Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
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LEITFADEN Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz – so kann’s gehen! ― Ein Leitfaden für Bildungseinrichtungen und Unternehmen die im Sinne einer inklusiven Gesellschaft insbesondere Menschen mit Behinderungen ansprechen wollen ―― Abgeleitet aus den Erfahrungen und Recherchen im Rahmen des Projekts „inclusive IT-Academy“ zur Qualifizierung von Menschen mit Behinderungen und höchsten Beschäftigungschancen
Inhalt Vorwort und Executive Summary.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Hintergrund und Einführung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Menschen mit Behinderungen in Östearreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Mangelberufe und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Jobmaschine Digitalisierung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Neue Anforderungen an und neue Formen der Ausbildung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gestaltung eines inklusiven Ausbildungs- oder Jobangebotes. . . . . . . . . . . . . . 12 Assessment: Die Auswahl geeigneter Kandidaten.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Umsetzung eines Inklusiven Bildungsangebotes.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Jobvermittlung und Onboarding.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Service und Links. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1
Vorwort und Executive Summary MARTIN ESSL, Gründer der Essl Foundation Was ist die „inclusive IT-Academy“? Warum braucht es ein Best Practice für barriere freie Ausbildung und Beschäftigung? Und an wen richtet sich dieser Leitfaden? Die „inclusive IT-Academy“ ist ein Projekt der Essl Best Practice für Ausbildung Foundation für inklusive Berufsbildung und Integra und Beschäftigung tion auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behin- derungen. Im Rahmen eines Pilotmodells absolvierten Das übergeordnete Ziel der „inclusive IT-Academy“ ist im Zeitraum Jänner bis Mai 2019 zwölf Menschen mit es, allen Menschen, auch jenen mit Behinderungen, Behinderungen (Asperger-Autismus, mobile Beein- den Zugang zu einer Ausbildung zu ermöglichen, die trächtigung, Sehbeeinträchtigung, Hörbeeinträchti- auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt ist. Men- gung, chronische Erkrankung) und zwei Menschen schen mit Behinderungen verbessern damit ihre ohne Behinderungen einen Lehrgang „Cisco Cyberse- Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und auf eine curity und Datenschutzgrundverordnung“. gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft. Die Wirtschaft erhält qualifizierte Fachkräfte, die drin- Die Ausbildung im Umfang von insgesamt 140 gend gesucht werden. Und das wiederum integriert Stunden basierte auf einem Kursangebot der Cisco Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt, Networking Academy und fand an der htl Wien entlastet das österreichische Sozialbudget und er- 3 Rennweg statt. Weitere Partner im gesamten höht die heimische Wirtschaftsleistung. Projekt waren die Beratungsunternehmen my Ability Social Enterprise GmbH und Specialisterne Das Projekt „inclusive IT-Academy“ soll als Best- Österreich. Den Abschluss der Academy bildeten Practice-Beispiel dienen, das auf andere Ausbil- zwei unterschiedliche Cisco Zertifizierungen für die dungswege in und außerhalb der IT ausstrahlt, TeilnehmerInnen. Ein zentraler Bestandteil ist die das aber auch Unternehmen ermutigt, vermehrt Miteinbindung von Unternehmen, die bereits in inklusive Arbeitsplätze zu schaffen. einer frühen Projektphase involviert waren. Große Arbeitgeber wie Raiffeisen Informatik, SEC-Consult, PWC, Kreditschutzverband, Verbund AG u. a. haben Wissenschaftliche Begleitung die Gelegenheit der Kooperation ergriffen und des Projektes bieten Praktikumsplätze – auch mit der Perspektive einer möglichen Fixanstellung – an. Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet und einer unabhängigen Evaluierung durch Professor Um interessierte und geeignete Kandidaten für das FH Dr. Rainer Loidl und Julian Sorgo vom Institut Projekt zu identifizieren, mussten insbesondere für Sozialarbeit und Sozialmanagement an der FH die Zielgruppe Menschen mit Behinderung eigene JOANNEUM in Graz unterzogen. Eine Kurzfassung Prozesse entwickelt und aufgesetzt werden. Dazu dieser Evaluation ist als Download unter https://ze- konnten etablierte Methoden aus dem Personalwe- roproject.org/zero-project-it-academy verfügbar. sen herangezogen werden, die an die Anforderun- gen des Projekts aber auch an die Bedürfnisse der Diese Evaluierung zeigt einerseits, dass das kon- potenziellen TeilnehmerInnen angepasst wurden. zipierte, inklusive Programmkonzept auf hohem Gleichzeitig war es ein Ziel des Pilotmodells, die Niveau umgesetzt werden konnte und ein zertifi- TeilnehmerInnen, die den Kurs erfolgreich absol- zierter Cisco-Abschluss erreicht wurde. Anderer- viert haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. seits wird aufgezeigt, dass die zweite Zielebene, die Auch dafür wurden spezielle Maßnahmen aus den TeilnehmerInnen in ein fixes Beschäftigungsver- Bereichen Praktika, Job-Placement und Onboar- hältnis zu bringen, zum Zeitpunkt der Drucklegung ding entwickelt und aufgesetzt. dieses Leitfadens noch offen ist. Die in der Evaluie- rung aufgezeigten Sichtweisen der Teilnehmer und „IT und Computertechnik im Allgemeinen sind für Teilnehmerinnen fließen in diesen Leitfaden ebenso Blinde und sehbehinderte Menschen eine riesige ein wie erfolgreiche Erfahrungen der Projektpartner Hilfe. Ich persönlich war schon im Alter von zehn zum Onboarding von Menschen mit Behinderun- Jahren computer- und technikbegeistert und es gen in Unternehmen. Die Studie empfiehlt ferner hat mir viel Freude und Spaß gemacht, die IT- eine noch stärkere systematische und strukturelle Academy absolviert zu haben.“ Einbindung der beteiligten Unternehmen in den DANIEL, Inclusive IT-Academy-Absolvent Ausbildungslehrgang zu einem früheren Zeitpunkt. 2
Alle involvierten Stakeholder auf einen Blick Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort/Co-Finanzierung ESSL FOUNDATION / PROJEKTLEITUNG 14 Consulting-Spezialisten für Durchführende inklusive Beschäftigung: Ausbildungseinrichtung: • myAbility Social Enterprise htl Wien 3 - Rennweg • Specialisterne Österreich TeilnehmerInnen und Eingebunde Arbeitgeber, die 13 Projektevaluierung: FH Joanneum Graz Praktikumszusagen abgeben: AbsolventInnen • SEC-Consult der inklusiven • Verbund IT-Academy/ • PwC Zertifizierung des • Kreditschutzverband Cisco-Lehrgangs • Raiffeisen Informatik Cybersecurity und Erstellung Leitfaden: • u. a. DSVGO Friedrich Ruhm Einbindung in nationale und internationale Cisco-Zertifierungsstrukturen: • Cisco Networking Academy • Cisco Systems Austria • Cisco Systems London Für Bildungsinstitutionen Ich danke allen persönlich, die und Unternehmen an der inklusiven IT-Academy mitgewirkt haben, allen voran Ein weiteres Ergebnis des Projektes ist der vorlie- den TeilnehmerInnen, die gende Leitfaden. Dieser richtet sich an Bildungsan- sich auf dieses Pilotprojekt bieter, die ihr Kursportfolio um inklusive Angebote eingelassen haben und auch öffnen wollen, ebenso wie an Unternehmen, die mitgeholfen haben, Barrieren inklusive Arbeitsplätze schaffen und Menschen mit zu identifizieren und Lösungs- Behinderungen beschäftigen wollen. Die folgen- möglichkeiten zu erarbeiten. den Inhalte und Empfehlungen basieren auf den Ein großes Danke an die Professoren der htl Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt, der Evaluati- Rennweg, Herrn Prof. Christian Schöndorfer on sowie weiterer Recherchen und Interviews mit und Prof. Clemens Kussbach, die durch ihre involvierten Stakeholdern. fachliche Expertise und großen persönlichen Einsatz einen sehr großen Beitrag zum Gelin- gen dieses Projekts geleistet haben. Weiters der Cisco Network Academy, allen beteiligten „Ich kann mir sehr gut vorstellen, im Bereich MitarbeiterInnen in den Projektpartner-Organi- des technischen Datenschutzes zu arbeiten, da sationen, dem Evaluierungsteam, den inter- sich dies mit meinem derzeitigen Studium der essierten Unternehmen, die Praktikumsplätze Rechtswissenschaft sehr gut ergänzt und ich angeboten haben, jenen die an den Druckwer- dadurch auch bessere Chancen am Arbeitsmarkt ken mitgearbeitet haben und dem Projektlei- habe. Die IT-Academy hat mir dafür eine sehr gute tungsteam der Essl-Foundation. Basis gelegt.“ SILA, Inclusive IT-Academy-Absolventin Martin Essl, Juni 2019 3
Hintergrund und Einführung Was ist die „inclusive IT-Academy“? Warum braucht es ein Best Practice für barrierefreie Ausbildung und Beschäftigung? Und an wen richtet sich dieser Leitfaden? Die „inclusive IT-Academy“ ist ein Projekt der Essl Best Practice für Ausbildung Foundation für inklusive Berufsbildung und Integ und Beschäftigung ration auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen. Im Rahmen eines Pilotmodells Das übergeordnete Ziel der „inclusive IT-Academy“ absolvierten im Zeitraum Jänner bis Mai 2019 14 ist es, insbesondere für Menschen mit Behin Menschen mit und ohne Behinderungen einen derungen den Zugang zu einer Ausbildung zu „Lehrgang Cybersecurity und DSVGO“. verbessern, die auf dem Arbeitsmarkt stark nach- gefragt ist. Menschen mit Behinderungen verbes- Die Ausbildung im Umfang von insgesamt 140 sern damit ihre Chance auf ein selbstbestimmtes Stunden basierte auf einem Kursangebot der Cisco Leben und auf eine gleichberechtigte Teilnahme an Networking Academy und fand an der htl Rennweg der Gesellschaft. Die Wirtschaft erhält qualifizierte in Wien statt. Weitere wichtige Partner im gesam- Fachkräfte, die dringend gesucht werden. Und das ten Projekt waren die Behindertenorganisationen wiederum entlastet das österreichische Sozialbud- myAbility und Specialisterne. Den Abschluss bilde- get und erhöht die heimische Wirtschaftsleistung. ten zwei unterschiedliche Zertifizierungen für die TeilnehmerInnen. Das Projekt „inclusive IT-Academy“ soll daher als Best-Practice-Beispiel dienen, das auf andere Aus- Um interessierte und geeignete KandidatInnen für bildungswege in und außerhalb der IT ausstrahlt, das Projekt zu identifizieren, mussten insbesondere das aber auch Unternehmen ermutigt, vermehrt für die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen inklusive Arbeitsplätze zu schaffen. eigene Prozesse entwickelt und aufgesetzt wer- den. Dazu konnten etablierte Methoden aus dem Das Projekt wurde daher wissenschaftlich beglei- Human-Ressource-Management herangezogen tet und einer unabhängigen Evaluierung durch werden, diese mussten jedoch an die Anforderun- Professor Rainer Loidl vom Institut Soziale Arbeit gen des Projekts, aber auch an die Bedürfnisse der an der FH JOANNEUM in Graz unterzogen. Eine potenziellen TeilnehmerInnen angepasst werden. Kurzfassung dieser Evaluierung finden Sie ab Juli Weiters war und ist ein Ziel des Pilotmodells, die 2019 unter https://zeroproject.org/zero-project- TeilnehmerInnen, die den Kurs erfolgreich absol- it-academy. Die gesamte Studie wird unter der viert haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. gleichen Adresse ab August verfügbar sein. Auch dafür wurden eigene Maßnahmen aus den Bereichen Job-Placement und Onboarding entwi- ckelt und aufgesetzt. Für Bildungsinstitutionen und Unternehmen Ein weiterer Output ist der vorliegende Leitfaden. Dieser richtet sich an Bildungsanbieter, die ihr Kur- sportfolio um inklusive Angebote erweitern wollen, HINWEIS: Der Leitfaden steht Interessierten kostenlos ebenso wie an Unternehmen, die inklusive Arbeits- zur Verfügung und soll im Sinne dieses „Open-Sour- plätze schaffen und Menschen mit Behinderungen ce-Ansatzes“ laufend weiterentwickelt werden. Sollten beschäftigen wollen. Die folgenden Inhalte und Sie Fehler finden oder Erfahrungen einbringen Empfehlungen basieren auf den Erkenntnissen aus wollen, zögern Sie bitte nicht, uns diese mitzuteilen, dem Pilotprojekt, der Evaluierung sowie weiterer Anregungen und Ergänzungen, die dazu beitragen Recherchen und Interviews mit involvierten Stake- die Voraussetzungen für eine inklusive Gesellschaft zu holdern. verbessern, werden gerne aufgenommen und konti- nuierlich online aktualisiert. 4
Menschen mit Behinderungen in Österreich Wie viele Menschen mit Behinderungen gibt es in Österreich? Was bedeutet deren Recht auf Inklusion? Und wie ist der Zugang von Menschen mit Behinde- rungen zum Arbeitsmarkt? Gemäß dem Bundesgesetz über die Gleichstellung darf von und in keinem Lebensbereich ausge- von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behin- schlossen werden. dertengleichstellungsgesetz, BGStG) ist eine Be- hinderung die Auswirkung einer nicht nur vorüber- Das gilt insbesondere für die Bereiche Bildung und gehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Beschäftigung, die in mehrfacher Hinsicht existen- Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung zielle Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilha- und die gleichberechtige Teilnahme an der Gesell- be am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. schaft darstellen. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt Entsprechend der von der Statistik Austria1 im vierten Quartal 2015 durchgeführten Mikrozensus- Tatsächlich ist jedoch nur ein kleiner Teil aller Men- Zusatzerhebung leben 18,4 Prozent der österreichi- schen mit Behinderungen, die eine Beschäftigung schen Wohnbevölkerung (in Privathaushalten) oder suchen und – unter den richtigen Rahmenbedin- hochgerechnet 1,3 Millionen Personen mit einer gungen – ihre Leistung erbringen können, auch tat- dauerhaften Behinderung. sächlich auf dem (ersten) Arbeitsmarkt beschäftigt. Darüber hinaus fehlen aus unterschiedlichen Grün- Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Jedenfalls den (Erhebungsmethode, Datenschutz etc.) valide zählen dazu fehlende Zugänge zu einer qualifi- Daten. Tatsache ist jedoch, dass heute der geringe- zierten Berufsausbildung und zu barrierefreien re Teil von Menschen mit einer Behinderung damit Arbeitsplätzen. Die Folge ist, dass Menschen mit aufwächst. Nicht zuletzt sorgt der demografische Behinderungen erst gar keinen Job finden oder in Wandel dafür, dass die Gruppe der Menschen sogenannten Tages- oder Beschäftigungsstruktu- wächst, die eine Behinderung erst im Laufe ihres ren (Werkstätten) tätig sind, die ebenfalls nicht in Erwerbslebens erlangen. So liegt der Anteil von der Erwerbsstatistik erfasst sind. Menschen mit einer Behinderung in der Alters- gruppe über 65 bereits bei 50 Prozent. Laut Sozialministerium sind derzeit allein in diesen „Werkstätten“ aktuell rund 23.000 Menschen un- tergebracht. Da es sich dabei um keine Erwerbstä- Das Menschenrecht auf Inklusion tigkeit handelt, erhalten die dort Beschäftigten für ihre Arbeit kein Entgelt, sondern nur ein Taschen- Menschen mit Behinderungen sind jedenfalls eine geld. Außerdem haben sie keine eigenständige sehr heterogene Gruppe. Unumstritten ist aber ihr Sozialversicherung und auch keine der sonstigen Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Ansprüche oder Rechte von „normalen“ Arbeit- nehmerInnen. Und mangels höherwertiger Quali- „Inklusion“ ist ein von den Vereinten Nationen fikation gelingt den in diesen Werkstätten tätigen definiertes Menschenrecht, das den Anspruch aller Menschen nur in seltenen Ausnahmenfällen der Menschen beinhaltet, in einer Gesellschaft gleich- Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt. berechtigt und miteinander zu leben – unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientie- rung oder Behinderung. Das heißt, keine Person Regelungen greifen nicht, Qualifikation sehr wohl 1 Der Bericht über die Lage der Menschen mit Behinderungen in Österreich Daran ändert auch das Behinderten-Einstellungs- 2016 ist auf der Seite des Sozialministeriums im „Broschürenservice“ als pdf gesetz wenig. Demnach sind Betriebe mit über 24 abrufbar. https://broschuerenservice.sozialministerium.at MitarbeiterInnen verpflichtet, Menschen mit Be- 5
hinderungen anzustellen. Das sind jedoch lediglich (AMS) die Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen mit 2,9 Prozent aller österreichischen Unternehmen gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen und von diesen kommen nur etwa 22 Prozent ihrer von 31.263 im Jahresdurchschnitt 2008 auf 73.611 im Verpflichtung nach, wie der Österreichische Behin- Jahresdurchschnitt 2018 gestiegen. Das ist mehr dertenrat in seinem „Bericht zur Umsetzung der als eine Verdoppelung. Die Zahl der vorgemerk- UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit ten Arbeitslosen ohne gesundheitliche Vermitt- Behinderungen in Österreich“ (veröffentlicht im lungseinschränkungen stieg im selben Zeitraum Juli 2018) feststellt: „Der Rest bevorzugt, sich von von 180.990 auf 238.496. Ein Plus von lediglich 31,7 der Einstellungsverpflichtung durch Zahlung einer Prozent. Ausgleichtaxe in Höhe von zumindest 257 Euro pro nicht eingestellter Person und Monat freizukaufen.“ Noch gravierender zeigt sich die Benachteili- gung von Menschen mit Behinderungen auf Auch dass Menschen, die bereits vor der Aufnah- dem Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung des me einer konkreten Beschäftigung dem Kreis Wirtschaftsaufschwunges. Während die Zahl der der begünstigt behinderten Personen nach dem arbeitslosen Menschen mit Behinderungen Jahr BEinstG angehören, seit einigen Jahren erst nach für Jahr gestiegen ist, ist die Zahl der arbeitslosen vier Jahren Betriebszugehörigkeit (statt nach sechs Menschen ohne Behinderung seit 2015 (damals Monaten) einen Kündigungsschutz erwerben, hat waren 287.688 Menschen ohne gesundheitliche deren Zugang zum Arbeitsmarkt nicht verbessert. Vermittlungseinschränkungen vorgemerkt) sogar gesunken. So ist laut einer für die Essl Foundation erstellten Sonderauswertung durch das Arbeitsmarktservice Vorgemerkte Arbeitslose mit und ohne gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen – Jahresdurchschnitt 2008 – 2018 mit ohne gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen 350.000 300.000 250.000 200.000 212.253 260.309 250.782 246.702 260.643 287.207 319.357 354.332 357.313 339.976 312.107 150.000 100.000 50.000 31.263 35.673 35.664 36.439 39.978 47.364 57.594 66.644 72.262 75.545 73.611 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Quelle: Statistik Austria 6
Mangelberufe und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt Welche Berufe werden gesucht? Welche höheren Qualifikationen verbessern für Menschen mit Behinderungen den Zugang zum Arbeitsmarkt? Und wer braucht diese Fachkräfte am dringendsten? Das Sozialministerium erstellt jedes Jahr eine Liste Ein Großteil dieser Berufe ist für Menschen mit ei- der sogenannten Mangelberufe in Österreich. ner körperlichen Behinderung jedoch nicht ausüb- Diese ist die Grundlage für die mögliche Zuer- bar oder deren Ausübung ist zumindest mit einem kennung der Rot-Weiß-Rot-Karte, die qualifizierte hohen Aufwand verbunden. Das bestätigt auch die Arbeitskräfte aus Drittstaaten beantragen können. für die Essl Foundation durchgeführte AMS-Son- Insgesamt sind in dieser online abrufbaren Liste derauswertung. Demnach gab es 2018 die meis- 45 Berufe ausgewiesen. Dazu kommen weitere 20 ten offenen Stellen für KellnerInnen (3.062 oder Mangelberufe, die nur in einzelnen Bundesländern 4,3 Prozent) gefolgt von „Sonstige HändlerInnen benötigt werden. (Abrufbar ist diese Liste unter und VerkäuferInnen“ (2.796 oder 3,9 Prozent) und www.migration.gv.at) „Warensortierer, -nachseher, -adjustierer, -verpacker (m. /w.)“ mit 2.565 offenen Stellen (3,6 Prozent). Top-20: Bestand offener Stellen nach Berufen , Jahresdurchschnitt 2018 - sortiert Bestand Anteil Kellner/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.063 . . . . . . 4,3% Sonstige HändlerInnen und VerkäuferInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.796 . . . . . . 3,9% Warensortierer, -nachseher, -adjustierer, -verpacker (m. /w.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.565 . . . . . . . 3,6% Elektroinstallateur(e)Innen, -monteur(e)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.530 . . . . . . . 3,5% Gaststättenköch(e)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.400 . . . . . . 3,4% FuhrwerksunternehmerInnen, KraftfahrerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.262 . . . . . . 3,2% HändlerInnen und VerkäuferIinnen von Lebens- und Genussmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.933 . . . . . . 2,7% Magazin-, Lagerarbeiter, Verlader, Warenzusteller (m. /w.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.847 . . . . . . 2,6% Reinigungskräfte (m. /w.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.753 . . . . . . . 2,5% Tätige Betriebsdirektor(en)Innen, GeschäftsleiterInnen & verwandte Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.685 . . . . . . 2,4% Industrie-, Gewerbekaufleute (m. /w.), Kontorist(en)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.422 . . . . . . 2,0% Sonstige SchlosserInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.352 . . . . . . . 1,9% Sonstige TechnikerInnen für Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.341 . . . . . . . 1,9% MaurerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.247 . . . . . . . 1,7% Kochgehilf(en)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.191 . . . . . . . 1,7% KraftfahrzeugmechanikerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.128 . . . . . . . 1,6% Rohrinstallateur(e)Innen, -monteur(e)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.112 . . . . . . . 1,6% Nicht diplomierte KrankenpflegerInnen und verwandte Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.074 . . . . . . . 1,5% Laden-, Eintrittskartenkassier(e)innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.007 . . . . . . . 1,4% Sonstige TechnikerInnen für Maschinenbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862 . . . . . . . 1,2% Quelle: Statistik Austria 7
Digitalisierung braucht Fachkräfte Bestätigt werden diese Zahlen auch von Interes- senverbänden der Wirtschaft. So stellt der Fach- Einfacher ist naturgemäß der Zugang zu soge- verband für Unternehmensberatung, Buchhaltung nannten „Bürojobs“ oder zu „Bildschirmarbeit“. Die und Informationstechnologie (UBIT) in seinem umfassende Digitalisierung unsere Gesellschaft aktuellen „IKT Statusreport #4“ (veröffentlicht im sorgt dabei nicht nur für eine steigende Nachfrage Februar 2019) fest, dass derzeit 10.000 IT-Fachkräfte nach höherqualifizierten Fachkräften. Technische fehlen. Und auch die EU-Kommission rechnet, dass Assistenzsysteme und andere digitale Lösungen europaweit bis 2020 rund einer Million IT-Arbeits- haben insbesondere für Menschen mit Behinde- kräfte mehr gebraucht werden. rungen in den letzten Jahren die Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, enorm erwei- tert. KMU haben höchsten Leidensdruck Gemäß der AMS-Sonderauswertung haben sich Unter dem akuten Fachkräftemangel in Österreich die offenen Stellen im IT-Bereich in den letzten fünf leidet insbesondere der Mittelstand. Laut der von Jahren insgesamt mehr als vervierfacht. 2018 gab der internationalen Prüfungs- und Beratungsor- es beim AMS im Jahresdurchschnitt 2.391 offene ganisation EY durchgeführten Studie „Fachkräf- Stellen für EDV-TechnikerInnen, im Jahr 2014 waren temangel im österreichischen Mittelstand 2019“ es nur 551 gewesen. Auf zehn Jahre betrachtet fällt haben bereits 83 Prozent der Unternehmen in der Anstieg sogar noch höher aus. 2009 waren im Österreich Probleme bei der Suche nach Mitarbei- Schnitt 365 offene Stellen für EDV-TechnikerInnen terInnen (2018 waren es noch 79 Prozent gewesen). unbesetzt geblieben. Demnach plant fast jedes dritte mittelständische Der gestiegene Bedarf beschränkt sich dabei nicht Unternehmen in Österreich (32 Prozent) im ersten nur auf höchstqualifizierte IT-Fachkräfte. So gab es Halbjahr 2019 seine Belegschaft aufzustocken – in 2018 für DiplomingenieurInnen für Datenverarbei- Wien sind es sogar 45 Prozent. Bei vielen Firmen tung 554 offene Stellen, 2014 waren es 91 gewesen bleiben jedoch aufgrund des Fachkräftemangels (2009: 33). 2018 wurden 496 TechnikerInnen mit Stellen unbesetzt. Alle voran betrifft das die Produk- einer höheren Ausbildung (Ing.) für Datenverarbei- tion, wo bei fast jedem vierten Unternehmen (24 tung gesucht, 2014 waren es 139 (2009: 71). Und für Prozent) Stellen offen bleiben. Aber auch im Mar- „Sonstige TechnikerInnen für Datenverarbeitung“ keting oder Vertrieb (14 Prozent der Unternehmen) stieg die Zahl der offenen Stellen im Zeitraum 2014 und im Bereich IT/EDV (zwölf Prozent der Betriebe) bis 2018 sogar von 322 auf 1.341 (2009: 365). bleiben Stellen unbesetzt. Die Folge: vier von zehn österreichischen Unternehmen (40 Prozent) verlie- ren deswegen Umsätze. Positiver Effekt: die Bereitschaft der Unternehmen, Hürden zu überwinden und sich auf individuelle Bedürfnisse potenzieller MitarbeiterInnen einzu- stellen, steigt. Eine Annahme, die ebenfalls in der EY-Studie dokumentiert ist. So beschäftigt bereits jedes fünfte Unternehmen hierzulande asylberech- tigte Flüchtlinge. Trotz der dabei erlebten Hürden wie mangelnde Deutschkenntnisse (80 Prozent), unklare Rechtslage während laufender Asylverfah- ren (54 Prozent) oder mangelnde Qualifikationen (49 Prozent) und fehlende Planungssicherheit (47 Prozent). Und Erich Lehner, Managing Partner bei EY Österreich und verantwortlich für den Bereich Mittelstand, stellte anlässlich der Veröffentlichung der Studie fest: „Regional herrscht in Österreich teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst aussuchen. Gerade kleinere Unternehmen, die mit bekannteren, börsennotierten Unternehmen um Arbeitskräfte buhlen, können dadurch Stellen oft nur mühsam oder gar nicht besetzen.“ IT-Academy-Teilnehmer konzentriert bei einer Lehrübung 8
Jobmaschine Digitalisierung Warum die Digitalisierung so viele Jobs bringt? Welche werden das sein? Und welche ermöglichen Menschen mit Behinderungen bessere Chancen auf eine qualifizierte Beschäftigung? Die Digitalisierung, die von ExpertInnen auch als lar im Jahr 2018 auf 19,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 4. Industrielle Revolution bezeichnet wird, bringt 2027 wachsen. Und der weltweite Big-Data-Markt für Menschen mit Behinderungen zwei Chancen: mit Professional Services wird im selben Zeitraum Technische Lösungen und digitale Assistenzsyste- voraussichtlich von 16,5 Milliarden US-Dollar auf 21,3 me sowie nachgefragte Arbeitsplätze. Beide unter- Milliarden US-Dollar zulegen. stützen eine gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft. Tatsächlich gilt die Digitalisierung als die „Jobmaschine“ der Zukunft. Als Treiber gelten Cyber Security und Datenschutz dabei vor allem das Internet of Things (IoT) und Big Data sowie Cyber Security und Datenschutz. Mit dieser „Datenflut“ einher geht ein steigender Bedarf an Sicherheit im Internet. So stellte die „In- formation Systems Audit and Control Association“ Das Internet der Dinge (ISACA) – ein unabhängiger, globaler Berufsverband für IT-Revisoren, Wirtschaftsprüfer sowie Experten Das Internet of Things, kurz IoT, bezeichnet die der Informationssicherheit und IT-Governance Kommunikation von Maschine zu Maschine (M2M). bereits 2016 fest, dass Cybersicherheitsarbeitsplätze Glaubt man dem McKinsey Global Institute steigt dreimal schneller wachsen als IT-Arbeitsplätze insge- durch deren Einsatz der wirtschaftliche Mehrwert samt. In den USA würden laut ISACA-Untersuchung bis ins Jahr 2025 auf weltweit bis zu 11,1 Billionen 53 Prozent der Arbeitgeber länger als sechs Monate Dollar. Damit würden 2025 allein IoT-Anwendungen benötigen, um qualifizierte Cybersicherheitsex- fast bis zu zehn Prozent der globalen Wirtschafts- perten zu finden. Dazu komme, dass die Hälfte der leistung ausmachen, die von der Weltbank für das Bewerber nicht ausreichend qualifiziert sei. Und Jahr 2025 auf knapp 100 Billionen Dollar geschätzt global wurde von ISACA für 2019 ein Mangel an zwei wird. Von den McKinsey-ExpertInnen wurden dazu Millionen Cybersecurityprofis festgestellt. Eine Zahl, im Rahmen der Studie „Internet of Things: Mapping die bis 2021 auf 3,5 Millionen steigen soll. the Value beyond the Hype“ fast 300 Anwendun- gen für das Vernetzen von Maschinen und deren Gründe für diesen Bedarf an Internet-Sicherheitsex- direkte Kommunikation untereinander untersucht perten sind die ebenfalls zunehmenden kriminellen und deren potenzieller künftiger Mehrwert für Attacken. So rechnet das Analyse- und Nachrichten- verschiedene Märkte und Branchen ermittelt. Die portal zu Sicherheits- und Risikomanagement CSO, Beispiele reichen vom kontaktlosen Bezahlen über dass der Schaden durch Cyberkriminalität bis 2021 Monitoring im Gesundheitsbereich und Anwen- auf bis zu sechs Billionen US-Dollar pro Jahr stei- dungen, die die öffentliche Sicherheit verbessern gen wird. Für 2014 war in einer Studie von IBM und bis zu Prozessoptimierungen in der Industrie oder dem Ponemon Institute der Wert der gestohlenen in der Logistik. personenbezogenen Daten noch mit einer Milliarde US-Dollar beziffert worden. Damit steigen auch die Investitionen in Cybersecurity. Big Data Steigende Ausgaben und einen Bedarf an speziell Mit der steigenden Vernetzung nimmt auch das ausgebildeten Fachkräften verursacht auch der Datenvolumen zu. Big Data bezeichnet das Sam- Datenschutz. Hier ist der Treiber vor allem die von meln und Verarbeiten von digitalen Daten. Wikibon der Europäischen Union 2018 eingeführte Daten- aus den USA – das Unternehmen versteht sich als schutz-Grundverordnung (DSGVO). Diese regelt Community von Praktikern und Beratern, die den nun einheitlich für die EU das Sammeln und Ver- Open-Source-Austausch von Technologie- und Ge- arbeiten personenbezogener Daten durch private schäftswissen fördert – rechnet, dass die weltweiten Unternehmen wie öffentliche Institutionen. Gemäß Big-Data-Marktumsätze für Software und Dienst- einer Untersuchung des Beratungsunternehmens leistungen von 42 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 PWC bezifferten 88 Prozent der befragten Unter- auf 103 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027 steigen nehmen (aus Nicht-EU Ländern) den Aufwand für und eine jährliche Wachstumsrate von mehr als die entsprechende Vorbereitung mit mehr als einer zehn Prozent erreichen werden. Dabei werden laut Million US-Dollar. 69 Prozent planten dazu eine Wikibon-Prognose Big-Data-Anwendungen und externe Firma zu beauftragen, mehr als 30 Prozent Analysen voraussichtlich von 5,3 Milliarden US-Dol- eigene Ressourcen zu nutzen. 9
Neue Anforderungen an und neue Formen der Ausbildung Warum greifen traditionelle Lehrmethoden nicht mehr? Welche Rolle überneh- men Akademien von Unternehmen? Und wie funktioniert heute Lehren und Lernen? Die von der Digitalisierung ausgelösten Verän- lich gedacht, KundInnen mit den Produkten und derungen und vor allem deren Tempo bedingen Dienstleistungen vertraut zu machen. Zunehmend auch einen Wandel in der Ausbildung. Gefragt wurde das Angebot auf Bildungseinrichtungen sind heute Skills und Jobprofile, die nicht durch ausgedehnt. Für die Unternehmen bietet sich die Wachstum, sondern durch Veränderung entste- Möglichkeit, sich als Marke bei einer interessanten hen. Oder anders ausgedrückt: Es braucht nicht Zielgruppe früh bekannt zu machen. Die SchülerIn- MEHR vom SELBEN, sondern MEHR von NEUEM. nen erhalten die Möglichkeit, Skills und Zertifikate Diese Entwicklung steht jedoch im Widerspruch zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt anerkannt zu traditionellen Formen der Ausbildung. Auch in und nachgefragt sind. Und die Lehrenden profi- der IT. tieren von den Möglichkeiten, einen modernen Unterricht zu gestalten. Die Akademien stellen die- sen dafür umfassende Unterlagen zur Verfügung Traditionelle Lehre scheitert am Bedarf – inklusive detaillierter Lehrpläne und Vorlagen für Übungen und Prüfungen. Klassische Ausbildungskonzepte in den Schulen, Fachhochschulen und Universitäten folgen nach wie vor einem Bild, das von einem Informatiker als Beispiel: Cisco Networking Academy Generalist ausgeht. Tatsächlich ist es aufgrund der technischen Entwicklung heute immer weniger Welche Bedeutung derartige Akademien von Un- nötig, bis zu gar nicht mehr möglich, eine derartige ternehmen heute haben, zeigt sich eindrucksvoll an Breite an Wissen zu vermitteln. „Es stellt sich also der Cisco Networking Academy, die auch Partner immer mehr die Frage, ob der, der mit einem Com- der „inclusive IT-Academy“ ist. puter arbeitet, diesen auch verstehen muss“, erklärt dazu DI Christian Schöndorfer, Professor an der htl Aktuell betreibt Cisco, ein Hersteller von Netzwerk- Rennweg (Wien) für IT & Mechatronik und Leiter komponenten unter dem Dach der Cisco Networ- des Pilotkurses der „inclusive IT-Academy“: „Das king Academy, weltweit mehr als 10.000 Akademi- Bild des Informatikers wird sich massiv verändern, en. Mehr als 1,5 Millionen StudentInnen absolvieren vom universalen Generalisten hin zum spartenspe- gerade einen Kurs, seit der Gründung der Cisco zifischen Experten. Und auch für das Wissen wird Networking Academy wurden bis heute über zehn der Lifecycle künftig sicher noch kürzer sein als Millionen StudentInnen ausgebildet. Das von mehr früher.“ als 22.000 InstruktorInnen in über 180 Ländern und in 19 Kurssprachen. Ein plakatives Beispiel dafür, wie weit diese Spezia- lisierung geht, zeigt sich für Schöndorfer etwa beim Die Inhalte beschränken sich dabei längst nicht 3D-Druck. Vor ein paar Jahren noch unvorstellbar mehr auf IT-Hardware, in Summe umfasst das Kurs- ist auch das heute eine eigene Ausbildung, die angebot mittlerweile 19 Ausbildungen aus den Be- unter anderem Materialwissen und andere Qualifi- reichen Netzwerk, Sicherheit, IoT, Analyse, Betriebs- kationen beinhaltet. system und Programmieren ebenso wie Business, Entrepreneurship oder digitale Kompetenz. Akademien von U nternehmen Auch die Anforderungen und Niveaus der Kurse füllen Gap sind breit gefächert. So wird für den Kurs „Intro- duction to Cybersecurity“ nicht einmal ein Trainer In die größer werdende Lücke zwischen Ausbil- benötigt und die Dauer mit 15 Stunden angegeben. dungsangebot und nachgefragten Qualifikatio- Zielgruppe sind Schüler der Sekundarstufe oder nen stoßen zunehmend Unternehmen mit ihren auch interessierte Laien. Akademien. Deren Schulungen waren ursprüng- 10
Der „CCNA Cyber Ops“ hingegen ist ein Vertie- IT-Academy-TeilnehmerInnen mit unterstützenden fungskurs im Umfang von 70 Stunden mit Fokus Technologien während des Unterrichtes auf den Schutz bestehender Netzwerke. Die Ausbil- dung erfolgt durch einen entsprechenden zertifi- zierten Trainer, der die TeilnehmerInnen auf einen Abschluss mit einem „Cisco Cybersecurity Opera- tions Certification“ vorbereitet. Neue Unterrichtsformen fördern Inklusion Ein Erfolgsfaktor derartiger Akademien ist die Möglichkeit, Lerninhalte auch online zu nutzen. „Blended Learning“ bezeichnet eine solche Lehr- und Lernform, bei der klassischer Präsenzunterricht mit modernen Formen von E-Learning verknüpft wird. Diese Lernorganisation gibt TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Inhalte in ihrem eigenen Tempo nachzulesen und zu bearbeiten. Zu präferieren ist jedenfalls eine Kombination. Bil- dungsangebote, die ausschließlich online genutzt werden, führen zu hohen Abbruchraten. Das hat Praktische Übungen charakterisieren den sich bei den vor einigen Jahren noch gehypten Lehrgang „Moocs“ gezeigt, wo teilweise mehr als 90 Prozent der StudentInnen, die einen derartigen Online-Kurs begonnen haben, diesen nicht abgeschlossen haben. Als Gründe dafür wurden die fehlende sozia- le Interaktion oder auch die Motivation durch die Gruppe, aber auch durch Vortragende angeführt. Aufgrund der Erfahrungen aus dem Pilotmodell im Rahmen der „inclusive IT-Academy“ sowie Erkennt- nissen gängiger Lehre, empfiehlt sich ein Verhältnis von 80:20, heißt: 80 Prozent der Lerninhalte werden von den StudentInnen selbst erarbeitet, 20 Prozent gemeinsam in der Gruppe. Zudem empfiehlt sich nach neuesten Erkenntnissen, dass die Kursteilneh- merInnen die Lerninhalte eigenständig, „zu Hause“ erarbeiten, während deren Anwendung und Übung gemeinsam „in der Schule“ erfolgt. Eine Umkehr gegenüber der klassischen Pädagogik, weshalb diese Form des Unterrichts auch als „inverted class- room“ oder „flip teaching“ bezeichnet wird. Die Professoren des Lehrganges im Server- raum der htl Wien 3 Rennweg 11
Gestaltung eines inklusiven Ausbildungs- oder Jobangebotes Wie erreiche ich die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen? Welche Informa- tionen benötigt meine Zielgruppe? Wie gestalte ich die Kommunikation barrie- refrei und inklusive? Etablierte Methoden und Kanäle aus dem Human- oesterreich.gv.at Ressource-Management eignen sich nur bedingt, oesterreich.gv.at ist eine Online-Plattform, die um KandidatInnen für ein inklusives Ausbildungsan- vom Bundesministerium für Digitalisierung und gebot oder ein Jobangebot, das sich insbesondere Wirtschaftsstandort herausgegeben wird. Primä- auch an Menschen mit Behinderungen richtet, zu res Ziel der behördenübergreifenden Plattform identifizieren. Umso mehr, wenn auch KandidatIn- ist, dass Bürger damit ausgewählte Amtswege nen angesprochen werden sollen, die bisher noch online erledigen könne. Abgedeckt werden aber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. auch Informationen rund um Verwaltungs- und andere Themen. Wie auch das Thema „Menschen Und auch ein barrierefreier oder gar inklusiver Zu- mit Behinderungen“. Dort finden sich Informatio- gang zu Aus- oder Weiterbildung ist nach wie vor nen unter anderem zu den Bereichen Ausbildung, keine Selbstverständlichkeit. Daher ist es notwen- Arbeit und Pension, aber auch (unter der Rubrik dig, Menschen mit Behinderungen gezielt anzu- Sonstiges/Sonstige Informationen eine Liste von sprechen, um sie über ein inklusives oder barriere- Selbsthilfegruppen sowie von Vereinen und Behin- freies Angebot zu informieren. dertenorganisationen. www.oesterreich.gv.at/themen/menschen_mit_ behinderungen.html Wie erreiche ich Menschen mit Behinderungen? Netzwerk Berufliche Assistenz (NEBA) Neben Karriereportalen und ähnlichen Kanälen, die Das Netzwerk Berufliche Assistenz, kurz NEBA, sich nicht explizit an eine Zielgruppe richten, gibt ist ein vom Sozialministeriumservice finanziertes es dazu auch Wege, über die Menschen mit Behin- System, das nach eigenen Angaben Menschen derungen direkt adressiert werden können. Allen mit Behinderungen und ausgrenzungsgefährde- voran bieten sich dafür die Behindertenorganisatio- te Jugendliche unterstützt. Die Leistungen wer- nen in Österreich an. den kostenlos zur Verfügung gestellt und sind so konzipiert, dass sie Ressourcendefizite der Leis- tungsempfängerInnen bedarfsgerecht ausgleichen behindertenrat.at sollen. Zusammengefasst werden diese Leistungen Die Interessenvertretung der in Österreich le- in fünf Bereiche der beruflichen Assistenz: Jugend- benden Menschen mit Behinderungen ist der coaching, Produktionsschule, Berufsausbildung- Österreichische Behindertenrat. Zudem ist er die sassistenz, Arbeitsassistenz sowie Jobcoaching. Die Dachorganisation der Behindertenverbände in Ös- Umsetzung erfolgt durch österreichweit mehr als terreich, der mehr als 80 ordentliche und fördernde 200 AnbieterInnen, die auf der Internet-Seite gelis- Mitgliedsverbände und Partner angehören. Der tet sind und nach Kriterien wie angebotene Leis- Österreichische Behindertenrat versteht sich selbst tungen, Bundesland oder Bezirk selektiert werden. als politische Lobby, er ist also keine Serviceein- www.neba.at richtung, die Menschen mit Behinderungen direkt betreut. Diese Aufgabe übernehmen bundeswei- te oder regional agierende Organisationen und Wie bereite ich mein Angebot solche, die Menschen mit spezifischen Behinderun- barrierefrei auf? gen vertreten. So finden sich beispielsweise unter den Mitgliedern des Österreichischen Behinderten- Üblicherweise erfolgt der Erstkontakt heute on- rats ein dachverband berufliche integration austria line oder via App. Für den barrierefreien Zugang ebenso wie eine Behindertenhilfe Bezirk Korneu- zu Websites und mobilen Anwendungen gibt es burg oder die Hilfsgemeinschaft der Blinden und internationale Standards, die von der W3C Web Sehschwachen Österreichs. Accessibility Initiative (WAI) festgelegt und laufend www.behindertenrat.at/ueber-uns/mitglieder/ aktualisiert werden. Zu diesen Standards gehören 12
die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) Wie gestalte ich die Anmeldung und andere Ressourcen für Designer und Entwick- oder Bewerbung? ler sowie Informationen für Autoren. Für weitere Informationen siehe: www.w3.org/WAI/ In der Regel erfolgt eine Anmeldung oder Bewerb ung heute mit einem Online-Formular. Insbesondere Inhaltlich sollte sich das Angebot an den Anfor- für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung muss derungen orientieren, die BewerberInnen spä- daher sichergestellt sein, dass das Formular auch mit ter zu erfüllen haben – als TeilnehmerInnen an elektronischen Assistenzsystemen nutzbar ist (siehe einer Ausbildung oder als ArbeitnehmerInnen. dazu folgend Seite 20). Aber auch davon unabhän- Sind beispielsweise die Voraussetzungen für eine gig können Online-Formulare für Menschen mit Ausbildung oder eine Beschäftigung derart, dass oder ohne Behinderung eine Hürde darstellen. Es eine intellektuelle Beeinträchtigung keine Hürde empfiehlt sich daher auch alternative Wege für eine darstellt, sollten Informationen auch in einer Leicht- Anmeldung oder Bewerbung anzubieten. Etwa per Lesen-Version verfügbar gemacht werden. E-Mail oder persönlich. Wie adressiere ich Menschen Wie ermittle ich den Bedarf mit Behinderungen? an Unterstützung? Tendenziell haben Menschen mit Behinderungen Aus rechtlichen Gründen ist es nicht möglich, bei meist größere Hemmungen, sich für eine Aus- der Anmeldung gezielt nach einer Behinderung bildung oder ein Jobangebot zu bewerben als oder gesundheitlichen Einschränkung zu fragen. Menschen ohne Behinderunge. Daher empfiehlt Sehr wohl kann man aber nach Anforderungen fra- es sich, diese explizit anzusprechen. Etwa mit der gen, die erfüllt sein sollten, damit eine Person eine Formulierung: angebotene Ausbildung absolvieren oder einen Stelle antreten kann. Etwa indem in der expliziten „Wir wenden uns gezielt auch an Menschen mit Ansprache von Menschen mit Behinderungen auch Behinderungen und regen an, alle für Sie not- angeregt wird, notwendige Anforderungen inner- wendigen Anforderungen innerhalb des Bewer- halb des Bewerbungsprozesses bekannt zu geben. bungsprozesses bekannt zu geben.“ Damit wird Alternativ können im Anmeldeprozess mögliche nicht nur ein explizites Angebot gemacht, sondern Maßnahmen, die für eine Teilnahme Voraussetzung auch die Bereitschaft signalisiert, auf individuelle sind, zur Auswahl gestellt werden. Zum Beispiel: Für Bedürfnisse eingehen zu wollen. Empfehlenswert meine Teilnahme ist Einfache Sprache Vorausset- ist es zudem, bereits bei der Anmeldemöglichkeit zung ja/nein. Informationen über die Erreichbarkeit und Barrie- refreiheit des Ausbildungsortes (Arbeitsplatzes) zur Jedenfalls ist sicherzustellen, dass Informationen Verfügung zu stellen. und deren Verarbeitung den Richtlinien der Daten- schutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen. Wie detailliert formuliere ich meine Anforderungen? Gibt es Förderungen für inklusive Ausbildungsangebote? Die Informationen sollten so umfassend und so detailliert sein, dass sich nur KandidatInnen be- Das Sozialministeriumservice (früher: Bundes- werben, die auch die notwendigen Qualifikationen sozialamt) fördert Ausbildungsmaßnahmen für mitbringen. Dem steht jedoch gegenüber, dass Menschen mit Behinderungen, etwa in Produkti- Menschen mit Behinderungen – aufgrund nach- onsschulen, Lehrwerkstätten und Qualifizierungs- vollziehbarer Gründe – eher dazu neigen, sich nicht projekten, Fachkursen oder anderen Maßnahmen ausreichend qualifiziert zu fühlen. Daher sollte im beruflicher Ausbildung. Angebot oder in einem Inserat genau beschrieben sein, in welchem Ausmaß Anforderungen zu erfül- Darüber hinaus können in Ausbildung stehende len sind. Beispielsweise Englisch: Grundkenntnisse, Menschen mit Behinderungen ab dem 15. Lebens- Kundenkontakt: nur telefonisch etc. Außerdem jahr bei der zuständigen Landesstelle des Sozialmi- empfiehlt es sich, Interessierten die Möglichkeit zu nisteriumservice eine Ausbildungsbeihilfe beantra- geben, sich bei Fragen sehr niedrigschwellig vorab gen, wenn sie sich nach Erfüllung der Schulpflicht an jemanden wenden zu können. Beispielswei- in einer staatlich anerkannten Ausbildung (Lehr- se mit der Formulierung: „Wenn Sie Fragen zum ausbildung, weiterbildenden Schule, Studium) Bewerbungsprozess oder Sonstigem haben, zum befinden. Auch das Arbeitsmarktservice und die Beispiel Barrierefreiheit betreffend, wenden Sie sich Bezirkshauptmannschaften bzw. Magistrate bieten bitte an . . .“ Idealerweise werden zur Kontaktauf- im Rahmen der Behindertenhilfe der Bundesländer nahme zwei Kanäle angeboten: Telefon und E-Mail. Unterstützungen für Ausbildungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderung an. www.sozialministeriumservice.at www.ams.at 13
Checkliste für Bewerbungen im Rahmen des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“ 1. Folgende Informationen sollten vom Bewerber sehr niedrigschwellig erhoben werden: • Jobvorstellungen • angestrebtes Berufsfeld • nähere Angaben zur gewünschten Tätigkeit • auf der Suche nach Vollzeit oder Teilzeit • eigener Karrierestatus derzeit (in Ausbildung etc.) • verfügbar ab wann? • vorhandene Aus- und Weiterbildung • Berufserfahrung • Sprachkenntnisse mit welchem Niveau • sonstige Kenntnisse 2. Fragen zu den Voraussetzungen für eine barrierefreie Teilnahme können betreffen: • Erreichbarkeit • Orientierung • Raum • Kursunterlagen • Vorhandensein der technischen Infrastruktur zu Hause (wie z.B. Computer, leistungsfähige Internetverbindung) • Lernen 14
Assessment: Die Auswahl geeigneter Kandidaten Wie erreiche ich die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen? Welche Informa- tionen benötigt meine Zielgruppe? Wie gestalte ich die Kommunikation barrie- refrei und inklusive? Für den Erfolg der Ausbildung ist es notwendig, wird und ob eventuell auch Tests oder Übungen zu KandidatInnen auszuwählen, die über die entspre- absolvieren sind. chende Bereitschaft sowie die nötigen Vorausset- zungen verfügen, um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Welche Qualifikationen darf ich erwarten? Viele der Behindertenorganisationen unterstützen ihre Mitglieder bei der Bewerbung, bei der Vorbe- Auch wenn das Ziel ist, möglichst allen Menschen reitung auf ein Auswahlgespräch oder begleiten eine inklusive Ausbildung zugänglich zu machen, dieses sogar. Je mehr diese daher bereits im Vorfeld steht dazu nicht im Widerspruch, Musskriterien für in die Gestaltung des Assessments eingebunden eine Teilnahme festzulegen. Im Idealfall wurden sind, umso größer ist die Chance, die besten Kan- diese bereits in der Ausschreibung bekannt gege- didatInnen identifizieren zu können. So haben im ben, jedenfalls dienen sie als Grundlage für die Aus- Rahmen des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“- wahl geeigneter KandidatInnen. Derartige Muss- die beiden Partnerorganisationen MyAbility und kriterien können sein: Mindestalter, ein definiertes Specialisterne sogar die Vorauswahl qualifizierter Niveau an Englisch- oder andern Sprachkenntnis- KandidatInnen übernommen. sen sowie weitere Schlüsselqualifikationen, die eine Grundvoraussetzung darstellen. Wie gestalte ich das Assessment? Im Vordergrund des Assessments sollte in jedem Fall das Erkennen von Stärken und nicht die Fest- Für die Auswahl der geeigneten KandidatInnen stellung von Defiziten stehen. müssen vorab das Anforderungsprofil, ein Leitfa- den für die Durchführung des Interviews, gezielte Fragen und Fragetechniken sowie Kriterien für die Wie bereite ich mich selbst Beurteilung der KandidatInnen definiert werden. auf das Assessment vor? In welcher Form das Assessment erfolgt, ist nicht Hat man noch keine oder wenig Erfahrung im Um- eindeutig zu beantworten. So fanden im Rahmen gang mit Menschen mit Behinderungen sollte man des Projekts „inclusive IT-Academy“ sowohl Grup- sich auch selbst auf mögliche Berührungsängste pengespräche wie auch Einzelinterviews statt. In oder Hemmungen vorbereiten. Was darf man der Regel empfehlen sich jedoch eher Einzelinter- sagen? Wann greift man helfend ein? Am besten views, da Menschen mit oder ohne Behinderung in ist es, den oder die KandidatIn direkt und bereits einem solchen „Setting“ eher bereit sind, auf indivi- bei der Terminvereinbarung darauf anzusprechen: duelle Bedürfnisse hinzuweisen als in einer Gruppe. „Welche Dinge gibt es, die ich für unser Gespräch beachten sollte?“ Oder: „Kann ich noch etwas be- Im Idealfall wird den KandidatInnen auch die achten, um unser Meeting für Sie angenehmer zu Möglichkeit zur Wahl gegeben, indem es beispiels- gestalten.“ weise einen Gruppentermin gibt und alternativ die Möglichkeit angeboten wird, das Gespräch zu Diese Vorgehensweise empfiehlt sich insbesonde- einer anderen Zeit oder auch an einem anderen Ort re, wenn man aufgrund der Anmeldung nicht weiß, durchzuführen. welche Behinderung der Bewerber möglicherweise hat. Weitere Informationen zu spezifischen Be- In jedem Fall sollten die KandidatInnen vorab infor- hinderungen geben einem auch die Vertreter der miert sein, welches „Setting“ sie erwartet, heißt wo KandidatInnen oder deren Organisationen. das Gespräch stattfindet, wer aller anwesend sein 15
Wie bewerte ich das Assessment? Welches Ergebnis haben Sie erzielt? Je detaillier- ter und authentischer BewerberInnen antworten, Für die im Rahmen des Pilotprojekts „inclusive desto eher kann davon ausgegangen werden, dass IT-Academy“ durchgeführten Assessment-Ge- das hinterfragte Verhalten auch tatsächlich bereits spräche wurde eine adaptierte Form der verhal- praktiziert wurde. tensorientierten Interviewmethode angewandt. Grundlage dieser Technik ist die wissenschaftliche Die Reihenfolge der Fragen ist nicht zwingend Erkenntnis, dass vergangenes Verhalten sehr oft vorgegeben. Jeder Bewerber sollte jedoch – im wiederholt wird. Das heißt, das Verhalten einer Sinne der Vergleichbarkeit – zumindest ähnliche Person in einer bestimmten Situationen in der Ver- Fragen gestellt bekommen. Der Interviewer schafft gangenheit erlaubt, eine Prognose wie sich diese mit dieser Methode eine Struktur für das Gespräch. Person künftig verhalten wird. Daher eignet sich Diese Struktur wiederum schafft eine neutrale und diese Technik insbesondere um Informationen über von der etwaigen Behinderung der KandidatInnen die Fähigkeiten und das Verhalten von Bewerber unabhängige Grundlage für die Beurteilung. Innen in bestimmten Situationen, die im Rahmen der Ausbildung oder an einem Arbeitsplatz relevant Die Validität der Vorhersage lässt sich zudem durch sein können. das Einbeziehen unterschiedlicher Beobachtungs- ebenen und von kleinen Tests erhöhen. Beispiels- Diese Form des Interviews ist auch bekannt als weise können das bereits vorhandene Erhebungen STAR-Methode. STAR steht dabei für Situation, Task, der Betreuungsorganisationen sein oder Tests wie Action und Result (Deutsch: Situation, Aufgabe, sie Specialisterne – Partner im Projekt „inclusive Handlung und Ergebnis). Entsprechend umfasst IT-Academy“ – für die Auswahl ihrer KandidatInnen diese Befragungstechnik folgende vier Grundfra- mit einer Diagnose aus dem Autismusspektrum gen: Welche Situation haben Sie vorgefunden? Was anwendet (at.specialisterne.com). Keinesfalls sollten war Ihre Aufgabe? Was haben Sie konkret getan? BewerberInnen jedoch „niedergetestet“ werden. Checkliste für Einzelinterviews im Rahmen des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“ Begrüßung • Kurzvorstellung der Gesprächspartner & Zielsetzung des Gespräches • Erklärung des Projekts & der Zielsetzungen • Wichtig: wechselseitiges Kennenlernen proaktiv ansprechen; auffor- dern, Fragen stellen, sollten im Gespräch Barrieren erlebt werden, sollen diese bitte gleich angesprochen werden • Ziel: Beide Seiten sollen jene Informationen bekommen, die sie für eine gute Entscheidung benötigen Zu hinterfragende Schlüsselqualifikationen: • Konzentrationsfähigkeit • logisch-schlussfolgerndes Denken 16
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