Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
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13–2021 3 5 7 Transformation gelebt: An der CDU gescheitert: Kinder, Alleinerziehende, Zu Besuch bei Verfassungsreform für Nichtwähler*innen: neue Thüringer Betrieben ein besseres Thüringen Fakten zur Armut Fraktion im Thüringer Landtag Neue Wege Als Thomas Morus 1516 auf Betreiben seines Freundes Erasmus von Rotter- dam seinen philosophischen Dialog „Von der besten Verfassung des Staa- tes und von der neuen Insel Utopia“ herausbrachte, waren die gesellschaft- lichen Herausforderungen unserer Zeit noch nicht zu erahnen. Der Titel des Werks aber setzte Maßstäbe bis heute: Sich eine positi- ve, alternative Gesellschaft vorzustel- len, zu beschreiben, wie es anders, besser geht, wird immer noch als Uto- pie bezeichnet. Wenn damit mitunter etwas abwertend gemeint ist, dass es sich dabei doch um unrealisierbare Ideen handele, sollte man an Ernst Bloch erinnern. Der hat mit seinen Ge- danken über „konkrete Utopien“ ver- deutlicht, wie wichtig solche sozial- utopischer Antizipationen sind: Utopie ist nicht irgendetwas Jenseitiges, son- dern wird schon im Prozess ihrer Ver- wirklichung real – als Kompass, als Mehr Utopie Antrieb, als Rahmen dafür, sich tas- tend und experimentierend auf das wagen neue Andere hinzubewegen. Man kann es auch so sagen: Gerade Wie könnte eine Alterna- deshalb, weil es heute so dringend tive zum Kapitalismus Veränderung braucht, sind Utopien aussehen? Robin Hahnel nötig. Dass wirkliche Lösungen für Klimakrise und soziale Ungleichheit und Erik Olin Wright nicht im selben gesellschaftlichen zeigen, warum die Debatte Rahmen gefunden werden können, über eine funktions- der sie aufgrund seiner strukturellen fähige, freie und demo- Zwänge erst hervorbringt, ist so ein- leuchtend wie schwer zu denken. kratische Gesellschaft Überwinden? Ja, aber wie und wohin? wichtig bleibt. Seite 6 Etwas anderes, besseres als der real existierende Kapitalismus braucht deshalb die Utopie. In dieser Ausgabe stellen wir „Vorschläge für eine demo- kratische Ökonomie“ vor, die die Mög- lichkeit von „Alternativen zum Kapi- talismus“ nicht nur behaupten, son- dern konkret ausmalen wollen. In Zei- ten, in denen plötzlich alle von der Notwendigkeit einer großen Transfor- mation sprechen, sind solche Anker- punkte für die Diskussion besonders wichtig. Denn Transformation ist nicht gleich Transformation. Es Illustration: Holzschnitt in „Utopia“, Ausgabe 1518, gemeinfrei kommt auf die Richtung an, auf das Ziel, darauf, wer dabei wie beteiligt und unterstützt wird. Nicht zuletzt helfen Utopien dabei, deutlich zu ma- chen, wie groß und umfassend die Veränderung heute sein müssten, aber wie groß der Gewinn für die Ge- sellschaft wäre. In sozialer, ökologi- scher, demokratischer, freiheitlicher Hinsicht. Und Sie werden in dieser Ausgabe durchaus Ansätze finden, wo Menschen neue Wege gehen, ganz praktisch, konkret utopisch sozusa- gen. Ihre Redaktion
2 13–2021 Linker Ticker Der Vorschlag des Vereins Mehr Demokratie e.V., die Zahl der für Bürgeranträge notwendigen Unter- schriften deutlich abzusenken, ist in der Thüringer Linksfraktion auf große Zustimmung gestoßen. „Bis- her ist der Bürgerantrag ein zahn- loser Tiger“, sagte Anja Müller, Sprecherin für Demokratie und Petitionen. Die geforderte Absen- kung des Quorums von bisher 50.000 auf 5.000 Unterschriftenda- her „vollkommen richtig“. Die LIN- KE setze sich zudem dafür ein, dass der Bürgerantrag in einen Ein- wohnerantrag umgewandelt wird. So würde jede und jeder, der in Thüringen lebt, die Möglichkeit ha- ben, sich an den Landtag zu wen- den. Ein entsprechender rot-rot- grüner Gesetzesentwurf liege der- zeit im zuständigen Verfassungs- ausschuss. +++ Der Jahresbericht 2021 des Landesrechnungshofes bestätigt nach Ansicht von Ronald Foto: Lukas Krause Hande, haushaltspolitischer Spre- cher der Linksfraktion den haus- halts- und finanzpolitischen Kurs der rot-rot-grünen Koalition der letzten Jahre. Diese sei geprägt durch nachhaltige Investitionen in Bittere Entscheidung die Zukunft des Landes und die Tilgung von Schulden. Insbesonde- re die Feststellung, dass die Not- wendigkeit der Neuverschuldung der Jahre 2020 und 2021 in Anbe- Keine demokratische Mehrheit für Neuwahlen / Dittes: Neustart bleibt notwendig tracht der aktuellen Lage gerecht- fertigt ist, sei Beleg dafür, dass Rot- Es war eine bittere Entscheidung, aber solchen ebenso ungeheuerlichen wie Entscheidungen getroffen werden kön- Rot-Grün Thüringen haushaltspoli- eine ohne Alternative: „Wir ziehen den einzigartigen Tabubruchs nicht unter nen. Dazu gehört in erster Linie der tisch solide durch die Krise führt. Antrag zur Auflösung des Thüringer den Bedingungen herbeigeführt wer- Haushalt für das kommende Jahr.“ +++ Die Ausweisung von Teilen Landtages zurück. Wir tun das auch den kann, wie die, die die Entscheidung Vor uns liege „eine in mancherlei Nord- und Ostthüringens als Mo- aus Verantwortung vor dem Parlament des 5. Februar 2020 erst zum Tabu- Hinsicht offene Zukunft mit Unwägbar- dellregion für Suche nach einem und den Abgeordneten, denen es wich- bruch gemacht haben, sollte sich von keiten, aber auch mit Menschen, die Standort für das geplante Atom- tig war, die Auflösung nicht mit Stim- selbst verstehen.“ willens und in der Lage sind und sein müll-Endlager stößt bei Marit men der AfD zu vollziehen“, so der Die Entscheidung, den Antrag zur müssen, nicht vor ihr zurückzuschre- Wagler, Sprecherin für techni- Fraktionschef der Thüringer LINKEN, Auflösung zurückzuziehen, sei, so cken, sondern sie zu gestalten“, so Ra- schen Umweltschutz der Links- Steffen Dittes. Einfach habe man sich schwer sie auch fiel, so bitter sie auch melow weiter. „Demokraten müssen fraktion, auf Kritik. „Die Bundes- den Schritt keineswegs gemacht. Bis zu- ist, „in dieser Situation die ehrlichste sich jetzt die Hand reichen – auch über gesellschaft für Endlagerung ver- letzt sei man überzeugt gewesen, dass und verantwortungsvollste“. Denn alle, Gräben hinweg. Wir haben nur diese letzt den im Standardauswahl-Ge- die Neuwahlen notwendig sind. Doch LINKE, SPD und GRÜNE hätten „seit eine Demokratie. Beweisen wir, dass setz vorgesehenen Prozess zur Su- angesichts der von der CDU zu verant- Anbeginn der Debatte immer wieder ihr Schutz mit und im Interesse aller che und zum Finden des besten wortenden Entwicklung habe man das betont und als rote Haltelinie beschrie- Menschen in Thüringen unser oberstes Endlagerortes in Deutschland. Die nötige Quorum von 60 Stimmen nicht ben, dass eine Auflösung eines Parla- Ziel ist. Dafür stehe ich. Jetzt und in Zu- weiter zu untersuchenden Regio- garantieren können. mentes nicht von den Stimmen der Par- kunft.“ nen sollten erst vom neuen Bun- Dittes erinnerte daran, dass bereits tei, der die parlamentarische Demokra- Die Sprecher*innen der Thüringer destag nach Auswertung der Teil- Ende Mai vier Abgeordnete der CDU tie und deren Akteure zutiefst verhasst Bündnisse, Netzwerke und Initiativen gebiete-Konferenzen bestimmt öffentlich erklärt hatten, nicht für die sind, abhängig sein darf.“ gegen Rechts, Diana Hennig, Max Re- werden.“ Laut Umweltverband Auflösung des Landtages stimmen zu Dittes wies darauf hin, dass es nun sche und Thomas Jakob, zeigten sich in BUND seien auch die Kriterien zur werden. Damit war „das entsprechen- darum gehe, „unserer Verantwortung einer Erklärung „enttäuscht von dieser Auswahl der Modellregionen „ext- de Quorum“ aus der nach dem Tabu- als gewählte Abgeordnete gerecht zu Verantwortungslosigkeit von CDU und rem intransparent“. Dies sei ein bruch vom 5. Februar 2020 geschlosse- werden“. Es sei nun notwendig, „sich in FDP“. Nach dem Tabubruch des 5. Feb- Schlag vor den Kopf aller Bür- nen Vereinbarung von Rot-Rot-Grün Ruhe neu zu sortieren und zu überle- ruar 2020 „und den politischen Spiel- ger*innen, Kommunen und Organi- mit der CDU bereits nicht mehr gege- gen, wie dieser Neustart auch ohne chen und Lügen der vergangenen Mo- sationen, die sich in den Prozess ben. Bis zuletzt wurde darüber hinaus Neuwahl gelingen kann“, so der Links- nate ist für uns klar, warum Rot-Rot- der Endlagersuche eingebracht offen kolportiert, dass auch weitere fraktionschef weiter. „Denn dann ha- Grün das Versprechen der CDU, der haben. PR Mitglieder der CDU-Fraktion sich nicht ben wir Aufgaben in den Ausschüssen Neuwahl bei einer Abstimmung zuzu- an die Vereinbarung halten werden. vor uns liegen. Wir müssen aktiv wer- stimmen, nicht ernst nehmen konnte“. Mit der Ankündigung der FDP, fünf Ta- den in Umwelt- und Bildungspolitik. Hätte die CDU diese Neuwahlen von Impressum ge vor der geplanten Abstimmung, sich Das ist unsere Verantwortung.“ Anfang an gewollt, so die Erklärung Herausgeberin: in der Abstimmung zu enthalten, sei Der linke Ministerpräsident Bodo Ra- weiter, „ohne das Land in den politi- Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag dann klar gewesen, dass es keine de- melow nahm „mit Respekt die im Land- schen Stillstand zu katapultieren, hät- Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt mokratische Mehrheit für Neuwahlen tag heute getroffenen Entscheidungen ten sie schlicht und einfach den Antrag Redaktion: Olaf Weichler (V.i.S.d.P.) gibt. zur Kenntnis. Nach den intensiven öf- auf Auflösung mit allen Abgeordneten Telefon: 0361 377-2620 „Die Vereinbarung zur Neuwahl war fentlich geführten Gesprächen und unterschrieben. Deshalb ist es nach- E-Mail: weichler@die-linke-thl.de www.die-linke-thl.de also die Konsequenz daraus, dass eine auch Wechselbädern der Gefühle in vollziehbar, dass der Antrag auf Auflö- Redaktionsschluss: 22. Juli 2021 verfassungsrechtlich bedeutsame und den vergangenen Wochen kommt es sung zurück gezogen wird, um der AfD Für unverlangt eingesandte Manuskripte und für die Demokratie konstitutive Ent- nun darauf an, in Ruhe und in größt- keine Möglichkeit der Beteiligung zur Materialien übernimmt die Redaktion keine scheidung nicht nur mit den Stimmen möglicher Sachlichkeit dafür Sorge zu Auflösung des Landtags zu geben. So Haftung. Sie behält sich das Recht der aus- der AfD getroffen wurde, sondern nur tragen, dass die für unseren Freistaat bleibt es dabei, dass das Vertrauen in zugsweisen Wiedergabe von Zuschriften vor. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht mit diesen möglich war“, so Dittes. Thüringen, seine Kommunen und die die CDU als Partner für uns endgültig unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. „Dass die politische Korrektur eines Bürgerinnen und Bürger wesentlichen gebrochen.“ PR
13–2021 3 Fotos: Linkspartei Thüringen Gelebte Transformation Wie Betriebe eine nachhaltige und soziale Wirtschaftsentwicklung in Thüringen voranbringen Wenn es um die sozial-ökologischen Transforma- tungstechnologie sind diese Materialien sogar tion der Thüringer Wirtschaft geht, macht sich für Lebensmittel und Flüssigkeiten geeignet. der Arbeitskreis Wirtschaft, Wissenschaft und „Diese Ideen sind innovativ und geeignet den digitale Gesellschaft der Linksfraktion im Land- Thüringer Wirtschaftsstandort weit nach vorne tag stark für mehr Nachhaltigkeit und eine sozia- zu bringen“, ist Andreas Schubert überzeugt. lere Wirtschaftsentwicklung. Beispielsweise Auch die Produktionsketten sind genau durch- wurde in den letzten Haushaltverhandlungen ein dacht und auf geringstmögliche Verschwendung Thüringer Transformationsfond für die Automo- ausgelegt. Christian Schaft ergänzt: „Ausgetre- tive-Industrie verankert. „Konkret wollen wir tene Pfade zu verlassen und neue Wege zu die Demokratisierung der Wirtschaft durch gehen, das ist der Geist den wir brauchen, alternative Unternehmensformen und wenn wir das Land Thüringen sozial und mehr Beteiligung von Beschäftigten in ökologisch gestalten wollen.“ den Betrieben umsetzen“, sagt Christian Auch im Süden Thüringens hat der Schaft, Mitglied im Wirtschaftsarbeits- Wirtschaftsarbeitskreis ein Unterneh- kreis. men besucht, das sozial und ökologisch Im Sommer 2020 war das Strategiepa- wirtschaften will. Mit knapp 1.650 Hek- pier „Wirtschaften nach Corona“ in der tar Gesamtbetriebsfläche unter anderem Fraktion beschlossen worden. Anknüp- im Ort Vachdorf gehört das Ökozentrum fend daran gibt es bereits konkrete Projek- Werratal mit zu den größten und bekann- te, Vereine, Unternehmen und Institutionen, testen Biobetrieben Deutschlands. Ziel des die durch ihr Selbstverständnis, ihre Ideen und Betriebs ist es im wirtschaftlich benachteilig- den gelebten Arbeitsalltag die sozial-ökologische tem Naturraum standortgerecht zu produzieren, Neue Wege Transformation in Thüringen mit Leben füllen. nachhaltig und naturnah zu wirtschaften, ge- Regionalisierung Diese wollen wir gezielt durch die neue Förder- schlossene Produktionskreisläufe zu entwickeln, zu gehen, das mittelperiode unterstützen. artgerechte Tierhaltung umzusetzen, die gebiets- ist ein Schlüssel ist der Geist, den Bei der Firma Papacks in Arnstadt entsteht die typische Kulturlandschaft zu erhalten und vor für mehr wir brauchen. Revolution der nachhaltigen Verpackungsmittel- produktion. Der Arbeitskreis Wirtschaft hat sich allem eine höhere Wertschöpfung in ländlichen Region zu realisieren. Nachhaltigkeit. Christian Schaft im Juli 2021 das Werk angeschaut und konnte „Am Herzen liegt uns auch die regionale Kreis- Andreas Schubert sich von den innovativen Ideen überzeugen. Aus laufwirtschaft. Durch eine Verringerung der Pflanzenfasern wie Hanf, Algen, Zuckerrüben Distanzen zwischen Erzeuger:innen und Ver- oder bestimmten Süßgräsern sowie Abfällen aus braucher:innen gewinnen nahezu alle Wirt- der Papierherstellung entstehen hier 100 Prozent schaftsbereiche. Die Regionalisierung ist ein recyclebare und kompostierbare Verpackungen, Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit“, ist sich And- mit denen sich der ökologische Fußabdruck auf reas Schubert, wirtschaftspolitischer Sprecher, Dauer dramatisch senken lässt. Durch eine neue der LINKEN Landtagsfraktion sicher. und bislang einmalige ökologische Beschich- Katharina Wischmeyer
4 13–2021 Afghanische Ortskräfte gefährdet Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan bleiben viele af- ghanische Ortskräfte zurück. Der- weil rücken die Taliban weiter vor. „Es kann nicht sein, dass diejeni- gen, die der Bundeswehr bspw. als Dolmetscher oder Koch teilweise über Jahre zur Seite standen, jetzt das Nachsehen haben und der Ge- fahr für Leib und Leben ausgesetzt Foto: Screenshot bleiben“, kritisierte Patrick Beier, migrationspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Thürin- ger Landtag: „Die Ablehnung der Übernahme der Flugkosten sei- Dokument der Stagnation tens des Bundesinnenministeri- ums mit der zynischen Argumen- tation, man hätte zwar Visa ver- teilt, aber die Flugkosten müsse man schon selbst aufbringen, ist Bericht zum Stand der Einheit: Im Osten geringere Löhne, Renten, Vermögen absolut nicht hinnehmbar.“ Es be- stehe konkrete Lebensgefahr für Der Jahresbericht zum Stand der Deut- IG Bau hat bewiesen, dass sich die Ost- Matthias Höhn, nannte den Einheitsbe- die in Afghanistan verbliebenen schen Einheit ist von Politiker*innen West-Lohnmauer dort durchbrechen richt 2021 „ein Dokument der Stagna- Ortskräfte. der LINKEN in Thüringen zum Anlass lässt.“ Die Landtagsabgeordnete und tion und der Entfremdung“. Die großen Beier forderte die Bundesregie- genommen worden, auf die besonderen Bundesvorsitzende der LINKEN, Susan- Sprünge bei der Annäherung zwischen rung zum Handeln auf. „Flugkos- Probleme im Osten aufmerksam zu ma- ne Hennig-Wellsow, wie auf die Folgen Ost und West stammten allesamt aus in ten müssen für alle Ortskräfte chen. „Das sich heute, rund 30 Jahre der ungleichen Verteilung des Vermö- den 90er Jahren. „Mittlerweile nähert übernommen werden. Auch bei nach der Wende noch immer ein Drittel gens in Ost und West hin. „Es gibt häu- sich die Wirtschaftskraft nur noch in der Ausstellung eines Visums darf der Ostdeutschen als Menschen zweiter fig keine Rücklagen, die über Krisen Minischritten an. Zur Erklärung fällt es schon allein deshalb keine Un- Klasse fühlen, hat mit den tief greifen- hinweghelfen können.“ auch dem aktuellen Ostbeauftragten terschiede zwischen Ortskräften den Umbruchserfahrungen nach der Daher brauche es in Ostdeutschland nichts mehr ein als Nebelkerzen“. Der der Bundeswehr und denjenigen, Wiedervereinigung zu tun. Niedrigere viel stärker eine Politik für höhere Löh- CDU-Politiker Marco Wanderwitz wolle die zum Auswärtigen Amt oder Löhne und geringere Renten bei fast ne, eine garantierte Rente mit 65 oder von flächendeckender Benachteiligung zum Entwicklungsministerium ge- gleichen Lebenshaltungskosten haben die Erhöhung des Mindestlohns. „Dass „nicht mehr reden, obwohl es sie nach hören, geben, da sich die Taliban ihr übriges getan“, sagt Steffen Dittes, das Vermögen der Ostdeutschen nur 48 wie vor gibt“. Nur die im Osten verbrei- um solche Feinheiten nicht sche- Fraktionschef der LINKEN im Landtag. Prozent des Vermögens der Westdeut- tetere Skepsis gegenüber der Politik sei ren. Aus deren Sicht sind Militär „Die Menschen in Thüringen arbeiten schen beträgt, hat Auswirkungen auf für Wanderwitz einer besonderen Er- und Entwicklung nur zwei Kompo- mehr Stunden und haben am Ende des das ganze Leben. Diese strukturelle Be- wähnung wert. Der CDU-Mann hatte nenten eines größeren Ganzen. Im Monats weniger auf dem Lohnzettel als nachteiligung lässt sich nur durch das unter anderem mit der Äußerung für Übrigen gilt: Hilfeleistung ist Hilfe- ihre Kolleginnen und Kollegen in den Schaffen harter Fakten beseitigen, dass Kontroversen gesorgt, die Ostdeut- leistung. Wer Flugzeuge in Bewe- westlichen Bundesländern, dass muss müssen auch die anderen Parteien be- schen seien „diktatursozialisiert“. Wer gung setzt, damit die Bundeswehr sich ändern.“ greifen, sonst bleibt es bei bloßen Lip- so spreche, sagt Höhn, habe „weder ein rund 22.000 Liter Bier, Wein und Auch Landesvize und Gesundheits- penbekenntnissen“, so auch Dittes. „In klares Bild vom Osten noch vom eige- Sekt ausfliegen kann, der kann ministerin Heike Werner drängte auf den kommenden Jahren wird es unsere nen Job. Wanderwitz verdreht zudem auch diejenigen, die der Bundes- einen schnelleren sozioökonomischen Aufgabe sein, die Lebensrealität im Os- Ursache und Wirkung. Wer über das wehr helfend zur Seite standen, Aufholprozess. „Die Zeit in der die CDU ten mehr ins Bewusstsein zu rufen und Gefühl der Benachteiligung spricht, mit dem Flugzeug nach Deutsch- in Thüringen mit niedrigen Löhnen ge- ostdeutschen Interessen einen größe- darf über die Gründe nicht schweigen. land holen. Ich wüsste keinen plau- worben hat, sind zum Glück vorbei.Gu- ren Raum zu gewähren, das wäre auch Die Unterschiede zwischen Ost und siblen Grund, warum man das eine te Löhne erreichen wir durch mehr Ta- für das demokratische Selbstverständ- West sind handfeste. Es geht um Geld, tun und das andere unterlassen rifbindung und flächendeckende Tarif- nis zuträglich“, sagte Werner. um Anerkennung und um den Platz für sollte“, so Beier. verträge. Wir brauchen endlich einheit- Der Beauftragte für Ostdeutschland ostdeutsche Biographien in dieser Ge- Auch die Bundesvorsitzende der liche Tarifgebiete in Ost und West. Die der Bundestagsfraktion der LINKEN, sellschaft. PR LINKEN und Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Janine Wiss- ler, hat die Bundesregierung auf- gefordert, alle Hilfskräfte, die das wünschen, umgehend zusammen Plötner: Pflege solidarisch finanzieren mit ihren Familien aus Afghanis- tan auszufliegen und nach Kostenexplosion: Eigenanteile in Heimen steigen in Thüringen immer weiter an Deutschland zu holen. „Es geht hier um Leben und Tod. Und da ist Die Pflegekosten für die Eigenanteile in bensabschnitt ermöglichen und nicht Mehrheit der Menschen entlasten und es das Mindestes, das wir das Le- Heimen steigen in Thüringen immer den direkten Weg in die Armut bedeu- die reiche Minderheit belasten“, wurde ben dieser Menschen schützen. weiter an. Zuletzt mussten Familien da- ten.“ Linksfraktionschef Dietmar Bartsch Das steht jetzt und hier an und für im Durchschnitt 1.724 Euro im Mo- Plötner sieh als Ausweg eine solida- zitiert. Nötig sei eine Kranken- und Pfle- nicht Appelle der Bundeswehr.“ nat aufbringen. Für viele zu viel. Zwar rische Pflegevollversicherung, in die geversicherung, in die alle einzahlen. Wissler nannte es „völlig unver- hat der Bundestag eine Pflegereform alle einzahlen. „So werden die längst In der Pflegeversicherung gebe es riesi- ständlich, warum die Ortskräfte, beschlossen, die ab 1. Januar 2022 überfälligen Lohnsteigerungen im Be- ge Löcher, die Eigenanteile wüchsen die aus Afghanistan raus wollen, greift. Dass aber „im ersten Jahr der In- reich der Pflege von der Solidargemein- stetig und seien schon jetzt so hoch, nicht zusammen mit den Truppen anspruchnahme eines Heimplatzes le- schaft getragen und nicht auf Einzelne dass jede*r dritte Pflegeheimbewoh- nach Deutschland ausgeflogen diglich fünf Prozent der Eigenanteile abgewälzt“, sagt der LINKEN-Abgeord- ner*in auf Sozialhilfe angewiesen sei. wurden. Statt dessen nötig man sie durch öffentliche Mittel subventioniert nete. Laut dem Modell der LINKEN, das dazu, für die Ausstellung der Rei- werden, verdient nicht den Begriff ei- Derweil hat die Bundestagsfraktion durch ein Gutachten der Bremer Wis- seunterlagen hunderte Kilometer ner Reform“, kritisiert Ralf Plötner, der Linkspartei ein von ihr in Auftrag senschaftler Karl-Heinz Rothgang und nach Kabul zu fahren und sich Sprecher für Gesundheitspolitik und gegebenes Gutachten über eine solche Dominik Domhoff unterstützt wird, selbst um einen Flug und dessen Pflege deer Linksfraktion. „Gerade für solidarische Gesundheits- und Pflege- könnte die Höhe der aus Löhnen und Bezahlung zu kümmern. Das ist ältere Mitmenschen soll die Pflege in versicherung vorgestellt. „Wir wollen Renten gezahlten Beiträge um fast ein unverantwortlich.“ PR den Heimen einen würdigen letzten Le- konsequent und konkret die übergroße Viertel sinken. PR
13–2021 5 An der CDU gescheitert Verfassungsreform geplatzt / Auch keine Stärkung der Inklusion in Thüringen Die CDU-Fraktion hat die verabredete mehrere Vorschläge dazu auf den Tisch Verfassungsreform für Thüringen plat- gelegt“, in einer öffentlichen Anhörung zen lassen. Angeblich, wie der Frakti- des Verfassungsausschusses hatte onsvorsitzende der LINKEN, Steffen selbst der Gemeinde- und Städtebund Dittes, das Scheitern kommentierte, Thüringen den CDU-Entwurf „verris- „weil ihr eine Formulierung in einem sen“. Artikel scheinbar nicht gepasst hat“. Angesichts des Scheiterns der Ver- Dabei ging es um das so genannte Kon- fassungsreform aufgrund des Rück- nexitätsprinzip, also die Verpflichtung zugs der CDU erklärte Karola Stange, einer staatlichen Ebene – hier das Land behindertenpoliische Sprecherin der -, für finanziellen Ausgleich zu sorgen, Linksfraktion im Landtag, sie „trage wenn sie Aufgaben an eine andere Ebe- tiefes Entsetzen in mir, wie die CDU ne überträgt. „Wir vermuten, dass der die Belange von Menschen mit Behin- Grund eher darin liegt, dass sie auch derungen mit Füßen tritt und so keine 18 Stimmen für die Verfassungs- schamlos die Verankerung der Inklu- änderung zusammen bekommen hät- sion in der Thüringer Verfassung auf- te“, so Dittes. Änderungen der Verfas- kündigt.“ sung sind nur mit einer Zweidrittel- Die Anhörung der Expert*innen aus mehrheit aller Landtagsabgeordneten Wissenschaft, Sozialverbänden und vor möglich. allem von den Interessen- und Selbst- Monatelang war über die Änderung vertretungen hätten deutlich gezeigt, der Verfassung beraten worden. „Der „wie willkommen eine Verfassungsän- Förderung und dem Schutz des Ehren- derung zur Stärkung von Inklusion wä- amtes, gleichwertigen Lebensverhält- re und wie notwendig sie wäre. Über nissen in Stadt und Land, der sozialen 400.000 Menschen sind in Thüringen und ökologischen Nachhaltigkeit, der als schwerbehindert anerkannt oder Abschaffung der Altersdiskriminie- diesem Status gleichgestellt. Diese vie- rung, der Umsetzung der UN-Men- len Menschen sind der CDU so wenig schenrechtskonventionen, der Stär- wert, dass sie nicht gewillt ist die zwi- kung der Rechte für Menschen mit ei- schen der Koalition und der CDU be- ner Beeinträchtigung wird nun der reits geeinte Erhebung der Inklusion in Hahn abgedreht, weil eine zerrüttete den Verfassungsrang tatsächlich umzu- CDU-Fraktion nicht weiß, wo ihr Weg setzen.“ für Thüringen hingehen soll“, kritisier- Die Linksfraktion werde sich nun te Anja Müller, Sprecherin für Demo- „weiter für die Verankerung der Inklu- kratie und Verfassung der Fraktion DIE sion in die Verfassung einsetzen, um LINKE, das Verhalten der CDU. unserem Anspruch – den wir mit den Foto: Lukas Krause Deren Erklärungen zur Wahrung des Selbst- und Interessenvertretungen tei- Konnexitätsprinzips nannte Müller „fa- len – einer inklusiven und barrierefrei- denscheinig“. Schließlich hätte „selbst- en Gesellschaft, welche Teilhabe für verständlich auch die Linksfraktion Alle möglich macht, umzusetzen.“ PR Tickende Zeitbomben Bildungswesen stärken König-Preuss: Tödliche Gefahr durch Neonazis Wolf: Schlussfolgerungen aus Coronaumsetzen Anlässlich des dritten Jahrestags des schüssen, sondern ebenso Recherchen Die bildungspolitischen Herausforde- jahrs umzusetzen: Entwicklungspro- Urteilsspruchs im Prozess um die antifaschistischer Gruppen und inves- rungen, welche die Corona-Pandemie zesse der Digitalisierung an den Thü- rechtsterroristische Mörderbande tigativer Journalist*innen: der NSU aufgezeigt hat, sollen nach den Worten ringer Schulen weiter verfolgen; neu NSU hat Katharina König-Preuss, war ein Netzwerk militanter Neona- von Torsten Wolf, bildungspolitischer erarbeitete und wirksame Instrumente Sprecherin für Antifaschismus der zis. „Fest steht jedoch, dass das Ober- Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im der Schul- und Unterrichtsentwicklung Fraktion DIE LINKE im Thüringer landesgericht München nur die Deu- Thüringer Landtag, zur grundsätzli- zusammentragen und für andere Schu- Landtag, vor tickenden Zeitbomben in tungshoheit für die strafrechtlichen chen Stärkung und Weiterentwick- len zugänglich machen; Maßnahmen der Neonazi-Szene gewarnt. „Welch Konsequenzen aus dem NSU hat. Was lung des Thüringer Bildungswesen zum Ausgleich verstärkt heterogener tödliche Gefahr von Neonazis ausgeht, der NSU tatsächlich war und welche genutzt werden. „Heute ist klar, dass Lernstände kontinuierlich mit den rele- ist offensichtlich. Ihre Netzwerke sind gesellschaftlichen Konsequenzen zu es ein einfaches Zurück in den Zu- vanten Akteur:innen abstimmen; Stär- ausgebaut, professionalisiert und sie ziehen sind, das bestimmt kein Ge- stand vor der Pandemie nicht geben kung der Kooperation zwischen Kin- verfügen mittlerweile über einen par- richtsurteil“, so König-Preuss. kann und auch nicht geben darf“, so dergarten und Grundschule; Unterstüt- lamentarischen Arm. Aufklärung Sie verwies dazu exemplarisch auf Wolf. Die Pädagog*innen an den Kin- zung der sozialen und sprachlichen In- kann ein Baustein sein, um künftige die neue Dokumentation der ARD dergärten und Schulen, die Eltern, die tegration sowie die Anpassung von Taten zu verhindern. Es ist notwendig, über das Hammerskin-Netzwerk in Kinder und Jugendlichen selbst sowie prüfungsrelevanten Leistungen. die den Rechtsterrorismus begünsti- Deutschland und die darüber öffent- alle anderen Bildungsbeteiligten hät- Derweil wurde bekannt, dass die genden Strukturen mit einem Unter- lich gewordenen Erkenntnisse: „Bei ten während der letzten Monate Thüringer Gymnasiast*innen trotz suchungsausschuss zu überprüfen. dem in Deutschland verbotenen, mili- enorm viel geleistet, um die Bildungs- Schulschließungen, Distanz- und Dieser sollte im Herbst seine Arbeit tanten ‚Blood & Honour‘-Netzwerk prozesse trotz aller Erschwernisse Wechselunterricht in der Corona-Pan- aufnehmen“, so König-Preuss. sind Unterstützungshandlungen für weiter zu ermöglichen und Ab- und demie in diesem Jahr im Schnitt ein Mit Blick auf das Urteil aus dem Juli das Kerntrio des NSU nachgewiesen. Einbrüche in den Bildungsbiografien besseres Abitur geschrieben als im 2018 kritisierte die Abgeordnete, da- Aufgabe muss es angesichts der nun unserer Kinder und Jugendlichen zu Vorjahr. Laut Berichten lag der Noten- mit sei „die fatale Erzählung eines bekannt gewordenen Informationen verhindern. schnitt bei 2,06, im Jahr 2020 waren rechtsterroristischen Trios, das von sein, dasselbe bei der Neonazi-Verei- Wolf verwies auf Vorschläge der rot- es 2,16. „Die Leistungen unserer Abi- Einzelpersonen Unterstützung erhielt, nigung ‚Hammerskins‘ zu untersu- rot-grünen Koalitionsfraktionen, in turientinnen und Abiturienten 2021 manifestiert“ worden. Im Gegensatz chen. Unter anderem hier ist drin- denen die Landesregierung gebeten können sich sehen lassen“, sagte Thü- dazu stünden nicht nur die Erkennt- gend weitere Aufklärungsarbeit not- wird, folgende Aspekte zu beachten ringens Bildungsminister Helmut Hol- nisse aus den NSU-Untersuchungsaus- wendig.“ PR und in der Durchführung des Schul- ter von der LINKEN. PR
6 13–2021 Eine Alternative, aber wie? Robin Hahnel und Erik Olin Wright diskutieren Vorschläge für eine demokratische Ökonomie Wenn die Tagespolitik ihren engen chischer Arbeitsteilung basiert, son- und Konsument*innen planen, über- staatlicher Machtausübung sind“, so Takt schlägt und die aktuellen Heraus- dern partizipatorische Planung, gesell- prüfen und verbessern laufend ihre Ko- hat er die Idee einmal zusammenge- forderungen schon mehr als groß er- schaftliches Eigentum und egalitäre operation; der Maßstab dabei sind Effi- fasst. Sozialismus dagegen sei „eine scheinen, mag der Hinweis auf progres- Arbeitsteilung als ihr Fundament orga- zienz, Gerechtigkeit und ökologische Struktur, in der die Produktionsmittel sive Utopien, die eine ganz andere Ge- nisiert. Es geht dabei um „ein Wirt- Nachhaltigkeit.“ in Gesellschaftseigentum übergegan- sellschaft umreißen, auf den ersten schaftssystem, das auf Wirtschaftsde- Hahnels Modell einer partizipatori- gen sind und Allokation und Resscour- Blick ein wenig aus der Zeit gefallen mokratie, ökonomischer Gerechtigkeit schen Ökonomie konzentriert sich voll ceneinsatz sich aus der Ausübung ›ge- erscheinen. Warum es trotzdem wich- und Solidarität beruht, ohne auf ökono- und ganz auf das, was erreichbar sein sellschaftlicher Macht‹ ergeben.“ tig und sinnvoll ist, sich den großen mische Effizienz zu verzichten“. Wobei könnte – auf „eine kohärente Beschrei- Damit rückt das Demokratische ins Horizonten zuzuwenden, zeigt nun wie Hahnel in einem fiktiven Gespräch bung eines voll entwickelten Systems Zentrum sozialistischer Vorstellungen. abermals ein Buch, das sich „Alternati- erläutert, mit Wirtschaftsdemokratie der fairen Kooperation“. Außen vor ge- Seine Überlegungen hat Erik Olin ven zum Kapitalismus“ widmet und gemeint ist, „dass die Entscheidungsbe- lassen werden dabei Fragen, wie eine Wright vor allem aus der kritischen „Vorschläge für eine demokratische Ökonomie“ macht. Erschienen im Bertz + Fischer Verlag, geht es Fragen nach, welche die gesellschaftliche Linke im- mer schon angetrieben haben: „Die vie- len Ungerechtigkeiten und katastro- phalen Mängel des Kapitalismus aufzu- zählen ist nicht schwer“, heißt es in dem Vorwort. Und weiter: „Aber gibt es eine bessere und machbare Alternati- ve? Wie könnte eine funktionsfähige, freie und demokratische Gesellschaft aussehen?“ Das Buch gibt dazu Antworten in Form einer Debatte, es skizziert Mög- lichkeiten einer anderen Welt, die mehr als nur den großen Rahmen formulie- ren, sondern „einen seltenen Grad an Tiefe und Gründlichkeit erreicht, wenn es um entscheidende Fragen und Prob- leme der Ausgestaltung einer nachka- pitalistischen Ökonomie geht“. Zwei Namen sind damit verbunden: Robin Hahnel und Erik Olin Wright. Und ihre Ideen sind es, die in „Alter- nativen zum Kapitalismus“ nicht nur Foto: Johnny Cohen/unsplash vorgestellt, sondern gleichsam in einem dialogischen Prozess gegenseitig einer Überprüfung unterzogen werden. Eine, wie es einleitend heißt, „detailgenaue, manchmal etwas technisch anmutende Diskussion, mit der eine sorgfältige Auseinandersetzung dennoch lohnt“. Denn einerseits wirken „die Akku- fugnisse, die jemand hat, dem Maß ent- Transformationsstrategie dahin ausse- Analyse von Realutopien gezogen, so mulation des Kapitals als Selbstzweck sprechen, wie er oder sie von einer Ent- hen könnte und was das für ein politi- nannte er das, was „in dieser oder jener und die private Aneignung des gesell- scheidung betroffen ist. Ökonomische sches Programm im Hier und Heute Hinsicht radikalere, emanzipatorische schaftlich produzierten Reichtums“ Gerechtigkeit heißt, dass sich die Ent- bedeuten würde. Alternativen“ vorwegnimmt; Vorboten nicht nur „zerstörerisch auf Individu- lohnung nach Anstrengung oder Ar- Mögliche Antworten darauf finden also, Inseln möglicher Zukünfte. Expe- um, Gesellschaft und Natur“ – sie brin- beitsaufwand bemisst. Unter Solidari- sich bei Erik Olin Wright, der 2019 ver- rimente mit partizipativen Haushalten, gen also gesellschaftliche Probleme tät verstehe ich die Sorge um das Wohl storben ist und eine große Lücke im Projekte nicht-hierarchischer wirt- hervor, die nach einer Lösung geradezu der anderen. Und ökonomische Effizi- linken Denken hinterlassen hat. In den schaftlicher Kooperation, Solidarity schreien. Andererseits stehen sozialis- enz schließlich meint den Gebrauch 1990er Jahren hat Wright mit seinem Funds, Genossenschaften, Betriebe in tische Lösungsvorschläge im Schatten knapper Produktionsfaktoren in sozial Real Utopias Project die Diskussion Belegschaftshand und so weiter. Auch gescheiterter historischer Versuche. und ökologisch optimaler Weise. Dabei über eine neuartige Form des Sozialis- in seinem 2017 erschienenen „Reale „Für einen zweiten Versuch werden dürfen die hart erbrachten Arbeitsleis- mus vorangebracht, die über „Wege zu Utopien. Wege aus dem Kapitalismus“ sich die Menschen nur gewinnen las- tungen nicht verschwendet werden.“ einem Sozialismus gesellschaftlicher werden mögliche Ansätze, Strategien sen, wenn klar ist, dass und wie eine Für ein Wirtschaftssystem, das die- Handlungsfähigkeit“. diskutiert, wie auf dem Weg einer sol- nachkapitalistische Gesellschaft funk- sen Ansprüchen gerecht wird, schlägt chen Transformation gelernt und vor- tionieren kann“, heißt es beim Verlag. Hahnel „eine Reihe von Institutionen Vertiefte Demokratie angekommen werden kann. und Verfahren vor“, darunter selbstver- Wer sich für progressive Utopien jen- Grundrisse einer Utopie waltete demokratische Räte von Produ- Im Kern, schrieb er einmal, „dreht sich seits zentralistischer Planwirtschaft zent*innen und Konsument*innen, in der Vorschlag darum, die Machtver- und kapitalistischer Verwertungslogik Im Kern geht es um zwei Konzepte, Vi- denen jedes Mitglied eine Stimme hat. hältnisse in der Ökonomie so zu verän- interessiert, wird in „Alternativen zum sionen, Grundrisse einer Utopie: Robin „Die Produzentenräte selbst richten dern, dass die Möglichkeit einer ernst- Kapitalismus“ sicher fündig. Und dem Hahnels „partizipatorische Ökonomie“ Stellen ein, die im Hinblick auf Arbeits- haften Demokratie vertieft und erwei- Hinweis des Verlags, dass eine breite und Erik Olin Wrights „realutopischen“ platzqualität und Mitwirkungsmöglich- tert wird.“ Seine Alternative ist jenseits Debatte über andere Formen gesell- Sozialismus. Beide haben in den 1990er keiten annähernd gleichwertig sind.“ von Kapitalismus und Etatismus veror- schaftlicher und ökonomischer Organi- Jahren und mit der Erfahrung des Un- Die Vergütung erfolge „nach Arbeits- tet: „Kapitalismus bezeichnet eine sation „dringend geboten“ sei, muss an tergangs des realen Sozialismus syste- aufwand, so wie er von den Arbeitskol- Struktur, in der die Produktionsmittel dieser Stelle nichts hinzugefügt wer- matisch über alternative Modelle einer leg*innen beurteilt wird“. Und: „Die in Privateigentum sind und in der Allo- den. PR post-kapitalistischen Gesellschaftsord- Produktion wird durch ein partizipato- kation und Gebrauch von Ressourcen nung nachgedacht. Hahnel entwickelte risches Planungsverfahren geregelt, Resultat privater Machtausübung sind. Robin Hahnel und Erik Olin Wright: Alterna- dabei zusammen mit Michael Albert also weder von einer zentralen Pla- Etatismus ist eine Struktur, in der die tiven zum Kapitalismus. Vorschläge für eine ein Wirtschaftsmodell, das nicht auf nungsinstanz noch durch Märkte. Räte in Staatseigentum und Allokation und demokratische Ökonomie, Bertz + Fischer Märkten, Privateigentum und hierar- und Föderationen von Produzent*innen Gebrauch von Ressourcen Resultat Verlag, Berlin 2021, 244 Seiten, 15 Euro.
13–2021 7 Was arme Menschen vom Wählen abhält Über den Zusammenhang von niedriger Wahlbeteiligung und so- zialer Lage geben bereits viele For- schungsarbeiten Auskunft: Men- schen mit geringen Einkommen stimmen seltener ab als Menschen in besserer sozialer Lage. Nun hat Max Schaub vom Wissenschafts- zentrum Berlin (WZB) einen noch genaueren Blick auf den Zusam- Foto: Benjamin Manley/unsplash menhang geworfen: Wie wirken sich kurzfristige finanzielle Eng- pässe unter Menschen in Armut auf die Wahlbeteiligung aus? Es geht dabei laut dem WZB um „Situationen, häufig nur einige Ta- ge lang, in denen das Geld knapp ist und nicht mehr für Lebensnot- wendiges ausreicht. Diese Notla- Kinderarmut wächst gen erfahren vor allem Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. In Deutschland sind das ca. 16 Prozent der Bevölkerung: Ar- Paritätischer Wohlfahrtsverband: Bestehende Sicherungssysteme reichen nicht aus beitslose, Rentner*innen mit klei- nen Renten und Alleinerziehende. Eine neue Studie des Paritätischen untersucht, heißt es in einer Erklärung nen westdeutschen Ländern wie Bre- Deren monatliches Budget ist häu- Wohlfahrtsverbandes belegt erneut die des Verbandes. „Während weniger Kin- men, Hessen, Niedersachsen oder Nord- fig bis auf den letzten Euro ver- gewachsene Kinderarmut. Die beste- der und Jugendliche Hartz IV-Leistun- rhein-Westfalen teilweise dramatisch. plant, sodass unerwartete Ausga- henden sozialen Sicherungssysteme gen bekommen, ist die Einkommensar- Die Studie weist darauf hin, dass ben sie sofort in finanzielle Schwie- reichten nicht aus, um Kinderarmut ef- mut gestiegen, so ein zentraler Befund: durch die Folgen der Corona-Pandemie rigkeiten stürzen.“ Fallen solche fektiv zu verhindern, kritisiert der So- Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugend- sogar noch eine Verschärfung der Lage finanziellen Engpässe auf Wahlta- zialverband. Denn obwohl die Hartz-IV- liche (20,5 Prozent) lebten inzwischen wahrscheinlich sei. ge, geht dies, so Schaub, mit einer Quoten sinken, wachse die Kinderar- in Armut. Besonders hart und häufig „Das Ausmaß und die Entwicklung stark reduzierten politischen Be- mut überdurchschnittlich. treffe es unverändert Alleinerziehende der Armut von Kinder und Jugendli- teiligung einher. „Kurzfristige fi- Trotz verschiedener sozialpolitischer und kinderreiche Familien.“ chen sind nicht nur besorgniserregend, nanzielle Notlagen können Men- Reformen bspw. beim Kinderzuschlag Ein Grund: Die Leistungen der sondern skandalös und ein Ausdruck schen zu Nichtwähler*innen ma- seien Minderjährige mit einer Armuts- Grundsicherung sind deutlich zu nied- armuts- und gesellschaftspolitischen chen“, so Schaub. quote von 20,5 Prozent im Vergleich zu rig bemessen und ergänzende familien- Versagens”, kritisierte Joachim Rock Den Zahlen zufolge sinkt „die anderen Altersgruppen überproportio- politische Maßnahmen nicht ausrei- vom Paritätischen Gesamtverband. Die- beabsichtigte Wahlbeteiligung bei nal von Armut betroffen, heißt es. Der chend, um Familien und Kinder effek- ser forderte abermals die Einführung der von Armut bedrohten Bevöl- Paritätische forderte daraufhin erneut tiv vor Armut zu schützen. einer bedarfsgerechten, einkommens- kerung um 5 Prozentpunkte. In wirksamere Maßnahmen zur Beseiti- Die Studie, die auch Länder-Trends abhängigen Kindergrundsicherung absoluten Zahlen ausgedrückt, be- gung von Kinderarmut, darunter etwa untersucht, belegt dabei eine konträre und einen Rechtsanspruch auf Angebo- deutet dies bei Bundestagswahlen die Einführung einer bedarfsgerech- Entwicklung zwischen Ost- und West- te der Jugendarbeit. Darüber hinaus 500.000 Wählerstimmen weniger. ten, einkommensabhängigen Kinder- deutschland, bei starker regionaler Dif- müsse sowohl am Arbeitsmarkt als Die tatsächliche Wahlbeteiligung grundsicherung. ferenzierung. Während sich die Lage auch bei der Grundsicherung angesetzt ist im Mittel ebenfalls um 5 Pro- In der aktuellen Studie der Paritäti- der Kinder und Jugendlichen in den werden. „Alle Maßnahmen, die geeig- zentpunkte reduziert im Vergleich schen Forschungsstelle wird die Ent- neuen Bundesländern (ausgehend von net sind, die Kluft zwischen arm und zu Wahlen, die zu einem Zeit- wicklung der Kinderarmut in Deutsch- sehr hohem Niveau) positiv entwickelt, reich zu schließen, kommen auch Fami- punkt stattfinden, an dem das fi- land über einen Zehn-Jahres-Zeitraum wachsen die Probleme in verschiede- lien und damit Kindern zugute.” PR nanzielle Budget der ärmeren Wähler*innen einigermaßen aus- geglichen ist.“ Der Effekt sei über die Jahrzehnte konstant und zeigt Alleinerziehende mit hohem Armutsrisiko sich besonders stark bei Kommu- nal- und Landtagswahlen und et- was weniger stark bei Bundes- Experte: „Arm trotz Arbeit – damit darf sich unsere Gesellschaft nicht abfinden“ tagswahlen. Laut Schaub sind die Gründe da- Für alleinerziehende Familien ist das dies darauf hin, dass politische Refor- enorm viel und erfahren dafür zu we- für „Stress und eine akut ver- Risiko, in Armut zu leben, weiterhin men etwa beim Unterhaltsvorschuss nig Anerkennung. Oftmals sorgen sie schärfte Wahrnehmung von Un- sehr hoch. Das zeigt eine neue Studie und beim Kinderzuschlag dazu geführt allein für ihre Kinder und gehen zu- gleichheit“ Um Geld zu sparen, von Anne Lenze (Hochschule Darm- haben, alleinerziehende Familien aus sätzlich einer Erwerbstätigkeit nach. bleibe „häufig nur der Rückzug ins stadt) im Auftrag der Bertelsmann-Stif- dem SGB-II-Bezug zu lösen. Trotzdem Trotzdem reicht das Einkommen häufig Private. Das reduziert die soziale tung. „43 Prozent der Ein-Eltern-Fami- liege ihr Anteil immer noch fast fünf- nicht aus. Arm trotz Arbeit – damit darf Einbettung, die sonst ein wichtiges lien gelten als einkommensarm, wäh- mal höher als bei Paarfamilien mit Kin- sich unsere Gesellschaft nicht abfin- Motiv für die politische Beteili- rend es bei den Paarfamilien mit einem dern. Anders gesagt: Das Risiko der den“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der gung ist.“ Laut dem Forscher sollte Kind 9 Prozent, mit zwei Kindern 11 Einkommensarmut für alleinerziehen- Bertelsmann-Stiftung. daher vermieden werden, „Wahlen Prozent und mit drei Kindern 31 Pro- de Familien nicht gesunken, sondern Hinzu kommt: Alleinerziehende Fa- auf Termine zu legen, an denen ein zent sind. Frauen sind in besonderer verharrt auf hohem Niveau. milien haben die Folgen der Corona-Kri- Teil der Bevölkerung regelmäßig Weise davon betroffen, denn 88 Prozent Wie Lenze zeigen kann, ist das höhe- se besonders zu spüren bekommen. Sie vor finanziellen Engpässen steht“. der Alleinerziehenden sind Mütter“. re Armutsrisiko alleinerziehender Fa- arbeiten häufig im Niedriglohnbereich Dies ist in der Regel am Monatsen- Zwar ist der Anteil der Alleinerzie- milien dabei nicht auf mangelnde Er- und in systemrelevanten Berufen, leben de der Fall. Für die Studie wurde henden, die Sozialleistungen beziehen, werbstätigkeit zurückzuführen. Allein- in beengten Wohnungen. Es müsse die Wahlbeteiligung von über seit 2015 zurückgegangen: in den west- erziehende Mütter gehen sogar häufiger mehr getan werden, um alleinerziehen- 1.000 Wahlen seit 1946 auf der deutschen Bundesländern von 36 auf einer Beschäftigung nach als andere de Familien zu entlasten, finanziell zu Bundes-, Landes- und der kommu- 34 Prozent, im Osten sogar von 43 auf Mütter und arbeiten öfter in Vollzeit. unterstützen und damit auch den Kin- nalen Ebene in Deutschland aus- 33 Prozent. Laut der Forscherin deute „Alleinerziehende leisten im Alltag dern zu helfen“, so Dräger. PR gewertet. PR
8 13–2021 Bis alle Lager evakuiert sind Die Situation in den Geflüchtetenla- gern an den EU-Außengrenzen sind schon seit langem katastrophal. „Diese Lager sind Teil der perfiden Abschottungs- und Abschreckungs- politik Europas. Lager bieten keinen Schutz – die Menschen müssen dringend von dort evakuiert wer- den“, fordert deshalb die Organisa- tion Seebrücke schon lange. Im Juli mobilisierte die Erfurter Lokalgrup- pe vor dem Landtag zu einer Kund- gebung anlässlich der öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss zu einer Petition, in der bereits 18 Thü- ringer Initiativen und Organisatio- nen sowie mehr als 1500 Unterstüt- zer*innen fordern, das Thüringer Landesaufnahmeprogramm durch- zusetzen. Damit sollen 500 schutz- suchende Menschen im Freistaat aufgenommen werden, doch Bun- desinnenminister Horst Seehofer verweigert mit fadenscheinigen Be- gründungen seine Zustimmung. Deshalb fordert nicht nur die Orga- nisation Seebrücke, dass sich das Land Thüringen einer Klage des Berliner Innensenats gegen das Bundesinnenministerium anschlie- ßen soll, um so Seehofers Einver- ständnis vor Gericht zu erzwingen. Abgeordnete der LINKEN zeigten ihre Unterstützung für das Anlie- Lukas Krause gen auf der Kundgebung. Man blei- be „laut, bis alle Lager evakuiert sind“. PR Was in den Menschen fortlebt Eine Broschüre über die Apoldaer Strick- und Textilindustrie und ihren Wandel nach 1990 „Was ist mit dem Stoff passiert?“ Wer Der zweite Grund hat mit dem regio- und heutigen Akteur*innen können als gibt, die Treuhandpolitik, aber eben die gleichnamige Broschüre „Über die nalen Fokus zu tun. In den vergange- Teil politischer Geschichtsschreibung nicht nur die. Apolda blickt auf eine Apoldaer Strick- und Textilindustrie nen Jahren ist immerhin begriffen wor- von unten betrachtet werden, sie sind über 400-jährige Tradition der Wirk- und ihren Wandel“ gelesen hat, wird den, dass die politische Redewendung damit selbst Teil dieser Auseinander- und Strickwarenindustrie zurück. Zum darauf keine abschließende Antwort von der „Anerkennung der Lebensleis- setzung mit Erinnerung. Und was die Ende der DDR gab es die folgenden sie- gefunden haben. Belohnt werden die tungen der Ostdeutschen“ eine hohle Befragten über ihre Perspektiven auf ben volkseigenen Betriebe in der Textil- Leser*innen allerdings mit vielen neu- Phrase bleibt, wenn man nicht wirklich Umbruchzeit und Rückblickskultur er- industrie in Apolda mit hunderten Pro- en Fragen und mit vielen Teilen eines genau hinhört. Das lässt sich im loka- zählen, gibt Einblick in ein vielfältiges duktionsstätten. Es ist noch vieles da, großen Puzzles, das immer wieder neu len Rahmen weit besser tun – es wer- Bild. Ein Bild, das ganz anders ist als aber anders. Nicht nur, dass es fortge- zusammengesetzt werden muss. Es den die vielfältigen Überschneidungen die oft scharfen Schwarz-Weiß-Raster, führte und neue Unternehmen gibt. geht um das Thema Treuhand und die sichtbar, welche die ökonomische Um- wenn es um „den Osten“ geht. „Der Stoff“, verstanden als lebenswirk- Aufarbeitung dessen, was damals zwi- wälzung in Alltagsleben und Kultur, in Die Broschüre gibt sowohl Auskunft liches Gewebe, das Ökonomie und All- schen 1990 und 1994 mit den ehemali- Beziehungen zwischen den Menschen über Verletzung, Herabwertung und tag, Region und Kultur umfasst, ist im- gen volkseigenen Betrieben passiert und politischen Ansichten ausmachen. Niederlagen, als auch über den Mut mer noch in Apolda. In den Menschen. ist. Hier konkret: um die Region Apol- Und damit auch die Unterschiede, die zum Neuanfang, die seinerzeit beste- Im Juli hat Lena Saniye Güngör, Mit- da, um das Schicksal der dortigen Tex- zum Beispiel in der Erinnerung an die henden Hoffnungen und alternative glied der Linksfraktion im Thüringer tilindustrie, um die Menschen, die den Treuhandanstalt und ihr Wirken be- Umgänge mit der Vergangenheit, die Landtag, gemeinsam mit Dagmar En- Bruch nach 1990 erlebt haben. Und um stehen. Was zunächst als Widerspruch nach 1990 so lange gefehlt haben. Viel- kelmann, Vorsitzende der Rosa-Luxem- das vorwegzunehmen: „Was ist mit dem erscheinen mag, ergibt im größeren leicht musste auch erst eine neue Gene- burg-Stiftung, die Broschüre über die Stoff passiert?“ ist eine unbedingt le- Rahmen aber wieder einen Sinn. ration auf den Plan treten, eine, die mit Apoldaer Strick- und Textilindustrie senswerte Broschüre. Drittens ist und bleibt die Aufarbei- ihren neuen Fragen besondere Momen- und ihren Wandel im dortigen Stadt- Dafür gibt es mehrere Gründe. Ers- tung der Treuhandpolitik eine unvoll- te des Gewesenen freilegen konnte. haus vorgestellt. Die Arbeit der Thürin- tens der Perspektivenwechsel, den es endete Aufgabe. Dass sich in den ver- Zum Beispiel die Widerständigkeit, die ger Landesstiftung zur Treuhand und mit Blick auf die Zeit nach der politi- gangenen Jahren immer mehr Wissen- sich etwa bei der Besetzung der Presa- ihren Folgen geht weiter, für 2021 sind schen Wende in der DDR und vor allem schaftler*innen dieser Aufgabe zuwen- tex-GmbH durch Beschäftigte im No- Projekte in den Landkreisen Saalfeld- auf die Zeit der ökonomischen Transfor- den, ist begrüßenswert. Es braucht aber vember 1992 zeigte, die sich der Ab- Rudolstadt und Eisenberg geplant. PR mation immer noch zu selten gibt. „Die immer auch Schnittstellen in das All- wicklung entgegenstellten. Geschichte aus Sicht der damaligen tagsleben, also dorthin, wo Erinnerung Wer die Broschüre „Was ist mit dem Julian P. J. Degen, Lena Saniye Güngör, Helen Politikmacher*innen und Treuhän- gepflegt wird und Tradition entsteht. Stoff passiert?“ liest, bekommt einen Alexandra Kramer und Kevin Reichenbach: der*innen ist oft genug erzählt worden. Die Broschüre zur Apoldaer Textilge- Eindruck davon, was arbeiterliches Was ist mit dem Stoff passiert? Über die Die Geschichten ehemaliger Beschäf- schichte der Autor*innen Julian P. J. und industrielles Selbstbewusstsein in Apoldaer Strick- und Textilindustrie und ih- ren Wandel, hrsg. Rosa-Luxemburg-Stiftung tigter und ihrer Angehörigen sind zu Degen, Lena Saniye Güngör, Helen Ale- einer Region bedeutet. Vor allem, was Thüringen, Erfurt 2021. Eine Videoaufzeich- selten zu hören“, schreibt Volker Hinck xandra Kramer und Kevin Reichen- es bedeutet, wenn eine Region diese nung der Veranstaltung im Apoldaer Stadt- von der herausgebenden Thüringer Ro- bach schafft das gewissermaßen dop- Rolle verliert. Was dies mit Menschen haus findet sich unter https://www.youtube. sa-Luxemburg-Stiftung. pelt: die vier Interviews mit früheren macht. Und welche Gründe es dafür com/watch?v=lLM1yYH5IvU&t=3s
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