Natur report - Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen - Kreis Unna
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Natur report Nr. 21 • 2017 Ohne Pflanzen kein Leben Bedeutung der Flora für den Menschen Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e.V.
Jahrbuch der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. Ausgabe 21 • 2017 Erscheinungstermin: April 2017 Herausgeber: Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. Westenhellweg 110, 59192 Bergkamen Vorsitzender: Norbert Enters Redaktion und Realisierung: Horschler Kommunikation GmbH, Unna Zitiervorschlag: Naturreport 2017, Jb. Naturförderungsges. Kreis Unna Druck: Druckerei Schmidt, Lünen Titelfotos: Bernhard Glüer, Biologische Station Kreis Unna l Dortmund, Uta Schulte, iStock/jure Bettina Sentner/ygreg/Philary/Dhoxax Wenn nicht anders angegeben, stammen die Fotos und Abbildungen in den Beiträgen von den Autoren. Die in den Aufsätzen vertretenen Meinungen müssen nicht unbedingt der Meinung der Naturförderungsgesellschaft für den Kreis Unna e. V. oder der Redaktion entsprechen. Die Autorinnen und Autoren sind für den Inhalt ihrer Aufsätze selbst verantwortlich.
Inhalt Inhalt..........................................................................................................................................5 Vorwort......................................................................................................................................7 Ohne Pflanzen kein Leben Mensch und Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis, Götz Heinrich Loos...................................9 Saatgut ist Kultur- und Gemeingut, Ophelia Nick und Gregor Kaiser........................................17 Die Diskussion um „Tank oder Teller“, Heinz-Wilhelm Büscher.................................................21 Weg vom Wirtschaftsgut, hin zum Kulturgut, Marie Marschoun.............................................25 Grünland im Fokus des Naturschutzes, Anke Bienengräber, Kerstin Conrad, Stefan Kauwling und Falko Prünte............................................................................................29 Die heimischen Urwälder von morgen, Uta Schulte..................................................................36 „Straßen ohne Bäume haben kein Gesicht“, Andreas Roloff....................................................41 Bäume im Kreis Unna, Birgit Manz...........................................................................................50 Der Baum – ein faszinierendes Wesen, Ralf Sänger..................................................................53 Efeu: viel mehr als eine Schattenpflanze, Bernhard Glüer.........................................................57 „Wiesen und Matten ... Apotheken der Natur“, Klaus Coen.....................................................60 Die Hausgärten in den Bergarbeiterkolonien, Karl-Heinz Stoltefuß...........................................64 Zimmerpflanzen als Schadstofffilter, Antje Weber-Drücke........................................................67 Pflanzen in der Bibel, Heinrich Behrens.....................................................................................70 Vom Paradiesgärtlein zum Pollenteppich, Heike Behrens..........................................................76 5
Inhalt Flora & Fauna Eine Erfolgsgeschichte dank Ehrenamt, Bernd Margenburg......................................................81 Toleranz und Respekt gegenüber Fremden, Heinrich Behrens...................................................84 Personen Ausgezeichneter Naturschutz, Corinna Glück...........................................................................85 Deutliche Spuren hinterlassen, Rolf Böttger und Birgit Manz....................................................89 Aktionen & Projekte Freude über die neue Zusammenarbeit, Klaus Klinger..............................................................90 Nachlass-Sicherung für Naturschützer, Wilfrid Loos.................................................................92 Anhang Natur des Jahres 2017 auf einen Blick.......................................................................................93 Autorenverzeichnis...................................................................................................................94 6
Vorwort n Die Bedeutung der Pflanzenwelt für den Menschen Unser Grün ist unsere Lebensgrundlage Liebe Leserin, Schluss, dass Energiepflanzen nur eine lieber Leser, Übergangslösung bis zur Erfindung uner- schöpflicher Energiequellen sein können. die Natur, die uns umgibt, scheint Im Anschluss greift Marie Marschoun uns nur allzu selbstverständlich. Wir biologisch-dynamische Aspekte bei der nehmen sie allzu selten als das wahr, Nahrungsmittelerzeugung auf. Wie sich was sie ist: wertvoll und schützens- Landwirtschaft und Viehhaltung auf das wert. Pflanzen liefern Sauerstoff Grünland ausgewirkt haben und weiter- zum Atmen, reinigen die Luft von hin auswirken werden, erläutern Anke Schadstoffen, sind Nahrungsquelle, Bienengräber, Kerstin Conrad, Stefan liefern Wirkstoffe für Medikamente Kauwling und Falko Prünte kenntnisreich und erfreuen die Seele. Das Grün um Norbert Enters ist Vorsitzender der in ihrem Aufsatz „Grünland im Fokus des uns wirkt sich also in vielerlei Hinsicht Naturförderungsgesellschaft für den Naturschutzes“. Dabei legen die Autoren positiv auf unser Dasein aus. Grund Kreis Unna e.V. ihr Augenmerk auf den Kreis Unna. genug, der Flora diese Ausgabe des Perspektivisch betrachtet, bedarf es Naturreports zu widmen. sich beide vor allem innerhalb der letz- größerer Anstrengungen als bislang, um ten Jahrhunderte bis heute gemeinsam die Vielfalt der Grünlandvegetation und Zu Beginn des Bandes macht Götz Hein- entwickelt und beeinflusst haben, ist in somit auch bereits gefährdete Arten zu rich Loos in seinem Beitrag „Mensch und diesem Aufsatz zu lesen. erhalten. Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis“ deutlich, dass wir ohne Pflanzen nicht n Vielfältige Nutzung n Der Baum im Fokus lebensfähig wären. In Indien fand man Mit der Pflanze als Saatgut für die Land- Wie unsere heimischen Urwälder von gerade das älteste je entdeckte Pflanzen- wirtschaft beschäftigen sich Ophelia Nick morgen aussehen könnten, erläutert Uta fossil: eine versteinerte Rotalge, die etwa und Gregor Kaiser. Und Heinz-Wilhelm Schulte in ihrem Artikel. Am Beispiel der 1,6 Milliarden Jahre alt ist. Der Mensch Büscher widmet sich in seinen Ausfüh- beiden Naturwaldzellen im Kreisgebiet ist dagegen ein Newcomer auf unserem rungen dem Anbau von Pflanzen als beschreibt die Oberforsträtin wie sich Globus. Sein erster fossiler Beleg ist ge- nachwachsende Rohstoffe sowie dem Pflanzen und Tiere entwickeln würden, rade mal rund 200.000 Jahre alt. Wie Ackerbau am Hellweg. Er kommt zu dem wenn der Mensch nicht eingreift. 7
Vorwort Die Ausführungen von Andreas Roloff Aspekten aus christlicher und kunst- beschreiben anschaulich die positiven historischer Sicht. Der zweite Teil des Wirkungen von Stadtbäumen. Seine Bandes bietet wieder die gewohnten Zeilen machen deutlich, dass sie im Rubriken. Zuge der weiter fortschreitenden Urba- nisierung weitaus größere Beachtung n Dank für Engagement verdienen – aus psychologischer, ge- Für ihr unermüdliches Engagement sundheitlicher, aber auch sozialer Sicht. für den Natur- und Umweltschutz Weil Stadtbäume nur etwa halb so alt erhielten Irmgard Devrient, Reinhard werden, wie ihre Verwandten auf dem Wohlgemuth und Dieter Ackermann Land, sieht der Autor hier erheblichen das Bundesverdienstkreuz am Bande. Handlungsbedarf. Birgit Manz richtet Wir gratulieren! Die Bedeutung für den Fokus auf die Bäume im Kreis Unna. den Natur- und Umweltschutz sowie Ein umfassendes Thema, säumen doch über Möglichkeiten der Sicherung der rund 14.000 Bäume die 217 Kilometer durch die Geehrten erhobenen Daten Kreisstraßen der Region. Bäume sind und Bilder beschreibt Wilfrid Loos in auch das Thema von Ralf Sänger – al- seinem Text. lerdings wählt er eine ganz persönliche Ich möchte nicht versäumen allen zu Perspektive. Während sich Bernhard danken, die mit Wort, Bild oder ande- Glüer in seinem Aufsatz dem Efeu in rer Unterstützung zum Gelingen dieses vielfacher Hinsicht verschreibt. Naturreports beigetragen haben. Die Einen Blick auf die Pflanzen als Heil- und Beiträge sind wie immer reich an interes- Gewürzpflanzen wirft Klaus Coen. Ihre santen Aspekten und Autorenansichten, Wirkung hat bei allem pharmazeu- die Anreiz für weitere und tiefere Aus- tischen Fortschritt auch heute noch ihre einandersetzungen sein können und Bedeutung. 80 von ihnen kann man im auch sollen. Vor allem aber können sie Kurpark in Unna, auf einer Fläche von zum Nachdenken anregen. 350 Quadratmetern kennenlernen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine Vom Kurpark in die Hausgärten der beflügelnde Lektüre Bergarbeiter des vergangenen Jahrhun- derts: Karl-Heinz Stoltefuß klärt über Ihr deren Bedeutung und ihre Besitzer auf. Norbert Enters Da s Schwerpunk t thema P flanzen Vorsitzender der Naturförderungsgesell- schließt mit zwei außergewöhnlichen schaft für den Kreis Unna 8
Ohne Pflanzen kein Leben n Bedeutung von Flora und Vegetation für das menschliche (Über-)Leben Mensch und Pflanze: ein entscheidendes Verhältnis iStock/wingmar Ohne Pflanzen wäre kein Menschenleben möglich. von Götz Heinrich Loos VHS-Abendschülerinnen etwas ge- rich Heines „Harzreise“ fest. Allerdings nervt, als im Unterricht die Anpassungen hatte Heine den Mann vorher mit wenig Der Mensch ist vom Pflanzenleben von Salzpflanzen an das Ökosystem schmeichelhaften Worten charakterisiert, direkt und indirekt abhängig. Ohne Nordseeküste/Wattenmeer besprochen die in der Äußerung „er sah aus, als habe Pflanzen wäre keine Atmung und keine wurden. Einer ihrer Mitschüler kam mir er die Viehseuche erfunden“ gipfelten. Ernährung möglich und damit wären zuvor: „Pflanzen sind doch für alles Für den Dichter Heine mit seinen roman- die grundlegenden Vorgänge im Stoff- wichtig.“ Besser auf den Punkt bringen tischen Wurzeln, war die Natur, mithin die wechsel unseres Körpers nicht vorhan- hätte ich es auch nicht können. Pflanzen, das Wesen seiner poetischen den – somit wir nicht lebensfähig. Und trotzdem gibt es Skepsis: Ist eine Seele, nicht nützlich und zweckmäßig. solche Behauptung nicht etwas kühn Bei aller Schönheit vor allem blühender „Können wir nicht etwas über den Men- oder sogar vermessen? „Die Bäume sind Pflanzen, die uns nach wie vor erheblich schen machen? Was interessieren mich grün, weil grün gut für die Augen ist“, anspricht, ist aber die Nützlichkeit und Pflanzen?“ fragte unlängst eine meiner stellte ein Begleiter des Dichters in Hein- Zweckmäßigkeit der Pflanzenwelt (Flora) 9
Ohne Pflanzen kein Leben und der Pflanzendecke (Vegetation) doch geringe Rolle. Erst nachdem im Zuge der in der Tat entscheidender. Pflanzen be- Evolution die Landpflanzen auftraten, gegnen uns immer und überall, ob offen nahm der Sauerstoff in der Atmosphäre oder versteckt, in jeder Lebenssekunde, zu. Generell wird davon ausgegangen, was unsere körperlichen Funktionen dass vor 750 bis 500 Millionen Jahren anbetrifft. ein namhafter, vor 600 bis 500 Millionen Jahren ein deutlich sprunghafter Anstieg n Allgegenwärtig: Pflanzen des Sauerstoffs zu konstatieren war. Aber wie kam es dazu? In diesen Tagen Die heutige Sauerstoffmenge soll in der wird über das älteste Pflanzenfossil Kreidezeit erreicht worden sein2. Wann berichtet, das jemals entdeckt werden sie für den Menschen theoretisch reichte, konnte: In Indien fand man eine ver- ist kaum zu sagen; er erschien erheblich steinerte Rotalge, die etwa 1,6 Milliarden später. Aber für die kleinen Säuger, die Jahre alt ist (vgl. Bengtson & al. 2017). zum Teil Vorfahren des Menschen waren, Während die Rotalgen bereits „echte“ konnte die Atmosphäre der Kreidezeit Pflanzen sind, deren Erbsubstanz (DNA) ausreichend sein – immerhin überlebten iStock/niki in den Zellen jeweils in einem Zellkern sie ja auch (teilweise!?) das Massenaus- eingeschlossen ist, waren die Vorgän- sterben am Ende des erdgeschichtlichen ger Bakterien, die fälschlicherweise Der Mensch war Jäger und Sammler. Abschnittes, dem die Dinosaurier (wei- Blaualgen genannt werden – richtig: testgehend) zum Opfer fielen. Cyanobakterien. Ihnen fehlt ein Zellkern, sondern als Produzenten des Zuckers in aber sie besitzen Pigmente, insbeson- ihrem Körper, ihrer Zelle, festgehalten. n Die Menschheit dere Blattgrün (Chlorophyll). Dieses Damit entstand – wenn auch gezwun- Als der Mensch auf den Plan trat, war Blattgrün ist der Ort der Fotosynthese: genermaßen – eine Lebensgemeinschaft er zunächst Wildbeuter (Jäger) und Kohlendioxid und Wasser werden bei (Symbiose) auf Gegenseitigkeit: Die Sammler. Neben der Notwendigkeit Licht zu Traubenzucker (Glucose) und Blaualgen waren eingebettet und so vor einer hinreichenden Sauerstoffmenge Sauerstoff umgewandelt.1 Während die der „Außenwelt“ geschützt, dafür be- in der Luft spielte von Anfang an die Blaualgen den Traubenzucker als eigene kam der Einzeller energiereichen Zucker. Suche nach Nahrung eine Rolle. Es gab „Nahrung“ nutzen, geht der Sauerstoff Langfristig haben sich daraus die ersten unter unseren Vorfahren vorwiegende, zum größten Teil in die Atmosphäre. grünen Pflanzen entwickelt; irgendwann wenn nicht reine Vegetarier wie Aus- Genau dieser Prozess hat sich bei den blieben von der Blaualge nur grüne tralopithecus-Arten, deren mächtige grünen Pflanzen erhalten. Vermutlich Chlorophyllkörperchen, die Chloroplas- Unterkiefer und Mahlzähne klar auf haben Einzeller mit Zellkern Cyanobak- ten, übrig. Der Gehalt von Sauerstoff in eine Ernährung aus Pflanzen hindeu- terien geschluckt, aber nicht verdaut, der Atmosphäre spielte aber noch eine ten. Aber auch die späteren Arten als 10
Ohne Pflanzen kein Leben Gemischtköstler und vielleicht auch vorherrschend Fleischverwerter, ein- schließlich unserer Homo sapiens- und Neanderthaler-Vorfahren, „sammel- ten“ Pflanzen beziehungsweise Teile da- von: Früchte, Wurzeln, Erdsprossen und Blätter. Bei den Früchten spielten schon heute noch verwendete Arten eine Rolle, beispielsweise Haselnüsse (vgl. u.a. Holst 2010). Zumindest handelte es sich bei dem gejagten Wild wohl zum größten Teil um Pflanzenfresser. Holz war bereits damals ein wichtiger Roh- stoff, um Feuer zu machen, auf dem das iStock/DieterMeyrii Fleisch der erbeuteten Tiere zubereitet werden konnte, das Wärme spendete und vor angriffslustigen Raubtieren schützte. Zudem war es Material aus dem Gebrauchsgegenstände aller Arti Soden kommen in Moorlandschaften vor. hergestellt wurde. Das blieb es auch lange, denn seine größere Flexibilität n Jungsteinzeit bis heute den – entwickelt, oder sie ergaben sich als Stein machte es universell einsetz- Die Jungsteinzeit war der Zeitraum, in zumindest langfristig durch Weidewirt- bar – bis Kunststoffe erzeugt werden dem sich in Mitteleuropa die Landwirt- schaft und Heuernte. Die Wohnstätten konnten. Mehr noch, es wurden of- schaft ihren Weg bahnte, aus dem Na- wurden fast durchgehend bis ins 19. fensichtlich bereits Heilkräuter bewusst hen Osten kommend; zwischen 6.000 Jahrhundert meist aus Holz gebaut. In angewendet, wie Untersuchungen an und 5.000 v. Chr. lässt sich die Ausbrei- Moorgegenden benutzte der Mensch Neanderthaler-Zähnen (Hardy & al. tung der jungsteinzeitlichen Kultur bis zu teilweise Soden, die mit Gräsern und 2012) und auch am bekannten Mann den Bandkeramikern in unsere Gebiete Kräutern bewachsen waren. Während vom Tisenjoch, dem „Ötzi“ (Spindler nachvollziehen (vgl. u.a. Hamel 2007, die Nichtsesshaften das vorhandene 1993) belegen konnten. Zu „Ötzis“ Stapel & Pollmann 2013). Nun wurden Angebot nutzen mussten – ihr Einfluss Zeiten (vor 3.000 v. Chr.) war allerdings Pflanzen gezielt angebaut (Acker- und auf die Vegetation und Flora dürfte schon der Schritt vom Jäger und Samm- Gartenkulturen), Wälder gerodet und so vergleichsweise gering gewesen sein –, ler hin zum Ackerbauer und Viehzüchter die Vegetation nachhaltig verändert. Es wurden nunmehr gezielt Nutzpflanzen in unserer Region vollzogen. wurden Grünländer – Wiesen und Wei- angebaut, vielleicht auch in Wäldern 11
Ohne Pflanzen kein Leben gefördert (z. B. Haselnusssträucher). Aspekte der Voraussetzungen für den Mit den Nutzpflanzen kamen Getreide menschlichen Stoffwechsel: Sauerstoff und andere Anbaugewächse zu uns, und Traubenzucker aus der Fotosyn- wie auch Färbe- und Faserpflanzen. these für Atmung und Ernährung. Sie wurden durch Selektionszüchtung Zudem haben Pflanzen im Laufe der zu immer günstigeren Erträgen hin Geschichte vielfältige Verwendungen verändert. Vor allem wechselte sich die erfahren, um unser Leben einfacher, Landschaft grundlegend und mit ihr die bequemer und schöner zu gestalten: spontane Flora und Vegetation. Diese Seien es die Kräuter, die unsere Speisen „ursprüngliche“ Landwirtschaft, von verfeinern, die Blumen, die unsere Äs- der sich trotz verbesserter Techniken thetik ansprechen, die Weidenzweige, in Anbau und Unterdrückung von „Un- um daraus Körbe herzustellen, Baum- kräutern“ vieles bis ins 20. Jahrhundert wolle und andere Pflanzenstoffe zur erhalten hat, förderte die Pflanzenar- Herstellung von Kleidung, nach wie iStock/andrearenata tenvielfalt, da sie eine Diversifizierung vor Pflanzen, die heilwirksame Stoffe5 der Lebensräume mit sich brachte. 3 beinhalten. Aber auch Rasenflächen für Für die Bauern war allerdings die Sport – was wären die Revier-Fußball- fehlende Kontrolle über bedrängende clubs ohne ihre lebenden Spielfelder? Umwe lt f a k toren ( inklus ive „Un- Baumwolle als Textillieferant Populäre Darstellungen über Pflan- kräutern“) weniger günstig, teilweise zen, angefangen bei ihrer Evolution, sogar gefährlich, weil Missernten zum fel doch weit verbreitet und für die über trickreiche und geniale Anpas- Hungertod führen konnten (so wie meisten Menschen verfügbar. Manche sungen bis zu ihrer Verwendung und es in manchen armen Ländern noch dieser ubiquitären Arten waren aber ihrer Bedeutung für den Menschen heute ist). Der Anbau bestimmter früher durchaus seltener und dann existieren inzwischen recht viele.6 Pflanzen konnte reich und mächtig entsprechend begehrt (siehe die vier machen und Begehrlichkeiten wecken. Beispiele bei Pollan 2002). Mitunter n Klimawandel Arme Länder haben durchaus bereits konnte es gefährlich sein, bestimmte In Zeiten des Klimawandels kommt aber Schwierigkeiten, an die wichtigsten Pflanzen(-teile) zu handeln und damit noch als weiterer, für uns zunehmend Ernährungsgewächse („sieben Säulen zu reisen – beispielsweise Muskat- lebenswichtiger Aspekt hinzu: Pflan- der Welternährung“, vgl. Brücher 1982, nüsse.4 Zivilisatorische Entwicklungen zen können extreme Klimasituationen ferner Thompson 2012) heranzukom- brachten uns über mehrere Etappen in abmildern, was besonders für Städte men. Dennoch sind die Getreidearten die heutige Situation. Aber die Abhän- und generell Siedlungsbereiche gilt. und auch andere Anbaupflanzen wie gigkeiten bestehen heute noch immer, Klimaanpassung kann nur durch maß- beispielsweise Sojabohne und Kartof- insbesondere die lebensnotwendigen gebliche Unterstützung durch Pflanzen 12
Ohne Pflanzen kein Leben gelingen. Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille, denn die einseitige För- derung bestimmter Pflanzenarten für Klimaanpassungsmaßnahmen hilft den Arten und Vegetationstypen wenig, die durch die Erwärmung zurückgehen beziehungsweise sich nachteilig verän- dern.7 Das Ausmaß eines Aussterbens in unmittelbarer Folge des Klimawandels wird unterschiedlich eingeschätzt. Je höher die Temperaturen jedoch steigen, desto höher scheint die Zahl der Arten, deren Vorkommen aussterben wer- den. Vor allem sind die „biologischen Schätze“, die endemischen Arten mit iStock/idizimage ganz kleinen, fast punktartigen Ver- breitungsgebieten, betroffen (vgl. die Ergebnisse der Studienauswertungen bei Urban 2015). Durch den Klimawan- Die Folgen des Klimawandels del kann bis zum Jahre 2080 die Hälfte der Pflanzenarten weltweit 50 Prozent vorgenommen wurden, beispielsweise Böden so nachhaltig verändert hat, dass ihrer Bestände einbüßen, wenn die bei den Ackerbegleitpflanzen, die als man von einer grundsätzlichen Floren- Schlussfolgerungen von Warren & al. „Unkräuter“ früher durchaus ein Pro- verarmung sprechen muss. Biotope, die (2013) nur annähernd zutreffen. blem darstellen konnten. Durch Her- auf nährstoffarmen Böden gründen, wie bizide und Bestandsverdichtungen der Heiden und Moore, sind extrem selten n Gefahr Mensch Äcker sind viele Arten heute extrem sel- geworden – einerseits durch Verände- Vor diesem Hintergrund ist grundsätz- ten geworden. Häufiger wurden die Le- rungen der Vegetation und Flora in Folge lich über die Gefährdung von Pflanzen bensräume der Arten so stark verändert, von Nährstoffeinträgen, andererseits durch den Menschen zu reden. Wenn dass sie dort verschwanden. Das beste war man darauf aus, dieses „Ödland“ wir auch nach wie vor abhängig von den Beispiel ist die allgemeine Hypertrophie- zu entwässern, den Torf zu nutzen, die Gewächsen sind, so hat es uns nicht da- rung der Landschaft, also die zeitweilig Böden zu „verbessern“ und „ordent- ran gehindert, einen Artenrückgang zu ungehemmte Anwendung von Gülle und licher“ Landwirtschaft zuzuführen – mit bewirken. Wobei bewusste Ausrottungs- Mineraldüngern, die das Vegetationsbild den entsprechenden Maßnahmen. Ob maßnahmen nur bei wenigen Gruppen gerade auf den mittleren bis schweren sich derzeit bei meist sparsamerer An- 13
Ohne Pflanzen kein Leben wendung von Dünger etwas verändert, der Gewächse eine Rolle spielt, sondern im Einzelnen und aller Ausführlichkeit siehe bleibt abzuwarten. Heutzutage kommt auch Kooperationen existieren, die beim Ellenberg & Leuschner 2010, wo auch die der dafür verantwortliche Stickstoff Menschen eine ausgeprägte Pflanzen- menschlich bedingte Historie vieler Pflan- hauptsächlich aus der Luft – Abgase empathie wecken können. Zumindest zengesellschaften gut dargestellt ist; eine von Autos und Kraftwerken. Weltweit scheint dies Peter Wohlleben (2015) mit lesenswerte Geschichte der Landschaft in ist inzwischen eine von fünf Pflanzen- seinem „geheimen Leben der Bäume“ geographisch vielheitlicher Hinsicht, die arten vom Aussterben bedroht (vgl. gut herüber zu bringen – wenn auch von auch das Verhältnis Pflanze/Mensch immer Brummitt & al. 2012; zur Situation in anderer Seite durchaus negativ kritisiert. wieder reflektiert, liefert Küster 1995; zum Deutschland siehe Emde & al. 2015). Ein bisschen Respekt vor denen, die die Landnutzungswandel vgl. ferner Bork & al. Bedingungen für unser Leben geschaf- 1998 und zu einer umweltorientierteren n Pflanzen im Alltag fen haben und von denen wir weiterhin Perspektive Radkau 2002. Pflanzen spielen wieder im Alltag des abhängig sind und sein werden, ist in 4 Hierzu siehe ausführlich Milton 2002; es gab nachmodernen Menschen eine größere jedem Fall angebracht. sogar Piraten als „Pflanzenjäger“, vgl. Claus Rolle, abseits des üblichen Blumen- Nebenbei sei abschließend erwähnt: & Menon 1996; Weiteres zu begehrten Ge- pflanzens und -bewunderns. Gärtnern Ihre Allgegenwart macht auch Pflanzen würzen bei Küster 2003, zu pflanzenbürtigen ist generell wieder beliebt, nicht nur bisweilen zu Gegenständen von aben- Genussmitteln bei Hengartner & Merki 2001. im eigenen Garten, sondern auch als teuerlichen Legenden, „Räuberpistolen“ 5 Man denke an Präparate wie Aspirin, bei Urban Gardening zum Beispiel in Form und Verschwörungstheorien. Zur Belu- dessen ursprünglicher Herstellung ebenfalls von Gemeinschaftsgärten. Der eigene stigung sei als Beispiel ein Bericht über Weiden, aber auch das Mädesüß eine Rolle Anbau von Gemüse und Obst ist wieder einen angeblich menschenfressenden spielten. „in“, fast sogar stärker als in der letzten Baum auf Madagaskar erwähnt, der bei 6 u.a. Brosse 2002, Pelt & al. 2002, Arzt 2011, „Trendwelle“ in den 1980er-Jahren. Probst (1992: 200 f.) wiedergegeben dazu Populäres zum Sex der Pflanzen bei Der allzeit bereite Mensch benötigt und absolut lesenswert ist. Bristow 1994, Fieses aus der Pflanzenwelt bei „Superfood“ und konsumiert doch Stewart 2011, rekordverdächtige Gewächse meist nur Früchte, die auch früher auf Anmerkungen bei Čeman 1998, Vielfältiges über Pflanzen dem Speiseplan waren. Nur werden sie 1 Sehr eingängig wird die Fotosynthese be- aus westfälischer Perspektive bei Crazius & jetzt neu kombiniert, beispielsweise zu schrieben u.a. bei Paulsen 2003, anspruchs- Tenbergen 2007 und vieles mehr. Smoothies und angesagten Obstsalaten. voller, aber nicht minder lesenswert bei 7 Generelle Anmerkungen dazu siehe vor allem „Food for the future“ (Tudge 2002) ist Hofmann & Schwerdtfeger 1998. bei Dierssen & al. 2008 sowie Szenarien, die gefragt, doch soll es nicht gentechnisch 2 Siehe detailliert, teilweise auch kritisch auf- für Nordrhein-Westfalen entwickelt wurden, verändert sein. Also kehren alte An- einander bezogen, bei Holland 1984, 2006, bei MKULNV NRW 2010, ferner ein Schutz- bau- und Züchtungsmethoden wieder. Bowes 1996, Berner 2005, Catling & Claire plan, der jedoch genau wie die Szenarien Und dann wird auch noch populär, dass 2005, Shaw 2008, Sosa Torres & al. 2015. weiterhin ausführlicher Diskussion bedarf, nicht nur Konkurrenzkampf im Leben 3 Für die Biotope und ihre Vegetationstypen bei MKULNV NRW 2015. 14
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Ohne Pflanzen kein Leben n Sortenvielfalt – die Basis der Landwirtschaft Saatgut ist Kultur- und Gemeingut von Ophelia Nick und Gregor Kaiser Seit die Menschen sesshaft geworden sind, züchten sie Pflanzen und Tiere für die Nahrungsmittelerzeugung und andere Bedarfe. So haben sie über Jahrtausende eine vielfältige Anzahl an Haustieren, Getreide-, Obst- und Gemüsesorten entwickelt. Sie waren meist regional angepasst, widerstands- fähig und im Geschmack unterschied- iStock/Vetic lich. Immer wieder gab es sprunghafte Entwicklungen in der Erzeugung von Lebensmitteln. Heute erzeugen nur noch wenige Konzerne das Saatgut. So veränderte sich die Landwirtschaft vor hat sich die Züchtung nochmal sehr stark werden konnten, wurden weltweit etwa 200 Jahren mit der Entdeckung des entwickelt. Zu Beginn des 20. Jahrhun- Gesetze entwickelt, mit denen sie ihre mineralischen Düngers und der Mecha- derts fokussierten sich – insbesondere Zucht schützen und vermarkten konn- nisierung fundamental. Bis vor etwa 100 in den westlichen Industriestaaten – ten. Die heutigen Sortenschutzgesetze Jahren erfolgte die Nachzucht vor allem immer mehr Unternehmen auf die reine und das Saatgutverkehrsgesetz haben durch Wiederaussaat des Ernteguts der Pflanzenzüchtung. Bis die gewünschten ihren Ursprung in dieser Zeit. Im Sor- besten Pflanzen, durch nachbarschaft- neuen Eigenschaften der Sorten aus- tenschutzgesetz werden Schutzanforde- lichen Austausch oder Kreuzung mit geprägt und stabil über Generationen rungen und -dauer neuer Pflanzensorten verwandten Arten auf den Feldern der vorlagen, vergingen einige Jahre, so dass beschrieben; im Saatgutverkehrsgesetz Bauern. Seitdem hat sich im Bereich der die Züchtung ein immer aufwändigerer die Zulassung, die Vermehrung und Getreide-, Gemüse- und Obstsorten viel und teurerer Prozess wurde. Damit die der Handel mit Saatgut. Ab Mitte der verändert. In den vergangenen 30 Jahren Züchter für ihre Bemühungen belohnt 1950er-Jahre machte die Züchtung mit 17
Ohne Pflanzen kein Leben neuen Erkenntnissen zur Hybridzüch- von wenigen global anbaubaren Sorten. n Der „Fortschritt“ tung, Grüner Revolution und später War die Pflanzenzüchterlandschaft in Die Veränderungen im Pflanzenanbau den gentechnologischen Verfahren Europa, aber auch den USA zunächst durch Saatgutzucht mächtiger Kon- weitere Verfahrensfortschritte (deren mittelständisch geprägt, hat sich dies zerne gehen einher mit Veränderungen Auswirkungen von vielen Verbänden vor allem im Laufe der vergangenen 30 im Bereich Düngemittel, Pestizide und und Bäuerinnen und Bauern kritisch Jahre geändert. Mittlerweile erzeugen der Entwicklung von immer größeren hinterfragt werden). nur noch eine Handvoll Konzerne für Landmaschinen und dem Einzug der Di- den weltweiten Bedarf an Saatgut. In gitalisierung in der Landwirtschaft. Die n Die Hybridtechnologie Deutschland gibt es heute gegenüber Veränderungen unserer Lebensmittel, Die Hybridtechnologie sorgte, verbun- dem Jahr 2000 25 Prozent weniger der Böden und der die Landwirtschaft den mit der Notwendigkeit eines erhöh- Züchtungsfirmen. Zurzeit gibt es eine umgebenden Natur bleiben davon ten Inputs von unter anderem Dünger, Fusionswelle, an deren Ende drei große nicht unberührt. Der „Fortschritt“ ist für enorme Ertragsgewinne. Allerdings Konzerne 60 Prozent des Saatgutes verbunden mit dem fortschreitenden waren (und sind) Aussaaten aus dem mit den passenden Agrarchemikalien Verlust der biologischen Vielfalt unserer Erntegut so gut wie nicht mehr möglich, herstellen. Syngenta, Dow Chemicals Kultur- und Wildpflanzen und -tiere. denn der sogenannte Nachbau wurde und Bayer/Monsanto gehören zu den Ackerrandkräuter, Wildblumen, Hecken, technisch eingeschränkt. Gentechnische Megaplayern in dieser Branche. Büsche, alte Obstbäume und viele Grä- Züchtungsverfahren gewinnen seit den Die Privatwirtschaft konzentriert ser verschwinden aus der Landschaft. 1990er-Jahren immer mehr an Bedeu- sich bei der Zucht auf hohen Ertrag Optimierte Flächenzuschnitte, größere tung und somit auch die Patentierung und Schnellwüchsigkeit und macht es Schläge, begradigte Bäche, trockenge- biologischer Ressourcen und Verfahren. dem Landwirt durch die mitgelieferten legte Feuchtwiesen sind auch Ursache Hunderte Patente auf Pflanzensorten Dünge- und Pestizidmittel einfach, seine für eine immer geringere Artenzusam- sind beispielsweise bei dem Europä- Saat erfolgreich wachsen zu lassen. Viel- mensetzung vieler heimischer Tiere ischen Patentamt in München erteilt falt, die Zucht auf Widerstandsfähigkeit und Pflanzen. Ganze Nahrungsketten worden. und Regionalität stehen nicht im Fokus verschwinden, so dass mittlerweile Wo früher die Zucht regional und oft dieser Firmen, und deshalb muss darüber selbst die Bestäubung durch Bienen im eigenen Betrieb durchgeführt wurde, nachgedacht werden, wie weitere züch- gefährdet ist. erfolgt nun die Zucht und der Anbau terische Alternativen zukunftsgerecht Da Arten umso überlebensfähiger arbeitsteilig: Zucht im Konzern, Anbau entwickelt werden können. Auch muss sind, je größer und vielfältiger ihre durch Landwirte. Das Zuchtwissen der Zusatz externer Ressourcen (Dün- biologische Grundlage ist, müssen wir verschwindet so aus dem bäuerlichen gemittel, Pestizide) dringend reduziert sowohl unsere Landwirtschaft als auch Beruf. Insbesondere in der konven- werden, um Fortschritte im Hinblick die umgebende Natur ganzheitlich be- tionellen Landwirtschaft ist das ein auf eine nachhaltige, klimaangepasste trachten. „Biologische Vielfalt umfasst Problem, die Märkte werden dominiert Landwirtschaft zu erreichen. den Reichtum an Pflanzen, Tieren, Pilzen 18
Ohne Pflanzen kein Leben und Mikroorganismen ebenso wie die lage gefährdet ist. Die seit Jahrzehnten gegangen ist. Deshalb wird nun neu Vielfalt an Lebensräumen und Erban- weltweit fortschreitende Privatisierung über Initiativen, Kooperationen und lagen.“1 Wir brauchen also die Vielfalt und Patentierung des Saatgutes haben Zuchtweisen nachgedacht. Dabei steht unserer Sorten und Rassen, damit sie zu einer Verarmung an Sorten und zu eine enge Verzahnung zwischen Züch- sich regenerieren und an sich ändernde einseitigen Züchtungszielen geführt. tung und bäuerlicher Landwirtschaft im Umweltbedingungen (zum Beispiel Kli- Es gibt einige meist regionale Züch- Vordergrund. Unter Begriffen wie Par- mawandel) anpassen können. tungsvereinigungen, die erfolgreich ticipatory plant breeding, Open Source Gemüse, Obst oder Getreidesorten Züchtungskonzepte, Saatgutbörsen, n Alternativen finden züchten, die mit wenig oder ohne Saatgutcent, Saatgutfonds-Model- Wir verstehen die über Jahrtausende Dünger und Pestizide Ertrag bringen. le, haben sich hochspannende neue entwickelte Sortenvielfalt als kulturelles In der Fläche jedoch bemerken viele Züchtungsansätze und Vertriebswege Erbe der Menschheit, das in seiner regi- kleinere Einheiten (wie Biohöfe, oder entwickelt. onalen und widerstandsfähigen Weise Gartenvereinigungen), dass sie viele Klar ist jedoch, dass sich die Ge- weiterentwickelt werden soll. Wider- Sorten gar nicht mehr erwerben kön- sellschaft an den Kosten beteiligen standsfähigkeit gegen Umweltbedin- nen. Die Bewegung der Kleingärten und muss. Denn hier stehen eben nicht die gungen, Wettereinflüsse und Krank- Gemeinschaftsgärten wie Urban Gar- wirtschaftlichen, sondern die gesamt- heiten müssen Zuchtziele sein. Denn dening oder solidarische Landwirtschaft gesellschaftlichen Interessen im Vor- Saatgut ist Gemeingut. Wirtschaftliche fordern zu Recht ein anderes Angebot dergrund: Saatguterzeugnisse in ihrer Interessen hören da auf, wenn die kul- an Pflanzen für ihren Anbau und zei- Vielfältigkeit, Widerstandsfähigkeit, turelle Vielfalt unserer Nahrungsgrund- gen auf, dass hier bereits viel verloren Regionalität und häufig Anspruchslo- sigkeit zu erhalten. Die Landwir t schaf t braucht ein breites Spektrum an Nutzpflanzen, die aktiv angebaut, vermehrt und auch weitergezüchtet werden, denn nur dann kann sie den Herausforderungen eines sich wandelnden Klimas und den häufiger auftretenden Wetterextre- men begegnen. Sowohl der aktuelle Nachhaltigkeitsbericht der Bundes- iStock/AdamG1975 regierung als auch eine Studie von Saatgut: Die Landwirtschaft braucht ein breites Spektrum an Nutzpflanzen. 19
Ohne Pflanzen kein Leben Greenpeace fordern eine grundlegende Züchtungserfolge erreicht werden, und fördern und uns gemeinsam dafür Veränderung der landwirtschaftlichen die all diesen Anforderungen gerecht einsetzen, dass Bauern, Gärtner, wir Bewirtschaftung. Nur so können wir wurden – und das ohne Gentechnik. alle den freien Zugang zu den Saaten ökologisch und global verträglich Le- So entwickelte etwa der Biobauer Marc behalten: Im Interesse der biologischen bensmittel erzeugen. Der Züchtung von Rijsselberghe auf Texel „salziges Vielfalt, im Interesse der bäuerlichen der Nutzpflanzen kommt dabei eine Biogemüse“, das heißt Sorten, die Landwirtschaft, im Interesse für eine entscheidende Bedeutung zu. Viele auf salzhaltigen Böden und mit mehr gute, ökologisch verträgliche und si- ökologische Pflanzenzüchterinnen und oder weniger salzhaltigem Wasser be- chere Ernährung. Pflanzenzüchter und Initiativen zeigen, wässert werden. Diese Initiative eines dass es geht. Sie haben sich zur Aufga- Einzelnen hat in einigen Ländern für Anmerkung be gemacht, Sorten zu entwickeln, die Aufmerksamkeit gesorgt und die Sorten 1 Bundesministerium für Umwelt, Natur- ohne Pestizide und Düngemittel gute werden neuerdings in Asien angebaut schutz, Bau und Reaktorsicherheit, Na- Erträge bringen und regional angepasst und weitergezüchtet. turschutz-Offensive 2020, Bericht vom sind. Die Anforderungen der Zukunft Saatgut ist ein Kultur- und Allge- Oktober 2015 sind eine wachsende Weltbevölkerung, meingut. Wir müssen gegen die wei- mehr Trockenheit und neue Krank- tere Privatisierung dieser genetischen Literatur heiten. Hier konnten bereits vereinzelt Ressourcen Alternativen entwickeln Banzhaf, Anja: Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekum-Verlag 2016. Johannes Kotschi, Klaus Rapf: Befreiung des Saatguts durch open source Lizensierung. AGRECOL 2016. Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeits- strategie 2016 https://www.bundesregierung. de/Webs/Breg/DE/Themen/Nachhaltigkeits- strategie/_node.html. Heinrich-Böll-Stiftung (Hg): Konzernatlas, https://www.boell.de/de/konzernatlas?utm_ campaign=ds_konzernatlas. iStock/ValentinVolkov/goir Greenpeace Deutschland (Hg): Kursbuch Agrarwende 2050, http://www.greenpeace. de/presse/publikationen/kursbuch-agrarwen- de-2050. Schrot & Korn, (bioverlag gmbh): Wer hat sie Biobauern entwickeln Gemüse, das auf salzhaltigen Böden wächst. gezüchtet? Ausgabe 1, 2017. 20
Ohne Pflanzen kein Leben n Nachwachsende Rohstoffe Die Diskussion um „Tank oder Teller" von Heinz-Wilhelm Büscher Der Mensch betreibt seit 12.000 Jahren gezielt den Anbau von Pflan- zen. Seit mehr als 5.000 Jahren ist der Ackerbau am Hellweg nachgewiesen. Seit jeher teilt sich die Ernte in Erzeug- nisse zum Verzehr für Mensch und Tier und sogenannte nachwachsende Rohstoffe, Faserpflanzen wie Lein und Hanf und Ölpflanzen wie Raps und WLV Sonnenblumen. Raps gehört zu den empfindlichen Kulturpflanzen. n Treibstoffe Bis in die Mitte des vorherigen Jahr- und Arbeitsmaschinen stammte natürlich der fossilen Reserven, aber auch die hunderts waren die meisten Betriebe nicht vom Acker, sondern aus den Ölquel- immer weiter zurückgehenden Preise für auf Zugtiere, also Pferde und Rinder, len des Mittleren und Nahen Ostens. Erst Agrarerzeugnisse auf. Mit den wieder angewiesen. Das Futter dieser Tiere be- nach den Energiekrisen der 1970er-Jahre steigenden Rohölpreisen erreichte der anspruchte etwa ein Viertel der Anbau- begann die Suche nach alternativen Ener- Brennwert des Weizens den doppelten fläche eines Hofes. Aus diesem Grund gieträgern. Erste Verfahren zur Herstel- Betrag als würde er als Futter- und Nah- konnten sich kleinere Höfe oder Höfe lung von Ethanol als Fahrzeugtreibstoff rungsmittel verwendet werden. in unfruchtbaren Gegenden gar keine aus Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide Als Alternative zum Diesel wird seit Pferde leisten. wurden entwickelt. Ende der 1990er-Jahre in Europa die Mit Einführung der Traktoren wurde In den 1980er-Jahren normalisierten Biodieselproduktion durchgeführt. In- diese Fläche für die Ernährung frei, was sich die Erdölpreise, und die Aktivitäten zwischen liegt der Beimischungsanteil in der Versorgungssituation nach dem schliefen wieder ein. Erst Anfang der im Tankstellendiesel bei sieben Prozent. Zweiten Weltkrieg ein wichtiges Argu- 1990er-Jahre kamen Diskussionen über Durch die geänderten Besteuerungs- ment war. Der Diesel für die Traktoren den Treibhauseffekt, die Endlichkeit grundlagen ist die Verwendung von 21
Ohne Pflanzen kein Leben reinem Biodiesel als Kraftstoff zum Er- Anbau von Weizen oder Gerste hervorra- von chemischen Pflanzenschutzmitteln liegen gekommen. Für Biodiesel werden gende Voraussetzungen. Der Raps blüht (Herbiziden und Insektiziden) wäre ein 70 Prozent Rapsöl verwendet, daneben je nach Witterung im April und Mai. Anbau nicht möglich. Der ökologische auch Altspeisefette, Palmöl, Sojaöl und Raps und Bienen gehören zusammen. Anbau von Raps hat aufgrund des hohen tierische Fette. Bei der Produktion von Für die Bienen stellt er eine ergiebige Unkraut-, Schädlings- und Krankheits- Biodiesel fällt Glycerin und das hoch- Nahrungsquelle dar und gleichzeitig drucks nur sehr geringe Bedeutung. wertige Eiweißfuttermittel Rapsschrot ist der Rapsertrag von der Bestäubung an. Rapsschrot ersetzt inzwischen in durch die Bienen abhängig. n Strom und Wärme großen Teilen der Rindviehhaltung das Raps gehört zu den empfindlicheren Das im Jahr 2000 beschlossene erneu- importierte Sojaschrot. Kulturpflanzen. Verschiedene Krank- erbare Energie-Gesetz (EEG) wurde Von einem Hektar – 10.000 Qua- heiten wie Rapskrebs und Kohlhernie 2004, 2009, 2012 sowie 2014 mehr dratmeter – werden durchschnittlich können nur durch eine weite Fruchtfolge oder weniger verändert. Ziel war es, 3.500 Kilogramm Raps geerntet. Hie- vermieden werden. Deshalb kann Raps im Interesse des Klima- und Umwelt- raus entstehen im Produktionsprozess nicht mehrfach hintereinander auf einem schutzes eine nachhaltige Entwicklung 1.500 Liter Biodiesel, 2.000 Kilogramm Acker angebaut werden. Nach einem der Energieversorgung zu ermöglichen, Rapsschrot und 130 Kilogramm Glycerin. Rapsjahr müssen drei bis vier Jahre an- fossile Energieressourcen zu schonen Da Rapsöle biologisch abbaubar sind, dere Pflanzen dort wachsen. Kohlfliege, und die Weiterentwicklung von Tech- verwendet man Schmierstoffe aus Rapsöl Rapserdfloh und Rübsenblattwespe nologien zur Erzeugung von Strom aus im Forst und Tiefbau. Im Kreis Unna wird bedrohen den Raps im Herbst, wäh- erneuerbaren Quellen zu fördern. Bis auf einer Fläche von 1.800 Hektar Raps rend im Frühjahr Rapsglanzkäfer, Kohl- zum Jahre 2025 sollte der Anteil erneuer- angebaut. Dies entspricht einem Anteil an schotenrüßler und Kohlschotenmücke barer Energien an der Stromversorgung der Ackerfläche von acht Prozent. auf ihn einwirken. Beim chemischen auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf Raps gehört zur Familie der Kreuz- Pflanzenschutz (Insektizide) im Raps ist 55 bis 60 Prozent erhöht werden. Ne- blütler (Brassicaceae) und bildet einen bis darauf zu achten, dass keine Gefähr- ben Wind- und Wasserkraft findet sich zu zwei Meter hohen stark verzweigten dung der Bienen erfolgt. Deshalb findet auch die Photovoltaik und Nutzung der Stängel. Lehmböden, wie sie vor allem der Pflanzenschutz während der Blüte Biomasse im EEG wieder. Die Nutzung im mittleren und südlichen Kreisgebiet ausschließlich abends und nachts nach von Biomasse durch Vergärung in Bio- vorhanden sind, eignen sich besonders Ende des Bienenfluges statt. gasanlagen stellt in unserer Region die gut für den Rapsanbau. Raps wird im Nach der Aussaat im August hat der gebräuchlichste Form dar. Biogas ist August gesät und im Juli des nächsten Raps große Schwierigkeiten, sich gegen speicherbar und kann daher bedarfsge- Jahres geerntet, bedeckt den Boden Ausfallgetreide, Ackerfuchsschwanz, recht verstromt werden. also mehr als elf Monate. Der Boden Klettenlabkraut und Vogelmiere durchzu- Im Kreis Unna gibt es nach der Be- wird durch den Raps tief durchwurzelt setzen. Im Frühjahr breitet sich die Rauke treiber-Datenbank der Landwirtschafts- und hinterlässt für einen nachfolgenden in den Beständen aus. Ohne den Einsatz kammer Nordrhein-Westfalen zehn 22
Ohne Pflanzen kein Leben Biogasanlagen mit einer elektrischen gang Temperaturen über sieben Grad Warum steht nun der Maisanbau Gesamtleistung von 4,4 Megawatt. Hin- Celsius benötigt. Mais wird im Einzel- so in der Kritik? zu kommen industrielle und kommunale kornverfahren in Reihen von 75 Zenti- Es fallen die Stichworte Monokultur, Anlagen. Die zehn landwirtschaftlichen meter Abstand zwischen den jeweiligen Vermaisung, Artenschwund und anderes Biogasanlagen verwerten knapp zur Reihen und von zehn bis 20 Zentimetern mehr. Hierzu einige Fakten: Mais ist die Hälfte landwirtschaftliche Reststoffe, in der Reihe gesät. Dadurch dauert es größte Nutzpflanze. Mit einer Höhe wie Schweine- und Rindergülle, Rinder-, bis Mitte Juni bis der Acker von der Ve- von mehr als drei Metern überragt er Pferde- und Hühnermist. Der größere getation bedeckt ist. In erosionsgefähr- alle anderen Kulturen und kann entlang Teil der Inputstoffe besteht aus nach- deten Gebieten und Hanglagen besteht von Wegen einengend und bedrohlich wachsenden Rohstoffen wie Mais- und deshalb die Gefahr der Abschwemmung wirken. Hier versuchen die Landwirte Grassilage, Getreide-Ganzpflanzensilage bei Starkregenereignissen. Deshalb wird inzwischen, mit Feldrand- und Blühstrei- (GPS), Zuckerrüben und Zwischenfrüch- Mais dort vermehrt mit Grasuntersaaten fen für Auflockerung zu sorgen. Mais ist ten. Mit einem umgerechneten Ertrag und Feldrandstreifen angebaut. Mais als eine der wenigen Pflanzen selbstver- von etwa 23.000 kWh el/ha ist der Mais benötigt bis zur Abreife Nährstoffe aus träglich und könnte jahrelang auf der die ertragsreichste Energiepflanze. Zu- dem Boden: 200 kg/ha Stickstoff (N), gleichen Fläche angebaut werden. Dies ckerrüben und Getreide-GPS kommen 125 kg/ha Phosphat (P 2O 5 ) 250 kg/ bezeichnet man dann als Monokultur. auf 18.000 kWh el/ha und Grünland auf ha, Kali (K 2O), 65 kg/ha Magnesium Im Kreis Unna betrug im vergangenen maximal 14.000 kWh el/ha. (MgO). Diese Nährstoffe müssen durch Jahr der Maisanteil an den Ackerfrüchten Hieraus folgt, dass Mais die für die Düngung zugeführt werden, wobei die nur 22,3 Prozent, so dass nur in jedem Erzeugung von Biogas attraktivste im Boden vorhandenen Ressourcen zu vierten bis fünften Jahr Mais im Rahmen Pflanze ist. Mais gehört zur Familie der berücksichtigen sind. Hierzu bietet sich der Fruchtfolge auf einem Acker steht. In Gräser und war ursprünglich in Süd- die in der Viehhaltung anfallende Gülle Regionen, in denen Weizen, Raps und an- und Mittelamerika beheimatet. Mais ist als Wirtschaftsdünger an. Nach der eine Pflanze, die an warme und sonnige Düngeverordnung dürfen maximal 170 Klimaverhältnisse angepasst ist. Dabei kg N/ha aus Wirtschaftsdünger ausge- wird das Kohlendioxid-Angebot von der bracht werden, was einer Güllemenge Pflanze optimal genutzt. Mais gehört zu von 40 bis 50 cbm/ha entspricht. Davon den Profiteuren des Klimawandels. wird die Hälfte vor der Saat eingearbei- Aufgrund seiner Kälteempfindlichkeit tet und die andere Hälfte bodennah in brauchte es eine lange und intensive den stehenden Bestand ausgebracht. Züchtungszeit, bis der Mais in unseren Damit werden die Emissionen begrenzt. WLV Gegenden angebaut werden konnte. Aufgrund seines hohen Aneignungs- Mais wird Mitte bis Ende April gesät, vermögens ist der Mais in der Lage, alle Ernte: Mais ist für die Erzeugung von weil er zur Keimung und zum Feldauf- ausgebrachten Nährstoffe zu verwerten. Biodiesel die attraktivste Pflanze. 23
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