Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbefl ächen - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
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Naturerbe erleben Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen
Naturerbe erleben – Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen
Impressum Gotzmann, I.H., Bonn, A., Büermann, A., Franke, N., Gotzmann, D. & A. Richter (2018): Naturerbe erleben – Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen. Friedrich-Schiller-Universität Jena; Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig; Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig. Mit Beiträgen von: Büttner, T., Judt, M., Klefeld, K.-D., Konold, W., Kugler, H., Leh, A., Reuter, B., Sieber, A., Villwock, G. Wir danken allen am Projekt beteiligten Personen, insbesondere den Teilnehmenden des Expertenworkshops und der Fokusgruppen. Herausgeber: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Fürstengraben 1, 07743 Jena Partner im Projekt Friedrich-Schiller-Universität Jena, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig Prof. Dr. Aletta Bonn, Dr. Anett Richter, Andrea Büermann, Elisabeth Sellenriek, Marie Pleger Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) Bundesverband für Kultur, Natur und Heimat e.V. Dr. Inge Gotzmann, Dirk Gotzmann, Bernd Kraft Wissenschaftliches Büro Leipzig PD Dr. Nils M. Franke Bildnachweis: Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben, vom Projektteam. vordere Umschlagseite: Wahner Heide hintere Umschlagseite: l.o. Wahner Heide; r.o. Stegskopf; l.u. Hohe Schrecke; r.u. Wahner Heide Layout und Druck: Messner Medien GmbH, Rheinbach ISBN: 978-3-9818697-4-3 Das Buch wird an Interessenten kostenlos abgegeben. Bestellung beim Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU), Download der Publikation und weitere Informationen unter: naturerbe-leben.de Förderer: Das Projekt „Historische Ökosystemleistungen von Naturerbeflächen in Deutschland“ (AZ 33414) wurde gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Der Förderer übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, Genauigkeit und die Vollständigkeit der Angaben sowie die Beach- tung privater Rechte Dritter. Gleichstellung von Frau und Mann: Wir sind bemüht, soweit wie möglich geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Wo uns dies nicht gelingt, haben wir zur schnelleren Lesbarkeit die männliche Form verwendet. Natürlich gilt in allen Fällen jeweils die weibliche und männliche Form. Leipzig 2018
Inhalt Inhalt Seite Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Hintergrund und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Exemplarische Methoden und Praxisbeispiele zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Almut Leh: Oral History als Methode der zeitgeschichtlichen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Matthias Judt: Keine Angst vor Zahlen: Sozial- und Wirtschaftshistorische Quellen recherchieren und auswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Werner Konold: Kulturelle Prägung des „Naturerbes“, oder: der Wald als Wahrer der Kulturlandschaftsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Klaus-Dieter Kleefeld: Die digitale Erfassung von Kulturlandschaft am Beispiel der Wahner Heide . . . 58 Thomas Büttner: Landschaft im Dialog – lesen, erfahren und teilen von Landschaft mit den Menschen vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Andrea Sieber: Landschaft, Landschaftsbewusstsein und innere Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Gerd Villwock, Hans Kugler, Bernd Reuter: Ein Kulturlandschaftskonzept für den Harz – Ergebnisse der Arbeit mit lokalen Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Liste der DBU-Naturerbeflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Beteiligte Partner im Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) Grußwort Paul Bellendorf und Heike Culmsee, Deutsche Bundesstiftung Umwelt D eutschland trägt eine besondere Verantwor- tung für seine national bedeutsamen Natur- schutzflächen. Zu den herausragenden, charakteris- sich überwiegend um ehemalige militärische Übungsplätze, die im Sinne des Naturschutzes er- halten und entwickelt werden sollen. tischen Landschaften gehören u. a. ausgedehnte Die Genese der Naturerbeflächen sowie die Laubwälder, Flusstäler mit ihren Auen und Heide- Potentiale hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwick- landschaften. Da die Bewahrung solcher Natur- lung sind von großem gesellschaftlichem Interesse. schutzgüter eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Zum einen soll den Bürgern die Natur nähergebracht ist, vereinbarten die Bundesregierungen der 16. bis werden, zum anderen sollen auch spannende Frage- 18. Legislaturperiode, insgesamt 156.000 ha reprä- stellungen erarbeitet werden. So wurden beispiels- sentative und hochwertige Naturschutzflächen un- weise im Rahmen eines DBU-Förderprojektes der entgeltlich aus dem Bundesbesitz an die Länder, die historische Kontext, die kulturhistorische Bedeutung Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) oder an- und die historische und gegenwärtige Bereitstellung dere Stiftungen und Naturschutzorganisationen zur von Ökosystemleistungen in interdisziplinären An- dauerhaften Sicherung für den Naturschutz zu über- sätzen mit Methoden aus verschiedenen Disziplinen tragen. Hierzu gehören viele ehemals militärisch ge- anhand dreier Naturerbeflächen modellhaft erprobt. nutzte Gebiete, Bergbaufolgelandschaften, ehemals Dazu gehörte auch die Erfassung und Bewertung volkseigene Flächen in den neuen Bundesländern von Schutzgütern, z. B. durch partizipative Metho- (BVVG) sowie das entlang der innerdeutschen den mit lokalen Interessensgruppen. Grenze verlaufende Grüne Band. Die Ergebnisse dieses Vorhabens fasst der vorlie- Die DBU Naturerbe GmbH, eine gemeinnützige gende Leitfaden zusammen. Der interessierte Leser Gesellschaft der Deutsche Bundesstiftung Umwelt, findet hier ausgewählte Methoden zur Erfassung hat 70 Liegenschaften von etwa 70.000 Hektar und Bewertung historischer Ökosystemleistungen Naturerbeflächen übernommen. Hierbei handelt es auf Naturerbeflächen. Dr. Paul Bellendorf Dr. Heike Culmsee 4
Hintergrund und Fragestellungen Hintergrund und Fragestellungen D ie vielfältigen Nutzungen von Landschaften un- terliegen einem stetigen Wandel. Im Sinne ei- ner nachhaltigen Raumentwicklung sind heute die Ansprüche an Landnutzung und Nutzungswandel unter ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Gesichtspunkten zu betrachten. Dabei sind Raumentwicklungen stets im Zusammenhang mit ihrer historischen und gegenwärtigen Entwick- lung besser zu verstehen. Der Leitfaden ist ein Ergebnis des Projektes „His- torische Ökosystemleistungen von Naturerbeflä- chen in Deutschland“. In einer Machbarkeitsstudie wurden historische Ökosystemleistungen auf Natur- erbeflächen untersucht. Die Naturerbeflächen sind Kulturlandschaften von hoher naturschutzfachli- cher Bedeutung, deren kulturhistorische Bedeutung bislang weniger im Fokus der Betrachtung stand. Der Leitfaden zeigt, wie eng die Verzahnung zwi- schen Natur- und Kulturerbe ist. Er bietet praxisbe- zogene Anregungen für den Umgang mit beiden Aspekten auf Naturerbeflächen und zeigt, wie Be- darfe aus dem Naturschutz sowie dem Kulturgüter- schutz zu vereinen sind. Auf ausgewählten Natur- erbeflächen wurden Methoden zur Erfassung und Bewertung von Ökosystemleistungen entwickelt und erprobt. Dabei wurde auf das Konzept der ökosystemaren Dienstleistungen zurückgegriffen. Der Leitfaden stellt eine Übersicht ausgewählter Methoden zur Erfassung und Bewertung histori- scher Ökosystemleistungen vor. Die Machbarkeitsstudie konzentrierte sich auf drei ausgewählte Naturerbeflächen: Wahner Heide in NRW, Stegskopf in Rheinland-Pfalz und Hohe Schrecke in Thüringen. Die Studie beinhaltete eine Abb. 1: Ausgewählte Naturerbeflächen für die Machbarkeits- historische Recherche zur Geschichte der drei Flä- studie. chen. Sie berücksichtigte die Geschichte der Um- von oben: Wahner Heide / Stegskopf / Hohe Schrecke 5
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) welt, des Naturschutzes, der Wirtschaft, des Militärs Der Leitfaden entstand unter Mitwirkung von und rechtliche Aspekte. Methoden aus der Ge- Experten und Akteuren der ausgewählten Natur- schichtsforschung zur Erfassung historischer Ökosys- erbeflächen im Rahmen einer interdisziplinären temleistungen und ihrer Bedeutung für verschiede- Zusammenarbeit. Der so zusammengetragene Er- ne Akteursgruppen wurden getestet und durch wei- fahrungsschatz aus den jeweiligen Disziplinen und tere methodische Ansätze ergänzt. Fachgebieten sowie den Kenntnissen der Men- Folgende Fragestellungen sind zentral und grund- schen vor Ort lieferte wichtige Erkenntnisse. legend für die Entwicklung des Leitfadens gewesen: • Welche Methoden können für die Erfassung Weitere Informationen über das Projekt und die historischer Ökosystemleistungen angewandt Projektpartner sowie Materialien finden Sie auf der werden? Internetseite www.naturerbe-erleben.de. • Was sind die Stärken und Schwächen der jeweiligen Methoden? Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, • Welche Besonderheiten ergeben sich für die eine hilfreiche Unterstützung bei der Erfassung und Anwendung der Methoden auf Naturerbe- Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf flächen? Naturerbeflächen. Abb. 2: Teilnehmende des Expertenworkshops im September 2017 in der Wahner Heide. 6
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.1 Wofür dient der Leitfaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2 Wer kann den Leitfaden nutzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3 Wie ist der Leitfaden in der Praxis zu verwenden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Was sind Naturerbeflächen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Was ist Kulturlandschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.3 Was sind Ökosystemleistungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.4 Was ist Citizen Science? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Grundlagen für die historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.1 Disziplinen der Geschichtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.2 Vorgehensweise bei der Historischen Recherche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Sechs Schritte der Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Schritt 1: Konkretisierung und Einigung auf Anliegen mit Interessengruppen (Stakeholdern) . . . . . . . . 21 Schritt 2: Identifizierung der wichtigsten Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Schritt 3: Festlegung von Fragestellungen und Auswahl passender Methoden – Konkretisierung . . . . . 27 Schritt 4: Erfassung der Ökosystemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Schritt 5: Identifizierung von Entwicklungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Schritt 6: Erfassung der Auswirkungen von Veränderungen in der Bereitstellung von Ökosystemleistungen auf Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 6. Weiterführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6.2 Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 7
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) 1. Einführung chen. Eine Ausweitung auf andere Flächen ist aber Der Leitfaden stellt erprobte und praxisorientierte denkbar, da Naturerbeflächen sowohl das Natur- Vorgehensweisen zur Erfassung und Bewertung his- erbe als auch das Kulturerbe umfassen. Das ausge- torischer Ökosystemleistungen vor. Im Anschluss wählte und erprobte Set aus Methoden der enthält der Leitfaden Fachbeiträge mit weiterfüh- Geschichtswissenschaften, Geographie, Kulturland- renden Informationen zu dem möglichst kurz ge- schaftsforschung, Biodiversitätsforschung, Nach- haltenen Leitfaden. haltigkeitswissenschaften, Kommunikationswissen- Zum Umgang mit der facettenreichen Vielfalt von schaften und weiteren Disziplinen zeigen, welche Kulturlandschaften werden Methoden aus unter- Erhebungsmethoden für die Erfassung und Bewer- schiedlichen Disziplinen vorgestellt. Auch bisher tung von Ökosystemleistungen machbar sind. Pra- weniger bekannte und neue Ansätze wie z. B. wirt- xisbeispiele unterstützen die vorgestellten Metho- schaftshistorische Analysen werden präsentiert. Das den. Es werden Praxisbeispiele für die Beteiligung Methodenspektrum umfasst sowohl Erfassungen der oder Integration von aktiven und interessierten Per- Kulturlandschaft unter denkmal- und kulturhistori- sonen und Gruppierungen (Stakeholdern) beschrie- schen sowie naturschutzfachlichen Gesichtspunkten ben. Auf diese Weise können Grundlagen für das als auch Citizen-Science-Projekte, in denen viel Exper- Management von Naturerbeflächen gewonnen tise der lokalen Experten zusammengeführt wird. werden. Auch der Einsatz moderner Auswertungs- und Visualisierungsmöglichkeiten (GIS) und die Digitali- 1.2 Wer kann den Leitfaden nutzen? sierung historischer Karten zur Erstellung von Wan- Der Leitfaden richtet sich an Einzelpersonen oder delkarten werden als Methoden vorgestellt. Die Un- Gruppen, die Interesse und Bedarf an der Erfassung tersuchung der historischen Ökosystemleistungen von Leistungen der Natur und Kultur auf Naturerbe- kann praktikabler Weise nicht losgelöst von der heu- flächen haben. tigen Situation betrachtet werden. Nutzungswandel Der Leitfaden soll für Wissenschaftler und Ver- und der damit einhergehende Landschaftswandel ist treter der Fachinstitutionen aus möglichst vielen ein fortlaufender Prozess. Daher liegt der Schwer- Disziplinen und ebenso für interessierte Laien an- punkt des Leitfadens zwar auf der Betrachtung der wendbar sein. Der Leitfaden unterstützt die Zusam- historischen Ökosystemleistungen, bindet die heuti- menarbeit verschiedener Akteure. Es ist denkbar, gen jedoch mit ein. Der Leitfaden stellt eine geeig- dass eine Initiative von Wissenschaftlern aus den nete Herangehensweise vor und erhebt keinesfalls Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften, enga- Anspruch auf Vollständigkeit. Dieser Band will da- gierte Bürger der Region, Heimat- und Geschichts- her, wie in einem Kochbuch, erprobte Rezepte für vereine, Fachgesellschaften, Naturschutzvereine, die praktische Anwendung empfehlen und für wei- Bildungseinrichtungen, Personen aus dem Natur- tere Entwicklungen von Methoden auch anregen. schutzmanagement sowie Land- und Forstwirte gemeinsam die historischen Ökosystemleistungen 1.1 Wozu dient der Leitfaden? erfassen und erforschen möchten. Der Leitfaden Der Leitfaden wurde auf Naturerbeflächen getestet bietet hierzu Methoden, wie dies in der Praxis aus- und dient daher der Betrachtung von Naturerbeflä- sehen könnte. 8
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen 1.3 Wie ist der Leitfaden in der Praxis zu nächst einmal nur die Eigentumshistorie. Die Flächen verwenden? enthalten jedoch in den meisten Fällen Flächen mit Dem Leitfaden vorangestellt wird zunächst eine Be- Schutzkategorien wie z. B. Naturschutzgebiet oder griffserklärung (siehe 2.1 bis 2.4), und es werden FFH-Gebiet. Naturerbeflächen sind unterschiedlich Grundlagen für die historische Betrachtung be- strukturierte Flächen in ganz Deutschland. Es handelt schrieben (siehe 3.1. bis 3.3). Der Leitfaden ist ent- sich aus naturschutzfachlicher Sicht um schützens- lang von sechs Schritten aufgebaut. Diese werden werte Flächen, die sich in der Vergangenheit unter einzeln erklärt und Methoden für die jeweiligen verschiedenen – teilweise intensiven Nutzungen – zu Schritte vorgestellt. Weiterführende Informationen besonderen Naturräumen entwickelt haben. z. B. in Form von Literatur und Internetlinks sowie Die Naturerbeflächen sind zumeist durch Unzer- Tipps und Tricks sind den Schritten zugeordnet. Die schnittenheit von Straßen und Siedlungen und da- Auswahl der Methoden basiert auf ihrer Erprobung durch bedingte relative Störungsarmut charakteri- in einer Machbarkeitsstudie auf ausgewählten siert. Land- und Forstwirtschaft wurde, sofern vor- Naturerbeflächen. Die Ergebnisse und Details zur handen, nicht intensiv betrieben. Die Nutzung durch Studie sind auf www.naturerbe-erleben.de abrufbar. Militär, Tagebau oder Grenzziehung hat zu Sonder- standorten für Tier- und Pflanzenarten geführt. Auf- 2. Begriffsbestimmungen grund dieser Faktoren ist auf Naturerbeflächen eine 2.1 Was sind Naturerbeflächen? Der Begriff des Nationalen Naturerbes wurde 1998 von der damaligen Bundesregierung eingeführt und bezeichnet ausgewählte Flächen in Deutschland, die als dauerhafte Naturschutzflächen gesichert werden. Im Rahmen einer Initiative des Bundes wurde eine große Zahl an Flächen nicht privatisiert, sondern seit dem Jahr 2000 als Nationales Naturerbe unentgelt- lich, allerdings unter strengen naturschutzfachlichen Auflagen in Trägerschaft übergeben. Träger sind die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder und von den Ländern benannte Naturschutzorgani- sationen. Es handelt sich vielfach um militärisch ge- nutzte Flächen, aber auch Flächen entlang der inner- deutschen Grenze („Grünes Band“), Treuhandflä- chen aus dem DDR-Volksvermögen und stillgelegte DDR- Braunkohletagebaue zählen zu diesem Natio- nalen Naturerbe. Die Flächen des Nationalen Natur- erbes werden als Naturerbeflächen bezeichnet. Der Begriff der Naturerbeflächen stellt jedoch kei- ne eigene Schutzkategorie dar, wie etwa Natur- schutzgebiete oder Nationalparke. Er beschreibt zu- Abb. 1: Betretungsverbot in der Wahner Heide 9
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) schaften, die durch ein langfristiges Wechselspiel von Natur und anthropogener Nutzung geprägt sind. Un- ter „Kultur“ versteht man in diesem Zusammenhang alle Landschaftsaspekte, die vom Menschen geschaf- fen oder (um-)gestaltet werden. Die Nutzungsge- schichte einer Landschaft ist ablesbar und bildet ein breites Spektrum der Menschheitsgeschichte ab: so- wohl durch das archäologische Erbe als auch durch Kulturdenkmäler, Baukultur und die historisch ent- standenen Strukturen der Forst- und Landwirtschaft. Der soziale Wert von Kulturlandschaften entsteht durch die Unverwechselbarkeit der jeweiligen Land- schaft. Durch die Nutzungsgeschichte sind auch spe- zifische Lebensräume entstanden, siehe Tab. 1. Kul- Abb. 2: Munitionsbelastung in der Naturerbefläche Stegskopf turlandschaft wirkt identitätsstiftend auf die in ihr lebenden Menschen und ist ein elementarer Bestand- große biologische Vielfalt mit wichtigen Refugien teil von Identität und Heimatgefühl. Darüber hinaus für seltene Tier- und Pflanzenarten zu finden. Auch erfüllen Kulturlandschaften vielerorts eine Erlebnis- hinsichtlich des Kulturerbes ist durch die einge- und Erholungsfunktion. Somit ist mit Kulturland- schränkte Zugänglichkeit eine Schutzfunktion gege- schaften auch eine emotionale und immaterielle ben. Allerdings gibt es auch Herausforderungen, Komponente verbunden. Kulturlandschaften sind z. B. hinsichtlich Monitionsbelastungen, die eine Ausdruck der fortschreitenden menschlichen Ent- Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen (siehe wicklung und besitzen daher einen dynamischen Abb. 1 und 2). Charakter. Am Beispiel von Wäldern werden Kultur- landschaften im Beitrag von W. Konold in diesem 2.2 Was ist Kulturlandschaft? Band exemplarisch erläutert. „Landschaft [ist] ein vom Menschen als solches wahrgenommenes Gebiet, dessen Charakter das Er- 2.3. Was sind Ökosystemleistungen? gebnis des Wirkens und Zusammenwirkens natürli- Unter dem Begriff Ökosystemleistungen werden cher und/oder anthropogener Faktoren ist“. Mit die- direkte und indirekte Beiträge zum Wohlbefinden des ser Definition bietet die Europäische Landschafts- Menschen verstanden, die Ökosysteme zur Verfügung konvention des Europarates eine griffige Beschrei- stellen. Es wird unterschieden zwischen versorgenden bung des Landschaftsbegriffs. Beim Begriff (z. B. Bereitstellung von Nahrung, Trinkwasser), regu- „Landschaft“ unterscheidet man grundsätzlich zwi- lierenden (z. B. Hochwasserschutz) und kulturellen schen Naturlandschaften und Kulturlandschaften. Leistungen (Möglichkeiten der Erholung und Ästhe- Bei Naturlandschaften handelt es sich um Gebiete, tik). Die sogenannten Basisleistungen (wie z. B. Bio- in denen Flora und Fauna weitgehend dem Naturzu- diversität) unterstützen diese Leistungen und halten stand entsprechen und die vom Menschen in ihrer die Bedingungen für das Leben auf der Erde aufrecht. Entwicklung kaum beeinflusst wurden. In Mitteleuro- Der Begriff Ökosystemleistungen steht für ein pa existieren im Grunde jedoch nur noch Kulturland- wissenschaftliches Konzept eines noch relativ jun- 10
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen Tabelle 1: Beispiele für historische Landnutzungen und daraus entstandene Lebensraumstrukturen. Formen der historischen Landnutzung Ausprägung und Auswirkung Hudewirtschaft Bestände von Alteichenwald Wald-, Holznutzung (Laub, Feuer-, Bauholz), Vorkommen von waldbewohnenden Vogelarten (Hohe Taube, Schwarz- Nieder-, Mittelwald, Rodung specht, Mittelspecht), Käferarten (Hirschkäfer), Urwaldreliktarten, Kiefern, Fichten, Schneitelbäume, Wildbestand Aufforstung Anlage von Windschutzstreifen extensive Landwirtschaft, Kleinfelderwirtschaft, Bestand von artenreichem Offenland mit Birkwild, Schwarzwild, Brach- Rodung vogel, Braunkehlchen, Englischer Ginster, Vogelfuß, Kleines Filzkraut; Wüstungen, Anlage von Ackerterrassen, Waidmühlen Streuobstwiesen Erhalt von Steinkauz, alten Kirsch- und Apfelsorten Weidewirtschaft Heidelandschaft mit Heidekraut, Wacholder Plaggenhieb, Schiffelwirtschaft Bestand von Magerstandorten, Heidekraut Abräumen von Biomasse als Einstreu, Reisig- Heidelandschaft entnahme für Besenbinderei Körnerkloppen Wacholderbestände Jagd, Vogelfang, Teichwirtschaft Rotwildbestand, Anlage von Staumauern im Geschwemm Bienenweide Entstehen von hoher Biodiversität Mühlennutzung Anlage von Mühlteichen, Mühlgräben und Mühlen aus Stein Abbau von Sand, Ton, Kies, Quarzit, Basalt, Torf, Bestand von artenreichen Weihern in ehemaligen Gruben; Grasnelke, Braunkohle, Kupfer Kupferblümchen, Segelfalter auf belasteten Böden Truppenübungsplatz (Panzerübungen, Bestand von Freiflächen, Rohböden mit Pionierpflanzen, Steinschmätzer, Entwässerung, Mulchen, …), Lager, Bunker Brachpieper, Pillenfarn, Knorpelmiere; Heide- und Trockenvegetation mit Heidelerche, Neuntöter, Kreuzkröte, Feldgrille, Schlingnatter; Fledermäuse Flughafennutzung Bestand von Magerrasen, Orchideen, störanfällige Vogelarten Erholung, Wintersport Anlage von Wanderwegenetz, Skihütte, Aussichtsturm, Sprungschanze, Abfahrtshang gen Forschungsfeldes, welches den Schutz, die Pfle- binden (z. B. Bürgerwissenschaften, auch bezeich- ge und die Entwicklung von Leistungen von Ökosys- net als Citizen Science, vgl. 2.4). temen sowie den Schutz der Biodiversität in einer Das Konzept der Ökosystemleistungen beschäf- sich verändernden Welt klären möchte. Das Konzept tigt sich u.a. auch mit der Frage, welchen Beitrag der Ökosystemleistungen verbindet dabei biologi- Ökosysteme mit ihren Lebensräumen (Biotope) für sche Vielfalt (Biodiversität), Ökosystemfunktionen die Menschheit erbringen. Das geschieht auf ver- und menschliches Wohlbefinden und nutzt für die schiedenen räumlichen Ebenen (lokal, regional bis Erforschung Wissen aus unterschiedlichsten Diszipli- global), aber auch in verschiedenen Zeiträumen nen. Dazu gehört auch die Anwendung von Metho- (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Gerade das den, die Laien in den wissenschaftlichen Prozess ein- Verständnis und Wissen über die jeweiligen Land- 11
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) nutzungsansprüche in der Vergangenheit sowie die schaft, die sich z. B. in den langjährigen Koopera- der Gegenwart sind für die Beurteilung des Nutzens tionen von naturforschenden oder historischen von Ökosystemleistungen und der Sicherung von Vereinen mit Universitäten und Forschungsmuseen Ökosystemleistungen im Sinne einer nachhaltigen ausdrückt. Die politische und mediale Aufmerk- Entwicklung notwendig. Ökosystemforschung er- samkeit, die Citizen Science derzeit erlebt, kann als möglicht auch die Untersuchung des Beitrags der Ausdruck des Bedarfes einer neuen Zusammen- Ökosysteme zum materiellen Wohlstand und per- arbeit zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Po- sönlichen Wohlergehen. Ebenso wichtig ist die Fra- litik gedeutet werden. Innerhalb der Wissenschaft ge nach Strategien und Instrumenten und deren wird die Notwendigkeit einer breiteren Partizipa- Überprüfung auf Effektivität und Effizienz, um tion an der Lösung gesellschaftlich relevanter Pro- Ökosystemleistungen in einer sich verändernden bleme verstärkt geäußert. Mehr und mehr Wissen- Welt nachhaltig zu gestalten. schaftlerinnen und Wissenschaftler wünschen sich eine Öffnung der Wissenschaft. Dies wird u. a. in 2.4 Was ist Citizen Science? den zahlreichen Diskussionen zum Mehrwert von Citizen Science, vielfach übersetzt mit Bürgerwis- Citizen Science in der Wissenschaft erkennbar. Fra- senschaften, umschreibt Prozesse und Aktivitäten, gen nach der Legitimität der Wissenschaft sowie bei denen Bürgerinnen und Bürger sich ehrenamt- die Reflektion über das Wissenschaftssystem sind lich in vielen wissenschaftlichen Fachdisziplinen auf dabei Teil der Debatten, die innerhalb der Wissen- unterschiedliche Art und Weise engagieren. Mo- schaft geführt werden. Im Diskurs zur Rolle von derne Informations- und Kommunikationstechno- Citizen Science in Wissenschaft und Gesellschaft logien haben in den letzten Jahren neue Möglich- werden durch gemeinsame Aktivitäten Impulse ge- keiten der Beteiligung geschaffen und sind vielfach setzt, Sichtweisen aufgezeigt und letztendlich auch Bestandteil von Citizen Science. Die Generierung transformative Entwicklungen befördert. Für die neuen Wissens und die Einhaltung wissenschaft- Wissenschaft bedeutet Citizen Science somit auch licher Standards sind Bedingungen bei Citizen ein Umdenken hinsichtlich der Funktionsweise und Science. Vielfach beinhaltet die Anwendung von Bewertung von Wissenschaft. Citizen Science die gemeinsame Bearbeitung wis- Citizen Science wird mehr und mehr als geeigne- senschaftlicher Fragestellungen über räumlich und ter Forschungsansatz für spezifische Forschungs- zeitlich große Skalen, z. B. in den sogenannten fragen und wissenschaftliche Anforderungen in der Science-Projekten. Gleichzeitig können Citizen Wissenschaft akzeptiert. In der Praxis ist Citizen Science-Projekte auch einen Beitrag zur Fortbildung Science nach wie vor ein wichtiger Ansatz, um Men- der beteiligten Bürgerforscher leisten und damit schen mit ähnlichem Interesse zusammenzubringen. Verständnis für Forschungsergebnisse und daraus Die Erarbeitung von Fragestellungen und deren Be- abgeleitete Entscheidungen wecken. Citizen Science antwortung und Implementierung macht Wissen- ist zielgruppenübergreifend und nicht an Diszipli- schaft für die Teilnehmenden erlebbar und nahbar. nen gebunden. Auch wenn sich der Begriff ‚Citizen Dieser Zugang zu Wissenschaft zeigt Funktionswei- Science‘ langsam in Deutschland etabliert, so ist sen in der Wissenschaft auf und schafft Räume für das, was hinter diesem Begriff steht, vielfach nichts einen gemeinsamen Diskurs. Zu weiterführenden Neues. Es existiert eine lange Tradition der Zusam- Informationen siehe die Beiträge von A. Sieber so- menarbeit zwischen Wissenschaft und Gesell- wie G. Willwock et al. in diesem Band. 12
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen 3. Grundlagen für die historische sern wahr, sie erkannten die Artenvielfalt und be- Betrachtung schrieben sie im Detail. So können archivarische Der in diesem Leitfaden gewählte Ansatz, das Kon- Quellen der Naturschutzgeschichte genutzt werden, zept der Ökosystemleistungen um die geschichts- um beispielsweise seltene Tier- und Pflanzenarten wissenschaftliche Komponente zu ergänzen, setzt und ihr Vorkommen zeitlich und örtlich festzustel- eine historische Recherche voraus. Daher wird an len. Auch die ästhetische Beurteilung von Land- dieser Stelle die Vorgehensweise einer historischen schaften und der zugewiesene Erholungswert wer- Betrachtung von Ökosystemleistungen in einem den teilweise unter Verwendung von Quellen der ausführlichen Überblick dargestellt. Naturschutzgeschichte ermittelt. • Wirtschaftsgeschichte 3.1 Disziplinen der Geschichtswissenschaften Die Wirtschaftsgeschichte verfolgt in erster Linie Für die Erfassung und Bewertung historischer den Ansatz, Ökonomie als Markt- und Produktions- Ökosystemleistungen sind Methoden aus den Diszi- prozess zu begreifen. Dabei werden natürlich Waren plinen der Umweltgeschichte, Naturschutzgeschich- gehandelt, darunter auch Rohstoffe oder veredelte te, Wirtschaftsgeschichte, Rechts- sowie Mikroge- Produkte. Sie liefert damit Materialien für den schichte hilfreich. Die jeweiligen Disziplinen werden Ökosystemansatz, da in den Quellen oft quantitative kurz vorgestellt: Angaben vorhanden sind, die zumindest Indikatoren • Umweltgeschichte sein können. Die Angaben können direkt, z. B. in Sie ist eine Unterkategorie der Wirtschaftsge- der Angabe des Abbauvolumens eines Rohstoffes, schichte, die in erster Linie den Ansatz verfolgt, Öko- oder auch indirekt, z. B. in der Angabe, wie viele nomie als Markt- und Produktionsprozess zu begrei- Besenbinder vorhanden waren, formuliert sein. Zu fen. Die Umweltgeschichte bringt hier einen zusätz- weiterführenden Informationen siehe den Beitrag lichen Fokus ein, indem sie wirtschaftliches Handeln von M. Judt in diesem Band. in Zusammenhang mit den Voraussetzungen der • Rechtsgeschichte Umwelt und den Auswirkungen ökonomischen Gerade im Übergang von der vorindustrialisierten Handelns sieht. So lässt sich z. B. mit historischen zur industrialisierten Welt sind rechtliche Regeln zur Karten der Waldanteil im zeitlichen Verlauf relativ Nutzung der Landschaft von besonderer Bedeutung. präzise nachvollziehen, mit Quellen aus den Forst- Am Beispiel eines Untersuchungsgebietes im Rah- verwaltungen die Art der Bäume, die Altersklassen men der Machbarkeitsstudie (Hohe Schrecke) wurde usw. Im Projekt wurden historische Karten als Infor- erkennbar, dass die Recherche zur Rechtsgeschichte mationsquelle verwendet und mit aktuellen digita- unabdingbar war. So änderte sich z. B. der Waldbau len Geografischen Informationssystemen verknüpft. erst grundlegend, als die vorindustriellen Rechtsver- • Naturschutzgeschichte hältnisse in Bezug auf die Waldweide von der preu- Naturschutz als soziale Bewegung ist seit dem ßischen Forstverwaltung durch Flächentausch oder Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Akteur in Geld abgegolten wurden. Erst danach konnte sich Deutschland und vielen Teilen Europas geworden. der standortgemäße Laubwald im Sinne eines Hoch- Die Naturschutzgeschichte beschreibt und analysiert waldes durchsetzen. Die juristischen Verhältnisse, diese Bewegung, ihr Vorgehen sowie ihre Wirkung. die sich über Jahrhunderte etabliert hatten, haben NaturschützerInnen nahmen am ehesten Eingriffe in oft gerade in den Sonderstandorten, die heute aus die Landschaft oder die Verschmutzung von Gewäs- Naturschutzsicht interessant sind und lange als 13
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) wertlos galten, eine bis in die erste Hälfte des 20. Naturräumliche Gegebenheiten Jahrhunderts reichende Bedeutung und sind unbe- Die geologischen, klimatischen und Vegetationsver- dingt zu berücksichtigen. hältnisse stellen Grundparameter für die Geschichte • Militärgeschichte einer Landschaft dar. Sie waren zwar nicht unverän- Die Militärgeschichte ist ein essentieller wissen- derbar, haben aber lange Zeit Einfluss gehabt. So schaftlicher Bereich, der für die Bearbeitung von Na- bestanden in der Wahner Heide an vielen Stellen die turerbe in Deutschland zu berücksichtigen ist. Histo- geologischen Voraussetzungen für Feuchtgebiete, rische und erst in jüngster Vergangenheit aufgege- die dann in den letzten zwei Jahrhunderten mühsam bene militärische Nutzung ist einer der wichtigsten entwässert wurden. Die mit diesen Mooren verbun- Gestalter von Naturerbeflächen. Auf größeren Ge- dene, oftmals seltene Vegetation wiederum brachte bieten wurden z. B. dauerhafte Bauten errichtet und den Naturschutz als wichtigen Akteur auf dem Plan. eine Infrastruktur für die militärische Nutzung ge- Das besondere Mikroklima mit verhältnismäßig vie- schaffen. So drainierte z. B. das preußische Militär len nebelfreien Tagen in unmittelbarer Umgebung Teile der Wahner Heide (ebenfalls Untersuchungsge- des Rheins war für die Wehrmacht ein wichtiger biet der Machbarkeitsstudie), um Übungsflächen zu Grund, den dort schon bestehenden kleinen Flug- erhalten. Die Ökosystemleistungen für das Militär hafen deutlich auszubauen. Heute präsentiert sich offenbarten sich in vielfältiger Weise: z. B. in der ver- dieser als moderner Verkehrsknotenpunkt, als inter- gleichsweise geringen Fruchtbarkeit und Bebau- nationaler Flughafen Köln/Bonn „Konrad Adenauer“. barkeit der Landschaft, die intensive Nutzungen ver- Informationsquellen: Sekundärliteratur, d. h. in ers- hinderte, so dass die Soldaten unter realen Bedin- ter Linie Bücher und Zeitschriften in Bibliotheken; gungen üben konnten, und vor allem im großen Internetrecherchen sind hilfreich, aber oft sehr unzu- Raumangebot, auch in Bezug auf die Erprobung verlässig. weitreichender Waffensysteme wie Artillerie. Im Projekt wurden, soweit möglich, solche militärischen Historische und gegenwärtige Namen und Informationen aus der Vergangenheit erfasst und Begriffe analysiert. Nach Klärung der naturwissenschaftlichen Voraus- • Mikrogeschichte setzungen macht es oft Sinn, die Frage der Benen- Die Mikrogeschichte bezieht sich auf die Geschich- nung der Landschaft zu verfolgen. Die alten Land- te kleiner Räume und versucht, von dort auf das grö- schaftsbezeichnungen und Flurnamen sind einer- ßere Ganze zu schließen. Dieser wissenschaftliche seits aussagekräftig, um einen Einblick in die typi- Ansatz ergänzt das Konzept der Ökosystemleistun- schen Eigenschaften der Landschaft zu erhalten. So gen, weil auch dieses auf größere natürliche Zusam- verweist zum Beispiel der „Westerwald“ begriffsge- menhänge rekurriert und dabei von einem lokalen schichtlich auf den „Weißen Wald“, also auf die Zusammenhang ausgeht bzw. ausgehen muss. hohe Schneeneigung des Gebietes. Andererseits hilft das Wissen um die historische Entwicklung der 3.2 Vorgehensweise bei der Historischen Benennung bei der geographischen Abgrenzung Recherche des eigenen Arbeitsgebietes. Das verhindert die Re- Bei der Recherche von historischen Ökosystemleis- cherche von Inhalten, die am Ende tatsächlich nicht tungen sind unterschiedliche Aspekte zu berücksich- gebraucht werden. tigen. Diese werden kurz vorgestellt. Informationsquelle: Sekundärliteratur 14
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen Geschichtliche Dimension cherchiert, dokumentiert und anschließend analy- Erst nach diesen Vor-Recherchen sollte man sich der tisch aufgearbeitet. Prägung der Landschaft durch den Menschen, dem • Historische Literatur eigentlichen Feld der Geschichtswissenschaft zu- Einen guten Einstieg für die Landschaftsgeschich- wenden. te eines bestimmten Gebietes stellen die Wander- Die historischen Untersuchungen im Zusammen- führer dar, die in fast allen Teilen Deutschlands bis hang mit der Erprobung des Leitfadens beziehen etwa 1925 entstanden. Die um 1900 gegründete sich insbesondere auf die Zeit von etwa 1850 bis Naturschutz-, Heimat- und Wanderbewegung er- heute. Historisch gesehen veränderte der Mensch schloss sich in den folgenden 20 Jahren kleinräum- in dieser Zeitspanne Natur und Landschaft in einer lich ihre Gebiete. Es entstanden Landschaftsbe- bis dato noch nie gesehenen Form. Die Achsenzeit schreibungen, die wichtige naturwissenschaftliche ist dabei die Industrialisierung, die ungefähr von Eigenschaften der Gegenden ansprachen, die die 1850 bis 1880 angegeben wird. Die damaligen Ge- wichtigsten Punkte in einem Gebiet identifizierten sellschaften in Europa verbanden technische Inno- und Auskunft über ihre Geschichte gaben. vationen wie zum Beispiel die Eisenbahn mit neuen Informationsquelle: Sekundärliteratur Kapitalformen wie Aktiengesellschaften und den • Aktuelle Literatur Durchbruch von wissenschaftlich-technischem Es erscheint zunächst verwunderlich, in einem Know-how, das sich aus den Fesseln religiöser Be- weiteren Schritt aktuelle Wanderführer als Informa- schränkungen löste. Die Folge war ein immenser tionsquelle heranzuziehen. Doch erstaunlicherweise Machtzuwachs des Menschen in Bezug auf die Be- sprechen diese oftmals sehr viele Punkte an, die ihre herrschung der Natur. Gleichzeitig entwickelten Vorgänger bereits beschrieben. Das liegt daran, dass sich große Konkurrenzen um die dort vorhandenen durch die Genese des entsprechenden Wissens zu Ressourcen. Beginn des 20. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit Bei der Landschaftsgeschichte ist ein akteursori- auf diese Landschaftsmarken und Aspekte gerichtet entierter Ansatz zu empfehlen. Denn viele Konflikte wurden und sich in der Folge weiteres Wissen um sie um Landschaften beruhen auf dem Aufeinandertref- konzentrierte. Der Vorteil eines aktuellen Wander- fen von Perspektiven, die sich historisch verfestigt führers besteht darin, dass er oft den Stand des Wis- haben. Deshalb ist es sinnvoll, über eine geschichts- sens zu diesen Punkten andeutet, wenn er ihn auch wissenschaftliche Analyse die wichtigsten Akteure nicht zusammenfasst. Hilfreiche Literatur wird dabei zu identifizieren, die die Landschaft prägten, ihre ebenfalls oft angegeben. Hauptintentionen und die Veränderungen, die sie Informationsquelle: Sekundärliteratur konkret herbeiführten. • Historische Karten Der Zugang zur Erstellung einer solchen Analyse Sind die wichtigen Punkte in einer Landschaft erfolgt über die Archivbestände der wichtigen Land- und die Akteure identifiziert, ist es sinnvoll, histori- nutzer wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Militär sches Kartenmaterial heranzuziehen. Ausgangs- usw., aber vor allem auch über den Naturschutz, der punkt ist insbesondere in den preußischen Gebieten seit Beginn seiner Entwicklung die Landschaft per se die preußische Landesaufnahme, die am Ende des als sein Wirkungsgebiet sah. 19. Jahrhunderts und in der Folge sehr detailliert ei- Dabei werden historische Quellen nach ge- nen großen Teil des Deutschen Reiches kartierte. Die schichtswissenschaftlichen Methoden zunächst re- entsprechenden Karten sind oft bereits digital im In- 15
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) Akteure von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Flurbereinigung, Wasserwirtschaft und die, in de- ren Interesse die Verkehrsinfra- struktur anlegt wurde (Straßen- bau, Eisenbahnbau). Hier müssen oft Archivquellen aufgesucht werden. Dabei emp- fiehlt es sich, die Recherche auf der untersten Ebene zu beginnen. Das sind oft ein Heimatarchiv, das ehrenamtlich geführt wird, oder das Stadtarchiv. Werden hier keine Quellen gefunden, so sind Univer- sitätsarchive, Landesarchive oder das Bundesarchiv nützlich. Der Schlüssel bei der Suche nach entsprechenden Quellen ist die „Zuständigkeit“. Kann man klären, wer für eine bestimmte Nutzung der Landschaft zustän- Abb. 3: Militärisches Ausgreifen in der Wahner Heide. Historische Karte, bearbeitet dig war (die Forstverwaltung für von J. Balaklav / http://www.whiteblackdesign.de/ die Forstwirtschaft, die Landwirt- ternet in hoher Auflösung verfügbar. Andere Lan- schaftsverwaltung für die Bauern, desteile des Deutschen Reiches wurden ebenfalls die Landeskultur für die Flurbereinigung usw.), fin- von den entsprechenden Verwaltungen erfasst. det man in den Archiven relativ schnell die entspre- Da ab etwa 1940 die Luftfotografie üblich wurde, chenden Bestände. Diese geben wiederum Aus- kann ab dieser Zeit bis 1990 die topographische kunft über die Geschichte der Fläche, und aus ih- Darstellung sehr genau nachvollzogen werden. Da- nen kann die spezifische Geschichte des Gebietes nach spielen Satellitenaufnahmen eine noch be- gut rekonstruiert werden. deutsamere Rolle. Die Verortung entsprechenden Wissens aus der Ein Beispiel: Die Achte Artilleriebrigade der bisherigen Literaturrecherche ergibt bereits jetzt ein Stadt Köln übernahm bis 1873 selbst die Ver- sehr plastisches Bild von der Landschaft in den ent- waltung ihrer Liegenschaften in der Wahner sprechenden Zeiträumen. Heide, dann wurde zu diesem Zweck eine Informationsquellen: Sekundärliteratur, Archivquellen, „Schießplatzverwaltungskommission“ gegrün- Internet det, die wiederum vom Stabsoffizier der Feldar- • Quellen zur Landnutzung tillerie im Range eines Regimentskommandeurs In der weiteren Annäherung spielen die Akteure geführt wurde. der Disziplinen oft eine bedeutsame Rolle; so die 16
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen schen, die historische Ereignisse selbst erlebt ha- 1894 erfolgte die Umwandlung der Kommis- ben. Die Teilnehmenden geben ihre ganz persönli- sion in eine Schießplatzverwaltung, 1901 in chen Erinnerungen wieder. Es wird dem Intervie- eine Kommandantur. Oberaufsicht hatte die wer ermöglicht, durch einen vorbereiteten Frage- General-Inspektion der Artillerie bzw. die Gene- bogen, der als Leitfaden dienen soll, die erlebten ral-Inspektion der Fußartillerie, nachdem die Erfahrungen des Interviewpartners abzufragen General-Inspektion der Artillerie aufgeteilt wor- und auch persönliche Erinnerungen und Erlebnisse den war in General-Inspektion der Fußartillerie aufzugreifen. und Inspektion der Feldartillerie. Ein Vorteil der „Oral History“ besteht auch darin, dass Persönlichkeiten, die sich über Jahrzehnte mit Findet man zum Beispiel die Quellen der oben ge- einem Gebiet beschäftigt haben, oftmals auch über nannten Kommandantur von 1901, so hat man die wichtige historische Dokumente verfügen. Übersicht über die Aktivitäten des Militärs in der Zu weiterführenden Informationen zur Methode Wahner Heide – eine der prägendsten Kräfte in die- Oral History siehe der Beitrag von A. Leh in diesem sem Gebiet. Band. Die Archivrecherche und die Auswertung ent- Bei der Methode der Gruppengespräche mit sprechender Dokumente ist nach wie vor der wich- mehreren Zeitzeugen werden ExpertInnen zu einem tigste Schritt zu einer präzisen und verlässlichen his- aktiven Austausch eingeladen. Die ExpertInnengrup- torischen Darstellung der Landschaft. pe sollte sich aus Geistes- und Naturwissenschaftle- Informationsquellen: Sekundärliteratur, Archivquellen, rInnen, aus Ehrenamtlichen, die sich mit der Ge- Internet schichte ihrer Heimatregion beschäftigen (insbeson- dere Heimat- und Geschichtsvereine), und auch aus Zeitzeugenbefragung lokalen Stakeholdern aus Forst- und Landwirtschaft, Es existieren weitere Methoden des geschichts- auch Gemeinderäten, BürgermeisterInnen, usw. zu- wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, die für eine sammensetzen. Das Gruppengespräch mit mehre- Landschaftsgeschichte gut eingesetzt werden ren ZeitzeugInnen ist nur dann empfehlenswert, können. wenn es nicht zu viele aktuelle Konflikte in der Land- Die Methode der Zeitzeugenbefragung beruht schaft gibt. Sonst sind Einzelgespräche im Sinne der auf dem Aufzeichnen von Gesprächen mit Men- „Oral History“ vorzuziehen. 17
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) 4. Sechs Schritte der Erfassung und onen über die historischen Ökosystemleistungen zu Bewertung historischer Ökosystem- erhalten. Die Schritte bauen aufeinander auf. leitungen Der Leitfaden beschreibt in sechs Schritten die Erfas- Beispiel für die Anwendung der sechs Schritte sung und Bewertung historischer Ökosystemleistun- • Anwendungsbeispiel zu Schritt 1: Konkretisierung gen in Anlehnung an den „Sechs-Schritte-Ansatz“ und Einigung auf Anliegen mit den Interessens- der TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and gruppen (Stakeholdern) Biodiversity). Der „Sechs-Schritte-Ansatz“ ist beson- Wie werden Akteure/Personen oder Personen- ders geeignet, da die Interessen aller betroffenen gruppen identifiziert, die Ökosystemleistungen in Gruppen berücksichtigt werden. der Vergangenheit benutzten? Die historische Re- Jedem Schritt sind ein Ziel und konkrete Fragestel- cherche in der Literatur zeigt schnell, welche Akteu- lungen zugeordnet. Im Leitfaden wird jeder Schritt re einen bestimmten Raum genutzt haben. So stößt ausführlich beschrieben. Es werden Methoden und man in der Wahner Heide z. B. unabdingbar auf das Ansätze und deren Vorgehensweisen in der Praxis preußische Militär und seinen Anspruch, diesen Be- vorgestellt, um qualitative und quantitative Informati- reich für sich zu reklamieren. Tabelle 2: Sechs-Schritte-Ansatz zur gemeinsamen Erfassung und Bewertung von Ökosystemen in Anlehnung an die TEEB-Studie. SCHRITT VORGEHEN FRAGESTELLUNGEN 1 Konkretisierung und Einigung Wie werden Akteure/Personen/ Personengruppen identifiziert, die in auf Anliegen mit den der Vergangenheit Ökosystemleistungen einer Landschaft genutzt Interessensgruppen haben? Gibt es noch Zeitzeugen oder Zeitzeuginnen? Welche Akteure (Stakeholdern) und Akteurinnen waren damals und sind heute bei der Prägung der Räume beteiligt? 2 Identifizierung der wichtigsten Welche konkreten Leistungen wurden in der Vergangenheit genutzt, Ökosystemleistungen und wie hoch war der Bedarf? 3 Festlegung von Frage- In welcher Form sollen die Ökosystemleistungen bewertet oder stellungen und Auswahl quantifiziert werden? In welchen Zeiträumen fanden Veränderungen passender Methoden hinsichtlich der Nutzung von Ökosystemleistungen statt? 4 Erfassung der Ökosystem- Wie haben sich Bereitstellung und Nutzung der Ökosystemleistungen leistungen in der Vergangenheit verändert? Welche Entwicklungen der Kulturgüter sind an die Nutzung von Ökosystemleistungen gekoppelt? Welche kulturellen Praktiken sind/ waren mit diesen Leistungen verknüpft und sind notwendig, um den derzeitigen ökologischen Zustand zu erhalten? 5 Einordnung von Entwicklungs- Was lässt sich aus der Erkenntnis über die Nutzung von Ökosystem- optionen leistungen der Vergangenheit für die potentielle Nachfrage/Nutzung/ Management von Ökosystemleistungen ableiten? 6 Erfassung der Auswirkungen Welche Konflikte ergeben sich möglicherweise aus den unterschied- von Veränderungen in der lichen Nutzungsansprüchen? Wie lässt sich Akzeptanz für eine Bereitstellung von Ökosystem- Nutzung erwirken? leistungen auf Stakeholder 18
Leitfaden zur Erfassung und Bewertung historischer Ökosystemleistungen auf Naturerbeflächen Es erwarb dort im Jahre 1818 Gelände von der Gemeinde Wahn und den Geschwistern Heeremann, den Vorgängern des Freiherrn von Elz auf Burg Wahn. Es handelte sich um etwa 400 Morgen des Dorfes Wahn (Karte Militärische Ausgrei- fen in der Wahner Heide). Zweck war die Möglichkeit, eine Artillerie-Brigade einsetzen zu kön- nen, deren Schussrichtung von Nordwesten nach Südosten (siehe Karte Abb. 4) ausgerichtet wurde. Man schoss in „Unland“: Eine Dar- stellung von 1927 vermerkte: „Die Bodenbeschaffenheit war minder- wertiges Heideland mit sumpfigen Stellen und ebensolcher Umge- bung.“1 Dahinter wurde ein „Kugelfang“ benötigt: „Jenseits der Zielstellung, für deren Anlage das Gelände nord- westlich des sogenannten Wege- kreuzes in Betracht kam, musste Abb. 4: Reichsamt für Landesaufnahme (Hrsg.): Zielskizze Truppenübungsplatz sich noch ein 1500 Schritt langes Wahn. Berlin 1939 Gelände befinden, das frei von Bau- lichkeiten und Landstraßen war. Dieses Gelände dien- gehörenden Gelände, zwischen Grenze und Maus- te zum Auslaufen der Geschosse und Sprengstücke pfad aufgestellt werden.“2 und wurde an den Schießtagen durch Sicherheitspos- Die Nutzung der Wahner Heide erfolgte zunächst ten abgesperrt.“ „Auch der Geschützpark, das soge- nur unregelmäßig. Wenn möglich wurden die Solda- nannte Felddepot, die Munitionshütten usw., muss- ten in Zelten mit Stroh untergebracht, die regelmä- ten außerhalb des Schießplatzes auf dem an der ßig nach den Übungen abgebrochen wurden. Auch Westseite desselben gelegenen, der Gemeinde Wahn die umgebenden Dörfer Wahn, Lind, Zündorf, Ur- bach und Spich wurden übergangsweise für die Be- reitstellung von Unterkünften herangezogen. 1 Pleswig, E. (1927): Geschichte des Fußartillerie-Schieß- Ab dem Deutsch-Französischen Krieg in den platzes Wahn und seine Entwicklung. In: K. Rademacher Jahren 1870/71 beanspruchte das Militär die Wah- (Hrsg.): Die Heideterrasse zwischen Rheinebene, Acher und Sülz. Wahner Heide. Leipzig. S. 61 2 Ebenda 19
Naturerbe erleben – Leitfaden (2018) ner Heide nicht mehr nur saisonal, sondern durch- • Anwendungsbeispiel zu Schritt 4: Erfassung gehend. der Ökosystemdienstleistungen Die Nutzung der Ökosystemdienstleistungen und • Anwendungsbeispiel zu Schritt 2: Identifizierung ihre Bewertung durch den Menschen verändern sich der wichtigsten Ökosystemdienstleistungen über die Jahrhunderte, da die Nutzungsansprüche Die Analyse der Landesnatur zeigt schnell, welche der Gesellschaft wechseln. Ein gutes Beispiel sind Ökosystemdienstleistungen ein Element in der Land- Natur- und Umweltschutz. So wurde z. B. der Stegs- schaft erbringt. So war die Hohe Schrecke als bewal- kopf in den 1930er Jahren Stück für Stück in die detes Kammgebirge vor allem ein Holz- und Wasser- militärische Nutzung einbezogen. Von Natur- und lieferant. Dabei sind die Arten des Waldbaus aller- Umweltschutz war dabei keine Rede. Heute wird dings ausschlaggebend, also die Frage, wie der Wald das gleiche Gelände als ein Bereich mit seltenen Tier- vom Menschen genutzt wurde. In der Hohen Schre- und Pflanzenarten geschätzt, und die Rücksicht auf cke herrschte bis etwa 1850 vor allem ein Nieder- ihre Lebensräume ist ein unhintergehbarer An- und Mittelwald vor. D. h. die Menschen der Region spruch, ohne den die Zukunft des Gebietes nicht ließen den Wald nicht recht hoch wachsen, sondern mehr denkbar erscheint. „ernteten“ die Bäume bereits nach 10 bis 15 Jahren. Sie nutzten ihn vor allem für Brennholz und für ihre • Anwendungsbeispiel zu Schritt 5: Einordnung Tiere, die sie hineintrieben, damit diese sich dort Fut- von Entwicklungsoptionen ter suchten: überwiegend die frischen Triebe. Dieser Der Blick in die Vergangenheit kann in Bezug auf „niedere Wald“ hatte natürlich eine deutlich gerin- die Ökosystemdienstleistungen einer Region sehr gere Holzausbeutung als ein Hochwald, und die lehrreich sein. Denn die Niederwaldwirtschaft in der Wasserspeicherfähigkeit war auch nicht sehr groß. Hohen Schrecke war definitiv eine Form der Nut- Erst die preußische Forstverwaltung entwickelte vor zung von Natur, die ökologisch sehr negativ war. Um Ort einen Hochwald, in dem die Buchen bis zu 150 1850 waren die Wälder dort in einem sehr schlech- Jahre alt werden konnten. Andere Waldbesitzer in ten Zustand. Der Aufbau eines Hochwaldes war da- der Hohen Schrecke übernahmen dieses Konzept. gegen sehr positiv, allerdings verdrängte er auch viele Tier- und Pflanzenarten, die eben von der Nie- • Anwendungsbeispiel zu Schritt 3: In welcher derwaldwirtschaft abhingen. Heute wissen wir, dass Form sollen die Ökosystemdienstleistungen be- wir diese nur dann erhalten können, wenn wir wie- wertet oder quantifiziert werden? der Niederwaldwirtschaft betreiben. Nur darf man Einige Ökosystemdienstleistungen lassen sich das nicht auf großen Flächen umsetzen. Das hat das durchaus gut quantifizieren, wenn entsprechende Beispiel der Hohen Schrecke gezeigt. Daten zur Verfügung stehen. Das betrifft besonders die Basisleistungen wie die Wasserspeicherfähigkeit • Anwendungsbeispiel zu Schritt 6: Erfassung eines Gebirges. Bei anderen, insbesondere immateri- der Auswirkungen von Veränderungen in der ellen Leistungen, ist das schwieriger bis unmöglich. Bereitstellung historischer Ökosystemdienst- Aber in diesem Fall können oft Brücken gebaut wer- leistungen für Interessensgruppen den. So kann man die Bevölkerung einer Region fra- Ökosystemdienstleistungen stellen etwas bereit, gen, wie viel Geld sie z. B. für die Erhaltung eines was viele Menschen benötigen: Wasser, Luft, Erho- Erholungsraumes zu bezahlen bereit ist. lung usw. Sie sind deshalb ein gutes Werkzeug, um 20
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