Neue Medien in der Grundschule - Die vierte Kulturtechnik Einleitung
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I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G Margarete Grimus Neue Medien in der Grundschule Die vierte Kulturtechnik Einleitung net werden, in denen sie selbstständig und eigenver- antwortlich entdecken und experimentieren können, Der Europäische Rat hat die Forderung aufgestellt, um sich auf die Wissensgesellschaft von morgen vor- „jedem Bürger müssen die Fähigkeiten vermittelt werden, zubereiten. Es vollzieht sich der Wandel von der Be- die für das Leben und die Arbeit in dieser neuen Informa- lehrungsschule (Frontalunterricht) zur Lernwerk- tionsgesellschaft erforderlich sind“ („Eine Informations- statt. gesellschaft für alle“, Lissabon, 23. und 24. März Während der integrative Ansatz (Computeran- 2000, eEurope – Dok. 6978/00). wendungen in den einzelnen Unterrichtsfächern) in „e-Learning und Internet will Bildungsministerin der Schule der 10- bis 14-Jährigen seit mehr als einem Gehrer an Schulen und Universitäten verstärkt vorantrei- Jahrzehnt in den Bildungszielen des Lehrplanes ver- ben. Die technische Ausstattung soll modernisiert, Lehr- ankert ist, stellen die Ausstattung der Volksschulen pläne aktualisiert und die Aus- und Weiterbildung für mit Computern und Netzanschluss und die damit Pädagogen verbessert werden, kündigte Gehrer in einer verbundenen Bildungsziele des neuen Lehrplans be- Pressekonferenz an. Die Arbeit am Computer ist neben Le- sondere Ansprüche an die Lehrer in der Grundschu- sen, Schreiben, Rechnen bereits eine vierte Kulturtechnik, le. Dazu wurde ein Forschungsprojekt vom Unter- so Gehrer.“ (Zitat: Der Standard, 5. April 2000, S. 8, richtsministerium initiiert (Projektleitung Dr. A. Rei- APA Meldung). ter). Ziel dieses dreijährigen Projekts war, die Effizi- Der Einsatz von Computern, Telekommunikation enz des Lernens mit Multimedia und Internet zu eva- und die weltweite Vernetzung verändern bisherige luieren und didaktische Konzepte für den Unterricht Formen von Wissenserwerb nachhaltig. zu entwickeln. Im Juni 2000 wird dieses Projekt ab- geschlossen, im vorliegenden Bericht werden einige grundlegende Erkenntnisse aus dem Verlauf der Stu- die dargestellt. Das Endergebnis der Studie erscheint im Herbst als Buch, wobei der Didaktik des Einsatzes der Neuen Medien besondere Bedeutung zukommt. Theoretische Grundlagen Lernen in der Informationsgesellschaft wird mit den Begriffen Individualisierung, Eigenaktivität, Dezen- tralisierung, Kommunikation und Zusammenarbeit verknüpft. Für die Zukunft wird Fach- und Sachwis- sen nicht ausreichen, um komplexe, neue Sachver- halte erfolgreich selbstständig zu lösen. „Lernen ist mehr als eine Anhäufung von Fähigkeiten. Was wir auch Bildschirmhintergrund Währingerstr., 2. Kl. lernen, es gibt immer noch etwas hinzuzulernen – nämlich die Art der Anwendung des bereits Erlernten“ (Minsky Diese Entwicklung erfordert jedoch eine Verände- 1994). Der Begriff der Lernzieldefinition wird zuneh- rung in der Kultur des Lehrens und Lernens, die sich mend durch den Kompetenzbegriff verdrängt, der zunehmend von gegenwärtig vorherrschenden un- „prozessbezogen“ gedacht werden kann. Als inte- terscheidet. Im heutigen Schulalltag steht das Lehren grativer Begriff zielt er auf Handlung und umfasst im Vordergrund. Innovative, schülerorientierte For- kognitive, psychische und soziale Aspekte menschli- men des Lernens sind gegenwärtig noch selten zu chen Handelns. Der Erwerb von Orientierungswis- finden. Die neuen Medien, ganz besonders Hyper- sen steht gegenüber dem Verfügungswissen im Vor- text-basierte multimediale Lernumgebungen und dergrund. Angebote im Internet (Bildungsserver) bilden die Die Grundschulpädagogik ist geprägt von der Chance zu einer Erneuerung von Didaktik und Me- Prämisse der Ermöglichung von Primärerfahrung. thodik. In der allgemeinen Didaktik spielen – neben Ein zeitgemäßer Grundschulunterricht ist ganzheit- Zielen, Inhalten und Methoden – die Medien eine lich und handlungsorientiert strukturiert und soll elementare Rolle in der Vermittlung. Es geht nicht entdeckendes Lernen ermöglichen. Jedem Kind soll- um Konkurrenz der Medien, sondern um die Einbin- ten sowohl ein individueller Lernweg als auch indi- dung von Computern und Internet in den Unter- viduelle Lernziele zugestanden werden, dies ent- richtsprozess. Den Schülern sollen Lernwelten eröff- spricht der Lerntheorie des Konstruktivismus. Multi- September ’00 M E D I E N • I M P U L S E 19
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G media und Internet sind Hilfsmittel zur Unterstüt- fahrungen und Kenntnisse eine entscheidende Rolle zung des Lernens, der Lehrer übernimmt in diesem ein, da die Konstruktion neuen Wissens stets darauf Zusammenhang die Rolle des Organisators, ist Ge- aufbaut. Im Gegensatz zu anderen Lerntheorien ist sprächspartner und Helfer im Lernprozess. Neue „nicht die Lösung gestellter Probleme (…) das Hauptan- Auffassungen vom Lehr-Lernarrangement haben liegen der konstruktivistischen Lerntheorie, sondern das sich entwickelt, die eine neue Lernkultur erfordern. Erkennen, Wahrnehmen, Generieren von Problemen“ Zentrale Bereiche sind (Baumgartner). Dabei lernt jeder anders, denn „Ler- nende konstruieren ihr Wissen, indem sie wahrnehmungs- bedingte Erfahrungen interpretieren, und zwar in Abhän- gigkeit von ihrem Vorwissen, von gegenwärtigen menta- len Strukturen und bestehenden Überzeugungen“ (Gers- tenmaier). Papert attestiert dem Computer einen po- sitiven Einfluss auf die Denkentwicklung des Kin- des. Das Verknüpfen von Informationen aus unter- schiedlichen digitalen Medien und diese Informatio- nen dann anderen verfügbar zu machen ist ein we- sentlicher Prozess in der Konstruktion von Wissen mit Hilfe von multimedialen Lernumgebungen. Nach der kognitionstheoretischen Lernrichtung wird der Lernende als ein selbstständiges Individu- um verstanden, das als Empfänger von „mentalen • eine Erweiterung des Lern- und Leistungsbegriffs, Botschaften“ die Welt in selektiver Weise wahrnimmt, • das Verständnis von Lernen als einem aktiven, interpretiert und verarbeitet. Wichtige Erkenntnisse konstruktiven, selbststeuernden kommunikativen der kognitivistischen Psychologie sind u. a. Vorgang • Lernen wird als aktiver Konstruktionsprozess ver- • und die Einführung des Kompetenzbegriffs. standen, Der Kompetenzbegriff wird differenziert: • Lernen ist ein autonomer Prozess, • Sachkompetenz bedeutet, Wissen anzuwenden, • Lernen ist ein Prozess, den der Lerner selbstver- Einzelwissen aufeinander zu beziehen, sachge- antwortlich organisieren muss. recht entscheiden zu können. Im Mittelpunkt der Didaktik steht die Idee der Anre- • Methodenkompetenz bedeutet, Arbeitstechniken, gung und Förderung des Lernenden. Verfahrensweisen und Lernstrategien sachgerecht, situationsbezogen und zielgerichtet gebrauchen zu können. Einsatz des Computers • Sozialkompetenz bedeutet, mit anderen gemein- in der Grundschule sam lernen und leben zu können, Verantwortung zu übernehmen. Unterrichtsspezifische Einsatzbereiche • Selbstkompetenz bedeutet, eigene Fähigkeiten • Projektorientierter Unterricht: Zu einem bestimm- und Stärken zu kennen und damit situationsge- ten Thema werden unterschiedliche Anwendun- recht umgehen zu können. gen genützt (Internet, Präsentationsprogramme, Die Wissenschaft der Erkenntnistheorie des Kon- Textverarbeitung, Scannen und Bildbearbeitung struktivismus postuliert, dass alle Wirklichkeit in un- …). seren Köpfen ist, jede Wirklichkeit kognitiv konstru- • Der Computer als Station in offenen Lernphasen, ierte Wirklichkeit ist. Wissen ist keine innerliche Ab- individuelles Arbeiten oder Partnerarbeit zu aktu- bildung der Wirklichkeit, kein Gegenstand, der sich ellen Sachunterrichtsthemen, Zeichnen, Gestalten weitergeben lässt, Wissen ist immer eine Konstruk- von Texten und Arbeit mit CD-ROM (Lexika). tion durch das wahrnehmende Subjekt. Dem ler- • Binnendifferenzierung und Förderunterricht mit nenden Menschen wird in der Auseinandersetzung Lernsoftware ist in allen Unterrichtsphasen mög- mit seiner Umwelt eine grundlegend aktive Rolle bei- lich, ohne dass ein Lehrer an einen einzelnen gemessen. Wer selbstgesteuert lernt, trifft eigene Ent- Schüler gebunden wird. scheidungen über Ziele, Inhalte, Medien und Metho- • Freie Lernphasen erlauben die Selbstbestimmung den seines persönlichen Lernvorhabens: „From in- der Schüler (sie suchen sich aus, was sie mit dem struction to construction of knowledge“. Wissen lässt Computer tun möchten). sich weder mündlich noch schriftlich vom Kopf des • Zusätzliche Unterrichtsangebote, Unverbindliche Lehrers in den Kopf des Schülers übertragen. Was Übungen, nachmittägliche Betreuungsphasen. man hört, liest oder überhaupt wahrnimmt, muss un- ter allen Umständen interpretiert werden. Soziale Komponente Diesem Ansatz zufolge ist Lernen ein aktiver Pro- Kinder arbeiten gern zu zweit an einem Gerät. Dabei zess, bei dem jeder Lernende sein Wissen individuell ist zu beobachten, dass sie einander zusehen, mitein- konstruiert. Dabei nehmen bereits vorhandene Er- ander kommunizieren und sich gegenseitig helfen. 20 M E D I E N • I M P U L S E September ’00
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G Das Erkunden neuer Lernspiele geschieht selten al- • Herausforderung der Spieler: Wahlmöglichkeiten lein. Das Aushandeln bei der Formulierung von Tex- zwischen verschiedenen Schwierigkeitsgraden, ten, die Auswahl der Schrift oder WORD-Art, die mehrere Ziele erreichbar. Auswahl der zu integrierenden Grafiken spielt eine • Neugier: Programmeffekte (Sound, Grafiken) sol- bedeutende Rolle. len nicht vom Lernthema ablenken. Beim ersten Kontakt mit einem Programm geht es • Kontrolle: Ein gewisses Maß an Mitbestimmung nicht um den angebotenen Inhalt, sondern darum, des Programmablaufes ist dem Spieler möglich, sich in dem Programm zurechtzufinden. Die Förde- z. B. durch Überspringen eines Levels. rung von Kommunikation durch Programme kann • Phantasie: Das Ziel des Spieles soll durch phanta- als ein wichtiges Lernkriterium angesehen werden. sievolle Aktivitäten erreicht werden. Es soll einen Die Schüler unterstützen einander, manchmal Bezug zum Leben des Kindes aufweisen. kommt es auch in der Grundschule schon zu einer Spielsequenzen werden in diesem Zusammen- Rollenumkehr, einzelne Schüler beherrschen manche hang als Ergänzung zu Lernspielen verstanden und Funktionen besser als LehrerInnen. als zusätzliche Unterhaltung dem Lernprogramm Beim Lernen mit allen Sinnen, Lernen voneinan- hinzugefügt. Sie stehen in keinem Zusammenhang der und miteinander kann der Computer eine Rolle mit dem Lerninhalt. Das Üben wird lediglich durch spielen, spielt aber nicht eine bestimmte Rolle. Die Spielszenen aufgelockert. Häufig sind dabei Elemen- Wahl des Mediums muss von den Lernzielen be- te der Geschicklichkeitsspiele übernommen, in erster stimmt sein und keinesfalls umgekehrt. Es sollten Linie Jump-and-Run-Spiele, so dass Schnelligkeit nicht Lernziele für vorhandene Programme formu- und Geschicklichkeit bezüglich der Auge-Hand-Ko- liert werden, sondern das am besten dafür geeignete ordination gefordert sind. Diese Spiele können durch Lern- und Arbeitsmittel ausgewählt werden, um bei die geforderte zeitliche Synchronisation durchaus SchülerInnen bestimmte Kompetenzen zu fördern. räumliches Vorstellungsvermögen, Konzentrations- fähigkeit oder Geschick im Umgang mit der Maus Software in der Grundschule fördern. Jedoch dienen diese Sequenzen lediglich als zusätzliche Belohnung zum Abschluss von Lösungs- Mit Lern- und Übungsprogrammen kann bereits vor- sequenzen. Solche Programme sind beliebt. handenes Wissen durch wiederholtes Üben gefestigt In der Kategorie der Denk- und Strategiespiele werden. Lernprogramme weisen hinsichtlich der werden Spielzüge in Lernprogramme eingebaut, um Möglichkeiten der Steuerung durch den Schüler ver- das logische Denken zu fördern. Dabei bilden Spiel schiedene Strukturen auf. und Lerninhalt eine Einheit. Eine Rahmenhandlung, • Drill & Practice-Programme gehen von einem meist eine Abenteuergeschichte, ist mit Lerninhalten stets gleichen Frage- und Antwortalgorithmus aus verwoben. Diese Programme weisen eine nicht-li- (behavioristischer Übungsbegriff). Der Lernweg ist neare Struktur auf, die Kindern zumeist einen größe- unwichtig, es ist ein Regelungsvorgang, bei dem der ren Handlungsspielraum einräumen. Lernen wird Lernerfolg lediglich allein von der vom Schüler gege- bei diesen Spielen als interaktiver, teilweise ent- benen Lösung abhängt. Das entspricht nicht den deckender Prozess gesehen. Prinzipien der heutigen Grundschuldidaktik. Die Kritik bezieht sich vor allem darauf, dass jeweils ein Simulationsprogramme spezifischer Reiz ausgeübt wird und der Schüler nur Simulationen stellen Modelle der Welt bzw. eines spezifische Teilfertigkeiten trainiert. Da die Pro- Systems dar. Vorgänge aus Natur, Technik und Ge- grammabfolge nicht zu beeinflussen ist, kann der sellschaft werden auf dem Computer nachgestellt Schüler auf der Antwortseite nur reagieren. und -vollziehbar gemacht, sodass Kinder realistische • Tutorials sind Weiterentwicklung der Drill & Zustände aus diesen Bereichen kennenlernen. Practice-Programme zur Vermittlung von Fachbe- griffen und Zusammenhängen eines Fachgebietes, Hypermedia-Lernumgebung, Lexika der Erwerb von Fakten- und Regelwissen steht im Diese Form der Lernsoftware nimmt einen immer Vordergrund. Dem Lehrer werden oftmals Fehler- breiteren Raum ein und ist interaktiv (postliterale auswertungen zur Verfügung gestellt. Die Hilfefunk- Medien). Zu einem Hypermediasystem gehören tion und das Angebot mehrerer Lernwege sollen das zahlreiche Dokumente, die zu einem übergeordneten Prinzip des individualisierten Lernens ermöglichen. Thema netzartig untereinander verbunden sind. Die • Spielerische Lernprogramme sind eine Misch- einzelnen Dokumente beinhalten Texte, Grafiken, form zwischen Übung und Spiel, Verknüpfung von Bilder, Videosequenzen, Tonfolgen und Simulatio- Übungsprogrammen und Computerspielen. Diese nen. Der Schüler kann z. B. blättern, d. h. das Doku- Programme sind entwickelt worden, um das Üben ment wie eine Datenbank nutzen. für Kinder attraktiver zu gestalten und somit die in- Lerntheoretisch liegt den Hypermedia-Lernumge- trinsische Motivation, die vom Spielen ausgeht, zu bungen der Konstruktivismus zu Grunde. Daraus er- nutzen. geben sich als unterrichtspraktische Konsequenzen: Vier Faktoren machen Computerspiele für Kinder Schülerzentrierung, Selbststeuerung des Lernens, attraktiv: Projekt- und Werkstattunterricht. Zu den Sachdoku- September ’00 M E D I E N • I M P U L S E 21
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G nicht weiterhelfen. Andere Autoren warnen vor der scheinbaren Grenzenlosigkeit, die für Kinder nicht fassbar und deshalb auch nicht sinnvoll nutzbar ist. Werkzeuge zum Schreiben, Zeichnen und Präsen- tieren Diese Programme stellen aufgrund ihrer zahlreichen Funktionen höhere Ansprüche an den Benutzer, wer- den jedoch sehr gerne benutzt, um „Geschichte zu schreiben“, Gelerntes zusammenzufassen, und spie- len eine bedeutende Rolle im Projektunterricht (Teamarbeit). Gerade die Möglichkeit der Verknüp- fung von Text und die Integration von Bildern moti- viert die Kinder zu beachtlicher Kreativität. Der Computer unterstützt die Kinder in ihrem sprachli- chen Schaffen und entlastet sie, weil Buchstaben Meine erste Reise um die Welt nicht kognitiv rekonstruiert und motorisch nachvoll- zogen werden müssen. Die Freude im Umgang mit Text und Grafik wird nicht durch motorische Tätig- menten kommen thematisch passende Hinweise auf keiten absorbiert, sie können sich ganz auf ihre Bot- weiterführende Aktivitäten. Schüler können solche schaften konzentrieren und nutzen alle Möglichkei- Programme oftmals als Lexikon und Ideensamm- ten der Schriftgestaltung. lung nutzen und persönlichen Interessen folgen. Grundlegende didaktische Prinzipien, die bei der Internet, e-Mail-Kommunikation Arbeit mit Hypermedia-Lernumgebungen im Vor- Mit der Vernetzung entstehen völlig neue virtuelle dergrund stehen, sind: in sinnvollen Zusammenhän- Räume. Gemeinsame Online-Spiele sind möglich – gen lernen, üben und wiederholen, sachorientiert die „Welt“ wird nur für kurze Zeit aufgebaut. Ob- und sinnstiftend lernen, einsichtig und abwechs- wohl die Nutzung des Internets in der Volksschule lungsreich üben, methodisch vielfältig üben, das Ge- einen wesentlich geringeren Raum einnimmt als in lernte festigen und anwenden. der Schule der über 10-Jährigen, ist es für manche Generell sind zahlreiche Querverbindungen zum Kinder eine enorme Herausforderung, eine eigene Abrufen von Informationen hilfreich und nützlich, es Homepage zu entwickeln. In einer zweiten Klasse sind keine Lernwege vorgegeben. Auf Grund der beschäftigen sich einige Kinder (Buben und vielfältigen Verknüpfung verschiedener Medien Mädchen gleichermaßen) mit dieser Problematik. können die SchülerInnen je nach Interesse individu- Die Präsenz im Internet, das „sich der Welt zeigen ell unterschiedliche Wege gehen. Damit eröffnen sich können“ stellt eine enorme Motivation dar, auf den auch viele Differenzierungsmöglichkeiten. Lernziele Seiten werden Links zu Spielen integriert, und gra- können demnach auch nicht vorher festgelegt wer- fische Effekte spielen die bedeutendste Rolle. Die den. Sesink bezeichnet diese Systeme als „zieloffene Attraktivität der Nutzung des Internet liegt vor al- Konzepte“. Es ist zu Beginn des Unterrichts nicht lem in der Möglichkeit, Grafiken herunterzuladen. vorhersehbar, was und wieviel ein Schüler lernt. Es Kinder benutzen keine Suchmaschinen, sondern ist zu erwarten, dass die Schüler mit der Fülle an In- versuchen Adressen nach Namen auszuprobieren. formationen, die eine Hypermedia-Lernumgebung Sie sehen sich gerne und oft die Homepage der bietet, umgehen können und diese sinnvoll nutzen Schule an, weil sie neugierig sind, ob etwas von können. ihren Arbeiten dazugekommen ist. Auch andere In diesem Zusammenhang stellt sich der Compu- Schulen „besuchen“ sie mit großem Vergnügen. Für ter als effizientes Lernmedium heraus. Van Lück be- Arbeiten suchen sie Bilder aus dem Netz, um sie in trachtet das multimediale Angebot sehr positiv, denn ihre eigenen Arbeiten zu integrieren. Spiele im In- es fördert auf der einen Seite komplexes, intelligentes ternet werden in den freien Lernphasen und in den Wissen und komplexe Kommunikation und bietet Pausen oder vor dem Unterricht mit großer Begeis- andererseits Informationen, wenn andere Medien terung ausprobiert. 22 M E D I E N • I M P U L S E September ’00
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G Beispiele für kreatives Arbeiten1) VS Herderplatz, 3. Klasse, Klassenlehrerin A. Maier: „Ich in New York“. Scannen von Schülerfotos, Aus- schneiden der Köpfe mit einem Grafikprogramm, Hineinkopieren in einen Bildhintergrund. In diesem „Bilderbuch“ wurde von den Kindern jeweils eine Stadt ihrer Träume gewählt, in die sie sich selbst hin- einprojizieren. Dazu wurden Geschichten geschrie- ben, in denen diese Träume auch verbal zum Aus- druck kamen. *** GTVS Aspernallee, 2. Klasse, Klassenlehrerin T. David, Weihnachtsgrüße. Grafiken auswählen, die Größen der Grafiken so aneinander anpassen, dass das Gesamtbild „passt“, Schriften wählen und ver- ändern. Diese Bilder wurden in Powerpoint animiert (das kann man in einer Ausgabe auf Papier nicht de- monstrieren). Dieses Beispiel zeigt, dass mit einfa- *** GTVS Aspernallee, 2. Klasse, Klassenlehrerin H. chen Mitteln eine Dimension (Animation von Bil- dern und Text), die mit keinem anderen Medium rea- Weiss, Muttertagsgedicht. Bilder wurden ausge- lisiert werden kann, zur Gestaltung verwendet wer- wählt und auf einen passenden Hintergrund kopiert, den kann. angeordnet dazu ein Gedicht geschrieben, das mit Text-Gestaltungsmitteln variiert wurde. Das Auspro- bieren, immer wieder verändern können, die Mög- lichkeit der Variation, Kreativität haben einen hohen Motivationscharakter. *** GTVS Aspernallee, 1. Klasse, Klassenlehrerin S. Gressl, Klassenkalender. Jedes Kind hat sich seinen Geburtsmonat ausgesucht und die Anzahl der Tage des entsprechenden Monats angeordnet. Die Kinder haben sich passende Clip-Arts ausgesucht und sie eingefügt. September ’00 M E D I E N • I M P U L S E 23
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G VS Oberlaa, 1. Klasse, Klassenlehrerin B. Desch, Wordart-Objekte mit Grafiken verbinden. Diese Bil- der wurden als Kalender ausgeführt, und in weiterer Folge auf Folien ausgedruckt, die auf T-Shirts gebü- gelt wurden. T-Shirts mit einem Schul-Image, das die Kinder kreiert haben, werden von einigen Projekt- klassen produziert. *** VS Herderplatz, Klassenlehrerin W. Milalkoviz, 1. Klasse, Zeichnen mit Autoformen in WORD, „Unse- re Straße“. Die Arbeit mit WORD von Anfang der ersten Klasse ist ein spezielles Anliegen in dieser Klasse (eine detaillierte Handreichung für LehrerIn- nen zu diesem speziellen Gebiet ist in Ausarbeitung). *** VS Herderplatz, Klassenlehrerin A. Maier, 2. Klas- se, T-Shirt-Design. Die Kinder haben ein eigenes Outfit gesucht. In einem Zeichenwettbewerb wurde die Grundfigur entworfen und von einer Jury aus den Zeichnungen (Handzeichnungen) ausgewählt, gescannt, und dann von jedem einzelnen Kind in den von ihm gewählten Farben im Grafik-Programm ge- färbt, mit dem eigenen Namen beschriftet, gedruckt und auf ein T-Shirt gebügelt. Zusammenfassung Beim Lernen mit allen Sinnen, Lernen voneinander und miteinander sollte der Computer nicht eine be- stimmende Rolle spielen, sondern die Wahl eines Mediums muss von den Lenzielen bestimmt sein und keinesfalls umgekehrt. Als Arbeitsmittel kann mit dem Computer in manchen Bereichen ein Mehr- wert des Lernens geboten werden. Durch die multi- medialen Möglichkeiten können neue Sichtweisen und Bezüge eröffnet werden, Sachverhalte mit allen Sinnen erfasst werden, ein tieferes Verständnis von Problemstellungen gefördert und auch soziale und emotionale Aspekte des Lernens angesprochen wer- den. Im Zusammenhang mit dem Medium Computer wird immer häufiger das Wort „Medienkompetenz“ verwendet. Dabei ist nicht das Wissen um die techni- *** VS Oberlaa, 1. Klasse, Klassenlehrerin B. Desch, schen Strukturen und auch nicht das Bedienungs- wissen gemeint, es geht um die sinnvolle Benutzung Zeichenprogramm (Paint). Die Kinder hatten die des Computers und der entsprechenden Software, Idee, ein Weihnachts-Memory zu entwickeln, wobei des Internets und den adäquaten Einsatz im Unter- jedes Kind seine Idee des Christbaums beisteuerte. richt. 24 M E D I E N • I M P U L S E September ’00
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G Das Arbeiten mit dem Computer ist zum Großteil puter verwenden zu „dürfen“, ist nicht mehr rele- ein individuelles Arbeiten, bei dem die Eigenverant- vant. Es zeigt sich, dass manche Kinder massiv zum wortung des Schülers für die Steuerung des Lernens Computer drängen und dort ihre Aufgaben (Schul- Bedeutung hat. Neben der Individualisierung ist es – übungen) lösen wollen. Andere erledigen zuerst alle auch mit Hilfe des Internets – möglich, kooperatives Arbeitsaufträge in konventioneller Weise, weil sie Lernen, Gruppenarbeit und Projektarbeit zu prakti- „Computerarbeit“ erst dann erledigen wollen, wenn zieren. Die Kompetenz des Lehrers ist mitbestim- sie mit allem anderen fertig sind, da sie Computerar- mend, wie Unterricht durch Anwendung des Com- beit oft als „Spiel“ betrachten. puters und des Internets verändert werden kann. Es Es hat sich gezeigt, dass es für die Kinder selbst- ist entscheidend, wie der Lehrer mit diesen Medien verständlich ist, mehrere Anwendungen zu ver- selbst umgehen kann und welchen Freiraum er Kin- knüpfen. Dabei stellt die Möglichkeit der Auswahl dern einräumt, wobei sie Anwendungen selbststän- und des Einbindens von Grafiken einen hohen Moti- dig wählen dürfen. Der Lehrer nimmt eine Position vationsfaktor dar. Die unendliche Fülle von Bildern, des Helfers beim Lernen ein, viel stärker als im tradi- ganz besonders auch von bewegten Bildern (Anima- tionellen Unterricht, wo er eine führende Rolle hat. ted GIF), die aus dem Internet herunterzuladen sind, In den Projektklassen war zu beobachten, dass der sind ein enormer Anreiz, diese in eigene Arbeit ein- Einsatz von Lernsoftware im Unterricht weniger in- zubinden. tensiv war als erwartet. Wichtig ist, in welchem Um- Die hohe Motivation der im Projekt involvierten fang Lesekenntnisse für das Arbeiten mit Lernpro- Lehrer spiegelt sich in den Schülerarbeiten hinsicht- grammen erforderlich sind, das spielt gerade in der lich Kreativität bei der Auswahl der Themen als auch Grundschule eine bedeutende Rolle. Für einen be- in der Qualität der Ausführung wider. Es muss auch stimmten Zeitrahmen werden nur wenige Program- betont werden, dass der Planungsaufwand zur Vor- me parallel in der Klasse bereitgestellt. bereitung von Projekten und die Auseinanderset- Sehr viel kreative Arbeit wurde von den Kindern zung mit den Anwendungen für die Lehrerinnen ei- geleistet. In Klassen, wo offenes Lernen und projekt- nen enormen Zeitaufwand darstellt. Das Lernen mit orientierter Unterricht die vorherrschende Lernme- Multimedia-Anwendungen ist immer zeitaufwändig thode ist, wird verstärkt auf kreative Anwendungen und bedarf intensiver Vorbereitung. von Textverarbeitung und Grafiksoftware (Scannen Zur Unterstützung der Auswahl von Lernsoft- und Bearbeiten von Bildern) Wert gelegt. Anwen- ware kann der Lern-Software-Ratgeber 2000 (Lernen dung des Internet nimmt einen immer breiteren am Computer, Thomas Feibel) gute Hilfe leisten, da Raum auch in der Grundschule ein, wo bereits in der es nur schwer möglich ist, aus der Fülle von Lern- zweiten Klasse einzelne Kinder eigene Homepages programmen auszuwählen. Nur wenige Produkte gestalten. Es muss jedoch betont werden, dass diese sind von einer Qualität, die sowohl pädagogischen Anwendungen ein enorm hohes Anspruchsniveau Ansprüchen entspricht als auch von den Schülern an die fachliche (nicht nur die pädagogische) Kom- gern angenommen wird. petenz des Lehrers stellen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass gerade für so- Die Bereitschaft der Kinder zur Arbeit am Compu- zial schwache Schüler die Möglichkeit der Nutzung ter ist differenziert. Die Motivation allein, den Com- von Computer und Internet (vierte Kulturtechnik) in Schulen im Projekt Schule Klassen LehrerInnen SchülerInnen Graz Goesting 2 2 35 http://goesting.volksschule.at GTVS 1020 Wien Aspernallee 4 4 90 www.schulen.wien.at/schulen/902011/index.html ÜHS der PA Wien 10, 1100 Wien Ettenreichgasse 2 1 41 www.pab.asn-wien.ac.at/uevs VS 1100 Wien Herderplatz 5 5 112 www.herderschule.pcnews.at VS 1100 Wien Oberlaaerplatz 5 8 127 www.oberlaa.volksschule.at VS 1090 Wien Währingerstraße 2 2 43 www.edvw.com/kids September ’00 M E D I E N • I M P U L S E 25
I N F O R M A T I K U N D M E D I E N E R Z I E H U N G der Schule die einzige Möglichkeit ist, sich mit die- Harrison, M.: Coordinating Information & Communications Tech- nologies Across the Primary School. The Falmer Press, London sen Medien auseinanderzusetzen und sie als Lernhil- 1998. fen und Möglichkeit der Wissensgestaltung und -re- Hedrich, A.: Pädagogik neu? Edutainment ein Allheilmittel? Ler- präsentation kennenzulernen. nen mit dem Computer. In: Hauptsache Interaktiv. Palme, • Multimedia-Lernumgebungen erlauben das H.-J. (Hrsg.): Ein Fall für die Medienpädagogik. München 1997, Lernen mit unterschiedlichen Sinneskanälen (visuell, S. 141–148. auditiv, textbasiert) und geben die Möglichkeit zu in- Heyden, K.: Verändertes Lernen – verändertes Schreiben. In: Com- teraktivem Lernen (Hypermedia, Hypertexte). puter und Unterricht 23, 1996, S. 26–29. • Multimedia und Internet lassen mehr Selbst- Issig, L.: Information und Lernen mit Multimedia. Klisam, P. steuerung im Lernprozess zu und erlauben Selbst- (Hrsg.): München-Weinheim 1998. kontrolle in gut aufgebauten Lernprogrammen. Kerres, M.: Multimediale und telemediale Lernumgebungen. • Lernen mit Multimedia und Internet kann das 1998. Lernen verändern, wenn Interaktivität und Selbstor- Lück, W.: Computerspiele: Leben und Lernen in virtuellen Welten. ganisation des Lernprozesses zu mehr Selbstverant- In: Computer und Unterricht 23, 1996, S. 5–9. wortung beim Lernen führen und somit die Basis für Lück, W.: Gestaltung und Erprobung von Hypermedia-Arbeits- lebensbegleitendes Lernen werden. umgebungen zum Lernen und Üben. In: Krauthausen und • Die Integration von ICT-Kompetenz und neuen Hermann. 1994, S. 192–206. Lerntechniken hat einen hohen Anspruch an die Ent- Lück, W.: Können Lern- und Übungsprogramme eigentlich gut wicklung von neuen didaktischen Konzepten so- sein? In: Computer und Unterricht 23, 1996, S. 45–48. wohl hinsichtlich der Schulentwicklung als auch für Lück, W.: Verändertes Lernen: eigenaktiv, konstruktiv und kom- die Lehreraus- und Weiterbildung. munikativ. In: Computer und Unterricht 23, 1996, S. 5–9. Mead, G. H.: Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt/Main Anmerkung: 1968. 1) Eine Fülle von Beispielen und Anregungen für die Praxis ist in Montanda, L.: Die geistige Entwicklung aus der Sicht Piagets. In: Grimus, Reiter, Scheidl (Hrsg.): Evaluierungsprojekt „Neue Oertner & Montanda, 1995, S. 518–560. Medien in der Grundschule“. Österreichische Computergesell- schaft 2000, zu finden. Oertner, R.: Entwicklung des Problemlösens. In: Oertner & Mon- tanda, 1995, S. 561–621. Literatur: Palme, H.-J.: Pädagogik überrollt? In: Hauptsache Interaktiv. Pal- me, H.-J. (Hrsg.): Ein Fall für die Medienpädagogik. München Ager, R.: Information and Communications Technology in Pri- 1997, S. 47–58. mary Schools. The Cromwell Press Ltd., Trowbridge, GB 1998. Papert, S.: Revolution des Lernens. Kinder, Computer, Schule in Baumgartner, P.: Lernen mit Software. Innsbruck 1994, S. 32–76. einer digitalen Welt. Hannover, 1994, S. 154 ff. Bruck, P.: „Monitoring internationaler Trends des schulischen Ein- Reiter, A.: The Austrian Project for the Use of New Media in Pri- satzes neuer Medien. Projektbericht „Vernetzte Bildung“. Tech- mary School. Computer Communicativ, Journal of the Austrian no-Z FH Forschung und Entwicklung, 1999. Computer Association, 1998. Cottmann, K.: Lernen mit Computern in der Grundschule. In: Wie Schulz-Zander, R.: Lernen in der Informationsgesellschaft. In: verstehen Kinder Maschinen und Computer? München 1998, Pädagogik, 3, 1997, S. 8–12. S. 221–250. Sesnik, W.: Lernlandschaften. Didaktische Reflexionen zum Ein- Dubs, R.: Konstruktivismus: Einige Überlegungen aus der Sicht satz von Hypertext- bzw. Hypermedia-Systemen. In: Kraut- der Unterrichtsgestaltung. In: Zeitschrift für Pädagogik (41); hausen und Hermann, 1994, S. 112–127. Nr. 6, 1995, S. 889–903. Trned, R., et al.: QTS Information and Communications Technolo- Gerstenmaier, J.: Wissenserwerb unter konstruktivistischer Per- gy, Letts Educational, London 1999. spektive. In: Zeitschrift für Pädagogik (41), Nr. 6, 1995, S. 867– 888. Geser, G.: Warum und wann Neue Medien im Unterricht einset- zen? In: PC-News, 62, 1999, S. 33. Glaser, A.: Futurekids. In: Hauptsache Interaktiv. Palme, H.-J. (Hrsg.): Ein Fall für die Medienpädagogik. München 1997, S. 59–76. Dipl.Ing. Margarete Grimus, Professorin für Infor- Grimus, Reiter, Scheidl (Hrsg.): Evaluierungsprojekt „Neue Medi- matik an der Pädagogischen Akademie des Bundes en in der Grundschule“. Österreichische Computergesellschaft in Wien 10, Lehrerausbildung für Volks-, Haupt- und 2000. Sonderschulen, Lehrerweiterbildung sowie Dozen- Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/ tin im Bereich Neue Medien im Unterrichtslehrgang Main 1981. „Learning and Teaching New Media“. 26 M E D I E N • I M P U L S E September ’00
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