Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!

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Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
LEITFADEN

Inklusive Ausbildung,
inklusiver Arbeitsplatz –
so kann’s gehen!

― Ein Leitfaden für Bildungseinrichtungen und Unternehmen
  die im Sinne einer inklusiven Gesellschaft insbesondere Menschen mit
  ­Behinderungen ansprechen wollen

―― Abgeleitet aus den Erfahrungen und Recherchen
   im Rahmen des Projekts „inclusive IT-Academy“ zur Qualifizierung von
   Menschen mit Behinderungen und höchsten Beschäftigungschancen
Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Inhalt

Vorwort und Executive Summary.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

Hintergrund und Einführung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Menschen mit Behinderungen in Östearreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Mangelberufe und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Jobmaschine Digitalisierung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Neue Anforderungen an und neue Formen der Ausbildung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Gestaltung eines inklusiven Ausbildungs- oder Jobangebotes. . . . . . . . . . . . . . 12

Assessment: Die Auswahl geeigneter Kandidaten.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Umsetzung eines Inklusiven Bildungsangebotes.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Jobvermittlung und Onboarding.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Service und Links. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

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Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Vorwort und Executive Summary
MARTIN ESSL, Gründer der Essl Foundation

Was ist die „inclusive IT-Academy“? Warum braucht es ein Best Practice für barriere­
freie Ausbildung und Beschäftigung? Und an wen richtet sich dieser Leitfaden?

Die „inclusive IT-Academy“ ist ein Projekt der Essl       Best Practice für Ausbildung
Foundation für inklusive Berufsbildung und Integra­       und Beschäftigung
tion auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Be­hin­­­­­-
der­ungen. Im Rahmen eines Pilotmodells absol­vierten     Das übergeordnete Ziel der „inclusive IT-Academy“ ist
 im Zeitraum Jänner bis Mai 2019 zwölf Menschen mit       es, allen Menschen, auch jenen mit Behinderungen,
Behinderungen (Asperger-Autismus, mo­bile Beein-          den Zugang zu einer Ausbildung zu ermöglichen, die
trächtigung, Sehbeeinträchtigung, Hörbeeinträchti-        auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt ist. Men-
gung, chronische Erkrankung) und zwei Menschen            schen mit Behinderungen verbessern damit ihre
ohne Behinderungen einen Lehrgang „Cisco Cyberse-         Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und auf eine
curity und Datenschutzgrundverordnung“.                   gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft. Die
                                                          Wirtschaft erhält qualifizierte Fachkräfte, die drin-
Die Ausbildung im Umfang von insgesamt 140                gend gesucht werden. Und das wiederum integriert
Stunden basierte auf einem Kursangebot der Cisco          Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt,
Networking Academy und fand an der htl Wien               entlastet das österreichische Sozialbudget und er-
3 Rennweg statt. Weitere Partner im gesamten              höht die heimische Wirtschaftsleistung.
Projekt waren die Beratungsunternehmen my­
Ability Social Enterprise GmbH und Specialisterne         Das Projekt „inclusive IT-Academy“ soll als Best-
Österreich. Den Abschluss der Academy bildeten            Practice-Beispiel dienen, das auf andere Ausbil-
zwei unterschiedliche Cisco Zertifizierungen für die      dungswege in und außerhalb der IT ausstrahlt,
TeilnehmerInnen. Ein zentraler Bestandteil ist die        das aber auch Unternehmen ermutigt, vermehrt
Miteinbindung von Unternehmen, die bereits in             inklusive Arbeitsplätze zu schaffen.
einer frühen Projektphase involviert waren. Große
Arbeitgeber wie Raiffeisen Informatik, SEC-Consult,
PWC, Kreditschutzverband, Verbund AG u. a. haben          Wissenschaftliche Begleitung
die Gelegenheit der Kooperation ergriffen und             des Projektes
bieten Praktikumsplätze – auch mit der Perspektive
einer möglichen Fixanstellung – an.                       Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet und
                                                          einer unabhängigen Evaluierung durch Professor
Um interessierte und geeignete Kandidaten für das         FH Dr. Rainer Loidl und Julian Sorgo vom Institut
Projekt zu identifizieren, mussten insbesondere für       Sozialarbeit und Sozialmanagement an der FH
die Zielgruppe Menschen mit Behinderung eigene            JOANNEUM in Graz unterzogen. Eine Kurzfassung
Prozesse entwickelt und aufgesetzt werden. Dazu           dieser Evaluation ist als Download unter https://ze-
konnten etablierte Methoden aus dem Personalwe-           roproject.org/zero-project-it-academy verfügbar.
sen herangezogen werden, die an die Anforderun-
gen des Projekts aber auch an die Bedürfnisse der         Diese Evaluierung zeigt einerseits, dass das kon-
potenziellen TeilnehmerInnen angepasst wurden.            zipierte, inklusive Programmkonzept auf hohem
Gleichzeitig war es ein Ziel des Pilotmodells, die        Niveau umgesetzt werden konnte und ein zertifi-
TeilnehmerInnen, die den Kurs erfolgreich absol-          zierter Cisco-Abschluss erreicht wurde. Anderer-
viert haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren.          seits wird aufgezeigt, dass die zweite Zielebene, die
Auch dafür wurden spezielle Maßnahmen aus den             TeilnehmerInnen in ein fixes Beschäftigungsver-
Bereichen Praktika, Job-Placement und Onboar-             hältnis zu bringen, zum Zeitpunkt der Drucklegung
ding entwickelt und aufgesetzt.                           dieses Leitfadens noch offen ist. Die in der Evaluie-
                                                          rung aufgezeigten Sichtweisen der Teilnehmer und
„IT und Computertechnik im Allgemeinen sind für           Teilnehmerinnen fließen in diesen Leitfaden ebenso
Blinde und sehbehinderte Menschen eine riesige            ein wie erfolgreiche Erfahrungen der Projektpartner
Hilfe. Ich persönlich war schon im Alter von zehn         zum Onboarding von Menschen mit Behinderun-
Jahren computer- und technikbegeistert und es             gen in Unternehmen. Die Studie empfiehlt ferner
hat mir viel Freude und Spaß gemacht, die IT-­            eine noch stärkere systematische und strukturelle
Academy absolviert zu haben.“                             Einbindung der beteiligten Unternehmen in den
DANIEL, Inclusive IT-Academy-Absolvent                    Ausbildungslehrgang zu einem früheren Zeitpunkt.

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Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Alle involvierten Stakeholder auf einen Blick

            Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort/Co-Finanzierung

                                   ESSL FOUNDATION / PROJEKTLEITUNG

                                                   14
 Consulting-Spezialisten für                                               Durchführende
 inklusive Beschäftigung:                                                  Ausbildungseinrichtung:
 • myAbility Social Enterprise                                             htl Wien 3 - Rennweg
 • Specialisterne Österreich                  TeilnehmerInnen
                                                      und

 Eingebunde Arbeitgeber, die
                                                    13                     Projektevaluierung:
                                                                           FH Joanneum Graz
 Praktikumszusagen abgeben:                    AbsolventInnen
 • SEC-Consult                                  der inklusiven
 • Verbund                                       IT-Academy/
 • PwC                                        Zertifizierung des
 • Kreditschutzverband                         Cisco-Lehrgangs
 • Raiffeisen Informatik                      Cybersecurity und            Erstellung Leitfaden:
 • u. a.                                            DSVGO                  Friedrich Ruhm

                                 Einbindung in nationale und internationale
                                 Cisco-Zertifierungsstrukturen:
                                 • Cisco Networking Academy
                                 • Cisco Systems Austria
                                 • Cisco Systems London

Für Bildungsinstitutionen                                                     Ich danke allen persönlich, die
und Unternehmen                                                               an der inklusiven IT-Academy
                                                                              mitgewirkt haben, allen voran
Ein weiteres Ergebnis des Projektes ist der vorlie-                           den TeilnehmerInnen, die
gende Leitfaden. Dieser richtet sich an Bildungsan-                           sich auf dieses Pilotprojekt
bieter, die ihr Kursportfolio um inklusive Angebote                           eingelassen haben und auch
öffnen wollen, ebenso wie an Unternehmen, die                                 mitgeholfen haben, Barrieren
inklusive Arbeitsplätze schaffen und Menschen mit                             zu identifizieren und Lösungs-
Behinderungen beschäftigen wollen. Die folgen-                                möglichkeiten zu erarbeiten.
den Inhalte und Empfehlungen basieren auf den                Ein großes Danke an die Professoren der htl
Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt, der Evaluati-            Rennweg, Herrn Prof. Christian Schöndorfer
on sowie weiterer Recherchen und Interviews mit              und Prof. Clemens Kussbach, die durch ihre
involvierten Stakeholdern.                                   fachliche Expertise und großen persönlichen
                                                             Einsatz einen sehr großen Beitrag zum Gelin-
                                                             gen dieses Projekts geleistet haben. Weiters
                                                             der Cisco Network Academy, allen beteiligten
„Ich kann mir sehr gut vorstellen, im Bereich                MitarbeiterInnen in den Projektpartner-Organi-
des technischen Datenschutzes zu arbeiten, da                sationen, dem Evaluierungsteam, den inter-
sich dies mit meinem derzeitigen Studium der                 essierten Unternehmen, die Praktikumsplätze
­Rechtswissenschaft sehr gut ergänzt und ich                 angeboten haben, jenen die an den Druckwer-
 dadurch auch bessere Chancen am Arbeitsmarkt                ken mitgearbeitet haben und dem Projektlei-
 habe. Die IT-Academy hat mir dafür eine sehr gute           tungsteam der Essl-Foundation.
 Basis gelegt.“
 SILA, Inclusive IT-Academy-Absolventin                      Martin Essl, Juni 2019

                                                                                                            3
Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Hintergrund und
Einführung
Was ist die „inclusive IT-Academy“? Warum braucht es ein Best Practice für
­barrierefreie Ausbildung und Beschäftigung? Und an wen richtet sich dieser
 Leitfaden?

Die „inclusive IT-Academy“ ist ein Projekt der Essl          Best Practice für Ausbildung
Foundation für inklusive Berufsbildung und Integ­            und Beschäftigung
ration auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit
Behinderungen. Im Rahmen eines Pilotmodells                  Das übergeordnete Ziel der „inclusive IT-Academy“
absolvierten im Zeitraum Jänner bis Mai 2019 14              ist es, insbesondere für Menschen mit Behin­
Menschen mit und ohne Behinderungen einen                    derungen den Zugang zu einer Ausbildung zu
„Lehrgang Cybersecurity und DSVGO“.                          verbessern, die auf dem Arbeitsmarkt stark nach-
                                                             gefragt ist. Menschen mit Behinderungen verbes-
Die Ausbildung im Umfang von insgesamt 140                   sern damit ihre Chance auf ein selbstbestimmtes
Stunden basierte auf einem Kursangebot der Cisco             Leben und auf eine gleichberechtigte Teilnahme an
Networking Academy und fand an der htl Rennweg               der Gesellschaft. Die Wirtschaft erhält qualifizierte
in Wien statt. Weitere wichtige Partner im gesam-            Fachkräfte, die dringend gesucht werden. Und das
ten Projekt waren die Behindertenorganisationen              wiederum entlastet das österreichische Sozialbud-
myAbility und Specialisterne. Den Abschluss bilde-           get und erhöht die heimische Wirtschaftsleistung.
ten zwei unterschiedliche Zertifizierungen für die
TeilnehmerInnen.                                             Das Projekt „inclusive IT-Academy“ soll daher als
                                                             Best-Practice-Beispiel dienen, das auf andere Aus-
Um interessierte und geeignete KandidatInnen für             bildungswege in und außerhalb der IT ausstrahlt,
das Projekt zu identifizieren, mussten insbesondere          das aber auch Unternehmen ermutigt, vermehrt
für die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen                inklusive Arbeitsplätze zu schaffen.
eigene Prozesse entwickelt und aufgesetzt wer-
den. Dazu konnten etablierte Methoden aus dem                Das Projekt wurde daher wissenschaftlich beglei-
Human-Ressource-Management herangezogen                      tet und einer unabhängigen Evaluierung durch
werden, diese mussten jedoch an die Anforderun-              Professor Rainer Loidl vom Institut Soziale Arbeit
gen des Projekts, aber auch an die Bedürfnisse der           an der FH JOANNEUM in Graz unterzogen. Eine
potenziellen TeilnehmerInnen angepasst werden.               Kurzfassung dieser Evaluierung finden Sie ab Juli
Weiters war und ist ein Ziel des Pilotmodells, die           2019 unter https://zeroproject.org/zero-project-
TeilnehmerInnen, die den Kurs erfolgreich absol-             it-­academy. Die gesamte Studie wird unter der
viert haben, in den Arbeitsmarkt zu integrieren.             ­gleichen Adresse ab August verfügbar sein.
Auch dafür wurden eigene Maßnahmen aus den
Bereichen Job-Placement und Onboarding entwi-
ckelt und aufgesetzt.                                        Für Bildungsinstitutionen
                                                             und Unternehmen
                                                             Ein weiterer Output ist der vorliegende Leitfaden.
                                                             Dieser richtet sich an Bildungsanbieter, die ihr Kur-
                                                             sportfolio um inklusive Angebote erweitern wollen,
    HINWEIS: Der Leitfaden steht Interessierten kostenlos
                                                             ebenso wie an Unternehmen, die inklusive Arbeits-
    zur Verfügung und soll im Sinne dieses „Open-Sour-       plätze schaffen und Menschen mit Behinderungen
    ce-Ansatzes“ laufend weiterentwickelt werden. Sollten    beschäftigen wollen. Die folgenden Inhalte und
    Sie Fehler finden oder Erfahrungen einbringen            Empfehlungen basieren auf den Erkenntnissen aus
    wollen, zögern Sie bitte nicht, uns diese mitzuteilen,   dem Pilotprojekt, der Evaluierung sowie weiterer
    Anregungen und Ergänzungen, die dazu beitragen           Recherchen und Interviews mit involvierten Stake-
    die Voraussetzungen für eine inklusive Gesellschaft zu   holdern.
    verbessern, werden gerne aufgenommen und konti-
    nuierlich online aktualisiert.

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Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
Menschen mit Behinderungen
in Österreich
Wie viele Menschen mit Behinderungen gibt es in Österreich? Was bedeutet
deren Recht auf Inklusion? Und wie ist der Zugang von Menschen mit Behinde-
rungen zum Arbeitsmarkt?

Gemäß dem Bundesgesetz über die Gleichstellung                                 darf von und in keinem Lebensbereich ausge-
von Menschen mit Behinderungen (Bundes-Behin-                                  schlossen werden.
dertengleichstellungsgesetz, BGStG) ist eine Be-
hinderung die Auswirkung einer nicht nur vorüber-                              Das gilt insbesondere für die Bereiche Bildung und
gehenden körperlichen, geistigen oder psychischen                              Beschäftigung, die in mehrfacher Hinsicht existen-
Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung                                zielle Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben
der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilha-                            und die gleichberechtige Teilnahme an der Gesell-
be am Leben in der Gesellschaft zu erschweren.                                 schaft darstellen.
Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von
mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
                                                                               Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt
Entsprechend der von der Statistik Austria1 im
vierten Quartal 2015 durchgeführten Mikrozensus-­                              Tatsächlich ist jedoch nur ein kleiner Teil aller Men-
Zusatzerhebung leben 18,4 Prozent der österreichi-                             schen mit Behinderungen, die eine Beschäftigung
schen Wohnbevölkerung (in Privathaushalten) oder                               suchen und – unter den richtigen Rahmenbedin-
hochgerechnet 1,3 Millionen Personen mit einer                                 gungen – ihre Leistung erbringen können, auch tat-
dauerhaften Behinderung.                                                       sächlich auf dem (ersten) Arbeitsmarkt beschäftigt.

Darüber hinaus fehlen aus unterschiedlichen Grün-                              Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Jedenfalls
den (Erhebungsmethode, Datenschutz etc.) valide                                zählen dazu fehlende Zugänge zu einer qualifi-
Daten. Tatsache ist jedoch, dass heute der geringe-                            zierten Berufsausbildung und zu barrierefreien
re Teil von Menschen mit einer Behinderung damit                               Arbeitsplätzen. Die Folge ist, dass Menschen mit
aufwächst. Nicht zuletzt sorgt der demografische                               Behinderungen erst gar keinen Job finden oder in
Wandel dafür, dass die Gruppe der Menschen                                     sogenannten Tages- oder Beschäftigungsstruktu-
wächst, die eine Behinderung erst im Laufe ihres                               ren (Werkstätten) tätig sind, die ebenfalls nicht in
Erwerbslebens erlangen. So liegt der Anteil von                                der Erwerbsstatistik erfasst sind.
Menschen mit einer Behinderung in der Alters-
gruppe über 65 bereits bei 50 Prozent.                                         Laut Sozialministerium sind derzeit allein in diesen
                                                                               „Werkstätten“ aktuell rund 23.000 Menschen un-
                                                                               tergebracht. Da es sich dabei um keine Erwerbstä-
Das Menschenrecht auf Inklusion                                                tigkeit handelt, erhalten die dort Beschäftigten für
                                                                               ihre Arbeit kein Entgelt, sondern nur ein Taschen-
Menschen mit Behinderungen sind jedenfalls eine                                geld. Außerdem haben sie keine eigenständige
sehr heterogene Gruppe. Unumstritten ist aber ihr                              Sozialversicherung und auch keine der sonstigen
Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.                                          Ansprüche oder Rechte von „normalen“ Arbeit-
                                                                               nehmerInnen. Und mangels höherwertiger Quali-
„Inklusion“ ist ein von den Vereinten Nationen                                 fikation gelingt den in diesen Werkstätten tätigen
definiertes Menschenrecht, das den Anspruch aller                              Menschen nur in seltenen Ausnahmenfällen der
Menschen beinhaltet, in einer Gesellschaft gleich-                             Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt.
berechtigt und miteinander zu leben – unabhängig
von Alter, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientie-
rung oder Behinderung. Das heißt, keine Person                                 Regelungen greifen nicht,
                                                                               Qualifikation sehr wohl
1   Der Bericht über die Lage der Menschen mit Behinderungen in Österreich     Daran ändert auch das Behinderten-Einstellungs-
2016 ist auf der Seite des Sozialministeriums im „Broschürenservice“ als pdf   gesetz wenig. Demnach sind Betriebe mit über 24
abrufbar. https://broschuerenservice.sozialministerium.at                      MitarbeiterInnen verpflichtet, Menschen mit Be-

                                                                                                                                      5
Inklusive Ausbildung, inklusiver Arbeitsplatz - so kann's gehen!
hinderungen anzustellen. Das sind jedoch lediglich              (AMS) die Zahl der vorgemerkten Arbeitslosen mit
2,9 Prozent aller österreichischen Unternehmen                  gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen
und von diesen kommen nur etwa 22 Prozent ihrer                 von 31.263 im Jahresdurchschnitt 2008 auf 73.611 im
Verpflichtung nach, wie der Österreichische Behin-              Jahresdurchschnitt 2018 gestiegen. Das ist mehr
dertenrat in seinem „Bericht zur Umsetzung der                  als eine Verdoppelung. Die Zahl der vorgemerk-
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit                  ten Arbeitslosen ohne gesundheitliche Vermitt-
Behinderungen in Österreich“ (veröffentlicht im                 lungseinschränkungen stieg im selben Zeitraum
Juli 2018) feststellt: „Der Rest bevorzugt, sich von            von 180.990 auf 238.496. Ein Plus von lediglich 31,7
der Einstellungsverpflichtung durch Zahlung einer               Prozent.
Ausgleichtaxe in Höhe von zumindest 257 Euro pro
nicht eingestellter Person und Monat freizukaufen.“             Noch gravierender zeigt sich die Benachteili-
                                                                gung von Menschen mit Behinderungen auf
Auch dass Menschen, die bereits vor der Aufnah-                 dem Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung des
me einer konkreten Beschäftigung dem Kreis                      Wirtschaftsaufschwunges. Während die Zahl der
der begünstigt behinderten Personen nach dem                    arbeitslosen Menschen mit Behinderungen Jahr
BEinstG angehören, seit einigen Jahren erst nach                für Jahr gestiegen ist, ist die Zahl der arbeitslosen
vier Jahren Betriebszugehörigkeit (statt nach sechs             Menschen ohne Behinderung seit 2015 (damals
Monaten) einen Kündigungsschutz erwerben, hat                   waren 287.688 Menschen ohne gesundheitliche
deren Zugang zum Arbeitsmarkt nicht verbessert.                 Vermittlungseinschränkungen vorgemerkt) sogar
                                                                gesunken.
So ist laut einer für die Essl Foundation erstellten
Sonderauswertung durch das Arbeitsmarktservice

Vorgemerkte Arbeitslose mit und ohne gesundheitliche
Vermittlungseinschränkungen – Jahresdurchschnitt 2008 – 2018

    mit­        ohne gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen

350.000

300.000

250.000

200.000
                212.253 260.309 250.782 246.702 260.643 287.207 319.357 354.332 357.313 339.976 312.107

 150.000

100.000

    50.000

                 31.263     35.673   35.664   36.439   39.978   47.364   57.594   66.644    72.262   75.545    73.611
            0
                 2008        2009      2010    2011     2012     2013     2014     2015      2016     2017     2018

Quelle: Statistik Austria

6
Mangelberufe und Nachfrage
auf dem Arbeitsmarkt
Welche Berufe werden gesucht? Welche höheren Qualifikationen verbessern für
Menschen mit Behinderungen den Zugang zum Arbeitsmarkt? Und wer braucht
diese Fachkräfte am dringendsten?

Das Sozialministerium erstellt jedes Jahr eine Liste                                                                                                Ein Großteil dieser Berufe ist für Menschen mit ei-
der sogenannten Mangelberufe in Österreich.                                                                                                         ner körperlichen Behinderung jedoch nicht ausüb-
Diese ist die Grundlage für die mögliche Zuer-                                                                                                      bar oder deren Ausübung ist zumindest mit einem
kennung der Rot-Weiß-Rot-Karte, die qualifizierte                                                                                                   hohen Aufwand verbunden. Das bestätigt auch die
Arbeitskräfte aus Drittstaaten beantragen können.                                                                                                   für die Essl Foundation durchgeführte AMS-Son-
Insgesamt sind in dieser online abrufbaren Liste                                                                                                    derauswertung. Demnach gab es 2018 die meis-
45 Berufe ausgewiesen. Dazu kommen weitere 20                                                                                                       ten offenen Stellen für KellnerInnen (3.062 oder
Mangelberufe, die nur in einzelnen Bundesländern                                                                                                    4,3 Prozent) gefolgt von „Sonstige Händler­Innen
benötigt werden. (Abrufbar ist diese Liste unter                                                                                                    und VerkäuferInnen“ (2.796 oder 3,9 Prozent) und
www.migration.gv.at)                                                                                                                                „Warensortierer, -nachseher, -adjustierer, -verpacker
                                                                                                                                                    (m. /w.)“ mit 2.565 offenen Stellen (3,6 Prozent).

Top-20: Bestand offener Stellen nach Berufen , Jahresdurchschnitt 2018 - sortiert
                                                                                                                                                                                                                                                  Bestand                         Anteil
Kellner/innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3.063 . . . . . .  4,3%
Sonstige HändlerInnen und VerkäuferInnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.796 . . . . . .  3,9%
Warensortierer, -nachseher, -adjustierer, -verpacker (m. /w.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.565 . . . . . . . 3,6%
Elektroinstallateur(e)Innen, -monteur(e)Innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.530 . . . . . . . 3,5%
Gaststättenköch(e)Innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.400 . . . . . .  3,4%
FuhrwerksunternehmerInnen, KraftfahrerInnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.262 . . . . . .  3,2%
HändlerInnen und VerkäuferIinnen von Lebens- und Genussmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.933 . . . . . .  2,7%
Magazin-, Lagerarbeiter, Verlader, Warenzusteller (m. /w.)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.847 . . . . . .  2,6%
Reinigungskräfte (m. /w.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.753 . . . . . . . 2,5%
Tätige Betriebsdirektor(en)Innen, GeschäftsleiterInnen & verwandte Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.685 . . . . . .  2,4%
Industrie-, Gewerbekaufleute (m. /w.), Kontorist(en)Innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.422 . . . . . .  2,0%
Sonstige SchlosserInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.352 . . . . . . . 1,9%
Sonstige TechnikerInnen für Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.341 . . . . . . . 1,9%
MaurerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.247 . . . . . . .  1,7%
Kochgehilf(en)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.191 . . . . . . .  1,7%
KraftfahrzeugmechanikerInnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.128 . . . . . . .  1,6%
Rohrinstallateur(e)Innen, -monteur(e)Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.112 . . . . . . .  1,6%
Nicht diplomierte KrankenpflegerInnen und verwandte Berufe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1.074 . . . . . . .  1,5%
Laden-, Eintrittskartenkassier(e)innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.007 . . . . . . . 1,4%
Sonstige TechnikerInnen für Maschinenbau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 862 . . . . . . .  1,2%
Quelle: Statistik Austria

                                                                                                                                                                                                                                                                                               7
Digitalisierung braucht Fachkräfte                      Bestätigt werden diese Zahlen auch von Interes-
                                                        senverbänden der Wirtschaft. So stellt der Fach-
Einfacher ist naturgemäß der Zugang zu soge-            verband für Unternehmensberatung, Buchhaltung
nannten „Bürojobs“ oder zu „Bildschirmarbeit“. Die      und Informationstechnologie (UBIT) in seinem
umfassende Digitalisierung unsere Gesellschaft          aktuellen „IKT Statusreport #4“ (veröffentlicht im
sorgt dabei nicht nur für eine steigende Nachfrage      Februar 2019) fest, dass derzeit 10.000 IT-Fachkräfte
nach höherqualifizierten Fachkräften. Technische        fehlen. Und auch die EU-Kommission rechnet, dass
Assistenzsysteme und andere digitale Lösungen           europaweit bis 2020 rund einer Million IT-Arbeits-
haben insbesondere für Menschen mit Behinde-            kräfte mehr gebraucht werden.
rungen in den letzten Jahren die Möglichkeiten, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen, enorm erwei-
tert.                                                   KMU haben höchsten Leidensdruck
Gemäß der AMS-Sonderauswertung haben sich               Unter dem akuten Fachkräftemangel in Österreich
die offenen Stellen im IT-Bereich in den letzten fünf   leidet insbesondere der Mittelstand. Laut der von
Jahren insgesamt mehr als vervierfacht. 2018 gab        der internationalen Prüfungs- und Beratungsor-
es beim AMS im Jahresdurchschnitt 2.391 offene          ganisation EY durchgeführten Studie „Fachkräf-
Stellen für EDV-TechnikerInnen, im Jahr 2014 waren      temangel im österreichischen Mittelstand 2019“
es nur 551 gewesen. Auf zehn Jahre betrachtet fällt     haben bereits 83 Prozent der Unternehmen in
der Anstieg sogar noch höher aus. 2009 waren im         Österreich Probleme bei der Suche nach Mitarbei-
Schnitt 365 offene Stellen für EDV-TechnikerInnen       terInnen (2018 waren es noch 79 Prozent gewesen).
unbesetzt geblieben.
                                                        Demnach plant fast jedes dritte mittelständische
Der gestiegene Bedarf beschränkt sich dabei nicht       Unternehmen in Österreich (32 Prozent) im ersten
nur auf höchstqualifizierte IT-Fachkräfte. So gab es    Halbjahr 2019 seine Belegschaft aufzustocken – in
2018 für DiplomingenieurInnen für Datenverarbei-        Wien sind es sogar 45 Prozent. Bei vielen Firmen
tung 554 offene Stellen, 2014 waren es 91 gewesen       bleiben jedoch aufgrund des Fachkräftemangels
(2009: 33). 2018 wurden 496 TechnikerInnen mit          Stellen unbesetzt. Alle voran betrifft das die Produk-
einer höheren Ausbildung (Ing.) für Datenverarbei-      tion, wo bei fast jedem vierten Unternehmen (24
tung gesucht, 2014 waren es 139 (2009: 71). Und für     Prozent) Stellen offen bleiben. Aber auch im Mar-
„Sonstige TechnikerInnen für Datenverarbeitung“         keting oder Vertrieb (14 Prozent der Unternehmen)
stieg die Zahl der offenen Stellen im Zeitraum 2014     und im Bereich IT/EDV (zwölf Prozent der Betriebe)
bis 2018 sogar von 322 auf 1.341 (2009: 365).           bleiben Stellen unbesetzt. Die Folge: vier von zehn
                                                        österreichischen Unternehmen (40 Prozent) verlie-
                                                        ren deswegen Umsätze.

                                                        Positiver Effekt: die Bereitschaft der Unternehmen,
                                                        Hürden zu überwinden und sich auf individuelle
                                                        Bedürfnisse potenzieller MitarbeiterInnen einzu-
                                                        stellen, steigt. Eine Annahme, die ebenfalls in der
                                                        EY-Studie dokumentiert ist. So beschäftigt bereits
                                                        jedes fünfte Unternehmen hierzulande asylberech-
                                                        tigte Flüchtlinge. Trotz der dabei erlebten Hürden
                                                        wie mangelnde Deutschkenntnisse (80 Prozent),
                                                        unklare Rechtslage während laufender Asylverfah-
                                                        ren (54 Prozent) oder mangelnde Qualifikationen
                                                        (49 Prozent) und fehlende Planungssicherheit (47
                                                        Prozent). Und Erich Lehner, Managing Partner bei
                                                        EY Österreich und verantwortlich für den Bereich
                                                        Mittelstand, stellte anlässlich der Veröffentlichung
                                                        der Studie fest: „Regional herrscht in Österreich
                                                        teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete
                                                        Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst
                                                        aussuchen. Gerade kleinere Unternehmen, die mit
                                                        bekannteren, börsennotierten Unternehmen um
                                                        Arbeitskräfte buhlen, können dadurch Stellen oft
                                                        nur mühsam oder gar nicht besetzen.“

IT-Academy-Teilnehmer konzentriert
bei einer Lehrübung

8
Jobmaschine Digitalisierung
Warum die Digitalisierung so viele Jobs bringt? Welche werden das sein? Und
welche ermöglichen Menschen mit Behinderungen bessere Chancen auf eine
qualifizierte Beschäftigung?

Die Digitalisierung, die von ExpertInnen auch als        lar im Jahr 2018 auf 19,4 Milliarden US-Dollar im Jahr
4. Industrielle Revolution bezeichnet wird, bringt       2027 wachsen. Und der weltweite Big-Data-Markt
für Menschen mit Behinderungen zwei Chancen:             mit Professional Services wird im selben Zeitraum
Technische Lösungen und digitale Assistenzsyste-         voraussichtlich von 16,5 Milliarden US-Dollar auf 21,3
me sowie nachgefragte Arbeitsplätze. Beide unter-        Milliarden US-Dollar zulegen.
stützen eine gleichberechtigte Teilnahme an der
Gesellschaft. Tatsächlich gilt die Digitalisierung als
die „Jobmaschine“ der Zukunft. Als Treiber gelten        Cyber Security und Datenschutz
dabei vor allem das Internet of Things (IoT) und Big
Data sowie Cyber Security und Datenschutz.               Mit dieser „Datenflut“ einher geht ein steigender
                                                         Bedarf an Sicherheit im Internet. So stellte die „In-
                                                         formation Systems Audit and Control Association“
Das Internet der Dinge                                   (ISACA) – ein unabhängiger, globaler Berufsverband
                                                         für IT-Revisoren, Wirtschaftsprüfer sowie Experten
Das Internet of Things, kurz IoT, bezeichnet die         der Informationssicherheit und IT-Governance
Kommunikation von Maschine zu Maschine (M2M).            bereits 2016 fest, dass Cybersicherheitsarbeitsplätze
Glaubt man dem McKinsey Global Institute steigt          dreimal schneller wachsen als IT-Arbeitsplätze insge-
durch deren Einsatz der wirtschaftliche Mehrwert         samt. In den USA würden laut ISACA-Untersuchung
bis ins Jahr 2025 auf weltweit bis zu 11,1 Billionen     53 Prozent der Arbeitgeber länger als sechs Monate
Dollar. Damit würden 2025 allein IoT-Anwendungen         benötigen, um qualifizierte Cybersicherheitsex-
fast bis zu zehn Prozent der globalen Wirtschafts-       perten zu finden. Dazu komme, dass die Hälfte der
leistung ausmachen, die von der Weltbank für das         Bewerber nicht ausreichend qualifiziert sei. Und
Jahr 2025 auf knapp 100 Billionen Dollar geschätzt       global wurde von ISACA für 2019 ein Mangel an zwei
wird. Von den McKinsey-ExpertInnen wurden dazu           Millionen Cybersecurityprofis festgestellt. Eine Zahl,
im Rahmen der Studie „Internet of Things: Mapping        die bis 2021 auf 3,5 Millionen steigen soll.
the Value beyond the Hype“ fast 300 Anwendun-
gen für das Vernetzen von Maschinen und deren            Gründe für diesen Bedarf an Internet-Sicherheitsex-
direkte Kommunikation untereinander untersucht           perten sind die ebenfalls zunehmenden kriminellen
und deren potenzieller künftiger Mehrwert für            Attacken. So rechnet das Analyse- und Nachrichten-
verschiedene Märkte und Branchen ermittelt. Die          portal zu Sicherheits- und Risikomanagement CSO,
Beispiele reichen vom kontaktlosen Bezahlen über         dass der Schaden durch Cyberkriminalität bis 2021
Monitoring im Gesundheitsbereich und Anwen-              auf bis zu sechs Billionen US-Dollar pro Jahr stei-
dungen, die die öffentliche Sicherheit verbessern        gen wird. Für 2014 war in einer Studie von IBM und
bis zu Prozessoptimierungen in der Industrie oder        dem Ponemon Institute der Wert der gestohlenen
in der Logistik.                                         personenbezogenen Daten noch mit einer Milliarde
                                                         US-Dollar beziffert worden. Damit steigen auch die
                                                         Investitionen in Cybersecurity.
Big Data
                                                         Steigende Ausgaben und einen Bedarf an speziell
Mit der steigenden Vernetzung nimmt auch das             ausgebildeten Fachkräften verursacht auch der
Datenvolumen zu. Big Data bezeichnet das Sam-            Datenschutz. Hier ist der Treiber vor allem die von
meln und Verarbeiten von digitalen Daten. Wikibon        der Europäischen Union 2018 eingeführte Daten-
aus den USA – das Unternehmen versteht sich als          schutz-Grundverordnung (DSGVO). Diese regelt
Community von Praktikern und Beratern, die den           nun einheitlich für die EU das Sammeln und Ver-
Open-Source-Austausch von Technologie- und Ge-           arbeiten personenbezogener Daten durch private
schäftswissen fördert – rechnet, dass die weltweiten     Unternehmen wie öffentliche Institutionen. Gemäß
Big-Data-Marktumsätze für Software und Dienst-           einer Untersuchung des Beratungsunternehmens
leistungen von 42 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018      PWC bezifferten 88 Prozent der befragten Unter-
auf 103 Milliarden US-Dollar im Jahr 2027 steigen        nehmen (aus Nicht-EU Ländern) den Aufwand für
und eine jährliche Wachstumsrate von mehr als            die entsprechende Vorbereitung mit mehr als einer
zehn Prozent erreichen werden. Dabei werden laut         Million US-Dollar. 69 Prozent planten dazu eine
Wikibon-Prognose Big-Data-Anwendungen und                externe Firma zu beauftragen, mehr als 30 Prozent
Analysen voraussichtlich von 5,3 Milliarden US-Dol-      eigene Ressourcen zu nutzen.

                                                                                                               9
Neue Anforderungen an und
neue Formen der Ausbildung
Warum greifen traditionelle Lehrmethoden nicht mehr? Welche Rolle überneh-
men Akademien von Unternehmen? Und wie funktioniert heute Lehren und
Lernen?

Die von der Digitalisierung ausgelösten Verän-          lich gedacht, KundInnen mit den Produkten und
derungen und vor allem deren Tempo bedingen             Dienstleistungen vertraut zu machen. Zunehmend
auch einen Wandel in der Ausbildung. Gefragt            wurde das Angebot auf Bildungseinrichtungen
sind heute Skills und Jobprofile, die nicht durch       ausgedehnt. Für die Unternehmen bietet sich die
Wachstum, sondern durch Veränderung entste-             Möglichkeit, sich als Marke bei einer interessanten
hen. Oder anders ausgedrückt: Es braucht nicht          Zielgruppe früh bekannt zu machen. Die SchülerIn-
MEHR vom SELBEN, sondern MEHR von NEUEM.                nen erhalten die Möglichkeit, Skills und Zertifikate
Diese Entwicklung steht jedoch im Widerspruch           zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt anerkannt
zu traditionellen Formen der Ausbildung. Auch in        und nachgefragt sind. Und die Lehrenden profi-
der IT.                                                 tieren von den Möglichkeiten, einen modernen
                                                        Unterricht zu gestalten. Die Akademien stellen die-
                                                        sen dafür umfassende Unterlagen zur Verfügung
Traditionelle Lehre scheitert am Bedarf                 – inklusive detaillierter Lehrpläne und Vorlagen für
                                                        Übungen und Prüfungen.
Klassische Ausbildungskonzepte in den Schulen,
Fachhochschulen und Universitäten folgen nach
wie vor einem Bild, das von einem Informatiker als      Beispiel: Cisco Networking Academy
Generalist ausgeht. Tatsächlich ist es aufgrund der
technischen Entwicklung heute immer weniger             Welche Bedeutung derartige Akademien von Un-
nötig, bis zu gar nicht mehr möglich, eine derartige    ternehmen heute haben, zeigt sich eindrucksvoll an
Breite an Wissen zu vermitteln. „Es stellt sich also    der Cisco Networking Academy, die auch Partner
immer mehr die Frage, ob der, der mit einem Com-        der „inclusive IT-Academy“ ist.
puter arbeitet, diesen auch verstehen muss“, erklärt
dazu DI Christian Schöndorfer, Professor an der htl     Aktuell betreibt Cisco, ein Hersteller von Netzwerk-
Rennweg (Wien) für IT & Mechatronik und Leiter          komponenten unter dem Dach der Cisco Networ-
des Pilotkurses der „inclusive IT-Academy“: „Das        king Academy, weltweit mehr als 10.000 Akademi-
Bild des Informatikers wird sich massiv verändern,      en. Mehr als 1,5 Millionen StudentInnen absolvieren
vom universalen Generalisten hin zum spartenspe-        gerade einen Kurs, seit der Gründung der Cisco
zifischen Experten. Und auch für das Wissen wird        Networking Academy wurden bis heute über zehn
der Lifecycle künftig sicher noch kürzer sein als       Millionen StudentInnen ausgebildet. Das von mehr
früher.“                                                als 22.000 InstruktorInnen in über 180 Ländern und
                                                        in 19 Kurssprachen.
Ein plakatives Beispiel dafür, wie weit diese Spezia-
lisierung geht, zeigt sich für Schöndorfer etwa beim    Die Inhalte beschränken sich dabei längst nicht
3D-Druck. Vor ein paar Jahren noch unvorstellbar        mehr auf IT-Hardware, in Summe umfasst das Kurs-
ist auch das heute eine eigene Ausbildung, die          angebot mittlerweile 19 Ausbildungen aus den Be-
unter anderem Materialwissen und andere Qualifi-        reichen Netzwerk, Sicherheit, IoT, Analyse, Betriebs-
kationen beinhaltet.                                    system und Programmieren ebenso wie Business,
                                                        Entrepreneurship oder digitale Kompetenz.

Akademien von U
              ­ nternehmen­                             Auch die Anforderungen und Niveaus der Kurse
füllen Gap                                              sind breit gefächert. So wird für den Kurs „Intro-
                                                        duction to Cybersecurity“ nicht einmal ein Trainer
In die größer werdende Lücke zwischen Ausbil-           benötigt und die Dauer mit 15 Stunden angegeben.
dungsangebot und nachgefragten Qualifikatio-            Zielgruppe sind Schüler der Sekundarstufe oder
nen stoßen zunehmend Unternehmen mit ihren              auch interessierte Laien.
Akademien. Deren Schulungen waren ursprüng-

10
Der „CCNA Cyber Ops“ hingegen ist ein Vertie-          IT-Academy-TeilnehmerInnen mit unterstützenden
fungskurs im Umfang von 70 Stunden mit Fokus           Technologien während des Unterrichtes
auf den Schutz bestehender Netzwerke. Die Ausbil-
dung erfolgt durch einen entsprechenden zertifi-
zierten Trainer, der die TeilnehmerInnen auf einen
Abschluss mit einem „Cisco Cybersecurity Opera-
tions Certification“ vorbereitet.

Neue Unterrichtsformen
fördern Inklusion
Ein Erfolgsfaktor derartiger Akademien ist die
Möglichkeit, Lerninhalte auch online zu nutzen.
„Blended Learning“ bezeichnet eine solche Lehr-
und Lernform, bei der klassischer Präsenzunterricht
mit modernen Formen von E-Learning verknüpft
wird. Diese Lernorganisation gibt TeilnehmerInnen
die Möglichkeit, Inhalte in ihrem eigenen Tempo
nachzulesen und zu bearbeiten.

Zu präferieren ist jedenfalls eine Kombination. Bil-
dungsangebote, die ausschließlich online genutzt
werden, führen zu hohen Abbruchraten. Das hat          Praktische Übungen charakterisieren den
sich bei den vor einigen Jahren noch gehypten          Lehrgang
„Moocs“ gezeigt, wo teilweise mehr als 90 Prozent
der StudentInnen, die einen derartigen Online-Kurs
begonnen haben, diesen nicht abgeschlossen
haben. Als Gründe dafür wurden die fehlende sozia-
le Interaktion oder auch die Motivation durch die
Gruppe, aber auch durch Vortragende angeführt.

Aufgrund der Erfahrungen aus dem Pilotmodell im
Rahmen der „inclusive IT-Academy“ sowie Erkennt-
nissen gängiger Lehre, empfiehlt sich ein Verhältnis
von 80:20, heißt: 80 Prozent der Lerninhalte werden
von den StudentInnen selbst erarbeitet, 20 Prozent
gemeinsam in der Gruppe. Zudem empfiehlt sich
nach neuesten Erkenntnissen, dass die Kursteilneh-
merInnen die Lerninhalte eigenständig, „zu Hause“
erarbeiten, während deren Anwendung und Übung
gemeinsam „in der Schule“ erfolgt. Eine Umkehr
gegenüber der klassischen Pädagogik, weshalb
diese Form des Unterrichts auch als „inverted class-
room“ oder „flip teaching“ bezeichnet wird.
                                                       Die Professoren des Lehrganges im Server-
                                                       raum der htl Wien 3 Rennweg

                                                                                                   11
Gestaltung eines inklusiven
Ausbildungs- oder Jobangebotes
Wie erreiche ich die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen? Welche Informa-
tionen benötigt meine Zielgruppe? Wie gestalte ich die Kommunikation barrie-
refrei und inklusive?

Etablierte Methoden und Kanäle aus dem Human-­         oesterreich.gv.at
Ressource-Management eignen sich nur bedingt,          oesterreich.gv.at ist eine Online-Plattform, die
um KandidatInnen für ein inklusives Ausbildungsan-     vom Bundesministerium für Digitalisierung und
gebot oder ein Jobangebot, das sich insbesondere       Wirtschaftsstandort herausgegeben wird. Primä-
auch an Menschen mit Behinderungen richtet, zu         res Ziel der behördenübergreifenden Plattform
identifizieren. Umso mehr, wenn auch KandidatIn-       ist, dass Bürger damit ausgewählte Amtswege
nen angesprochen werden sollen, die bisher noch        online erledigen könne. Abgedeckt werden aber
keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.                  auch Informationen rund um Verwaltungs- und
                                                       andere Themen. Wie auch das Thema „Menschen
Und auch ein barrierefreier oder gar inklusiver Zu-    mit Behinderungen“. Dort finden sich Informatio-
gang zu Aus- oder Weiterbildung ist nach wie vor       nen unter anderem zu den Bereichen Ausbildung,
keine Selbstverständlichkeit. Daher ist es notwen-     Arbeit und Pension, aber auch (unter der Rubrik
dig, Menschen mit Behinderungen gezielt anzu-          Sonstiges/Sonstige Informationen eine Liste von
sprechen, um sie über ein inklusives oder barriere-    Selbsthilfegruppen sowie von Vereinen und Behin-
freies Angebot zu informieren.                         dertenorganisationen.
                                                       www.oesterreich.gv.at/themen/menschen_mit_­
                                                       behinderungen.html
Wie erreiche ich Menschen
mit Behinderungen?
                                                       Netzwerk Berufliche Assistenz (NEBA)
Neben Karriereportalen und ähnlichen Kanälen, die      Das Netzwerk Berufliche Assistenz, kurz NEBA,
sich nicht explizit an eine Zielgruppe richten, gibt   ist ein vom Sozialministeriumservice finanziertes
es dazu auch Wege, über die Menschen mit Behin-        System, das nach eigenen Angaben Menschen
derungen direkt adressiert werden können. Allen        mit Behinderungen und ausgrenzungsgefährde-
voran bieten sich dafür die Behindertenorganisatio-    te Jugendliche unterstützt. Die Leistungen wer-
nen in Österreich an.                                  den kostenlos zur Verfügung gestellt und sind so
                                                       konzipiert, dass sie Ressourcendefizite der Leis-
                                                       tungsempfängerInnen bedarfsgerecht ausgleichen
behindertenrat.at                                      sollen. Zusammengefasst werden diese Leistungen
Die Interessenvertretung der in Österreich le-         in fünf Bereiche der beruflichen Assistenz: Jugend-
benden Menschen mit Behinderungen ist der              coaching, Produktionsschule, Berufsausbildung-
Österreichische Behindertenrat. Zudem ist er die       sassistenz, Arbeitsassistenz sowie Jobcoaching. Die
Dachorganisation der Behindertenverbände in Ös-        Umsetzung erfolgt durch österreichweit mehr als
terreich, der mehr als 80 ordentliche und fördernde    200 AnbieterInnen, die auf der Internet-Seite gelis-
Mitgliedsverbände und Partner angehören. Der           tet sind und nach Kriterien wie angebotene Leis-
Österreichische Behindertenrat versteht sich selbst    tungen, Bundesland oder Bezirk selektiert werden.
als politische Lobby, er ist also keine Serviceein-    www.neba.at
richtung, die Menschen mit Behinderungen direkt
betreut. Diese Aufgabe übernehmen bundeswei-
te oder regional agierende Organisationen und          Wie bereite ich mein ­Angebot­
solche, die Menschen mit spezifischen Behinderun-      ­barrierefrei auf?
gen vertreten. So finden sich beispielsweise unter
den Mitgliedern des Österreichischen Behinderten-      Üblicherweise erfolgt der Erstkontakt heute on-
rats ein dachverband berufliche integration austria    line oder via App. Für den barrierefreien Zugang
ebenso wie eine Behindertenhilfe Bezirk Korneu-        zu Websites und mobilen Anwendungen gibt es
burg oder die Hilfsgemeinschaft der Blinden und        internationale Standards, die von der W3C Web
Sehschwachen Österreichs.                              Accessibility Initiative (WAI) festgelegt und laufend
www.behindertenrat.at/ueber-uns/mitglieder/            aktualisiert werden. Zu diesen Standards gehören

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die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)           Wie gestalte ich die Anmeldung
und andere Ressourcen für Designer und Entwick-           oder Bewerbung?
ler sowie Informationen für Autoren. Für weitere
Informationen siehe: www.w3.org/WAI/                      In der Regel erfolgt eine Anmeldung oder Bewerb­
                                                          ung heute mit einem Online-Formular. Insbesondere
Inhaltlich sollte sich das Angebot an den Anfor-          für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung muss
derungen orientieren, die BewerberInnen spä-              daher sichergestellt sein, dass das Formular auch mit
ter zu erfüllen haben – als TeilnehmerInnen an            elektronischen Assistenzsystemen nutzbar ist (siehe
einer Ausbildung oder als ArbeitnehmerInnen.              dazu folgend Seite 20). Aber auch davon unabhän-
Sind beispielsweise die Voraussetzungen für eine          gig können Online-­Formulare für Menschen mit
Ausbildung oder eine Beschäftigung derart, dass           oder ohne Behinderung eine Hürde darstellen. Es
eine intellektuelle Beeinträchtigung keine Hürde          empfiehlt sich daher auch alternative Wege für eine
darstellt, sollten Informationen auch in einer Leicht-­   Anmeldung oder Bewerbung anzubieten. Etwa per
Lesen-Version verfügbar gemacht werden.                   E-Mail oder persönlich.

Wie adressiere ich Menschen                               Wie ermittle ich den Bedarf
mit Behinderungen?                                        an Unterstützung?
Tendenziell haben Menschen mit Behinderungen              Aus rechtlichen Gründen ist es nicht möglich, bei
meist größere Hemmungen, sich für eine Aus-               der Anmeldung gezielt nach einer Behinderung
bildung oder ein Jobangebot zu bewerben als               oder gesundheitlichen Einschränkung zu fragen.
Menschen ohne Behinderunge. Daher empfiehlt               Sehr wohl kann man aber nach Anforderungen fra-
es sich, diese explizit anzusprechen. Etwa mit der        gen, die erfüllt sein sollten, damit eine Person eine
Formulierung:                                             angebotene Ausbildung absolvieren oder einen
                                                          Stelle antreten kann. Etwa indem in der expliziten
„Wir wenden uns gezielt auch an Menschen mit              Ansprache von Menschen mit Behinderungen auch
Behinderungen und regen an, alle für Sie not-             angeregt wird, notwendige Anforderungen inner-
wendigen Anforderungen innerhalb des Bewer-               halb des Bewerbungsprozesses bekannt zu geben.
bungsprozesses bekannt zu geben.“ Damit wird              Alternativ können im Anmeldeprozess mögliche
nicht nur ein explizites Angebot gemacht, sondern         Maßnahmen, die für eine Teilnahme Voraussetzung
auch die Bereitschaft signalisiert, auf individuelle      sind, zur Auswahl gestellt werden. Zum Beispiel: Für
Bedürfnisse eingehen zu wollen. Empfehlenswert            meine Teilnahme ist Einfache Sprache Vorausset-
ist es zudem, bereits bei der Anmeldemöglichkeit          zung ja/nein.
Informationen über die Erreichbarkeit und Barrie-
refreiheit des Ausbildungsortes (Arbeitsplatzes) zur      Jedenfalls ist sicherzustellen, dass Informationen
Verfügung zu stellen.                                     und deren Verarbeitung den Richtlinien der Daten-
                                                          schutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen.

Wie detailliert formuliere ich
meine Anforderungen?                                      Gibt es Förderungen für inklusive
                                                          Ausbildungsangebote?
Die Informationen sollten so umfassend und so
detailliert sein, dass sich nur KandidatInnen be-         Das Sozialministeriumservice (früher: Bundes-
werben, die auch die notwendigen Qualifikationen          sozialamt) fördert Ausbildungsmaßnahmen für
mitbringen. Dem steht jedoch gegenüber, dass              Menschen mit Behinderungen, etwa in Produkti-
Menschen mit Behinderungen – aufgrund nach-               onsschulen, Lehrwerkstätten und Qualifizierungs-
vollziehbarer Gründe – eher dazu neigen, sich nicht       projekten, Fachkursen oder anderen Maßnahmen
ausreichend qualifiziert zu fühlen. Daher sollte im       beruflicher Ausbildung.
Angebot oder in einem Inserat genau beschrieben
sein, in welchem Ausmaß Anforderungen zu erfül-           Darüber hinaus können in Ausbildung stehende
len sind. Beispielsweise Englisch: Grundkenntnisse,       Menschen mit Behinderungen ab dem 15. Lebens-
Kundenkontakt: nur telefonisch etc. Außerdem              jahr bei der zuständigen Landesstelle des Sozialmi-
empfiehlt es sich, Interessierten die Möglichkeit zu      nisteriumservice eine Ausbildungsbeihilfe beantra-
geben, sich bei Fragen sehr niedrigschwellig vorab        gen, wenn sie sich nach Erfüllung der Schulpflicht
an jemanden wenden zu können. Beispielswei-               in einer staatlich anerkannten Ausbildung (Lehr-
se mit der Formulierung: „Wenn Sie Fragen zum             ausbildung, weiterbildenden Schule, Studium)
Bewerbungsprozess oder Sonstigem haben, zum               befinden. Auch das Arbeitsmarktservice und die
Beispiel Barrierefreiheit betreffend, wenden Sie sich     Bezirkshauptmannschaften bzw. Magistrate bieten
bitte an . . .“ Idealerweise werden zur Kontaktauf-       im Rahmen der Behindertenhilfe der Bundesländer
nahme zwei Kanäle angeboten: Telefon und E-Mail.          Unterstützungen für Ausbildungsmaßnahmen für
                                                          Menschen mit Behinderung an.
                                                          www.sozialministeriumservice.at
                                                          www.ams.at

                                                                                                             13
Checkliste für Bewerbungen im Rahmen
     des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“

     1.   Folgende Informationen sollten vom Bewerber
          sehr niedrigschwellig erhoben werden:

     • Jobvorstellungen

     • angestrebtes Berufsfeld

     • nähere Angaben zur gewünschten Tätigkeit

     • auf der Suche nach Vollzeit oder Teilzeit

     • eigener Karrierestatus derzeit (in Ausbildung etc.)

     • verfügbar ab wann?

     • vorhandene Aus- und Weiterbildung

     • Berufserfahrung

     • Sprachkenntnisse mit welchem Niveau

     • sonstige Kenntnisse

     2.    Fragen zu den Voraussetzungen für eine
           barrierefreie Teilnahme können betreffen:

     • Erreichbarkeit

     • Orientierung

     • Raum

     • Kursunterlagen

     • Vorhandensein der technischen Infrastruktur zu Hause
       (wie z.B. Computer, leistungsfähige Internetverbindung)

     • Lernen

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Assessment: Die Auswahl
geeigneter Kandidaten
Wie erreiche ich die Zielgruppe Menschen mit Behinderungen? Welche Informa-
tionen benötigt meine Zielgruppe? Wie gestalte ich die Kommunikation barrie-
refrei und inklusive?

Für den Erfolg der Ausbildung ist es notwendig,         wird und ob eventuell auch Tests oder Übungen zu
KandidatInnen auszuwählen, die über die entspre-        absolvieren sind.
chende Bereitschaft sowie die nötigen Vorausset-
zungen verfügen, um die Ausbildung erfolgreich
abzuschließen.                                          Welche Qualifikationen
                                                        darf ich erwarten?
Viele der Behindertenorganisationen unterstützen
ihre Mitglieder bei der Bewerbung, bei der Vorbe-       Auch wenn das Ziel ist, möglichst allen Menschen
reitung auf ein Auswahlgespräch oder begleiten          eine inklusive Ausbildung zugänglich zu machen,
dieses sogar. Je mehr diese daher bereits im Vorfeld    steht dazu nicht im Widerspruch, Musskriterien für
in die Gestaltung des Assessments eingebunden           eine Teilnahme festzulegen. Im Idealfall wurden
sind, umso größer ist die Chance, die besten Kan-       diese bereits in der Ausschreibung bekannt gege-
didatInnen identifizieren zu können. So haben im        ben, jedenfalls dienen sie als Grundlage für die Aus-
Rahmen des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“-        wahl geeigneter KandidatInnen. Derartige Muss-
die beiden Partnerorganisationen MyAbility und          kriterien können sein: Mindestalter, ein definiertes
Specialisterne sogar die Vorauswahl qualifizierter      Niveau an Englisch- oder andern Sprachkenntnis-
KandidatInnen übernommen.                               sen sowie weitere Schlüsselqualifikationen, die eine
                                                        Grundvoraussetzung darstellen.

Wie gestalte ich das Assessment?                        Im Vordergrund des Assessments sollte in jedem
                                                        Fall das Erkennen von Stärken und nicht die Fest-
Für die Auswahl der geeigneten KandidatInnen            stellung von Defiziten stehen.
müssen vorab das Anforderungsprofil, ein Leitfa-
den für die Durchführung des Interviews, gezielte
Fragen und Fragetechniken sowie Kriterien für die       Wie bereite ich mich selbst
Beurteilung der KandidatInnen definiert werden.         auf das Assessment vor?
In welcher Form das Assessment erfolgt, ist nicht       Hat man noch keine oder wenig Erfahrung im Um-
eindeutig zu beantworten. So fanden im Rahmen           gang mit Menschen mit Behinderungen sollte man
des Projekts „inclusive IT-Academy“ sowohl Grup-        sich auch selbst auf mögliche Berührungsängste
pengespräche wie auch Einzelinterviews statt. In        oder Hemmungen vorbereiten. Was darf man
der Regel empfehlen sich jedoch eher Einzelinter-       sagen? Wann greift man helfend ein? Am besten
views, da Menschen mit oder ohne Behinderung in         ist es, den oder die KandidatIn direkt und bereits
einem solchen „Setting“ eher bereit sind, auf indivi-   bei der Terminvereinbarung darauf anzusprechen:
duelle Bedürfnisse hinzuweisen als in einer Gruppe.     „Welche Dinge gibt es, die ich für unser Gespräch
                                                        beachten sollte?“ Oder: „Kann ich noch etwas be-
Im Idealfall wird den KandidatInnen auch die            achten, um unser Meeting für Sie angenehmer zu
Möglichkeit zur Wahl gegeben, indem es beispiels-       gestalten.“
weise einen Gruppentermin gibt und alternativ
die Möglichkeit angeboten wird, das Gespräch zu         Diese Vorgehensweise empfiehlt sich insbesonde-
einer anderen Zeit oder auch an einem anderen Ort       re, wenn man aufgrund der Anmeldung nicht weiß,
durchzuführen.                                          welche Behinderung der Bewerber möglicherweise
                                                        hat. Weitere Informationen zu spezifischen Be-
In jedem Fall sollten die KandidatInnen vorab infor-    hinderungen geben einem auch die Vertreter der
miert sein, welches „Setting“ sie erwartet, heißt wo    KandidatInnen oder deren Organisationen.
das Gespräch stattfindet, wer aller anwesend sein

                                                                                                            15
Wie bewerte ich das Assessment?                       Welches Ergebnis haben Sie erzielt? Je detaillier-
                                                      ter und authentischer BewerberInnen antworten,
Für die im Rahmen des Pilotprojekts „inclusive        desto eher kann davon ausgegangen werden, dass
IT-Academy“ durchgeführten Assessment-Ge-             das hinterfragte Verhalten auch tatsächlich bereits
spräche wurde eine adaptierte Form der verhal-        praktiziert wurde.
tensorientierten Interviewmethode angewandt.
Grundlage dieser Technik ist die wissenschaftliche    Die Reihenfolge der Fragen ist nicht zwingend
Erkenntnis, dass vergangenes Verhalten sehr oft       vorgegeben. Jeder Bewerber sollte jedoch – im
wiederholt wird. Das heißt, das Verhalten einer       Sinne der Vergleichbarkeit – zumindest ähnliche
Person in einer bestimmten Situationen in der Ver-    Fragen gestellt bekommen. Der Interviewer schafft
gangenheit erlaubt, eine Prognose wie sich diese      mit dieser Methode eine Struktur für das Gespräch.
Person künftig verhalten wird. Daher eignet sich      Diese Struktur wiederum schafft eine neutrale und
diese Technik insbesondere um Informationen über      von der etwaigen Behinderung der KandidatInnen
die Fähigkeiten und das Verhalten von Bewerber­       unabhängige Grundlage für die Beurteilung.
Innen in bestimmten Situationen, die im Rahmen
der Ausbildung oder an einem Arbeitsplatz relevant    Die Validität der Vorhersage lässt sich zudem durch
sein können.                                          das Einbeziehen unterschiedlicher Beobachtungs-
                                                      ebenen und von kleinen Tests erhöhen. Beispiels-
Diese Form des Interviews ist auch bekannt als        weise können das bereits vorhandene Erhebungen
STAR-Methode. STAR steht dabei für Situation, Task,   der Betreuungsorganisationen sein oder Tests wie
Action und Result (Deutsch: Situation, Aufgabe,       sie Specialisterne – Partner im Projekt „inclusive
Handlung und Ergebnis). Entsprechend umfasst          IT-Academy“ – für die Auswahl ihrer KandidatInnen
diese Befragungstechnik folgende vier Grundfra-       mit einer Diagnose aus dem Autismusspektrum
gen: Welche Situation haben Sie vorgefunden? Was      anwendet (at.specialisterne.com). Keinesfalls sollten
war Ihre Aufgabe? Was haben Sie konkret getan?        BewerberInnen jedoch „niedergetestet“ werden.

      Checkliste für Einzelinterviews im Rahmen
      des Pilotprojekts „inclusive IT-Academy“

      Begrüßung

      • Kurzvorstellung der Gesprächspartner & Zielsetzung des Gespräches
      • Erklärung des Projekts & der Zielsetzungen
      • Wichtig: wechselseitiges Kennenlernen proaktiv ansprechen; auffor-
        dern, Fragen stellen, sollten im Gespräch Barrieren erlebt werden,
        sollen diese bitte gleich angesprochen werden
      • Ziel: Beide Seiten sollen jene Informationen bekommen, die sie für
        eine gute Entscheidung benötigen

      Zu hinterfragende Schlüsselqualifikationen:

      • Konzentrationsfähigkeit
      • logisch-schlussfolgerndes Denken

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