NEONAZISMUS IN N IEDERBAYERN - VIELFALT-MEDIATHEK
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
4 _ Inhalt →→ Inhalt Vorwort _ 5 Niederbayern rechtsaußen _ 6 Einleitung Zwischen Bedeutungslosigkeit und kommunaler Verankerung _ 8 Die NPD in Niederbayern Straßenkampf statt Hinterzimmer _ 11 Aktivitäten, Strukturen und Entwicklungen der niederbayerischen Kameradschaftsszene Zwischen Pop und Propaganda _ 15 Das Geschäft mit dem neonazistischen Lifestyle in Niederbayern Rechte Räume _ 18 Über die Bedeutung von Immobilien am Beispiel des Gasthaus Gruber Zwischen Normalität und Unterwanderung _ 20 Das neonazistische Streben nach Hegemonie im vorpolitischen Raum (R)echte Ökos aus Niederbayern _ 24 Das Magazin „Umwelt & Aktiv“ und sein neonazistisches Umfeld Nur harmlose Spinner ? _ 28 „Reichsbürger“ und Verschwörungsideolog/-innen an der Schnittstelle zum Neonazismus Bündnisse und Akteure gegen Neonazismus in Niederbayern _ 32 Empfehlenswerte Literatur _ 34
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 5 →→ Vorwort Naturschutz, Unterstützung der von Hochwasser Betrof- Die Beratungsstelle in Weiden dient in den Regie- fenen, Mitwirkung bei der lokalen Feuerwehr oder im rungsbezirken Oberpfalz und Niederbayern als Anlauf- Fußballverein. Was zunächst als positives gesellschaftli- stelle für Kommunen und Politiker/-innen, zivilgesell- ches Engagement erscheint, stellt bisweilen den Versuch schaftliche Bündnisse und Initiativen gegen Rechts, von Neonazis dar, Aufmerksamkeit und Zuspruch in der Mitarbeiter/-innen der Jugendarbeit, Schulen und Bevölkerung zu erlangen und im vorpolitischen Raum Pädagog/-innen, Vereine und Verbände sowie Einzelper- Fuß zu fassen. Extrem rechtes Gedankengut wird dabei sonen, die vor Ort mit extrem rechts motivierten Vorfäl- subtil eingeflochten und soll letztlich über vermeintliche len konfrontiert sind. Betroffene wie Engagierte erfahren harmlose Themen und Aktionen veralltäglicht werden. Unterstützung, Qualifizierung und Vernetzung. Grundle- Die Aufklärung über die extreme Rechte und die Sen- gend ist dabei stets die Kenntnis neonazistischer Struk- sibilisierung für ihre Erscheinungsformen und Anwer- turen in der Region und die Weitergabe entsprechender be- wie Unterwanderungsstrategien sind ein zentrales Informationen. Aufgabengebiet der Landeskoordinierungsstelle Bayern Einen entsprechenden Beitrag dazu will die vorlie- gegen Rechtsextremismus, die beim Bayerischen Ju- gende Broschüre für den Raum Niederbayern leisten. • gendring angesiedelt und durch das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ gefördert ist. Teil des Projektes und regional zuständige Ansprechpartner sind drei Regionale Beratungsstellen gegen Rechtsext- remismus.
6 _ Niederbayern rechtsaußen →→ Niederbayern rechtsaußen Einleitung Unangenehme Erinnerungen Genau hier gilt es zu intervenieren, denn für men- schenverachtende Ideologien wie Nationalismus, Ras- In den vergangenen Jahren jährten sich die rassistischen sismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeits- Brandanschläge von Hoyerswerda, Rostock-Lichten- vorstellungen darf es in unserer Gesellschaft keinen Platz hagen, Mölln und Solingen zum zwanzigsten Mal. Zu geben. Vielmehr sollte die Zivilgesellschaft trotz aller Dif- diesem Anlass konnte man im Fernsehen Bilder sehen, ferenzen zusammenstehen, um den Neonazis zu verdeut- die wieder und wieder verstörend wirken. Junge Männer, lichen, dass ihre Lösungsansätze auf breite Ablehnung die Brandsätze auf ein Haus werfen, ein rassistischer stoßen. Denn diese dürfen nie wieder das Gefühl haben, Mob der dazu applaudiert, Menschen, denen Angst und den Willen einer schweigenden Mehrheit zu exekutieren. Verzweiflung ins Gesicht geschrieben stehen, und An- gehörige, die um ihre ermordeten Liebsten trauern. So verstörend diese Bilder wirken, so unheimlich weit weg Wahrnehmen und anerkennen scheinen sie. Eine Wiederholung scheint unvorstellbar. Zwanzig Jahre später steigen angesichts der Aus- Die Beiträge der vorliegenden Broschüre machen sicht- wirkungen globaler Krisen auch in Deutschland die bar, dass es überall in Niederbayern neonazistische Flüchtlingszahlen. Menschen kommen hier her, weil sie Strukturen und Aktivitäten gibt. Sollte dennoch eine Schutz vor Verfolgung, Krieg und Perspektivlosigkeit Region häufiger genannt sein, so lässt sich daraus nicht suchen, nach einem besseren Leben streben. Dass des- zwangsläufig schließen, dass die neonazistische Szene halb auch in niederbayerischen Städten und Gemeinden im Wesentlichen dort verankert ist und die anderen Regi- neue Unterkünfte für Flüchtlinge geschaffen werden onen von der Problematik nicht betroffen sind. Vielmehr müssen, stößt immer wieder auf eine mitunter rassis- können die Gründe hierfür mannigfaltig sein: So wird tisch begründete Ablehnung bei Teilen der Bevölkerung. Neonaziaktivitäten beispielsweise in einer Region mehr Regelmäßig treten dann Neonazis auf den Plan, um die Beachtung geschenkt, während die Problematik in ande- Ressentiments zu bekräftigen, Ängste zu schüren, die ren verschwiegen wird oder ein Szenetreff vor Ort wird Situation zu eskalieren und sich als Problemlöser anzu- von Neonazis aus verschiedenen Regionen frequentiert. bieten. Sicherlich, die Situation ist nicht mit der zu Beginn Manchmal sind auch die neonazistischen Strukturen in der neunziger Jahre zu vergleichen. Medien und Politik einer bestimmten Region schlicht besser darzustellen reagieren heute in der Regel besonnener, heizen rassisti- als in anderen. Angesichts der guten Vernetzung neona- sche Diskurse zumeist nicht zusätzlich an. Trotzdem wer- zistischer Gruppen wäre es ohnehin falsch zu glauben, den unangenehme Erinnerungen wach, wenn man daran dass Neonazismus ein lokal eingrenzbares Problem sein denkt, was passieren kann, wenn Neonazis sich durch könnte. das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung zum Handeln ermutigt fühlen.
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 7 Allgemein soll dazu ermutigt werden, neonazistische Aktiv werden Aktivitäten vor der eigenen Haustüre offen anzuspre- chen. Nicht deren Thematisierung ist ein Makel für eine In der Broschüre finden sich Verweise auf konkrete Kommune, sondern Inaktivität und anhaltende Bagatel- Handlungsstrategien für verschiedene Problemlagen lisierung. Dass man durch das verstärkte Auftreten von und Hinweise auf weiterführende Literatur. Hierdurch Neonazis in der eigenen Kommune zuerst verunsichert soll dazu ermutigt werden, Probleme aktiv anzugehen. wird, ist normal. Der größte Fehler ist es jedoch, nichts Dies braucht niemand alleine zu bewerkstelligen, gibt es zu unternehmen. Neonazis betrachten dies häufig als Er- doch zum einen in allen Gegenden Niederbayerns Bünd- mutigung für weitere Aktivitäten. Statt in Schockstarre zu nisse und Organisationen, die sich auf vielfältige Weise verfallen, gilt es überlegt vorzugehen. Merken Neonazis, gegen Neonazismus engagieren. Zum anderen steht die dass sie mit Widerstand rechnen müssen, wird der Ort Regionale Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in häufig schnell unattraktiv für sie. Niederbayern für Anfragen und bei Problemen vor Ort zur Verfügung. Alle Kontaktdaten finden sich ebenfalls im Anhang. Ob Präventionsarbeit im Bereich von Kultur und Informieren Bildung, Proteste gegen neonazistische Veranstaltungen oder die aktive Mitgestaltung eines demokratischen Ge- Die vorliegende Broschüre soll dabei helfen, für diese meinwesens: Sowohl zivilgesellschaftliche als auch ins- Auseinandersetzung mit neonazistischer Ideologie und titutionelle Akteure können viel tun, um die Handlungs- Praxis besser gerüstet zu sein. Da noch immer häufig spielräume von Neonazis einzuschränken. Vernetzen Sie veraltete und irreführende Bilder die Vorstellungen über sich mit anderen und werden Sie aktiv. • die Szene prägen, wird ein Überblick zu aktuellen Er- scheinungsformen, Strategien und Entwicklungen sowie Strukturen und Akteuren des organisierten Neonazismus in Niederbayern gegeben. Dieses Grundlagenwissen soll es ermöglichen, neonazistische Aktivitäten im eigenen Sozialraum besser deuten und einschätzen zu können. Denn nur wer weiß, womit er es zu tun hat, kann geeigne- te Handlungsstrategien dagegen entwickeln. Durch den begrenzten Umfang der Broschüre muss die Darstellung zwangsläufig unvollständig bleiben. Die dargestellten Beispiele sind jedoch so gewählt, dass sie exemplarisch für allgemeine Tendenzen innerhalb der Szene stehen.
8 _ Zwischen Bedeutungslosigkeit und kommunaler Verankerung →→ Zwischen Bedeutungslosigkeit und kommunaler Verankerung Die NPD in Niederbayern Die NPD ist in jüngerer Zeit oft totgesagt worden. Und tat- sem Tag kaum Parteimitglieder aus Niederbayern an der sächlich hat die Partei die letzten Jahre mit einer Reihe Kundgebung teilnehmen. Lediglich der stellvertretende ernsthafter Probleme zu kämpfen: Durchsetzung mit V- Landesvorsitzende Sascha Roßmüller kommt aus der Männern, Finanzskandale, Verschuldung, Führungsstreit, Gegend. Einige bekannte Mitglieder und Sympathisant/ Mitgliederschwund und ein drohendes zweites Ver- -innen der NPD aus der Region haben sich jedoch im Pu- botsverfahren. Zu glauben, die NPD stehe kurz vor dem blikum versammelt, um während der Reden zu klatschen Kollaps, ist dennoch falsch. Vielmehr ist es die älteste und Zustimmung zu signalisieren. Auch dies ist Teil der neonazistische Partei Deutschlands seit ihrer Gründung Inszenierung, spricht die NPD doch im Nachhinein von 1964 gewohnt, unter widrigen Bedingungen zu arbeiten. „zahlreichen interessierten Bürgern am Straßenrand“. Im Folgenden soll ein Blick auf ihren Zustand in Nieder- Neben dem bestellten Applaus finden sich dort jedoch bayern geworfen werden. lediglich etwa 20 Gegendemonstrant/-innen ein, die Kundgebung findet kaum Beachtung. Inszenierte Präsenz Rassistischer Wahlkampf Anfang September 2013. Ein LKW und zwei VW-Busse der NPD fahren auf eine mit Flatterband abgegrenzte Fläche Auch die Redebeiträge verhallen so weitgehend unge- am Rande des Stadtplatzes in Straubing. Aus den Fahr- hört. Sascha Roßmüller, der sich in seiner Rede mit Eu- zeugen steigen zwölf Personen, sechs davon tragen Ein- ropa- und Landespolitik beschäftigt, versucht sich als satzwesten und ein Funkgerät mit Knopf im Ohr. Aus dem Nationalkonservativer zu gerieren. Ganz kann er das LKW mit den Seitenaufdrucken „Asylflut stoppen“ und Kokettieren mit dem historischen Nationalsozialismus „D-Mark statt Europleite“ laden sie zwei riesige Lautspre- jedoch scheinbar nicht lassen, spricht er doch süffisant cher, der Aufbau läuft routiniert und schnell. Nach weni- von der „Lösung der Udefrage“. Neben Roßmüller treten gen Minuten kann der bayerische Landesvorsitzende Karl an diesem Tag noch die beiden „Spitzenkandidat/-innen“ Richter die Kundgebung eröffnen. Währenddessen stel- Karl Richter aus München und Sigrid Schüßler aus Un- len die jungen Männer mit den Einsatzwesten noch eini- terfranken als Redner/-innen auf. Bezeichnend für den ge Wahlplakate mit dem Konterfei des niederbayerischen Zustand der bayerischen NPD: Beide „Spitzenkandidat/ Spitzenkandidaten Sascha Roßmüller auf, im Anschluss -innen“ stehen bei der Landtagswahl auf keinem Stimm- positionieren sie sich am Rande der Versammlung. zettel, da die NPD weder in Oberbayern noch in Unter- Die Kundgebung in Straubing ist die zweite an die- franken die nötigen Unterstützungsunterschriften für sem Tag und eine von insgesamt rund 100 Kundgebun- einen Wahlantritt sammeln konnte. Richter hetzt in sei- gen, die im Rahmen einer bundesweiten Wahlkampftour ner Rede mit Sätzen wie „Du musst nur Asyl stammeln durchgeführt werden. Das Rezept ist einfach: Geringer können, dann wirst du durchgefüttert bis an dein Lebens- personeller Aufwand, viel Berichterstattung in Lokalzei- ende“ rassistisch gegen Flüchtlinge. Schüßler identifiziert tungen und die Inszenierung von Präsenz in der Fläche. in den Protestbewegungen der sechziger und siebziger Diese Inszenierung hat die NPD in Niederbayern nötig, Jahre die Verantwortlichen für einen allgemeinen Sitten- denn sie ist schlecht aufgestellt und kaum handlungsfä- verfall und hetzt gegen emanzipierte Frauen, Homosexu- hig. Dies kommt etwa darin zum Ausdruck, dass an die- elle und Linke.
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 9 Auch bei ihren Wahlplakaten setzt die NPD auf natio- ↖ nalistische Agitation gegen Europa und die rassistische NPD-Truck (Straubing, September 2013) Hetze gegen Flüchtlinge und Migrant/-innen. Wenngleich sie in vielen Regionen Bayerns aufgrund der dünnen ↑ Personaldecke nur wenige Plakate aufhängen konnte, Sascha Roßmüller (stellvertretender dürften genug Autofahrer/-innen Plakate mit Parolen wie NPD-Landesvorsitzender) „Sicher leben! Asylflut stoppen“ oder „Kriminalität be- kämpfen – Grenzen sichern!“ aufgefallen sein. Betrach- tet man die Zustimmungswerte zu nationalistischen und rassistischen Aussagen in der Mehrheitsgesellschaft, ist leider zu befürchten, dass die NPD hier durchaus den richtigen Ton getroffen hat. So stimmten laut einer repräsentativen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2012 knapp 30 % der Deutschen der Aussage Strukturprobleme „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und ener- gisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber Ein weiterer Grund für die relative Erfolglosigkeit der bay- dem Ausland “ zu, gut 37 % bestätigten die Aussage „Die erischen NPD bei Wahlen ist die fehlende Verankerung in Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem der Fläche. Zwar verfügt die Partei in Niederbayern über gefährlichen Maß überfremdet“. einen Bezirksverband sowie fünf Kreisverbände, diese Dass die NPD in Niederbayern bei den Landtagswah- entfalten in den letzten Jahren jedoch kaum Aktivitäten. len 2013 mit 1,3 % dennoch nicht punkten konnte, liegt Dies scheint vor allem personellen Problemen geschul- also weniger an ihren Inhalten. Vielmehr scheint sie auch det zu sein: Es fehlt der NPD an Mitgliedern. Betrachtet offen nationalistische Wähler/-innen aktuell nicht davon man die Altersstruktur bei Parteiveranstaltungen oder überzeugen zu können, dass sie „deutsche Interessen“ auf dem Wahlzettel wird zudem deutlich, dass die Par- erfolgreicher vertreten könnte als die bestehende Re- tei in Niederbayern mit Überalterung zu kämpfen hat. Es gierung. Hinzu kommt die Tatsache, dass die NPD nicht gelingt ihr aktuell nur schlecht, junge Neonazis in die glaubhaft versichern kann, mit dem historischen Natio- Parteiarbeit zu integrieren. Das liegt nicht zuletzt daran, nalsozialismus nichts am Hut zu haben. Dies wäre jedoch dass es mit den Strukturen der „Freien Kameradschaften“ aufgrund dessen allgemeiner Delegitimierung nötig, will ein attraktiveres Alternativangebot für aktionsorientier- jedoch nicht so recht klappen. Auch in Straubing nicht: te Jugendliche und junge Erwachsene gibt. Von diesen Neben Roßmüllers Aussage von der „Lösung der Udefra- wird die NPD häufig mehr als Wahlpartei denn als Welt- ge“ trägt einer der Ordner ein T-Shirt mit der Aufschrift anschauungs- und Kampfgemeinschaft wahrgenommen „Freiheit für Erich Priebke“. Priebke war ein verurteilter und die Mitarbeit bleibt aus. NS-Kriegsverbrecher und stand wegen eines Massakers Und tatsächlich ist die Partei jenseits des Wahlkamp- an Zivilist/-innen während des Zweiten Weltkrieges in Ita- fes momentan kaum wahrnehmbar. Zwar verschaffen ihr lien unter lebenslangem Hausarrest. Als er wenige Wo- jährliche Veranstaltungen wie der „Politische Aschermitt- chen nach der Kundgebung verstarb, trauerten Neonazis woch“ gelegentlich Öffentlichkeit, sie schafft es jedoch in der ganzen Republik. nicht, aktuelle Themen zu besetzen und Diskurse zu be-
10 _ Zwischen Bedeutungslosigkeit und kommunaler Verankerung einflussen. So sie dies versucht, etwa durch das Verteilen Fazit von Flyern gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte, schei- tert sie bisher damit. Diese fehlende Kampagnenfähigkeit Trotz der respektablen Ergebnisse einiger ihrer Akteure liegt wiederum in der schwachen personellen Ausstat- wird die NPD in Niederbayern wohl auch in näherer Zu- tung begründet, gerade vorzeigbare Aktivist/-innen mit kunft keine große Relevanz entwickeln. Dies wird sich guter kommunaler Verankerung fehlen. nicht ändern, solange es ihr nicht gelingt, sich kommunal Um so wichtiger sind deshalb die wenigen Kandi- stärker zu verankern, aktive Neumitglieder zu gewinnen daten und Funktionsträger, die gut in das soziale Leben und von demokratischen Parteien tatsächlich oder ver- ihrer Wohnorte eingebunden und damit Multiplikatoren meintlich vernachlässigte Themen glaubhaft zu beset- sind. Etwa Helmuth Blach aus Kirchdorf im Wald, Spar- zen. Dem Bezirksvorsitzenden Alfred Steinleitner aus tenleiter Fußball des lokalen Sportvereins. Mit 7,12 % der Deggendorf bleibt deshalb nichts anderes übrig, als das Zweitstimmen in seinem Heimatort erreichte er das beste Elend zu verwalten. Genau dies tut Steinleitner allerdings Ergebnis für die NPD in Niederbayern. Ähnlich erfolgreich so schlecht nicht, er hält die Partei zusammen und ein war auch Franz Salzberger, langjähriger NPD-Aktivist aus Mindestmaß an Aktivitäten aufrecht. Sollten sich die Mariaposching, dessen Schreiner-Heimservice auch über gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre Politik das Firmenverzeichnis der offiziellen Homepage der Ge- verbessern, würde so ein Grundstock existieren, auf dem meinde beworben wird. Im Ort erreichte er für die Partei aufgebaut werden kann. Darauf zu warten, ist die NPD 6,07 % der Zweitstimmen und damit sogar mehr als der Zeit ihres Bestehens gewohnt. Sigrid Schüßler, die Red- Spitzenkandidat Sascha Roßmüller. Der errang in seinem nerin der Kundgebung in Straubing, bringt die in der Par- Heimatort Rain mit 5,35 % dafür das beste Erststimmen- tei verbreitete Gefühlsmischung aus Verzweiflung und ergebnis, gefolgt von Otto Freimuth in Bodenmais. Der Zuversicht in einer Pressemitteilung nach der verkorks- Sohn eines parteilosen Marktgemeinderates erreichte ten Wahl auf den Punkt: „Die Rechnung wird bald genug 4,30 % der Erststimmen. präsentiert!“ • ↑ Rarer Nachwuchs (Landshut, August 2013 ↗ Alfred Steinleitner, links (NPD-Bezirksvorsitzender)
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 11 →→ Straßenkampf statt Hinterzimmer Aktivitäten, Strukturen und Entwicklungen der niederbayerischen Kameradschaftsszene Das „Freie Netz Süd“ ist die aktivste neonazistische Or- Diese Entwicklung wäre ohne das „Freie Netz Süd“ ganisation Bayerns. Seit 2009 bündelt es die Aktivitäten kaum denkbar, hatte dessen Gründung Anfang 2009 die sogenannter „Freier Kameradschaften“, also nicht par- bayerische Neonaziszene doch erheblich vitalisiert und teipolitisch gebundener Neonazis. Unter wechselnden ein regelrechtes Gründungsfieber ausgelöst. Entstanden Selbstbezeichnungen beteiligen sich auch niederbaye- ist das „Freie Netz Süd“ als eine Abspaltung der baye- rische Gruppen an diesem Netzwerk. Deren Strukturen, rischen NPD, nachdem der junge, offen neonazistische Aktivitäten und Entwicklungen sollen im Folgenden in Flügel rund um den Fürther Matthias Fischer sich inner- den Blick genommen werden. halb der Partei nicht durchsetzen konnte. Die bayerische NPD-Führung rund um den damaligen Landesvorsitzen- den Ralf Ollert aus Nürnberg und seinem Stellvertreter „Nationaler Sozialismus“ Sascha Roßmüller aus Rain bei Straubing lehnte aus tak- statt Partei Klein-Klein tischen Gründen einen offen neonazistischen Kurs ab. Sie wollte lieber enttäusche CSU-Wähler/-innen gewinnen Das Bild des organisierten Neonazismus in Niederbayern und gerierte sich nationalkonservativ. Mit der Gründung wurde über viele Jahre durch die NPD geprägt. Wenn sie des „Freien Netz Süd“ verlor die Partei einen großen Teil in die Öffentlichkeit trat, vermittelte dies zumeist einen ihrer Aktivposten und wurde von der radikaler auftre- wenig dynamischen und recht biederen Eindruck. Die tenden Neugründung hinsichtlich Mobilisierungsstärke meisten Aktivitäten spielten sich jedoch sowieso in Hinter- und Aktionismus schnell übertroffen. Inhaltlich gibt es zimmern von Gaststätten ab, hier kam die überalterte Mit- zwischen beiden Gruppen jedoch kaum Unterschiede, gliedschaft zusammen, war mit dem Klein-Klein der Partei- beide hetzen vorwiegend rassistisch gegen Flüchtlinge arbeit beschäftigt und träumte von der politischen Wende. und Migrant/-innen sowie gegen vermeintliche oder tat- Für junge, aktionsorientierte Neonazis war die NPD damit sächliche Linke. Der Unterschied liegt vielmehr im Stil: nicht sonderlich attraktiv, wenngleich sie für viele den- Während die NPD eine all zu offene Bezugnahme auf den noch zur ersten Station ihrer politischen Laufbahn wurde. historischen Nationalsozialismus vermeidet, betreibt Neben der Altherren-Partei gab es zwar immer noch eine das „Freie Netz Süd“ auch bei öffentlichen Auftritten re- starke Rechtsrockszene, diese agierte jedoch vorwiegend gelrecht NS-Folklore. NS-Symbolik, Verehrung von Nazi- im Verborgenen und war nur schwer zugänglich. Wollten größen und Parolen wie „Nationaler Sozialismus – jetzt, junge Neonazis diese für sie unbefriedigende Situation än- jetzt, jetzt“ sind bei ihren Aufmärschen obligatorisch. Da- dern, mussten sie neue Strukturen schaffen. Damit began- rüber hinaus setzt das „Freie Netz Süd“ in seiner Agitati- nen sie Anfang des Jahres 2009. Zuerst tauchten sie im- on stärker als die NPD auf soziale Themen und tritt selbst mer regelmäßiger bei neonazistischen Veranstaltungen in bei angemeldeten Demonstrationen regelmäßig äußerst ganz Bayern auf und knüpften Kontakte, schließlich traten gewalttätig auf. Dass sich die nach Aktionismus sehnen- sie als Gruppe unter dem Namen „Freie Nationalisten Bay- den Neonazis aus Niederbayern schnell dem „Freien Netz erischer Wald“ bei der 1. Mai Demonstration des „Freien Süd“ anschlossen, verwundert vor diesem Hintergrund Netz Süd“ in Erscheinung. Diese kleine Gruppe vernetzte kaum. sich mit bestehenden Klein- und Kleinstgruppen aus dem ganzen Regierungsbezirk, mit welchen sie schließlich im Juli 2009 das „Nationale Bündnis Niederbayern“ gründete.
12 _ Straßenkampf statt H interzimmer → „Sozialkritik“ und NS-Symbolik Erlebniswelt Neonazismus Mit Unterstützung des „Freien Netz Süd“ organisierte das „Nationale Bündnis Niederbayern“ vor allem in den Jahren 2009 und 2010 eine Vielzahl von Veranstaltungen in ganz Niederbayern. Zeitweise fanden im Zweiwochen- takt Kundgebungen und Aufmärsche statt, dazwischen kam es regelmäßig zu Propagandaaktivitäten: Graffiti wurden gesprüht, Plakate geklebt und Flugblätter ver- teilt. Darüber hinaus organisierte das „Nationale Bündnis Niederbayern“ regelmäßig Fahrten zu weiter entfernten neonazistischen Demonstrationen, organisierte Kon- zerte und veranstaltete Kameradschaftsabende sowie Schulungsveranstaltungen. Auf der eigenen Internetseite und in Sozialen Netzwerken wurde zudem kontinuierlich über die Aktivitäten berichtet. Kurz: Durch Vernetzung und Zusammenarbeit waren erhebliche Synergieeffekte entstanden, die es dem „Nationalen Bündnis Niederbay- ern“ ermöglichten, eine sehr hohe Frequenz an Aktivitä- ten und Veranstaltungen zu realisieren. Doch nicht nur quantitativ, auch qualitativ erreichten die Aktivitäten ein gewisses Niveau. Durch die Einbindung in das „Freie Netz Süd“ und dessen Kampagnenarbeit verfügte die Szene etwa stets über professionell erstelltes Propagandama- terial, zudem versuchte sie den Spagat zwischen offenen NS-Bezug und Bürgernähe zu meistern. Diese neonazistische Erlebniswelt ist nicht nur für junge Szeneangehörige attraktiv, auch ruhiger geworde- ne langjährige Aktivist/-innen konnten auf diese Art re- aktiviert werden. Es bewegte sich was, die Szene in Nie- derbayern war so dynamisch wie nur in wenigen Teilen Bayerns. Dieser Aktionismus verringerte sich schlagartig, als im November 2010 ein wichtiger regionaler Kader in- haftiert wurde: Walther Strohmeier aus Viechtach. Trotz seines jungen Alters war er äußert umtriebig, zeichnete etwa für Publikationen verantwortlich, betreute den In- ternetauftritt, trat als Redner auf, organisierte und hielt den Betrieb am Laufen. Wegen eines Körperverletzungs-
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 13 ← Walter Strohmeier (niederbayerischer Führungskader) ↙ Martin Wiese (verurteilter Rechts- terrorist) Gemeindezentrums in München geplant haben. In Teilen der Szene wird er hierfür verehrt, auch weil er vor Gericht nicht eingeknickt ist und seine Haftstrafe bis zum letzten Tag abgesessen hat. Vor diesem Hintergrund schaffte Wiese es, einen Teil der niederbayerischen Szene zu reaktivieren. Gerade jüngere Neonazis bleiben jedoch weiterhin vielen Ver- anstaltungen fern, Wieses Stil kommt nicht überall gut. Anders als Strohmeier gibt er nur wenig auf Kampagnen- arbeit und den Versuch bürgernah aufzutreten, vielmehr agiert die Szene seit Wieses Auftreten noch aggressiver und gewalttätiger. So etwa im September 2011, als Jusos und Antifa in Deggendorf demonstrierten, da im lokalen „Gasthaus Gruber“ seit Jahren regelmäßig neonazistische Veranstaltungen stattfinden. Als die Demonstration auf deliktes wurde er im März 2011 zu einer mehrjährigen Höhe des Gasthauses angekommen war, versuchten Wie- Haftstrafe verurteilt, die übrigen Führungsaktivisten se und etwa 25 Kameraden den Protestzug anzugreifen. konnten diese Lücke nicht schließen. Dabei befanden Spezialkräfte der bayerischen Bereitschaftspolizei konn- sich unter ihnen langjährige Aktivisten wie Michael Kast- ten Schlimmeres verhindern, wurden dabei jedoch selbst ner von den „Freien Kräften Deggendorf/Plattling“, Heiko angegangen. In der Gruppe der Angreifer befanden sich Schiederer von der „Kameradschaft Straubing“ und Mike sowohl Angehörige des „Nationalen Bündnis Niederbay- Edling von den „Freien Kräften Landau-Dingolfing“. ern“, als auch Neonazis aus anderen Landesteilen. Durch das „Freie Netz Süd“ ist die Szene bayern- weit sehr gut vernetzt, zudem bestehen internationale Offene Gewalt statt Bürgernähe Kontakte. Etwa nach Österreich, Ungarn und Tschechi- en. Tschechische Neonazis vom „Deutsch-Böhmischen Die Flaute in der niederbayerischen Szene dauerte meh- Freundeskreis“ waren etwa im Februar 2012 anwesend, rere Monate an, es kam nur zu wenig Aktivitäten. Das als unter der Federführung Wieses ein neonazistischer durch Strohmeiers Inhaftierung entstandene Vakuum in Aufmarsch in Landshut stattfand. Auch hier kam es beim der Führungsebene des „Nationalen Bündnis Niederbay- Versuch Gegendemonstrant/-innen anzugreifen wieder ern“ sollte jedoch bald ein Neonazi schließen, der erst zu offener Gewalt gegen Polizeikräfte. Den tschechischen kurze Zeit vorher seine siebenjährige Haftstrafe abge- Neonazis dürften derartige Ausschreitungen bekannt vor- sessen hat: Martin Wiese, der Rechtsterrorist. Er wurde kommen, kommt es doch in Tschechien bei Aufmärschen wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Verei- immer wieder zu pogromartigen Ausschreitungen gegen nigung sowie Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaf- Romasiedlungen. Zu einigen dieser Aufzüge ist auch das fenkontrollgesetz verurteilt. Mit einigen Kamerad/-innen „Freie Netz Süd“ angereist, man besucht sich regelmäßig. hatte er sich Waffen und Sprengstoff beschafft und soll Auch in Niederbayern waren die tschechischen Neonazis einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen nicht zum ersten Mal, bereits im Juni 2010 waren sie in
14 _ Straßenkampf statt H interzimmer Buchhofen bei Deggendorf zu Gast. Unter dem Namen Der Rassismus der Neonazis ist jedoch nur selten „Day of friendship“ fand dort ein Rechtsrockkonzert mit so aufwändig verpackt. Nach wie vor hetzt die nieder- internationaler Beteiligung statt. bayerische Kameradschaftsszene offen gegen Flücht- lingsunterkünfte, so etwa in der Gemeinde Salzweg bei Passau. Hier wurde Ende September 2013 bekannt, dass Braune Narren gegen Flüchtlinge im Ort untergebracht werden sollen. Nach- dem Anwohner/-innen mit teils rassistischen Argumen- Flüchtlingsheime ten hiergegen mobil machten, verteilten auch Neonazis Aufgrund szeneinterner Konflikte und eines drohenden Flugblätter. Darin argumentieren sie gegen „Scheinasy- Verbots des „Freien Netz Süd“ gingen seit Frühjahr 2012 lanten“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“, zeichneten Schre- die neonazistischen Aktivitäten in Niederbayern zurück. ckensszenarien von „Ausländerkriminalität“ und einem Auch die Internetseite des „Nationalen Bündnis Nie- Niedergang der Ortschaft. Solch rassistische Kampagnen derbayern“ wurde abgeschaltet, das Label hat offenbar bleiben leider häufig nicht folgenlos: Nachdem auf den ausgedient. Solche Umstrukturierungsmaßnahmen sind Internetseiten des „Freien Netz Süd“ gegen eine Flücht- in verschiedenen Teilen Bayerns zu beobachten und lingsunterkunft in Weiden in der Oberpfalz gehetzt wurde, dürften wohl als Vorsichtsmaßnahme für den Fall eines warfen im Juni 2011 drei jugendliche Rassisten Brandsät- Organisationsverbotes des „Freien Netz Süd“ verstan- ze gegen das Gebäude. Rassistische Hetze kann schnell den werden. Ersatzorganisationen sind jedoch bereits lebensgefährlich werden, egal ob sie aus der Neonazisze- gegründet, so auch in Niederbayern. Hier informiert seit ne oder Teilen der Mehrheitsbevölkerung kommt. Anfang 2013 das „Infoportal Niederbayern“ im Internet über Szeneaktivitäten. Die Inhalte sind die gleichen wie vorher beim „Nationalen Bündnis Niederbayern“ und Fazit auch die Akteure sind alte Bekannte. Nach seiner Haft- strafe wieder ganz vorne mit dabei: Walter Strohmeier. Trotz bestehender szeneinterner Konflikte und einiger Seine Rückkehr scheint sich im veränderten Stil einiger Rückschläge hat es die neonazistische Kameradschafts- Aktionen auszudrücken, etwa einer Agitprop-Aktion beim szene in Niederbayern geschafft, aktionsfähig zu blei- Mittelalterumzug der „Landshuter Hochzeit“. Dort verteil- ben. Angesichts ihrer Gewalttätigkeit und ihres offenen ten Neonazis Flyer, auf denen ein Video des „Landshuter Bekenntnis zum „Nationalen Sozialismus“ bleibt sie Narren“ beworben wurde. Diese Kunstfigur im vermeint- damit vor allem für gesellschaftliche Minderheiten und lich mittelalterlichen Narrenkostüm prangert die aus tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner/-innen Sicht der Neonazis größten Missstände unserer Zeit an: gefährlich. Als Zeichen der Solidarität bedarf es daher ei- Die Einwanderungsgesellschaft und die Demokratie. ner klaren Positionierung aller Demokrat/-innen gegen Neonazis und ihre menschenverachtende Ideologie und Praxis, zum Beispiel wenn sie gegen Flüchtlingsunter- künfte hetzen. •
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 15 →→ Zwischen Pop und Propaganda Das Geschäft mit dem neonazistischen Lifestyle in Niederbayern Die neonazistische Rechte ist nicht allein eine Jugend- Nationalisten“. Sie orientierten sich optisch am Auftreten subkultur. Weder sind alle Szeneangehörigen Jugendli- der linken Autonomen aus den achtziger und neunziger che, noch sind sie kulturell homogen. Dennoch spielen Jahren, tragen häufig schwarze Kapuzenjacken, Sonnen- typisch subkulturelle Ausdrucks- und Abgrenzungsbe- brillen, Buttons und Palästinensertücher. Die Parallele dürfnisse für viele Szeneangehörige eine wichtige Rolle zum Skinheadoutfit: Das Auftreten wirkt häufig aggressiv und werden von geschäftstüchtigen Akteuren der Szene bis militärisch. Doch gilt es sich angesichts der Ausdiffe- vielfältig bedient. Ähnlich wie auch in anderen Subkultu- renzierung der Ausdrucksformen und Stile innerhalb der ren sind dabei Kleidung, Musik und Lebensstil wichtige Szene endgültig von der Vorstellung zu verabschieden, Merkmale, über die Identität erzeugt und bekräftigt wird. Neonazis an einem bestimmten subkulturellen Code er- Auch in Niederbayern gibt es verschiedene Gewerbetrei- kennen zu können. bende, die an dem Geschäft mit dem neonazistischen Lifestyle mitverdienen. Funktionen des Neonazi-Chic Neue Stilvielfalt Gleichwohl kommen Kleidung, Musik und Lebensstil bei der Konstruktion der Identität von Neonazis auch heu- Während der neunziger Jahre war der Begriff Neonazi un- te noch wichtige Funktionen zu. Durch das öffentliche trennbar mit dem Bild des Skinheads verbunden. Obwohl Zurschaustellen der eigenen Gesinnung, etwa durch das diese Gleichung bereits damals zumindest zweifelhaft Tragen eines Kleidungsstückes mit politischen Aufdruck, war, hatte sie doch einen wahren Kern: Sehr viele Neo- bekennt man sich zu dieser, wirbt für sie, schüchtert po- nazis kleideten sich wie Skinheads und waren bereits tentielle Opfer ein, vergewissert sich selbst der Ernsthaf- auf den ersten Blick zu erkennen. Sie prägten damit die tigkeit des eigenen Anliegens und kann sich als Teil eines erste wichtige subkulturelle Erscheinungsform des Neo- Kollektivs fühlen. Durch die neue Vielfalt an Stilen ist es nazismus. Dennoch war eine Gleichsetzung bereits da- für Jugendliche bei der Annäherung an die neonazisti- mals falsch. Nicht alle Skinheads waren Neonazis, nicht sche Szene jedoch nicht mehr unbedingt nötig, beste- alle Neonazis kleideten sich wie Skinheads. Gerade im hende Vorlieben hinsichtlich des Kleidungsstils und der organisierten Neonazismus waren Seitenscheitel und Musik aufzugeben. Die Onlineshops der Szene bieten ein HJ-Outfit mindestens ebenso verbreitet. Zudem gab es umfassendes Repertoire an ideologisch aufgeladenen immer auch Neonazis, die sich hinsichtlich ihres Erschei- Artikeln und bedienen sich hierbei aus den unterschied- nungsbildes nicht von der Mehrheit ihrer Altersgenossen lichsten subkulturellen Stilelementen der Jugendszenen. unterschieden. Annäherungsprozesse an die Szene werden dadurch er- Im Laufe der Jahre sollten weitere subkulturelle Er- leichtert, gleichzeitig löst diese neue Vielfalt bei älteren scheinungsformen folgen, so dass das Spektrum an Szeneangehörigen regelmäßig Unverständnis aus. Die Ausdrucksformen und Stilen innerhalb der Neonazisze- Angst: Durch den Einzug kultureller Stilelemente aus al- ne heute äußerst differenziert ist. Dennoch dominiert ler Welt könnte die neonazistische Ideologie aufgeweicht in der öffentlichen Wahrnehmung noch regelmäßig das werden. Derlei Befürchtungen scheinen jedoch leider Bild des glatzköpfigen jungen Mannes mit Bomberjacke, überwiegend unbegründet, die neonazistische Szene was nicht zuletzt der Bebilderungspraxis einiger Medien hat durchaus ein Integrationspotential für vielfältige sub- und Sicherheitsbehörden bei der Berichterstattung ge- kulturelle Einflüsse und deutet diese zudem regelmäßig schuldet ist. Die heute in Teilen der Neonaziszene domi- in ihrem Sinne um. nierende Stilrichtung sind die sogenannten „Autonomen
16 _ Zwischen Pop und Propaganda Der „Wikingerversand“ Mit der Szene hat sich auch der „Wikingerversand“ im Laufe der Jahre verändert, sich im gewissen Sinne der Ein Beispiel für diese Umdeutungspraxis klingt bereits im Kundschaft angepasst. Er bedient die verschiedenen Be- Namen des größten niederbayerischen Szeneshops an: kleidungsstile, hat aber beispielsweise auch Kinderklei- Der „Wikingerversand“. Martialische Wikingerdarstellun- dung und Einrichtungsaccessoires im Angebot. Letzteres gen prägen den Stil des Onlineshops und sind allgemein dürfte eher die in der Szene älter gewordenen Neonazis in der Szene recht beliebt. Der Grund: Den Wikingern ansprechen, die mittlerweile Familie und einen eigenen werden häufig Eigenschaften wie Tapferkeit, Stärke und Haushalt haben. Zusammenhalt zugeschrieben. Neonazis stellen sich da- Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und die her gerne mit ihnen in eine Ahnenreihe, sehen sich also Verherrlichung des Nationalsozialismus sind allgegen- als deren Nachfahren. Zudem waren die Wikinger keine wärtig. Im Angebot finden sich Textilien mit Abbildungen Christen. Das kommt der neonazistischen Ideologie ent- der Szeneklassiker, etwa Wehrmachtssoldaten, Reichs- gegen, die das Christentum aufgrund seiner jüdischen adler, Triskelen, Schwarze Sonne oder der Zahlencode Wurzeln und seines Universalismus häufig ablehnt. Igno- 88. Eine Triskele ist ein Hakenkreuz mit drei Armen und riert wird dabei sowohl die skandinavische Herkunft der wird etwa vom Ku-Klux-Klan in den USA verwendet, in Wikinger als auch die Realitätsferne des dominierenden Deutschland ist sie nicht verboten. Ähnlich verhält es Wikingerbildes. Doch völkische Identitäten müssen nun sich mit der Schwarzen Sonne. Das Symbol besteht aus einmal stets konstruiert sein, fehlt ihnen doch die mate- zwölf kreisförmig angeordneten Sigrunen, wie sie aus rielle Basis. dem Logo der SS bekannt sind. Während des Nationalso- Geschäfte lassen sich damit dennoch machen. Der zialismus fand das Symbol dann auch bei der SS Verwen- Wikingerversand im niederbayerischen Geiselhöring im dung, nämlich als Bodenrelief im Obergruppenführersaal Landkreis Straubing-Bogen wird von Siegfried Birl betrie- der Wewelsburg. Die 8 in 88 steht indes für den achten ben und gehört zu den größten und ältesten der Szene. Buchstaben des Alphabets, also das H. 88 steht damit Bereits seit 1998 vertreibt Birl Kleidung, Musik, Propa- für HH und dient in der Szene als Chiffre für die verbotene gandamaterial und Accessoires. Später professionali- Grußformel „Heil Hitler“. sierte er sein Unternehmen und gründete die „Wikinger Das Sortiment richtet sich außerdem an Anhänger/- GmbH“, mittlerweile hat er mehrere Mitarbeiter/-innen innen des sogenannten „NS-Hardcore“. Das Angebot für und verfügt über eigene Produktionsanlagen zur Textil- diese Zielgruppe enthält vor allem T-Shirts, die mit ge- veredelung. waltverherrlichenden Symbolen wie Baseballschlägern, ↓ ↓ Der „Wikingerversand“ in Geiselhöring Mike Edling, mittig (Tätowierer und niederbayerische Führungskader)
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 17 Schlagringen und dem Slogan „Good Night Left Side“ – Neben Kleidung und Accessoires bietet der „Wi- eine offene Gewaltandrohung gegen Linke – versehen kingerversand“ auch eine Reihe CD's an. Überwiegend sind. Weiter finden sich viele Textilien mit Versatzstücken handelt es sich um die Werke klassischer Rechtsrock- aus der germanischen Mythologie – auch hier sollen wie- bands mit Namen wie Sturmwehr, Nordwind, Blitzkrieg der Traditionslinien beschworen werden – der sich auch und Weisse Wölfe. Die Funktion von Musik für die Szene Mittelalterfans und Angehörige der Schwarzen Szene be- ist vielfältig und wird in einem Zitat von Ian Stuart Do- dienen. Auch andere Kleidungsstücke finden wohl nicht naldson, dem verstorbenen Urvater des Rechtsrock und nur in der Neonaziszene Anklang, zumal einige T-Shirts Sänger der britischen Band „Skrewdriver“, treffend be- zunächst völlig harmlos und hinsichtlich der Motive und schrieben: „Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den ihres Designs durchaus zeitgemäß daherkommen. Auf Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in einem ist ein Verkehrsflugzug zu sehen, dazu im Hinter- politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann grund eine Anzeigetafel mit Abflugzeiten. Quer darüber damit Ideologie transportiert werden.“ prangt der Schriftzug „Rückreisemanager“. Rassistischer Ob auch der „Wikingerversand“-Inhaber Siegfried „Humor“ kommt dabei nicht zu kurz, wie zum Beispiel bei Birl über Musik politisierst wurde, ist unbekannt. Zumin- einem T-Shirt mit dem Etikett einer Grillsauce und der dest beschreibt er in einem Interview, wie er Ende der Aufschrift „100 % politisch unkorrekt – Zigeunersauce“. achtziger Jahre Sascha Roßmüller und andere Szenean- Unter den Accessoires finden sich Propagandasticker, gehörige in einer Heavy Metal-Disco kennengelernt und Poster mit SS-Soldaten, Karten von Deutschland in den kurze Zeit später an Kameradschaftsabenden teilgenom- Grenzen von 1942, Attrappen von Stielhandgranaten der men hat. Mitte der neunziger Jahre folgte dann der Eintritt Wehrmacht und sogenannte „Wandtattoos“ mit allerlei in die NPD, welche er augenscheinlich immer noch nach neonazistischen und gewaltverherrlichenden Motiven. Möglichkeit unterstützt. So sollen der NPD in Baden- Laut der Produktbeschreibung „ideal für die Tür geeignet“ Württemberg im Jahr 2011 Kundendaten für Wahlkampf- und mit Abstand am geschmacklosesten ist das Motiv zwecke zur Verfügung gestellt worden sein. „Brausebad“, Preis 14,90 Euro. Jener zynisch-irreführen- de Begriff stand über verschiedenen Gaskammern des nationalsozialistischen Lagersystems, heute dient er in Fazit der Neonaziszene als Wohnraumdekoration und sichert Schenkelklopfer bei Kameradenbesuch. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der „Wikin- gerversand“ vielfältiges identitätsstiftendes Material ver- kauft und damit an der Verbreitung und Festigung neo- Hass, der unter nazistischen Gedankengutes mitwirkt. Darüber hinaus erfüllt das Geschäft in Geiselhöring regelmäßig die Funk- die Haut geht tion einer Kontaktbörse, nämlich wenn Birl mehrmals jährlich zu Sonderverkaufstagen einlädt. Dort können bei Etwa 30 Kilometer südöstlich von Geiselhöring liegt Landau an der Isar. Hier betreibt Mike Bier und Brotzeit Kontakte geknüpft und die häufig jun- Edling das Tattoo-Studio „FX-Tattos“. Der Inhaber gen Besucher/-innen an die Szene herangeführt werden. gehört zum Führungspersonal der niederbay- erischen Kameradschaftsszene, ist ein enger Auch aus finanziellen Gründen ist der „Wikingerversand“ Vertrauter des verurteilen Rechtsterroristen wichtig für die Szene, unterstützt er doch nach Eigenan- Martin Wiese. Bei Aktionen des neonazistischen „Freien Netz Süd“ ist Edling regelmäßig mit wich- gabe regelmäßig deren Aktivitäten und schafft zudem tigen organisatorischen Aufgaben betraut. Kurz: Arbeitsplätze für Neonazis. Edling ist sehr gut vernetzt, kennt die maßgeb- lichen Akteure der bayerischen Szene. Dieses In der Vergangenheit gab es deshalb immer wieder weitverzweigte Netz an Bekanntschaften scheint vielfältige Protestaktionen gegen den „Wikingerversand“. auch seinem Geschäft zugutezukommen, zählen doch regelmäßig auch Neonazis außerhalb der Sollen diese in Zukunft erfolgreich sein, brauchen sie je- Region zu seinen Kunden. Für diese haben Täto- doch sicherlich eine noch stärkere lokale Verankerung wierungen häufig eine wichtige identitätsstiften- de Funktion, schließlich entscheidet man sich sowie einen langen Atem. • für die Ewigkeit. Zu Edlings Kundschaft gehören nicht nur Neonazis, in der Galerie auf seiner Homepage sind überwiegend Tattoos abgebildet, die keine explizit neonazistische Ausrichtung ha- ben. Gleichwohl finden sich auch Abbildungen von beliebten Szenemotiven wieder, beispiels- weise die Schwarze Sonne oder Wikinger.
18 _ Rechte Räume →→ Rechte Räume Über die Bedeutung von Immobilien am Beispiel des Gasthaus Gruber Neonazistische Organisationen in Bayern verfügen nur über wenige Immobilien. Gerade für die Durchführung größerer Veranstaltungen geeignete Räumlichkeiten sind knapp. Deshalb sind sie regelmäßig darauf angewiesen, sich in Nebenzimmern und Sälen von Gasthäusern ein- zumieten. Das „Gasthaus Gruber“ in Deggendorf gehört dabei seit Jahren zu ihren Favoriten. Warum solche Orte so wichtig sind und welche Funktionen sie erfüllen, wird im Folgenden ausgeführt. Falsche Gastlichkeit Egal ob Kameradschaftstreffen, Schulungsveranstal- ↑ tung, Vortragsabend, Rechtsrockkonzert oder Politischer Neonazis versuchen Demo anzugreifen Aschermittwoch der NPD: Im „Gasthaus Gruber“ finden (Deggendorf, September 2011) in schöner Regelmäßigkeit neonazistische Veranstaltun- gen aller Art statt. Damit ist das Gasthaus am Rande der → Deggendorfer Innenstadt wichtiger Bestandteil der Inf- Protest gegen das „Gasthaus Gruber“ rastruktur der niederbayerischen Neonaziszene. Denn: Über eigene Immobilien für größere Veranstaltungen scheint die Szene nicht zu verfügen. Hinzu kommt, dass gezeigt, dass es seitens zivilgesellschaftlicher und insti- viele Wirtsleute Neonazis keine Plattform bieten wollen tutioneller Akteure vielfältige Handlungsstrategien gibt, und sich die Suche nach Veranstaltungsräumen deshalb um dem Problem zu begegnen. So können etwa die Ver- häufig schwierig gestaltet. Zwar kann die NPD als Partei eine des Ortes den Wirtsleuten verdeutlichen, dass sie nach dem Parteiengesetz unter bestimmten Vorzeichen die Beherbergung von Neonazis ablehnen. Ämter und Be- öffentliche Gebäude nutzen, hiergegen wehren sich Kom- hörden können ihren Teil dazu beitragen, dass Neonazis munen jedoch regelmäßig erfolgreich. Sei es durch die den Aufenthalt im Ort nicht als einladend wahrnehmen. Aufnahme antirassistischer Klauseln in die Mietverträge Die Regionale Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus oder weil die NPD den Aufwand einer juristischen Aus- und in der Vergangenheit betroffene Kommunen helfen einandersetzung scheut. Gerade vor dem Hintergrund bei konkreten Anliegen in der Regel weiter. der oftmals schwachen Personaldecke neonazistischer Auch in Deggendorf engagieren sich lokale Akteure Organisationen und Parteien sind problemlos nutzbare mit vielfältiger Präventionsarbeit, Veranstaltungen und Veranstaltungsräume wie das „Gasthaus Gruber“ des- immer wieder auch Demonstrationen gegen die regelmä- halb äußerst wichtig. ßigen Neonaziaktivitäten in ihrer Stadt. Dass diese Aktivi- Das Deggendorfer Gasthaus ist dabei nicht das ein- täten die Ruhe der Neonazis durchaus stört, zeigen deren zige Lokal, das Neonazis regelmäßig Räume für öffentli- Reaktionen. Die NPD verteilte im Frühjahr 2013 hetzeri- che Veranstaltungen zur Verfügung stellt. Vergleichbare sche Flugblätter gegen „Tolerante geistige Brandstifter“, Fälle gab es in den letzten Jahren etwa in Eggenfelden, diffamierte darin Lokalpolitiker und das Netzwerk „Bun- Fürstenzell und Buchhofen. Dort wie anderswo hat sich ter Landkreis Deggendorf“. Noch weiter gingen Neonazis
BJR _ Neonazismus in Niederbayern 19 aus dem Spektrum der „Freien Kameradschaften“: Als im September 2011 eine Demonstration von Jusos und An- tifa gegen den rechten Treffpunkt in der Stadt stattfand, versuchten etwa 25 Neonazis aus dem „Gasthaus Gruber“ heraus den Demonstrationszug anzugreifen. Hierbei wa- ren sie teilweise bewaffnet, die Polizei konnte die Angrei- fer nur mit einiger Mühe zurückdrängen. Das Streben der Szene nach Immobilien Gegenüber Orten wie dem „Gasthaus Gruber“ bevorzugt die Szene grundsätzlich natürlich eigene Räumlichkeiten. Diese bieten vielfältige Möglichkeiten, schaffen ein hohes Maß an Planungssicherheit, sorgen für Öffentlichkeit und beeinflussen das Klima des Sozialraums in ihrem Interes- se. In Regionen mit bekannten neonazistischen Zentren ist etwa regelmäßig zu beobachten, dass im Umfeld der Immobilien vor allem für Angehörige von Minderheiten und politische Gegner/-innen sogenannte Angsträume entstehen. Darüber hinaus erhoffen sich Neonazis, dass ihre dauerhafte Anwesenheit nach und nach zur Norma- lität wird und ihre gesellschaftliche Einflussmöglichkeit der Etablierung eines Szenetreffs zum Eigenerwerb unat- dadurch steigt. traktiver Immobilien zu drängen. Fakt ist jedoch: Die NPD Deshalb propagiert die bayerische Neonaziszene muss mit ihrem knappen Budget haushalten und kann seit Jahren den Kauf von Immobilien und realisiert diesen daher keine überteuerten Objekte kaufen. auch nach Möglichkeit. Im Jahr 2010 erwarb eine Person Damit ist jedoch keine Entwarnung gegeben. Neona- aus dem Umfeld des „Freien Netz Süd“ einen ehemali- zis sind aus den oben genannten Gründen durchaus am gen Gasthof im oberfränkischen Oberprex, der nun als Erwerb von Immobilien interessiert, wofür der bayerische „Nationales Zentrum“ dient. Aufgrund der deutlich hö- Landesverband der NPD auch über Rücklagen verfügen heren Immobilienpreise ist dies in Niederbayern bisher dürfte. Bei echtem Kaufinteresse werden öffentliche Dis- nicht gelungen. In den Jahren 2008 und 2009 mietete kussionen im Vorfeld jedoch vermieden, so geschehen in sich die NPD zwar zeitweise in eine ehemalige Tierklinik Oberprex und anderen Orten der Republik. in Straubing ein und Kaufabsichten wurden kolportiert, erworben wurde das Gebäude jedoch schließlich nicht. Wenige Wochen nachdem dort ein Sommerfest mit meh- Fazit reren hundert Szeneangehörigen stattfand, war das Ge- bäude plötzlich wieder verlassen. Vergleichbare Fälle Treffpunkte und Veranstaltungsräume sind für die Neo- sind regelmäßig zu beobachten: Besitzer/-innen schwer naziszene von höchster Bedeutung. Im Zusammenwirken verkäuflicher Immobilien lassen Gerüchte über ein Kau- können zivilgesellschaftliche und institutionelle Akteure fangebot der NPD aufkommen, das angeblich weit über den Neonazis jedoch verdeutlichen, dass sie in der Kom- dem Marktwert liegt. Die NPD wolle dort ein Schulungs- mune nicht willkommen sind. Für Gasthäuser sollte es zentrum errichten. Um dieses Szenario realistischer er- selbstverständlich sein, Neonazis keine Plattform zu scheinen zu lassen, werden der Partei die Räumlichkeiten bieten. Für Kommunen gilt: Die Augen offen halten und bisweilen für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung bei Gerüchten um neonazistischen Immobilienerwerb gestellt. Zum Kauf kommt es jedoch in der Regel nicht. externe Hilfe heranziehen. • Vielmehr scheint diese Taktik dazu zu dienen, die Kom- munen aufzuschrecken und unter der drohenden Gefahr
20 _ Zwischen Normalität und U nterwanderung →→ Zwischen Normalität und Unterwanderung Das neonazistische Streben nach Hegemonie im vorpolitischen Raum Der Einfluss neonazistischer Parteien und Organisatio- schen dann auch für die direkte politische Ansprache nen reicht heute bei weitem nicht aus, um durch Wahlen offener sind. Das Fernziel all dieser Aktivitäten ist die Er- oder einen Umsturz die Macht im Staat übernehmen zu langung der kulturellen Hegemonie, um die Machtfrage können. Im Wissen um ihre gesellschaftliche Marginali- im Staat stellen zu können. sierung setzen Neonazis deshalb auf Konzepte, mit wel- Auf der Internetseite des neonazistischen „Freien chen sie langfristig Hegemonie im vorpolitischen Raum Netz Süd“ liest sich dies wie folgt: „[I]n Stadtteilen, Dorf- anstreben. Sind sie hier fest verankert, hoffen sie eine gemeinschaften, Feuerwehren und Vereinen müssen wir bessere Position in der Auseinandersetzung mit dem Präsenz zeigen. Angesichts der zunehmenden negativen „demokratischen System“ zu haben. Deshalb drängen Entwicklung bezüglich der Umvolkung, Werteverlust, sie gezielt in vielfältige Bereiche des öffentlichen Lebens, der Volksverhetzung gegen alles Nationale, macht sind beispielsweise Sportvereine, Feuerwehren, Elternbeiräte, neue Wege notwendig [sic].“ Da dieses Zitat von einer Kultur und Medien. Schulungsveranstaltung mit Matthias Fischer, einem der Führungskader des „Freien Netz Süd“ stammt, darf eine gewisse Verbindlichkeit für Szeneangehörige angenom- Der vorpolitische Raum men werden. Von einer breiten Verankerung im vorpolitischen „BRD heißt das System, morgen wird es untergeben“ oder Raum sind Neonazis in Niederbayern weit entfernt, von „Das System ist am Ende, wir sind die Wende“: Bei neona- der Erlangung kultureller Hegemonie können sie nur zistischen Aufmärschen sind häufig Parolen zu hören, die träumen. Ihre Situation ist beispielsweise weit entfernt angesichts des tatsächlichen Einflusses neonazistischer von der Realität in einzelnen Ortschaften Mecklenburg- Parteien und Gruppen nur mit völliger Realitätsferne oder Vorpommerns, wo Neonazis und ihre Positionen ganz aber mit Größenwahn zu erklären sind. Betrachtet man selbstverständlich zum Dorfalltag dazugehören. Oder Strategiedebatten innerhalb der Szene, wird klar, dass im krisengebeutelten Griechenland, wo sich die neona- sich zumindest die Intellektuellen und das Führungsper- zistische Partei „Goldene Morgenröte“ durch kostenlose sonal weniger Illusionen über den Zustand der eigenen Lebensmittel- und Medikamentenausgabe exklusiv für Strukturen machen. Dort wird seit Jahren diskutiert, wie ethnische Griechen/-innen erfolgreich etablieren konnte. der politischen Einflusslosigkeit begegnet werden kann. Eines der Rezepte: Die Eroberung des vorpolitischen Raums, also der gesellschaftlichen Sphären unterhalb „Nationale Hochwasserhilfe“ der offiziellen Politik. All jener Orte eben, wo Menschen zusammenkommen, Meinungsbildung stattfindet und Doch auch niederbayerische Neonazis versuchen Ein- schlussendlich Gesellschaft gestaltet wird. fluss im vorpolitischen Raum zu erlangen. So etwa im Hier soll durch aktive Mitarbeit zuerst Akzeptanz für Juni 2013 in Deggendorf, als das Hochwasser die Region die eigene Person geschaffen werden. Ist dieses Funda- heimsuchte. Wie viele andere auch packten sie mit an, ment vorhanden, kann durch die Mitgestaltung der Rah- schleppten Sandsäcke, halfen beim Aufräumen. Hinter menbedingungen und scheinbar beiläufige Kommenta- dieser scheinbar selbstlosen Hilfe verbargen sich jedoch re das Klima mittelfristig im Sinne der neonazistischen auch politische Absichten. Der Anlass war hierzu auf Rechten beeinflusst werden. Hinzu kommt, dass Men- tragische Weise geeignet, denn: Wer konnte angesichts
Sie können auch lesen