versuchen in der sionen auf indianischem Land. Auch in Kanada verschmutzen Papier- Nähe der Plantage zu überleben. Doch das ist selten gut möglich, da fabriken die Gewässer und gefährden Kahlschläge ganzer Wälder die Gewässer durch Pestizide verseucht sind, die Böden unfruchtbar sind Lebensgrundlage der “First Nations“. und sie ihrer traditionellen Quelle Wald für Nahrung, Fasern, Medizin, Von besonderer Bedeutung ist in Kanada das Schicksal der Lachse. Bau- und Feuerholz beraubt sind. Arbeit in den Plantagen und der Zell- Durch Abholzung bedingte Verschlammung der Flüsse werden die Brut- stoffproduktion ist rar – zumal die wenigen Jobs eher an auswärtige stellen der Lachse zerstört. Hunderte Lachsbestände Kanadas sind be- Fachkräfte vergeben werden. reits ausgestorben oder massiv bedroht. Diese Bedrohung des Lachses Der Papierhersteller Mondi beschäftigt in Südafrika nur 0,7 Per- hat unmittelbar negative Auswirkungen auf die Menschen und Tiere der sonen pro 100 Hektar – die Büromitarbeiter und Arbeiter in der Zell- Region, wie Bären, Wölfe, Vögel, für die der Lachs eine der wichtigsten stofffabrik bereits mit eingerechnet. Auf den Plantagenflächen werden Nahrungsquellen darstellt. demnach kaum Arbeiter benötigt. Entgegen den Ankündigungen der Der hohe Papierkonsum in den Industrieländern verbraucht nicht Papierproduzenten und Plantagenbetreibern verarmt die lokale Bevöl- nur Rohstoffe, wie Holz, Wasser und Energie und emittiert erhebliche kerung, die vorher wenigstens selbstbestimmt einer die Familien ver- Mengen CO2. Er hat damit auch großen Anteil am weltweiten Waldver- sorgenden Subsistenzwirtschaft nachgehen konnte. lust, der Zerstörung von Lebensräumen, fördert Menschenrechtsver- Nicht nur die Plantagen bedrohen die Menschen vor Ort, sondern letzungen und Krankheiten, Korruption und Konflikte um Land und ver- auch die Papier- und Zellstofffabriken. Fehlende Umweltstandards oder schärft den Klimawandel. laxe Kontrollen verleiten die Fabriken hochbelastete Abwässer in die Die Antwort auf die globalen Auswirkungen des Papierverbrauchs in Flüsse zu leiten. Die Bewohner in unmittelbarer Umgebung der Fabriken den Industriestaaten kann nur eine massive Reduktion desselben sein. leiden vermehrt unter Haut- und Atemwegserkrankungen. Die Umstellung auf Recyclingpapier alleine reicht nicht aus um den In Indonesien ist es bisher trotz Kampagnen und Protesten von Um- Druck von den Wäldern zu nehmen und Lebensräume zu erhalten. welt- und Menschenrechtsorganisationen sowie der betroffenen Bevöl- kerung nicht gelungen, zwei der größten Abholzer auf Sumatra, die Zell- stoff- und Papiergiganten APRIL (Asia Pacific Resources International Text: Simone Hörner, Pro REGENWALD Holdings Ltd.) und APP (Asia Pulp and Paper), von der weiteren Abhol- Fotos: L. Maráz, Pro REGENWALD zung der Naturwälder, der Anlage riesiger Plantagen und zur Lösung der Landrechtskonflikte zu bewegen. Immer mehr „Grüne Wüsten“ Netzwerk Papierwende Aktivisten in Lateinamerika haben den Begriff der „Grünen Wüsten“ geprägt. Anders konnten sie den Unterschied zwischen den ihnen von Das bundesweite Netzwerk Papierwende ist ein Zusam- früher bekannten kleingliedrigen und artenreichen Strukturen und den menschluss von Umwelt- und Verbraucherverbänden, modernen Plantagenflächen der Papierindustrie nicht beschreiben. Wo die sich für die Reduzierung des Papierverbrauchs auf vorher artenreiche Ökosysteme die lokale Subsistenzwirtschaft mittru- ein nachhaltiges Maß und die Nutzung von Recyclingpa- gen, stehen heute Eukalyptus- oder Akazienbäume in Reih und Glied. pier einsetzen. Informationen zum Thema Wald und Pa- In Brasilien entstanden in den letzten 30 Jahren beispielsweise in den pier, Tipps zum Papiersparen und für die Umstellung auf östlichen Bundesstaaten auf mehreren Zehntausend Hektar Eukalyp- Recyclingpapier, Mitmachaktionen für Schulklassen auf tusplantagen. Eukalyptusbäume haben einen sehr hohen Wasserbe- www.papierwende.de
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