Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag

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Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
13–2021

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                                                                                                            Transformation gelebt:       An der CDU gescheitert:         Kinder, Alleinerziehende,
                                                                                                            Zu Besuch bei                Verfassungsreform für           Nichtwähler*innen: neue
                                                                                                            Thüringer Betrieben          ein besseres Thüringen          Fakten zur Armut
Fraktion im Thüringer Landtag

Neue Wege
Als Thomas Morus 1516 auf Betreiben
seines Freundes Erasmus von Rotter-
dam seinen philosophischen Dialog
„Von der besten Verfassung des Staa-
tes und von der neuen Insel Utopia“
herausbrachte, waren die gesellschaft-
lichen Herausforderungen unserer
Zeit noch nicht zu erahnen.
   Der Titel des Werks aber setzte
Maßstäbe bis heute: Sich eine positi-
ve, alternative Gesellschaft vorzustel-
len, zu beschreiben, wie es anders,
besser geht, wird immer noch als Uto-
pie bezeichnet. Wenn damit mitunter
etwas abwertend gemeint ist, dass es
sich dabei doch um unrealisierbare
Ideen handele, sollte man an Ernst
Bloch erinnern. Der hat mit seinen Ge-
danken über „konkrete Utopien“ ver-
deutlicht, wie wichtig solche sozial-
utopischer Antizipationen sind: Utopie
ist nicht irgendetwas Jenseitiges, son-
dern wird schon im Prozess ihrer Ver-
wirklichung real – als Kompass, als
                                                                                                                                                             Mehr Utopie
Antrieb, als Rahmen dafür, sich tas-
tend und experimentierend auf das                                                                                                                            wagen
neue Andere hinzubewegen.
   Man kann es auch so sagen: Gerade                                                                                                                         Wie könnte eine Alterna-
deshalb, weil es heute so dringend                                                                                                                           tive zum Kapitalismus
Veränderung braucht, sind Utopien                                                                                                                            aussehen? Robin Hahnel
nötig. Dass wirkliche Lösungen für
Klimakrise und soziale Ungleichheit                                                                                                                          und Erik Olin Wright
nicht im selben gesellschaftlichen                                                                                                                           zeigen, warum die Debatte
Rahmen gefunden werden können,                                                                                                                               über eine funktions-
der sie aufgrund seiner strukturellen                                                                                                                        fähige, freie und demo-
Zwänge erst hervorbringt, ist so ein-
leuchtend wie schwer zu denken.
                                                                                                                                                             kratische Gesellschaft
Überwinden? Ja, aber wie und wohin?                                                                                                                          wichtig bleibt. Seite 6
   Etwas anderes, besseres als der real
existierende Kapitalismus braucht
deshalb die Utopie. In dieser Ausgabe
stellen wir „Vorschläge für eine demo-
kratische Ökonomie“ vor, die die Mög-
lichkeit von „Alternativen zum Kapi-
talismus“ nicht nur behaupten, son-
dern konkret ausmalen wollen. In Zei-
ten, in denen plötzlich alle von der
Notwendigkeit einer großen Transfor-
mation sprechen, sind solche Anker-
punkte für die Diskussion besonders
wichtig. Denn Transformation ist
nicht gleich Transformation. Es
                                          Illustration: Holzschnitt in „Utopia“, Ausgabe 1518, gemeinfrei

kommt auf die Richtung an, auf das
Ziel, darauf, wer dabei wie beteiligt
und unterstützt wird. Nicht zuletzt
helfen Utopien dabei, deutlich zu ma-
chen, wie groß und umfassend die
Veränderung heute sein müssten,
aber wie groß der Gewinn für die Ge-
sellschaft wäre. In sozialer, ökologi-
scher, demokratischer, freiheitlicher
Hinsicht. Und Sie werden in dieser
Ausgabe durchaus Ansätze finden, wo
Menschen neue Wege gehen, ganz
praktisch, konkret utopisch sozusa-
gen. Ihre Redaktion
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
2                                                                                                                                                                  13–2021

Linker Ticker
Der Vorschlag des Vereins Mehr
Demokratie e.V., die Zahl der für
Bürgeranträge notwendigen Unter-
schriften deutlich abzusenken, ist
in der Thüringer Linksfraktion auf
große Zustimmung gestoßen. „Bis-
her ist der Bürgerantrag ein zahn-
loser Tiger“, sagte Anja Müller,
Sprecherin für Demokratie und
Petitionen. Die geforderte Absen-
kung des Quorums von bisher
50.000 auf 5.000 Unterschriftenda-
her „vollkommen richtig“. Die LIN-
KE setze sich zudem dafür ein,
dass der Bürgerantrag in einen Ein-
wohnerantrag umgewandelt wird.
So würde jede und jeder, der in
Thüringen lebt, die Möglichkeit ha-
ben, sich an den Landtag zu wen-
den. Ein entsprechender rot-rot-
grüner Gesetzesentwurf liege der-
zeit im zuständigen Verfassungs-
ausschuss. +++ Der Jahresbericht
2021 des Landesrechnungshofes
bestätigt nach Ansicht von Ronald

                                                                                                                                                                            Foto: Lukas Krause
Hande, haushaltspolitischer Spre-
cher der Linksfraktion den haus-
halts- und finanzpolitischen Kurs
der rot-rot-grünen Koalition der
letzten Jahre. Diese sei geprägt
durch nachhaltige Investitionen in

                                              Bittere Entscheidung
die Zukunft des Landes und die
Tilgung von Schulden. Insbesonde-
re die Feststellung, dass die Not-
wendigkeit der Neuverschuldung
der Jahre 2020 und 2021 in Anbe-              Keine demokratische Mehrheit für Neuwahlen / Dittes: Neustart bleibt notwendig
tracht der aktuellen Lage gerecht-
fertigt ist, sei Beleg dafür, dass Rot-       Es war eine bittere Entscheidung, aber     solchen ebenso ungeheuerlichen wie         Entscheidungen getroffen werden kön-
Rot-Grün Thüringen haushaltspoli-             eine ohne Alternative: „Wir ziehen den     einzigartigen Tabubruchs nicht unter       nen. Dazu gehört in erster Linie der
tisch solide durch die Krise führt.           Antrag zur Auflösung des Thüringer         den Bedingungen herbeigeführt wer-         Haushalt für das kommende Jahr.“
+++ Die Ausweisung von Teilen                 Landtages zurück. Wir tun das auch         den kann, wie die, die die Entscheidung       Vor uns liege „eine in mancherlei
Nord- und Ostthüringens als Mo-               aus Verantwortung vor dem Parlament        des 5. Februar 2020 erst zum Tabu-         Hinsicht offene Zukunft mit Unwägbar-
dellregion für Suche nach einem               und den Abgeordneten, denen es wich-       bruch gemacht haben, sollte sich von       keiten, aber auch mit Menschen, die
Standort für das geplante Atom-               tig war, die Auflösung nicht mit Stim-     selbst verstehen.“                         willens und in der Lage sind und sein
müll-Endlager stößt bei Marit                 men der AfD zu vollziehen“, so der            Die Entscheidung, den Antrag zur        müssen, nicht vor ihr zurückzuschre-
Wagler, Sprecherin für techni-                Fraktionschef der Thüringer LINKEN,        Auflösung zurückzuziehen, sei, so          cken, sondern sie zu gestalten“, so Ra-
schen Umweltschutz der Links-                 Steffen Dittes. Einfach habe man sich      schwer sie auch fiel, so bitter sie auch   melow weiter. „Demokraten müssen
fraktion, auf Kritik. „Die Bundes-            den Schritt keineswegs gemacht. Bis zu-    ist, „in dieser Situation die ehrlichste   sich jetzt die Hand reichen – auch über
gesellschaft für Endlagerung ver-             letzt sei man überzeugt gewesen, dass      und verantwortungsvollste“. Denn alle,     Gräben hinweg. Wir haben nur diese
letzt den im Standardauswahl-Ge-              die Neuwahlen notwendig sind. Doch         LINKE, SPD und GRÜNE hätten „seit          eine Demokratie. Beweisen wir, dass
setz vorgesehenen Prozess zur Su-             angesichts der von der CDU zu verant-      Anbeginn der Debatte immer wieder          ihr Schutz mit und im Interesse aller
che und zum Finden des besten                 wortenden Entwicklung habe man das         betont und als rote Haltelinie beschrie-   Menschen in Thüringen unser oberstes
Endlagerortes in Deutschland. Die             nötige Quorum von 60 Stimmen nicht         ben, dass eine Auflösung eines Parla-      Ziel ist. Dafür stehe ich. Jetzt und in Zu-
weiter zu untersuchenden Regio-               garantieren können.                        mentes nicht von den Stimmen der Par-      kunft.“
nen sollten erst vom neuen Bun-                  Dittes erinnerte daran, dass bereits    tei, der die parlamentarische Demokra-        Die Sprecher*innen der Thüringer
destag nach Auswertung der Teil-              Ende Mai vier Abgeordnete der CDU          tie und deren Akteure zutiefst verhasst    Bündnisse, Netzwerke und Initiativen
gebiete-Konferenzen         bestimmt          öffentlich erklärt hatten, nicht für die   sind, abhängig sein darf.“                 gegen Rechts, Diana Hennig, Max Re-
werden.“ Laut Umweltverband                   Auflösung des Landtages stimmen zu            Dittes wies darauf hin, dass es nun     sche und Thomas Jakob, zeigten sich in
BUND seien auch die Kriterien zur             werden. Damit war „das entsprechen-        darum gehe, „unserer Verantwortung         einer Erklärung „enttäuscht von dieser
Auswahl der Modellregionen „ext-              de Quorum“ aus der nach dem Tabu-          als gewählte Abgeordnete gerecht zu        Verantwortungslosigkeit von CDU und
rem intransparent“. Dies sei ein              bruch vom 5. Februar 2020 geschlosse-      werden“. Es sei nun notwendig, „sich in    FDP“. Nach dem Tabubruch des 5. Feb-
Schlag vor den Kopf aller Bür-                nen Vereinbarung von Rot-Rot-Grün          Ruhe neu zu sortieren und zu überle-       ruar 2020 „und den politischen Spiel-
ger*innen, Kommunen und Organi-               mit der CDU bereits nicht mehr gege-       gen, wie dieser Neustart auch ohne         chen und Lügen der vergangenen Mo-
sationen, die sich in den Prozess             ben. Bis zuletzt wurde darüber hinaus      Neuwahl gelingen kann“, so der Links-      nate ist für uns klar, warum Rot-Rot-
der Endlagersuche eingebracht                 offen kolportiert, dass auch weitere       fraktionschef weiter. „Denn dann ha-       Grün das Versprechen der CDU, der
haben. PR                                     Mitglieder der CDU-Fraktion sich nicht     ben wir Aufgaben in den Ausschüssen        Neuwahl bei einer Abstimmung zuzu-
                                              an die Vereinbarung halten werden.         vor uns liegen. Wir müssen aktiv wer-      stimmen, nicht ernst nehmen konnte“.
                                              Mit der Ankündigung der FDP, fünf Ta-      den in Umwelt- und Bildungspolitik.        Hätte die CDU diese Neuwahlen von
Impressum                                     ge vor der geplanten Abstimmung, sich      Das ist unsere Verantwortung.“             Anfang an gewollt, so die Erklärung
Herausgeberin:
                                              in der Abstimmung zu enthalten, sei           Der linke Ministerpräsident Bodo Ra-    weiter, „ohne das Land in den politi-
Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag      dann klar gewesen, dass es keine de-       melow nahm „mit Respekt die im Land-       schen Stillstand zu katapultieren, hät-
Jürgen-Fuchs-Straße 1, 99096 Erfurt           mokratische Mehrheit für Neuwahlen         tag heute getroffenen Entscheidungen       ten sie schlicht und einfach den Antrag
Redaktion: Olaf Weichler (V.i.S.d.P.)         gibt.                                      zur Kenntnis. Nach den intensiven öf-      auf Auflösung mit allen Abgeordneten
Telefon: 0361 377-2620                           „Die Vereinbarung zur Neuwahl war       fentlich geführten Gesprächen und          unterschrieben. Deshalb ist es nach-
E-Mail: weichler@die-linke-thl.de
www.die-linke-thl.de
                                              also die Konsequenz daraus, dass eine      auch Wechselbädern der Gefühle in          vollziehbar, dass der Antrag auf Auflö-
Redaktionsschluss: 22. Juli 2021              verfassungsrechtlich bedeutsame und        den vergangenen Wochen kommt es            sung zurück gezogen wird, um der AfD
Für unverlangt eingesandte Manuskripte und    für die Demokratie konstitutive Ent-       nun darauf an, in Ruhe und in größt-       keine Möglichkeit der Beteiligung zur
Materialien übernimmt die Redaktion keine     scheidung nicht nur mit den Stimmen        möglicher Sachlichkeit dafür Sorge zu      Auflösung des Landtags zu geben. So
Haftung. Sie behält sich das Recht der aus-   der AfD getroffen wurde, sondern nur       tragen, dass die für unseren Freistaat     bleibt es dabei, dass das Vertrauen in
zugsweisen Wiedergabe von Zuschriften vor.
Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht   mit diesen möglich war“, so Dittes.        Thüringen, seine Kommunen und die          die CDU als Partner für uns endgültig
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.   „Dass die politische Korrektur eines       Bürgerinnen und Bürger wesentlichen        gebrochen.“ PR
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                                                                                                                                                        Fotos: Linkspartei Thüringen
                             Gelebte Transformation
                             Wie Betriebe eine nachhaltige und soziale Wirtschaftsentwicklung
                             in Thüringen voranbringen
                             Wenn es um die sozial-ökologischen Transforma-      tungstechnologie sind diese Materialien sogar
                             tion der Thüringer Wirtschaft geht, macht sich      für Lebensmittel und Flüssigkeiten geeignet.
                             der Arbeitskreis Wirtschaft, Wissenschaft und         „Diese Ideen sind innovativ und geeignet den
                             digitale Gesellschaft der Linksfraktion im Land-    Thüringer Wirtschaftsstandort weit nach vorne
                             tag stark für mehr Nachhaltigkeit und eine sozia-   zu bringen“, ist Andreas Schubert überzeugt.
                             lere Wirtschaftsentwicklung. Beispielsweise         Auch die Produktionsketten sind genau durch-
                             wurde in den letzten Haushaltverhandlungen ein      dacht und auf geringstmögliche Verschwendung
                             Thüringer Transformationsfond für die Automo-       ausgelegt. Christian Schaft ergänzt: „Ausgetre-
                                 tive-Industrie verankert. „Konkret wollen wir   tene Pfade zu verlassen und neue Wege zu
                                    die Demokratisierung der Wirtschaft durch    gehen, das ist der Geist den wir brauchen,
                                     alternative Unternehmensformen und          wenn wir das Land Thüringen sozial und
                                      mehr Beteiligung von Beschäftigten in      ökologisch gestalten wollen.“
                                       den Betrieben umsetzen“, sagt Christian     Auch im Süden Thüringens hat der
                                       Schaft, Mitglied im Wirtschaftsarbeits-   Wirtschaftsarbeitskreis ein Unterneh-
                                       kreis.                                    men besucht, das sozial und ökologisch
                                         Im Sommer 2020 war das Strategiepa-     wirtschaften will. Mit knapp 1.650 Hek-
                                      pier „Wirtschaften nach Corona“ in der     tar Gesamtbetriebsfläche unter anderem
                                     Fraktion beschlossen worden. Anknüp-        im Ort Vachdorf gehört das Ökozentrum
                                   fend daran gibt es bereits konkrete Projek-   Werratal mit zu den größten und bekann-
                                te, Vereine, Unternehmen und Institutionen,      testen Biobetrieben Deutschlands. Ziel des
                             die durch ihr Selbstverständnis, ihre Ideen und     Betriebs ist es im wirtschaftlich benachteilig-
                             den gelebten Arbeitsalltag die sozial-ökologische   tem Naturraum standortgerecht zu produzieren,
       Neue Wege             Transformation in Thüringen mit Leben füllen.       nachhaltig und naturnah zu wirtschaften, ge-        Regionalisierung
                             Diese wollen wir gezielt durch die neue Förder-     schlossene Produktionskreisläufe zu entwickeln,
    zu gehen, das            mittelperiode unterstützen.                         artgerechte Tierhaltung umzusetzen, die gebiets-
                                                                                                                                     ist ein Schlüssel
ist der Geist, den              Bei der Firma Papacks in Arnstadt entsteht die   typische Kulturlandschaft zu erhalten und vor       für mehr
    wir brauchen.            Revolution der nachhaltigen Verpackungsmittel-
                             produktion. Der Arbeitskreis Wirtschaft hat sich
                                                                                 allem eine höhere Wertschöpfung in ländlichen
                                                                                 Region zu realisieren.
                                                                                                                                     Nachhaltigkeit.
          Christian Schaft   im Juli 2021 das Werk angeschaut und konnte           „Am Herzen liegt uns auch die regionale Kreis-    Andreas Schubert
                             sich von den innovativen Ideen überzeugen. Aus      laufwirtschaft. Durch eine Verringerung der
                             Pflanzenfasern wie Hanf, Algen, Zuckerrüben         Distanzen zwischen Erzeuger:innen und Ver-
                             oder bestimmten Süßgräsern sowie Abfällen aus       braucher:innen gewinnen nahezu alle Wirt-
                             der Papierherstellung entstehen hier 100 Prozent    schaftsbereiche. Die Regionalisierung ist ein
                             recyclebare und kompostierbare Verpackungen,        Schlüssel für mehr Nachhaltigkeit“, ist sich And-
                             mit denen sich der ökologische Fußabdruck auf       reas Schubert, wirtschaftspolitischer Sprecher,
                             Dauer dramatisch senken lässt. Durch eine neue      der LINKEN Landtagsfraktion sicher.
                             und bislang einmalige ökologische Beschich-         Katharina Wischmeyer
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
4                                                                                                                                                              13–2021

Afghanische
Ortskräfte
gefährdet
Nach dem Abzug der Bundeswehr
aus Afghanistan bleiben viele af-
ghanische Ortskräfte zurück. Der-
weil rücken die Taliban weiter vor.
„Es kann nicht sein, dass diejeni-
gen, die der Bundeswehr bspw. als
Dolmetscher oder Koch teilweise
über Jahre zur Seite standen, jetzt
das Nachsehen haben und der Ge-
fahr für Leib und Leben ausgesetzt

                                                                                                                                                                        Foto: Screenshot
bleiben“, kritisierte Patrick Beier,
migrationspolitischer Sprecher
der Fraktion DIE LINKE im Thürin-
ger Landtag: „Die Ablehnung der
Übernahme der Flugkosten sei-

                                         Dokument der Stagnation
tens des Bundesinnenministeri-
ums mit der zynischen Argumen-
tation, man hätte zwar Visa ver-
teilt, aber die Flugkosten müsse
man schon selbst aufbringen, ist         Bericht zum Stand der Einheit: Im Osten geringere Löhne, Renten, Vermögen
absolut nicht hinnehmbar.“ Es be-
stehe konkrete Lebensgefahr für          Der Jahresbericht zum Stand der Deut-       IG Bau hat bewiesen, dass sich die Ost-     Matthias Höhn, nannte den Einheitsbe-
die in Afghanistan verbliebenen          schen Einheit ist von Politiker*innen       West-Lohnmauer dort durchbrechen            richt 2021 „ein Dokument der Stagna-
Ortskräfte.                              der LINKEN in Thüringen zum Anlass          lässt.“ Die Landtagsabgeordnete und         tion und der Entfremdung“. Die großen
   Beier forderte die Bundesregie-       genommen worden, auf die besonderen         Bundesvorsitzende der LINKEN, Susan-        Sprünge bei der Annäherung zwischen
rung zum Handeln auf. „Flugkos-          Probleme im Osten aufmerksam zu ma-         ne Hennig-Wellsow, wie auf die Folgen       Ost und West stammten allesamt aus in
ten müssen für alle Ortskräfte           chen. „Das sich heute, rund 30 Jahre        der ungleichen Verteilung des Vermö-        den 90er Jahren. „Mittlerweile nähert
übernommen werden. Auch bei              nach der Wende noch immer ein Drittel       gens in Ost und West hin. „Es gibt häu-     sich die Wirtschaftskraft nur noch in
der Ausstellung eines Visums darf        der Ostdeutschen als Menschen zweiter       fig keine Rücklagen, die über Krisen        Minischritten an. Zur Erklärung fällt
es schon allein deshalb keine Un-        Klasse fühlen, hat mit den tief greifen-    hinweghelfen können.“                       auch dem aktuellen Ostbeauftragten
terschiede zwischen Ortskräften          den Umbruchserfahrungen nach der               Daher brauche es in Ostdeutschland       nichts mehr ein als Nebelkerzen“. Der
der Bundeswehr und denjenigen,           Wiedervereinigung zu tun. Niedrigere        viel stärker eine Politik für höhere Löh-   CDU-Politiker Marco Wanderwitz wolle
die zum Auswärtigen Amt oder             Löhne und geringere Renten bei fast         ne, eine garantierte Rente mit 65 oder      von flächendeckender Benachteiligung
zum Entwicklungsministerium ge-          gleichen Lebenshaltungskosten haben         die Erhöhung des Mindestlohns. „Dass        „nicht mehr reden, obwohl es sie nach
hören, geben, da sich die Taliban        ihr übriges getan“, sagt Steffen Dittes,    das Vermögen der Ostdeutschen nur 48        wie vor gibt“. Nur die im Osten verbrei-
um solche Feinheiten nicht sche-         Fraktionschef der LINKEN im Landtag.        Prozent des Vermögens der Westdeut-         tetere Skepsis gegenüber der Politik sei
ren. Aus deren Sicht sind Militär        „Die Menschen in Thüringen arbeiten         schen beträgt, hat Auswirkungen auf         für Wanderwitz einer besonderen Er-
und Entwicklung nur zwei Kompo-          mehr Stunden und haben am Ende des          das ganze Leben. Diese strukturelle Be-     wähnung wert. Der CDU-Mann hatte
nenten eines größeren Ganzen. Im         Monats weniger auf dem Lohnzettel als       nachteiligung lässt sich nur durch das      unter anderem mit der Äußerung für
Übrigen gilt: Hilfeleistung ist Hilfe-   ihre Kolleginnen und Kollegen in den        Schaffen harter Fakten beseitigen, dass     Kontroversen gesorgt, die Ostdeut-
leistung. Wer Flugzeuge in Bewe-         westlichen Bundesländern, dass muss         müssen auch die anderen Parteien be-        schen seien „diktatursozialisiert“. Wer
gung setzt, damit die Bundeswehr         sich ändern.“                               greifen, sonst bleibt es bei bloßen Lip-    so spreche, sagt Höhn, habe „weder ein
rund 22.000 Liter Bier, Wein und            Auch Landesvize und Gesundheits-         penbekenntnissen“, so auch Dittes. „In      klares Bild vom Osten noch vom eige-
Sekt ausfliegen kann, der kann           ministerin Heike Werner drängte auf         den kommenden Jahren wird es unsere         nen Job. Wanderwitz verdreht zudem
auch diejenigen, die der Bundes-         einen schnelleren sozioökonomischen         Aufgabe sein, die Lebensrealität im Os-     Ursache und Wirkung. Wer über das
wehr helfend zur Seite standen,          Aufholprozess. „Die Zeit in der die CDU     ten mehr ins Bewusstsein zu rufen und       Gefühl der Benachteiligung spricht,
mit dem Flugzeug nach Deutsch-           in Thüringen mit niedrigen Löhnen ge-       ostdeutschen Interessen einen größe-        darf über die Gründe nicht schweigen.
land holen. Ich wüsste keinen plau-      worben hat, sind zum Glück vorbei.Gu-       ren Raum zu gewähren, das wäre auch         Die Unterschiede zwischen Ost und
siblen Grund, warum man das eine         te Löhne erreichen wir durch mehr Ta-       für das demokratische Selbstverständ-       West sind handfeste. Es geht um Geld,
tun und das andere unterlassen           rifbindung und flächendeckende Tarif-       nis zuträglich“, sagte Werner.              um Anerkennung und um den Platz für
sollte“, so Beier.                       verträge. Wir brauchen endlich einheit-        Der Beauftragte für Ostdeutschland       ostdeutsche Biographien in dieser Ge-
   Auch die Bundesvorsitzende der        liche Tarifgebiete in Ost und West. Die     der Bundestagsfraktion der LINKEN,          sellschaft. PR
LINKEN und Spitzenkandidatin
zur Bundestagswahl, Janine Wiss-
ler, hat die Bundesregierung auf-
gefordert, alle Hilfskräfte, die das
wünschen, umgehend zusammen              Plötner: Pflege solidarisch finanzieren
mit ihren Familien aus Afghanis-
tan auszufliegen und nach                Kostenexplosion: Eigenanteile in Heimen steigen in Thüringen immer weiter an
Deutschland zu holen. „Es geht
hier um Leben und Tod. Und da ist        Die Pflegekosten für die Eigenanteile in    bensabschnitt ermöglichen und nicht         Mehrheit der Menschen entlasten und
es das Mindestes, das wir das Le-        Heimen steigen in Thüringen immer           den direkten Weg in die Armut bedeu-        die reiche Minderheit belasten“, wurde
ben dieser Menschen schützen.            weiter an. Zuletzt mussten Familien da-     ten.“                                       Linksfraktionschef Dietmar Bartsch
Das steht jetzt und hier an und          für im Durchschnitt 1.724 Euro im Mo-         Plötner sieh als Ausweg eine solida-      zitiert. Nötig sei eine Kranken- und Pfle-
nicht Appelle der Bundeswehr.“           nat aufbringen. Für viele zu viel. Zwar     rische Pflegevollversicherung, in die       geversicherung, in die alle einzahlen.
Wissler nannte es „völlig unver-         hat der Bundestag eine Pflegereform         alle einzahlen. „So werden die längst       In der Pflegeversicherung gebe es riesi-
ständlich, warum die Ortskräfte,         beschlossen, die ab 1. Januar 2022          überfälligen Lohnsteigerungen im Be-        ge Löcher, die Eigenanteile wüchsen
die aus Afghanistan raus wollen,         greift. Dass aber „im ersten Jahr der In-   reich der Pflege von der Solidargemein-     stetig und seien schon jetzt so hoch,
nicht zusammen mit den Truppen           anspruchnahme eines Heimplatzes le-         schaft getragen und nicht auf Einzelne      dass jede*r dritte Pflegeheimbewoh-
nach Deutschland ausgeflogen             diglich fünf Prozent der Eigenanteile       abgewälzt“, sagt der LINKEN-Abgeord-        ner*in auf Sozialhilfe angewiesen sei.
wurden. Statt dessen nötig man sie       durch öffentliche Mittel subventioniert     nete.                                       Laut dem Modell der LINKEN, das
dazu, für die Ausstellung der Rei-       werden, verdient nicht den Begriff ei-        Derweil hat die Bundestagsfraktion        durch ein Gutachten der Bremer Wis-
seunterlagen hunderte Kilometer          ner Reform“, kritisiert Ralf Plötner,       der Linkspartei ein von ihr in Auftrag      senschaftler Karl-Heinz Rothgang und
nach Kabul zu fahren und sich            Sprecher für Gesundheitspolitik und         gegebenes Gutachten über eine solche        Dominik Domhoff unterstützt wird,
selbst um einen Flug und dessen          Pflege deer Linksfraktion. „Gerade für      solidarische Gesundheits- und Pflege-       könnte die Höhe der aus Löhnen und
Bezahlung zu kümmern. Das ist            ältere Mitmenschen soll die Pflege in       versicherung vorgestellt. „Wir wollen       Renten gezahlten Beiträge um fast ein
unverantwortlich.“ PR                    den Heimen einen würdigen letzten Le-       konsequent und konkret die übergroße        Viertel sinken. PR
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
13–2021                                                                                                                                                                            5

An der CDU gescheitert
Verfassungsreform geplatzt / Auch keine Stärkung der Inklusion in Thüringen
Die CDU-Fraktion hat die verabredete                                                                                                        mehrere Vorschläge dazu auf den Tisch
Verfassungsreform für Thüringen plat-                                                                                                       gelegt“, in einer öffentlichen Anhörung
zen lassen. Angeblich, wie der Frakti-                                                                                                      des Verfassungsausschusses hatte
onsvorsitzende der LINKEN, Steffen                                                                                                          selbst der Gemeinde- und Städtebund
Dittes, das Scheitern kommentierte,                                                                                                         Thüringen den CDU-Entwurf „verris-
„weil ihr eine Formulierung in einem                                                                                                        sen“.
Artikel scheinbar nicht gepasst hat“.                                                                                                          Angesichts des Scheiterns der Ver-
Dabei ging es um das so genannte Kon-                                                                                                       fassungsreform aufgrund des Rück-
nexitätsprinzip, also die Verpflichtung                                                                                                     zugs der CDU erklärte Karola Stange,
einer staatlichen Ebene – hier das Land                                                                                                     behindertenpoliische Sprecherin der
-, für finanziellen Ausgleich zu sorgen,                                                                                                    Linksfraktion im Landtag, sie „trage
wenn sie Aufgaben an eine andere Ebe-                                                                                                       tiefes Entsetzen in mir, wie die CDU
ne überträgt. „Wir vermuten, dass der                                                                                                       die Belange von Menschen mit Behin-
Grund eher darin liegt, dass sie auch                                                                                                       derungen mit Füßen tritt und so
keine 18 Stimmen für die Verfassungs-                                                                                                       schamlos die Verankerung der Inklu-
änderung zusammen bekommen hät-                                                                                                             sion in der Thüringer Verfassung auf-
te“, so Dittes. Änderungen der Verfas-                                                                                                      kündigt.“
sung sind nur mit einer Zweidrittel-                                                                                                           Die Anhörung der Expert*innen aus
mehrheit aller Landtagsabgeordneten                                                                                                         Wissenschaft, Sozialverbänden und vor
möglich.                                                                                                                                    allem von den Interessen- und Selbst-
    Monatelang war über die Änderung                                                                                                        vertretungen hätten deutlich gezeigt,
der Verfassung beraten worden. „Der                                                                                                         „wie willkommen eine Verfassungsän-
Förderung und dem Schutz des Ehren-                                                                                                         derung zur Stärkung von Inklusion wä-
amtes, gleichwertigen Lebensverhält-                                                                                                        re und wie notwendig sie wäre. Über
nissen in Stadt und Land, der sozialen                                                                                                      400.000 Menschen sind in Thüringen
und ökologischen Nachhaltigkeit, der                                                                                                        als schwerbehindert anerkannt oder
Abschaffung der Altersdiskriminie-                                                                                                          diesem Status gleichgestellt. Diese vie-
rung, der Umsetzung der UN-Men-                                                                                                             len Menschen sind der CDU so wenig
schenrechtskonventionen, der Stär-                                                                                                          wert, dass sie nicht gewillt ist die zwi-
kung der Rechte für Menschen mit ei-                                                                                                        schen der Koalition und der CDU be-
ner Beeinträchtigung wird nun der                                                                                                           reits geeinte Erhebung der Inklusion in
Hahn abgedreht, weil eine zerrüttete                                                                                                        den Verfassungsrang tatsächlich umzu-
CDU-Fraktion nicht weiß, wo ihr Weg                                                                                                         setzen.“
für Thüringen hingehen soll“, kritisier-                                                                                                       Die Linksfraktion werde sich nun
te Anja Müller, Sprecherin für Demo-                                                                                                        „weiter für die Verankerung der Inklu-
kratie und Verfassung der Fraktion DIE                                                                                                      sion in die Verfassung einsetzen, um
LINKE, das Verhalten der CDU.                                                                                                               unserem Anspruch – den wir mit den
                                                                                                                       Foto: Lukas Krause

    Deren Erklärungen zur Wahrung des                                                                                                       Selbst- und Interessenvertretungen tei-
Konnexitätsprinzips nannte Müller „fa-                                                                                                      len – einer inklusiven und barrierefrei-
denscheinig“. Schließlich hätte „selbst-                                                                                                    en Gesellschaft, welche Teilhabe für
verständlich auch die Linksfraktion                                                                                                         Alle möglich macht, umzusetzen.“ PR

Tickende Zeitbomben                                                                  Bildungswesen stärken
König-Preuss: Tödliche Gefahr durch Neonazis                                         Wolf: Schlussfolgerungen aus Coronaumsetzen
Anlässlich des dritten Jahrestags des      schüssen, sondern ebenso Recherchen       Die bildungspolitischen Herausforde-                    jahrs umzusetzen: Entwicklungspro-
Urteilsspruchs im Prozess um die           antifaschistischer Gruppen und inves-     rungen, welche die Corona-Pandemie                      zesse der Digitalisierung an den Thü-
rechtsterroristische      Mörderbande      tigativer Journalist*innen: der NSU       aufgezeigt hat, sollen nach den Worten                  ringer Schulen weiter verfolgen; neu
NSU hat Katharina König-Preuss,            war ein Netzwerk militanter Neona-        von Torsten Wolf, bildungspolitischer                   erarbeitete und wirksame Instrumente
Sprecherin für Antifaschismus der          zis. „Fest steht jedoch, dass das Ober-   Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im                     der Schul- und Unterrichtsentwicklung
Fraktion DIE LINKE im Thüringer            landesgericht München nur die Deu-        Thüringer Landtag, zur grundsätzli-                     zusammentragen und für andere Schu-
Landtag, vor tickenden Zeitbomben in       tungshoheit für die strafrechtlichen      chen Stärkung und Weiterentwick-                        len zugänglich machen; Maßnahmen
der Neonazi-Szene gewarnt. „Welch          Konsequenzen aus dem NSU hat. Was         lung des Thüringer Bildungswesen                        zum Ausgleich verstärkt heterogener
tödliche Gefahr von Neonazis ausgeht,      der NSU tatsächlich war und welche        genutzt werden. „Heute ist klar, dass                   Lernstände kontinuierlich mit den rele-
ist offensichtlich. Ihre Netzwerke sind    gesellschaftlichen Konsequenzen zu        es ein einfaches Zurück in den Zu-                      vanten Akteur:innen abstimmen; Stär-
ausgebaut, professionalisiert und sie      ziehen sind, das bestimmt kein Ge-        stand vor der Pandemie nicht geben                      kung der Kooperation zwischen Kin-
verfügen mittlerweile über einen par-      richtsurteil“, so König-Preuss.           kann und auch nicht geben darf“, so                     dergarten und Grundschule; Unterstüt-
lamentarischen Arm. Aufklärung                Sie verwies dazu exemplarisch auf      Wolf. Die Pädagog*innen an den Kin-                     zung der sozialen und sprachlichen In-
kann ein Baustein sein, um künftige        die neue Dokumentation der ARD            dergärten und Schulen, die Eltern, die                  tegration sowie die Anpassung von
Taten zu verhindern. Es ist notwendig,     über das Hammerskin-Netzwerk in           Kinder und Jugendlichen selbst sowie                    prüfungsrelevanten Leistungen.
die den Rechtsterrorismus begünsti-        Deutschland und die darüber öffent-       alle anderen Bildungsbeteiligten hät-                     Derweil wurde bekannt, dass die
genden Strukturen mit einem Unter-         lich gewordenen Erkenntnisse: „Bei        ten während der letzten Monate                          Thüringer Gymnasiast*innen trotz
suchungsausschuss zu überprüfen.           dem in Deutschland verbotenen, mili-      enorm viel geleistet, um die Bildungs-                  Schulschließungen, Distanz- und
Dieser sollte im Herbst seine Arbeit       tanten ‚Blood & Honour‘-Netzwerk          prozesse trotz aller Erschwernisse                      Wechselunterricht in der Corona-Pan-
aufnehmen“, so König-Preuss.               sind Unterstützungshandlungen für         weiter zu ermöglichen und Ab- und                       demie in diesem Jahr im Schnitt ein
   Mit Blick auf das Urteil aus dem Juli   das Kerntrio des NSU nachgewiesen.        Einbrüche in den Bildungsbiografien                     besseres Abitur geschrieben als im
2018 kritisierte die Abgeordnete, da-      Aufgabe muss es angesichts der nun        unserer Kinder und Jugendlichen zu                      Vorjahr. Laut Berichten lag der Noten-
mit sei „die fatale Erzählung eines        bekannt gewordenen Informationen          verhindern.                                             schnitt bei 2,06, im Jahr 2020 waren
rechtsterroristischen Trios, das von       sein, dasselbe bei der Neonazi-Verei-       Wolf verwies auf Vorschläge der rot-                  es 2,16. „Die Leistungen unserer Abi-
Einzelpersonen Unterstützung erhielt,      nigung ‚Hammerskins‘ zu untersu-          rot-grünen Koalitionsfraktionen, in                     turientinnen und Abiturienten 2021
manifestiert“ worden. Im Gegensatz         chen. Unter anderem hier ist drin-        denen die Landesregierung gebeten                       können sich sehen lassen“, sagte Thü-
dazu stünden nicht nur die Erkennt-        gend weitere Aufklärungsarbeit not-       wird, folgende Aspekte zu beachten                      ringens Bildungsminister Helmut Hol-
nisse aus den NSU-Untersuchungsaus-        wendig.“ PR                               und in der Durchführung des Schul-                      ter von der LINKEN. PR
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
6                                                                                                                                                                 13–2021

Eine Alternative, aber wie?
Robin Hahnel und Erik Olin Wright diskutieren Vorschläge für eine demokratische Ökonomie
Wenn die Tagespolitik ihren engen         chischer Arbeitsteilung basiert, son-       und Konsument*innen planen, über-            staatlicher Machtausübung sind“, so
Takt schlägt und die aktuellen Heraus-    dern partizipatorische Planung, gesell-     prüfen und verbessern laufend ihre Ko-       hat er die Idee einmal zusammenge-
forderungen schon mehr als groß er-       schaftliches Eigentum und egalitäre         operation; der Maßstab dabei sind Effi-      fasst. Sozialismus dagegen sei „eine
scheinen, mag der Hinweis auf progres-    Arbeitsteilung als ihr Fundament orga-      zienz, Gerechtigkeit und ökologische         Struktur, in der die Produktionsmittel
sive Utopien, die eine ganz andere Ge-    nisiert. Es geht dabei um „ein Wirt-        Nachhaltigkeit.“                             in Gesellschaftseigentum übergegan-
sellschaft umreißen, auf den ersten       schaftssystem, das auf Wirtschaftsde-         Hahnels Modell einer partizipatori-        gen sind und Allokation und Resscour-
Blick ein wenig aus der Zeit gefallen     mokratie, ökonomischer Gerechtigkeit        schen Ökonomie konzentriert sich voll        ceneinsatz sich aus der Ausübung ›ge-
erscheinen. Warum es trotzdem wich-       und Solidarität beruht, ohne auf ökono-     und ganz auf das, was erreichbar sein        sellschaftlicher Macht‹ ergeben.“
tig und sinnvoll ist, sich den großen     mische Effizienz zu verzichten“. Wobei      könnte – auf „eine kohärente Beschrei-         Damit rückt das Demokratische ins
Horizonten zuzuwenden, zeigt nun          wie Hahnel in einem fiktiven Gespräch       bung eines voll entwickelten Systems         Zentrum sozialistischer Vorstellungen.
abermals ein Buch, das sich „Alternati-   erläutert, mit Wirtschaftsdemokratie        der fairen Kooperation“. Außen vor ge-         Seine Überlegungen hat Erik Olin
ven zum Kapitalismus“ widmet und          gemeint ist, „dass die Entscheidungsbe-     lassen werden dabei Fragen, wie eine         Wright vor allem aus der kritischen
„Vorschläge für eine demokratische
Ökonomie“ macht. Erschienen im Bertz
+ Fischer Verlag, geht es Fragen nach,
welche die gesellschaftliche Linke im-
mer schon angetrieben haben: „Die vie-
len Ungerechtigkeiten und katastro-
phalen Mängel des Kapitalismus aufzu-
zählen ist nicht schwer“, heißt es in
dem Vorwort. Und weiter: „Aber gibt es
eine bessere und machbare Alternati-
ve? Wie könnte eine funktionsfähige,
freie und demokratische Gesellschaft
aussehen?“
   Das Buch gibt dazu Antworten in
Form einer Debatte, es skizziert Mög-
lichkeiten einer anderen Welt, die mehr
als nur den großen Rahmen formulie-
ren, sondern „einen seltenen Grad an
Tiefe und Gründlichkeit erreicht, wenn
es um entscheidende Fragen und Prob-
leme der Ausgestaltung einer nachka-
pitalistischen Ökonomie geht“.
   Zwei Namen sind damit verbunden:
Robin Hahnel und Erik Olin Wright.
Und ihre Ideen sind es, die in „Alter-
nativen zum Kapitalismus“ nicht nur

                                                                                                                                                                            Foto: Johnny Cohen/unsplash
vorgestellt, sondern gleichsam in einem
dialogischen Prozess gegenseitig einer
Überprüfung unterzogen werden. Eine,
wie es einleitend heißt, „detailgenaue,
manchmal etwas technisch anmutende
Diskussion, mit der eine sorgfältige
Auseinandersetzung dennoch lohnt“.
   Denn einerseits wirken „die Akku-      fugnisse, die jemand hat, dem Maß ent-      Transformationsstrategie dahin ausse-        Analyse von Realutopien gezogen, so
mulation des Kapitals als Selbstzweck     sprechen, wie er oder sie von einer Ent-    hen könnte und was das für ein politi-       nannte er das, was „in dieser oder jener
und die private Aneignung des gesell-     scheidung betroffen ist. Ökonomische        sches Programm im Hier und Heute             Hinsicht radikalere, emanzipatorische
schaftlich produzierten Reichtums“        Gerechtigkeit heißt, dass sich die Ent-     bedeuten würde.                              Alternativen“ vorwegnimmt; Vorboten
nicht nur „zerstörerisch auf Individu-    lohnung nach Anstrengung oder Ar-              Mögliche Antworten darauf finden          also, Inseln möglicher Zukünfte. Expe-
um, Gesellschaft und Natur“ – sie brin-   beitsaufwand bemisst. Unter Solidari-       sich bei Erik Olin Wright, der 2019 ver-     rimente mit partizipativen Haushalten,
gen also gesellschaftliche Probleme       tät verstehe ich die Sorge um das Wohl      storben ist und eine große Lücke im          Projekte nicht-hierarchischer wirt-
hervor, die nach einer Lösung geradezu    der anderen. Und ökonomische Effizi-        linken Denken hinterlassen hat. In den       schaftlicher Kooperation, Solidarity
schreien. Andererseits stehen sozialis-   enz schließlich meint den Gebrauch          1990er Jahren hat Wright mit seinem          Funds, Genossenschaften, Betriebe in
tische Lösungsvorschläge im Schatten      knapper Produktionsfaktoren in sozial       Real Utopias Project die Diskussion          Belegschaftshand und so weiter. Auch
gescheiterter historischer Versuche.      und ökologisch optimaler Weise. Dabei       über eine neuartige Form des Sozialis-       in seinem 2017 erschienenen „Reale
„Für einen zweiten Versuch werden         dürfen die hart erbrachten Arbeitsleis-     mus vorangebracht, die über „Wege zu         Utopien. Wege aus dem Kapitalismus“
sich die Menschen nur gewinnen las-       tungen nicht verschwendet werden.“          einem Sozialismus gesellschaftlicher         werden mögliche Ansätze, Strategien
sen, wenn klar ist, dass und wie eine       Für ein Wirtschaftssystem, das die-       Handlungsfähigkeit“.                         diskutiert, wie auf dem Weg einer sol-
nachkapitalistische Gesellschaft funk-    sen Ansprüchen gerecht wird, schlägt                                                     chen Transformation gelernt und vor-
tionieren kann“, heißt es beim Verlag.    Hahnel „eine Reihe von Institutionen        Vertiefte Demokratie                         angekommen werden kann.
                                          und Verfahren vor“, darunter selbstver-                                                    Wer sich für progressive Utopien jen-
Grundrisse einer Utopie                   waltete demokratische Räte von Produ-       Im Kern, schrieb er einmal, „dreht sich      seits zentralistischer Planwirtschaft
                                          zent*innen und Konsument*innen, in          der Vorschlag darum, die Machtver-           und kapitalistischer Verwertungslogik
Im Kern geht es um zwei Konzepte, Vi-     denen jedes Mitglied eine Stimme hat.       hältnisse in der Ökonomie so zu verän-       interessiert, wird in „Alternativen zum
sionen, Grundrisse einer Utopie: Robin    „Die Produzentenräte selbst richten         dern, dass die Möglichkeit einer ernst-      Kapitalismus“ sicher fündig. Und dem
Hahnels „partizipatorische Ökonomie“      Stellen ein, die im Hinblick auf Arbeits-   haften Demokratie vertieft und erwei-        Hinweis des Verlags, dass eine breite
und Erik Olin Wrights „realutopischen“    platzqualität und Mitwirkungsmöglich-       tert wird.“ Seine Alternative ist jenseits   Debatte über andere Formen gesell-
Sozialismus. Beide haben in den 1990er    keiten annähernd gleichwertig sind.“        von Kapitalismus und Etatismus veror-        schaftlicher und ökonomischer Organi-
Jahren und mit der Erfahrung des Un-      Die Vergütung erfolge „nach Arbeits-        tet: „Kapitalismus bezeichnet eine           sation „dringend geboten“ sei, muss an
tergangs des realen Sozialismus syste-    aufwand, so wie er von den Arbeitskol-      Struktur, in der die Produktionsmittel       dieser Stelle nichts hinzugefügt wer-
matisch über alternative Modelle einer    leg*innen beurteilt wird“. Und: „Die        in Privateigentum sind und in der Allo-      den. PR
post-kapitalistischen Gesellschaftsord-   Produktion wird durch ein partizipato-      kation und Gebrauch von Ressourcen
nung nachgedacht. Hahnel entwickelte      risches Planungsverfahren geregelt,         Resultat privater Machtausübung sind.        Robin Hahnel und Erik Olin Wright: Alterna-
dabei zusammen mit Michael Albert         also weder von einer zentralen Pla-         Etatismus ist eine Struktur, in der die      tiven zum Kapitalismus. Vorschläge für eine
ein Wirtschaftsmodell, das nicht auf      nungsinstanz noch durch Märkte. Räte        in Staatseigentum und Allokation und         demokratische Ökonomie, Bertz + Fischer
Märkten, Privateigentum und hierar-       und Föderationen von Produzent*innen        Gebrauch von Ressourcen Resultat             Verlag, Berlin 2021, 244 Seiten, 15 Euro.
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
13–2021                                                                                                                                                                                        7

                                                                                                                                                            Was arme
                                                                                                                                                            Menschen vom
                                                                                                                                                            Wählen abhält
                                                                                                                                                            Über den Zusammenhang von
                                                                                                                                                            niedriger Wahlbeteiligung und so-
                                                                                                                                                            zialer Lage geben bereits viele For-
                                                                                                                                                            schungsarbeiten Auskunft: Men-
                                                                                                                                                            schen mit geringen Einkommen
                                                                                                                                                            stimmen seltener ab als Menschen
                                                                                                                                                            in besserer sozialer Lage. Nun hat
                                                                                                                                                            Max Schaub vom Wissenschafts-
                                                                                                                                                            zentrum Berlin (WZB) einen noch
                                                                                                                                                            genaueren Blick auf den Zusam-

                                                                                                                           Foto: Benjamin Manley/unsplash
                                                                                                                                                            menhang geworfen: Wie wirken
                                                                                                                                                            sich kurzfristige finanzielle Eng-
                                                                                                                                                            pässe unter Menschen in Armut
                                                                                                                                                            auf die Wahlbeteiligung aus?
                                                                                                                                                               Es geht dabei laut dem WZB um
                                                                                                                                                            „Situationen, häufig nur einige Ta-
                                                                                                                                                            ge lang, in denen das Geld knapp
                                                                                                                                                            ist und nicht mehr für Lebensnot-
                                                                                                                                                            wendiges ausreicht. Diese Notla-

Kinderarmut wächst
                                                                                                                                                            gen erfahren vor allem Menschen,
                                                                                                                                                            die unterhalb der Armutsgrenze
                                                                                                                                                            leben. In Deutschland sind das ca.
                                                                                                                                                            16 Prozent der Bevölkerung: Ar-
Paritätischer Wohlfahrtsverband: Bestehende Sicherungssysteme reichen nicht aus                                                                             beitslose, Rentner*innen mit klei-
                                                                                                                                                            nen Renten und Alleinerziehende.
Eine neue Studie des Paritätischen         untersucht, heißt es in einer Erklärung    nen westdeutschen Ländern wie Bre-                                    Deren monatliches Budget ist häu-
Wohlfahrtsverbandes belegt erneut die      des Verbandes. „Während weniger Kin-       men, Hessen, Niedersachsen oder Nord-                                 fig bis auf den letzten Euro ver-
gewachsene Kinderarmut. Die beste-         der und Jugendliche Hartz IV-Leistun-      rhein-Westfalen teilweise dramatisch.                                 plant, sodass unerwartete Ausga-
henden sozialen Sicherungssysteme          gen bekommen, ist die Einkommensar-           Die Studie weist darauf hin, dass                                  ben sie sofort in finanzielle Schwie-
reichten nicht aus, um Kinderarmut ef-     mut gestiegen, so ein zentraler Befund:    durch die Folgen der Corona-Pandemie                                  rigkeiten stürzen.“ Fallen solche
fektiv zu verhindern, kritisiert der So-   Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugend-      sogar noch eine Verschärfung der Lage                                 finanziellen Engpässe auf Wahlta-
zialverband. Denn obwohl die Hartz-IV-     liche (20,5 Prozent) lebten inzwischen     wahrscheinlich sei.                                                   ge, geht dies, so Schaub, mit einer
Quoten sinken, wachse die Kinderar-        in Armut. Besonders hart und häufig           „Das Ausmaß und die Entwicklung                                    stark reduzierten politischen Be-
mut überdurchschnittlich.                  treffe es unverändert Alleinerziehende     der Armut von Kinder und Jugendli-                                    teiligung einher. „Kurzfristige fi-
  Trotz verschiedener sozialpolitischer    und kinderreiche Familien.“                chen sind nicht nur besorgniserregend,                                nanzielle Notlagen können Men-
Reformen bspw. beim Kinderzuschlag            Ein Grund: Die Leistungen der           sondern skandalös und ein Ausdruck                                    schen zu Nichtwähler*innen ma-
seien Minderjährige mit einer Armuts-      Grundsicherung sind deutlich zu nied-      armuts- und gesellschaftspolitischen                                  chen“, so Schaub.
quote von 20,5 Prozent im Vergleich zu     rig bemessen und ergänzende familien-      Versagens”, kritisierte Joachim Rock                                     Den Zahlen zufolge sinkt „die
anderen Altersgruppen überproportio-       politische Maßnahmen nicht ausrei-         vom Paritätischen Gesamtverband. Die-                                 beabsichtigte Wahlbeteiligung bei
nal von Armut betroffen, heißt es. Der     chend, um Familien und Kinder effek-       ser forderte abermals die Einführung                                  der von Armut bedrohten Bevöl-
Paritätische forderte daraufhin erneut     tiv vor Armut zu schützen.                 einer bedarfsgerechten, einkommens-                                   kerung um 5 Prozentpunkte. In
wirksamere Maßnahmen zur Beseiti-             Die Studie, die auch Länder-Trends      abhängigen Kindergrundsicherung                                       absoluten Zahlen ausgedrückt, be-
gung von Kinderarmut, darunter etwa        untersucht, belegt dabei eine konträre     und einen Rechtsanspruch auf Angebo-                                  deutet dies bei Bundestagswahlen
die Einführung einer bedarfsgerech-        Entwicklung zwischen Ost- und West-        te der Jugendarbeit. Darüber hinaus                                   500.000 Wählerstimmen weniger.
ten, einkommensabhängigen Kinder-          deutschland, bei starker regionaler Dif-   müsse sowohl am Arbeitsmarkt als                                      Die tatsächliche Wahlbeteiligung
grundsicherung.                            ferenzierung. Während sich die Lage        auch bei der Grundsicherung angesetzt                                 ist im Mittel ebenfalls um 5 Pro-
  In der aktuellen Studie der Paritäti-    der Kinder und Jugendlichen in den         werden. „Alle Maßnahmen, die geeig-                                   zentpunkte reduziert im Vergleich
schen Forschungsstelle wird die Ent-       neuen Bundesländern (ausgehend von         net sind, die Kluft zwischen arm und                                  zu Wahlen, die zu einem Zeit-
wicklung der Kinderarmut in Deutsch-       sehr hohem Niveau) positiv entwickelt,     reich zu schließen, kommen auch Fami-                                 punkt stattfinden, an dem das fi-
land über einen Zehn-Jahres-Zeitraum       wachsen die Probleme in verschiede-        lien und damit Kindern zugute.” PR                                    nanzielle Budget der ärmeren
                                                                                                                                                            Wähler*innen einigermaßen aus-
                                                                                                                                                            geglichen ist.“ Der Effekt sei über
                                                                                                                                                            die Jahrzehnte konstant und zeigt

Alleinerziehende mit hohem Armutsrisiko                                                                                                                     sich besonders stark bei Kommu-
                                                                                                                                                            nal- und Landtagswahlen und et-
                                                                                                                                                            was weniger stark bei Bundes-
Experte: „Arm trotz Arbeit – damit darf sich unsere Gesellschaft nicht abfinden“                                                                            tagswahlen.
                                                                                                                                                               Laut Schaub sind die Gründe da-
Für alleinerziehende Familien ist das      dies darauf hin, dass politische Refor-    enorm viel und erfahren dafür zu we-                                  für „Stress und eine akut ver-
Risiko, in Armut zu leben, weiterhin       men etwa beim Unterhaltsvorschuss          nig Anerkennung. Oftmals sorgen sie                                   schärfte Wahrnehmung von Un-
sehr hoch. Das zeigt eine neue Studie      und beim Kinderzuschlag dazu geführt       allein für ihre Kinder und gehen zu-                                  gleichheit“ Um Geld zu sparen,
von Anne Lenze (Hochschule Darm-           haben, alleinerziehende Familien aus       sätzlich einer Erwerbstätigkeit nach.                                 bleibe „häufig nur der Rückzug ins
stadt) im Auftrag der Bertelsmann-Stif-    dem SGB-II-Bezug zu lösen. Trotzdem        Trotzdem reicht das Einkommen häufig                                  Private. Das reduziert die soziale
tung. „43 Prozent der Ein-Eltern-Fami-     liege ihr Anteil immer noch fast fünf-     nicht aus. Arm trotz Arbeit – damit darf                              Einbettung, die sonst ein wichtiges
lien gelten als einkommensarm, wäh-        mal höher als bei Paarfamilien mit Kin-    sich unsere Gesellschaft nicht abfin-                                 Motiv für die politische Beteili-
rend es bei den Paarfamilien mit einem     dern. Anders gesagt: Das Risiko der        den“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der                                  gung ist.“ Laut dem Forscher sollte
Kind 9 Prozent, mit zwei Kindern 11        Einkommensarmut für alleinerziehen-        Bertelsmann-Stiftung.                                                 daher vermieden werden, „Wahlen
Prozent und mit drei Kindern 31 Pro-       de Familien nicht gesunken, sondern          Hinzu kommt: Alleinerziehende Fa-                                   auf Termine zu legen, an denen ein
zent sind. Frauen sind in besonderer       verharrt auf hohem Niveau.                 milien haben die Folgen der Corona-Kri-                               Teil der Bevölkerung regelmäßig
Weise davon betroffen, denn 88 Prozent        Wie Lenze zeigen kann, ist das höhe-    se besonders zu spüren bekommen. Sie                                  vor finanziellen Engpässen steht“.
der Alleinerziehenden sind Mütter“.        re Armutsrisiko alleinerziehender Fa-      arbeiten häufig im Niedriglohnbereich                                 Dies ist in der Regel am Monatsen-
   Zwar ist der Anteil der Alleinerzie-    milien dabei nicht auf mangelnde Er-       und in systemrelevanten Berufen, leben                                de der Fall. Für die Studie wurde
henden, die Sozialleistungen beziehen,     werbstätigkeit zurückzuführen. Allein-     in beengten Wohnungen. Es müsse                                       die Wahlbeteiligung von über
seit 2015 zurückgegangen: in den west-     erziehende Mütter gehen sogar häufiger     mehr getan werden, um alleinerziehen-                                 1.000 Wahlen seit 1946 auf der
deutschen Bundesländern von 36 auf         einer Beschäftigung nach als andere        de Familien zu entlasten, finanziell zu                               Bundes-, Landes- und der kommu-
34 Prozent, im Osten sogar von 43 auf      Mütter und arbeiten öfter in Vollzeit.     unterstützen und damit auch den Kin-                                  nalen Ebene in Deutschland aus-
33 Prozent. Laut der Forscherin deute      „Alleinerziehende leisten im Alltag        dern zu helfen“, so Dräger. PR                                        gewertet. PR
Neue Wege - Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
8                                                                                                                                                               13–2021

Bis alle Lager evakuiert sind
Die Situation in den Geflüchtetenla-
gern an den EU-Außengrenzen sind
schon seit langem katastrophal.
„Diese Lager sind Teil der perfiden
Abschottungs- und Abschreckungs-
politik Europas. Lager bieten keinen
Schutz – die Menschen müssen
dringend von dort evakuiert wer-
den“, fordert deshalb die Organisa-
tion Seebrücke schon lange. Im Juli
mobilisierte die Erfurter Lokalgrup-
pe vor dem Landtag zu einer Kund-
gebung anlässlich der öffentlichen
Anhörung im Petitionsausschuss zu
einer Petition, in der bereits 18 Thü-
ringer Initiativen und Organisatio-
nen sowie mehr als 1500 Unterstüt-
zer*innen fordern, das Thüringer
Landesaufnahmeprogramm durch-
zusetzen. Damit sollen 500 schutz-
suchende Menschen im Freistaat
aufgenommen werden, doch Bun-
desinnenminister Horst Seehofer
verweigert mit fadenscheinigen Be-
gründungen seine Zustimmung.
Deshalb fordert nicht nur die Orga-
nisation Seebrücke, dass sich das
Land Thüringen einer Klage des
Berliner Innensenats gegen das
Bundesinnenministerium anschlie-
ßen soll, um so Seehofers Einver-
ständnis vor Gericht zu erzwingen.
Abgeordnete der LINKEN zeigten
ihre Unterstützung für das Anlie-

                                                                                                                                                                          Lukas Krause
gen auf der Kundgebung. Man blei-
be „laut, bis alle Lager evakuiert
sind“. PR

Was in den Menschen fortlebt
Eine Broschüre über die Apoldaer Strick- und Textilindustrie und ihren Wandel nach 1990
„Was ist mit dem Stoff passiert?“ Wer       Der zweite Grund hat mit dem regio-     und heutigen Akteur*innen können als        gibt, die Treuhandpolitik, aber eben
die gleichnamige Broschüre „Über die      nalen Fokus zu tun. In den vergange-      Teil politischer Geschichtsschreibung       nicht nur die. Apolda blickt auf eine
Apoldaer Strick- und Textilindustrie      nen Jahren ist immerhin begriffen wor-    von unten betrachtet werden, sie sind       über 400-jährige Tradition der Wirk-
und ihren Wandel“ gelesen hat, wird       den, dass die politische Redewendung      damit selbst Teil dieser Auseinander-       und Strickwarenindustrie zurück. Zum
darauf keine abschließende Antwort        von der „Anerkennung der Lebensleis-      setzung mit Erinnerung. Und was die         Ende der DDR gab es die folgenden sie-
gefunden haben. Belohnt werden die        tungen der Ostdeutschen“ eine hohle       Befragten über ihre Perspektiven auf        ben volkseigenen Betriebe in der Textil-
Leser*innen allerdings mit vielen neu-    Phrase bleibt, wenn man nicht wirklich    Umbruchzeit und Rückblickskultur er-        industrie in Apolda mit hunderten Pro-
en Fragen und mit vielen Teilen eines     genau hinhört. Das lässt sich im loka-    zählen, gibt Einblick in ein vielfältiges   duktionsstätten. Es ist noch vieles da,
großen Puzzles, das immer wieder neu      len Rahmen weit besser tun – es wer-      Bild. Ein Bild, das ganz anders ist als     aber anders. Nicht nur, dass es fortge-
zusammengesetzt werden muss. Es           den die vielfältigen Überschneidungen     die oft scharfen Schwarz-Weiß-Raster,       führte und neue Unternehmen gibt.
geht um das Thema Treuhand und die        sichtbar, welche die ökonomische Um-      wenn es um „den Osten“ geht.                „Der Stoff“, verstanden als lebenswirk-
Aufarbeitung dessen, was damals zwi-      wälzung in Alltagsleben und Kultur, in       Die Broschüre gibt sowohl Auskunft       liches Gewebe, das Ökonomie und All-
schen 1990 und 1994 mit den ehemali-      Beziehungen zwischen den Menschen         über Verletzung, Herabwertung und           tag, Region und Kultur umfasst, ist im-
gen volkseigenen Betrieben passiert       und politischen Ansichten ausmachen.      Niederlagen, als auch über den Mut          mer noch in Apolda. In den Menschen.
ist. Hier konkret: um die Region Apol-    Und damit auch die Unterschiede, die      zum Neuanfang, die seinerzeit beste-           Im Juli hat Lena Saniye Güngör, Mit-
da, um das Schicksal der dortigen Tex-    zum Beispiel in der Erinnerung an die     henden Hoffnungen und alternative           glied der Linksfraktion im Thüringer
tilindustrie, um die Menschen, die den    Treuhandanstalt und ihr Wirken be-        Umgänge mit der Vergangenheit, die          Landtag, gemeinsam mit Dagmar En-
Bruch nach 1990 erlebt haben. Und um      stehen. Was zunächst als Widerspruch      nach 1990 so lange gefehlt haben. Viel-     kelmann, Vorsitzende der Rosa-Luxem-
das vorwegzunehmen: „Was ist mit dem      erscheinen mag, ergibt im größeren        leicht musste auch erst eine neue Gene-     burg-Stiftung, die Broschüre über die
Stoff passiert?“ ist eine unbedingt le-   Rahmen aber wieder einen Sinn.            ration auf den Plan treten, eine, die mit   Apoldaer Strick- und Textilindustrie
senswerte Broschüre.                        Drittens ist und bleibt die Aufarbei-   ihren neuen Fragen besondere Momen-         und ihren Wandel im dortigen Stadt-
   Dafür gibt es mehrere Gründe. Ers-     tung der Treuhandpolitik eine unvoll-     te des Gewesenen freilegen konnte.          haus vorgestellt. Die Arbeit der Thürin-
tens der Perspektivenwechsel, den es      endete Aufgabe. Dass sich in den ver-     Zum Beispiel die Widerständigkeit, die      ger Landesstiftung zur Treuhand und
mit Blick auf die Zeit nach der politi-   gangenen Jahren immer mehr Wissen-        sich etwa bei der Besetzung der Presa-      ihren Folgen geht weiter, für 2021 sind
schen Wende in der DDR und vor allem      schaftler*innen dieser Aufgabe zuwen-     tex-GmbH durch Beschäftigte im No-          Projekte in den Landkreisen Saalfeld-
auf die Zeit der ökonomischen Transfor-   den, ist begrüßenswert. Es braucht aber   vember 1992 zeigte, die sich der Ab-        Rudolstadt und Eisenberg geplant. PR
mation immer noch zu selten gibt. „Die    immer auch Schnittstellen in das All-     wicklung entgegenstellten.
Geschichte aus Sicht der damaligen        tagsleben, also dorthin, wo Erinnerung       Wer die Broschüre „Was ist mit dem       Julian P. J. Degen, Lena Saniye Güngör, Helen
Politikmacher*innen und Treuhän-          gepflegt wird und Tradition entsteht.     Stoff passiert?“ liest, bekommt einen       Alexandra Kramer und Kevin Reichenbach:
der*innen ist oft genug erzählt worden.   Die Broschüre zur Apoldaer Textilge-      Eindruck davon, was arbeiterliches          Was ist mit dem Stoff passiert? Über die
Die Geschichten ehemaliger Beschäf-       schichte der Autor*innen Julian P. J.     und industrielles Selbstbewusstsein in      Apoldaer Strick- und Textilindustrie und ih-
                                                                                                                                ren Wandel, hrsg. Rosa-Luxemburg-Stiftung
tigter und ihrer Angehörigen sind zu      Degen, Lena Saniye Güngör, Helen Ale-     einer Region bedeutet. Vor allem, was       Thüringen, Erfurt 2021. Eine Videoaufzeich-
selten zu hören“, schreibt Volker Hinck   xandra Kramer und Kevin Reichen-          es bedeutet, wenn eine Region diese         nung der Veranstaltung im Apoldaer Stadt-
von der herausgebenden Thüringer Ro-      bach schafft das gewissermaßen dop-       Rolle verliert. Was dies mit Menschen       haus findet sich unter https://www.youtube.
sa-Luxemburg-Stiftung.                    pelt: die vier Interviews mit früheren    macht. Und welche Gründe es dafür           com/watch?v=lLM1yYH5IvU&t=3s
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