Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt

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Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer
        Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben –
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer
        Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Impressum

Gotzmann, I.H., Bonn, A., Büermann, A., Franke, N., Gotzmann, D. & A. Richter (2018): Naturerbe erleben – Leitfaden zur
Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen. Friedrich-Schiller-Universität Jena; Deutsches
Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig; Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig.
Mit Beiträgen von: Büttner, T., Judt, M., Klefeld, K.-D., Konold, W., Kugler, H., Leh, A., Reuter, B., Sieber, A., Villwock, G.
Wir danken allen am Projekt beteiligten Personen, insbesondere den Teilnehmenden des Expertenworkshops und der Fokusgruppen.

Herausgeber:                    Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fürstengraben 1, 07743 Jena

Partner im Projekt              Friedrich-Schiller-Universität Jena, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ),
                                Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
                                Prof. Dr. Aletta Bonn, Dr. Anett Richter, Andrea Büermann, Elisabeth Sellenriek, Marie Pleger

                                Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)
                                Bundesverband für Kultur, Natur und Heimat e.V.
                                Dr. Inge Gotzmann, Dirk Gotzmann, Bernd Kraft

                                Wissenschaftliches Büro Leipzig
                                PD Dr. Nils M. Franke

Bildnachweis:                   Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben, vom Projektteam.
vordere Umschlagseite:          Wahner Heide
hintere Umschlagseite:          l.o. Wahner Heide; r.o. Stegskopf; l.u. Hohe Schrecke; r.u. Wahner Heide

Layout und Druck: Messner Medien GmbH, Rheinbach
ISBN: 978-3-9818697-4-3
Das Buch wird an Interessenten kostenlos abgegeben. Bestellung beim Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU),
Download der Publikation und weitere Informationen unter: naturerbe-leben.de

Förderer:

Das Projekt „Historische Ökosystemleistungen von Naturerbeflächen in Deutschland“ (AZ 33414) wurde gefördert von der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Der Förderer übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, Genauigkeit und die Vollständigkeit der Angaben sowie die Beach-
tung privater Rechte Dritter.

Gleichstellung von Frau und Mann:
Wir sind bemüht, soweit wie möglich geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Wo uns dies nicht gelingt, haben wir
zur schnelleren Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Natürlich gilt in allen Fällen jeweils die weibliche und männliche Form.

Leipzig 2018
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Inhalt

Inhalt
                                                                                                                                                      Seite

Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       4

Hintergrund und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    5

Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen
auf Naturerbeflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 7

Exemplarische Methoden und Praxisbeispiele zur Erfassung und Bewertung historischer
Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 41

Almut Leh: Oral History als Methode der zeitgeschichtlichen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                       42

Matthias Judt: Keine Angst vor Zahlen: Sozial- und Wirtschaftshistorische Quellen recherchieren
und auswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         44

Werner Konold: Kulturelle Prägung des „Naturerbes“, oder: der Wald als Wahrer der
Kulturlandschaftsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              46

Klaus-Dieter Kleefeld: Die digitale Erfassung von Kulturlandschaft am Beispiel der Wahner Heide . . .                                                   58

Thomas Büttner: Landschaft im Dialog – lesen, erfahren und teilen von Landschaft mit den
Menschen vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          66

Andrea Sieber: Landschaft, Landschaftsbewusstsein und innere Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                     72

Gerd Villwock, Hans Kugler, Bernd Reuter: Ein Kulturlandschaftskonzept für den Harz –
Ergebnisse der Arbeit mit lokalen Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      75

Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        78

Liste der DBU-Naturerbeflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                  78

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              80

Beteiligte Partner im Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             82
                                                                                                                                                              3
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

    Grußwort
    Paul Bellendorf und Heike Culmsee, Deutsche Bundesstiftung Umwelt

    D     eutschland trägt eine besondere Verantwor-
          tung für seine national bedeutsamen Natur-
    schutzflächen. Zu den herausragenden, charakteris-
                                                             sich überwiegend um ehemalige militärische
                                                             Übungsplätze, die im Sinne des Naturschutzes er-
                                                             halten und entwickelt werden sollen.
    tischen Landschaften gehören u. a. ausgedehnte              Die Genese der Naturerbeflächen sowie die
    Laubwälder, Flusstäler mit ihren Auen und Heide-         Potentiale hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwick-
    landschaften. Da die Bewahrung solcher Natur-            lung sind von großem gesellschaftlichem Interesse.
    schutzgüter eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe         Zum einen soll den Bürgern die Natur nähergebracht
    ist, vereinbarten die Bundesregierungen der 16. bis      werden, zum anderen sollen auch spannende Frage-
    18. Legislaturperiode, insgesamt 156.000 ha reprä-       stellungen erarbeitet werden. So wurden beispiels-
    sentative und hochwertige Naturschutzflächen un-         weise im Rahmen eines DBU-Förderprojektes der
    entgeltlich aus dem Bundesbesitz an die Länder, die      historische Kontext, die kulturhistorische Bedeutung
    Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) oder an-            und die historische und gegenwärtige Bereitstellung
    dere Stiftungen und Naturschutzorganisationen zur        von Ökosystemleistungen in interdisziplinären An-
    dauerhaften Sicherung für den Naturschutz zu über-       sätzen mit Methoden aus verschiedenen Disziplinen
    tragen. Hierzu gehören viele ehemals militärisch ge-     anhand dreier Naturerbeflächen modellhaft erprobt.
    nutzte Gebiete, Bergbaufolgelandschaften, ehemals        Dazu gehörte auch die Erfassung und Bewertung
    volkseigene Flächen in den neuen Bundesländern           von Schutzgütern, z. B. durch partizipative Metho-
    (BVVG) sowie das entlang der innerdeutschen              den mit lokalen Interessensgruppen.
    Grenze verlaufende Grüne Band.                              Die Ergebnisse dieses Vorhabens fasst der vorlie-
        Die DBU Naturerbe GmbH, eine gemeinnützige           gende Leitfaden zusammen. Der interessierte Leser
    Gesellschaft der Deutsche Bundesstiftung Umwelt,         findet hier ausgewählte Methoden zur Erfassung
    hat 70 Liegenschaften von etwa 70.000 Hektar             und Bewertung historischer Ökosystemleistungen
    Naturerbeflächen übernommen. Hierbei handelt es          auf Naturerbeflächen.

    Dr. Paul Bellendorf                                      Dr. Heike Culmsee

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Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Hintergrund und Fragestellungen

Hintergrund und Fragestellungen

D     ie vielfältigen Nutzungen von Landschaften un-
      terliegen einem stetigen Wandel. Im Sinne ei-
ner nachhaltigen Raumentwicklung sind heute die
Ansprüche an Landnutzung und Nutzungswandel
unter ökologischen, sozialen, ökonomischen und
kulturellen Gesichtspunkten zu betrachten. Dabei
sind Raumentwicklungen stets im Zusammenhang
mit ihrer historischen und gegenwärtigen Entwick-
lung besser zu verstehen.
   Der Leitfaden ist ein Ergebnis des Projektes „His-
torische Ökosystemleistungen von Naturerbeflä-
chen in Deutschland“. In einer Machbarkeitsstudie
wurden historische Ökosystemleistungen auf Natur-
erbeflächen untersucht. Die Naturerbeflächen sind
Kulturlandschaften von hoher naturschutzfachli-
cher Bedeutung, deren kulturhistorische Bedeutung
bislang weniger im Fokus der Betrachtung stand.
Der Leitfaden zeigt, wie eng die Verzahnung zwi-
schen Natur- und Kulturerbe ist. Er bietet praxisbe-
zogene Anregungen für den Umgang mit beiden
Aspekten auf Naturerbeflächen und zeigt, wie Be-
darfe aus dem Naturschutz sowie dem Kulturgüter-
schutz zu vereinen sind. Auf ausgewählten Natur-
erbeflächen wurden Methoden zur Erfassung und
Bewertung von Ökosystemleistungen entwickelt
und erprobt. Dabei wurde auf das Konzept der
ökosystemaren Dienstleistungen zurückgegriffen.
Der Leitfaden stellt eine Übersicht ausgewählter
Methoden zur Erfassung und Bewertung histori-
scher Ökosystemleistungen vor.
   Die Machbarkeitsstudie konzentrierte sich auf
drei ausgewählte Naturerbeflächen: Wahner Heide
in NRW, Stegskopf in Rheinland-Pfalz und Hohe
Schrecke in Thüringen. Die Studie beinhaltete eine
                                                        Abb. 1: Ausgewählte Naturerbeflächen für die Machbarkeits-
historische Recherche zur Geschichte der drei Flä-      studie.
chen. Sie berücksichtigte die Geschichte der Um-        von oben: Wahner Heide / Stegskopf / Hohe Schrecke
                                                                                                                     5
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

    welt, des Naturschutzes, der Wirtschaft, des Militärs          Der Leitfaden entstand unter Mitwirkung von
    und rechtliche Aspekte. Methoden aus der Ge-                Experten und Akteuren der ausgewählten Natur-
    schichtsforschung zur Erfassung historischer Ökosys-        erbeflächen im Rahmen einer interdisziplinären
    temleistungen und ihrer Bedeutung für verschiede-           Zusammenarbeit. Der so zusammengetragene Er-
    ne Akteursgruppen wurden getestet und durch wei-            fahrungsschatz aus den jeweiligen Disziplinen und
    tere methodische Ansätze ergänzt.                           Fachgebieten sowie den Kenntnissen der Men-
       Folgende Fragestellungen sind zentral und grund-         schen vor Ort lieferte wichtige Erkenntnisse.
    legend für die Entwicklung des Leitfadens gewesen:
       • Welche Methoden können für die Erfassung                 Weitere Informationen über das Projekt und die
         historischer Ökosystemleistungen angewandt            Projektpartner sowie Materialien finden Sie auf der
         werden?                                               Internetseite www.naturerbe-erleben.de.
       • Was sind die Stärken und Schwächen der
         jeweiligen Methoden?                                     Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser,
       • Welche Besonderheiten ergeben sich für die            eine hilfreiche Unterstützung bei der Erfassung und
         Anwendung der Methoden auf Naturerbe-                 Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf
         flächen?                                              Naturerbeflächen.

    Abb. 2: Teilnehmende des Expertenworkshops im September 2017 in der Wahner Heide.

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Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

Leitfaden zur Erfassung und Bewertung
historischer Ökosystemleistungen auf
Naturerbeflächen
1.   Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     8
     1.1 Wofür dient der Leitfaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 8
     1.2 Wer kann den Leitfaden nutzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                     8
     1.3 Wie ist der Leitfaden in der Praxis zu verwenden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                          9
2.   Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             9
     2.1 Was sind Naturerbeflächen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                 9
     2.2 Was ist Kulturlandschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             10
     2.3 Was sind Ökosystemleistungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                   10
     2.4 Was ist Citizen Science? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            12
3.   Grundlagen für die historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                    13
     3.1 Disziplinen der Geschichtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      13
     3.2 Vorgehensweise bei der Historischen Recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                           14
4.   Sechs Schritte der Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                          18
     Schritt 1: Konkretisierung und Einigung auf Anliegen mit Interessengruppen (Stakeholdern) . . . . . . . .                                               21
     Schritt 2: Identifizierung der wichtigsten Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              24
     Schritt 3: Festlegung von Fragestellungen und Auswahl passender Methoden – Konkretisierung . . . . .                                                    27
     Schritt 4: Erfassung der Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                      28
     Schritt 5: Identifizierung von Entwicklungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                         32
     Schritt 6: Erfassung der Auswirkungen von Veränderungen in der Bereitstellung von
                Ökosystemleistungen auf Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                        34
5.   Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      35
6.   Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                37
     6.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   37
     6.2 Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   39

                                                                                                                                                                  7
Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

    1. Einführung                                             chen. Eine Ausweitung auf andere Flächen ist aber
    Der Leitfaden stellt erprobte und praxisorientierte       denkbar, da Naturerbeflächen sowohl das Natur-
    Vorgehensweisen zur Erfassung und Bewertung his-          erbe als auch das Kulturerbe umfassen. Das ausge-
    torischer Ökosystemleistungen vor. Im Anschluss           wählte und erprobte Set aus Methoden der
    enthält der Leitfaden Fachbeiträge mit weiterfüh-         Geschichtswissenschaften, Geographie, Kulturland-
    renden Informationen zu dem möglichst kurz ge-            schaftsforschung, Biodiversitätsforschung, Nach-
    haltenen Leitfaden.                                       haltigkeitswissenschaften, Kommunikationswissen-
    Zum Umgang mit der facettenreichen Vielfalt von           schaften und weiteren Disziplinen zeigen, welche
    Kulturlandschaften werden Methoden aus unter-             Erhebungsmethoden für die Erfassung und Bewer-
    schiedlichen Disziplinen vorgestellt. Auch bisher         tung von Ökosystemleistungen machbar sind. Pra-
    weniger bekannte und neue Ansätze wie z. B. wirt-         xisbeispiele unterstützen die vorgestellten Metho-
    schaftshistorische Analysen werden präsentiert. Das       den. Es werden Praxisbeispiele für die Beteiligung
    Methodenspektrum umfasst sowohl Erfassungen der           oder Integration von aktiven und interessierten Per-
    Kulturlandschaft unter denkmal- und kulturhistori-        sonen und Gruppierungen (Stakeholdern) beschrie-
    schen sowie naturschutzfachlichen Gesichtspunkten         ben. Auf diese Weise können Grundlagen für das
    als auch Citizen-Science-Projekte, in denen viel Exper-   Management von Naturerbeflächen gewonnen
    tise der lokalen Experten zusammengeführt wird.           werden.
        Auch der Einsatz moderner Auswertungs- und
    Visualisierungsmöglichkeiten (GIS) und die Digitali-      1.2 Wer kann den Leitfaden nutzen?
    sierung historischer Karten zur Erstellung von Wan-       Der Leitfaden richtet sich an Einzelpersonen oder
    delkarten werden als Methoden vorgestellt. Die Un-        Gruppen, die Interesse und Bedarf an der Erfassung
    tersuchung der historischen Ökosystemleistungen           von Leistungen der Natur und Kultur auf Naturerbe-
    kann praktikabler Weise nicht losgelöst von der heu-      flächen haben.
    tigen Situation betrachtet werden. Nutzungswandel            Der Leitfaden soll für Wissenschaftler und Ver-
    und der damit einhergehende Landschaftswandel ist         treter der Fachinstitutionen aus möglichst vielen
    ein fortlaufender Prozess. Daher liegt der Schwer-        Disziplinen und ebenso für interessierte Laien an-
    punkt des Leitfadens zwar auf der Betrachtung der         wendbar sein. Der Leitfaden unterstützt die Zusam-
    historischen Ökosystemleistungen, bindet die heuti-       menarbeit verschiedener Akteure. Es ist denkbar,
    gen jedoch mit ein. Der Leitfaden stellt eine geeig-      dass eine Initiative von Wissenschaftlern aus den
    nete Herangehensweise vor und erhebt keinesfalls          Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften, enga-
    Anspruch auf Vollständigkeit. Dieser Band will da-        gierte Bürger der Region, Heimat- und Geschichts-
    her, wie in einem Kochbuch, erprobte Rezepte für          vereine, Fachgesellschaften, Naturschutzvereine,
    die praktische Anwendung empfehlen und für wei-           Bildungseinrichtungen, Personen aus dem Natur-
    tere Entwicklungen von Methoden auch anregen.             schutzmanagement sowie Land- und Forstwirte
                                                              gemeinsam die historischen Ökosystemleistungen
    1.1 Wozu dient der Leitfaden?                             erfassen und erforschen möchten. Der Leitfaden
    Der Leitfaden wurde auf Naturerbeflächen getestet         bietet hierzu Methoden, wie dies in der Praxis aus-
    und dient daher der Betrachtung von Naturerbeflä-         sehen könnte.

8
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

1.3 Wie ist der Leitfaden in der Praxis zu                nächst einmal nur die Eigentumshistorie. Die Flächen
     verwenden?                                           enthalten jedoch in den meisten Fällen Flächen mit
Dem Leitfaden vorangestellt wird zunächst eine Be-        Schutzkategorien wie z. B. Naturschutzgebiet oder
griffserklärung (siehe 2.1 bis 2.4), und es werden        FFH-Gebiet. Naturerbeflächen sind unterschiedlich
Grundlagen für die historische Betrachtung be-            strukturierte Flächen in ganz Deutschland. Es handelt
schrieben (siehe 3.1. bis 3.3). Der Leitfaden ist ent-    sich aus naturschutzfachlicher Sicht um schützens-
lang von sechs Schritten aufgebaut. Diese werden          werte Flächen, die sich in der Vergangenheit unter
einzeln erklärt und Methoden für die jeweiligen           verschiedenen – teilweise intensiven Nutzungen – zu
Schritte vorgestellt. Weiterführende Informationen        besonderen Naturräumen entwickelt haben.
z. B. in Form von Literatur und Internetlinks sowie          Die Naturerbeflächen sind zumeist durch Unzer-
Tipps und Tricks sind den Schritten zugeordnet. Die       schnittenheit von Straßen und Siedlungen und da-
Auswahl der Methoden basiert auf ihrer Erprobung          durch bedingte relative Störungsarmut charakteri-
in einer Machbarkeitsstudie auf ausgewählten              siert. Land- und Forstwirtschaft wurde, sofern vor-
Naturerbeflächen. Die Ergebnisse und Details zur          handen, nicht intensiv betrieben. Die Nutzung durch
Studie sind auf www.naturerbe-erleben.de abrufbar.        Militär, Tagebau oder Grenzziehung hat zu Sonder-
                                                          standorten für Tier- und Pflanzenarten geführt. Auf-
2. Begriffsbestimmungen                                   grund dieser Faktoren ist auf Naturerbeflächen eine

2.1 Was sind Naturerbeflächen?
Der Begriff des Nationalen Naturerbes wurde 1998
von der damaligen Bundesregierung eingeführt und
bezeichnet ausgewählte Flächen in Deutschland, die
als dauerhafte Naturschutzflächen gesichert werden.
    Im Rahmen einer Initiative des Bundes wurde eine
große Zahl an Flächen nicht privatisiert, sondern seit
dem Jahr 2000 als Nationales Naturerbe unentgelt-
lich, allerdings unter strengen naturschutzfachlichen
Auflagen in Trägerschaft übergeben. Träger sind die
Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder
und von den Ländern benannte Naturschutzorgani-
sationen. Es handelt sich vielfach um militärisch ge-
nutzte Flächen, aber auch Flächen entlang der inner-
deutschen Grenze („Grünes Band“), Treuhandflä-
chen aus dem DDR-Volksvermögen und stillgelegte
DDR- Braunkohletagebaue zählen zu diesem Natio-
nalen Naturerbe. Die Flächen des Nationalen Natur-
erbes werden als Naturerbeflächen bezeichnet.
    Der Begriff der Naturerbeflächen stellt jedoch kei-
ne eigene Schutzkategorie dar, wie etwa Natur-
schutzgebiete oder Nationalparke. Er beschreibt zu-       Abb. 1: Betretungsverbot in der Wahner Heide
                                                                                                                  9
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

                                                                   schaften, die durch ein langfristiges Wechselspiel von
                                                                   Natur und anthropogener Nutzung geprägt sind. Un-
                                                                   ter „Kultur“ versteht man in diesem Zusammenhang
                                                                   alle Landschaftsaspekte, die vom Menschen geschaf-
                                                                   fen oder (um-)gestaltet werden. Die Nutzungsge-
                                                                   schichte einer Landschaft ist ablesbar und bildet ein
                                                                   breites Spektrum der Menschheitsgeschichte ab: so-
                                                                   wohl durch das archäologische Erbe als auch durch
                                                                   Kulturdenkmäler, Baukultur und die historisch ent-
                                                                   standenen Strukturen der Forst- und Landwirtschaft.
                                                                   Der soziale Wert von Kulturlandschaften entsteht
                                                                   durch die Unverwechselbarkeit der jeweiligen Land-
                                                                   schaft. Durch die Nutzungsgeschichte sind auch spe-
                                                                   zifische Lebensräume entstanden, siehe Tab. 1. Kul-
     Abb. 2: Munitionsbelastung in der Naturerbefläche Stegskopf   turlandschaft wirkt identitätsstiftend auf die in ihr
                                                                   lebenden Menschen und ist ein elementarer Bestand-
     große biologische Vielfalt mit wichtigen Refugien             teil von Identität und Heimatgefühl. Darüber hinaus
     für seltene Tier- und Pflanzenarten zu finden. Auch           erfüllen Kulturlandschaften vielerorts eine Erlebnis-
     hinsichtlich des Kulturerbes ist durch die einge-             und Erholungsfunktion. Somit ist mit Kulturland-
     schränkte Zugänglichkeit eine Schutzfunktion gege-            schaften auch eine emotionale und immaterielle
     ben. Allerdings gibt es auch Herausforderungen,               Komponente verbunden. Kulturlandschaften sind
     z. B. hinsichtlich Monitionsbelastungen, die eine             Ausdruck der fortschreitenden menschlichen Ent-
     Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen (siehe                wicklung und besitzen daher einen dynamischen
     Abb. 1 und 2).                                                Charakter. Am Beispiel von Wäldern werden Kultur-
                                                                   landschaften im Beitrag von W. Konold in diesem
     2.2 Was ist Kulturlandschaft?                                 Band exemplarisch erläutert.
     „Landschaft [ist] ein vom Menschen als solches
     wahrgenommenes Gebiet, dessen Charakter das Er-               2.3. Was sind Ökosystemleistungen?
     gebnis des Wirkens und Zusammenwirkens natürli-               Unter dem Begriff Ökosystemleistungen werden
     cher und/oder anthropogener Faktoren ist“. Mit die-           direkte und indirekte Beiträge zum Wohlbefinden des
     ser Definition bietet die Europäische Landschafts-            Menschen verstanden, die Ökosysteme zur Verfügung
     konvention des Europarates eine griffige Beschrei-            stellen. Es wird unterschieden zwischen versorgenden
     bung des Landschaftsbegriffs. Beim Begriff                    (z. B. Bereitstellung von Nahrung, Trinkwasser), regu-
     „Landschaft“ unterscheidet man grundsätzlich zwi-             lierenden (z. B. Hochwasserschutz) und kulturellen
     schen Naturlandschaften und Kulturlandschaften.               Leistungen (Möglichkeiten der Erholung und Ästhe-
        Bei Naturlandschaften handelt es sich um Gebiete,          tik). Die sogenannten Basisleistungen (wie z. B. Bio-
     in denen Flora und Fauna weitgehend dem Naturzu-              diversität) unterstützen diese Leistungen und halten
     stand entsprechen und die vom Menschen in ihrer               die Bedingungen für das Leben auf der Erde aufrecht.
     Entwicklung kaum beeinflusst wurden. In Mitteleuro-               Der Begriff Ökosystemleistungen steht für ein
     pa existieren im Grunde jedoch nur noch Kulturland-           wissenschaftliches Konzept eines noch relativ jun-
10
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

Tabelle 1: Beispiele für historische Landnutzungen und daraus entstandene Lebensraumstrukturen.

 Formen der historischen Landnutzung                 Ausprägung und Auswirkung
 Hudewirtschaft                                      Bestände von Alteichenwald
 Wald-, Holznutzung (Laub, Feuer-, Bauholz),         Vorkommen von waldbewohnenden Vogelarten (Hohe Taube, Schwarz-
 Nieder-, Mittelwald, Rodung                         specht, Mittelspecht), Käferarten (Hirschkäfer), Urwaldreliktarten, Kiefern,
                                                     Fichten, Schneitelbäume, Wildbestand
 Aufforstung                                         Anlage von Windschutzstreifen
 extensive Landwirtschaft, Kleinfelderwirtschaft,    Bestand von artenreichem Offenland mit Birkwild, Schwarzwild, Brach-
 Rodung                                              vogel, Braunkehlchen, Englischer Ginster, Vogelfuß, Kleines Filzkraut;
                                                     Wüstungen, Anlage von Ackerterrassen, Waidmühlen
 Streuobstwiesen                                     Erhalt von Steinkauz, alten Kirsch- und Apfelsorten
 Weidewirtschaft                                     Heidelandschaft mit Heidekraut, Wacholder
 Plaggenhieb, Schiffelwirtschaft                     Bestand von Magerstandorten, Heidekraut
 Abräumen von Biomasse als Einstreu, Reisig-         Heidelandschaft
 entnahme für Besenbinderei
 Körnerkloppen                                       Wacholderbestände
 Jagd, Vogelfang, Teichwirtschaft                    Rotwildbestand, Anlage von Staumauern im Geschwemm
 Bienenweide                                         Entstehen von hoher Biodiversität
 Mühlennutzung                                       Anlage von Mühlteichen, Mühlgräben und Mühlen aus Stein
 Abbau von Sand, Ton, Kies, Quarzit, Basalt, Torf,   Bestand von artenreichen Weihern in ehemaligen Gruben; Grasnelke,
 Braunkohle, Kupfer                                  Kupferblümchen, Segelfalter auf belasteten Böden
 Truppenübungsplatz (Panzerübungen,                  Bestand von Freiflächen, Rohböden mit Pionierpflanzen, Steinschmätzer,
 Entwässerung, Mulchen, …), Lager, Bunker            Brachpieper, Pillenfarn, Knorpelmiere; Heide- und Trockenvegetation mit
                                                     Heidelerche, Neuntöter, Kreuzkröte, Feldgrille, Schlingnatter; Fledermäuse
 Flughafennutzung                                    Bestand von Magerrasen, Orchideen, störanfällige Vogelarten
 Erholung, Wintersport                               Anlage von Wanderwegenetz, Skihütte, Aussichtsturm, Sprungschanze,
                                                     Abfahrtshang

gen Forschungsfeldes, welches den Schutz, die Pfle-               binden (z. B. Bürgerwissenschaften, auch bezeich-
ge und die Entwicklung von Leistungen von Ökosys-                 net als Citizen Science, vgl. 2.4).
temen sowie den Schutz der Biodiversität in einer                    Das Konzept der Ökosystemleistungen beschäf-
sich verändernden Welt klären möchte. Das Konzept                 tigt sich u.a. auch mit der Frage, welchen Beitrag
der Ökosystemleistungen verbindet dabei biologi-                  Ökosysteme mit ihren Lebensräumen (Biotope) für
sche Vielfalt (Biodiversität), Ökosystemfunktionen                die Menschheit erbringen. Das geschieht auf ver-
und menschliches Wohlbefinden und nutzt für die                   schiedenen räumlichen Ebenen (lokal, regional bis
Erforschung Wissen aus unterschiedlichsten Diszipli-              global), aber auch in verschiedenen Zeiträumen
nen. Dazu gehört auch die Anwendung von Metho-                    (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Gerade das
den, die Laien in den wissenschaftlichen Prozess ein-             Verständnis und Wissen über die jeweiligen Land-
                                                                                                                                    11
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

     nutzungsansprüche in der Vergangenheit sowie die        schaft, die sich z. B. in den langjährigen Koopera-
     der Gegenwart sind für die Beurteilung des Nutzens      tionen von naturforschenden oder historischen
     von Ökosystemleistungen und der Sicherung von           Vereinen mit Universitäten und Forschungsmuseen
     Ökosystemleistungen im Sinne einer nachhaltigen         ausdrückt. Die politische und mediale Aufmerk-
     Entwicklung notwendig. Ökosystemforschung er-           samkeit, die Citizen Science derzeit erlebt, kann als
     möglicht auch die Untersuchung des Beitrags der         Ausdruck des Bedarfes einer neuen Zusammen-
     Ökosysteme zum materiellen Wohlstand und per-           arbeit zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Po-
     sönlichen Wohlergehen. Ebenso wichtig ist die Fra-      litik gedeutet werden. Innerhalb der Wissenschaft
     ge nach Strategien und Instrumenten und deren           wird die Notwendigkeit einer breiteren Partizipa-
     Überprüfung auf Effektivität und Effizienz, um          tion an der Lösung gesellschaftlich relevanter Pro-
     Ökosystemleistungen in einer sich verändernden          bleme verstärkt geäußert. Mehr und mehr Wissen-
     Welt nachhaltig zu gestalten.                           schaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen sich
                                                             eine Öffnung der Wissenschaft. Dies wird u. a. in
     2.4 Was ist Citizen Science?                            den zahlreichen Diskussionen zum Mehrwert von
     Citizen Science, vielfach übersetzt mit Bürgerwis-      Citizen Science in der Wissenschaft erkennbar. Fra-
     senschaften, umschreibt Prozesse und Aktivitäten,       gen nach der Legitimität der Wissenschaft sowie
     bei denen Bürgerinnen und Bürger sich ehrenamt-         die Reflektion über das Wissenschaftssystem sind
     lich in vielen wissenschaftlichen Fachdisziplinen auf   dabei Teil der Debatten, die innerhalb der Wissen-
     unterschiedliche Art und Weise engagieren. Mo-          schaft geführt werden. Im Diskurs zur Rolle von
     derne Informations- und Kommunikationstechno-           Citizen Science in Wissenschaft und Gesellschaft
     logien haben in den letzten Jahren neue Möglich-        werden durch gemeinsame Aktivitäten Impulse ge-
     keiten der Beteiligung geschaffen und sind vielfach     setzt, Sichtweisen aufgezeigt und letztendlich auch
     Bestandteil von Citizen Science. Die Generierung        transformative Entwicklungen befördert. Für die
     neuen Wissens und die Einhaltung wissenschaft-          Wissenschaft bedeutet Citizen Science somit auch
     licher Standards sind Bedingungen bei Citizen           ein Umdenken hinsichtlich der Funktionsweise und
     Science. Vielfach beinhaltet die Anwendung von          Bewertung von Wissenschaft.
     Citizen Science die gemeinsame Bearbeitung wis-             Citizen Science wird mehr und mehr als geeigne-
     senschaftlicher Fragestellungen über räumlich und       ter Forschungsansatz für spezifische Forschungs-
     zeitlich große Skalen, z. B. in den sogenannten         fragen und wissenschaftliche Anforderungen in der
     Science-Projekten. Gleichzeitig können Citizen          Wissenschaft akzeptiert. In der Praxis ist Citizen
     Science-Projekte auch einen Beitrag zur Fortbildung     Science nach wie vor ein wichtiger Ansatz, um Men-
     der beteiligten Bürgerforscher leisten und damit        schen mit ähnlichem Interesse zusammenzubringen.
     Verständnis für Forschungsergebnisse und daraus         Die Erarbeitung von Fragestellungen und deren Be-
     abgeleitete Entscheidungen wecken. Citizen Science      antwortung und Implementierung macht Wissen-
     ist zielgruppenübergreifend und nicht an Diszipli-      schaft für die Teilnehmenden erlebbar und nahbar.
     nen gebunden. Auch wenn sich der Begriff ‚Citizen       Dieser Zugang zu Wissenschaft zeigt Funktionswei-
     Science‘ langsam in Deutschland etabliert, so ist       sen in der Wissenschaft auf und schafft Räume für
     das, was hinter diesem Begriff steht, vielfach nichts   einen gemeinsamen Diskurs. Zu weiterführenden
     Neues. Es existiert eine lange Tradition der Zusam-     Informationen siehe die Beiträge von A. Sieber so-
     menarbeit zwischen Wissenschaft und Gesell-             wie G. Willwock et al. in diesem Band.
12
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

3. Grundlagen für die historische                         sern wahr, sie erkannten die Artenvielfalt und be-
   Betrachtung                                            schrieben sie im Detail. So können archivarische
Der in diesem Leitfaden gewählte Ansatz, das Kon-         Quellen der Naturschutzgeschichte genutzt werden,
zept der Ökosystemleistungen um die geschichts-           um beispielsweise seltene Tier- und Pflanzenarten
wissenschaftliche Komponente zu ergänzen, setzt           und ihr Vorkommen zeitlich und örtlich festzustel-
eine historische Recherche voraus. Daher wird an          len. Auch die ästhetische Beurteilung von Land-
dieser Stelle die Vorgehensweise einer historischen       schaften und der zugewiesene Erholungswert wer-
Betrachtung von Ökosystemleistungen in einem              den teilweise unter Verwendung von Quellen der
ausführlichen Überblick dargestellt.                      Naturschutzgeschichte ermittelt.
                                                             • Wirtschaftsgeschichte
3.1 Disziplinen der Geschichtswissenschaften                 Die Wirtschaftsgeschichte verfolgt in erster Linie
Für die Erfassung und Bewertung historischer              den Ansatz, Ökonomie als Markt- und Produktions-
Ökosystemleistungen sind Methoden aus den Diszi-          prozess zu begreifen. Dabei werden natürlich Waren
plinen der Umweltgeschichte, Naturschutzgeschich-         gehandelt, darunter auch Rohstoffe oder veredelte
te, Wirtschaftsgeschichte, Rechts- sowie Mikroge-         Produkte. Sie liefert damit Materialien für den
schichte hilfreich. Die jeweiligen Disziplinen werden     Ökosystemansatz, da in den Quellen oft quantitative
kurz vorgestellt:                                         Angaben vorhanden sind, die zumindest Indikatoren
    • Umweltgeschichte                                    sein können. Die Angaben können direkt, z. B. in
    Sie ist eine Unterkategorie der Wirtschaftsge-        der Angabe des Abbauvolumens eines Rohstoffes,
schichte, die in erster Linie den Ansatz verfolgt, Öko-   oder auch indirekt, z. B. in der Angabe, wie viele
nomie als Markt- und Produktionsprozess zu begrei-        Besenbinder vorhanden waren, formuliert sein. Zu
fen. Die Umweltgeschichte bringt hier einen zusätz-       weiterführenden Informationen siehe den Beitrag
lichen Fokus ein, indem sie wirtschaftliches Handeln      von M. Judt in diesem Band.
in Zusammenhang mit den Voraussetzungen der                  • Rechtsgeschichte
Umwelt und den Auswirkungen ökonomischen                     Gerade im Übergang von der vorindustrialisierten
Handelns sieht. So lässt sich z. B. mit historischen      zur industrialisierten Welt sind rechtliche Regeln zur
Karten der Waldanteil im zeitlichen Verlauf relativ       Nutzung der Landschaft von besonderer Bedeutung.
präzise nachvollziehen, mit Quellen aus den Forst-        Am Beispiel eines Untersuchungsgebietes im Rah-
verwaltungen die Art der Bäume, die Altersklassen         men der Machbarkeitsstudie (Hohe Schrecke) wurde
usw. Im Projekt wurden historische Karten als Infor-      erkennbar, dass die Recherche zur Rechtsgeschichte
mationsquelle verwendet und mit aktuellen digita-         unabdingbar war. So änderte sich z. B. der Waldbau
len Geografischen Informationssystemen verknüpft.         erst grundlegend, als die vorindustriellen Rechtsver-
    • Naturschutzgeschichte                               hältnisse in Bezug auf die Waldweide von der preu-
    Naturschutz als soziale Bewegung ist seit dem         ßischen Forstverwaltung durch Flächentausch oder
Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Akteur in         Geld abgegolten wurden. Erst danach konnte sich
Deutschland und vielen Teilen Europas geworden.           der standortgemäße Laubwald im Sinne eines Hoch-
Die Naturschutzgeschichte beschreibt und analysiert       waldes durchsetzen. Die juristischen Verhältnisse,
diese Bewegung, ihr Vorgehen sowie ihre Wirkung.          die sich über Jahrhunderte etabliert hatten, haben
NaturschützerInnen nahmen am ehesten Eingriffe in         oft gerade in den Sonderstandorten, die heute aus
die Landschaft oder die Verschmutzung von Gewäs-          Naturschutzsicht interessant sind und lange als
                                                                                                                   13
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

     wertlos galten, eine bis in die erste Hälfte des 20.        Naturräumliche Gegebenheiten
     Jahrhunderts reichende Bedeutung und sind unbe-             Die geologischen, klimatischen und Vegetationsver-
     dingt zu berücksichtigen.                                   hältnisse stellen Grundparameter für die Geschichte
         • Militärgeschichte                                     einer Landschaft dar. Sie waren zwar nicht unverän-
         Die Militärgeschichte ist ein essentieller wissen-      derbar, haben aber lange Zeit Einfluss gehabt. So
     schaftlicher Bereich, der für die Bearbeitung von Na-       bestanden in der Wahner Heide an vielen Stellen die
     turerbe in Deutschland zu berücksichtigen ist. Histo-       geologischen Voraussetzungen für Feuchtgebiete,
     rische und erst in jüngster Vergangenheit aufgege-          die dann in den letzten zwei Jahrhunderten mühsam
     bene militärische Nutzung ist einer der wichtigsten         entwässert wurden. Die mit diesen Mooren verbun-
     Gestalter von Naturerbeflächen. Auf größeren Ge-            dene, oftmals seltene Vegetation wiederum brachte
     bieten wurden z. B. dauerhafte Bauten errichtet und         den Naturschutz als wichtigen Akteur auf dem Plan.
     eine Infrastruktur für die militärische Nutzung ge-         Das besondere Mikroklima mit verhältnismäßig vie-
     schaffen. So drainierte z. B. das preußische Militär        len nebelfreien Tagen in unmittelbarer Umgebung
     Teile der Wahner Heide (ebenfalls Untersuchungsge-          des Rheins war für die Wehrmacht ein wichtiger
     biet der Machbarkeitsstudie), um Übungsflächen zu           Grund, den dort schon bestehenden kleinen Flug-
     erhalten. Die Ökosystemleistungen für das Militär           hafen deutlich auszubauen. Heute präsentiert sich
     offenbarten sich in vielfältiger Weise: z. B. in der ver-   dieser als moderner Verkehrsknotenpunkt, als inter-
     gleichsweise geringen Fruchtbarkeit und Bebau-              nationaler Flughafen Köln/Bonn „Konrad Adenauer“.
     barkeit der Landschaft, die intensive Nutzungen ver-        Informationsquellen: Sekundärliteratur, d. h. in ers-
     hinderte, so dass die Soldaten unter realen Bedin-          ter Linie Bücher und Zeitschriften in Bibliotheken;
     gungen üben konnten, und vor allem im großen                Internetrecherchen sind hilfreich, aber oft sehr unzu-
     Raumangebot, auch in Bezug auf die Erprobung                verlässig.
     weitreichender Waffensysteme wie Artillerie. Im
     Projekt wurden, soweit möglich, solche militärischen        Historische und gegenwärtige Namen und
     Informationen aus der Vergangenheit erfasst und             Begriffe
     analysiert.                                                 Nach Klärung der naturwissenschaftlichen Voraus-
         • Mikrogeschichte                                       setzungen macht es oft Sinn, die Frage der Benen-
         Die Mikrogeschichte bezieht sich auf die Geschich-      nung der Landschaft zu verfolgen. Die alten Land-
     te kleiner Räume und versucht, von dort auf das grö-        schaftsbezeichnungen und Flurnamen sind einer-
     ßere Ganze zu schließen. Dieser wissenschaftliche           seits aussagekräftig, um einen Einblick in die typi-
     Ansatz ergänzt das Konzept der Ökosystemleistun-            schen Eigenschaften der Landschaft zu erhalten. So
     gen, weil auch dieses auf größere natürliche Zusam-         verweist zum Beispiel der „Westerwald“ begriffsge-
     menhänge rekurriert und dabei von einem lokalen             schichtlich auf den „Weißen Wald“, also auf die
     Zusammenhang ausgeht bzw. ausgehen muss.                    hohe Schneeneigung des Gebietes. Andererseits
                                                                 hilft das Wissen um die historische Entwicklung der
     3.2 Vorgehensweise bei der Historischen                     Benennung bei der geographischen Abgrenzung
         Recherche                                               des eigenen Arbeitsgebietes. Das verhindert die Re-
     Bei der Recherche von historischen Ökosystemleis-           cherche von Inhalten, die am Ende tatsächlich nicht
     tungen sind unterschiedliche Aspekte zu berücksich-         gebraucht werden.
     tigen. Diese werden kurz vorgestellt.                       Informationsquelle: Sekundärliteratur
14
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

Geschichtliche Dimension                                cherchiert, dokumentiert und anschließend analy-
Erst nach diesen Vor-Recherchen sollte man sich der     tisch aufgearbeitet.
Prägung der Landschaft durch den Menschen, dem              • Historische Literatur
eigentlichen Feld der Geschichtswissenschaft zu-            Einen guten Einstieg für die Landschaftsgeschich-
wenden.                                                 te eines bestimmten Gebietes stellen die Wander-
   Die historischen Untersuchungen im Zusammen-         führer dar, die in fast allen Teilen Deutschlands bis
hang mit der Erprobung des Leitfadens beziehen          etwa 1925 entstanden. Die um 1900 gegründete
sich insbesondere auf die Zeit von etwa 1850 bis        Naturschutz-, Heimat- und Wanderbewegung er-
heute. Historisch gesehen veränderte der Mensch         schloss sich in den folgenden 20 Jahren kleinräum-
in dieser Zeitspanne Natur und Landschaft in einer      lich ihre Gebiete. Es entstanden Landschaftsbe-
bis dato noch nie gesehenen Form. Die Achsenzeit        schreibungen, die wichtige naturwissenschaftliche
ist dabei die Industrialisierung, die ungefähr von      Eigenschaften der Gegenden ansprachen, die die
1850 bis 1880 angegeben wird. Die damaligen Ge-         wichtigsten Punkte in einem Gebiet identifizierten
sellschaften in Europa verbanden technische Inno-       und Auskunft über ihre Geschichte gaben.
vationen wie zum Beispiel die Eisenbahn mit neuen       Informationsquelle: Sekundärliteratur
Kapitalformen wie Aktiengesellschaften und den              • Aktuelle Literatur
Durchbruch von wissenschaftlich-technischem                 Es erscheint zunächst verwunderlich, in einem
Know-how, das sich aus den Fesseln religiöser Be-       weiteren Schritt aktuelle Wanderführer als Informa-
schränkungen löste. Die Folge war ein immenser          tionsquelle heranzuziehen. Doch erstaunlicherweise
Machtzuwachs des Menschen in Bezug auf die Be-          sprechen diese oftmals sehr viele Punkte an, die ihre
herrschung der Natur. Gleichzeitig entwickelten         Vorgänger bereits beschrieben. Das liegt daran, dass
sich große Konkurrenzen um die dort vorhandenen         durch die Genese des entsprechenden Wissens zu
Ressourcen.                                             Beginn des 20. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit
   Bei der Landschaftsgeschichte ist ein akteursori-    auf diese Landschaftsmarken und Aspekte gerichtet
entierter Ansatz zu empfehlen. Denn viele Konflikte     wurden und sich in der Folge weiteres Wissen um sie
um Landschaften beruhen auf dem Aufeinandertref-        konzentrierte. Der Vorteil eines aktuellen Wander-
fen von Perspektiven, die sich historisch verfestigt    führers besteht darin, dass er oft den Stand des Wis-
haben. Deshalb ist es sinnvoll, über eine geschichts-   sens zu diesen Punkten andeutet, wenn er ihn auch
wissenschaftliche Analyse die wichtigsten Akteure       nicht zusammenfasst. Hilfreiche Literatur wird dabei
zu identifizieren, die die Landschaft prägten, ihre     ebenfalls oft angegeben.
Hauptintentionen und die Veränderungen, die sie         Informationsquelle: Sekundärliteratur
konkret herbeiführten.                                      • Historische Karten
   Der Zugang zur Erstellung einer solchen Analyse          Sind die wichtigen Punkte in einer Landschaft
erfolgt über die Archivbestände der wichtigen Land-     und die Akteure identifiziert, ist es sinnvoll, histori-
nutzer wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Militär     sches Kartenmaterial heranzuziehen. Ausgangs-
usw., aber vor allem auch über den Naturschutz, der     punkt ist insbesondere in den preußischen Gebieten
seit Beginn seiner Entwicklung die Landschaft per se    die preußische Landesaufnahme, die am Ende des
als sein Wirkungsgebiet sah.                            19. Jahrhunderts und in der Folge sehr detailliert ei-
   Dabei werden historische Quellen nach ge-            nen großen Teil des Deutschen Reiches kartierte. Die
schichtswissenschaftlichen Methoden zunächst re-        entsprechenden Karten sind oft bereits digital im In-
                                                                                                                   15
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

                                                                                         Akteure von Landwirtschaft,
                                                                                         Forstwirtschaft, Flurbereinigung,
                                                                                         Wasserwirtschaft und die, in de-
                                                                                         ren Interesse die Verkehrsinfra-
                                                                                         struktur anlegt wurde (Straßen-
                                                                                         bau, Eisenbahnbau).
                                                                                             Hier müssen oft Archivquellen
                                                                                         aufgesucht werden. Dabei emp-
                                                                                         fiehlt es sich, die Recherche auf
                                                                                         der untersten Ebene zu beginnen.
                                                                                         Das sind oft ein Heimatarchiv, das
                                                                                         ehrenamtlich geführt wird, oder
                                                                                         das Stadtarchiv. Werden hier keine
                                                                                         Quellen gefunden, so sind Univer-
                                                                                         sitätsarchive, Landesarchive oder
                                                                                         das Bundesarchiv nützlich.
                                                                                             Der Schlüssel bei der Suche
                                                                                         nach entsprechenden Quellen ist
                                                                                         die „Zuständigkeit“. Kann man
                                                                                         klären, wer für eine bestimmte
                                                                                         Nutzung der Landschaft zustän-
     Abb. 3: Militärisches Ausgreifen in der Wahner Heide. Historische Karte, bearbeitet dig war (die Forstverwaltung für
     von J. Balaklav / http://www.whiteblackdesign.de/
                                                                                         die Forstwirtschaft, die Landwirt-
     ternet in hoher Auflösung verfügbar. Andere Lan-                                    schaftsverwaltung für die Bauern,
     desteile des Deutschen Reiches wurden ebenfalls die Landeskultur für die Flurbereinigung usw.), fin-
     von den entsprechenden Verwaltungen erfasst.                      det man in den Archiven relativ schnell die entspre-
        Da ab etwa 1940 die Luftfotografie üblich wurde, chenden Bestände. Diese geben wiederum Aus-
     kann ab dieser Zeit bis 1990 die topographische kunft über die Geschichte der Fläche, und aus ih-
     Darstellung sehr genau nachvollzogen werden. Da- nen kann die spezifische Geschichte des Gebietes
     nach spielen Satellitenaufnahmen eine noch be- gut rekonstruiert werden.
     deutsamere Rolle.
        Die Verortung entsprechenden Wissens aus der                     Ein Beispiel: Die Achte Artilleriebrigade der
     bisherigen Literaturrecherche ergibt bereits jetzt ein              Stadt Köln übernahm bis 1873 selbst die Ver-
     sehr plastisches Bild von der Landschaft in den ent-                waltung ihrer Liegenschaften in der Wahner
     sprechenden Zeiträumen.                                             Heide, dann wurde zu diesem Zweck eine
     Informationsquellen: Sekundärliteratur, Archivquellen,              „Schießplatzverwaltungskommission“ gegrün-
     Internet                                                            det, die wiederum vom Stabsoffizier der Feldar-
        • Quellen zur Landnutzung                                        tillerie im Range eines Regimentskommandeurs
        In der weiteren Annäherung spielen die Akteure                   geführt wurde.
     der Disziplinen oft eine bedeutsame Rolle; so die
16
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

                                                          schen, die historische Ereignisse selbst erlebt ha-
     1894 erfolgte die Umwandlung der Kommis-             ben. Die Teilnehmenden geben ihre ganz persönli-
  sion in eine Schießplatzverwaltung, 1901 in             chen Erinnerungen wieder. Es wird dem Intervie-
  eine Kommandantur. Oberaufsicht hatte die               wer ermöglicht, durch einen vorbereiteten Frage-
  General-Inspektion der Artillerie bzw. die Gene-        bogen, der als Leitfaden dienen soll, die erlebten
  ral-Inspektion der Fußartillerie, nachdem die           Erfahrungen des Interviewpartners abzufragen
  General-Inspektion der Artillerie aufgeteilt wor-       und auch persönliche Erinnerungen und Erlebnisse
  den war in General-Inspektion der Fußartillerie         aufzugreifen.
  und Inspektion der Feldartillerie.                         Ein Vorteil der „Oral History“ besteht auch darin,
                                                          dass Persönlichkeiten, die sich über Jahrzehnte mit
   Findet man zum Beispiel die Quellen der oben ge-       einem Gebiet beschäftigt haben, oftmals auch über
nannten Kommandantur von 1901, so hat man die             wichtige historische Dokumente verfügen.
Übersicht über die Aktivitäten des Militärs in der           Zu weiterführenden Informationen zur Methode
Wahner Heide – eine der prägendsten Kräfte in die-        Oral History siehe der Beitrag von A. Leh in diesem
sem Gebiet.                                               Band.
   Die Archivrecherche und die Auswertung ent-               Bei der Methode der Gruppengespräche mit
sprechender Dokumente ist nach wie vor der wich-          mehreren Zeitzeugen werden ExpertInnen zu einem
tigste Schritt zu einer präzisen und verlässlichen his-   aktiven Austausch eingeladen. Die ExpertInnengrup-
torischen Darstellung der Landschaft.                     pe sollte sich aus Geistes- und Naturwissenschaftle-
Informationsquellen: Sekundärliteratur, Archivquellen,    rInnen, aus Ehrenamtlichen, die sich mit der Ge-
Internet                                                  schichte ihrer Heimatregion beschäftigen (insbeson-
                                                          dere Heimat- und Geschichtsvereine), und auch aus
Zeitzeugenbefragung                                       lokalen Stakeholdern aus Forst- und Landwirtschaft,
Es existieren weitere Methoden des geschichts-            auch Gemeinderäten, BürgermeisterInnen, usw. zu-
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, die für eine        sammensetzen. Das Gruppengespräch mit mehre-
Landschaftsgeschichte gut eingesetzt werden               ren ZeitzeugInnen ist nur dann empfehlenswert,
können.                                                   wenn es nicht zu viele aktuelle Konflikte in der Land-
  Die Methode der Zeitzeugenbefragung beruht              schaft gibt. Sonst sind Einzelgespräche im Sinne der
auf dem Aufzeichnen von Gesprächen mit Men-               „Oral History“ vorzuziehen.

                                                                                                                   17
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

     4. Sechs Schritte der Erfassung und                         onen über die historischen Ökosystemleistungen zu
        Bewertung historischer Ökosystem-                        erhalten. Die Schritte bauen aufeinander auf.
        leitungen
     Der Leitfaden beschreibt in sechs Schritten die Erfas-      Beispiel für die Anwendung der sechs Schritte
     sung und Bewertung historischer Ökosystemleistun-           • Anwendungsbeispiel zu Schritt 1: Konkretisierung
     gen in Anlehnung an den „Sechs-Schritte-Ansatz“                und Einigung auf Anliegen mit den Interessens-
     der TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and               gruppen (Stakeholdern)
     Biodiversity). Der „Sechs-Schritte-Ansatz“ ist beson-          Wie werden Akteure/Personen oder Personen-
     ders geeignet, da die Interessen aller betroffenen          gruppen identifiziert, die Ökosystemleistungen in
     Gruppen berücksichtigt werden.                              der Vergangenheit benutzten? Die historische Re-
        Jedem Schritt sind ein Ziel und konkrete Fragestel-      cherche in der Literatur zeigt schnell, welche Akteu-
     lungen zugeordnet. Im Leitfaden wird jeder Schritt          re einen bestimmten Raum genutzt haben. So stößt
     ausführlich beschrieben. Es werden Methoden und             man in der Wahner Heide z. B. unabdingbar auf das
     Ansätze und deren Vorgehensweisen in der Praxis             preußische Militär und seinen Anspruch, diesen Be-
     vorgestellt, um qualitative und quantitative Informati-     reich für sich zu reklamieren.

     Tabelle 2: Sechs-Schritte-Ansatz zur gemeinsamen Erfassung und Bewertung von Ökosystemen in Anlehnung an die
                TEEB-Studie.
      SCHRITT     VORGEHEN                          FRAGESTELLUNGEN
         1        Konkretisierung und Einigung      Wie werden Akteure/Personen/ Personengruppen identifiziert, die in
                  auf Anliegen mit den              der Vergangenheit Ökosystemleistungen einer Landschaft genutzt
                  Interessensgruppen                haben? Gibt es noch Zeitzeugen oder Zeitzeuginnen? Welche Akteure
                  (Stakeholdern)                    und Akteurinnen waren damals und sind heute bei der Prägung der
                                                    Räume beteiligt?
          2       Identifizierung der wichtigsten   Welche konkreten Leistungen wurden in der Vergangenheit genutzt,
                  Ökosystemleistungen               und wie hoch war der Bedarf?
          3       Festlegung von Frage-             In welcher Form sollen die Ökosystemleistungen bewertet oder
                  stellungen und Auswahl            quantifiziert werden? In welchen Zeiträumen fanden Veränderungen
                  passender Methoden                hinsichtlich der Nutzung von Ökosystemleistungen statt?
          4       Erfassung der Ökosystem-          Wie haben sich Bereitstellung und Nutzung der Ökosystemleistungen
                  leistungen                        in der Vergangenheit verändert?
                                                    Welche Entwicklungen der Kulturgüter sind an die Nutzung von
                                                    Ökosystemleistungen gekoppelt? Welche kulturellen Praktiken sind/
                                                    waren mit diesen Leistungen verknüpft und sind notwendig, um den
                                                    derzeitigen ökologischen Zustand zu erhalten?
          5       Einordnung von Entwicklungs-      Was lässt sich aus der Erkenntnis über die Nutzung von Ökosystem-
                  optionen                          leistungen der Vergangenheit für die potentielle Nachfrage/Nutzung/
                                                    Management von Ökosystemleistungen ableiten?
          6       Erfassung der Auswirkungen        Welche Konflikte ergeben sich möglicherweise aus den unterschied-
                  von Veränderungen in der          lichen Nutzungsansprüchen? Wie lässt sich Akzeptanz für eine
                  Bereitstellung von Ökosystem-     Nutzung erwirken?
                  leistungen auf Stakeholder
18
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen

    Es erwarb dort im Jahre 1818
Gelände von der Gemeinde Wahn
und den Geschwistern Heeremann,
den Vorgängern des Freiherrn von
Elz auf Burg Wahn. Es handelte sich
um etwa 400 Morgen des Dorfes
Wahn (Karte Militärische Ausgrei-
fen in der Wahner Heide).
    Zweck war die Möglichkeit, eine
Artillerie-Brigade einsetzen zu kön-
nen, deren Schussrichtung von
Nordwesten nach Südosten (siehe
Karte Abb. 4) ausgerichtet wurde.
Man schoss in „Unland“: Eine Dar-
stellung von 1927 vermerkte: „Die
Bodenbeschaffenheit war minder-
wertiges Heideland mit sumpfigen
Stellen und ebensolcher Umge-
bung.“1
    Dahinter wurde ein „Kugelfang“
benötigt: „Jenseits der Zielstellung,
für deren Anlage das Gelände nord-
westlich des sogenannten Wege-
kreuzes in Betracht kam, musste Abb. 4: Reichsamt für Landesaufnahme (Hrsg.): Zielskizze Truppenübungsplatz
sich noch ein 1500 Schritt langes Wahn. Berlin 1939
Gelände befinden, das frei von Bau-
lichkeiten und Landstraßen war. Dieses Gelände dien- gehörenden Gelände, zwischen Grenze und Maus-
te zum Auslaufen der Geschosse und Sprengstücke pfad aufgestellt werden.“2
und wurde an den Schießtagen durch Sicherheitspos-            Die Nutzung der Wahner Heide erfolgte zunächst
ten abgesperrt.“ „Auch der Geschützpark, das soge- nur unregelmäßig. Wenn möglich wurden die Solda-
nannte Felddepot, die Munitionshütten usw., muss- ten in Zelten mit Stroh untergebracht, die regelmä-
ten außerhalb des Schießplatzes auf dem an der ßig nach den Übungen abgebrochen wurden. Auch
Westseite desselben gelegenen, der Gemeinde Wahn die umgebenden Dörfer Wahn, Lind, Zündorf, Ur-
                                                           bach und Spich wurden übergangsweise für die Be-
                                                           reitstellung von Unterkünften herangezogen.
1 Pleswig, E. (1927): Geschichte des Fußartillerie-Schieß-
                                                              Ab dem Deutsch-Französischen Krieg in den
     platzes Wahn und seine Entwicklung. In: K. Rademacher Jahren   1870/71 beanspruchte das Militär die Wah-
   (Hrsg.): Die Heideterrasse zwischen Rheinebene, Acher
   und Sülz. Wahner Heide. Leipzig. S. 61                  2   Ebenda

                                                                                                                19
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018)

     ner Heide nicht mehr nur saisonal, sondern durch-             • Anwendungsbeispiel zu Schritt 4: Erfassung
     gehend.                                                          der Ökosystemdienstleistungen
                                                                   Die Nutzung der Ökosystemdienstleistungen und
         • Anwendungsbeispiel zu Schritt 2: Identifizierung     ihre Bewertung durch den Menschen verändern sich
           der wichtigsten Ökosystemdienstleistungen            über die Jahrhunderte, da die Nutzungsansprüche
         Die Analyse der Landesnatur zeigt schnell, welche      der Gesellschaft wechseln. Ein gutes Beispiel sind
     Ökosystemdienstleistungen ein Element in der Land-         Natur- und Umweltschutz. So wurde z. B. der Stegs-
     schaft erbringt. So war die Hohe Schrecke als bewal-       kopf in den 1930er Jahren Stück für Stück in die
     detes Kammgebirge vor allem ein Holz- und Wasser-          militärische Nutzung einbezogen. Von Natur- und
     lieferant. Dabei sind die Arten des Waldbaus aller-        Umweltschutz war dabei keine Rede. Heute wird
     dings ausschlaggebend, also die Frage, wie der Wald        das gleiche Gelände als ein Bereich mit seltenen Tier-
     vom Menschen genutzt wurde. In der Hohen Schre-            und Pflanzenarten geschätzt, und die Rücksicht auf
     cke herrschte bis etwa 1850 vor allem ein Nieder-          ihre Lebensräume ist ein unhintergehbarer An-
     und Mittelwald vor. D. h. die Menschen der Region          spruch, ohne den die Zukunft des Gebietes nicht
     ließen den Wald nicht recht hoch wachsen, sondern          mehr denkbar erscheint.
     „ernteten“ die Bäume bereits nach 10 bis 15 Jahren.
     Sie nutzten ihn vor allem für Brennholz und für ihre          • Anwendungsbeispiel zu Schritt 5: Einordnung
     Tiere, die sie hineintrieben, damit diese sich dort Fut-         von Entwicklungsoptionen
     ter suchten: überwiegend die frischen Triebe. Dieser          Der Blick in die Vergangenheit kann in Bezug auf
     „niedere Wald“ hatte natürlich eine deutlich gerin-        die Ökosystemdienstleistungen einer Region sehr
     gere Holzausbeutung als ein Hochwald, und die              lehrreich sein. Denn die Niederwaldwirtschaft in der
     Wasserspeicherfähigkeit war auch nicht sehr groß.          Hohen Schrecke war definitiv eine Form der Nut-
     Erst die preußische Forstverwaltung entwickelte vor        zung von Natur, die ökologisch sehr negativ war. Um
     Ort einen Hochwald, in dem die Buchen bis zu 150           1850 waren die Wälder dort in einem sehr schlech-
     Jahre alt werden konnten. Andere Waldbesitzer in           ten Zustand. Der Aufbau eines Hochwaldes war da-
     der Hohen Schrecke übernahmen dieses Konzept.              gegen sehr positiv, allerdings verdrängte er auch
                                                                viele Tier- und Pflanzenarten, die eben von der Nie-
        • Anwendungsbeispiel zu Schritt 3: In welcher           derwaldwirtschaft abhingen. Heute wissen wir, dass
           Form sollen die Ökosystemdienstleistungen be-        wir diese nur dann erhalten können, wenn wir wie-
           wertet oder quantifiziert werden?                    der Niederwaldwirtschaft betreiben. Nur darf man
        Einige Ökosystemdienstleistungen lassen sich            das nicht auf großen Flächen umsetzen. Das hat das
     durchaus gut quantifizieren, wenn entsprechende            Beispiel der Hohen Schrecke gezeigt.
     Daten zur Verfügung stehen. Das betrifft besonders
     die Basisleistungen wie die Wasserspeicherfähigkeit           • Anwendungsbeispiel zu Schritt 6: Erfassung
     eines Gebirges. Bei anderen, insbesondere immateri-             der Auswirkungen von Veränderungen in der
     ellen Leistungen, ist das schwieriger bis unmöglich.            Bereitstellung historischer Ökosystemdienst-
     Aber in diesem Fall können oft Brücken gebaut wer-              leistungen für Interessensgruppen
     den. So kann man die Bevölkerung einer Region fra-            Ökosystemdienstleistungen stellen etwas bereit,
     gen, wie viel Geld sie z. B. für die Erhaltung eines       was viele Menschen benötigen: Wasser, Luft, Erho-
     Erholungsraumes zu bezahlen bereit ist.                    lung usw. Sie sind deshalb ein gutes Werkzeug, um
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