Kirchen info - Zusammenstehen Für gute Arbeit und gute Versorgung - ver.di - Gesundheit & Soziales
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Inhalt Vom Wandel der Arbeit und ihrer kollektiven Gestaltbarkeit 3 Diakonie Niedersachsen: »Ganz normale Tarifverhandlungen auf Augenhöhe« 4 Caritas-Stiftung Liebenau in Baden-Württemberg: Beschäftigte organisieren sich für Tarifvertrag 5 Diakonie Württemberg: »Unerhört« – gelungene Aktion der Tarifkommission Diakonie 6 Diakonie Bayern: Und weiter geht’s auf dem Weg zum Tarifvertrag 7 Diakonie Hessen: Aktionen wegen abgesagter Verhandlungen für die Altenpflege 8 Kirchlicher Sonderweg: Erfolgreich – für Arbeitgeber 10 Diakonie Deutschland: Lohnspaltung für Beschäftigte und mehr Flexibilität für Arbeitgeber 10 Diakoniewerk Kropp in Schleswig-Holstein: »Allein mit guten Argumenten kommen wir nicht weiter« 14 Diakonie Mitteldeutschland: Keine Entlastung, etwas Lohnerhöhung 15 Diakonie Mitteldeutschland: Das Pippi-Langstrumpf-Syndrom 16 ver.di-Streitschriften: Zu Mitbestimmung und Tarifverträgen in kirchlichen Betrieben 18 Diakonie Hessen: Lohnunterschiede im Hinterzimmer weiter zementiert 20 JAV-Wahlen unterstützen: Mitbestimmung in der Ausbildung stärken 21 Konzern-MAV bei Agaplesion gegründet: »Wir wollen mitgestalten« 24 Leitfaden für Mitarbeitervertretungen – mit aktuellem MVG.EKD 26 Fotos: ver.di Verbindliche Einigungsstelle nach MVG.EKD: Ab 2020 am Start 27 Seminarangebote für Mitarbeitervertretungen 28 Neues Vernetzungsforum: »MAV-aktiv« 28 Ihr fragt – ver.di antwortet 29 Unsere Ansprechpartner/innen in den Bundesländern 29 Quo vadis Altenpflege? 30 Pflegekammer Rheinland-Pfalz beschließt Berufsordnung: »Arbeitgeber mit in die Pflicht nehmen« 31 Fachtagung Behindertenhilfe: Große Resonanz und viele Fragen 32 Reform des Kinder- u. Jugendhilferechts: Gesetzentwurf des SGB VIII soll kommen 34 ver.di auf dem 37. Evangelischen Kirchentag 35 Impressum: ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundesverwaltung Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen Verantwortlich: Sylvia Bühler Briefe an die Redaktion: ver.di Bundesverwaltung, Ressort 9, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin Email: mario.gembus@verdi.de Redaktionsteam: Uta von Schrenk, Herbert Deppisch, Daniel Behruzi, Mario Gembus, Berno Schuckart-Witsch, Daniel Wenk Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 3. April 2020 Layout: fgl-werketage, Andreas Hesse · Druck: Druckservice Vera Boepple 2 W-3521-06-1019
Vom Wandel der Arbeit und ihrer kollektiven Gestaltbarkeit Liebe Leserin, lieber Leser, Ende Oktober lud die Diakonie zur »Innovationskonfe- Beteiligung und Engagement von Beschäftigten ste- renz« nach Kassel. Vertreter*innen aus Wissenschaft, hen auch im Fokus zweier Streitschriften, die ver.di ver- Politik und Einrichtungen diskutierten über innovative öffentlicht hat. Mitbestimmung und Tarifverträge sind Lösungen und zukunftsfähige Ideen. Nicht mit dabei: seit 100 Jahren etablierte Rechte von die Beschäftigten der Diakonie, niemand der immerhin Arbeitnehmer*innen in Deutschland, auch in kirch- fast 600.000. Gleiches gilt für die Ankündigung der lichen Betrieben. Die beiden Schriften werfen einen kri- Diakonie, die bisherige Loyalitätsrichtlinie zu einer tischen Blick auf deren Ausgestaltung durch die Kirchen Profilrichtlinie weiterzuentwickeln. Theolog*innen, und laden zur Diskussion ein, inwieweit die kirchlichen Jurist*innen, Diakonie, Fach- und Landesverbände Regeln für über 1,2 Millionen Beschäftigte in einer sich sowie Unternehmen bilden dafür eine Kommission. wandelnden Arbeitswelt noch zeitgemäß sind. Vertreter*innen der Beschäftigten sind bislang nicht Unsere Kolleg*innen im Gesundheits- und Sozialwe- vorgesehen. In beiden Fällen geben sich der Arbeitge- sen werden durch einen hohen Arbeitsethos angetrie- ber Kirche und ihre Diakonie progressiv, gehen mit den ben – und das ist toll. Denn natürlich wollen wir alle, eigenen Beschäftigten jedoch gewohnt paternalistisch dass engagierte Menschen zum Beispiel unsere Kinder, um. Gespräche über die künftige Gestaltung der Arbeit unsere Eltern im Alter oder uns selbst gut versorgen und deren Rahmenbedingungen finden ohne die maß- oder beraten. Doch oft behindert dieses Ethos die eige- geblich Betroffenen statt. ne Interessenvertretung: »Ich kann doch nicht meine Auch bei den 2019 auf kirchlichem Weg getrof- Klienten oder Patienten im Stich lassen.« Umso wich- fenen Regelungen über Löhne und Arbeitsbedingungen tiger ist der Perspektivwechsel: Nur mit guten Arbeits- stehen die Bedürfnisse der Beschäftigten nicht an erster bedingungen können Beschäftigte des Gesundheits- Stelle. Statt bessere Bedingungen zu schaffen, werden und Sozialwesens andere Menschen gut versorgen und Arbeitszeiten flexibilisiert und verlängert. Eine irrwitzige dabei selbst gesund bleiben. Das zu erreichen, geht Entwicklung in einer Zeit, in der Fachkräfte händerin- nicht allein, sondern nur gemeinsam. Mit ver.di. gend gesucht werden und die Belastung der Beschäf- Eure Kirchen.info-Redaktion tigten dringend reduziert werden muss. Anders laufen die Dinge mit Tarifvertrag. Solche Angriffe auf die Arbeitszeit konnten zum Beispiel die Beschäftigten der Diakonie Niedersachsen in ihrer Tarif- runde verhindern. Ermöglicht haben dies das Engage- ment und die Aktionen vieler ver.di-Kolleg*innen. Da- durch haben sie auch eine zusätzliche Pflegezulage erreicht, ähnlich wie im öffentlichen Dienst. Und zwar auch für die Altenpflege. Wo Arbeitsrechtliche Kommissionen die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Diakonie festlegen, geschah hingegen auch in diesem Jahr, was im Sinne der Arbeit- geber ist: Die Löhne wurden zwar erhöht, doch die Schere zwischen unteren und oberen Lohngruppen erheblich vergrößert. Zum Teil wurden Beschäftigten- gruppen ungleich behandelt. Die Arbeitszeit wurde mit neuen Bereitschaftszeiten flexibilisiert und Forderungen nach Entlastung wurden schlicht ignoriert, zum Beispiel in Mitteldeutschland. Im Norden und anderswo gibt es etliche diakonische Arbeitgeber, die sich überhaupt nicht an kirchliche Spielregeln halten und Arbeitsbedin- gungen per Arbeitsvertrag festlegen, wie es ihnen ge- fällt. Es ist nicht neu: Setzen sich Beschäftigte kollektiv für ihre Interessen ein, setzen sie der Willkür ihrer Ar- beitgeber Grenzen. Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 3
Diakonie Niedersachsen: »Ganz normale Tarifverhandlungen auf Augenhöhe« Tobias Warjes ist Mit dem Tarifabschluss wird eine neue Pflegezulage Heilerziehungspfle- zwischen 85 und 120 Euro im Monat eingeführt. Ist ger und Vorsitzender auch das ein Mittel gegen den Mangel an Arbeits- der Arbeitsgemein- kräften? schaft der Mitarbei- Ja, natürlich. Mit dem Pflegepersonalstärkungsge- tervertretungen in setz hat die Regierung dafür gesorgt, dass Tariferhö- den Diakonischen hungen in der Krankenhauspflege vollständig refinan- Werken Niedersach- ziert werden. Hier Verbesserungen zu erreichen, ist sens (ag mav). daher nicht so schwer. Wir haben aber darauf bestan- Er ist seit deren den, dass die Zulage auch in der Altenhilfe gezahlt Gründung 2010 wird. Das haben wir erreicht. Hinzu kommt, dass wir Mitglied der ver.di- die Altenpflegetabelle, die gegenüber der allgemeinen Tarifkommission für Entgelttabelle um etwa drei Prozent abgesenkt war, die niedersächsische schrittweise auf dieses Niveau anheben. Das ist ein Diakonie. echter Erfolg. ver.di hat für die Diakonie Niedersachsen einen neuen Wie habt Ihr die Arbeitgeber dazu bewegt, das zu ak- Tarifvertrag durchgesetzt, der den rund 37.000 Be- zeptieren? schäftigten bis Juni 2021 Lohnerhöhungen von insge- Das hat auch mit der generalistischen Ausbildung samt 7,2 Prozent beschert. Wie bewertest Du die Ver- im neuen Pflegeberufegesetz zu tun. Es ist zu befürch- einbarung? ten, dass die Leute von der Alten- in die Krankenpflege Ich kann diesen Abschluss gut vor meinen Kolle- abwandern oder sich gleich gegen die Altenpflege ent- ginnen und Kollegen vertreten. Für 2019 steht eine Drei scheiden, wenn die Bedingungen dort schlechter sind. vor dem Komma, das wollten die Arbeitgeber eigent- Darauf haben wir bei den Verhandlungen hingewiesen lich verhindern. Noch wichtiger finde ich, dass wir zum und zugleich deutlich gemacht, dass es nicht gerecht- ersten Mal eine soziale Komponente durchgesetzt fertigt ist, Beschäftigten in der Altenpflege bei gleicher haben: In den ersten beiden Erhöhungsrunden steigen Qualifikation weniger zu zahlen als ihren Kolleginnen die Entgelte um jeweils mindestens 70 Euro. Das führt und Kollegen in den Krankenhäusern. dazu, dass die Schere zwischen unteren und oberen Entgeltgruppen nicht noch stärker auseinandergeht. Und dieses Argument hat gezogen? Na ja, die Arbeitgeber haben die deutliche Erhö- Warum ist Dir das so wichtig? hung in der Altenhilfe eher zähneknirschend akzeptiert. Schon eine Fachkraft mit einer vollen Stelle hat Dazu haben auch die vielen Aktionen beigetragen, die nicht allzu viel Rente zu erwarten. Den Kolleginnen und die Kolleginnen in den Einrichtungen auf die Beine ge- Kollegen in den unteren Entgeltgruppen – die dazu oft- stellt haben. Das waren zwar oft eher kleine Proteste, mals Teilzeit arbeiten – droht massenhaft Altersarmut. aber es haben sich sehr viele Belegschaften gerade in Das ist nicht sozial. Klar: Die Arbeitgeber hätten lieber den Pflegeheimen daran beteiligt. Das hat die Diakonie- die Fachkräfte bevorteilt, weil sie auf dem Arbeitsmarkt Spitze durchaus wahrgenommen. schwer zu bekommen sind. Nur für sie etwas zu tun, ist aber sehr kurzsichtig. Denn wenn es so weitergeht, be- Warum war die Aktionsbereitschaft in dieser Tarifrunde kommen die Einrichtungen auch bei Nicht-Fachkräften so groß? ein Problem. Vor dem Tarifabschluss lagen die Stunden- Die Arbeitgeber selbst haben dazu beigetragen. In löhne in diesem Bereich bei 12,41 Euro. In vielen ande- der ersten Verhandlungsrunde legten sie kein Angebot ren Branchen verdient man mehr – und hat keine vor. Und in der zweiten Runde verlangten sie plötzlich Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Es besteht die Ge- eine massive Flexibilisierung und Verlängerung der Ar- fahr, dass die Leute abwandern und ihrem Beruf den beitszeiten. Das hat dazu geführt, dass sich die Kolle- Rücken kehren. ginnen mehr als sonst für diese Tarifauseinanderset- zung interessiert haben und auch bereit waren, sich zu engagieren. Daraufhin haben die Verhandlungsführer 4 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
der Diakonie ihre Forderungen schnell wieder vom cheninterner Lohnfindung durch die Teilnahme an Ar- Tisch genommen. Zu dem schließlich gefundenen Kom- beitsrechtlichen Kommissionen am Leben zu halten. promiss gehört übrigens auch die Tarifierung der Aus- zubildenden in der Heilerziehungspflege, die für mich Dies war bereits die dritte Entgeltverhandlung seit Be- persönlich besonders wichtig ist. Schon in den letzten stehen des Diakonie-Tarifvertrags in Niedersachsen. beiden Tarifrunden haben wir gefordert, dass ange- Sind Tarifverhandlungen inzwischen zur Normalität ge- hende Heilerziehungspfleger einen Anspruch auf tarif- worden? liche Vergütung haben – so, wie es in der Pflege und Es sind auf jeden Fall ernsthafte Verhandlungen, die anderswo selbstverständlich ist. Das haben wir jetzt ganz anders laufen als auf dem »Dritten Weg«. Auf Ar- durchgesetzt. Die Diakonie Niedersachsen hat damit beitgeberseite sitzen allerdings noch ein paar Leute, die einen der wenigen Tarifverträge überhaupt, der auch aus der Tradition des »Dritten Wegs« kommen, was für Auszubildende in der Heilerziehungspflege gilt. man manchmal merkt. Was ich überhaupt nicht für zeitgemäß halte, ist, dass der Kirchenaustritt ein Kündi- Gab es bei den Verhandlungen sonst noch Besonder- gungsgrund sein kann. Das ist schon deshalb absurd, heiten? weil die Konfessionszugehörigkeit bei Einstellungen Ja, ver.di hat erstmals offiziell gemeinsam mit der kein entscheidendes Kriterium mehr ist. Wir werden Ärzteorganisation Marburger Bund verhandelt. Das war weiter darauf drängen, dass diese Regelung beseitigt sehr hilfreich und hat uns alle stärker gemacht. Ich wird. Ansonsten aber sind wir in der Tat auf dem Weg, finde, das sollte im Marburger Bund Schule machen. ganz normale Tarifverhandlungen auf Augenhöhe zu Gemeinsam auf Augenhöhe über Tarifverträge zu ver- führen. Wie man sieht: Das geht auch in Kirche und Di- handeln ist viel sinnvoller, als den »Dritten Weg« kir- akonie. Caritas-Stiftung Liebenau in Baden-Württemberg: Beschäftigte organisieren sich für Tarifvertrag In der Liebenau Leben im Alter gGmbH tut sich was. haben wir gezeigt, wie groß der Abstand zum Tarifver- Seit Jahren werden die rund 750 Beschäftigten des trag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. zu den Tochterunternehmens der Stiftung Liebenau, die dem Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas inzwischen Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart ange- ist – das hat gewirkt.« So liegt beispielsweise das Tabel- hört, schlechter bezahlt als ihre Kolleginnen und Kolle- lenentgelt einer Pflegekraft im Dauernachtdienst mit gen in anderen Bereichen der Caritas und im öffent- einer halben Stelle und 16 Beschäftigungsjahren um lichen Dienst. Grund ist ein sogenannter bischöflicher 236 Euro unter dem TVöD. Eine Wohnbereichsleitung Dispens, der es den 18 Pflegeeinrichtungen lange Zeit in Vollzeit verdient im siebten Beschäftigungsjahr mo- erlaubte, von den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas natlich fast 1.000 Euro weniger. Auch bei der Jahres- abzuweichen. Diese Ausnahmeregelung ist ausgelau- sonderzahlung und beim Freizeitausgleich für Arbeit zu fen, weshalb das Unternehmen auf ver.di zugegangen ungünstigen Zeiten sind die Beschäftigten der Liebenau ist, um Verhandlungen über einen Tarifvertrag aufzu- Leben im Alter gGmbH benachteiligt. Hinzu kommt, nehmen. »Natürlich stehen wir für Tarifverhand- dass das Unternehmen statt der Beiträge von acht Pro- lungen«, stellte die ver.di-Landesfachbereichsleiterin zent, die es laut AVR in die Zusatzversorgungskasse Irene Gölz seinerzeit im Interview mit dem Kirchen.info einzahlen müsste, seinen Angestellten lediglich drei klar. »Aber diese können nur auf Augenhöhe stattfin- Prozent für eine private Altersvorsorge auszahlt. »Wenn den, wenn die Beschäftigten bereit sind, sich dafür ein- man alle Bestandteile der Entlohnung hochrechnet, zusetzen und sich zu organisieren.« Dieser Appell kommt man auf schätzungsweise eine Million Euro pro zeigte Wirkung: Noch Anfang 2019 waren lediglich vier Jahr, die den Beschäftigten der Liebenau Leben im Alter Betriebsratsmitglieder – in Bezug auf die betriebliche gGmbH vorenthalten wird«, rechnete Baumann vor. Mitbestimmung sind die Einrichtungen bereits weltlich Für ver.di ist klar: Ziel der anstehenden Tarifver- organisiert – Mitglied bei ver.di. Jetzt sind mehr als 200 handlungen muss die Angleichung an den TVöD sein, Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert. dem auch die AVR der Caritas entspricht. Doch es gibt »Wir haben sehr viele Gespräche geführt und deut- bereits Komplikationen: Die Dienstgeberseite in der Ar- lich gemacht, dass sich an der ungleichen Bezahlung beitsrechtlichen Kommission (ARK) der Caritas hat dem nur etwas ändern wird, wenn sich die Leute engagie- Unternehmen Gespräche über eine stufenweise Über- ren«, berichtete Yvonne Baumann vom ver.di-Landes- führung in die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien an- bezirk Baden-Württemberg. »Mit konkreten Zahlen geboten. Der Liebenau-Vorstand hat den für Dezember Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 5
geplanten Verhandlungsbeginn daraufhin auf das näch- ßerhalb des kirchlichen Arbeitsrechts gestellt«. Darauf- ste Jahr verschoben. hin hätten sich die Beschäftigten dafür entschieden, mit Einer Überführung in die Arbeitsvertragsrichtlinien ver.di selbstbestimmt einen Tarifvertrag zu erreichen. müsste auch die Dienstnehmerseite in der ARK zustim- Von der Arbeitsrechtlichen Kommission wünsche man men. »Wir fordern die Kolleginnen und Kollegen in der sich dabei weiterhin Unterstützung. ARK auf, das abzulehnen und den Weg zu einem Tarif- Nur bei Tarifverhandlungen könnten die organisier- vertrag bei der Liebenau nicht zu torpedieren«, appel- ten Beschäftigten selbst festlegen, welche Forderungen lierte Baumann. »Vor einem Jahr hat die Stiftung Liebe- sie aufstellen, wer sie vertritt und welches Ergebnis sie nau die Angleichung an die AVR noch vehement akzeptieren, erläuterte Baumann. »Der Weg zum Tarif- abgelehnt. Jetzt will sie das doch wieder, allerdings stu- vertrag wird von den ver.di-Mitgliedern bestimmt«, fenweise gestreckt über fünf Jahre. Wer garantiert stellte die Gewerkschafterin klar. Voraussichtlich An- denn, dass es sich der Vorstand in dieser Zeit nicht fang November wählen die ver.di-Mitglieder die Tarif- noch einmal anders überlegt?« kommission. In etwa der Hälfte der Einrichtungen Die Delegierten der ver.di-Mitglieder aus den 18 haben die Teams bereits Delegierte bestimmt, die wäh- Einrichtungen unterstützten diese Haltung bei einem rend der Verhandlungen die Rückkopplung in die Be- Treffen am 22. Oktober einmütig. In einer einstimmig triebe sicherstellen und die Meinung der Basis einbrin- beschlossenen Resolution erklärten sie selbstbewusst: gen sollen. »Solche demokratischen Mechanismen und »Gemeinsam werden wir uns auf den Weg machen, Verhandlungen auf Augenhöhe gibt es nur mit Tarifver- um durch einen Tarifvertrag unsere Arbeitsbedin- trag«, betonte Baumann. »Dafür machen wir uns ge- gungen und vor allem Lohngestaltung mitzubestim- meinsam mit den aktiven Kolleginnen und Kollegen men.« Das Unternehmen habe durch eine Änderung weiter stark.« seiner Satzung »Fakten geschaffen und uns damit au- Daniel Behruzi Diakonie Württemberg: »Unerhört« – gelungene Aktion der Tarifkommission Diakonie Foto: Rüdiger Bäumel Besser zuhören: Diakonie-Beschäftigte fordern mehr Rechte ein 6 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
Unter dem Stichwort »UNERHÖRT« führt die Diakonie die diakonischen Arbeitgeber Deiner Meinung nach zu- Deutschland eine Kampagne durch, mit der sie für eine hören und entsprechend handeln – in Deiner Einrich- offene Gesellschaft wirbt: »Viele Menschen haben tung und überhaupt?« Die Karten wurden von Mitglie- heute das Gefühl, nicht gehört zu werden. Sie fühlen dern der Mitarbeitervertretung (MAV) oder der ver.di- sich an den Rand gedrängt in einer immer unübersicht- Betriebsgruppe in den Diakonieeinrichtungen verteilt, licheren Welt, in der das Tempo steigt und Gerechtig- die Rückmeldungen wurden für die Aktion zur Eröff- keit auf der Strecke zu bleiben droht. ...« nung der Woche der Diakonie ausgewertet. ver.di- Anknüpfend an diese begrüßenswerte Kampagne Kolleg*innen haben dem Vorstandsvorsitzenden des hat die Tarifkommission der Diakonie Württemberg Diakonischen Werks Württemberg, Oberkirchenrat Die- eine kleine aber feine Aktion zur Eröffnung der Woche ter Kaufmann, eine Riesen-Unerhört-Postkarte mit For- der Diakonie organisiert. Der Gedanke dabei: »Auch derungen der Beschäftigten übergeben. viele Diakonie-Mitarbeitende haben zuweilen das Ge- Insbesondere die Dringlichkeit der Abschaffung der fühl, von ihrem Arbeitgeber nicht oder nicht angemes- ACK-Klausel vor den nächsten MAV-Wahlen konnte so sen gehört zu werden. Daher unsere ver.di-Aktion »Un- deutlich gemacht werden. Fazit: eine gelungene Akti- erhört! Diese Mitarbeitenden.« Beschäftigte konnten on. Danke an alle, die sich an der Aktion beteiligt auf Karten schreiben, was ihrer Meinung nach geän- haben und weiter beteiligen werden. Lasst uns die An- dert oder verbessert gehört. Auf der Rückseite der liegen unserer Kolleginnen und Kollegen aufnehmen Karte steht: »Mit ihrer Kampagne »unerhört« will die und die Arbeitsbedingungen gemeinsam zum Besseren Diakonie zuhören. Wir nehmen sie beim Wort und do- wenden. kumentieren die Stimmen der Beschäftigten: Wo sollten Uli Maier Diakonie Bayern: Und weiter geht’s auf dem Weg zum Tarifvertrag Das Kirchen.info hat in seiner Maiausgabe über die fe und Bedürfnisse ihrer Klient*innen oder wichtigsten Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung in Bewohner*innen zu konzentrieren. Wie gelingt aber der Diakonie Würzburg berichtet. Die Betriebsgruppe der Perspektivwechsel, dem Anspruch an die Qualität hatte die Umfrage gestartet, um konkrete Ansatz- der eigenen Arbeit gute Bedingungen für sich selbst punkte für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen voranzustellen? Nach dem Motto: »Wenn ich gute Ar- herauszufinden. beitsbedingungen habe, kann ich auch dauerhaft gute Ende September fand nun ein Vernetzungstreffen Arbeit leisten.« Ärger und Unmut über die Arbeitsbe- der bayerischen Tarifprojekte in der ver.di-Bildungsstät- dingungen sollten nicht in Frust und Resignation mün- te in Saalfeld statt. Es ging darum, über die bisherigen den, sondern die Grundlage für gemeinsame Aktivi- Aktivitäten in Würzburg und Landshut zu berichten, täten und Aktionen werden, die die konkrete den aktuellen Stand der Projekte zu bewerten und Ver- Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel haben abredungen für die nächsten Monate zu treffen. – weg von dem individuellen Problembewusstsein hin Zu den Themen, die in den Tarifprojekten immer zu einem kollektiven Problemlösungsbewusstsein. wieder vorkommen, gehört auch die Frage: Was ist Für die Diakonie in Würzburg und Landshut gilt, Aufgabe und Rolle von Mitgliedern der Mitarbeiterver- dass die Gewerkschaft ver.di längst ein Bestandteil des tretung (MAV) und um was kümmern sich die ver.di- betrieblichen Alltags ist. Schwarze Bretter der Gewerk- Mitglieder? Ergebnis: Das Mitarbeitervertretungsgesetz schaft und Aktionen der Betriebsgruppe gehören eben- sieht für beide Rollen und Funktionen eine formale so dazu wie Begehungen durch hauptamtliche Trennung vor. Doch ist es erlaubt und sogar von Vorteil, Gewerkschafter*innen oder ihre Teilnahme an Mitar- als MAV-Mitglied auch Mitglied in der Gewerkschaft zu beiterversammlungen. Das wird weitergehen. Zu den sein. Zu klären ist jedoch, wie betriebliche Problemla- nächsten Schritten gehören: Teilnahme am Aktionstag gen der Kolleg*innen nicht ausschließlich im »Stellver- Altenpflege (Buß- und Bettag 20. November), Teambe- treterprinzip« durch die MAV angegangen und gelöst suche der ver.di-Betriebsgruppe in der Jugendhilfe, werden. Sondern wie gelingt es, die Kolleg*innen im Konzentration auf die individuelle Ansprache der Betrieb anzusprechen und gemeinsam mit ihnen Ansät- Kolleg*innen. Ein weiteres Vernetzungstreffen ist be- ze für Veränderungen zu finden. Alle Kolleg*innen reits für 2020 verabredet. üben ihren Beruf mit einem hohen Arbeitsethos aus, Herbert Deppisch und sind es dabei zumeist gewöhnt, sich auf die Bedar- Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 7
Wenn Arbeitgeber sich sträuben: Diakonie-Beschäftigte aus Hessen bestehen auf Verhandlungen Foto: ver.di Diakonie Hessen: Aktionen wegen abgesagter Verhandlungen für die Altenpflege Die Altenhilfe muss aufgewertet werden, dafür müssen vereinbart wurden. Es kam bei den Beschäftigten gar die Löhne angehoben und die Arbeitsbedingungen drin- nicht gut an, dass die Verhandlungen dann kurzerhand gend verbessert werden. Darüber bestand auch in von den Arbeitgebern abgesagt worden sind. Zwar gibt Hessen zwischen ver.di und einigen diakonischen Ar- es für den Herbst noch Verhandlungstermine, doch wer beitgebern Einigkeit. Sogar soweit, dass im August Tarif- als Arbeitgeber auch in Zukunft noch engagierte Be- verhandlungen beginnen sollten, um das zu erreichen. schäftigte im Betrieb halten und finden will, sollte auch Ein Meilenstein, sowohl für die Altenhilfe, als auch unter heute schon verlässlich handeln. dem Dach der Diakonie in Hessen. Umso enttäu- schender war die kurzfristige Absage der Arbeitgeber Beschäftigte setzen Zeichen für die Beschäftigten in der diakonischen Altenhilfe. Aufgrund der Verhandlungsabsage sind in mehreren Einrichtungen Kolleginnen und Kollegen aktiv gewor- Was lange währt den und haben ihren Arbeitgebern signalisiert, dass Mehr als zwei Jahre liegen hinter den ver.di-Kolle- sie sich nicht länger hinhalten lassen wollen. Auch die ginnen und Kollegen in Hessen, in denen viele Ge- ver.di-Tarifkommission hat in den sozialen Medien sicht- spräche mit einzelnen Arbeitgebern in der diakonischen bar gemacht, dass die Arbeitgeber ihre Beschäftigten Altenhilfe geführt wurden. Mit Erfolg: Im Juni 2019 hat am Verhandlungstag haben hängen lassen. Über die sich offiziell der Dienstgeberverband Diakonische Alten- Unruhe durch die Aktionen war die Arbeitgeberseite hilfe Hessen gegründet, in dem sich eine Reihe von Ar- nicht erfreut. Doch so ist Gewerkschaft: Das Ziel sind beitgebern zusammengeschlossen haben und dem sich Verhandlungen über bessere Löhne und Arbeitsbedin- weitere anschließen können. Damit wurde endlich der gungen. Wenn die Arbeitgeber sich sträuben, werden Weg zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit ver.di die organisierten Beschäftigten aktiv – für ihre eigenen frei. Die Bereitschaft zu Verhandlungen war lange zuvor Interessen. Das ist sicherlich für den einen oder ande- bei den Akteuren bereits vorhanden, weshalb im Früh- ren Arbeitgeber neu, der vom so genannten »Dritten jahr 2019 bereits Termine für August und den Herbst Weg« kommt. 8 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
Foto: ver.di Foto: ver.di Aktiv: Beschäftigte des Stiftsheim Kassel Engagiert: Beschäftigte der Inneren Mission Hessen Klare Ziele jeweiligen Arbeitsvertrag in Bezug genommen werden. Die ver.di-Tarifkommission ist gut vorbereitet und hält Weichen die Arbeitgeber also im Arbeitsvertrag von an ihren Forderungen fest. Dazu gehören die Beendi- den AVR zu Ungunsten der Beschäftigten ab, so ist das gung einseitiger Notlagenregelungen, die Abkehr von trotz des Nachteils zulässig. Gilt ein Tarifvertrag, ist ein der 40-Stunden-Woche und Tariflöhne auf dem Niveau Abweichen nicht zulässig und Ansprüche sind einklag- des öffentlichen Dienstes. Hinzu kommt, dass nur ein bar. Tarifvertrag eine verbindliche Wirkung entfaltet und auf Hinweis der Redaktion: Am 22. Oktober sind die diese Weise für Sicherheit sorgt. Ansprüche aus den Tarifverhandlungen gestartet, weitere Termine sind bisher gültigen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) sind für geplant. Beschäftigte nämlich nur vorhanden, soweit sie auch im Foto: Anderas Traupe Solidarisch: »Die Tarifkommission Diakonie Württemberg grüßt Euch. Euer Kampf ist unser Kampf!« Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 9
Kirchlicher Sonderweg: Erfolgreich – für Arbeitgeber Die Kirchen feiern in diesem Jahr 100 Jahre kirch- Arbeitszeit in Kauf. Hinzu kommt, dass eine lichen Sonderstatus in der Weimarer Reichsverfas- Zwangsschlichtung – die verbindlich und abschlie- sung und 70 Jahre kirchliche Nebenrechtsordnung ßend über Arbeitsbedingungen zu entscheiden im Arbeitsrecht. Anhand von Entwicklungen in- hat – sich schlicht mit Forderungen der Beschäf- nerhalb des zurückliegenden Jahres wirft das tigten erst gar nicht auseinandersetzt. Als würde Kirchen.info einen Blick darauf, wie wirksam der das nicht reichen, zeigt eine Gliedkirche gegenü- kirchenrechtliche Weg für Lohn- und Arbeitsbe- ber widerspenstigen Arbeitnehmervertreter*in- dingungen in vier ausgewählten Bereichen war. nen, wer am längeren Hebel sitzt, wenn es um die Von diesen Regelungen sind mehr als 220.000 von Art und Weise der Mitarbeit in der Arbeitsrecht- insgesamt rund 500.000 diakonischen Beschäf- lichen Kommission geht. tigten betroffen, auf die Arbeitsvertragsrichtlinien Anwendung finden sollen. Eines ist festzustellen: Die Beiträge auf den folgenden Seiten zeichnen Arbeitgeber weichen von ihren eigenen kirch- ein nicht neues, sondern eher vertrautes Bild eines lichen Regeln ab, zahlen Löhne und regeln einzel- für Beschäftigte schadhaften kirchlichen Sonder- vertraglich Arbeitsbedingungen, wie es ihnen ge- wegs, Lohn- und Arbeitsbedingungen zu regeln. fällt. Dort, wo in Arbeitsrechtlichen Kommissionen Es sind Belege dafür, wie die strukturelle Verhand- darüber verhandelt wird, nehmen Arbeitnehmer- lungsschwäche der Arbeitnehmerseite in den vertreter*innen die Spaltung von unteren und Kommissionen durch die Arbeitgeber ausgenutzt oberen Lohngruppen oder zwischen Beschäf- wird oder kirchliche Arbeitgeber teilweise prak- tigtengruppen sowie die Flexibilisierung der tisch tun können, was sie wollen. Diakonie Deutschland: Lohnspaltung für Beschäftigte und mehr Flexibilität für Arbeitgeber Im Juli 2019 hat die Arbeitsrechtliche Kommission der getragen, indem die unteren gegenüber den oberen Diakonie Deutschland (ARK.DD) die Lohn- und Arbeits- Entgeltgruppen schlechter gestellt werden. Im Einzel- bedingungen in einigen Bereichen neu geregelt. Die nen sollen die Löhne wie folgt erhöht werden: neuen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR.DD) beinhalten Lohnsteigerungen, die Einführung einer dritten Erfah- Zum 1.7.2019 Zum 1.7.2020 rungsstufe in der Entgelttabelle, differenzierte Anpas- Entgeltgruppen 1 bis 6 plus 2,5 Prozent plus 2,2 Prozent sungen der Schichtzulagen, die Erhöhung des An- Entgeltgruppen 7 bis 13 plus 3,5 Prozent plus 3,2 Prozent spruchs auf Erholungsurlaub und Änderungen beim Zu- zzgl. 2,5 Prozent für satzurlaub sowie zur Arbeitszeit. Wie sind die Entgelt- langjährig Beschäftigte steigerungen und die neuen Vertretungszuschläge zu durch die Einführung bewerten? einer dritten Erfahrungsstufe Bemerkenswert unsolidarische Lohngestaltung Die ARK.DD bleibt mit der Lohngestaltung ihrer Linie Damit benachteiligt die ARK.DD ausgerechnet diejeni- treu, einzelne Beschäftigtengruppen zu benachteiligen gen, die ohnehin wenig verdienen. Das ist bemerkens- und die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen. Be- wert unsolidarisch und steht in deutlichem Widerspruch reits in den Jahren 2012 und 2017 sind Lohnerhö- zu den öffentlichen Verlautbarungen von Kirche und hungen in einigen Hilfefeldern jeweils erst Monate Diakonie gegen (Alters-)Armut. Was eine solche Un- nach den Erhöhungen in anderen Bereichen in Kraft gleichbehandlung für das Betriebsklima bedeutet, kann getreten – zum Beispiel in der Altenhilfe. 2019 wird man sich vorstellen. Hinzu kommt, dass diese Erhö- diese Spaltungspolitik in die Einrichtungen selbst hinein hungen (wie auch andere Anpassungen) nicht überall 10 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
sofort wirksam werden. Für Brandenburg, Bremen, Me- für Fachkräfte. So wird die Lohnspreizung zwischen cklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Nieder- Hilfs- sowie Assistenzkräften und Fachkräften enorm sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gelten sie erst verschärft. jeweils ab Oktober 2019 bzw. 2020. Hat das womöglich etwas damit zu tun, dass Hilfs- kräfte an den Entscheidungen in der ARK nicht beteiligt Auswirkungen – Beispiel Altenpflegehilfe sind? Es ist schon bemerkenswert, dass der Tarifab- Durch die monatliche Lohnsteigerung von 2,5 Prozent schluss für die Ärztinnen und Ärzte zwischen Marbur- 2019 bekommt zum Beispiel eine Altenpflegehelferin ger Bund und kommunalen Arbeitgebern zeit- und wir- 752,16 Euro mehr im Jahr. Bekäme sie wie die oberen kungsgleich scheinbar ohne Weiteres übernommen Entgeltgruppen ebenfalls 3,5 Prozent mehr Geld, wären werden soll. Klientelpolitik statt Solidarität und Wert- es 1.053,04 Euro im Jahr – eine Differenz von 300,88 schätzung für alle Beschäftigten. Euro.* Und diese Summe bezieht sich lediglich auf das Tabellenentgelt. Hinzu kommen Zuschläge für Schicht- *Grundlage der Berechnung: Altenpflegehelferin, und Feiertagsarbeit, deren Höhe sich prozentual am EG 4, Basisstufe, Anlage 1, AVR.DD, Stundenentgelt bemisst. Die Folge: Die vorenthaltene Stand 01.07.2019 im Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020 Lohnerhöhung wirkt sich auf das tatsächliche Einkom- men der Altenpflegehelferin noch spürbarer aus. Beschäftigte müssen Personalnot ausgleichen Dass ausgerechnet ab der Entgeltgruppe 7 eine hö- Täglich springen Beschäftigte ein, obwohl sie frei hät- here lineare Steigerung beschlossen wurde, ist kein Zu- ten. Die Dienstpläne scheinen oft eher Orientierung zu fall, sondern durchschaubares Kalkül der Arbeitgeber in sein als eine verlässliche Planung – der Personalmangel der ARK. Ab dieser Entgeltgruppe werden regelmäßig ist allgegenwärtig. Die ARK.DD hat dies zum Anlass ge- Fachkräfte eingruppiert, zum Beispiel examinierte nommen, eine neue Regelung zu schaffen, die ab April Altenpfleger*innen oder Gesundheits- und 2020 wirksam wird: den so genannten Vertretungszu- Krankenpfleger*innen – Fachkräfte, die unabhängig schlag. Dahinter verbergen sich Zuschlagsregelungen, von der Trägerart derzeit händeringend gesucht wer- die drei Fälle vergüten, in denen Arbeitgeber den Be- den. Hier versucht die ARK, den Anschluss an die Lohn- schäftigten gegen ein geringes Bruttoentgelt Gesund- entwicklung in den einschlägigen, von ver.di verhandel- heit und Freizeit »abkaufen« können. In einem Fall (for- ten Tarifverträgen zu erhalten, wie dem Tarifvertrag für mal) freiwillig, in zwei Fällen verpflichtend. den öffentlichen Dienst (TVöD), dem Länder-Tarifver- trag (TV-L) oder dem Tarifvertrag für die Diakonie Nie- Zuschlag 1 Zuschlag 2 Zuschlag 3 dersachsen (TV DN). Regelung Beschäftigte halten sich bis zu zwei freiwillige und ver.di meint es mit der Aufwertung der Gesund- Stunden bereit, um am selben Tag kurzfristige Übernahme heits- und Sozialberufe ernst und hat in vielen Fällen gegebenenfalls den Dienst eines anderen von Diensten an Tagen, zusätzlich zu linearen Entgeltsteigerungen Mindestbe- zu übernehmen (Vertretungsbereitschaft); die im Dienstplan träge oder Pflegezulagen vereinbart. Die ARK.DD hin- der Arbeitgeber kann bis zu drei Dienste mit Frei geplant gegen spaltet mit ihrer ungerechten Lohnpolitik die Be- pro Monat anordnen; Ausweitung im sind; auf Anfrage schäftigten, die Seite an Seite mit Patienten*innen, Einvernehmen mit Beschäftigtem oder per des Arbeitgebers; Bewohner*innen oder Klient*innen arbeiten. Und die Dienstvereinbarung möglich »kurzfristig« = Arbeitnehmerseite der ARK lässt es geschehen – das ist wenn Anfrage des unsolidarisch. Auch die Beschäftigten in den Entgelt- Voraussetzungen: Anordnung vom Arbeitgebers bis zu gruppen 1 bis 6 leisten wichtige und harte Arbeit. Sie Arbeitgeber liegt vor und der Ort ist 48 Stunden vor dem haben ebenso Wertschätzung verdient wie ihre Kolle- genannt, wo sich der/die Beschäftigte zu übernehmendem ginnen und Kollegen in den Gruppen 7 bis 13. Hier bereitzuhalten hat Dienst stattfindet eine Differenzierung bei den Lohnsteigerungen vorzu- Vergütung 30 Euro für die Zeit 45 Euro bei Abruf 60 Euro nehmen, ist zutiefst ungerecht und vertieft die soziale (brutto) der Bereitschaft Spaltung. Noch drastischer werden die Auswirkungen durch Ab- Per Dienstvereinbarung kann die Art der Durchführung näher die Einführung einer neuen dritten Erfahrungsstufe ab weichungen geregelt werden; Abweichungen von Zuschlägen nur zugunsten der Juli 2020. Es ist nachvollziehbar, dass die ARK eine Beschäftigten strukturelle Schwäche der AVR damit ausmerzen will, um die Lohnbedingungen attraktiv für Fachkräfte mit Die Arbeitgeberseite der ARK.DD behauptet, die Rege- längerer Beschäftigungszeit zu halten. Es ist auch be- lung führe zu mehr Dienstplansicherheit. Das ist fast grüßenswert, Kolleg*innen mit viel Erfahrung und schon zynisch, ist die Grundlage doch eine Dienstver- Treue zum Betrieb im Entgeltsystem strukturell ein hö- pflichtung zu einer Rufbereitschaft, die dem Arbeitge- heres Einkommen zu ermöglichen. Das wäre jedoch für ber ein neues Maß an Flexibilität ermöglicht. Im Rund- alle Entgeltgruppen angemessen, nicht ausschließlich schreiben der ARK.DD heißt es, dass die Zuschlagsrege- Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 11
lung dazu dient, »durchschnittliche Kranken- und Ur- tischer Sicht ist eine Verkürzung der Arbeitszeiten nötig laubsquoten und andere Abwesenheiten operativ dis- – nicht deren Verlängerung. Entsprechend wird in ver.di ponieren zu können«. Die Formulierung zeigt, wie derzeit darüber diskutiert, in welcher Form Arbeitszeit- selbstverständlich die unzureichende Personalbesetzung verkürzung in der nächsten Tarifrunde bei Bund und für die Mitglieder der ARK geworden zu sein scheint. Kommunen zum Thema gemacht werden kann. Die Dass Beschäftigte auch einmal erkranken, dürfte jedem ARK der Diakonie Deutschland läuft in die völlig falsche Arbeitgeber bekannt sein. Auch dass sie im Urlaub ab- Richtung. wesend sind, ist nicht neu. Weder das eine noch das andere ist überraschend, sondern vielmehr eine Frage Zweifelhafte Wirksamkeit der (langfristigen!) Stellenplanung und Personalpolitik Die Diakonie sowie die Arbeitgeber unter ihrem Dach – durch den Arbeitgeber. Es ist dreist, die Verantwortung allen voran der Verband diakonischer Dienstgeber dafür zwangsweise auf die Beschäftigten zu verlagern. Deutschlands (VdDD) – behaupten, dass die AVR.DD Die diakonischen Arbeitgeber schaffen sich mit der für rund 150.000 Beschäftigte gelten würden. Es muss neuen Vertretungsregelung ein flexibles Standardpla- leider offenbleiben, inwieweit die beschlossenen Rege- nungsinstrument zur Abdeckung aller Dienste. Das lungen in Gänze für diese Anzahl Beschäftigter tatsäch- kann für sie in der Summe finanziell günstiger sein, als lich wirken. Denn eine solche behauptete Flächenwir- neue Kolleginnen und Kollegen einzustellen. So verrin- kung ist nicht belegbar. Denn Arbeitsvertragsrichtlinien gert sich der Druck zu Neueinstellungen, der Mangel – alle AVR, nicht ausschließlich die AVR.DD – gelten für wird zementiert. Beschäftigte lediglich dann, wenn ihre Anwendung im Die ARK.DD – so scheinbar auch die Arbeitnehmer- einzelnen Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Anders als seite darin – nimmt die personelle Mangelverwaltung in Tarifverträge gelten AVR nicht unmittelbar und zwin- diakonischen Einrichtungen hin und findet als einzige gend. Es fehlt demnach eine echte kollektive Wirkung. Antwort darauf die Flexibilisierung der Arbeitszeit von Daher ist leider offen, ob wirklich alle rund 150.000 Be- tausenden Beschäftigten. Statt planbare Erholung und schäftigten zum Beispiel von den Entgeltsteigerungen Freizeit, Zeit für die Familie und die Gesunderhaltung in gleicher Höhe – oder überhaupt – profitieren, ob sie erhalten die Betroffenen Bruttobeträge, die weder etwa künftig 30 Tage Erholungsurlaub beanspruchen ihrem Einsatz gerecht werden noch für die Arbeitgeber oder erhöhte Schichtzuschläge geltend machen kön- teuer genug sind, um darauf verzichten zu müssen. nen. Um das festzustellen, müsste jeder einzelne Ar- Diese sogenannte Vertretungsregelung dient einzig beitsvertrag geprüft werden. Die Diakonie hört es nicht dem Arbeitgeber. gern, doch es gibt sie: die Arbeitgeber, die auf Kosten der Beschäftigten von den AVR abweichen, wie es Individuelle Arbeitszeitverlängerung ihnen gefällt. Die aktuelle Rechtsprechung belegt dies. Der Beschluss der ARK.DD vom Juli 2019 sieht noch weitere Änderungen vor, zum Beispiel für die Zu- schlagsregelungen und die Regelungen über Zusatzur- laub für Nachtarbeit. Auf eine detaillierte Betrachtung wird an dieser Stelle verzichtet. Hervorzuheben ist je- doch die Entwicklung zur Anpassung der Arbeitszeit von Ost an West. In zwei Schritten wird die wöchent- liche Arbeitszeit im Osten von 40 Stunden auf 39,5 Stunden 2020 und 39 Stunden 2021 reduziert. Ein scheinbar gutes Signal, doch handelt es sich um ein Placebo, denn im Osten werden nicht die AVR.DD, son- dern gliedkirchliche AVR angewendet. Wie in den ein- schlägigen Tarifverträgen wurde nun auch der An- spruch auf Erholungsurlaub ab 2020 einheitlich für alle Beschäftigten 30 Tage nachvollzogen. Demgegenüber steht die Einführung einer sogenannten Wahlarbeits- zeit, bei der Beschäftigte ab 2020 per Ergänzung zum Arbeitsvertrag ihre Arbeitszeit auf bis zu 42 Wochen- stunden erhöhen können. Das Entgelt wird dement- sprechend angepasst und zusätzlich wird ein pau- schaler Zuschlag von 5,70 Euro je geleisteter Stunde ge- zahlt. Das ist das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Angesichts der zunehmenden Arbeitsbelastung und hoher Krankenstände, aber auch aus gesellschaftspoli- 12 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
Bundeskonferenz Buko der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der agmav + ga Mitarbeitervertretungen im diakonischen Bereich Buko – Heinrich-Wimmer-Straße 4, 34131 Kassel Geschäftsstelle: Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie Heinrich-Wimmer-Straße 4 34131 Kassel Deutschland (ARK.DD) spaltet die Belegschaft und Tel.: 0561 9307-1993 Fax: 0561 9307-1994 beschließt hanebüchene Arbeitszeitregelung email: kontakt@buko-diakonie.de Die ARK.DD hat beschlossen, dass die Entgelte der Be- mehr zur Verfügung. Der finanzielle Ausgleich für den schäftigten steigen sollen. Allerdings nicht für alle verlorenen Tag beträgt 30 Euro. Hier haben die Arbeit- gleich: Während in anderen Bereichen für die unteren Kassel geber ihr Ziel der weiteren im Oktober Flexibilisierung 2019 der Arbeits- Lohngruppen mehr gefordert und zum Teil vereinbart zeit voll erreicht. Bu wird – wie es zum Beispiel dem TVöD und dem TV DN mit Mindestbeträgen gelungen ist –, erhalten Beschäf- tigte unterhalb der EG 7 in der AVR.DD eine um min- Buko Dieser Beschluss ist dazu geeignet, die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen weiter zu beeinträchtigen, d u destens zwei Prozent geringere Lohnerhöhung. Kolle- weil sie verpflichtet werden, dem Arbeitgeber noch Arbeitsrechtliche ginnen und Kollegen imKommission Osten, in Niedersachsen, agmav der Diakonie Deutschland + ga (ARK.DD) mehr und unberechenbar spaltet die zur Verfügung zu stehen. Die Belegschaft und beschließt Bremen und Schleswig-Holstein hanebüchene erhalten die Lohnstei- Arbeitszeitregelung für die Regeneration erforderliche Disposition über die gerung drei Monate später. Freizeit wird unerträglich eingeschränkt. Die ARK.DD hat beschlossen, dass die Entgelte der Beschäftigten steigen sollen. Allerdings nicht für alledass Das bedeutet, gleich: Während die Schere inden zwischen anderen unteren Bereichen Dieser für die unteren Beschluss, Die Bundeskonferenz ist Lohngruppen befürchtet, dass diese mehr dazu geeignet, die Gesundheit der Kollegin Regelung gefordert und zum Teil vereinbart Lohngruppen und den Lohngruppen EG 7 bis EG 13wird – wie es z. B. dem beeinträchtigen, TVöD dazu führen wird, dass und weil dem TV DN mitwerden, sie verpflichtet betroffene Beschäftigte Min- diako- dem Arbeitgeber n destbeträgen überproportional gelungen ist wird. weiter geöffnet –, erhalten Beschäftigte Damit wollen bar unterhalb zur nische Verfügungderverlassen Einrichtungen EG zu 7stehen. inwerden der Die AVR.DD und für eine die fordert Regeneration erforder alle um mindestens die diakonischen zwei Prozent Arbeitgeber geringere um sich im Wettbewerb Lohnerhöhung. Freizeit Kolleginnen wird unerträglich Mitarbeitervertretungen und auf, Kollegen eingeschränkt. solchen im Osten, Vertretungsbereit- in Niedersachsen, Fachkräfte Bremenauf Vorteile verschaffen, und demSchleswig-Holstein Rücken derer, erhalten schaften die Lohnsteigerung drei Monate nicht zuzustimmen! später. die bisher schon wenig verdienen. Das war ein immer- Die Bundeskonferenz befürchtet, dass diese Regelung dazu füh währendes Anliegen der Arbeitgeber. Richtig wäre Beschäftigte diakonische Es zeigt sich einmal mehr, dass dasEinrichtungen verlassen werden und fo Modell des »Dritten Das bedeutet, dass die Schere zwischen stattdessen, gemeinsam mit den anderen Verbänden den unteren tungen Lohngruppen Weges« auf, solchen nur den und den Lohngruppen Vertretungsbereitschaften Arbeitgebern dient. In Tarifvertragver- nicht zuzustimm EG 7 bis an der EG 13 dringend überproportional notwendigen Aufwertungweiter geöffnethandlungen der Sozial- wird. Damit wollen bestimmen diedie diakonischen über Arbeitnehmer*innen Ar- beitgeber sichmitzuarbeiten. und Pflegearbeit im Wettbewerb Dieser um Fachkräfte unsoziale Be- Vorteile Esdiezeigt verschaffen, sich einmal Tarifforderungen mit,auf mehr,dem werden Rücken dass über das den derer, des Dritten Weges n Modell jeweiligen die bisher schon wenig verdienen. Das war schluss wird jetzt auch noch von der „Arbeitnehmersei- ein immerwährendes InStand Anliegen Tarifvertragsverhandlungen der der Verhandlungen informiert und Arbeitgeber. bestimmen entscheiden die Arbeitnehmer*inn Richtig wäre te“ als Erfolg stattdessen, gemeinsam mit den anderen verkauft. gen übermit, Verbänden werdendes die Annahme überandender jeweiligen dringend notwen- Verhandlungsergebnisses Stand mit. der Verhandlungen i digen Aufwertung der Sozial- und Pflegearbeit über mitzuarbeiten. die Annahme Dieser desunsoziale Beschluss Verhandlungsergebnisses mit. wird jetzt auch noch von der „Arbeitnehmerseite“ Die Vollversammlung der Bundeskonferenz verur- als Erfolg verkauft. In der ARK.DD hat die „Basis“, die Mitarbeiter und Mit- teilt diesen Skandal auf das Schärfste! Inarbeiterinnen, der ARK.DD hatzudie nichts „Basis“, melden, die Mitarbeiter Informationen können und Mitarbeiterinn Die Vollversammlung der Bundeskonferenz formationen verurteilt diesen können Skandal sie sich auf das nach den Verhandlungen auf der In sie sich nach den Verhandlungen auf der Internetseite Schärfste! holen. Die Bundeskonferenz fordert die Arbeitnehmer- Einschränkung der Freizeitplanung Die Bundeskonferenz vertreter in der ARK.DD auf:fordert die Arbeitnehmervertreter in der A Einschränkung der Freizeitplanung Ab April 2020 soll es eine so genannte Vertretungspau- Macht denWeg Macht den Wegfrei frei fürfür fairefaire Tarifvertragsverhandlungen! Tarifvertrags- Ab April 2020 soll es eine so genannte Vertretungspauschale geben. Das bedeutet: schale geben. Das bedeutet: Die Beschäftigten müssen verhandlungen! Die Beschäftigten müssen sich bis zu zwei Stunden bereithalten, um ggf. die Arbeit aufzu- sich bis zu zwei Stunden bereithalten, um ggf. die Ar- nehmen. Die Dauer der Arbeit liegt aber nicht Für innerhalb dieser zwei Stunden, sondern kann beit aufzunehmen. Die Dauer der Arbeit liegt aber Für die Sprechergruppe die Sprechergruppe irgendwann an diesem Tag beginnen. Diese Maßnahme darf dreimal pro Monat angeordnet nicht innerhalb dieser zwei Stunden, sondern kann ir- werden. Diese Tage stehen für eine verlässliche Freizeitplanung nicht mehr zur Verfügung. gendwann an diesem Tag beginnen. Diese Maßnahme Der finanzielle Ausgleich für den verlorenen Tag beträgt 30 EUR. Hier haben die Arbeitge- darf dreimal pro Monat angeordnet werden. Diese ber ihr Ziel der weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit voll erreicht. Tage stehen für eine verlässliche Freizeitplanung nicht Siegfried Löhlau Siegfried Löhlau 1 SprecherInnen Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 13 Siegfried Löhlau Lothar Germer Manfred Quentel Sonja Brösamle Hans-W Appel 07271 947-112 05382 9552921 0172 3795283 01511 5182094 06251 107274 s.loehlau@ l.germer@ m.quentel@ s.broesamle@ h.appel@ buko-diakonie.de buko-diakonie.de buko-diakonie.de buko-diakonie.de buko-diakonie.de
Diakoniewerk Kropp in Schleswig-Holstein: »Allein mit guten Argumenten kommen wir nicht weiter« Wie rechtfertigt der Kropp-Vorstand diese Benachteili- gung? Es wird gesagt, man könne sich eine bessere Bezah- Annette Horns ist lung nicht leisten. Denn dann würden die Eigenanteile Vorsitzende der der Bewohnerinnen und Bewohner steigen. Da die Mitarbeitervertretung kommerziellen Anbieter in der Region noch schlechter und Sprecherin der entlohnen, könne Kropp im Wettbewerb nicht mehr ver.di-Betriebsgruppe mithalten. in der St. Georg Diakonische Altenhilfe Sind diese Argumente stichhaltig? Dithmarschen gGmbH Ich meine, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Schon an der Westküste jetzt können wir manchmal keine weiteren Bewohner Schleswig-Holsteins. aufnehmen, weil Pflegekräfte fehlen. Die niedrigen Löhne sind ein entscheidender Wettbewerbsnachteil. In Die ver.di-Aktiven im Unternehmensverbund Diakonie- Zukunft wird es immer mehr darauf ankommen, genü- werk Kropp im Norden Schleswig-Holsteins haben eine gend qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Allein auf Postkarten-Aktion gestartet, um den Vorstand zu Tarif- kurzfristige Einsparungen zu setzen, ist keine gute Stra- verhandlungen mit der Gewerkschaft zu bewegen. Was tegie und gefährdet langfristig die Einrichtungen. Zumal sind die Hintergründe? es schon traurig ist, wenn sich diakonische Einrich- Wir wehren uns dagegen, dass die Löhne und Ar- tungen an der privaten Billigkonkurrenz orientieren beitsbedingungen seit vielen Jahren einseitig vom Ar- statt sich für gute Standards einzusetzen. Das passt beitgeber festgelegt werden. Seit 2016 orientiert sich nicht mit dem zusammen, was die Kirche sonst so ver- die Bezahlung zwar an den Entgelttabellen der Arbeits- tritt. vertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD), aber das Grundgehalt wurde um 15 Prozent abgesenkt. Aber ist es nicht ein Problem, wenn die Eigenanteile Auch andere Regelungen gelten zum Teil nicht, zum durch Lohnerhöhungen steigen? Beispiel der Zusatzurlaub bei Nachtarbeit, Erholungsur- Doch, sicher. Und dieses muss politisch gelöst wer- laub oder Krankengeldzuschuss. Mit dieser Rosinenpi- den – kurzfristig durch eine Deckelung der Eigenanteile, ckerei muss Schluss sein. Die Kolleginnen und Kollegen so dass nicht allein die pflegebedürftigen Menschen sehen nicht ein, warum sie für dieselbe Arbeit schlech- und ihre Angehörigen für die notwendigen Kostenstei- ter bezahlt werden als andere. gerungen aufkommen müssen. Es ist aber auch in ihrem Interesse, dass die Beschäftigten angemessen be- zahlt werden. Denn gute Pflege ist nur mit anständigen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen möglich. Übri- gens haben wir mit der Auslastung im Moment über- haupt kein Problem. Es gibt eher zu wenige Plätze in den Pflegeeinrichtungen, daher würden auch steigende Eigenbeiträge nicht sofort dazu führen, dass keiner mehr zu uns kommt. Wie kommt es, dass Ihr die Forderung nach einem Tarifvertrag gerade jetzt angeht? Ein Anlass war die Entscheidung des Kirchenge- richtshofs vom September vergangenen Jahres. Dieses erklärte in Bezug auf das Altenhilfe-Zentrum Sankt Martin in Eckernförde, das ebenfalls zum Unterneh- mensverbund gehört, der »Erste Weg« einseitiger Lohnfestsetzung sei mit dem kirchlichen Arbeitsrecht nicht vereinbar. Wir haben in der Gesamt-Mitarbeiter- 14 Kirchen .info Nr. 34 · November 2019
vertretung des Diakoniewerks Kropp daraufhin gemein- Ganz genau. Wir wollen mit den Kolleginnen und sam mit unserem Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czi- Kollegen ins Gespräch kommen und aufzeigen, dass es chon und ver.di überlegt, was wir tun können. Die auf sie selbst ankommt. Und wir wollen dem Vorstand Gründung eines Betriebsrats würde an den Gehältern mit möglichst vielen Postkarten klar machen, dass es so nichts ändern. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen nicht weitergeht. Ganz bewusst haben wir uns an die Tarifverträge. Diakonie-Kampagne »UNERHÖRT!« angelehnt. Diese Kampagne soll »wachrütteln und zugleich aufzeigen, Wie wollt Ihr das erreichen? dass die Diakonie zuhört«. Wir wollen, dass die Diako- Klar ist: Das schaffen wir nur, wenn sich die Kolle- nie auch ihren eigenen Beschäftigten zuhört. ginnen und Kollegen bewegen. Sie zu motivieren, ist aber sehr schwer. Viele meinen, wir als Mitarbeiterver- Ist das Ziel eines Tarifvertrags realistisch? tretung sollten die Probleme lösen. Das können wir Warum nicht? Selbst im Unternehmensverbund gibt aber nicht. Wir brauchen die Gewerkschaft, und die es mit der Hesterberg & Stadtfeld gGmbH eine Einrich- Leute sollten sich in ver.di organisieren. Denn allein mit tung, in der der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie (KTD) guten Argumenten kommen wir beim Vorstand nicht gilt. Dort sind rund 70 Prozent der Kolleginnen und weiter. Kollegen in ver.di organisiert. Nach der Übernahme hat sich das Diakoniewerk Kropp nicht getraut, aus dem Und die Postkarten-Aktion dient dazu, die Beschäf- Tarifvertrag auszusteigen. Das zeigt: Es geht – wenn tigten darauf anzusprechen? sich die Beschäftigten zusammentun und Druck ma- chen. Was beim Unternehmensverbund Diakoniewerk Kropp allen Einrichtungen, die diese noch anwenden«, sein. passiert, ist kein Einzelfall. Laut einem Bericht des Lan- Der Vorstand der Diakonie Schleswig-Holstein, Heiko desbischofs wenden 20 Prozent der diakonischen Ein- Naß, begegnete diesem Ansinnen sogleich mit unver- richtungen im Norden weder kirchliche Arbeitsvertrags- hohlener Ignoranz: »Einrichtungen entscheiden sich nur richtlinien noch Tarifverträge an. Die Arbeitsbedin- dann für den Ersten Weg, wenn sie sich auf Grund wirt- gungen und die Bezahlung werden hier einseitig durch schaftlicher Rahmenbedingungen dazu gezwungen die Arbeitgeber bestimmt. Eine Konferenz von rund 150 sehen«, ließ der Diakonie-Funktionär wissen. Ach so, die Mitarbeitervertreter*innen aus der Nordkirche und Einrichtungen kürzen die Gehälter »nur« wegen der ihren Diakonischen Werken (Hamburg, Schleswig-Hol- Konkurrenzsituation – und setzen ihre Wettbewerber stein und Mecklenburg-Vorpommern) kritisierte diese und deren Belegschaften damit wiederum selbst unter Praxis am 8. Oktober 2019 in Rostock scharf. Man erwar- Druck. Deutlicher kann man die »Wünsch-dir-was-Men- te von den Verantwortlichen in Kirche und Diakonie talität« mancher Diakonie-Manager wohl nicht auf den »einen konstruktiven Dialog«. Dessen erstes Ziel müsse Punkt bringen. Entziehen können sich die Beschäftigten »die Abschaffung der rechtswidrigen einseitigen Ar- dieser Willkür nur, indem sie sich gewerkschaftlich orga- beitsrechtsetzung durch den Arbeitgeber (`1. Weg´) in nisieren und reguläre Tarifverhandlungen durchsetzen. Diakonie Mitteldeutschland: Keine Entlastung, etwas Lohnerhöhung Nachdem sich die Arbeitsrechtliche Kommission (ARK) Mitteldeutschland bleibt abgehängt der Diakonie in Mitteldeutschland nach mehr als einem Für 2019 werden die Löhne und Gehälter erhöht. Klingt Jahr nicht einigen konnte, hat im April die Zwangs- gut. Doch der Haken daran: Das galt erst ab dem 1. schlichtung entschieden. Das Ergebnis bedeutet für die Juli, für die ersten sechs Monate dieses Jahres gab es knapp 30.000 Beschäftigten etwas mehr Geld. Doch überhaupt nichts. So bleibt in 2019 real nur die Hälfte von der bundesweiten Entgeltentwicklung bleiben sie des Erhöhungsbetrages. Die Angleichung der Wochen- abgekoppelt. Und: Entlastung gibt es nicht. Die Anträge arbeitszeit auf 39 Stunden wurde ebenso abgelehnt der Arbeitnehmerseite zur Verbesserung der Arbeitsbe- wie die Einführung einer zweiten Erfahrungsstufe. dingungen wurden in der Schlichtung einfach ignoriert. Damit bleibt die Benachteiligung der Beschäftigten in Das belegt: Eine effektive Interessenvertretung der Mitteldeutschland gegenüber ihren Kolleginnen und Beschäftigten auf dem kircheninternen so genannten Kollegen in der Diakonie Deutschland auf Jahre hinaus »Dritten Weg« ist nicht möglich. bestehen. Kirchen.info Nr. 34 · November 2019 15
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