Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna

 
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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Natur report            Nr. 21 • 2017

                                Ohne Pflanzen
                                kein Leben
                                Bedeutung der Flora
                                für den Menschen

Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V.
Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Natur report
Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft
für den Kreis Unna e. V.

Ausgabe 21 • 2017
Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V.
Ausgabe 21 • 2017
Erscheinungstermin: April 2017

Herausgeber: Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V.
Westenhellweg 110, 59192 Bergkamen
Vorsitzender: Norbert Enters

Redaktion und Realisierung:
Horschler Kommunikation GmbH, Unna

Zitiervorschlag: Naturreport 2017, Jb. Naturförderungsges. Kreis Unna

Druck: Druckerei Schmidt, Lünen

Titelfotos: Bernhard Glüer, Biologische Station Kreis Unna l Dortmund, Uta Schulte, iStock/jure
Bettina Sentner/ygreg/Philary/Dhoxax

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Fotos und Abbildungen in den Beiträgen von den
Autoren. Die in den Aufsätzen vertretenen Meinungen müssen nicht unbedingt der Meinung
der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. oder der Redaktion entsprechen. Die
Autorinnen und Autoren sind für den Inhalt ihrer Aufsätze selbst verantwortlich.
Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Inhalt

Inhalt..........................................................................................................................................5
Vorwort......................................................................................................................................7

Ohne Pflanzen kein Leben
Mensch und Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis, Götz Heinrich Loos...................................9
Saatgut ist Kultur- und Gemeingut, Ophelia Nick und Gregor Kaiser........................................17
Die Diskussion um „Tank oder Teller“, Heinz-Wilhelm Büscher.................................................21
Weg vom Wirtschaftsgut, hin zum Kulturgut, Marie Marschoun.............................................25
Grünland im Fokus des Naturschutzes, Anke Bienengräber, Kerstin Conrad,
Stefan Kauwling und Falko Prünte............................................................................................29
Die heimischen Urwälder von morgen, Uta Schulte..................................................................36
„Straßen ohne Bäume haben kein Gesicht“, Andreas Roloff....................................................41
Bäume im Kreis Unna, Birgit Manz...........................................................................................50
Der Baum – ein faszinierendes Wesen, Ralf Sänger..................................................................53
Efeu: viel mehr als eine Schattenpflanze, Bernhard Glüer.........................................................57
„Wiesen und Matten ... Apotheken der Natur“, Klaus Coen.....................................................60
Die Hausgärten in den Bergarbeiterkolonien, Karl-Heinz Stoltefuß...........................................64
Zimmerpflanzen als Schadstofffilter, Antje Weber-Drücke........................................................67
Pflanzen in der Bibel, Heinrich Behrens.....................................................................................70
Vom Paradiesgärtlein zum Pollenteppich, Heike Behrens..........................................................76

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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Inhalt

Flora & Fauna
Eine Erfolgsgeschichte dank Ehrenamt, Bernd Margenburg......................................................81
Toleranz und Respekt gegenüber Fremden, Heinrich Behrens...................................................84

Personen
Ausgezeichneter Naturschutz, Corinna Glück...........................................................................85
Deutliche Spuren hinterlassen, Rolf Böttger und Birgit Manz....................................................89

Aktionen & Projekte
Freude über die neue Zusammenarbeit, Klaus Klinger..............................................................90
Nachlass-Sicherung für Naturschützer, Wilfrid Loos.................................................................92

Anhang
Natur des Jahres 2017 auf einen Blick.......................................................................................93
Autorenverzeichnis...................................................................................................................94

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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Vorwort

n Die Bedeutung der Pflanzenwelt für den Menschen

Unser Grün ist unsere Lebensgrundlage

Liebe Leserin,                                                                            Schluss, dass Energiepflanzen nur eine
lieber Leser,                                                                             Übergangslösung bis zur Erfindung uner-
                                                                                          schöpflicher Energiequellen sein können.
die Natur, die uns umgibt, scheint                                                        Im Anschluss greift Marie Marschoun
uns nur allzu selbstverständlich. Wir                                                     biologisch-dynamische Aspekte bei der
nehmen sie allzu selten als das wahr,                                                     Nahrungsmittelerzeugung auf. Wie sich
was sie ist: wertvoll und schützens-                                                      Landwirtschaft und Viehhaltung auf das
wert. Pflanzen liefern Sauerstoff                                                         Grünland ausgewirkt haben und weiter-
zum Atmen, reinigen die Luft von                                                          hin auswirken werden, erläutern Anke
Schadstoffen, sind Nahrungsquelle,                                                        Bienengräber, Kerstin Conrad, Stefan
liefern Wirkstoffe für Medikamente                                                        Kauwling und Falko Prünte kenntnisreich
und erfreuen die Seele. Das Grün um           Norbert Enters ist Vorsitzender der         in ihrem Aufsatz „Grünland im Fokus des
uns wirkt sich also in vielerlei Hinsicht     Naturförderungsgesellschaft für den         Naturschutzes“. Dabei legen die Autoren
positiv auf unser Dasein aus. Grund           Kreis Unna e.V.                             ihr Augenmerk auf den Kreis Unna.
genug, der Flora diese Ausgabe des                                                        Perspektivisch betrachtet, bedarf es
Naturreports zu widmen.                       sich beide vor allem innerhalb der letz-    größerer Anstrengungen als bislang, um
                                              ten Jahrhunderte bis heute gemeinsam        die Vielfalt der Grünlandvegetation und
Zu Beginn des Bandes macht Götz Hein-         entwickelt und beeinflusst haben, ist in    somit auch bereits gefährdete Arten zu
rich Loos in seinem Beitrag „Mensch und       diesem Aufsatz zu lesen.                    erhalten.
Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis“
deutlich, dass wir ohne Pflanzen nicht        n  Vielfältige Nutzung                      n  Der Baum im Fokus
lebensfähig wären. In Indien fand man         Mit der Pflanze als Saatgut für die Land-   Wie unsere heimischen Urwälder von
gerade das älteste je entdeckte Pflanzen-     wirtschaft beschäftigen sich Ophelia Nick   morgen aussehen könnten, erläutert Uta
fossil: eine versteinerte Rotalge, die etwa   und Gregor Kaiser. Und Heinz-Wilhelm        Schulte in ihrem Artikel. Am Beispiel der
1,6 Milliarden Jahre alt ist. Der Mensch      Büscher widmet sich in seinen Ausfüh-       beiden Naturwaldzellen im Kreisgebiet
ist dagegen ein Newcomer auf unserem          rungen dem Anbau von Pflanzen als           beschreibt die Oberforsträtin wie sich
Globus. Sein erster fossiler Beleg ist ge-    nachwachsende Rohstoffe sowie dem           Pflanzen und Tiere entwickeln würden,
rade mal rund 200.000 Jahre alt. Wie          Ackerbau am Hellweg. Er kommt zu dem        wenn der Mensch nicht eingreift.

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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Vorwort

Die Ausführungen von Andreas Roloff          Aspekten aus christlicher und kunst-
beschreiben anschaulich die positiven        historischer Sicht. Der zweite Teil des
Wirkungen von Stadtbäumen. Seine             Bandes bietet wieder die gewohnten
Zeilen machen deutlich, dass sie im          Rubriken.
Zuge der weiter fortschreitenden Urba-
nisierung weitaus größere Beachtung          n  Dank für Engagement
verdienen – aus psychologischer, ge-         Für ihr unermüdliches Engagement
sundheitlicher, aber auch sozialer Sicht.    für den Natur- und Umweltschutz
Weil Stadtbäume nur etwa halb so alt         erhielten Irmgard Devrient, Reinhard
werden, wie ihre Verwandten auf dem          Wohlgemuth und Dieter Ackermann
Land, sieht der Autor hier erheblichen       das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Handlungsbedarf. Birgit Manz richtet         Wir gratulieren! Die Bedeutung für
den Fokus auf die Bäume im Kreis Unna.       den Natur- und Umweltschutz sowie
Ein umfassendes Thema, säumen doch           über Möglichkeiten der Sicherung der
rund 14.000 Bäume die 217 Kilometer          durch die Geehrten erhobenen Daten
Kreisstraßen der Region. Bäume sind          und Bilder beschreibt Wilfrid Loos in
auch das Thema von Ralf Sänger – al-         seinem Text.
lerdings wählt er eine ganz persönliche      Ich möchte nicht versäumen allen zu
Perspektive. Während sich Bernhard           danken, die mit Wort, Bild oder ande-
Glüer in seinem Aufsatz dem Efeu in          rer Unterstützung zum Gelingen dieses
vielfacher Hinsicht verschreibt.             Naturreports beigetragen haben. Die
Einen Blick auf die Pflanzen als Heil- und   Beiträge sind wie immer reich an interes-
Gewürzpflanzen wirft Klaus Coen. Ihre        santen Aspekten und Autorenansichten,
Wirkung hat bei allem pharmazeu-             die Anreiz für weitere und tiefere Aus-
tischen Fortschritt auch heute noch ihre     einandersetzungen sein können und
Bedeutung. 80 von ihnen kann man im          auch sollen. Vor allem aber können sie
Kurpark in Unna, auf einer Fläche von        zum Nachdenken anregen.
350 Quadratmetern kennenlernen.              In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine
Vom Kurpark in die Hausgärten der            beflügelnde Lektüre
Bergarbeiter des vergangenen Jahrhun-
derts: Karl-Heinz Stoltefuß klärt über       Ihr
deren Bedeutung und ihre Besitzer auf.       Norbert Enters
Da s Schwerpunk t thema P flanzen            Vorsitzender der Naturförderungsgesell-
schließt mit zwei außergewöhnlichen          schaft für den Kreis Unna

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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Ohne Pflanzen kein Leben

                 n Bedeutung von Flora und Vegetation für das menschliche (Über-)Leben

                 Mensch und Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis
iStock/wingmar

                 Ohne Pflanzen wäre kein Menschenleben möglich.

                 von Götz Heinrich Loos                   VHS-Abendschülerinnen etwas ge-               rich Heines „Harzreise“ fest. Allerdings
                                                          nervt, als im Unterricht die Anpassungen      hatte Heine den Mann vorher mit wenig
                 Der Mensch ist vom Pflanzenleben         von Salzpflanzen an das Ökosystem             schmeichelhaften Worten charakterisiert,
                 direkt und indirekt abhängig. Ohne       Nordseeküste/Wattenmeer besprochen            die in der Äußerung „er sah aus, als habe
                 Pflanzen wäre keine Atmung und keine     wurden. Einer ihrer Mitschüler kam mir        er die Viehseuche erfunden“ gipfelten.
                 Ernährung möglich und damit wären        zuvor: „Pflanzen sind doch für alles          Für den Dichter Heine mit seinen roman-
                 die grundlegenden Vorgänge im Stoff-     wichtig.“ Besser auf den Punkt bringen        tischen Wurzeln, war die Natur, mithin die
                 wechsel unseres Körpers nicht vorhan-    hätte ich es auch nicht können.               Pflanzen, das Wesen seiner poetischen
                 den – somit wir nicht lebensfähig.          Und trotzdem gibt es Skepsis: Ist eine     Seele, nicht nützlich und zweckmäßig.
                                                          solche Behauptung nicht etwas kühn            Bei aller Schönheit vor allem blühender
                 „Können wir nicht etwas über den Men-    oder sogar vermessen? „Die Bäume sind         Pflanzen, die uns nach wie vor erheblich
                 schen machen? Was interessieren mich     grün, weil grün gut für die Augen ist“,       anspricht, ist aber die Nützlichkeit und
                 Pflanzen?“ fragte unlängst eine meiner   stellte ein Begleiter des Dichters in Hein-   Zweckmäßigkeit der Pflanzenwelt (Flora)

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Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
Ohne Pflanzen kein Leben

und der Pflanzendecke (Vegetation) doch                                                               geringe Rolle. Erst nachdem im Zuge der
in der Tat entscheidender. Pflanzen be-                                                               Evolution die Landpflanzen auftraten,
gegnen uns immer und überall, ob offen                                                                nahm der Sauerstoff in der Atmosphäre
oder versteckt, in jeder Lebenssekunde,                                                               zu. Generell wird davon ausgegangen,
was unsere körperlichen Funktionen                                                                    dass vor 750 bis 500 Millionen Jahren
anbetrifft.                                                                                           ein namhafter, vor 600 bis 500 Millionen
                                                                                                      Jahren ein deutlich sprunghafter Anstieg
n  Allgegenwärtig: Pflanzen                                                                           des Sauerstoffs zu konstatieren war.
Aber wie kam es dazu? In diesen Tagen                                                                 Die heutige Sauerstoffmenge soll in der
wird über das älteste Pflanzenfossil                                                                  Kreidezeit erreicht worden sein2. Wann
berichtet, das jemals entdeckt werden                                                                 sie für den Menschen theoretisch reichte,
konnte: In Indien fand man eine ver-                                                                  ist kaum zu sagen; er erschien erheblich
steinerte Rotalge, die etwa 1,6 Milliarden                                                            später. Aber für die kleinen Säuger, die
Jahre alt ist (vgl. Bengtson & al. 2017).                                                             zum Teil Vorfahren des Menschen waren,
Während die Rotalgen bereits „echte“                                                                  konnte die Atmosphäre der Kreidezeit
Pflanzen sind, deren Erbsubstanz (DNA)                                                                ausreichend sein – immerhin überlebten
                                             iStock/niki

in den Zellen jeweils in einem Zellkern                                                               sie ja auch (teilweise!?) das Massenaus-
eingeschlossen ist, waren die Vorgän-                                                                 sterben am Ende des erdgeschichtlichen
ger Bakterien, die fälschlicherweise                       Der Mensch war Jäger und Sammler.          Abschnittes, dem die Dinosaurier (wei-
Blaualgen genannt werden – richtig:                                                                   testgehend) zum Opfer fielen.
Cyanobakterien. Ihnen fehlt ein Zellkern,                  sondern als Produzenten des Zuckers in
aber sie besitzen Pigmente, insbeson-                      ihrem Körper, ihrer Zelle, festgehalten.   n  Die Menschheit
dere Blattgrün (Chlorophyll). Dieses                       Damit entstand – wenn auch gezwun-         Als der Mensch auf den Plan trat, war
Blattgrün ist der Ort der Fotosynthese:                    genermaßen – eine Lebensgemeinschaft       er zunächst Wildbeuter (Jäger) und
Kohlendioxid und Wasser werden bei                         (Symbiose) auf Gegenseitigkeit: Die        Sammler. Neben der Notwendigkeit
Licht zu Traubenzucker (Glucose) und                       Blaualgen waren eingebettet und so vor     einer hinreichenden Sauerstoffmenge
Sauerstoff umgewandelt.1 Während die                       der „Außenwelt“ geschützt, dafür be-       in der Luft spielte von Anfang an die
Blaualgen den Traubenzucker als eigene                     kam der Einzeller energiereichen Zucker.   Suche nach Nahrung eine Rolle. Es gab
„Nahrung“ nutzen, geht der Sauerstoff                      Langfristig haben sich daraus die ersten   unter unseren Vorfahren vorwiegende,
zum größten Teil in die Atmosphäre.                        grünen Pflanzen entwickelt; irgendwann     wenn nicht reine Vegetarier wie Aus-
Genau dieser Prozess hat sich bei den                      blieben von der Blaualge nur grüne         tralopithecus-Arten, deren mächtige
grünen Pflanzen erhalten. Vermutlich                       Chlorophyllkörperchen, die Chloroplas-     Unterkiefer und Mahlzähne klar auf
haben Einzeller mit Zellkern Cyanobak-                     ten, übrig. Der Gehalt von Sauerstoff in   eine Ernährung aus Pflanzen hindeu-
terien geschluckt, aber nicht verdaut,                     der Atmosphäre spielte aber noch eine      ten. Aber auch die späteren Arten als

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Ohne Pflanzen kein Leben

Gemischtköstler und vielleicht auch
vorherrschend Fleischverwerter, ein-
schließlich unserer Homo sapiens- und
Neanderthaler-Vorfahren, „sammel-
ten“ Pflanzen beziehungsweise Teile da-
von: Früchte, Wurzeln, Erdsprossen und
Blätter. Bei den Früchten spielten schon
heute noch verwendete Arten eine
Rolle, beispielsweise Haselnüsse (vgl.
u.a. Holst 2010). Zumindest handelte
es sich bei dem gejagten Wild wohl zum
größten Teil um Pflanzenfresser. Holz
war bereits damals ein wichtiger Roh-
stoff, um Feuer zu machen, auf dem das
                                            iStock/DieterMeyrii

Fleisch der erbeuteten Tiere zubereitet
werden konnte, das Wärme spendete
und vor angriffslustigen Raubtieren
schützte. Zudem war es Material aus
dem Gebrauchsgegenstände aller Arti                               Soden kommen in Moorlandschaften vor.
hergestellt wurde. Das blieb es auch
lange, denn seine größere Flexibilität                            n  Jungsteinzeit bis heute                   den – entwickelt, oder sie ergaben sich
als Stein machte es universell einsetz-                           Die Jungsteinzeit war der Zeitraum, in       zumindest langfristig durch Weidewirt-
bar – bis Kunststoffe erzeugt werden                              dem sich in Mitteleuropa die Landwirt-       schaft und Heuernte. Die Wohnstätten
konnten. Mehr noch, es wurden of-                                 schaft ihren Weg bahnte, aus dem Na-         wurden fast durchgehend bis ins 19.
fensichtlich bereits Heilkräuter bewusst                          hen Osten kommend; zwischen 6.000            Jahrhundert meist aus Holz gebaut. In
angewendet, wie Untersuchungen an                                 und 5.000 v. Chr. lässt sich die Ausbrei-    Moorgegenden benutzte der Mensch
Neanderthaler-Zähnen (Hardy & al.                                 tung der jungsteinzeitlichen Kultur bis zu   teilweise Soden, die mit Gräsern und
2012) und auch am bekannten Mann                                  den Bandkeramikern in unsere Gebiete         Kräutern bewachsen waren. Während
vom Tisenjoch, dem „Ötzi“ (Spindler                               nachvollziehen (vgl. u.a. Hamel 2007,        die Nichtsesshaften das vorhandene
1993) belegen konnten. Zu „Ötzis“                                 Stapel & Pollmann 2013). Nun wurden          Angebot nutzen mussten – ihr Einfluss
Zeiten (vor 3.000 v. Chr.) war allerdings                         Pflanzen gezielt angebaut (Acker- und        auf die Vegetation und Flora dürfte
schon der Schritt vom Jäger und Samm-                             Gartenkulturen), Wälder gerodet und so       vergleichsweise gering gewesen sein –,
ler hin zum Ackerbauer und Viehzüchter                            die Vegetation nachhaltig verändert. Es      wurden nunmehr gezielt Nutzpflanzen
in unserer Region vollzogen.                                      wurden Grünländer – Wiesen und Wei-          angebaut, vielleicht auch in Wäldern

                                                                                                                                                   11
Ohne Pflanzen kein Leben

gefördert (z. B. Haselnusssträucher).                                                                      Aspekte der Voraussetzungen für den
Mit den Nutzpflanzen kamen Getreide                                                                        menschlichen Stoffwechsel: Sauerstoff
und andere Anbaugewächse zu uns,                                                                           und Traubenzucker aus der Fotosyn-
wie auch Färbe- und Faserpflanzen.                                                                         these für Atmung und Ernährung.
Sie wurden durch Selektionszüchtung                                                                        Zudem haben Pflanzen im Laufe der
zu immer günstigeren Erträgen hin                                                                          Geschichte vielfältige Verwendungen
verändert. Vor allem wechselte sich die                                                                    erfahren, um unser Leben einfacher,
Landschaft grundlegend und mit ihr die                                                                     bequemer und schöner zu gestalten:
spontane Flora und Vegetation. Diese                                                                       Seien es die Kräuter, die unsere Speisen
„ursprüngliche“ Landwirtschaft, von                                                                        verfeinern, die Blumen, die unsere Äs-
der sich trotz verbesserter Techniken                                                                      thetik ansprechen, die Weidenzweige,
in Anbau und Unterdrückung von „Un-                                                                        um daraus Körbe herzustellen, Baum-
kräutern“ vieles bis ins 20. Jahrhundert                                                                   wolle und andere Pflanzenstoffe zur
erhalten hat, förderte die Pflanzenar-                                                                     Herstellung von Kleidung, nach wie
                                            iStock/andrearenata

tenvielfalt, da sie eine Diversifizierung                                                                  vor Pflanzen, die heilwirksame Stoffe5
der Lebensräume mit sich brachte. 3                                                                        beinhalten. Aber auch Rasenflächen für
Für die Bauern war allerdings die                                                                          Sport – was wären die Revier-Fußball-
fehlende Kontrolle über bedrängende                                                                        clubs ohne ihre lebenden Spielfelder?
Umwe lt f a k toren ( inklus ive „Un-                             Baumwolle als Textillieferant               Populäre Darstellungen über Pflan-
kräutern“) weniger günstig, teilweise                                                                      zen, angefangen bei ihrer Evolution,
sogar gefährlich, weil Missernten zum                             fel doch weit verbreitet und für die     über trickreiche und geniale Anpas-
Hungertod führen konnten (so wie                                  meisten Menschen verfügbar. Manche       sungen bis zu ihrer Verwendung und
es in manchen armen Ländern noch                                  dieser ubiquitären Arten waren aber      ihrer Bedeutung für den Menschen
heute ist). Der Anbau bestimmter                                  früher durchaus seltener und dann        existieren inzwischen recht viele.6
Pflanzen konnte reich und mächtig                                 entsprechend begehrt (siehe die vier
machen und Begehrlichkeiten wecken.                               Beispiele bei Pollan 2002). Mitunter     n  Klimawandel
Arme Länder haben durchaus bereits                                konnte es gefährlich sein, bestimmte     In Zeiten des Klimawandels kommt aber
Schwierigkeiten, an die wichtigsten                               Pflanzen(-teile) zu handeln und damit    noch als weiterer, für uns zunehmend
Ernährungsgewächse („sieben Säulen                                zu reisen – beispielsweise Muskat-       lebenswichtiger Aspekt hinzu: Pflan-
der Welternährung“, vgl. Brücher 1982,                            nüsse.4 Zivilisatorische Entwicklungen   zen können extreme Klimasituationen
ferner Thompson 2012) heranzukom-                                 brachten uns über mehrere Etappen in     abmildern, was besonders für Städte
men. Dennoch sind die Getreidearten                               die heutige Situation. Aber die Abhän-   und generell Siedlungsbereiche gilt.
und auch andere Anbaupflanzen wie                                 gigkeiten bestehen heute noch immer,     Klimaanpassung kann nur durch maß-
beispielsweise Sojabohne und Kartof-                              insbesondere die lebensnotwendigen       gebliche Unterstützung durch Pflanzen

12
Ohne Pflanzen kein Leben

gelingen. Dies ist jedoch nur eine Seite
der Medaille, denn die einseitige För-
derung bestimmter Pflanzenarten für
Klimaanpassungsmaßnahmen hilft den
Arten und Vegetationstypen wenig,
die durch die Erwärmung zurückgehen
beziehungsweise sich nachteilig verän-
dern.7 Das Ausmaß eines Aussterbens in
unmittelbarer Folge des Klimawandels
wird unterschiedlich eingeschätzt. Je
höher die Temperaturen jedoch steigen,
desto höher scheint die Zahl der Arten,
deren Vorkommen aussterben wer-
den. Vor allem sind die „biologischen
Schätze“, die endemischen Arten mit
                                           iStock/idizimage

ganz kleinen, fast punktartigen Ver-
breitungsgebieten, betroffen (vgl. die
Ergebnisse der Studienauswertungen
bei Urban 2015). Durch den Klimawan-                          Die Folgen des Klimawandels
del kann bis zum Jahre 2080 die Hälfte
der Pflanzenarten weltweit 50 Prozent                         vorgenommen wurden, beispielsweise          Böden so nachhaltig verändert hat, dass
ihrer Bestände einbüßen, wenn die                             bei den Ackerbegleitpflanzen, die als       man von einer grundsätzlichen Floren-
Schlussfolgerungen von Warren & al.                           „Unkräuter“ früher durchaus ein Pro-        verarmung sprechen muss. Biotope, die
(2013) nur annähernd zutreffen.                               blem darstellen konnten. Durch Her-         auf nährstoffarmen Böden gründen, wie
                                                              bizide und Bestandsverdichtungen der        Heiden und Moore, sind extrem selten
n   Gefahr Mensch                                             Äcker sind viele Arten heute extrem sel-    geworden – einerseits durch Verände-
Vor diesem Hintergrund ist grundsätz-                         ten geworden. Häufiger wurden die Le-       rungen der Vegetation und Flora in Folge
lich über die Gefährdung von Pflanzen                         bensräume der Arten so stark verändert,     von Nährstoffeinträgen, andererseits
durch den Menschen zu reden. Wenn                             dass sie dort verschwanden. Das beste       war man darauf aus, dieses „Ödland“
wir auch nach wie vor abhängig von den                        Beispiel ist die allgemeine Hypertrophie-   zu entwässern, den Torf zu nutzen, die
Gewächsen sind, so hat es uns nicht da-                       rung der Landschaft, also die zeitweilig    Böden zu „verbessern“ und „ordent-
ran gehindert, einen Artenrückgang zu                         ungehemmte Anwendung von Gülle und          licher“ Landwirtschaft zuzuführen – mit
bewirken. Wobei bewusste Ausrottungs-                         Mineraldüngern, die das Vegetationsbild     den entsprechenden Maßnahmen. Ob
maßnahmen nur bei wenigen Gruppen                             gerade auf den mittleren bis schweren       sich derzeit bei meist sparsamerer An-

                                                                                                                                               13
Ohne Pflanzen kein Leben

wendung von Dünger etwas verändert,           der Gewächse eine Rolle spielt, sondern                   im Einzelnen und aller Ausführlichkeit siehe
bleibt abzuwarten. Heutzutage kommt           auch Kooperationen existieren, die beim                   Ellenberg & Leuschner 2010, wo auch die
der dafür verantwortliche Stickstoff          Menschen eine ausgeprägte Pflanzen-                       menschlich bedingte Historie vieler Pflan-
hauptsächlich aus der Luft – Abgase           empathie wecken können. Zumindest                         zengesellschaften gut dargestellt ist; eine
von Autos und Kraftwerken. Weltweit           scheint dies Peter Wohlleben (2015) mit                   lesenswerte Geschichte der Landschaft in
ist inzwischen eine von fünf Pflanzen-        seinem „geheimen Leben der Bäume“                         geographisch vielheitlicher Hinsicht, die
arten vom Aussterben bedroht (vgl.            gut herüber zu bringen – wenn auch von                    auch das Verhältnis Pflanze/Mensch immer
Brummitt & al. 2012; zur Situation in         anderer Seite durchaus negativ kritisiert.                wieder reflektiert, liefert Küster 1995; zum
Deutschland siehe Emde & al. 2015).           Ein bisschen Respekt vor denen, die die                   Landnutzungswandel vgl. ferner Bork & al.
                                              Bedingungen für unser Leben geschaf-                      1998 und zu einer umweltorientierteren
n  Pflanzen im Alltag                         fen haben und von denen wir weiterhin                     Perspektive Radkau 2002.
Pflanzen spielen wieder im Alltag des         abhängig sind und sein werden, ist in                 4
                                                                                                        Hierzu siehe ausführlich Milton 2002; es gab
nachmodernen Menschen eine größere            jedem Fall angebracht.                                    sogar Piraten als „Pflanzenjäger“, vgl. Claus
Rolle, abseits des üblichen Blumen-              Nebenbei sei abschließend erwähnt:                     & Menon 1996; Weiteres zu begehrten Ge-
pflanzens und -bewunderns. Gärtnern           Ihre Allgegenwart macht auch Pflanzen                     würzen bei Küster 2003, zu pflanzenbürtigen
ist generell wieder beliebt, nicht nur        bisweilen zu Gegenständen von aben-                       Genussmitteln bei Hengartner & Merki 2001.
im eigenen Garten, sondern auch als           teuerlichen Legenden, „Räuberpistolen“                5
                                                                                                        Man denke an Präparate wie Aspirin, bei
Urban Gardening zum Beispiel in Form          und Verschwörungstheorien. Zur Belu-                      dessen ursprünglicher Herstellung ebenfalls
von Gemeinschaftsgärten. Der eigene           stigung sei als Beispiel ein Bericht über                 Weiden, aber auch das Mädesüß eine Rolle
Anbau von Gemüse und Obst ist wieder          einen angeblich menschenfressenden                        spielten.
„in“, fast sogar stärker als in der letzten   Baum auf Madagaskar erwähnt, der bei                  6
                                                                                                        u.a. Brosse 2002, Pelt & al. 2002, Arzt 2011,
„Trendwelle“ in den 1980er-Jahren.            Probst (1992: 200 f.) wiedergegeben                       dazu Populäres zum Sex der Pflanzen bei
Der allzeit bereite Mensch benötigt           und absolut lesenswert ist.                               Bristow 1994, Fieses aus der Pflanzenwelt bei
„Superfood“ und konsumiert doch                                                                         Stewart 2011, rekordverdächtige Gewächse
meist nur Früchte, die auch früher auf            Anmerkungen                                           bei Čeman 1998, Vielfältiges über Pflanzen
dem Speiseplan waren. Nur werden sie          1
                                                  Sehr eingängig wird die Fotosynthese be-              aus westfälischer Perspektive bei Crazius &
jetzt neu kombiniert, beispielsweise zu           schrieben u.a. bei Paulsen 2003, anspruchs-           Tenbergen 2007 und vieles mehr.
Smoothies und angesagten Obstsalaten.             voller, aber nicht minder lesenswert bei          7
                                                                                                        Generelle Anmerkungen dazu siehe vor allem
„Food for the future“ (Tudge 2002) ist            Hofmann & Schwerdtfeger 1998.                         bei Dierssen & al. 2008 sowie Szenarien, die
gefragt, doch soll es nicht gentechnisch      2
                                                  Siehe detailliert, teilweise auch kritisch auf-       für Nordrhein-Westfalen entwickelt wurden,
verändert sein. Also kehren alte An-              einander bezogen, bei Holland 1984, 2006,             bei MKULNV NRW 2010, ferner ein Schutz-
bau- und Züchtungsmethoden wieder.                Bowes 1996, Berner 2005, Catling & Claire             plan, der jedoch genau wie die Szenarien
Und dann wird auch noch populär, dass             2005, Shaw 2008, Sosa Torres & al. 2015.              weiterhin ausführlicher Diskussion bedarf,
nicht nur Konkurrenzkampf im Leben            3
                                                  Für die Biotope und ihre Vegetationstypen             bei MKULNV NRW 2015.

14
Ohne Pflanzen kein Leben

Literatur
Arzt, V. (2011): Kluge Pflanzen. Wie sie locken,
lügen und sich wehren. – München.
Bengtson, S., Sallstedt, T., Belivanova, V. &
Whitehouse, M. (2017): Three-dimensional
preservation of cellular and subcellular structures
suggests 1.6 billion-year-old crown-group red
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journal.pbio.2000735.
Berner, R. A. (2005): The Rise of Trees and How
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Cerling, T. & Dearing, M. D. (Eds.): A History
of Atmospheric CO2 and its Effects on Plants,
                                                      iStock/AleksandarNakic

Animals, and Ecosystems. Pp. 1-7. New York.
Bork, H.-R., Bork, H., Dalchow, C., Faust, B.,
Piorr, H.-P. & Schatz, T. (1998): Landschafts-
entwicklung in Mitteleuropa. Wirkungen des
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Ohne Pflanzen kein Leben

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16
Ohne Pflanzen kein Leben

n Sortenvielfalt – die Basis der Landwirtschaft

Saatgut ist Kultur- und Gemeingut

von Ophelia Nick und
Gregor Kaiser

Seit die Menschen sesshaft geworden
sind, züchten sie Pflanzen und Tiere
für die Nahrungsmittelerzeugung und
andere Bedarfe. So haben sie über
Jahrtausende eine vielfältige Anzahl
an Haustieren, Getreide-, Obst- und
Gemüsesorten entwickelt. Sie waren
meist regional angepasst, widerstands-
fähig und im Geschmack unterschied-
                                            iStock/Vetic

lich. Immer wieder gab es sprunghafte
Entwicklungen in der Erzeugung von
Lebensmitteln.                                             Heute erzeugen nur noch wenige Konzerne das Saatgut.

So veränderte sich die Landwirtschaft vor                  hat sich die Züchtung nochmal sehr stark    werden konnten, wurden weltweit
etwa 200 Jahren mit der Entdeckung des                     entwickelt. Zu Beginn des 20. Jahrhun-      Gesetze entwickelt, mit denen sie ihre
mineralischen Düngers und der Mecha-                       derts fokussierten sich – insbesondere      Zucht schützen und vermarkten konn-
nisierung fundamental. Bis vor etwa 100                    in den westlichen Industriestaaten –        ten. Die heutigen Sortenschutzgesetze
Jahren erfolgte die Nachzucht vor allem                    immer mehr Unternehmen auf die reine        und das Saatgutverkehrsgesetz haben
durch Wiederaussaat des Ernteguts der                      Pflanzenzüchtung. Bis die gewünschten       ihren Ursprung in dieser Zeit. Im Sor-
besten Pflanzen, durch nachbarschaft-                      neuen Eigenschaften der Sorten aus-         tenschutzgesetz werden Schutzanforde-
lichen Austausch oder Kreuzung mit                         geprägt und stabil über Generationen        rungen und -dauer neuer Pflanzensorten
verwandten Arten auf den Feldern der                       vorlagen, vergingen einige Jahre, so dass   beschrieben; im Saatgutverkehrsgesetz
Bauern. Seitdem hat sich im Bereich der                    die Züchtung ein immer aufwändigerer        die Zulassung, die Vermehrung und
Getreide-, Gemüse- und Obstsorten viel                     und teurerer Prozess wurde. Damit die       der Handel mit Saatgut. Ab Mitte der
verändert. In den vergangenen 30 Jahren                    Züchter für ihre Bemühungen belohnt         1950er-Jahre machte die Züchtung mit

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Ohne Pflanzen kein Leben

neuen Erkenntnissen zur Hybridzüch-       von wenigen global anbaubaren Sorten.       n  Der „Fortschritt“
tung, Grüner Revolution und später        War die Pflanzenzüchterlandschaft in        Die Veränderungen im Pflanzenanbau
den gentechnologischen Verfahren          Europa, aber auch den USA zunächst          durch Saatgutzucht mächtiger Kon-
weitere Verfahrensfortschritte (deren     mittelständisch geprägt, hat sich dies      zerne gehen einher mit Veränderungen
Auswirkungen von vielen Verbänden         vor allem im Laufe der vergangenen 30       im Bereich Düngemittel, Pestizide und
und Bäuerinnen und Bauern kritisch        Jahre geändert. Mittlerweile erzeugen       der Entwicklung von immer größeren
hinterfragt werden).                      nur noch eine Handvoll Konzerne für         Landmaschinen und dem Einzug der Di-
                                          den weltweiten Bedarf an Saatgut. In        gitalisierung in der Landwirtschaft. Die
n  Die Hybridtechnologie                  Deutschland gibt es heute gegenüber         Veränderungen unserer Lebensmittel,
Die Hybridtechnologie sorgte, verbun-     dem Jahr 2000 25 Prozent weniger            der Böden und der die Landwirtschaft
den mit der Notwendigkeit eines erhöh-    Züchtungsfirmen. Zurzeit gibt es eine       umgebenden Natur bleiben davon
ten Inputs von unter anderem Dünger,      Fusionswelle, an deren Ende drei große      nicht unberührt. Der „Fortschritt“ ist
für enorme Ertragsgewinne. Allerdings     Konzerne 60 Prozent des Saatgutes           verbunden mit dem fortschreitenden
waren (und sind) Aussaaten aus dem        mit den passenden Agrarchemikalien          Verlust der biologischen Vielfalt unserer
Erntegut so gut wie nicht mehr möglich,   herstellen. Syngenta, Dow Chemicals         Kultur- und Wildpflanzen und -tiere.
denn der sogenannte Nachbau wurde         und Bayer/Monsanto gehören zu den           Ackerrandkräuter, Wildblumen, Hecken,
technisch eingeschränkt. Gentechnische    Megaplayern in dieser Branche.              Büsche, alte Obstbäume und viele Grä-
Züchtungsverfahren gewinnen seit den         Die Privatwirtschaft konzentriert        ser verschwinden aus der Landschaft.
1990er-Jahren immer mehr an Bedeu-        sich bei der Zucht auf hohen Ertrag         Optimierte Flächenzuschnitte, größere
tung und somit auch die Patentierung      und Schnellwüchsigkeit und macht es         Schläge, begradigte Bäche, trockenge-
biologischer Ressourcen und Verfahren.    dem Landwirt durch die mitgelieferten       legte Feuchtwiesen sind auch Ursache
Hunderte Patente auf Pflanzensorten       Dünge- und Pestizidmittel einfach, seine    für eine immer geringere Artenzusam-
sind beispielsweise bei dem Europä-       Saat erfolgreich wachsen zu lassen. Viel-   mensetzung vieler heimischer Tiere
ischen Patentamt in München erteilt       falt, die Zucht auf Widerstandsfähigkeit    und Pflanzen. Ganze Nahrungsketten
worden.                                   und Regionalität stehen nicht im Fokus      verschwinden, so dass mittlerweile
   Wo früher die Zucht regional und oft   dieser Firmen, und deshalb muss darüber     selbst die Bestäubung durch Bienen
im eigenen Betrieb durchgeführt wurde,    nachgedacht werden, wie weitere züch-       gefährdet ist.
erfolgt nun die Zucht und der Anbau       terische Alternativen zukunftsgerecht          Da Arten umso überlebensfähiger
arbeitsteilig: Zucht im Konzern, Anbau    entwickelt werden können. Auch muss         sind, je größer und vielfältiger ihre
durch Landwirte. Das Zuchtwissen          der Zusatz externer Ressourcen (Dün-        biologische Grundlage ist, müssen wir
verschwindet so aus dem bäuerlichen       gemittel, Pestizide) dringend reduziert     sowohl unsere Landwirtschaft als auch
Beruf. Insbesondere in der konven-        werden, um Fortschritte im Hinblick         die umgebende Natur ganzheitlich be-
tionellen Landwirtschaft ist das ein      auf eine nachhaltige, klimaangepasste       trachten. „Biologische Vielfalt umfasst
Problem, die Märkte werden dominiert      Landwirtschaft zu erreichen.                den Reichtum an Pflanzen, Tieren, Pilzen

18
Ohne Pflanzen kein Leben

und Mikroorganismen ebenso wie die           lage gefährdet ist. Die seit Jahrzehnten                      gegangen ist. Deshalb wird nun neu
Vielfalt an Lebensräumen und Erban-          weltweit fortschreitende Privatisierung                       über Initiativen, Kooperationen und
lagen.“1 Wir brauchen also die Vielfalt      und Patentierung des Saatgutes haben                          Zuchtweisen nachgedacht. Dabei steht
unserer Sorten und Rassen, damit sie         zu einer Verarmung an Sorten und zu                           eine enge Verzahnung zwischen Züch-
sich regenerieren und an sich ändernde       einseitigen Züchtungszielen geführt.                          tung und bäuerlicher Landwirtschaft im
Umweltbedingungen (zum Beispiel Kli-            Es gibt einige meist regionale Züch-                       Vordergrund. Unter Begriffen wie Par-
mawandel) anpassen können.                   tungsvereinigungen, die erfolgreich                           ticipatory plant breeding, Open Source
                                             Gemüse, Obst oder Getreidesorten                              Züchtungskonzepte, Saatgutbörsen,
n  Alternativen finden                       züchten, die mit wenig oder ohne                              Saatgutcent, Saatgutfonds-Model-
Wir verstehen die über Jahrtausende          Dünger und Pestizide Ertrag bringen.                          le, haben sich hochspannende neue
entwickelte Sortenvielfalt als kulturelles   In der Fläche jedoch bemerken viele                           Züchtungsansätze und Vertriebswege
Erbe der Menschheit, das in seiner regi-     kleinere Einheiten (wie Biohöfe, oder                         entwickelt.
onalen und widerstandsfähigen Weise          Gartenvereinigungen), dass sie viele                              Klar ist jedoch, dass sich die Ge-
weiterentwickelt werden soll. Wider-         Sorten gar nicht mehr erwerben kön-                           sellschaft an den Kosten beteiligen
standsfähigkeit gegen Umweltbedin-           nen. Die Bewegung der Kleingärten und                         muss. Denn hier stehen eben nicht die
gungen, Wettereinflüsse und Krank-           Gemeinschaftsgärten wie Urban Gar-                            wirtschaftlichen, sondern die gesamt-
heiten müssen Zuchtziele sein. Denn          dening oder solidarische Landwirtschaft                       gesellschaftlichen Interessen im Vor-
Saatgut ist Gemeingut. Wirtschaftliche       fordern zu Recht ein anderes Angebot                          dergrund: Saatguterzeugnisse in ihrer
Interessen hören da auf, wenn die kul-       an Pflanzen für ihren Anbau und zei-                          Vielfältigkeit, Widerstandsfähigkeit,
turelle Vielfalt unserer Nahrungsgrund-      gen auf, dass hier bereits viel verloren                      Regionalität und häufig Anspruchslo-
                                                                                                           sigkeit zu erhalten.
                                                                                                               Die Landwir t schaf t braucht ein
                                                                                                           breites Spektrum an Nutzpflanzen, die
                                                                                                           aktiv angebaut, vermehrt und auch
                                                                                                           weitergezüchtet werden, denn nur
                                                                                                           dann kann sie den Herausforderungen
                                                                                                           eines sich wandelnden Klimas und den
                                                                                                           häufiger auftretenden Wetterextre-
                                                                                                           men begegnen. Sowohl der aktuelle
                                                                                                           Nachhaltigkeitsbericht der Bundes-
                                                                                        iStock/AdamG1975

                                                                                                           regierung als auch eine Studie von

                                                                                                           Saatgut: Die Landwirtschaft braucht ein
                                                                                                           breites Spektrum an Nutzpflanzen.

                                                                                                                                                19
Ohne Pflanzen kein Leben

Greenpeace fordern eine grundlegende      Züchtungserfolge erreicht werden,                                 und fördern und uns gemeinsam dafür
Veränderung der landwirtschaftlichen      die all diesen Anforderungen gerecht                              einsetzen, dass Bauern, Gärtner, wir
Bewirtschaftung. Nur so können wir        wurden – und das ohne Gentechnik.                                 alle den freien Zugang zu den Saaten
ökologisch und global verträglich Le-     So entwickelte etwa der Biobauer Marc                             behalten: Im Interesse der biologischen
bensmittel erzeugen. Der Züchtung         von Rijsselberghe auf Texel „salziges                             Vielfalt, im Interesse der bäuerlichen
der Nutzpflanzen kommt dabei eine         Biogemüse“, das heißt Sorten, die                                 Landwirtschaft, im Interesse für eine
entscheidende Bedeutung zu. Viele         auf salzhaltigen Böden und mit mehr                               gute, ökologisch verträgliche und si-
ökologische Pflanzenzüchterinnen und      oder weniger salzhaltigem Wasser be-                              chere Ernährung.
Pflanzenzüchter und Initiativen zeigen,   wässert werden. Diese Initiative eines
dass es geht. Sie haben sich zur Aufga-   Einzelnen hat in einigen Ländern für                              Anmerkung
be gemacht, Sorten zu entwickeln, die     Aufmerksamkeit gesorgt und die Sorten                             1
                                                                                                                Bundesministerium für Umwelt, Natur-
ohne Pestizide und Düngemittel gute       werden neuerdings in Asien angebaut                                   schutz, Bau und Reaktorsicherheit, Na-
Erträge bringen und regional angepasst    und weitergezüchtet.                                                  turschutz-Offensive 2020, Bericht vom
sind. Die Anforderungen der Zukunft          Saatgut ist ein Kultur- und Allge-                                 Oktober 2015
sind eine wachsende Weltbevölkerung,      meingut. Wir müssen gegen die wei-
mehr Trockenheit und neue Krank-          tere Privatisierung dieser genetischen                            Literatur
heiten. Hier konnten bereits vereinzelt   Ressourcen Alternativen entwickeln                                Banzhaf, Anja: Saatgut. Wer die Saat hat, hat
                                                                                                            das Sagen. Oekum-Verlag 2016.
                                                                                                            Johannes Kotschi, Klaus Rapf: Befreiung des
                                                                                                            Saatguts durch open source Lizensierung.
                                                                                                            AGRECOL 2016.
                                                                                                            Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeits-
                                                                                                            strategie 2016 https://www.bundesregierung.
                                                                                                            de/Webs/Breg/DE/Themen/Nachhaltigkeits-
                                                                                                            strategie/_node.html.
                                                                                                            Heinrich-Böll-Stiftung (Hg): Konzernatlas,
                                                                                                            https://www.boell.de/de/konzernatlas?utm_
                                                                                                            campaign=ds_konzernatlas.
                                                                               iStock/ValentinVolkov/goir

                                                                                                            Greenpeace Deutschland (Hg): Kursbuch
                                                                                                            Agrarwende 2050, http://www.greenpeace.
                                                                                                            de/presse/publikationen/kursbuch-agrarwen-
                                                                                                            de-2050.
                                                                                                            Schrot & Korn, (bioverlag gmbh): Wer hat sie
Biobauern entwickeln Gemüse, das auf salzhaltigen Böden wächst.                                             gezüchtet? Ausgabe 1, 2017.

20
Ohne Pflanzen kein Leben

n Nachwachsende Rohstoffe

Die Diskussion um „Tank oder Teller"

von Heinz-Wilhelm Büscher

Der Mensch betreibt seit 12.000
Jahren gezielt den Anbau von Pflan-
zen. Seit mehr als 5.000 Jahren ist der
Ackerbau am Hellweg nachgewiesen.
Seit jeher teilt sich die Ernte in Erzeug-
nisse zum Verzehr für Mensch und
Tier und sogenannte nachwachsende
Rohstoffe, Faserpflanzen wie Lein und
Hanf und Ölpflanzen wie Raps und
                                             WLV

Sonnenblumen.
                                                   Raps gehört zu den empfindlichen Kulturpflanzen.
n  Treibstoffe
Bis in die Mitte des vorherigen Jahr-              und Arbeitsmaschinen stammte natürlich      der fossilen Reserven, aber auch die
hunderts waren die meisten Betriebe                nicht vom Acker, sondern aus den Ölquel-    immer weiter zurückgehenden Preise für
auf Zugtiere, also Pferde und Rinder,              len des Mittleren und Nahen Ostens. Erst    Agrarerzeugnisse auf. Mit den wieder
angewiesen. Das Futter dieser Tiere be-            nach den Energiekrisen der 1970er-Jahre     steigenden Rohölpreisen erreichte der
anspruchte etwa ein Viertel der Anbau-             begann die Suche nach alternativen Ener-    Brennwert des Weizens den doppelten
fläche eines Hofes. Aus diesem Grund               gieträgern. Erste Verfahren zur Herstel-    Betrag als würde er als Futter- und Nah-
konnten sich kleinere Höfe oder Höfe               lung von Ethanol als Fahrzeugtreibstoff     rungsmittel verwendet werden.
in unfruchtbaren Gegenden gar keine                aus Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide       Als Alternative zum Diesel wird seit
Pferde leisten.                                    wurden entwickelt.                          Ende der 1990er-Jahre in Europa die
   Mit Einführung der Traktoren wurde                 In den 1980er-Jahren normalisierten      Biodieselproduktion durchgeführt. In-
diese Fläche für die Ernährung frei, was           sich die Erdölpreise, und die Aktivitäten   zwischen liegt der Beimischungsanteil
in der Versorgungssituation nach dem               schliefen wieder ein. Erst Anfang der       im Tankstellendiesel bei sieben Prozent.
Zweiten Weltkrieg ein wichtiges Argu-              1990er-Jahre kamen Diskussionen über        Durch die geänderten Besteuerungs-
ment war. Der Diesel für die Traktoren             den Treibhauseffekt, die Endlichkeit        grundlagen ist die Verwendung von

                                                                                                                                    21
Ohne Pflanzen kein Leben

reinem Biodiesel als Kraftstoff zum Er-       Anbau von Weizen oder Gerste hervorra-       von chemischen Pflanzenschutzmitteln
liegen gekommen. Für Biodiesel werden         gende Voraussetzungen. Der Raps blüht        (Herbiziden und Insektiziden) wäre ein
70 Prozent Rapsöl verwendet, daneben          je nach Witterung im April und Mai.          Anbau nicht möglich. Der ökologische
auch Altspeisefette, Palmöl, Sojaöl und       Raps und Bienen gehören zusammen.            Anbau von Raps hat aufgrund des hohen
tierische Fette. Bei der Produktion von       Für die Bienen stellt er eine ergiebige      Unkraut-, Schädlings- und Krankheits-
Biodiesel fällt Glycerin und das hoch-        Nahrungsquelle dar und gleichzeitig          drucks nur sehr geringe Bedeutung.
wertige Eiweißfuttermittel Rapsschrot         ist der Rapsertrag von der Bestäubung
an. Rapsschrot ersetzt inzwischen in          durch die Bienen abhängig.                   n  Strom und Wärme
großen Teilen der Rindviehhaltung das             Raps gehört zu den empfindlicheren       Das im Jahr 2000 beschlossene erneu-
importierte Sojaschrot.                       Kulturpflanzen. Verschiedene Krank-          erbare Energie-Gesetz (EEG) wurde
    Von einem Hektar – 10.000 Qua-            heiten wie Rapskrebs und Kohlhernie          2004, 2009, 2012 sowie 2014 mehr
dratmeter – werden durchschnittlich           können nur durch eine weite Fruchtfolge      oder weniger verändert. Ziel war es,
3.500 Kilogramm Raps geerntet. Hie-           vermieden werden. Deshalb kann Raps          im Interesse des Klima- und Umwelt-
raus entstehen im Produktionsprozess          nicht mehrfach hintereinander auf einem      schutzes eine nachhaltige Entwicklung
1.500 Liter Biodiesel, 2.000 Kilogramm        Acker angebaut werden. Nach einem            der Energieversorgung zu ermöglichen,
Rapsschrot und 130 Kilogramm Glycerin.        Rapsjahr müssen drei bis vier Jahre an-      fossile Energieressourcen zu schonen
Da Rapsöle biologisch abbaubar sind,          dere Pflanzen dort wachsen. Kohlfliege,      und die Weiterentwicklung von Tech-
verwendet man Schmierstoffe aus Rapsöl        Rapserdfloh und Rübsenblattwespe             nologien zur Erzeugung von Strom aus
im Forst und Tiefbau. Im Kreis Unna wird      bedrohen den Raps im Herbst, wäh-            erneuerbaren Quellen zu fördern. Bis
auf einer Fläche von 1.800 Hektar Raps        rend im Frühjahr Rapsglanzkäfer, Kohl-       zum Jahre 2025 sollte der Anteil erneuer-
angebaut. Dies entspricht einem Anteil an     schotenrüßler und Kohlschotenmücke           barer Energien an der Stromversorgung
der Ackerfläche von acht Prozent.             auf ihn einwirken. Beim chemischen           auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf
    Raps gehört zur Familie der Kreuz-        Pflanzenschutz (Insektizide) im Raps ist     55 bis 60 Prozent erhöht werden. Ne-
blütler (Brassicaceae) und bildet einen bis   darauf zu achten, dass keine Gefähr-         ben Wind- und Wasserkraft findet sich
zu zwei Meter hohen stark verzweigten         dung der Bienen erfolgt. Deshalb findet      auch die Photovoltaik und Nutzung der
Stängel. Lehmböden, wie sie vor allem         der Pflanzenschutz während der Blüte         Biomasse im EEG wieder. Die Nutzung
im mittleren und südlichen Kreisgebiet        ausschließlich abends und nachts nach        von Biomasse durch Vergärung in Bio-
vorhanden sind, eignen sich besonders         Ende des Bienenfluges statt.                 gasanlagen stellt in unserer Region die
gut für den Rapsanbau. Raps wird im               Nach der Aussaat im August hat der       gebräuchlichste Form dar. Biogas ist
August gesät und im Juli des nächsten         Raps große Schwierigkeiten, sich gegen       speicherbar und kann daher bedarfsge-
Jahres geerntet, bedeckt den Boden            Ausfallgetreide, Ackerfuchsschwanz,          recht verstromt werden.
also mehr als elf Monate. Der Boden           Klettenlabkraut und Vogelmiere durchzu-         Im Kreis Unna gibt es nach der Be-
wird durch den Raps tief durchwurzelt         setzen. Im Frühjahr breitet sich die Rauke   treiber-Datenbank der Landwirtschafts-
und hinterlässt für einen nachfolgenden       in den Beständen aus. Ohne den Einsatz       kammer Nordrhein-Westfalen zehn

22
Ohne Pflanzen kein Leben

Biogasanlagen mit einer elektrischen       gang Temperaturen über sieben Grad                  Warum steht nun der Maisanbau
Gesamtleistung von 4,4 Megawatt. Hin-      Celsius benötigt. Mais wird im Einzel-               so in der Kritik?
zu kommen industrielle und kommunale       kornverfahren in Reihen von 75 Zenti-            Es fallen die Stichworte Monokultur,
Anlagen. Die zehn landwirtschaftlichen     meter Abstand zwischen den jeweiligen            Vermaisung, Artenschwund und anderes
Biogasanlagen verwerten knapp zur          Reihen und von zehn bis 20 Zentimetern           mehr. Hierzu einige Fakten: Mais ist die
Hälfte landwirtschaftliche Reststoffe,     in der Reihe gesät. Dadurch dauert es            größte Nutzpflanze. Mit einer Höhe
wie Schweine- und Rindergülle, Rinder-,    bis Mitte Juni bis der Acker von der Ve-         von mehr als drei Metern überragt er
Pferde- und Hühnermist. Der größere        getation bedeckt ist. In erosionsgefähr-         alle anderen Kulturen und kann entlang
Teil der Inputstoffe besteht aus nach-     deten Gebieten und Hanglagen besteht             von Wegen einengend und bedrohlich
wachsenden Rohstoffen wie Mais- und        deshalb die Gefahr der Abschwemmung              wirken. Hier versuchen die Landwirte
Grassilage, Getreide-Ganzpflanzensilage    bei Starkregenereignissen. Deshalb wird          inzwischen, mit Feldrand- und Blühstrei-
(GPS), Zuckerrüben und Zwischenfrüch-      Mais dort vermehrt mit Grasuntersaaten           fen für Auflockerung zu sorgen. Mais ist
ten. Mit einem umgerechneten Ertrag        und Feldrandstreifen angebaut. Mais              als eine der wenigen Pflanzen selbstver-
von etwa 23.000 kWh el/ha ist der Mais     benötigt bis zur Abreife Nährstoffe aus          träglich und könnte jahrelang auf der
die ertragsreichste Energiepflanze. Zu-    dem Boden: 200 kg/ha Stickstoff (N),             gleichen Fläche angebaut werden. Dies
ckerrüben und Getreide-GPS kommen          125 kg/ha Phosphat (P 2O 5 ) 250 kg/             bezeichnet man dann als Monokultur.
auf 18.000 kWh el/ha und Grünland auf      ha, Kali (K 2O), 65 kg/ha Magnesium              Im Kreis Unna betrug im vergangenen
maximal 14.000 kWh el/ha.                  (MgO). Diese Nährstoffe müssen durch             Jahr der Maisanteil an den Ackerfrüchten
   Hieraus folgt, dass Mais die für die    Düngung zugeführt werden, wobei die              nur 22,3 Prozent, so dass nur in jedem
Erzeugung von Biogas attraktivste          im Boden vorhandenen Ressourcen zu               vierten bis fünften Jahr Mais im Rahmen
Pflanze ist. Mais gehört zur Familie der   berücksichtigen sind. Hierzu bietet sich         der Fruchtfolge auf einem Acker steht. In
Gräser und war ursprünglich in Süd-        die in der Viehhaltung anfallende Gülle          Regionen, in denen Weizen, Raps und an-
und Mittelamerika beheimatet. Mais ist     als Wirtschaftsdünger an. Nach der
eine Pflanze, die an warme und sonnige     Düngeverordnung dürfen maximal 170
Klimaverhältnisse angepasst ist. Dabei     kg N/ha aus Wirtschaftsdünger ausge-
wird das Kohlendioxid-Angebot von der      bracht werden, was einer Güllemenge
Pflanze optimal genutzt. Mais gehört zu    von 40 bis 50 cbm/ha entspricht. Davon
den Profiteuren des Klimawandels.          wird die Hälfte vor der Saat eingearbei-
   Aufgrund seiner Kälteempfindlichkeit    tet und die andere Hälfte bodennah in
brauchte es eine lange und intensive       den stehenden Bestand ausgebracht.
Züchtungszeit, bis der Mais in unseren     Damit werden die Emissionen begrenzt.
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Gegenden angebaut werden konnte.           Aufgrund seines hohen Aneignungs-
Mais wird Mitte bis Ende April gesät,      vermögens ist der Mais in der Lage, alle         Ernte: Mais ist für die Erzeugung von
weil er zur Keimung und zum Feldauf-       ausgebrachten Nährstoffe zu verwerten.           Biodiesel die attraktivste Pflanze.

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