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Plant Studies: Pflanzen
kulturwissenschaftlich erforschen –
Grundlagen, Tendenzen, Perspektiven

     © 2020 Urte Stobbe, licensee De Gruyter Open. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License
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Abstract: In der deutschsprachigen Forschungslandschaft bildet sich derzeit eine kulturwissenschaftliche
Pflanzenforschung (Plant Studies) heraus, die auf den neueren Untersuchungen der Botanik und
Philosophie zu Pflanzen fußt und die theoretischen Grundlagen mit denen des Ecocriticism und der Animal
Studies teilt. Zentrale Strömungen und aktuelle Tendenzen werden ebenso vorgestellt, wie auch der
aktuelle Forschungsstand mit dem Fokus auf der kulturwissenschaftlichen Germanistik.

Keywords: Plant Studies; Pflanzen in Literatur und Kultur; Kulturwissenschaftliche Pflanzen­forschung;
Ecocriticism; Environmental Humanities

*Dr. Urte Stobbe, Universität Vechta, Germany

Pflanzen stehen derzeit hoch im Kurs. Filme Fähigkeit der Bäume, Sozialformationen auszu-
wie Avatar: Aufbruch nach Pandora (2009) oder bilden, in denen sich die Bäume als soziale Wesen
Guardians of the Galaxy (2014) erwecken den gegenseitig helfen und einander beistehen. Auch
Eindruck, als erführen Bäume auch im Block- fragt er, wie es sich eigentlich mit Begriff und
buster-Bereich eine große Wertschätzung. Die Bestimmung des ‚Alters‘ verhält, wenn aus alten
Bücher des Försters und ‚Baumflüsterers‘ Peter Baumstümpfen neue Bäume wachsen und die
Wohlleben werden nicht nur zu Bestsellern, son- Generationen sich rhizomatisch verbinden, und
dern ihrerseits zur Vorlage eines erfolgreichen er lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass auch
Kinofilms. Florilegien wie Benjamin Bühlers und Bäume hochgradig empfindungsfähige Lebewe-
Stefan Riegers Das Wuchern der Pflanzen (2013) sen sind.
dokumentieren eine botanische Vertiefung und          Wohllebens Buch steht im Kontext einer Viel-
Intensivierung der Beschäftigung mit Pflanzen; zahl von Publikationen, die sich publikumswirk-
die Reihe wäre leicht fortzusetzen. Dieser kul- sam mit den Besonderheiten und der Relevanz
turelle Wandel und die gleichzeitige Abholzung nicht nur von Bäumen, sondern von Pflanzen ins-
großer Waldflächen weltweit, die Vernichtung der gesamt für das (zukünftige) Leben auf der Erde
grünen Lungen der Erde, scheinen zwei Seiten beschäftigen. Zu nennen ist exemplarisch Die
einer Medaille zu sein: Der systematischen Ver- Wurzeln der Welt (2018) von Emanuele Coccia.
nichtung steht eine gesteigerte kulturelle Aurati- Ähnlich wie Wohlleben verweist auch er auf seine
sierung gegenüber. Dabei zeigt die zunehmende lebensweltlichen Erfahrungen mit Pflanzen, durch
Präsenz handelnder, sprechender, wirkmächtiger die er einen anderen Blick auf sie entwickelt habe:
Bäume im Unterhaltungsgenre, dass sich etwas
in der Wahrnehmung und Bewertung der ‚pflanz-         Der jahrelange tägliche Kontakt mit Lebewesen, die
                                                      mir ursprünglich so fern waren, hat meinen Blick auf
lichen‘ Natur verändert.
                                                      die Welt nachhaltig geprägt. Dieses Buch versucht, die
    Der Bestseller Das geheime Leben der Bäume        Gedanken zu neuem Leben zu erwecken, die aus diesen
(2015, gleichnamiger Film 2020) von Peter Wohl-       fünf Jahren Betrachtung ihrer Natur, ihres Schweigens,
leben, der als einer der bekanntesten Fürspre-        ihrer anscheinenden Gleichgültigkeit gegenüber aller
cher für eine neue Sicht auf Pflanzen gelten kann,   ‚Kultur‘ erwachsen sind (Coccia 2018, ohne Pag., S. 9).
betrachtet Bäume als soziale Wesen mit eigenen
Kommunikations- und Handlungsformen, denn Als deren zentrale Eigenschaft nennt er, dass sie
ihm zufolge vermögen sie untereinander zu kom- sich uns gegenüber nicht verständlich machen
munizieren, andere vor Schädlingen zu warnen können und keine unmittelbar wahrnehmbare
und ihren Wuchs den äußeren Bedingungen anzu- Reaktion auf Menschen und Menschengemach-
passen. Wohlleben betont (oder behauptet) die tes zeigen. Dabei gäbe es, dies ist die Voraus-
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                        93

 setzung seiner Überlegungen, die Welt, wie wir verarbeiten, miteinander kommunizieren, Erfah-
 sie kennen, ohne Pflanzen gar nicht. Sie erschaf- rungen offensichtlich nicht nur über ein unterir-
 fen sich ihre Umwelt selbst und damit das, was disches Netz oder Duftstoffe an andere Pflanzen
„für die übrigen Lebewesen Wohnraum, ja Welt weitergeben, sondern auch speichern und ihrem
 wird“(Coccia 2018, S. 20).                          Nachwuchs weitergeben. Getragen werden diese
     Angesichts dieser fundamentalen, weil welt- Beobachtungen von der Annahme, dass Pflanzen
 erschaffenden Bedeutung von Pflanzen sticht über ein spezifisches ‚Schwarm‘-Gedächtnis ver-
 umso stärker die vergleichsweise Geringschät- fügen und ‚lernen‘ können. Mit einem Wort: Es
 zung von Pflanzen in der Biologie und Natur-Phi- geht in all diesen jüngeren Veröffentlichungen
 losophie hervor (vgl. Coccia 2018, S. 20-23). So darum, wie wir Pflanzen hinsichtlich ihrer kogniti-
 sprechen Biologen wie Wandersee und Schussler ven, sensitiven und kommunikativen Fähigkeiten
 in Bezug auf ihre eigene Fachdisziplin von einer grundlegend neu denken können.
‚Blindheit‘ gegenüber Pflanzen, einer „plant blind-     So sind in jüngster Zeit aus den „underdogs“
 ness“ (Wandersee/Schussler 2001, S. 2). Michael (Ingensiep 2019, S. 72, Hervorhebung im Origi-
 Marder konstatiert im Bereich der Philosophie, nal) in Naturwissenschaft und Philosophie Lebe-
 dass Pflanzen im westlichen Denken lediglich eine wesen geworden, denen geradezu „menschen-
 Position am Rand des Randständigen zugespro- ähnliche Eigenschaften wie Psyche, Intelligenz,
 chen werde („the margin of the margin“, Mar- Gedächtnis oder Gefühl“ (Ingensiep 2019, S. 72)
 der 2013, S. 2). Auch im Alltagswissen zeigt sich, zugesprochen werden. Damit zeichnet sich eine
 dass es zwar eine Liste der ausgestorbenen und ähnliche Tendenz ab, wie sie zuvor in der kul-
 bedrohten Pflanzen gibt, doch dass diese im Ver- turellen Wahrnehmung von Tieren zu beobach-
 hältnis zu ausgestorbenen und bedrohten Tierar- ten gewesen ist. Insbesondere das Verhältnis
 ten deutlich weniger oder gar nicht bekannt sind zwischen Affe und Mensch lädt dazu ein, die bis-
 (vgl. ähnlich auch Heise 2016, S. 23). Warum ist herigen Kategorien zur Unterscheidung zwischen
 das so? Pflanzen verfügen, anders als Tiere, über Mensch und Tier zu überdenken, wobei notwen-
 kein Gesicht und vor allem über keine Augen, digerweise zwischen Sprache und Kommuni-
 mit denen sie für den Menschen erkennbar eine kation zu differenzieren ist: Zwar können Tiere
 Beziehung aufbauen oder zumindest Kontakt zu über Gerüche, Laute und bestimmte Bewegun-
 nicht-pflanzlichen Lebewesen herstellen können. gen miteinander kommunizieren, doch zeichnet
 Lange Zeit wurde ihnen deshalb auch die Fähig- sich menschliche Sprache zudem durch Kreati-
 keit zu denken, zu empfinden oder zu handeln vität, Unendlichkeit, Abstraktion und Rekursion,
 abgesprochen – die deutsche Redensart ‚vor also Rückbezüglichkeit auf vorher Gesagtes, aus;
 sich hinvegetieren‘ zeugt davon. Das mag einer Grundvoraussetzung für eine Speicherung von
 der Gründe dafür sein, warum Pflanzen deutlich Informationen und den Aufbau komplexer Aus-
 weniger bewusst und meist nur als Hintergrund sage-, Erzähl- und Regelsysteme (vgl. Tischel
 wahrgenommen werden – es sei denn, jemand 2018, S. 152f. und 165).
 beschäftigt sich professionell oder hobbymäßig         Ähnliche begriffliche Unschärfen lassen sich
 mit ihnen oder widmet ihnen ein künstlerisches auch in Bezug auf Pflanzen beobachten. Hans
 oder schriftstellerisches Interesse.                Werner Ingensiep, Verfasser einer Geschichte der
     An dieser vergleichsweise geringen Aufmerk- Pflanzenseele (2001), zeichnet in einer jüngeren
 samkeit gegenüber Pflanzen scheint sich derzeit Veröffentlichung die verschiedenen Modelle zur
 etwas zu ändern. Jüngste Veröffentlichungen Pflanzenseele, zum Vegetativen im Menschen
 beschäftigen sich mit der „Intelligenz der Pflan- und zur Vorstellung der Pflanze als Maschine von
 zen“ (z.B. Mancuso/Viola 2015) und verkünden der Antike bis hin zu aktuellen Diskussionen nach.
 eine „Revolution der Pflanzen“, bei der die „Pflan- Zurecht stellt er die Frage, wie weit eine anschau-
 zen unsere Zukunft erfinden“ (Mancuso 2018). liche Sprache zur Beschreibung von Phänomenen
 Auch andere Autoren (z.B. Baluška/Gagliano/Wit- gehen darf, ohne die tatsächlichen Unterschiede
 zany 2018; Chamovitz 2012; Koechlin 2008, 2014 zwischen Mensch, Tier und Pflanze zu nivellie-
 u. 2016; Nealon 2016; Pollan 2013) stellen heraus, ren – wie etwa das Faktum, dass Pflanzen „ses-
 wie Pflanzen über die verschiedenen Sinne wahr- sile autotrophe Lichtesser sind, höhere Tiere aber
 nehmen, wie sie die so erworbenen Informationen mobile heterotrophe Energieräuber“ (Ingensiep
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2019, S. 77). Notwendig sei eine Diskussion darü- lan 2013) – auf den Plan ruft, die, je nachdem,
ber, ob es sinnvoll und zulässig sei, Anpassungs- eine differenzierte, historisch fundierte und theo-
vorgänge einer Pflanze ohne weitere Differenzie- retisch reflektierte Betrachtung anmahnen oder
rungen als Intelligenz auszuweisen, wie auch aus sich durch die Metaphorik provoziert fühlen. Das
biophilosophischer Perspektive eine Egalisierung Phänomen ist wissenschaftshistorisch betrachtet
von Mensch, Tier und Pflanze statt eines hierar- nicht neu.
chischen Ordnungsmodells die Frage aufwirft, ob              Die verschiedenen Beiträge zur Diskussion
das der Tatsache gerecht wird, dass es klar zu           über den Stellenwert und die Besonderheiten von
benennende Interdependenzen in den Nahrungs- Pflanzen fordern mit den Kulturwissenschaften
ketten gibt. So erfolgte aus Perspektive der Anth- auch die sich kulturwissenschaftlich verstehenden
ropogenese die Sesshaftwerdung des Menschen Literaturwissenschaften heraus. Wie in der biolo-
in direkter Abhängigkeit von Pflanzen. Ingensiep gischen und philosophischen Forschung wurden
plädiert für ein reflektiertes, terminologisch prä- Pflanzen auch in den Kulturwissenschaften lange
zises Vorgehen:                                          Zeit kaum als untersuchungswerter Forschungs-
                                                         gegenstand betrachtet. Selbst im Ecocriticism bzw.
    Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie und expe- in den Environmental Humanities – und damit in
    rimentelle Pflanzenforschung sind zu differenzieren,
                                                         Forschungsrichtungen, die sich per definitionem
    statt solche populären Terme enthusiastisch zu einem
    populistischen Brei zu vermischen (Ingensiep 2019,   mit Repräsentationen und Konzepten von Natur in
    S. 76).                                              unterschiedlichen  kulturellen Kontexten beschäf-
                                                         tigen –, lässt sich eine gewisse ‚Pflanzenverges-
Die skizzierten Entwicklungen zeigen, wie sehr senheit‘ beobachten. In den zahlreichen Einfüh-
die jahrhundertelang etablierte Sicht auf Pflan- rungen und Handbüchern (Goodbody/Rigby 2011;
zen in den letzten Jahren in Bewegung geraten Garrard 2012a; Garrard 2014; Westling 2014; Dür-
ist: Pflanzen agieren nicht nur in der Fiktion von beck/Stobbe 2015; Bühler 2016; Zapf 2016; Heise
Filmen und Romanen als aktiv handelnde Wesen, 2017; Dürbeck/Stobbe/Zapf et al. 2018) ebenso in
sondern sie werden auch in der empirischen Wirk- der kulturökologischen Literaturdidaktik (Garrard
lichkeit so wahrgenommen. Sie sind damit näher 2012b; Grimm/Wanning 2016) sind Pflanzen bzw.
an Mensch und Tier herangerückt als je zuvor in Plant Studies bislang nicht präsent (einzige Aus-
der Kulturgeschichte; ihnen werden zumindest nahme: Sandilands 2016). Doch rücken Pflanzen
in Teilen der philosophischen und biologischen derzeit gerade in den Fokus kulturwissenschaft-
Forschung Eigenschaften und Fähigkeiten zuge- licher Forschung.
sprochen, die traditionell nur an Menschen und               Die folgenden Überlegungen verstehen sich
seit einiger Zeit auch an Tieren wahrgenommen als Bestandsaufnahme der bisherigen Grund-
werden, und es wird zunehmend stärker begrif- lagen, Tendenzen und Perspektiven im Bereich
fen, was es heißt, dass Leben auf der Erde ohne der Kulturwissenschaften, mit dem Schwerpunkt
Pflanzen schlechterdings nicht möglich ist und auf Beiträgen einer sich kulturwissenschaftlich
dass sich die Tierwelt einschließlich des Menschen verstehenden Germanistik. Dieses Vorgehen
ohne Pflanzen nicht hätte entwickeln können. redet nicht einer disziplinären, schon gar nicht
Gleichzeitig aber werden Stimmen laut, die die einer nationalen Trennung das Wort, sondern
sich andeutende Auffassung einer allzu großen ist neben der fachlichen Herkunft vor allem der
Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Mensch, Einsicht geschuldet, dass vor einem globalen
Tier und Pflanze problematisieren.                       transdisziplinären Austausch erst die Klärung des
    Damit zeigen sich ganz typische Dynamiken, eigenen, disziplinär gebundenen Standpunkts
wie sie sich stets dann entwickeln, wenn bislang stehen sollte. Welche Aspekte bei der kulturwis-
dominant in der kulturellen Überlieferung eta- senschaftlichen Pflanzenforschung im Fokus des
blierte Gewissheiten erschüttert werden: Eine Interesses stehen, an welche Studien produktiv
gesteigerte Präsenz in den Medien wird flankiert angeknüpft werden kann und inwiefern Pflanzen
von entsprechenden wissenschaftlichen Studien, als Figuren bzw. Handlungsträger zu begreifen
die für eine andere Sichtweisen plädieren, was sind, ist Gegenstand dieses Artikels. Diese Klä-
wiederum die Beharrungskräfte – auch inner- rung ist umso notwendiger, als das Forschungs-
halb der Pflanzenwissenschaften selbst (vgl. Pol- feld, soll es sich mittel- und langfristig etablieren,
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                       95

anschlussfähig in Bezug auf fachinterne Grund-       Inspirationsquellen schlechthin, um auf innova-
annahmen zu gestalten ist. Zugleich ist das Ziel,    tive und resiliente Weise die Herausforderungen
eine intersubjektive Verständigung über die kul-     der Zeit (Klimawandel, Ressourcenknappheit) zu
turwissenschaftliche Relevanz von Plant Studies      meistern (vgl. Mancuso 2018).
auch außerhalb dieser engeren wissenschaftli-             Pflanzen sind nicht nur existenzielle Nah-
chen Community zu ermöglichen.                       rungsmittel- und Sauerstofflieferanten für das
                                                     Leben auf dem Planeten Erde; sie haben auch,
Plant Studies als kulturwissenschaftliches           wie Dutli (2016) exemplarisch anhand der Olive
Forschungsfeld                                       gezeigt hat, ganze Kulturen, wie die des Mittel-
Die kulturwissenschaftliche Pflanzenforschung        meerraumes, geprägt. Pflanzen begegnen uns
richtet ihr Interesse auf die Imaginations- und      entsprechend häufig in kulturellen Artefakten
Darstellungsformen des Vegetabilen in Kunst          sowie in mythischen Erzählungen. Sie sind Attri-
und Literatur ebenso wie in der Alltagskultur.       bute von Göttern und Göttinnen, sie sind in den
Plant Studies, so der in Anlehnung an die Animal     alten Mythen der Menschheit präsent – zu den-
Studies bereits etablierte anglophone Terminus,      ken ist an die Mensch-Pflanze-Verwandlungen in
beschäftigen sich mit ethischen und philoso-         Ovids Metamorphosen oder die Esche Yggdrasil
phischen Fragen über den Status von Pflanzen,        in der Edda –, auf ihrem Gebrauch gründen kom-
widmen sich den historischen wie gegenwärtigen       plexe Rituale, und sie sind seit Jahrhunderten
Mensch-Pflanze-Verhältnissen und fragen nach         Träger symbolischer und metaphorischer Sinnzu-
den Praktiken der Interaktion zwischen Menschen      schreibungen in der Literatur und bildenden Kunst
und Pflanzen in Literatur, Kunst und Kultur. Im      (vgl. exemplarisch Heizmann 1993; Duve/Völker
Fokus des Interesses steht die Weise, in der bota-   2002). Damit entspricht die kulturelle Repräsen-
nisches und botanikales, d.h. ein nicht wissen-      tanz der Pflanzen ihrer existenziellen Bedeutung
schaftlich und institutionell anerkanntes Wissen     für das biologische Leben des Menschen.
über Pflanzen (in Anlehnung an die Bezeichnung‚           Die deutschsprachige Dichtung handelt nicht
medikales Wissen‘ von Pethes/Richter 2008,           nur in ihren erkennbaren mythischen Ursprün-
S. 6f.) in literarischen und nicht-literarischen     gen (die Linde im Nibelungenlied, die magischen
Texten repräsentiert, modifiziert und reflektiert    Bäume und Blumen in den ältesten Überliefe-
wird – und gegebenenfalls Schreibweisen (mit-)       rungsschichten der ‚Volksmärchen‘), in den sti-
hervorbringt, die mit dem Vegetabilen verbunden      lisierten Jahreszeiten und Landschaftsszenerien
sind. Plant Studies arbeiten mit einem kultur-       der Minnedichtung und in der Poesie der Frü-
wissenschaftlich weiten Textbegriff; er umfasst      hen Neuzeit (eindringlich bei Albrecht von Hal-
neben Literatur im engeren Sinn (Lyrik, Epik,        ler, geradezu enzyklopädisch in Brockesʼ Natur-
Dramatik) auch Filme und multimodale Erzähl-         dichtung), sondern auch in der neueren Literatur
texte (Comics, Graphic Novels) ebenso wie nicht-     seit der Goethe-Zeit prominent und meist schon
fiktionale (z.B. wissenschaftliche) Texte.           im Titel markiert von Pflanzen: Goethes Meta-
     Heilkunst wäre ohne die Wirkstoffe von Pflan-   morphose der Pflanzen, die „blaue Blume“ der
zen kaum möglich, viele Drogen (im Sinne hal-        Romantik, Hölderlins Die Eichbäume, Drostes Die
luzinogener Stoffe) und Gifte basieren auf Pflan-    Judenbuche und Mörikes Die schöne Buche, Stif-
zenextrakten (vgl. z.B. Balick 1997; Stewart         ters Der Hochwald und Der beschriebene Tänn-
2011). Genussmittel wie z.B. Kaffee, Tee, Kakao,     ling, Benns Kleine Aster und Rilkes Blaue Hor-
Wein und Bier gäbe es ohne Pflanzen nicht. Pflan-    tensie, Brechts Rede an den Baum Green oder
zen sind die Grundlage fossiler Brennstoffe (z.B.    Döblins Die Ermordung einer Butterblume mögen
Braunkohle), sie waren lange Zeit für die Farb-      als Beispiele genügen, um anzudeuten, dass
gewinnung unerlässlich (z.B. Indigo) wie auch für    sich schon im Bereich der kanonischen Literatur
die Herstellung von Kleidung (Baumwolle, Seide),     reiches Untersuchungsmaterial findet. Auch die
Musikinstrumenten und Schreibgrundlagen (holz-       Gegenwartsliteratur zeigt sich botanisch sensi-
haltiges Papier, Papyrus). Holz ist zudem ein zen-   bilisiert; Gedichte von Heinrich Detering, Marion
traler Bau- und Heizstoff. Pflanzen abgeschaute      Poschmann, Silke Scheuermann und Jan Wag-
Bau- und Organisationsstrukturen gelten der-         ner sind als Beispiele zu nennen. Erkennbar ist
zeit als die zukunftsträchtigen Ideengeber und       zudem, dass auch das neuere Nature Writing (vgl.
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dazu Fischer 2019) die pflanzliche Perspektive                  Derzeit wird in der anglophonen Forschung
zunehmend stärker in ihre Beobachtungen und der Terminus „Critical Plant Studies (CPS)“ am
Reflexionen einbezieht.                                     häufigsten verwendet. 2013 begründet Michael
     Plant Studies sind in ihrer Ausrichtung und Marder, der Verfasser von Plant-Thinking (2013),
Zielsetzung noch fluide. Wenn sich Plant Studies die US-amerikanische Buchreihe Critical Plant
derzeit im deutschsprachigen Bereich zu etablie- Studies mit dem geradezu programmatischen
ren beginnen, so geschieht das in einer dreifa- ersten Band Plants and Literature (Laist 2013).
chen Verklammerung: erstens in Anlehnung an Aktuell sind sechs Bände in der Reihe erschienen.
die Ausdifferenzierung der Animal Studies (vgl. Das erklärte Ziel der Buchreihe lautet:
Borgards 2015, S. 69-71), zweitens in der Über-
nahme analoger Bezeichnungen aus den anglo-                     […] to initiate an interdisciplinary dialogue, whereby
                                                                philosophy and literature would learn from each other
phonen Plant Studies und drittens in Verbindung
                                                                to think about, imagine, and describe, vegetal life with
mit dem großen Forschungsfeld des Ecocriticism                  critical awareness, conceptual rigor, and ethical sensi-
und der Environmental Humanities. Die künfti-                   tivity (https://brill.com/view/serial/CPST).
gen Entwicklungen werden zeigen, ob sich zwi-
schen diesen Forschungsfeldern Divergenzen Critical Plant Studies sind folglich als ethisch
abzeichnen und andere Schwerpunkte herausbil- begründetes und interdisziplinär ausgerichte-
den oder ob sich, auch das ist denkbar und sogar tes Forschungsfeld zu verstehen, das angesichts
wünschenswert, weitere Synergien ergeben und des derzeitigen Umgangs (Abholzung, Patentie-
multiperspektivische Forschungsverbünde ent- rung von Saatgut, profitorientierte Agrikultur)
stehen. Möglicherweise setzt sich eine Binnen- auf einen respektvolleren Umgang mit Pflanzen
unterteilung eingedenk der ohnehin fließenden zielt (https://brill.com/view/serial/CPST). Die
Übergänge nicht durch bzw. wird als wenig ziel- Untersuchungen sollen dazu dienen, kritisches
führend erachtet. So umreißen Vieira, Gagliano Denken in Bezug auf die drängenden Fragen der
und Ryan das Forschungsfeld auf eine Weise, die Zeit zu entwickeln, wobei die Fragestellungen
für die gesamte kulturwissenschaftliche Pflanzen- denen der Tierethik in den Critical Animal Studies
forschung gelten dürfte:                                    ähneln. Matthew Hall hat in Plants as Persons. A
                                                            Philosophical Botany (2011) die Grundlagen der
     Critical plant studies (also known as human-plant      CPS (mit-)gelegt, indem er die Exklusions- und
     studies or, simply, plant studies) has emerged as a
                                                            Inklusionsprozesse von Pflanzen in philosophi-
     broad framework for re-evaluating plants, their repre-
     sentations, and human-plant interactions (Vieira/Gag- schen, religiösen und naturwissenschaftlichen
     liano/Ryan 2017, S. 10).                               Texten unterschiedlicher Kulturkreise analysiert.
                                                            Der Autor skizziert aus ethisch-moralischen
Wenn im Folgenden die Teilbereiche Cultu- Überlegungen heraus ein ideales Verhältnis zwi-
ral Botany, Critical Plant Studies, Human-Plant schen Mensch und Pflanze, das auf Hierarchie-
Studies und Literary (Cultural) Plant Studies freiheit, Verwandtschaftlichkeit und ‚care‘ basiert,
vorgestellt werden, so soll damit eine Diskus- da Pflanzen Personalität (‚personhood‘) zuzu-
sionsgrundlage geschaffen, nicht ein bereits fest sprechen sei. Auch Literatur zeuge davon: „The
umrissenes        Forschungsgebiet        kartographiert notions of plant personhood and human-plant
werden. John C. Ryan hat 2011 den Vorstoß unter- kinship are expressed in stories, poems, and
nommen, das Forschungsfeld der Cultural Botany myths“ (Hall 2011, S. 11f.).
in Anlehnung an die Grundannahmen des Ecocri-                   Im deutschsprachigen Bereich wird die Frage
ticism bzw. der Kulturökologie und der Environ- einer spezifischen ‚Würde der Pflanzen‘ mittler-
mental Humanities zu begründen (vgl. Ryan 2011, weile intensiv diskutiert (vgl. Koechlin 2019).
S. 124). Ryan spricht von Floral Poetics und nennt Koechlin hat sowohl Die Würde der Kreatur bei
als deren Fokus den „dialogue between botany Pflanzen – Die moralische Berücksichtigung von
and the humanities, and particularly between Pflanzen um ihrer selbst willen (http://www.ekah.
plant research and poetry“ (2011, S. 138). Ziel ist admin.ch/de/) von 2008 als auch die Rheinauer
es, die verschiedenen Wissensbereiche in Bezug Thesen zu Rechten von Pflanzen mitverfasst, die
auf Pflanzen einschließlich der Literatur im engen u.a. das Recht der Pflanzen auf das Überleben
Sinn transdisziplinär zusammenzuführen.                     ihrer Art und die Nichtpatentierbarkeit festschrei-
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                                        97

ben (http://www.blauen-institut.ch). Ausgangs-                   Im deutschsprachigen Bereich gibt es das
punkt von Koechlins Engagements ist die Fest-                Forschungsfeld der Human-Plant Studies bis
stellung:                                                    dato nicht – zumindest nicht unter den in die-
                                                             ser Bezeichnung resümierten Voraussetzungen –,
    Wir wissen nicht, ob Pflanzen fähig sind, subjektiv zu   sodass sich nicht einschätzen lässt, mit welchen
    empfinden, ob sie zum Beispiel Schmerzen empfinden
                                                             Prämissen      Mensch-Pflanze-Verhältnisse        bzw.
    können. Nach heutigem Wissensstand lässt sich dies
    nicht belegen, doch wir können es auch nicht einfach     ihre jeweiligen Interaktionen erforscht werden.
    ausschließen. […] Auch Tiere wurden lange Zeit als       Anknüpfen ließe sich an die jüngeren Studien
    seelenlose Maschinen betrachtet, und erst in den         zur (Kultur-)Geschichte der Botanik, der Baum-
    letzten Jahrzehnten sind sie – zumindest teilweise –     schulen und der Suche nach exotischen Pflanzen
    aus dieser mechanistischen Falle entronnen (Koechlin
                                                             (z.B. Müller-Wille 1999; Hielscher/Hücking 2002;
    2019, S. 218).
                                                             Pavord 2008; Butenschön 2012; Lack 2012; Bauks
                                                             2013; Dietz 2017; Klemun 2017), zu Kulturpflan-
Ryan hat 2012 in der anglophonen Forschungs-
                                                             zen und deren Verbindung zum Kolonialismus
Community die Human-Plant Studies (HPS) aus-
                                                             und zur Globalisierung (Hobhouse 1992; Schie-
gerufen – und zwar in expliziter Anlehnung an die
                                                             binger/Swan 2001; Schiebinger 2004; Miedaner
Human-Animal Studies (vgl. Ryan 2012, S. 111f.),
                                                             2014) sowie zur Kulturgeschichte einzelner Pflan-
deren Fokus auf den Interaktionen, Beziehungen
                                                             zen (z.B. Pollan 2001; Dücker 2016; Fischer 2017).
und Verhältnissen zwischen Mensch und Tier liegt.
                                                             Darüber hinaus wären die kulturellen Praktiken
So heißt es in der deutschsprachigen Einführung
                                                             des Züchtens, Pfropfens, Sammelns und Herba-
von Gabriela Kompatscher:
                                                             risierens, des Gärtnerns und des kulinarischen
    Sie [die Human-Animal Studies] untersuchen, welchen      Zubereitens von und floristischen Schmückens
    Raum Tiere in Kultur und Gesellschaft einnehmen und      mit Pflanzen in den Blick zu nehmen, ebenso wie
    wie sich die Lebensweisen von Tieren und Menschen        die ästhetische Zurschaustellung von Pflanzen in
    begegnen und gegenseitig beeinflussen (Kompatscher       den unterschiedlichsten Kontexten (z.B. Parkan-
    2017, S. 16).
                                                             lagen).
                                                                 Als drittes sind die Literary (Cultural) Plant Stu-
Nach Auffassung von Ryan geht es um ganz ähn-
                                                             dies (LPS) zu nennen – ein entsprechendes Netz-
liche Themen in den Human-Plant Studies, wobei
                                                             werk (Literary and Cultural Plant Studies Network)
er Pflanzen nicht mehr wie bisher als rein passiv
                                                             wurde von Joela Jacobs und Isabel Kranz gegrün-
(im klaren Gegensatz zu aktiv handelnd), sondern
                                                             det (https://plants.sites.arizona.edu/). In der Ein-
als „acted upon constituents – rather than acting
                                                             leitung zum Themenheft Das literarische Leben der
partners“ bzw. als „agentic und active participants
                                                             Pflanzen: Poetiken des Botanischen (2017) heißt es
in socioecological systems“ (Ryan 2012, S. 105,
                                                             zu dem neuen Forschungsfeld einzig:
Hervorhebung im Original, und S. 110) auffasst.
Mit der Wahrnehmung, dass Pflanzen Wirkungen                     Im Zentrum der Literary Plant Studies steht die Frage,
auf andere Lebewesen ausüben, verlieren sie                      wie Pflanzen in der Literatur erscheinen, welche
ihren bloßen Objektstatus; ihr Wert definiert sich               aktiven Handlungsspielräume ihnen eingeräumt
nicht länger allein über die Nützlichkeit für Tiere              werden und inwiefern sie daher als Akteure verstan-
                                                                 den werden können. Damit unlösbar verbunden ist die
und Menschen. Fünf Jahre später hat Ryan selbst
                                                                 gegenläufige Perspektive: Inwiefern ändert sich unser
diese Bezeichnung als Synonym für die Critical                   Verständnis von Literatur, sobald wir uns den Pflanzen
Plant Studies bzw. insgesamt die Plant Studies                   zuwenden? Denn wir verstehen pflanzliche Konzepte
vorgeschlagen (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017,                   und vegetabile Seinsweisen weniger als Darstellungs-
S. 10). Das scheint insofern sinnvoll, als die HPS               problem für die Literatur denn als Möglichkeit, grund-
                                                                 legende Fragen dessen, was Literatur sein kann, neu
auf den gleichen Grundannahmen basieren bzw.
                                                                 zu stellen. Aus diesem Grund lohnt es sich, Kulturtech-
auf identische Referenztexte verweisen wie die                   niken, die aus dem Bereich der Flora stammen, wieder
CPS und zudem die „ethics of research involving                  auf ihre vegetabile Herkunft hin zu befragen, um ihre
care and connectivity with plants“ betonen (Ryan                 Potenzialität im Sinne der Cultural Plant Studies zu
2012, S. 116). Die bisherigen Ausdifferenzierungs-               nutzen (Jacobs/Kranz 2017, S. 87).
versuche sind folglich noch unscharf.
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     Weitere Veröffentlichungen sind angekündigt,        Die Formulierung einer Poetik des Pflanz-
 aber noch nicht erschienen. Eine darüber hinaus- lichen erfolgt auf der Grundlage einer Wissens-
 gehende Bestimmung dieses Forschungsfelds poetik, einer Poetik des Wissens, die nach den
 steht folglich noch aus.                            epistemischen Kontexten fiktionaler Texte fragt,
     Das, was im Folgenden skizziert und zur Dis- den Anteil historisch variabler Wissensforma-
 kussion gestellt wird, basiert auf einer partiellen tionen an Genese und Ausformung literarischer
 Übertragung und Modifizierung der entsprechen- Texte rekonstruiert und diese Texte selbst als
 den Überlegungen von Roland Borgards aus dem Teil dieser dynamischen Formierung von Wissen
 Bereich der Literary (Cultural) Animal Studies. begreift. So stehen die Modi der Beobachtung
 Borgards sieht unter anderem in einer kultur- und Darstellung pflanzlicher Aspekte in literari-
 und literaturgeschichtlich informierten Historisie- schen und nicht-literarischen Texten im Fokus,
 rung und Kontextualisierung den entscheidenden deren Schreibweisen sich wechselseitig als „glei-
 Unterschied zu traditionell motivgeschichtlichen chermaßen produktiv und anschlussfähig erwei-
 Untersuchungen (vgl. Borgards 2016, S. 228). sen“ können (Pethes 2016, S. 11; allerdings nicht
 Übertragen auf Pflanzen könnte in den Literary bezogen auf Pflanzen). Im Sinne einer Veranke-
 (Cultural) Plant Studies untersucht werden, wie rung der Plant Studies in der Germanistik ist es
 jeweils zeitgenössisch über Pflanzen gedacht und sinnvoll und wünschenswert, sie in dem mittler-
 gesprochen und was mit ihnen verbunden wurde weile weiten und ausdifferenzierten Forschungs-
– kurz: Es geht darum, das Diskursfeld Pflanze feld ‚Wissen und Literatur‘ zu situieren, das hier
 zu rekonstruieren. Auch ist nach den Mensch- lediglich unter Nennung zentraler Veröffentli-
 Pflanze-Interaktionen im Text selbst zu fragen chungen umrissen werden kann (z.B. Klausnitzer
– mit der Annahme, dass Literatur nicht nur ein 2008; Vogl 2010; Köppe 2011; Borgards/Neu-
 spezifisches Wissen repräsentieren, sondern die- meyer/Pethes et al. 2013).
 ses auch beobachten, reflektieren, modifizieren         Künftig wird auch im deutschsprachigen
 oder diesem in unterschiedlichen Poetisierungen Bereich darüber zu diskutieren sein, inwieweit
 eigene Formen des Wissens entgegensetzen kann und in welchem Sinne Plant Studies als politisch
 (vgl. Borgards 2016, S. 231f.).                     verstanden werden sollen, zielen doch ethisch
     Der bisherigen, auch in den Literatur- und basierte Forschungsansätze wie der Ecocriticism
 Kulturwissenschaften verbreiteten Sicht auf ausdrücklich und nachdrücklich auf „das Wohl-
 Pflanzen als etwas Randständigem und selbstver- ergehen aller möglichen Formen des Lebens, ob
 ständlich Existentem wird mit der Lektürepraxis menschlich oder nicht-menschlich, einschließlich
 begegnet, wie sich das Verständnis eines Texts desjenigen der Umwelt“ (Culler 2018, S. 184) ab.
 ändert, wenn er unter der Prämisse gelesen wird, In der anglophonen Welt wurden die Critical Plant
 dass es sich auch anders verhalten kann. Dabei Studies und insbesondere Michael Marder seitens
 spielen auch formsemantische Aspekte eine zent- der Tierrechtsaktivisten wegen der Konsequen-
 rale Rolle, etwa wenn Homologien zwischen bota- zen für die Debatte um eine ethisch angemessene
 nischen Wachstumsprozessen und poetischen Ernährungsweise der Menschen (‚Food Politics‘)
 Verfahren hergestellt werden (vgl. Detering 2015, kritisiert, weil indirekt vom Tierleid abgelenkt
 S. 211-215). Zu analysieren ist somit insgesamt, werde (vgl. dazu Stark 2015, S. 182f.).
 a) auf welche Weise Pflanzen in Literatur, im           Möglich sind auch Wechselwirkungen und
 Zusammenwirken mit wissenschaftlichen Texten, Austauschprozesse zwischen öffentlichen Debat-
 kulturell konstruiert sind, d.h. ihnen bestimmte ten über Umweltfragen, Theoriediskussionen
 Eigenschaften zugeschrieben oder abgesprochen im Bereich Plant Studies und literarischen Neu-
 werden, b) welche Auswirkungen Pflanzen auf erscheinungen. So entstehen beispielsweise vor
 der Ebene der erzählten Handlung einschließ- dem Hintergrund der politischen Tierrechtsbe-
 lich der erzählten Welt seitens der Erzählinstanz wegung und der Animal Studies in jüngerer Zeit
 zugesprochen werden und wie Pflanzen auf der Gedichte über Tiere, die diesen Diskussionen ver-
 Ebene der kompositorisch-sprachlichen Gestal- suchen gerecht zu werden:
 tung des Texts realisiert sind und c) inwiefern
 sich das ‚Vegetabile‘ des Textes als eine Poetik        Gedichte über Tiere stellen zuweilen außergewöhn-
                                                         lich imaginationsreiche Versuche dar, einfühlend der
 des Pflanzlichen begreifen lässt.
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                                     99

    Einzigartigkeit des Tiers gerecht zu werden und sich
                                                                ist auch der Mensch erst kultiviert worden. Zu
    zugleich die Unmöglichkeit bewusst zu machen, Worte
    zu finden, die das Tier nicht umgehend wieder für
                                                                fragen ist folglich, ob sich nicht beides, das Kulti-
    menschliche Zwecke zu vereinnahmen (Culler 2018,            vieren und Kultiviert-Werden, gegenseitig bedingt
    S. 183).                                                    und konstituiert (vgl. Bühler/Rieger 2013, S. 12f.).
                                                                Die einzelnen Artikel zeigen, dass die Beobach-
Vergleichbares ist in Bezug auf Pflanzen zu erwar-              tung und Formulierung, dass Pflanzen Sozial-
ten, wobei derartige Wechselwirkungen bei der                   formen ausbilden, schon Ernst Meyer im Jahr
Bewertung der Entstehung dieser Texte mit zu                    1834 herausgestellt hat (vgl. Bühler/Rieger 2013,
reflektieren sind.                                              S. 72-84), und dass auch die sensuelle Erregbar-
    Letztlich berührt das Forschungsfeld der Plant              keit und Kommunikationsfähigkeit von Pflanzen
Studies, wie alle ethisch fundierten Ansätze, die               die Forschenden bereits um 1800 beschäftigt hat
Frage nach den übergeordneten Zielen von For-                   (vgl. Bühler/Rieger 2013, S. 58-71). Mit diesen
schung. Ein sinnvoller Vorschlag könnte sein, was               Beispielen soll mit Nachdruck auf die kultur- und
Colin Tudge in seinem Buch The Tree als Leitvor-                wissensgeschichtliche Tiefendimension der aktu-
stellung formuliert:                                            ellen Debatten hingewiesen werden.
                                                                    Als ebenso grundlegender neuerer Beitrag
    I like the idea (I have found that some people don’t,       zum sich herausbildenden Feld kulturwissen-
    but I do) that each of us might aspire to be a conno-
                                                                schaftlicher Pflanzenforschung ist der Ausstel-
    isseur of nature, and connoisseurship implies a com-
    bination of knowledge on the one hand and love on           lungskatalog Von Pflanzen und Menschen (Meyer/
    the other, each enhancing the other. Conservation – of      Weiss 2019) zur gleichnamigen Ausstellung im
    all living creatures, including trees – has little chance   Deutschen Hygiene-Museum in Dresden zu nen-
    of long-term success without understanding, which           nen, decken doch die darin versammelten Pers-
    depends in large measure on excellent science. […]
                                                                pektiven auf Pflanzen die wesentlichen ethischen,
    Yet when the science is done, its primary role […] is
    not to change the world but to enhance appreciation
                                                                alltags- und hochkulturellen sowie wissenschaft-
    (Tudge 2005, S. 16).                                        lichen und wissensgeschichtlichen Aspekte der
                                                                Plant Studies ab (wie z.B. Ethnobotanik, Kunst-
                                                                wissenschaft, Philosophie). Der Versuch, verschie-
Exzellente Wissenschaft ist demnach neben intui-
                                                                dene Disziplinen und Wissenskulturen zusam-
tiver Naturliebe die entscheidende Vorausset-
                                                                menzuführen, liegt auch den Sammelbänden The
zung für die Entwicklung einer auf Anerkennung
                                                                Green Thread: Dialogues with the Vegetal World
und Wertschätzung basierten Haltung gegenüber
                                                                (Vieira/Gagliano/Ryan 2015) und The Language
allem Lebendigen. Dem ist nichts hinzuzufügen –
                                                                of Plants: Science, Philosophy, Literature (Vieira/
außer dem Hinweis, dass auch exzellente kultur-
                                                                Gagliano/Ryan 2017) zugrunde. Ausgangspunkt
wissenschaftliche Pflanzenforschung dazu gehört.
                                                                für The Language of Plants ist die Feststellung,
                                                                dass Pflanzen in der westlichen Literatur bislang
Forschungsstand
                                                                vornehmlich dargestellt wurden
Das Wuchern der Pflanzen, Ein Florilegium des
Wissens (2013) von Bühler und Rieger ist grund-       […] as part of the landscape, or as the backdrop for
legend für die deutschsprachige kulturwissen-         human and, on occasion, animal dramas, as evident
schaftliche Pflanzenforschung geworden, auch          in some fairytales and fables. For many writers, plants
wenn darin der Begriff Plant Studies noch nicht       become, at most, the correlatives of human emotions,
                                                      eliciting feelings of pleasure and displeasure, trigger-
vorkommt.     Ausgangspunkt      der    wissensge-
                                                      ing memories, and reflecting human states of mind,
schichtlichen Fallstudien, die in kurzen Artikeln     including inner turmoil or spiritual meditation. The
wie ein Lexikon bzw. Florilegium organisiert sind     mysterious intricacies of vegetal lives, obscure to the
(und analog zu entsprechenden Experimenten            human subject, are largely cast aside and relegated to
mit dem Bestiarium und dem Lapidarium), ist           narrative blindspots in a wide array of literary works
                                                      (Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 4).
der enge Zusammenhang zwischen Pflanze und
menschlicher Kultur. Schon das Wort ‚Kulturʼ ver-
weist in seiner etymologischen Herkunft auf eine Allein diese Passage ist geeignet, die verschie-
zentrale Kulturtechnik (lat. ‚colereʼ: ‚bebauenʼ), denen Literaturwissenschaften zu Re-Lektüren
mehr noch: Durch die Pflanze und ihren Anbau zentraler Werke anzuregen und dabei auch die
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Konjunkturen verschiedener Pflanzendarstellun-         und Wissen‘ von hoher Relevanz ist. Die Sprache
gen diachron und synchron sichtbar zu machen.          der Blumen oder ‚Floriographie‘ bzw. insgesamt
     Darüber hinaus bietet die Einleitung zu The       die floralen Kommunikationsmedien sind hin-
Language of Plants einen umfassenden Über-             gegen bereits mehrfach in den Blick genommen
blick über die bisherigen Betrachtungsweisen von       worden (z.B. Kranz 2016; Kranz/Schwan/Wittrock
Pflanzen von der antiken Philosophie bis heute,        2016; Polaschegg 2018). Untersucht werden der
die sich als überwiegend zoozentrisch erweisen         Niederschlag forstwissenschaftlicher Diskurse in
(vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017, S. 6). Die neu-       der Literatur (Kittelmann 2017a), das Zusam-
ere botanische Pflanzenforschung, Philosophie          menspiel von Botanik und Ästhetik (Kittelmann
und der Ecocriticism haben dazu beigetragen,           2017b) sowie die Idee der Nachhaltigkeit aus
das Verhältnis zwischen Mensch und Pflanze zu          dem Wunsch ressourcenschonenden Handelns im
rekonzeptualisieren und Untersuchungen anzure-         Umgang des Menschen mit Pflanzen (Grober 2013;
gen, die neben dem Pflanzenverhalten auch deren        Stobbe 2019). Zu nennen sind weiterhin Studien
Verkörperung (‚embodiment‘), Handlungsmacht            zu den verschiedenen Diskursen des anthropoge-
(‚agency‘) und Bewusstsein (‚consciousness‘)           nen Zugriffs auf Natur, einschließlich der pflanz-
berücksichtigen (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan 2017,       lichen Welt in Hettches Pfaueninsel (Kanz 2018)
S. 10). Die Autoren unterscheiden dazu konzeptu-       sowie zu der Frage, wie pädagogische Metaphern
ell zwischen einer extrinsischen und einer intrinsi-   aus dem Bereich der Pflanzenzucht in Rasps Ein
schen Sprache der Pflanzen. Erstere bezieht sich       ungeratener Sohn wörtlich genommen werden
auf die Sprache, mit der Wissenschaftler, Schrift-     (Wanning 2015). Darüber hinaus lassen sich Ana-
steller, Theoretiker usw. über Pflanzen sprechen;      lysen zu Pflanzen in der Lyrik aus biozentrischer
Letztere zielt auf die Kommunikationsformen von        Sicht anführen (z.B. Rigby 2015; Zemanek 2018),
Pflanzen mit anderen Pflanzenindividuen, Tieren        ebenso wie Gegenwartsgedichte auf die ihnen
wie auch mit Mikroorganismen im Boden sowie            inhärenten, widerständigen pflanzlichen Sicht-
insgesamt der pflanzlichen Umwelt (vgl. Vieira/        weisen hin analysiert werden (Hayer 2018). Diese
Gagliano/Ryan 2017, S. 11f. und 14). In Rückbe-        Reihe an Untersuchungen ließe sich lange wei-
zug auf die Phytosemiotik, ein Unterbereich der        terführen – was umso mehr dafür spricht, dass
Biosemiotik, der sich dem Zeichengebrauch von          aktuell eine viel diskutierte Forschungsperspek-
Pflanzen widmet, gehen sie davon aus, dass die         tive auf eine bereits lebendige Pflanzenforschung
Sprache der Pflanzen ein Ausdruck ihrer Physio-        in der Germanistik trifft und eine Neujustierung
logie mit semiotischer Resonanz ist (vgl. Vieira/      der bisherigen Forschungen unter den theore-
Gagliano/Ryan 2017, S. 13, unter Verweis auf           tischen Prämissen der Plant Studies fruchtbrin-
Krampen 2010). Dieses denkbar weite Verständ-          gend zu sein verspricht.
nis von Sprache steht indes in deutlicher Span-            Im angloamerikanischen Bereich wurden
nung zu dem bisher anerkannten Verständnis             Texte von Autoren untersucht, die zugleich Bota-
menschlicher Sprache (vgl. oben).                      niker waren (Mahood 2008), und es wurde nach
     Im deutschsprachigen Bereich ist in den letz-     dem Zusammenhang von Pflanzen-Wissen und
ten Jahren eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen       literarischer Form gefragt (Roxburgh/Sprang
zu Pflanzen erschienen, die in ihrer Fülle an dieser   2018). John C. Ryan hat gleich mehrere Studien
Stelle nicht vollständig aufgelistet werden kön-       vorgelegt wie z.B. Green Sense. The Aesthetics
nen. Heinrich Detering zeigt in seiner jüngsten        of Plants, Place and Language (2012) und Plants
Studie, Menschen im Weltgarten (2020), unter           in Contemporary Poetry – Ecocriticism and the
anderem anhand der Werke von Haller und Goe-           Botanical Imagination (2017). Insgesamt wer-
the, wie in der Zeit zwischen 1700 bis ca. 1835 die    den in der anglophonen Forschung ganz selbst-
wissenschaftliche und ästhetische Beschäftigung        verständlich Filme und Literatur im engen Sinn
mit Pflanzen noch im Werk eines einzigen Autors        gleichrangig themenspezifisch untersucht, sei
zusammengehen konnte, da die Grenzen zwi-              es in Bezug auf Pflanzendarstellungen in der
schen Wissenschaft und Dichtkunst zu dieser Zeit       deutschsprachigen Moderne (Janzen 2016), im
noch durchlässig waren – eine These, die auch          Horror-Genre (Keetley/Tenga 2016) oder hin-
über die Plant Studies hinaus für die Environmen-      sichtlich des Konnexes zwischen fossilen pflanz-
tal Humanities und das Forschungsfeld ‚Literatur       lichen Brennstoffen, Pflanzen und Menschen im
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                                101

Anthropozän, soweit er z.B. in Frank Herberts – also auch Pflanzen – können als menschenähn-
Dune: der Wüstenplanet greifbar ist (Sullivan lich Handelnde erlebt werden, sofern mindestens
2019). Letztere Untersuchung ist schon deshalb eines der folgenden vier Kriterien erfüllt ist: (a)
innovativ, weil sie das Augenmerk darauf lenkt, eine menschenähnliche äußere Erscheinung, (b)
dass Pflanzen als Grundlagen fossiler Brennstoffe intentionales Handeln, (c) Sprache bzw. Sprach-
indirekt das ermöglicht haben, was als grund- fähigkeit und (d) ein psychisches Innenleben.
legend für die Bestimmung des Zeitalters des Alle genannten Kriterien sind per definitionem –
Anthropozän angenommen wird: die Industriali- und zugleich unhintergehbar – anthropozentrisch
sierung samt ihren Folgen.                          gedacht.
                                                        Eng mit der narratologischen Perspektive ver-
Pflanzen als Handlungsträger (Figuren, bunden ist die philosophische Frage, ob Pflanzen
Akteure und Aktanten)                               handeln können – und wenn ja, wie bzw. inwiefern.
Entscheidend für die Frage, ob sich die kultur- Aufgeworfen wird diese Sicht nicht zuletzt durch
wissenschaftliche Pflanzenforschung im deutsch- die provokante These Michael Pollans in seinem
sprachigen Forschungskontext und namentlich Buch The Botany of Desire: A Plant’s-Eye View of
in der sich kulturwissenschaftlich verstehenden the World, worin er behauptet, dass Pflanzen die
Germanistik etablieren kann, ist der Status von Menschen dazu bringen, in ihrem Sinne zu han-
Pflanzen als Figuren, Akteuren oder Aktanten. deln („a clever evolutionary strategy for advan-
Bislang wurden Pflanzen in literarischen Texten in cing their own interests“, Pollan 2001, S. xvi). Kri-
der Germanistik vor allem als Symbole gelesen: tisiert wird daran von Hannah Stark, dass diese
die Rose als Symbol der Liebe, die weiße Lilie als Studie „entirely on the place of plants in human
Symbol der Unschuld usw. (vgl. Butzer/Jacob systems of agriculture and domestic cultivation”
2012). Bei der Analyse von Pflanzendarstellungen fokussiert sei und zudem hauptsächlich aus der
in der Literatur ist, entsprechend den Verfahren Menschenperspektive erzählt werde (Stark 2015,
der Literary Animal Studies, zwischen diegeti- S. 193). Von Allianzen hingegen spricht Donna
schen und semiotischen Pflanzen sowie zwischen Haraway in ihrer Studie zu Companion Species
realistischen und fantastischen Pflanzen zu (2003). Zu untersuchen wäre, welche Formen
unterscheiden (vgl. Borgards 2016, S. 226-228). von Co-Evolution sich in Bezug auf Pflanzen und
Diegetisch meint ‚in der erzählten Welt vorkom- Menschen beobachten lassen, denn auch wenn
mend‘, also Pflanzen, die es in der erzählten Welt Pflanzen nicht im Fokus ihrer Studie stehen, sind
gibt und auf die referiert wird; semiotisch meint diese bei der Begriffswahl eingeschlossen:
ein ‚zeichenhaftes Vorkommen‘ z.B. im Bereich
der Namensgebung oder der metaphorischen               ‘Companion species‘ is a bigger and more heterogenous
                                                        category than companion animal, not just because one
Verwendung. In literarischen Texten können
                                                        must include such organic beings like rice, bees, tulips,
komplexe Verbindungen und Verweisstrukturen             and intestinal flora, all of whom make life for humans
zwischen beidem bestehen. Gesteigert wird die           what it is – and vice versa (Haraway 2003, S. 15).
Komplexität zumeist dadurch, dass bestimmte
Figuren symbolisch mit einer Pflanze verbunden Das ist eine andere und vielversprechende Per-
sein können bzw. sich auf eine Weise verhalten, spektive, die Differenzen voraussetzt und nicht
die als pflanzenhaft erscheint. In Fantasy-Texten, einebnet.
in Märchen und Mythen können Pflanzen auch als          Bruno       Latours        Akteur-Netzwerk-Theorie
Figuren auftreten.                                  zufolge gelten auch Pflanzen als ein „Ding, das
    In der Erzähltheorie ist eine Figur ein „menta- eine gegebene Situation verändert, in dem es
les Modell eines Menschen in einer erzählten Welt“ einen Unterschied macht“ (Latour 2014, S. 123).
(Winko 2016, S. 66; vgl. auch Jannidis 2004): Die Latour schlägt an anderer Stelle vor, statt von
im Text gegebenen Informationen werden im Akteuren besser von Aktanten im Sinne von Agie-
Rezeptionsprozess so zusammenfügt, dass sie renden bzw. Interferierenden zu sprechen; dies
aus Sicht des Rezipienten einen Sinn ergeben, sei die weniger anthropomorphisierende Bezeich-
d.h. die fehlenden Informationen werden derart nung (vgl. Latour 2015, S. 226). Fragen von
ergänzt, dass sich kohärente Figuren ergeben. Agency im Unterschied zu menschlich gedachtem
Auch nicht-menschliche Lebewesen und Objekte intentionalem Handeln sind auch in den Animal
102                                                                10.2478/kwg-2019-0009 | 4. Jahrgang 2019 Heft 1: 91–106

Studies zentral (vgl. Steinbrecher 2016, S. 7f.;                    Feststellung, dass Pflanzen wie Menschen und
Wirth/Laue/Kurth u.a. 2016). Diskutiert wird die                    Tiere Lebewesen sind, die in ihrer ganzen Viel-
Rede von tierlicher Handlungsträgerschaft oder                      falt und in ihrem So-Sein als wirksame Teile kom-
auch ‚Embodied Agency‘, weil damit die Relevanz                     plexer Systeme anzuerkennen sind. Das schließt
von Rationalität und Intentionalität von Hand-                      auch Respekt gegenüber Lebewesen ein, die zu
lungen, verstanden als menschenbezogene Kate-                      ‚verstehen‘ uns trotz aller neueren Forschungen
gorien, zurückgenommen wird zugunsten der                           in diesem Bereich schwerfällt, weil wir uns kaum
Anerkennung performativer Verhaltensweisen, zu                      vorzustellen vermögen, wie sie ihre Welt wahr-
denen auch ein widerständiges oder unberechen-                      nehmen. Dass es trotzdem den Versuch wert
bares tierliches Handeln zählen kann (vgl. Stein-                   ist, es zumindest zu probieren, bleibt von dieser
brecher 2016, S. 13).                                               Skepsis unberührt (vgl. Vieira/Gagliano/Ryan
Agency ist zudem ein Schlüsselbegriff im Mate-                      2017, S. 12).
rial Ecocriticism (Iovino/Oppermann 2014) sowie                          Notwendig ist eine Verständigung darü-
im New Materialism (vgl. Bennett 2010; Sullivan                     ber, welche Konsequenzen die Feststellung der
2015). Der Material Ecocriticism definiert sich als                 Andersartigkeit von Pflanzen, ihre Eigenheiten in
                                                                    den Bereichen Sensorik, Kommunikation, Nah-
      […] the study of the way material forms – bodies,             rungsaufnahme, Fortpflanzung, Zeitrhythmik
      things, elements, toxic substances, chemical, organic
                                                                   – bedingt durch ein zyklisches Werden und Ver-
      and inorganic matter, landscapes, and biological ent-
      ities – intra-act with each other and with the human          gehen – sowie ihre Fortbewegung bei prinzipiel-
      dimension, producing configurations of meanings and           ler Ortsgebundenheit im Vergleich zu anderen
      discourses that we can interpret as stories (Iovino/          Lebensformen haben. Denn diese Unterschiede
      Oppermann 2014, S. 7).                                        gibt es, wenngleich sie in ihrer Bewertung his-
                                                                    torisch wandelbaren kulturellen Regulierungen
In Erweiterung des Material Ecocriticism wird im                    unterliegen und die unterschiedlich gedachten
New Materialism besonders herausgestellt,                           Nähe-Distanz-Verhältnisse zwischen Mensch, Tier
                                                                    und Pflanze als Konstruktionen gelten können. Es
      […] wie die menschlichen Kulturen Teil vieler anderer         wird künftig verstärkt über die Frage zu disku-
      materieller ‚Kulturen’ in der Welt sind, z.B. der Elekt-
                                                                    tieren sein, was das jeweils für die Plant Studies
      ronen, der Bakterien, der Pflanzen und anderer Lebe-
      wesen. Außerdem werden die Wirkungen von Wasser,              bedeutet, insbesondere a) für die Imagination
      Kohlenstoff oder Wetter und die Einflüsse von ‚aktiven        und Darstellung von Pflanzen in der Literatur, b)
      Stoffen‘ als maßgeblich für die Deutung von Materie           für die Analyse- und Interpretationspraxis von
      einbezogen, seien diese nun radioaktiv, toxisch oder          Pflanzen in den Literatur- und Kulturwissenschaf-
      einfach ein Teil der Nahrungskette (Sullivan 2015, S. 59).
                                                                    ten ebenso wie c) für die Interaktionen zwischen
                                                                    Mensch und Pflanze in der Alltagskultur.
Was ist nun aber mit der Frage nach einer mög-
lichen Handlungsträgerschaft und Wirkmacht
                                                                   Fazit und Ausblick
von Pflanzen gewonnen? Aus der Perspektive
                                                                   Ein zentraler Fokus der kulturwissenschaftlichen
der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkennt-
                                                                   Pflanzenforschung liegt auf den Imaginations-
nisfähigkeit stellt die offenkundige Bewegungs-,
                                                                   formen des Vegetabilen vor dem Hintergrund der
Gesichts- und Stimmlosigkeit sowie die schein-
                                                                   sich wandelnden ethischen, philosophischen und
bare Passivität von Pflanzen alle Lesarten, die
                                                                   biologischen Vorstellungen von Pflanzen und den
Pflanzen als irgendwie handelnde Entitäten in
                                                                   verschiedenen Formen der Mensch-Pflanze-Inter-
den Mittelpunkt rücken, vor ernstzunehmende
                                                                   aktion. Plant Studies haben das Potenzial, eine
Herausforderungen. Auch dass es nicht immer
                                                                   Erweiterung des Gegenstandsbereichs der Kultur-
möglich ist, beispielsweise einzelne Zitterpappel-
                                                                   wissenschaften und eine Modifikation der theoreti-
individuen in einem Zitterpappelwald zu unter-
                                                                   schen, methodischen und begrifflichen Prämissen
scheiden, macht es nicht leichter, sind doch die
                                                                   der eigenen Disziplin, in diesem Fall der Germa-
bisherigen Denkkategorien in der Regel auf klar
                                                                   nistik, anzuregen. So sind z.B. die Kategorien zur
voneinander abgrenzbare Größen ausgerichtet.
                                                                   Bestimmung von Figuren hinsichtlich des Aspekts
Worüber noch am ehesten eine intersubjektive
                                                                   der Menschenähnlichkeit ebenso neu zu diskutie-
Verständigung hergestellt werden kann, ist die
                                                                   ren, wie auch der Gattungsbegriff ‚Dinggedicht‘
Kulturwissenschaftliche Zeitschrift - 1/2019                                                                     103

                                                           Bauks, Michaela (2013): Zur Kulturgeschichte der Botanik.
für Gedichte über Pflanzen durch einen Terminus
                                                               Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
abzulösen ist, der den jüngeren Diskussionen               Bennett, Jane (2010): Vibrant Matter. A Politicial Ecology
zur Handlungsträgerschaft bzw. Agency gewahr                   of Things. Durham et al.: Duke University Press.
ist. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen           Borgards, Roland (2015): Cultural Animal Studies. In:
Fiktionen – und nichts anderes ist Literatur –, in             Dürbeck, Gabriele/Stobbe, Urte (Hrsg.): Ecocriticism.
denen Pflanzen auf unterschiedliche Weise Agency               Eine Einführung. Köln et al.: Böhlau, S. 68-80.
                                                           Borgards, Roland (2016): Tiere und Literatur. In: Ders.
entfalten bzw. in denen pflanzliche Handlungsträ-
                                                               (Hrsg.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch.
gerschaft erkennbar ist, und wissenschaftlichen                Stuttgart: Metzler, S. 225-244.
Beiträgen, die Pflanzen als selbständig handelnde          Borgards, Roland/Neumeyer, Harald/Pethes, Nicolas et al.
Entitäten betrachten. Man kann fragen, ob nicht                (Hrsg.) (2013): Literatur und Wissen. Ein interdiszi-
beides letztlich verschiedene Interpretationen der             plinäres Handbuch. Stuttgart et al.: Metzler.
                                                           Bühler, Benjamin (2016): Ecocriticism. Grundlagen
vegetabilen Welt sind. Zudem sind die unterschied-
                                                              – Theorien – Interpretationen. Eine Einführung.
lichen Modi zu reflektieren, mit denen Wissen über             Stuttgart: Metzler.
Pflanzen in literarischen Texten generiert und             Bühler, Benjamin/Rieger, Stefan (2013): Das Wuchern
modifiziert wird. Gleiches gilt für die, aus der Per-          der Pflanzen. Ein Florilegium des Wissens. 2. Aufl.
spektive des New Materialism gedachte Tatsache,                Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
dass Pflanzen an der Produktion von Literatur auf          Butenschön, Sylvia (Hg.) (2012): Frühe Baumschulen
                                                               in Deutschland. Zum Nutzen, zur Zierde und zum
verschiedene Weise beteiligt sein können, sei es
                                                               Besten des Landes. Berlin: Universitäts-Verlag der
als Schreibmedium, -anlass, -gegenstand und als                Technischen Universität.
Inspirationsquelle.                                        Butzer, Günter/Jacob, Joachim (Hrsg.) (2012): Metzler
    Indem sie die kulturellen Zuschreibungen,                  Lexikon literarischer Symbole. 2., erw. Aufl. Stuttgart
Agencies, Formen der Involviertheit von Pflanzen               et al.: Metzler.
                                                           Chamovitz, Danial (2012): What a Plant Knows. A Field
in Texten analysieren, zeigen kulturwissenschaft-
                                                               Guide to the Senses. New York: Scientific American/
liche Plant Studies im Idealfall, welchen Erkennt-             Farrar, Straus and Giroux.
nisgewinn literarische Texte in Bezug auf und im           Coccia, Emanuele (2018): Die Wurzeln der Welt. Eine
Zusammenwirken mit Pflanzen generieren. Bei                    Philosophie der Pflanzen. Aus dem Französischen von
alldem ist im Blick zu behalten, dass die Macht-               Elsbeth Ranke, 2. Aufl. München: Hanser.
verhältnisse im Umgang des Menschen mit Pflan-             Culler, Jonathan D. (2018): Literaturtheorie. Eine kurze
                                                               Einführung. Aus dem Englischen von Andreas Mahler.
zen derzeit und ‚in real life‘ ganz anders zu bewer-
                                                               Stuttgart: Reclam.
ten und angesichts der zentralen Bedeutung von             Detering, Heinrich (2015): Lyrische Dichtung im Horizont
Pflanzen auf der Erde deutlich zu kritisieren sind.            des Ecocriticism. In: Dürbeck, Gabriele/Stobbe, Urte
Wie im Ecocriticism und den Animal Studies geht                (Hrsg.): Ecocriticism. Eine Einführung. Köln et al.:
es auch in den Plant Studies darum, die Möglich-               Böhlau, S. 205-218.
                                                           Detering, Heinrich (2020): Menschen im Weltgarten. Die
keiten ethischen Handelns innerhalb eines Gefü-
                                                               Entdeckung der Ökologie in der Literatur von Haller
ges aus „Macht, Wissen und Unterdrückung“ her-                 bis Humboldt. Göttingen: Wallstein.
auszustellen. Hier wie dort gibt Literatur „Anlass         Dietz, Bettina (2017): Das System der Natur. Die
zum Überdenken moralischer Positionen und zur                  kollaborative Wissenskultur der Botanik im 18.
Erkundung der Perspektiven des anderen“ (Culler                Jahrhundert. Köln et al.: Böhlau.
2018, S. 179). Die Pflanzen selbst können, soweit          Dücker, Burckhard (2016): Blühende Kirschbäume. Zur
                                                               Kulturgeschichte der Kirsche. In: Ders. (Hrsg.):
wir wissen, keine Auskunft über ihre Sicht der
                                                               Machen Erhalten Verwalten. Aspekte einer perfor-
Dinge geben.                                                   mativen Literaturgeschichte. Göttingen: Wallstein, S.
                                                               172-185.
                                                           Dürbeck, Gabriele/Stobbe, Urte (Hrsg.) (2015):
Literaturverzeichnis                                           Ecocriticism. Eine Einführung. Köln et al.: Böhlau.
                                                           Dürbeck, Gabriele/Stobbe, Urte/Zapf, Hubert et al.
                                                               (Hrsg.) (2018): Ecological Thought in German
Balick, Michael J. (1997): Drogen, Kräuter und Kulturen.
                                                               Literature and Culture. Lanham et al.: Lexington
     Pflanzen und die Geschichte des Menschen.
                                                               Books.
     Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
                                                           Dutli, Ralph (2016): Liebe Olive. Eine kleine Kulturge-
Baluška, František/Gagliano, Monica/Witzany, Günther
                                                               schichte. 3. Aufl. Göttingen: Wallstein.
    (Hrsg.) (2018): Memory and Learning in Plants.
                                                           Duve, Karen/Völker, Thies (2002): Lexikon berühmter
     Hannover: Springer.
                                                               Pflanzen. Frankfurt a.M.: Eichborn.
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